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Aus dem Institut fiir Ernahrung in Potsdam-Kehbriicke der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin (Bereich Fremdstoffe in Nahrung und Ernahrung; Leiter Dr. R. ENGST) Die Entfernung von 90-Strontium aus der Milch 1. Mitt. Literaturubersicht und Versuche iiber den Einsatz von Knochenpraparaten als Adsorbentien H. SEIDLER und M. HARTIG Bestimmte Fakten des Zeitgeschehens stellen u. a. die Ernahrungswissen- schaft und -industrie vor die Aufgabe, auch auf den ersten Rlick vielleicht un- produktiv oder nutzlos erscheinende Arbeiten durchzufuhren oder vorzubereiten. Eines dieser Probleme ist die Dekontamination von Lebensmitteln. Ein Teil- gebiet, die Entseuchung von (Kuh-)Milch sol1 hier besprochen werden. Dekon- tamination bedeutet dabei: Entfernung radioaktiver Spaltprodukte des Uran- oder Plutonium-Zerfalls oder anderer radioaktiver Isotope, die als Abfalle einer wissenschaftlichen oder technischen Anwendung oder nach einer Havarie in die Biosphare ge- langten. Das hier zur Diskussion stehende go-Sr tritt als Komponente eines unbeab- sichtigten oder beabsichtigten Fallouts uber die Passagen : Boden/Futterpflanze/ Tier/Milch in die unmittelbare Lebenssphare des Menschen und fuhrt nach der alimentaren Inkorporation zu einer lang anhaltenden Strahlenbelastung. Da nach den bisherigen Erfahrungen Sauglinge und Kleinstkinder, die Teile der Gesamtbevolkerung sind, die die hochste Inkorporation von go-Sr erfahren [I] (Milch ist ihr Hauptlebensmittel) und auch die hochsten go-Sr-Gehalte, bezogen auf Knochen-Calcium, zeigen [2] (sie besitzen nur ein geringes un- oder schwachverseuchtes Calcium-Reservoir), sollte beim Eintreten einer erhohten Verseuchungsgefahr wenigstens die zu ihrer Ernahrung notwendige Milchmenge weitestgehend von go-Sr befreit werden. Dieses Vorhaben erubrigt sich, wenn genugend unverseuchte Milchkonserven (Milchpulver).vorhanden sind. Nach allgemein technologischen und okonomischen Oberlegungen erscheint es unmoglich, etwa die gesamte Trinkmilchproduktion zu dekontaminieren. Die zur Ernahrung der Sauglinge erforderliche Milchmenge liegt fur die DDR bei etwa 60000 t/Jahr; sie ergibt sich aus der Geburtenrate von ca. 300000 SBug- lingen/Jahr [3] und einem mittleren Milchverbrauch von ca. 0,5 kg/Tag bzw. 0,2 t/Jahr und Saugling. 60000 t/Jahr sind etwa 1% des Gesamtmilchauf- kommens der DDR [4]. Neben dieser vordringlichen Sicherstellung der Sauglingsernahrung geben andere Verfahren, etwa die molkereiiibliche Aufarbeitung der Milch in Butter

Die Entfernung von 90-Strontium aus der Milch 1. Mitt. Literaturübersicht und Versuche über den Einsatz von Knochenpräparaten als Adsorbentien

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Aus dem Institut fiir Ernahrung in Potsdam-Kehbriicke der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin

(Bereich Fremdstoffe in Nahrung und Ernahrung; Leiter Dr. R . ENGST)

Die Entfernung von 90-Strontium aus der Milch 1. Mitt. Literaturubersicht und Versuche iiber den Einsatz

von Knochenpraparaten als Adsorbentien

H. SEIDLER und M. HARTIG

Bestimmte Fakten des Zeitgeschehens stellen u. a. die Ernahrungswissen- schaft und -industrie vor die Aufgabe, auch auf den ersten Rlick vielleicht un- produktiv oder nutzlos erscheinende Arbeiten durchzufuhren oder vorzubereiten. Eines dieser Probleme ist die Dekontamination von Lebensmitteln. Ein Teil- gebiet, die Entseuchung von (Kuh-)Milch sol1 hier besprochen werden. Dekon- tamination bedeutet dabei:

Entfernung radioaktiver Spaltprodukte des Uran- oder Plutonium-Zerfalls oder anderer radioaktiver Isotope, die als Abfalle einer wissenschaftlichen oder technischen Anwendung oder nach einer Havarie in die Biosphare ge- langten.

