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Das Methylom des Menschen Die Entzifferung der fünften DNA-Base T HOMAS WINCKLER | I LSE Z ÜNDORF | T HEO DINGERMANN 5-Methylcytosin ist die „fünfte Base“ in der DNA humaner Zel- len. Die Methylierung bestimmter Cytosine im Genom unserer Zellen ändert nicht die Kodierung der in der DNA gespeicher- ten Information, spielt aber eine entscheidende Rolle bei der epigenetischen Transkriptionskontrolle. Fehlregulationen der epigenetischen Modulation der DNA können zu schweren Krankheiten beitragen. In diesem Artikel fassen wir zusam- men, wie heute mit modernen Methoden der DNA-Sequenzie- rung genomweite Unterschiede in der DNA-Methylierung funktionell untersucht werden. Physiologische Bedeutung von Methylcytosin Seit langem ist bekannt, dass die genetische Information von Organismen in DNA-Doppelsträngen kodiert ist und dass die Kodierung in Form der linearen Sequenz der in der DNA vorkommenden Basen Adenin, Guanin, Cytosin und Thymin niedergelegt ist (Abb. 1). Mittlerweile können wir die genetische Kodierung für einen gesamten Organismus entschlüsseln – auch die unserer eigenen DNA –, und doch sind wir noch weit davon entfernt, die Mechanismen zu verstehen, wie das zelltypspezifische Ablesen der in jeder Zelle identischen Information reguliert wird. Ein Aspekt, der in diesem Zusammenhang immer mehr in den Fokus der Forschung kommt, ist die Bedeutung der dynamischen Mar- kierung bestimmter Cytosin-Positionen in genregulatori- schen Bereichen unseres Genoms. 5-Methylcytosin ( 5m C) kommt eine eigene Funktion in der Regulation der Genex- pression zu, man könnte von einer „fünften Base“ für die vollständige Kodierung der genetischen Information spre- chen [1]. Eine „Kodierung“ von Genexpressionszuständen durch Cytosin-Methylierung wurde vor 35 Jahren erstmals postu- liert [2, 3]. Sie ist flexibel genug, um die Spezialisierung ge- netisch identischer somatischer Zellen für bestimmte Funk- tionen zu unterstützen und auf regulatorische Einflüsse durch andere Zellen innerhalb eines Organismus oder Sti- muli von außen reagieren zu können. Andererseits ist die- se Form der Kodierung stabil genug, um bei Zellteilungen an die Tochterzellen weitergegeben zu werden und selbst in Keimbahnzellen zu persistieren, um auf die Nachfolge- generation vererbt zu werden. In diesem Sinne kann „Epigenetik“ als eine wissen- schaftliche Disziplin definiert werden, die die Mechanis- men untersucht, mit der Zellen stabile, vererbbare Unter- schiede in der Expression von Genen generieren, ohne die genomische DNA selbst zu verändern [4–6]. DNA-Methy- lierung spielt hier eine zentrale Rolle, wobei in Säugetier- zellen praktisch nur die Methylierung von Cytosinen in der 5-Position eine Rolle spielt. 5-Methylcytosin findet sich fast ausschließlich im Kontext einer symmetrischen 5’-CpG-3’- Sequenz [5, 6] und macht in der genomischen DNA von Säu- getier- oder Pflanzenzellen 1 bis 6 % der Basen aus [7]. Sym- metrisch bedeutet, dass die Sequenz 5’-CpG-3’ auf dem ei- nen Strang einer DNA-Doppelhelix aufgrund der Komplementaritätsregeln auf dem anderen, antiparallel lau- 210 | Pharm. Unserer Zeit | 3/2010 (39) © 2010 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim DOI:10.1002/pauz.201000368 ABB. 1 AUSSCHNITT AUS EINEM DNA-DOPPELSTRANG 3'-Ende N NH2 O N C HN N N O H2N N G O O O O O O O P O O O P O O NH N N O NH2 N G N H2N O N C O O O O P O O P O O O O H3C 5'-Ende N NH2 O N C HN N N O H2N N G O O O O O O P O O O P O O NH N N O NH2 N G N H2N O N C O O O O P O O P O O O N N N NH2 N A HN O O CH3 N T 5' 3' O O 5'-Ende 5' 3' O O 3'-Ende O O P O O P O O CH3 Gezeigt sind fünf Basenpaare mit den entsprechenden Wasserstoffbrückenbindun- gen zwischen den komplementären Basen. In Richtung 5’ nach 3’ gelesen enthält die DNA-Sequenz ein symmetrisches CpG-Motiv, wobei beide Cytosine jeweils me- thyliert sind. Die Methylgruppen sind rot hervorgehoben.

Die Entzifferung der fünften DNA-Base. Das Methylom des Menschen

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Das Methylom des Menschen

Die Entzifferung der fünftenDNA-BaseTHOMAS WINCKLER | ILSE ZÜNDORF | THEO DINGERMANN

5-Methylcytosin ist die „fünfte Base“ in der DNA humaner Zel-len. Die Methylierung bestimmter Cytosine im Genom unsererZellen ändert nicht die Kodierung der in der DNA gespeicher-ten Information, spielt aber eine entscheidende Rolle bei derepigenetischen Transkriptionskontrolle. Fehlregulationen derepigenetischen Modulation der DNA können zu schwerenKrankheiten beitragen. In diesem Artikel fassen wir zusam-men, wie heute mit modernen Methoden der DNA-Sequenzie-rung genomweite Unterschiede in der DNA-Methylierungfunktionell untersucht werden.

