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A. Wegener. Die Erforschung der obersten Atmospharenschichten. 10 7 Die Erforschung der obersten Atmospharenschichten. Von ALFRED WEGENER. Mit 1 Figur im Text. In allerjiiiigster Zeit haben sich eine Reihe interessanter Unter- suchungen entsponnen, welche uber den Forschungsbereich der aero- logischen Experimente noch hinausgreifen und sich mit der Natur der obersten, mit Ballonen nicht mehr erreichbaren Atmospharen- schichten beschaftigen. Ee ist bekannt, daB die Aerologie nament- lich durch die uberraschende Entdeckung der jetzt als ,,Stratosphare" bezeichneten isothermen Schichten oberhalb etwa 11 km Hohe unsere Vorstellungen iiber den Aufbau der Atmosphare auf eine ganz neue Basis gestellt hat. Nicht minder uberraschend sind aber die Re- sultate, zu denen die Erforschung der hijchsten Schichten gelangt; denn es ergibt sich hier, daB diese eine ganz andere chemische Zu- sammensetzung haben miissen wie die Luft am Erdboden, daB sie namlich lediglich aus den leichtesten uns bekannten Gasen bestehen. Im folgenden sol1 uber diese Arbeiten kurz berichtet werden. Schon im Jahre 1875 hat HANN~ darauf hingewiesen, daB die obersten Atmospharenschichten nach den Gasgesetzen, speziell dem DALToNschen Gesetz, aus reinem Wasserstoff bestehen mufiten, wenn der Nachweis dieses Gases in der Luft am Erdboden, den Bonssm- GAULT gefuhrt hatte, richtig sei. Nachdem spater die Existenz des Wasserstoffs in der Atmosphare, wenn auch nur in sehr geringen und unsicher bestimmten Mengen, von GAUTIEB bestfitigt war, fuhrte Der Ge- dankengang ist folgender : Der Zustand des Diffusionsgleichgewichts in dem Gasgemisch der Atmosphare, welcher jedenfalls stets angestrebt wird und oberhalb 11 km Hohe bei dern Mange1 an vertikalen nochmals im Jahre 1903 die Berechnung durch. Der bisher hijchste Registrierballonaufstieg erreichte 29 km Hohe * J. HA", Das DaLToNsche Gesetz und die Zusammensetzung der Luft Meteorolog. Zeitschr. in groben Hiihen. Zeitschr. d. Osterr. Ges. f. Meteorologie 1876, 22. 1903, 122. J. HA", Die Zusammensetzung der Atmosphiire.

Die Erforschung der obersten Atmosphärenschichten

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A. Wegener. Die Erforschung der obersten Atmospharenschichten. 10 7

Die Erforschung der obersten Atmospharenschichten. Von

ALFRED WEGENER. Mit 1 Figur im Text.

In allerjiiiigster Zeit haben sich eine Reihe interessanter Unter- suchungen entsponnen, welche uber den Forschungsbereich der aero- logischen Experimente noch hinausgreifen und sich mit der Natur der obersten, mit Ballonen nicht mehr erreichbaren Atmospharen- schichten beschaftigen. Ee ist bekannt, daB die Aerologie nament- lich durch die uberraschende Entdeckung der jetzt als ,,Stratosphare" bezeichneten isothermen Schichten oberhalb etwa 11 km Hohe unsere Vorstellungen iiber den Aufbau der Atmosphare auf eine ganz neue Basis gestellt hat. Nicht minder uberraschend sind aber die Re- sultate, zu denen die Erforschung der hijchsten Schichten gelangt; denn es ergibt sich hier, daB diese eine ganz andere chemische Zu- sammensetzung haben miissen wie die Luft am Erdboden, daB sie namlich lediglich aus den leichtesten uns bekannten Gasen bestehen. Im folgenden sol1 uber diese Arbeiten kurz berichtet werden.