Das hier zur Diskussion stehende go-Sr tritt als Komponente eines unbeab- sichtigten oder beabsichtigten Fallouts uber die Passagen : Boden/Futterpflanze/ Tier/Milch in die unmittelbare Lebenssphare des Menschen und fuhrt nach der alimentaren Inkorporation zu einer lang anhaltenden Strahlenbelastung.

Da nach den bisherigen Erfahrungen Sauglinge und Kleinstkinder, die Teile der Gesamtbevolkerung sind, die die hochste Inkorporation von go-Sr erfahren [I] (Milch ist ihr Hauptlebensmittel) und auch die hochsten go-Sr-Gehalte, bezogen auf Knochen-Calcium, zeigen [2] (sie besitzen nur ein geringes un- oder schwachverseuchtes Calcium-Reservoir), sollte beim Eintreten einer erhohten Verseuchungsgefahr wenigstens die zu ihrer Ernahrung notwendige Milchmenge weitestgehend von go-Sr befreit werden. Dieses Vorhaben erubrigt sich, wenn genugend unverseuchte Milchkonserven (Milchpulver). vorhanden sind.

Nach allgemein technologischen und okonomischen Oberlegungen erscheint es unmoglich, etwa die gesamte Trinkmilchproduktion zu dekontaminieren. Die zur Ernahrung der Sauglinge erforderliche Milchmenge liegt fur die DDR bei etwa 60000 t/Jahr; sie ergibt sich aus der Geburtenrate von ca. 300000 SBug- lingen/Jahr [3] und einem mittleren Milchverbrauch von ca. 0,5 kg/Tag bzw. 0,2 t/Jahr und Saugling. 60000 t/Jahr sind etwa 1% des Gesamtmilchauf- kommens der DDR [4].

Neben dieser vordringlichen Sicherstellung der Sauglingsernahrung geben andere Verfahren, etwa die molkereiiibliche Aufarbeitung der Milch in Butter

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und Saure-Casein oder die Wiederverfutterung der Buttermilch an Nutzvieh (vor allem Milchvieh) weitere Moglichkeiten einer weitgehenden Ausnutzung der aktivitatsarmen Fett- und EiweiDkomponenten einer verseuchten Milch.

Die Verteilzcng des go-Strontium i n der Milch Die Frage nach Verteilung und Bindung des go-Sr in der Milch grundet sich

einmal auf das allgemeine Interesse am biochemischen Verhalten des go-Sr im Saugetierorganismus und speziell in bezug auf eine in irgendeiner Form durch- zufuhrenden Minderung der go-Sr-Aufnahme des Menschen beim Milchverbrauch.

Entsprechende Untersuchungen wurden von zahlreichen Autoren veroffent- licht [z. B. 5-14]. Als Beispiele seien nur die am wichtigsten erscheinenden Arbeiten von LAGONI [12] und von LENGEMANN [IO] angefiihrt.

Neben ihrer biochemischen Aussage ermoglichen beide Berichte auch eine gewisse ernahrungsphysiologische und -6konomische Einschatzung dieser Fak- ten. So sind z. B. bei einer Aufarbeitung der Milch in stark und schwach ver- seuchte Milchprodukte nicht nur der Trend der absoluten go-Srdktivitat von Interesse, sondern auch die Verhaltnisse go-Sr/Ca und go-SrIProtein. LENGE- MANN beschreibt folgendes Beispiel :