Physiologische Bedeutung von MethylcytosinSeit langem ist bekannt, dass die genetische Informationvon Organismen in DNA-Doppelsträngen kodiert ist unddass die Kodierung in Form der linearen Sequenz der in derDNA vorkommenden Basen Adenin, Guanin, Cytosin undThymin niedergelegt ist (Abb. 1). Mittlerweile können wirdie genetische Kodierung für einen gesamten Organismusentschlüsseln – auch die unserer eigenen DNA –, und dochsind wir noch weit davon entfernt, die Mechanismen zuverstehen, wie das zelltypspezifische Ablesen der in jederZelle identischen Information reguliert wird. Ein Aspekt,der in diesem Zusammenhang immer mehr in den Fokus derForschung kommt, ist die Bedeutung der dynamischen Mar-kierung bestimmter Cytosin-Positionen in genregulatori-schen Bereichen unseres Genoms. 5-Methylcytosin (5mC)kommt eine eigene Funktion in der Regulation der Genex-pression zu, man könnte von einer „fünften Base“ für dievollständige Kodierung der genetischen Information spre-chen [1].

Eine „Kodierung“ von Genexpressionszuständen durchCytosin-Methylierung wurde vor 35 Jahren erstmals postu-liert [2, 3]. Sie ist flexibel genug, um die Spezialisierung ge-netisch identischer somatischer Zellen für bestimmte Funk-tionen zu unterstützen und auf regulatorische Einflüssedurch andere Zellen innerhalb eines Organismus oder Sti-muli von außen reagieren zu können. Andererseits ist die-se Form der Kodierung stabil genug, um bei Zellteilungenan die Tochterzellen weitergegeben zu werden und selbstin Keimbahnzellen zu persistieren, um auf die Nachfolge-generation vererbt zu werden.

In diesem Sinne kann „Epigenetik“ als eine wissen-schaftliche Disziplin definiert werden, die die Mechanis-men untersucht, mit der Zellen stabile, vererbbare Unter-schiede in der Expression von Genen generieren, ohne diegenomische DNA selbst zu verändern [4–6]. DNA-Methy-lierung spielt hier eine zentrale Rolle, wobei in Säugetier-zellen praktisch nur die Methylierung von Cytosinen in der5-Position eine Rolle spielt. 5-Methylcytosin findet sich fastausschließlich im Kontext einer symmetrischen 5’-CpG-3’-Sequenz [5, 6] und macht in der genomischen DNA von Säu-getier- oder Pflanzenzellen 1 bis 6 % der Basen aus [7]. Sym-metrisch bedeutet, dass die Sequenz 5’-CpG-3’ auf dem ei-nen Strang einer DNA-Doppelhelix aufgrund derKomplementaritätsregeln auf dem anderen, antiparallel lau-

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DOI:10.1002/pauz.201000368

A B B . 1 AU S S C H N I T T AU S E I N E M D N A - D O PPE L S T R A N G

3'-Ende

N

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Gezeigt sind fünf Basenpaare mit den entsprechenden Wasserstoffbrückenbindun-gen zwischen den komplementären Basen. In Richtung 5’ nach 3’ gelesen enthältdie DNA-Sequenz ein symmetrisches CpG-Motiv, wobei beide Cytosine jeweils me-thyliert sind. Die Methylgruppen sind rot hervorgehoben.

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fenden DNA-Strang identisch ist (vgl. Abb. 1). Dies ge-währleistet, dass während der DNA-Replikation der neu syn-thetisierte, zunächst unmethyliert vorliegende DNA-Strangan denselben Stellen modifiziert werden kann wie zuvor, in-dem das Cytosin gegenüber des Guanins einer 5’-5mCpG-3’-Sequenz im Elternstrang wieder methyliert wird. Auf dieseWeise wird die epigenetische Markierung auf die Tochter-zellen „vererbt“.

Im Genom einer Säugetierzelle sind durchschnittlich70 % der CpG-Nukleotide methyliert. CpG-Motive sind imGenom aber nicht gleichmäßig verteilt, sondern kommenals so genannte „CpG-Inseln“ vor allem in den Promotorre-gionen und den ersten Exons vieler Gene gehäuft vor. Anden Rändern dieser CpG-Inseln gelegene CpG-Motive sindmeistens methyliert, während innerhalb der CpG-Inseln be-findliche Cytosine eher unmethyliert vorliegen. Der Grunddafür ist, dass CpG-Methylierungen in der Regel eine Kon-densierung des Chromatins und damit verbunden einetranskriptionelle Inaktivierung bewirken. Promotoren sindaber meist aktiv und müssen deshalb einen geringenMethylierungsgrad aufweisen.