Schon im Jahre 1875 hat H A N N ~ darauf hingewiesen, daB die obersten Atmospharenschichten nach den Gasgesetzen, speziell dem DALToNschen Gesetz, aus reinem Wasserstoff bestehen mufiten, wenn der Nachweis dieses Gases in der Luft am Erdboden, den Bonssm- GAULT gefuhrt hatte, richtig sei. Nachdem spater die Existenz des Wasserstoffs in der Atmosphare, wenn auch nur in sehr geringen und unsicher bestimmten Mengen, von GAUTIEB bestfitigt war, fuhrte

Der Ge- dankengang ist folgender : Der Zustand des Diffusionsgleichgewichts in dem Gasgemisch der Atmosphare, welcher jedenfalls stets angestrebt wird und oberhalb 11 km Hohe bei dern Mange1 an vertikalen

nochmals im Jahre 1903 die Berechnung durch.

Der bisher hijchste Registrierballonaufstieg erreichte 29 km Hohe * J. HA", Das DaLToNsche Gesetz und die Zusammensetzung der Luft

Meteorolog. Zeitschr. in groben Hiihen. Zeitschr. d. Osterr. Ges. f. Meteorologie 1876, 22.

1903, 122. J. HA", Die Zusammensetzung der Atmosphiire.

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108 A. Wegener.

Mischungen auch sicherlich nahezu erreicht ist, wird nicht etwa da- durch charakterisiert, da8 die Zusammensetzung in allen Hohen die gleiche ist, sondern dadurch, daB der Partialdruck einer jeden Kom- ponente nach den Gasgesetzen mit der Hohe abnimmt. Um also die Zusammensetzung in einer bestirnmten Hohe zu erhalten, miissen wir die dortigen Partialdrucke einzeln berechnen und deren Ver- haltnis zur Summe der Partialdrucke, d. h. zum gesamten Loft- clruck, ansetzen. Die Berechnung der einzelnen Partialdrucke fur grof3ere Hohen, wenn diejenigen am Boden bekannt sind, geschieht nach der bekannten barometrischen Hohenformel :

(po = Druck in der Ausgangshohe, p = Druck in der um h groBeren

Hohe, EC = ~ der Ausdehnungskoeffizient der Gase, t = Mitteltem-

peratur der Luftsaule h in Celsiusgraden). Nur mu8 hierbei fur die Konstante H, die sog. ,,Iiohe der homogenen Atmosphare", die fur Luft schlechtweg 7991 m betragt , die charakteristische Kon- stante des betreffenden Einzelgases eingesetzt werden, die von dessen spezifischem Gewicht abhangt. Wegen des Faktors t ist allerdings noch weiter eine Annahme uber die Temperatur dieser Luftschichten notig, doch macht selbst ein starker Fehlgriff in derselben nur wenig fur das Resultat aus. EANN fiihrte auf diese Weise die Berechnung fur die Stufen 10, 20, 50 und 100 km aus; das wesentlichste Er- gebnis war, wie schon erwahnt, daf3 der am Erdboden nur in mini- malen Spuren nachweisbare Wasserstoff in der Hohe von 50 km be- reits 14 Volumprozente erreicht, in 100 km aber 99, so daB hier und noch mehr oberhalb dieser Hohe die Luft praktisch nur noch aus Wasserstoff bestehen muBte. Obwohl HANN die Bedeutung dieser Beziehungen keineswegs verkannte, war er doch damals noch nicht in der Lage, die Realitat dieses zunachst rein rechnerischen Ergebnisses zu priifen, welches also einstweilen noch ganz hypo- thetisch blieb.

Auch die nochmalige Durchrechnung mit verbesserten An- nahrnen iiber die Temperatur, welche HUMPHREYS~ im Jahre 1909

1 27 3

* HUMPHREYS, Distribution of gases in the atmosphere. Bull. of the Mount Weather Observatory 11, 2. H. zitiert FERREL, Recent advances in meteorology 1886, 37 und DEWAR, Proc. Roy. Inst., Lond. 1 7 (1902), 223. Auch JEANS hat die Verteilung der Gase berechnet in: The upper atmosphere. Bull. of the Mount Weather Obs. 11, p. 374, 1910.