Wenn die Calcium- und Proteinmenge, die Kalorien und die 90-Sr-Aktivitat einer bestimmten Menge Milch jeweils gleich 100 gesetzt werden, so ist beim Verbrauch der gleichen Calcium-, Protein- oder Kalorien-Menge in Form von aus dieser Milch hergestellten Milchprodukten die go-Sr-Aktivitat,

bezogen auf I TOO Ca 1 100 Protein I 100 Kalorien

bei Cheddar-KHse' bei Cottage-Kaisel 89 Sr i 30 Sr

._____ - m - - - - F r -

d. h. also, daB bei der Notwendigkeit des Verbrauchs dieser Milch und der mog- lichen Wahl zwischen Vollmilch, Cheddar- und Cottage-K&e (hergestellt aus dieser Milch) der Cottage-Kase eindeutig am giinstigsten liegt. LAGONI und Nitarb. trennten mit herkommlichen Molkereiverfahren Milch in die in der Abb. I genannten Milchprodukte .

Sie weisen darauf hin, daR Fett und Proteine - die wichtigsten Milchkompo- nenten - aus verseuchter Milch durch molkereiiibliche Verfahren so abgetrennt werden konnen, daD sie fur eine ungefahrliche Ernahrung des Menschen zur Verfugung stehen. Diese praktisch einfachste ,,Dekontaminierung" hat vor allem den Vorteil, daD mit ihr im Bedarfsfall groDe Milchmengen mit immer und in jeder Molkerei vorhandenen Mitteln verarbeitet werden konnen. Abgesehen davon. daB bei Butter und vor allem bei Saurecasein die Aktivitat je Mengen- einheit noch recht hoch liegt, was aber durch die differenzierten Verzehrmengen z. T. ausgeglichen werden kann, darf bei diesem Verfahren nicht ubersehen werden, daR man hier von einer Dekontamination der Milch nicht sprechen kann; denn das Produkt Milch verschwindet. Die an seine Stelle tretenden Produkte Butter und Saurecasein (Quark) sind zwar ernahrungsphysiologisch

1 Cheddar ist ein amerikanischer Lab-Kase, Cottage ein Sauermilch-Iiase.

go-Strontium der Milch 73 7

auch hochwertig, aber sie sind eben keine Milch. Sie lassen sich fur die Ernah- rung von Erwachsenen und Kindern verwenden, nicht aber fur die von Saug- lingen - die wichtigsten Milchkonsumenten.

Zur Bindung des go-Sr kann zusammenfassend folgendes gesagt werden: Es ist anzunehmen, daB das Strontium ebenso wie das Calcium beim normalen pH komplex gebunden im Makrokolloid des Caseins und zum Teil in der ionogenen Form eines Salzes der Citronen-, Phosphor- oder Milchsaure vorliegt.

Dabei wird das Strontium sowohl in vivo als auch in vitro vom Casein etwas starker gebunden als das Calcium. Alle bisher gefundenen Ergebnisse sprechen dafiir, daB die qualitative Verteilung der Strontium-Bindungen im Casein- Komplex gleich der des Calcium ist. Es kann auch mit groBer Sicherheit ange- nommen werden, daB das vorsichtige Ansauern der Milch nur einen Teil des

Vollmilch

Magprmilch - - - - - - - - - - - - - - -

Butter A Buttermilch Sourecasein A Sauermolke Labcasein A Labmolke

Molkcn- 84'7 Molke A Molken- 6,3 A Bufferfett 'h Bufferscrum

Serum- 2 Serum-

Molke eiweidfrei eiweld eiweidfrei eiweid

868 b4 1;s 0.3

63

flussigkeit sediment -f,2 4 1

hbb. I . Verteilung des go-Sr in Molkereiprodukten nach einer molkereiiiblichen Aufarbeitung der Vollmilch [12]

kolloidal gebundenen Strontium in eine ionogene Form versetzt und beim weit- aus groBeren Teil desselben die Bindungen nur in einen so labilen Zustand ge- bracht werden, da13 es von den konkurrierenden Ankergruppen des Ionenaus- tauschers abgenommen werden kann.