Vorrangig spielen CpG-Methylierungen bei der perma-nenten Inaktivierung von Genen eine wichtige Rolle (vgl.dazu Artikel von M. Jung und M. Lübbert in diesem Heft):• bei der dauerhaften Stilllegung eines der beiden X-Chro-

mosomen in weiblichen Zellen, da nur eine „Gendosis“für eine ausreichende Versorgung mit X-chromosomalkodierten Genprodukten benötigt wird [8],

• beim so genannten genomic imprinting, d.h. der ge-zielten Stilllegung bestimmter maternaler oder pater-naler Gene während der Entwicklung von Ei- und Sa-menzellen [9],

• der Aufrechterhaltung der Stabilität der genomischenDNA durch Unterdrückung der Aktivität von Transpo-sons, deren Aktivität häufig DNA-Doppelstrangbrüchehervorruft [10]

• und ganz allgemein der Regulation der Aktivität von Ge-nen [11].

Pathophysiologische Veränderungen vonCpG-Methylierungen

Genomweite Veränderungen der Cytosin-Methylierungs-muster scheinen insbesondere bei der Entwicklung von Tu-moren eine wichtige Rolle zu spielen [12]. Die epigeneti-sche Kontrolle kann in Tumorzellen beispielsweise derartgestört sein, dass die Promotoren von Tumorsuppressor-genen hypermethyliert und dadurch stillgelegt werden, waseine unkontrollierte Proliferation der Zellen ermöglicht[12]. Man kann heute davon ausgehen, dass Tumorerkran-kungen gleichermaßen genetische wie auch epigenetischeErkrankungen sind. Dabei haben manche Tumorarten ver-gleichbare (obgleich veränderte) Methylierungsmuster,während andere Tumoren sehr spezifische – quasi Tumor-definierende – Veränderungen aufweisen.

Die genomweite Analyse von DNA-Methylierungs-mustern verschiedener maligne entarteter Zellen im Ver-

gleich zu normalen Zellen generiert demnach eine Listespezifischer Tumormarker, die dazu beitragen kann, patho-physiologische Vorgänge zu verstehen, die aus verändertenGenexpressionsmustern aufgrund des Verlustes der epige-netischen Kontrolle resultieren und letztlich zu einem un-kontrollierten Wachstum der Tumorzellen führen.

Solche Analysen ermöglichen auch eine tumorspezifi-sche Diagnostik maligne veränderter Zellen, selbst wennsich diese noch in einem Gewebeverband aus normalenZellen befinden. Gegebenenfalls kann auch eine Therapiemit Wirkstoffen etabliert werden, die einen positiven Ein-fluss auf die epigenetischen Fehlregulationen in den Tu-morzellen ausüben. Auch eine frühzeitige Erkennung vonTumor-Rezidiven über ihre spezifischen DNA-Methylie-rungsmuster könnte in Zukunft möglich werden.

Für diese Art der tumorspezifischen Grundlagen-forschung, Diagnostik und Therapiekontrolle benötigt mansensitive und quantitative Methoden, die es erlauben, denMethylierungszustand jedes CpG-Motivs im Genom mit derAuflösung einzelner Basen zu analysieren.

Methoden zur Identifizierung von5-Methylcytosin in genomischer DNA

Es gibt mehrere Methoden zum Nachweis von 5-Methyl-cytosin in genomischer DNA. Diese Methoden kann man da-nach unterscheiden,• ob sie lediglich den Gesamtgehalt an 5mC in einer DNA-

Probe angeben können, also den prozentualen Anteilvon 5mC zu C,

• ob sie in der Lage sind, eine Methylierung an einer be-stimmten Stelle einer DNA-Probe zu detektieren, wobeiman diese Position vorher definiert und gezielt unter-sucht,

• oder ob sie in der Lage sind, eine mögliche Methylie-rung von Cytosin in jeder Position innerhalb einer DNA-Probe anzugeben.

Für die ersten beiden Überlegungen wollen wir kurz ge-eignete Methoden vorstellen, bevor wir auf die heute be-deutendste Methode zur systematischen Erfassung aller Cy-tosin-Methylierungen in einer DNA eingehen: die Bisulfit-Se-quenzierung.

Bestimmung des Gesamtgehaltes an5-Methylcytosin in einer DNA

Um den Gesamtgehalt an 5mC in einer DNA zu bestimmen,wird die DNA mit geeigneten Enzymen in Mononukleosidezerlegt. Diese werden dann beispielsweise durch HPLCchromatographisch getrennt und quantifiziert. Auf dieseWeise kann man 5mC bis zu einer Nachweisbarkeitsgrenzevon etwa 0,005 % (Verhältnis 5mC/C) bestimmen.

Überprüfung definierter 5-Methylcytosin-Positionen

Eine elegante, wenn auch nicht sehr breit einsetzbare Me-thode zur Überprüfung bekannter 5mC-Positionen ist die Hy-drolyse genomischer DNA mit Restriktionsendonuklea-

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sen, deren Erkennungssequenz einCpG-Dinukleotid umfasst, das Enzymaber die Sequenz nur dann schneidet,wenn das Cytosin entweder methyliertoder unmethyliert ist. Zum Beispiel er-kennt das Enzym HpaII die DNA-Se-quenz 5’-CCGG-3’. HpaII kann dieseaber nicht schneiden, wenn das un-terstrichene C methyliert ist. Das En-zym MspI dagegen bindet dieselbe Se-quenz und schneidet sowohl methy-lierte als auch unmethylierte DNA. DerVergleich der Fragmentmuster, diedurch beide Enzyme in parallelen An-sätzen erzeugt werden, erlaubt dannRückschlüsse auf den Methylierungs-status der DNA an der bestimmtenPosition.