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Die Erforschung der obersten Atmospharenschiclaten. 109

vornahm, lieB die Frage der Realitat ganz unberuhrt. Zur Veran- schaulichung des Rechnungsresultates bediente sich HUMPHREYS einer graphischen Darstelluug nach Art der weiter unten gegebenen.

Schon im selben Jahre 1909 war ich ganz unabhangig von diesen Berechnungen der Zusammensetzung bei der Diskussion der- jenigen Erscheinungen, welche sich in diesen Hohen abspielen, zu folgendem SchluB gekommen: ,,Schon jetzt kann man mit einiger Wahrscheinlichkeit die Vermutung aufstellen , daB sich ein solclier Sprung in der Dichte etwa bei 70-80 km Hohe befindet, nament- lich weil hier die Krakatau-Wolken ihr Aufsteigen beendet haben und weil zugleich diesc Hohe ungetahr dieselbe ist, bis zu welcher noch diffuse Retiexion (des Lichts) bemerkt wird."

Diese Vermutung wurde fast zur GewiBheit, als ich im folgen- den Jahre bei einer Wiederholung der Rechnungen von HANN mit engeren Intervallen zu dem Resultat kam, ,,daB der plotzliche Um- schlag der Zusammensetzung gerade in derjenigen Hohe eintritt, in welcher wir aus ganz anderen Orunden eine Schichtgrenze vermuteten". Es ist fur das Folgende nicht ohne Interesse, daB ich schon damals suf die Analogie mit der Sonnenatmospbare mit folgenden Worten hinwies: ,,Die Annahme einer solchen Wasserstoffatmosphare rnit scharfer Begrenzung eroffnet auch interessante Analogien rnit der Sonnenatmosphare, die ja in der Chromosphare gleichfalls eine solche scharf begrenzte Wasserstoffhiille besitzt. Vielleicht wird man spater die Analogie noch weiter treiben konnen und uber der Wasserstoff- atmosphare noch eine Atmosphare %us einem noch leichteren Qase, dem Coronium der Sonnencorona entsprechend, annehmen , inner- halb welcher sich die hochsten Polarlichter abspielen, und welche, wie das Coronium die griine Spektrallinie bei 532 pp, die bekannte Nordlichtlinie bei 557 ,up gibt.''

Noch im selben Jahre 1910 kam von anderer, ganzlich uner- warteter Seite eine Bestatigung fur die Realitat der oberen Wasser- stoffzone, und zwar auf Grund der hochst merkwurdigen Schall- erscheinungen, welche sich bei Gelegenheit der groSen Dynamit-

A. WEQENER, Probleme der Aerologie. ,,Das Wetter", 1909, Heft 11. A. WEQENER, nber eine neue fundamentale Schichtgrenze der Era-

atmosphare. Beitr. I. Phys. d. freien Atm. 111, 4, 1910. - Ich kannte damals noch nicht die schon im Vorjahre erschienene Arbeit von HUMPHREYS, mit Riicksicht auf welche die ausfiihrliche Xitteilung der Berechnung bei mir iiberfliissig erscheint. Der Kern meiner Arbeit, namlich die Verkniipfung dee Rechnungsergebnisses mit den Beobachtungstatsachen, wird dadurch naturlich nicht berubrt.

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110 A. Weqenm . explosion an der Jungfraubahn am 15. November 1908 zeigten und durch die sorgfkltige Bearbeitung DE QUERVAINS in weiteren Rreisen bekannt wurden. Das Wesentliche bei diesen Erscheinungen ist, daB auBer einem die Explosionsstelle unmittelbar umgebenden Ge. biet normaler Horweite noch ein zweites, viel ausgedehnteres Gebiet abnormer Horweite vorhanden war, welches von ersterem durch eine rund 100 km breite ,,Zone des Schweigens" getrennt war. Wahrend man nun friiher geneigt war, derartige Erscheinungen auf die Wind- anderung mit der Hohe zuruckzufiihren, hat v. DEM BORNE~ in sehr scharfsinniger Weise die Hypothese aufgestellt, dab es sich um eine Reflexion der Schallstrahlen an der oberen Wasserstoffsphare handelt, und es laBt sich nicht leugnen, daB seine exakten rechnerischen Resultate die Erscheinung viel vollkommener darstellen als die friiheren Erklarungsversuche. Im Prinzip beruht diese Rechnung auf folgender Uberlegung:

Da die Schallgeschwindigkeit in gewohnlicher Luft nur etwa 330 m p. Sek., in Wasserstoff aber 1280 m p. Sek. betragt, so muSte, falls eine scharfe Schichtgrenze vorhanden ware, schon bei einem Einfallswinkel von 15 O Totalreflexion eintreten, und der Strahl wiirde, wenn er im ubrigen geradlinig verliefe, in 40 km Abstand von der Schallquelle wieder die Erde erreichen. Von hier ab nach auSen zu lage eine zweite Horbarkeitszone ohne scharfe auBere Be- grenzung. Indem v. DEM BORNE nun einmal die Krummung beruck- sichtigte, welche die Schallstrahlen innerhalb der Troposphare wegen der hier herrschenden Temperaturabnahme mit der Hohe erleiden miissen, und indem er andererseits in Rechnung zog, daB die beiden Gase an der Schichtgrenze nicht scharf getrennt sind, so da6 auch keine eigentliche Reflexion, sondern nur ein allmahliches Herum- biegen der Schallstrahlen erfolgen kann, gelang es ihm zu zeigen, daB hierdurch der vorerwahnte Abstttnd von 40 km auf etwa 120 km hinausgeschoben wird. Die folgende Tabelle gibt die von ihm be- rechneten Zahlenwerte.

A. DE QUERVAIN, Die Erdbeben der Schweiz im Jahre 1908 und die Sohallverbreitung der Dynamitexplosion an der Jungfraubahn am 15. Nov. Ann. d. Schweix. Mdt. Zenlralanstalt (Jahrg. 1908). (Die von D E QUERVAIN ge- gebene Kartenskizze ist auch reproduziert in meiner Thermodynamik d. Atmo- sphlre, Leipzig 1911, S. 49 und in ABDEKEIALDENS Fortschritte der naturw. Forschung, Bd. 111).

v. DEY BOBNE , Schallverbreitung bei Explosionskatastrophen. Physik. Zeitsehr. 11 (1910), Nr. 11, S. ,183.

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Die Erforschung der obersten Atmospharenschichten. 111

80 70 60 50 40 30 20

17O 20'

56 58 62 65 69 75 89 CO

' Die Schallbahn er- reicht die Frdober- fliiche . . . km von

der Schallquelle

290 a10 142 126 120 116 126 03

Nach den sorgfaltigen Ermittelungen DE QUERVAIN s betrug der wahre Abstand des Innenrandes der Zone abnormer Horbarkeit vom Explosionsherde etwa 140 km; auch war deutlich zu erkennen, daS dieser Innenrand, wie die Theorie verlangt, verhaltnismaflig scharf markiert war, wahrend sich nach auBen die Horbarkeit allmahlich verlor. Die Ubereinstimmung zwischen Beobachtung und Theorie ist also eine recht befriedigende, und so geben diese Erscheinungen ein weiteres Argument fur die Realitat der oberen Wasserstoffzone.

Nachdem so die friiher vage Vermutung in uberraschend kurzer Zeit sich zu einer sehr brauchbaren Arbeitshypothese entwickelt hatte, hielt ich es fur im hiichsten Grade wunschenswert, die Ge- samtheit aller jener Erscheinungen, die sich in den hochsten Atmo- spharenschichten abspielen, kritisch auf die Frage hin zu unter- suchen, ob sie uns etwas uber die Existenz der Wasserstoffzone auszusagen imstande sind. Noch am 30. November 1510 konnte ich der Gesellschaft zur Beforderung der gesamten Naturwissen- schaften zu Marburg das Ergebnis meiner Studien vorlegen, welche in extenso im folgenden Jahre unter dem Titel ,,Untersuchungen uber die Natur der obersten Atmospharenschichten" publiziert wur- den.2 Das Resultat war ein doppeltes: einmal zeigte sich iiberall mit Deutlichkeit die Realitat der Wasserstoflzone, zweitens aber deuteten verschiedene Dinge darauf hin, da5 an der Zusammen- setzung der augersten Schichten auSer Wasserstoff noch ein anderes unbekanntes Gas beteiligt ist, das noch leichter als ersteres ist, und