Die Verwendung von Knocheqbrapayaten ZUY Dekontamilzation der Milch Ausgehend von folgenden uberlegungen wurden verschiedene Knochenprapa-

rate als Ionenaustauscher bzw. Adsorbenten fur das 9o-Sr erprobt : I. Das Material sollte billig und in genugend groBen Mengen greifbar sein

(wenn moglich, sogar vom Milchverbraucher). 2 . Durch die Erfahrungen der klassischen Ernahrungsphysiologie, durch

Untersuchungen iiber die go-Sr-Verseuchung menschlicher und tierischer Or- gane, und durch experimentelle Arbeiten (z. B. SAMACHSON u. a. [IS]) war be- kannt, daB die anorganische Knochenmatrix eine ausgepragte Affinitat fur Strontium zeigt, und daB zwischen dem Calcium des Hydroxylapatits und dem in einer Losung vorliegenden Strontium auch in vitro ein heteroionischer Aus- tausch erfolgt.

738 SEIDLER / HARTIG

Diese uberlegungen gingen parallel mit einer spater erhaltenen Information aus einer Veroffentlichung von SINGER u. a. [16], in der etwa gleiche Gedanken niedergelegt und einige Vorschlage zur Praparierung des Knochenmaterials angefiihrt waren. Als weiterer Vorteil der Verwendung von Knochen wurde darauf verwiesen, daB zur Erzielung einer bestimmten Dekontaminationswir- kung erheblich weniger Knochenpraparat als Kunstharz-Ionenaustauscher be- notigt wird. So wird fur einen Dekontaminationseffekt von 55-75?/0 ein Kno- chenpraparat/Milch-Verhaltnis von I : 34 angegeben ; demgegenuber berichtet die erste zughgige Veroffentlichung iiber die Verwendung von Kunstharz- Ionenaustauschern [17] uber ein Ionenaustauscher/Milch-Verhaltnis von I : 10 bei einem Dekontaminationseffekt von 80-95%.

Die Vorbehandlung des Knochenmaterials sollte mehreren Forderungen geniigen :

I. Alle Stoffe sollten entfernt werden, die durch die Milch gelost oder adsor- biert werden konnten.

2 . Die Austauschfahigkeit sollte erhoht werden. 3. Es sollte ein moglichst keimarmes und infektionsresistentes Praparat er-

halten werden. Als Rohprodukt wurden sowohl normal ausgekochte Knochen als auch han-

delsiibliches Knochenmehl verwandt. Die Vorbehandlung gliederte sich in eine intensive Entfettung und EnteiweiBung (Tetrachlorkohlenstoff, Alkohol/Ather, Triathylamin, Triathanolamin, Kalilauge/Glycerin, Kalilauge) und eine Akti- vierung (Calciumchlorid). Nach dieser Praparation wurde das Material intensiv mit Wasser gewaschen und nach KorngroBen getrennt. Neben diesen Knochen- praparaten kam auch schonend gegluhte Knochenasche zur Anwendung. Die Dekontamination erfolgte durch Ausschiitteln bestimmter Milchvolumen mit verschiedenen Praparat-Mengen bei unterschiedlichen Behandlungszeiten. Da die so behandelte Milch meist schon sichtbare Veranderungen zeigte, wurden neben der go-Sr-Restaktivitat auch der Calcium-, Kalium-, Natrium- und Phos- phat-Gehalt, der pH-Wert, die Saurezahl und die Gerinnungszeit der Milch be- stimmt. Ein Beispiel fur die Wirkung eines Knochenpraparates auf Milch zeigt Abb. 2.

Zusammenfassend kann iiber den Einsatz von Knochenpraparaten zur Ent- seuchung von Milch folgendes gesagt werden :

I. Die Dekontaminationswirkung erreicht in keinem Fall das gewiinschte AusmaD.

2. Die unerwunschten Nebenwirkungen sind vie1 zu grol3, urn einen Aktivi- tatsverlust von maximal 60% interessant zu machen. Neben diesen Knochenpraparaten wurden auch andere einfache Calcium-Ver- bindungen wie Gips, Kreide und Kalksandstein erprobt ; auch deren Wirkungen waren unbefriedigend.