Diese Methode ist nur begrenzt zurgenomweiten 5mC-Analyse einsetzbar,da nur wenige CpG-Positionen Bestandteil einer Erken-nungsstelle für eine Restriktionsendonuklease sind und die-se Positionen für die Analyse bekannt sein müssen. Für diegenomweite Erfassung von CpG-Methylierungen müssen da-her andere Methoden herangezogen werden, insbesonderedie nachfolgend beschriebene Bisulfit-Sequenzierung.

(Genomweite) Bisulfit-SequenzierungDie Bisulfit-Sequenzierung ist nicht nur eine experimentellrecht einfache Methode zur Bestimmung von 5mC in einerDNA, sondern diese Methode liefert auch eine basengenaueAnalyse aller Positionen von 5mC in einer DNA [13]. Das be-deutet, dass die Methode für jede einzelne Cytosin-Positioneiner DNA angeben kann, ob dieses Cytosin 5-methyliertvorliegt oder nicht, so dass die Methode eine sehr verläss-liche Aussage liefert. Diese Methode hat mittlerweise eineso überwältigende Bedeutung in der genomweiten Bestim-mung von 5mC-Positionen, dass verschiedentlich von der„Bisulfit-Revolution“ die Rede ist [12].

Die Bisulfit-Sequenzierung wurde ursprünglich ent-wickelt, um Sekundärstrukturen in einer DNA zu untersu-chen. Dabei hat man festgestellt, dass die Modifizierung vonCytosinen durch die Reaktion mit Bisulfit nur dann effi-zient abläuft, wenn die untersuchte DNA einzelsträngig vor-liegt. Für die Bestimmung von 5mC-Positionen bedeutet das,dass man die zu untersuchende DNA zunächst „denaturie-ren“, also in DNA-Einzelstränge überführen muss. Dies er-reicht man durch Inkubation der DNA in Natronlauge. Dajedoch die eigentliche Bisulfit-Reaktion im leicht sauren Mi-lieu stattfinden muss, muss man dafür sorgen, dass die DNA-Einzelstränge bei der Neutralisierung der Lösung nicht wie-der renaturieren. Dann wären nämlich die in partiell wie-derhergestellten Doppelsträngen befindlichen Cytosine vorder Umsetzung mit dem Bisulfit geschützt und würden inder Analyse fälschlich als 5mC identifiziert werden (sieheunten). Dieses Problem wird heute dadurch gelöst, dass

man die genomische DNA zunächst inNatronlauge denaturiert und die DNA-Einzelstränge dann sofort in Agarose-Kügelchen einbettet, was eine Rena-turierung der DNA effektiv verhindert,ohne die nachfolgende Bisulfit-Reakti-on zu stören [14].

Bisulfit (HSO3–) induziert die Kon-

version von C, aber nicht von 5mC, zuUracil (U) nach dem in Abbildung 2gezeigten Reaktionsschema. Die DNAwird in 3 M NaHSO3 und Hydrochinonbei pH 5,0 für mehrere Stunden bei50 °C inkubiert. Dabei kommt es zueiner langsamen Sulfonierung in der 6-Position des Cytosins. Alle in Position5 methylierten Cytosine sind gegendiese Reaktion weitestgehend inert.Das Hydrochinon wird der Reaktionbeigegeben, um die Oxidation der ent-

standenen Cytosinsulfonate mit Luftsauerstoff zu verhin-dern. Das 6-Cytosinsulfonat wird in wässriger Lösung unterFreisetzung von Ammonium spontan hydrolytisch desami-niert (Abb. 2). Wird nun die Lösung wieder mit NaOH al-kalisiert, wird das entstandene Uracilsulfonat gespalten undes entsteht Uracil.

Das Ergebnis einer solchen Bisulfit-Reaktion ist in Ab-bildung 3 exemplarisch wiedergegeben. Die dort gezeigteDNA-Sequenz enthält zwei symmetrische CpG-Motive, von

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A B B . 2 B I S U L F I T- B E H A N D LU N G

HSO3–

OH–

N

N

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R

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N

NH2

O

R

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NO

R

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O

HSO3–

OH–

Cytosin

Uracil

Umsetzung von Cytosin zu Uracil mitBisulfit.

A B B . 3 B I S U L F I T- S EQ U E N Z I E R U N G

5’-TCGATCGAA-3’3’-AGCTAGCTT-5’

m

mmit Bisulfit-Behandlung

5’-TUGATCGAA-3’3’-AGUTAGCTT-5’

m

m

PCR

5’-TTAATCGAA-3’3’-AATTAGCTT-5’

Sequenzierung

5’-TTAATCGAA-3’

5’-TCGATCGAA-3’3’-AGCTAGCTT-5’

m

mohne Bisulfit-Behandlung

5’-TCGATCGAA-3’3’-AGCTAGCTT-5’

m

m

PCR

5’-TCGATCGAA-3’3’-AGCTAGCTT-5’

Sequenzierung

5’-TCGATCGAA-3’

Gezeigt ist eine Sequenz, die zwei symmetrische CpG-Motiveenthält (rot markiert), von denen eines methyliert ist. DurchBehandlung mit Bisulfit werden die unmethylierten Cytosinein Uracil konvertiert, während 5-Methylcytosine nicht verän-dert werden. Wird die DNA durch PCR amplifiziert, wird ge-genüber den Uracil-Basen Adenin eingebaut, gegebenüberden 5-Methylcytosin-Basen Guanin, so dass sich die PCR-Am-plifikate in ihren Sequenzen unterscheiden. Wird in der an-schließenden DNA-Sequenzierung ein Thymin gelesen, wovorher ein Cytosin stand, weiß man, dass die Cytosin-Positionin der Original-DNA unmethyliert war.