Der Eifisatz von Kzcnstharz- Ionenaacstauschern zzw Dekodamination der Milch Nachdem die Versuche mit den Knochenpraparaten nicht das gewiinschte

Ziel erreichen lieBen, kam nur noch die Anwendung von Kunstharz-Ionenaus-

go-Strontium der Milch 739

tauschern (IA) in Frage. Prinzipiell ist der Einsatz solcher zur Adsorption von Spaltprodukten IA nicht neu. Viele Verfahren zur Gewinnung einzelner Nuklide aus gelosten Brennstoffabfallen und zur Uran-Aufbereitung benutzten Ionen- austauscher und waren maBgebend an den Erfolgen der Radiochemie beteiligt. Daneben wurden die IA fur die Entseuchung von Trinkwasser vorgeschlagen : Angaben dariiber finden sich z. B. bei [18--211.

' : z K k t i v y ~ 4b Saurezahl ~

- -

pH-Wcrt Gmnnungszeit

''?!iGZG 60

Kalium I Natrium

'ooP--= 80 $--"= 60: 1 0 20 40 60 80 100 20 40 60 80 1OOmin - 2gKM7 -1OgKM7 -20gKM7

Abb. L. Die Wirkungen der Behandlung von Magermilch mit einem Knochenprlparat (alle Ausgangswerte sind gleich 100% gesetzt).

KM = Knochenmehl

Die Ursachen, weshalb man zu Beginn der Arbeiten iiber die Dekontamination der Milch auf die Anwendung der Kunstharz-Austauscher verzichten zu miissen glaubte, liegen wohl in erster Linie in ihrem relativ hohen Preis, in der (begrun- deten) Befiirchtung, daB die IA nicht nur das Strontium entfernen, sondern auch erheblich in die Kationen-Komposition der Milch eingreifen und sie damit ent- scheidend verandern wurden, und in der uberlegung, daD sie bei einer zweifellos spontan auftretenden Notwendigkeit der Entseuchung von Milch, schwerlich in den - durch die Milcherzeugung bedingten - vielen Einsatzpunkten (Molke- reien) greifbar sein wiirden.

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Es zeigte sich jedoch, da13 trotz dieser Argumente die I A die einzig vertret- baren Adsorptionsmittel fur die Dekontamination von Milch sind. Diese Ein- sicht ergab sich aus den umf angreichen, hier nur kurz angefiihrten Versuchen rnit Knochenpraparaten sowie aus den in dieser Zeit und spater bekannt ge- wordenen amerikanischen und kanadischen Arbeiten.

Ohne die SchluBfolgerungen dieses Berichtes vonvegzunehmen, seien zur Gegenuberstellung zu den oben angefiihrten Bedenken folgende Punkte envahnt : a) Der Preis der Kationenaustauscher lie@ zwar mit ca. 7 MDN/Liter (Wofatit

KPS) recht hoch. Aber einmal sind allgemein ungewohnliche MaBnahmen auch mit hohen Kosten verbunden, zum andern konnen Kunstharz-Aus- tauscher - im Gegensatz zu den Knochenpraparaten - praktisch beliebig oft wieder verwendet werden (unter diesem Gesichtspunkt werden dann so- gar die Regeneriermittel-Kosten hoher als die Austauscherkosten).

b) Die Gefahr der unerwiinschten Verbderung der Kationenkomposition der Milch kann durch einen Kunstgriff vermieden werden. Es zeigte sich, daB die Erhaltung des nativen Zustandes der Milch durch einen entsprechend beladenen IA weit besser zu realisieren ist als mit Knochenpraparaten.

c ) Die Bereitstellung der notwendigen IA-Mengen ist ein organisatorisches Problem, das auaerhalb der hier beschriebenen Arbeiten liegt.

Ein kurzer Uberblick iiber die beim Abschlun dieser Arbeiten vorliegende Literatur gibt folgendes Bild:

Der erste Bericht aber Versuche zur Dekontamination der Milch von go& diirfte der von MIGICOVSKY [17] zitierte UCRL-Report von NERVIK u. a. [ 2 2 ] aus dem Jahre 1954 sein. 1959 berichtete MIGICOVSKY in 3 Veroffentlichungen [17, 23, 241 iiber Versuche mit Dowex 50 W. Das wichtigste Resultat dieser Arbeiten dtirfte die Erkenntnis sein, daR bei der Dekontamina- tion der Milch der schwierigste Teil der Aufgabe nicht die Entfernung des go&, sondern die Erhaltung des nativen Kationen-Verhatnisses ist. E r versuchte als erster, diese Schwierigkeit durch die Beladung des Ih mit einem, den Milchverhaltnissen entsprechenden Calcium/Ka- lium/Natrium-Gemisch zu umgehen.

EASTERLY u. a. iz5] benutzten Calcium/Natrium-beladenes Dowex-50 W und kamen auch nur zu einem unbefriedigenden Resultat von ca. 40% Kestaktivitat. h u s dem gleichen Jahr sind nochdie Arbeiten von COSLETTS u. a. [z6] und HALLU. a. [27] bekannt; [z6] ist ein AERE- Report und lag nicht vor, HALL ist Mitglied der Gruppe EASTERLY-DEMOTT und gibt praktisch eine IViederholung von [25].

1960 erschien von MIGICOVSKY ein weiterer Beitrag in einem FAO-Report [28] , in dem eine zweistufige Bad-Methode vorgeschlagen wird. I n der I . Stufe wird rnit einem Natrium/ Kalium-Harz eine Restaktivitat von ca. 1 5 x erreicht; dabei wird aber auch vie1 Calcium rnit entfernt. In der 2 . Stufe aird mit einem Calcium-Harz das aberschiissige Kalium/Natrium entfernt und das Calcium-Defizit ausgeglichen. Ebenfalls in diesem Jahr erschienen z weitere Xrbeiten von EASTERLY u. a. [rg, 301. Sie untersuchten dabei vcrschiedene Harztypen (Cal- cium- und Natrium- beladen), Techniken sowie Harz/Milch-Verh%ltnisse.

KALCHEV u. a. [31] berichteten 1961 iiber die Verwendung von Wofatit KPS (Calcium- beladen). Diese Verfiffentlichung ist die einzige Arbeit, in der ein nichtamcrikanisches Harz brsprochen wird. Ab 1961 wird durch die Vertiffentlichung von gezielten Untersuchungen das groBe Interesse amerikanischer Institutionen an dem Problem ,,Dekontamination der Milch" deutlich. In Zusammenarbeit zwischen dem US Department of Agriculture, dem Department of Health, Education and Welfare und der Atomic-Energy Commission wurde ein Unter- suchungsprogramm begonnen, das als Ergebnis u. a. ein 1962 vertjffentlichtes US-Patent zur Folge hatte.

go-Strontium der Milch 741

MURTHY u . a. [3z] beschrieben den zweiten, fiir eine intensive Dekontamination wichtigsten Faktor. Nachdem MIGICOVSKY durch die Verwendung \on Calcium/I<alium/Natrium-Harzen den prinzipiellen Weg zur Erhaltung der Kationenkomposition gezeigt hatte, stand immer noch die Forderung nach einer mindestens go%igen Entfernung des go-Sr bei einem wrtret- baren Harz: Milch-Vcrhaltnis. MURTHY u. a. losten diese Aufgabe, indem sic dic Milch vor der Dekontamination auf einen niederen pH-Wert und damit den groaten Teil dcr kolloidal gebun- denen zweiwertigcn Ionen in eine dem Austauscher verfiigbare Form brachten. Da Milch ein physikochemisch sehr empfindliches Lebensmittel darstellt, ist dieser Schritt mit einigen Gefahren verbunden. AuRerdem muB die dekontaminierte Milch nach dem Austausch natiir- lich wieder auf den urspriinglichen pH.Wert gebracht werden. Dies wird durch Zugabe cines OH-beladenen Anionenaustauschers erreicht. 1961 erschienen noch 2 kurzeTagungsberichte von E D M ~ N D ~ ~ N [33] und IANDGREBE [34]. 1962