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denen eines methyliert vorliegt. Als Folge der Bisulfit-Re-aktion sind die unmethylierten Cytosine in Uracil konver-tiert worden. Die 5mC-Basen hingegen bleiben unverändert.

Nun wird der untersuchte DNA-Abschnitt mithilfe derPolymerase-Kettenreaktion (PCR) amplifiziert. Dabeisind zwei Strategien denkbar:• Entweder man verwendet zwei Primer-Paare, die so ge-

wählt sind, dass sie eine CpG-Region überspannen. Da-bei ist das eine Primer-Paar speziell auf methylierte DNA(M) und das andere auf unmethylierte DNA (U) zuge-schnitten (Methylierungsspezifische PCR (MSP)).

• Oder man verwendet ein Primer-Paar, das eine CpG-Region flankiert. Hier wird dann, da man ja in der PCRnormale, unmodifizierte Nukleotide für die DNA-Syn-these einsetzt, während der DNA-Synthese jedes 5mCdurch ein unmethyliertes C und jedes Uracil durch Thy-min ersetzt (Abb. 3).

Wird nun die DNA sequenziert, bestimmt man jede ehe-mals unmethylierte C-Position als „T“ und jede ehemals me-thylierte C-Position als „C“.

Die Methode der Wahl zur Sequenzierung der ampli-fizierten DNA ist die vom britischen Biochemiker FrederickSanger entwickelte „Kettenabbruchmethode“. Für eine nor-male enzymatische In-vitro-DNA-Synthese benötigt man imWesentlichen die zu sequenzierende DNA-Matrize als Ein-zelstrang, einen Synthese-Startpunkt in Form eines an denDNA-Einzelstrang hybridisierten Primers, die vier DNA-Bau-steine als 2’-Desoxynukleotidtriphosphate (kurz dNTPs)und eine DNA-Polymerase. Sangers Idee bestand darin, ei-ne enzymatische DNA-Synthese in Gegenwart geringer Kon-zentrationen so genannter Ketten-Terminatoren zu synthe-tisieren. Ketten-Terminatoren sind 2’,3’-Didesoxynukleosid-triphosphate (ddNTPs), die sich von den „normalen“ dNTPsdadurch unterscheiden, dass ihnen neben der 2’-OH-Grup-pe auch die 3’-OH-Gruppe der Ribose fehlt (Abb. 4). Wirdein ddNTP von der DNA-Polymerase als Substrat verwendet,kann die DNA-Kette an dieser Position wegen des Fehlensder 3’-OH-Gruppe nicht weiter verlängert werden – die Nu-kleotidkette bricht ab (Abb. 4).

In einer solchen Reaktion kann die DNA-Polymerase sta-tistisch gesehen an jeder Position der Matrizen-DNA mit ei-ner gewissen Wahrscheinlichkeit ein ddNTP einbauen, sodass eine weitere Synthese unterbunden wird. Das Ergeb-nis ist demnach eine Schar von DNA-Fragmenten, die alledenselben Anfang haben (den Primer) und an irgendeinerPosition mit einem ddNTP enden. Da der Kettenabbruch anjeder Position der synthetisierten DNA erfolgen kann, un-terscheiden sich alle erhaltenen DNA-Fragmente in der Län-ge um jeweils mindestens eine Base (Abb. 5).

In der Praxis der Sanger-Sequenzierung werden die Bau-steine ddATP, ddCTP, ddGTP und ddTTP mit unterschiedli-chen Fluoreszenzfarbstoffen markiert. Die Trennung derSchar von fluoreszenzmarkierten DNA-Molekülen erfolgt inder Regel durch Kapillarelektrophorese. Am Ende derTrennstrecke werden die Fluoreszenzfarben ausgelesen undden jeweiligen Didesoxybasen zugeordnet (Abb. 5).

Nach der Behandlung einer DNA mit Bisulfit und der an-schließenden Amplifikation der DNA mittels PCR wird alsodie DNA sequenziert. Egal, welchen DNA-Strang man se-quenziert – man bekommt im Vergleich der mit Bisulfit um-gesetzten DNA mit einer unbehandelten DNA immer zweiverschiedene Sequenzen und somit eine eindeutige Analy-se des Methylierungsstatus der untersuchten DNA. Da mandurch DNA-Sequenzierung in Hochdurchsatzverfahren heu-te auch ganze Genome analysieren kann, erhält man mitdieser Methode eine Karte des Methylierungsmusters einesgesamten Genoms – das Methylom.