wurdc dann an MURTHY u. a. das schon erwahnte US-Patent uber ein ,,Verfahren zur Entfer- nung von Radionukliden aus der Milch" erteilt [351. Der Inhalt ist praktisch eine Zusammen- fassung der schon cinzeln veroffentlichten Erkenntnisse. Im gleichcn Jahr erfolgten auch noch mehrere Beschreibungen dieses Verfahrens, so von MURTHY [36], EDMONDSON [37, 381, HOOVER

uber Untersuchungen von Teilproblemen crschienen Arheiten von EASTERLY [42], HARRIS [43] und DEMOTT [44;. Weiterc 4 Veroffentlichungen beschrieben andere Methoden zur Dekon- tamination von Milch. So berichtet EDMONDSON [45] iibcr die Verwendung von Tricalcium- phosphat; praktisch das gleiche Verfahren beschreibt SILVERMAN [46] ; AARKROG u. a. [47] benutzten ein 3-Stufen-Bad-Verfahren mit Kalium/Wasserstoff-, Kalium/Wasserstoff- und Calcium/Wasserstoff-beladenem IA; und ein anonymer Beitrag [48] berichtet von einem in den USA entwickelten Austauscher-Elektrodialyse-Verfahren.

1963 erschiencn nochmals 3 Arbeiten von LANDGREBE [4g]. EASTERLY [50] und EDMONDSON [SI] iiber Teilproblcme des patentierten Verfahrens. Nach Abschlulj der hicr beschriebenen Arbeiten erfolgten noch Veroffentlichungen von EASTERLY [52] tiber den EinfluW der Saureart bei der Ansauerung der Milch, von MURTHY u. a. [53] tiber eine Kombination der Neutrali- sation nach der Behandlung am Kationenaustauscher mit der Entfernung von I ~ I - J , von EDMONDSON [54] iiber eine Weiterentwicklung zu einem kontinuierlichen Verfahren und von EASTERLY u. a. [55] uber die Harz-Regenerierung.

Zusammenfassend kann man iiber diese Literatur etwa folgendes sagen. Intensive Anstren- gungcn zur Losung des Problems wurden nur in den USA unternommen. Einige, vor allem der alteren Arbeiten sind nicht frei von Widerspriichen. Eine ganze Anzahl von Berichten erschien unter etwas abgewandeltem Titel, aber mit praktisch gleichem Inhalt mehrmals.

1391, t.INDQUIST [4O] und N. N. [ 4 I ] .

Zusammenfassung Es werden begriindet und kurz besprochen die Notwendigkeit zur Dekontamination be-

schfinkter Milchmengen im Katastrophenfall und die Verteilung des go-Sr in der Milch sowie die rnit iiblichen Verfahren erreichbare Minderung der go-Sr-Aktivitat der Milch bzw. Milch- produkte. Ein Uberblick zeigt die Ergebnisse eigener Untersuchungen tibcr die Wirksamkeit von Knochenpraparaten zur Entfernung von go-Sr aus der Milch. AbschlieDend wird eine Literaturiibersicht iiber Verdffentlichungcn zur Dekontamination dcr Milch mit Hilfc von ICunstharz-Ionenaustauschern gegeben.

S u m m a r y H. SEIDLER. andM. HARTIG: The removal of go-strontiumfrom milk. Par t I. Survey of litera- ture and experiments on the use of bone preparations as adsorbents.

The authors justify and describe briefly the necessity for decontaminating restricted quanti- ties of milk in case of disaster. Furthermore they deal with the distribution of go-Sr in milk and with the reduction of the go-Sr activity in milk and milk products which can be obtained by common procedures. A survey shows the results of investigations of the authors into the efficiency of bone preparations in removing go-Sr from milk. Finally the authors give a survey of publications dealing with the decontamination of milk means of resin ion exchangers. 49 Die Nabrung, Heft 7

L i t e r a t u r

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Eingegangen 31. 5. 1965

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