Das humane MethylomDie Naturwissenschaften sind heutzutage geprägt von Be-griffen mit Wortendungen wie „-om“ und groß angelegten„omics“-Projekten. Wir kennen die Begriffe Genom (Ge-samtheit der im Zellkern vorhandenen DNA), Transkriptom

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Nukleinsäuren können durch Polymerasen verlängert wer-den, indem ein Nukleosidtriphosphat (im Bild ein Cytidintri-phosphat = C) an die freie 3’-Hydroxylgruppe des letzten Nu-kleotids (im Bild ein Adenosinmonophosphat = A) des DNA-Moleküls angehängt wird. Wird anstelle eines normalen2’-Desoxycytidintriphosphates von der Polymerase ein 2’,3’-Didesoxycytidintriphosphat eingebaut, kann das gezeigteThymidintriphosphat nicht mit der Kette verknüpft werden.Das bedeutet, dass die in der Sanger-Sequenzierung durchge-führte DNA-Synthese immer mit einem 2’,3’-Didesoxynukleo-tid terminiert wird.

A B B . 4 PR I N Z I P D E R SA N G E R- S EQ U E N Z I E R U N G

VO N D N A ( T E I L 1 )

O5'

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–O OP

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OH

A

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3' 2'

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N

N N

N

NH2

A

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(Gesamtheit der mRNA einer Zelle) oder Proteom (alle Pro-teine einer Zelle). Man kennt genomics (Genomik) odertranscriptomics (Transkriptomik) oder auch proteomics

(Proteomik), also die systematische Analyse der Gene, dermRNAs oder der Proteine einer Zelle. Die Analyse von Trans-kriptomen hat in der Vergangenheit und wird auch wei-terhin wichtige Erkenntnisse zur Funktion von Genen undzu pathophsiologischen Zusammenhängen liefern. Seitdemdie biomedizinische Bedeutung epigenetischer Regulations-mechanismen erkannt wurde, ist man zunehmend bestrebt,auch epigenetische Markierungen an der DNA (im Wesent-lichen CpG-Methylierungen) oder des Chromatins (kova-lente Markierungen an Histonen) genomweit aufzulistenund ihre Bedeutung zu interpretieren mit dem Ziel, patho-physiologische Vorgänge besser zu verstehen und Thera-pien zu entwickeln. So hat man mit der oben beschriebe-nen Bisulfit-Sequenzierung das menschliche „Methylom“ er-arbeitet, das heißt man hat für jede Cytosin-Position imhumanen Genom den Methylierungsstatus in bestimmtenZelltypen analysiert. Auf der Grundlage solcher Daten ent-wickelt sich eine „Epigenomik“, deren Ziel es ist, die Funk-tionen dieser DNA-Methylierungen, aber auch der Regula-tion des Chromatins durch Histonmodifikationen, zu ver-stehen [15].

In einer Studie von Lister et al. [15] wurden die Me-thylome einer embryonalen Stammzelllinie (ES-Zellen) undeiner adulten Fibroblastenzelle verglichen. In der adultenZelllinie befanden sich 99,98 % der 5mC-Basen in einemCpG-Kontext. Dies war zwar auch in der ES-Zelllinie derFall, allerdings fand man dort überraschenderweise auchsignifikant viele Methylierungen von Cytosinen in asym-metrischen „nicht-CG“-Motiven. Das sind Cytosine, die vorallem in CHG- und CHH-Trinukleotid-Motiven (H = A, Coder T) vorkommen. Diese machten in ES-Zellen 25 % aller5mC-Basen aus, während sie in der adulten Zelllinie praktischnicht messbar waren. Die Autoren schlossen daraus, dass dieDNA-Methylierung im CHG- bzw. CHH-Kontext eine cha-rakteristische Stammzell-Eigenschaft sein könnte. Sie zeig-ten dies in zwei eleganten Experimenten:• Sie induzierten die ES-Zellen zur Differenzierung, wo-

raufhin die CHG- bzw. CHH-Methylierungen ver-schwanden.

• Sie reprogrammierten die adulte Fibroblastenzelle zu ei-ner so genannten induzierten pluripotenten Stammzel-le (iPS-Zellen; siehe auch PharmuZ 2/2008), woraufhinCHG- bzw. CHH-Methylierung in den iPS-Zellen auf-tauchten.

Das Humane Epigenom-Projekt [16, 17] hat sich zum Zielgesetzt, den DNA-Methylierungsstatus in genregulatorischenRegionen aller Gene des menschlichen Genoms zu kartie-ren, und zwar im Vergleich verschiedener Zelltypen und pa-thophysiologisch veränderter Zellen. In Vordergrund stehtauch hier die Frage, wie sich ein spezialisierter Zelltyp (z.B.eine Nierenzelle) von einem anderen spezialisierten Zelltyp(z.B. einer Leberzelle) in der epigenetischen Kontrolle derGenexpression unterscheidet und inwieweit eine Fehl-regulation dieser Kontrolle beispielsweise in einer Nieren-zelle zu einem Nierenzellkarzinom führen kann. Wenn diemaligne Entartung nicht zuletzt auch zum Verlust der epi-

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Eine Sequenzierreaktion enthält neben einem Primer und derzu sequenzierenden DNA als Einzelstrang eine definierte Mi-schung aus normalen Desoxynukleotiden (dNTPs) und 2’,3’-Didesoxynukleotiden (ddNTPs). Jedes der vier ddNTPs ist miteinem anderen Fluoreszenzfarbstoff gekoppelt. Während dervom Primer ausgehenden DNA-Synthese kann die DNA-Poly-merase zu jedem beliebigen Zeitpunkt statt eines normalendNTP ein ddNTP in die wachsende Nukleinsäurekette einbau-en. An dieser Stelle bricht die DNA-Synthese ab (vgl. Abb. 4).Da der Zeitpunkt des Kettenabbruchs Zufall ist, bekommtman eine Schar von DNA-Fragmenten, die statistisch alle Län-gen des Templates abdecken und sich jeweils um genau eineBase unterscheiden. Diese Schar von DNA-Fragmenten kannman mit geeigneten Methoden auftrennen, wobei sich dieFragmente in ihren Längen um mindestens eine Base unter-scheiden. An jedem Ende eines solchen Fragmentes befindetsich ein fluoreszenzmarkiertes ddNTP. Man kann also durchAuslesen der Fluoreszenzsignale vom Primer ausgehend eineDNA-Sequenz ableiten.

A B B . 5 PR I N Z I P D E R SA N G E R- S EQ U E N Z I E R U N G

VO N D N A ( T E I L 2 )

5'-..AGGCC-3'3'-..TCCGGTATACCCCTAGAATCACTTAAGGATGCCAT�-5'

Primer

Template

gelesene DNA-Sequenz: ..ATATGGGGATCT..

5'-..AGGCCA5'-..AGGCCATATGG5'-..AGGCCATATGGG5'-..AGGCCATA5'-..AGGCCATATGGGG5'-..AGGCCATATG5'-..AGGCCATAT5'-..AGGCCATATGGGGATCT5'-..AGGCCATATGGGGAT5'-..AGGCCATATGGGGATC5'-..AGGCCATATGGGGA

3'-..TCCGGTATACCCCTAGAATCACTTAAGGATGCCAT-5'

5'-..AGGCCA5'-..AGGCCAT5'-..AGGCCATA5'-..AGGCCATAT5'-..AGGCCATATG5'-..AGGCCATATGG5'-..AGGCCATATGGG5'-..AGGCCATATGGGG5'-..AGGCCATATGGGGA5'-..AGGCCATATGGGGAT5'-..AGGCCATATGGGGATC5'-..AGGCCATATGGGGATCT

3'-..TCCGGTATACCCCTAGAATCACTTAAGGATGCCAT-5'

DNA-SynthesedNTPs, ddNTPs

elektrophoretischeGrößentrennung

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D I E E N T Z I F F E R U N G D E R F Ü N F T E N D N A - B A S E | Z E L L B I O LO G I E

genetischen Kontrolle bestimmter Gene führt, die ein Tur-morwachstum auslösen und unterstützen können, dannkann man über Strategien nachdenken, um mit Wirkstoffengezielt die epigenetische Kontrolle wieder herzustellen unddadurch das Tumorwachstum zu begrenzen. Der Therapie-erfolg kann durch Analyse des Methyloms nachvollzogenwerden.

EpigenotypisierungAlternativ zur zuvor beschriebenen Sanger-Sequenzierungkann der Methylierungsstatus einer CpG-Position auch mit-hilfe der Matrix-unterstützten Laserdesorption/Ioni-sation (MALDI) analysiert werden. Bei der MALDI-Massen-spektrometrie (MALDI-MS) werden die zu analysierendenMakromoleküle mit einer Matrix aus kleinen organischenMolekülen, die bei der eingestrahlten Laserwellenlänge ei-ne hohe Absorption aufweisen, kokristallisiert. Durch kurz-zeitige Bestrahlung mit einem gepulsten Laser wird der Ko-kristall in einen angeregten Zustand versetzt, wobei sowohlMatrix- als auch Analytmoleküle aus der Kristallstruktur he-rausgelöst und gasförmig in das Hochvakuum des Massen-spektrometers entlassen werden. Die Ionisation der Pro-benmoleküle erfolgt dabei wahrscheinlich durch Protonen-transfer aus den photoionisierten Matrixmolekülen. Nachder Beschleunigung der ionisierten Probenmoleküle in ei-nem elektrischen Feld erfolgt die Massenbestimmung vonMakromolekülen zumeist in einem Flugzeit-Massenanaly-sator (time of flight; TOF), wobei die Auftrennung der Ana-lytmoleküle nach ihren Masse/Ladungsverhältnissen (m/z)erfolgt.

MALDI-TOF-MS ist die Grundlage des so genanntenMassEXTEND®-Verfahrens. Ein Primer wird als Startpunktfür eine DNA-Synthese direkt neben die zu analysierendeBasen-Position hybridisiert. Gibt man ausschließlich Dides-oxynukleotide in die Reaktion, läuft die DNA-Synthese ge-nau eine Base weit. Für die Analyse einer mit Bisulfit be-handelten DNA und die Frage, ob das Cytosin der SequenzCpG methyliert war oder nicht, geht man folgendermaßenvor (Abb. 6): Man gibt in die Reaktion ddCTP und ddTTP.War das CpG nicht methyliert und hat eine C-zu-U-Konver-sion stattgefunden, kann die komplementäre Matrize umeine Base verlängert werden – ein T. War das CpG-Motiv da-gegen methyliert, fand keine C-zu-U-Konversion statt, undin der Sequenzierreaktion wird ein einzelnes C eingebaut.Die mit T oder C verlängerten Primer unterscheiden sichin ihren Massen und können leicht durch MALDI-MS unter-schieden werden (Abb. 6). Diese Methode ist sehr gut au-tomatisierbar und kann mit hohem Probendurchsatz auchin der klinischen Diagnostik eingesetzt werden.

AusblickIn der Zukunft könnte die Untersuchung des Methylomsdurch die Kopplung einer Bisulfit-Behandlung von DNA undeiner anschließenden MALDI-MS-Analytik eine klinischeDiagnostik im Hochdurchsatzbetrieb zum routinemäßigenTumor-Screening ermöglichen.

Stellen Sie sich folgendes Szenario vor: Während einesroutinemäßigen Check-ups beim Hausarzt wird einem Pa-tienten Blut abgenommen und zur Untersuchung in ein La-bor geschickt, das auf ein DNA-Methylierungs-Screening miteinem Set etablierter Tumormarker spezialisiert ist. Einerder getesteten Tumormarker zeigt einen positiven Befund,so dass die Blutprobe einer genaueren Untersuchung mit zu-sätzlichen DNA-Methylierungsmarkern für die in Verdachtstehende Tumorart unterzogen werden kann. Diese Dia-gnostik könnte in der Zukunft in der Lage sein, schwer di-agnostizierbare Tumoren mit extrem schlechter Prognose,wie beispielsweise Pankreaskrebs, zu erkennen, bevor dieErkrankung untherapierbar geworden ist.

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A B B . 6 M A L D I - M S Z U R A N A LYS E B E K A N N T E R

C Y TOS I N - M E T H Y L I E R U N G E N

5’-TT3’-AATAAGCTT-5’

MALDI-MS

DNA-SyntheseddCTP, ddTTP

5’-TC3’-AGCTAGCTT-5’

MALDI-MS

DNA-SyntheseddCTP, ddTTP

m/z m/z

5’-TCGATCGAA-3’3’-AGCTAGCTT-5’

m

m

Bisulfit-Behandlung

5’-TUGATCGAA-3’3’-AGUTAGCTT-5’

m

m

PCR

5’-TTAATCGAA-3’3’-AATTAGCTT-5’

5’-TCGATCGAA-3’3’-AGCTAGCTT-5’

m

m

Bisulfit-Behandlung

5’-TCGATCGAA-3’3’-AGCTAGCTT-5’

m

m

PCR

5’-TCGATCGAA-3’3’-AGCTAGCTT-5’

m

m

m

m

Gezeigt ist eine Sequenz, die zwei symmetrische CpG-Motiveenthält (rot markiert), von denen eines methyliert ist. DurchBehandlung mit Bisulfit werden die unmethylierten Cytosinein Uracil konvertiert, während 5-Methylcytosine nicht verän-dert werden. Wird die DNA durch PCR amplifiziert, wird ge-genüber den Uracil-Basen Adenin eingebaut, gegebenüberden 5-Methylcytosin-Basen Guanin. Nun wird eine DNA-Syn-these durchgeführt, die nur genau eine Base weit laufenkann, da ausschließlich die Didesoxynukleotide ddCTP undddTTP verwendet werden. War ein CpG-Motiv methyliert(links), kann in der DNA-Synthese ein „C“ eingebaut werden.War dasselbe CpG-Motiv unmethyliert (rechts), wird ein „T“eingebaut. Die um die jeweilige Didesoxybase verlängertenPrimer unterscheiden sich in ihren Massen und können mitMALD-MS analysiert werden.

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Die Autoren:Prof. Dr. Thomas Winckler (geb. 1961); 1982–1987Biologie-Studium an der Universität Konstanz;1987–1991 Promotion an der Universität Konstanz;1991–1992 Postdoc am Institut Pasteur Paris;1992–2002 wissenschaftlicher Mitarbeiter, Assistentund Oberassistent am Institut für PharmazeutischeBiologie der Universität Frankfurt; 2000 Habilitationim Fach Pharmazeutische Biologie; seit 2005 Leiterdes Lehrstuhls für Pharmazeutische Biologie an derUniversität Jena.

Dr. Ilse Zündorf (geb. 1965); 1984–1990 Biologie-studium an der Universität Erlangen; 1994Forschungsaufenthalt an der University of Kentucky,Lexington, USA; 1995 Promotion am Institut fürPharmazeutische Biologie der Universität Frankfurt;seit 1995 Akademische Rätin am Institut für Phar-mazeutische Biologie der Universität Frankfurt.

Prof. Dr. Theo Dingermann (geb. 1948); Pharmazie-studium an der Universität Erlangen; 1980 Promoti-on im Fach Biochemie; zweijähriger Postdoc-Aufent-halt an der Yale-University USA; 1987 Habilitation inden Fächern Biochemie und Molekularbiologie; seit1990 C4-Professor am Institut für PharmazeutischeBiologie der Universität Frankfurt; 1998–2000 Vize-präsident der Johann Wolfgang Goethe-UniversitätFrankfurt; 1996–2000 Vizepräsident und 2000–2004 Präsident der Deutschen PharmazeutischenGesellschaft.

Anschrift:Prof. Dr. Thomas WincklerFriedrich-Schiller-Universität JenaInstitut für PharmazieLehrstuhl für Pharmazeutische BiologieSemmelweisstraße 1007743 [email protected]

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