A. WEQENEB, Untersuchungen iiber die Natur der obereten Atmosphlren- sehichten. (Vorliiufige Mitteilung.) Sitzungsber. d. Ges. z. Bef. d. ges. Natur- wissenschaften eu Marburg 1911, Nr. 1.

.Phys. Zeitschr. 12 (1911), 170-178 und 214-222.

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112 A. Wegener.

welches ich Geocoroniurn zu nennen vorgeschlrtgen habe. Im fol- genden sollen die Hauptpunkte dieser Arbeit, erganzt durch die Heranziehung einiger inzwischen erschienener Arbeiten anderer Forscher, zur Darstellung gelangen. Zunachst ergab sich, daB die schon im voraugehenden erwahnten D a m m e r u n g s e r s c h e i n u n g e n trotz der Schwierigkeit scharfer Beobachtung sogar in noch weit- gehenderem MaBe, als bis dahin angenommen wurde, uns ein Bild von den Hauptschichten der Atmosphare geben konnen und in Zu- kunft bei zweckmaBig angelegter Beobachtung wohl noch mehr geben werden. Es ist j a einleuchtend, daB durch Dichtigkeitsspriinge in der Atmosphare Lichtsprunge am Dammerungshimmel hervorgerufen werden miissen. Wir haben also die Moglichkeit, durch Beobachtung der letzteren auf Dichtigkeitsspriinge, also Schichtgrenzen zu schliefien und deren Hohe zu bestimmen. Z. B. ist der sogen. e r s t e Damme- rungsbogen offenbar identisch mit der durchstrahlten Troposphare. MIETHE und LEHMANN fanden den Depressionswinkel der Sonne beim Verschwinden dieses ersten Dammerungsbogens zu 8 O, woraus sich bei Berucksichtigung der Refraktion die Hohe des Dichtigkeits- sprunges zu ca. 11 km, also durchaus ubereinstimmend mit der Grenze zwischen Troposphare und Stratosphare, ergibt.

Die meisten Beobachtungen dieser Art sind aber am Haupt- dammerungsbogen ausgefuhrt und ergeben, wie schon friiher er- wahnt, als Hohe der hier in Betracht kommenden Schichtgrenze etwa 70 km. Die Einzelwerte sind in der folgenden Tabelle zu- sammengestellt; die Zahlen geben den Depressionswinkel der Sonne fur den Augenblick, in welchem der Dammerungsbogen gerade unter dem Horizont versinkt bzw. auftaucht:

SCHMIDT (Athen) . . . . . . . . . . 15.9 O

BRAVAIS (Frankreich) . . . . . . . 16.0 O HELLMANN (Spanien) . . . . . . . . . 15.6 O

LIAIS (Atlantik) . . . . . . . . . 17.8O M ~ L L E R (Atlantik) . . . . . . . . . 17.5 O

BAILEY (Arequipa, Peru) . . . . . . . 17.5O MIETHE u. LEEMANN (Assuan) . . . . . 16.1 O CARLHEIM-GYLLEXSKJ~LD (Spitzbergen) . . 17.7 O

BEHRMANN (Atlantik) . . . . . . . 15.6O

MIETHE und LEHPANN, Dammerungsbeobachtungen in Assuan im Winter

Wien u. Leipzig 1908. dleteorolog. Zeitschr. 1909, 97.

1910, S. 767. a PERNTEB-EXNEB, Meteorologische Optik, IV. Abschnitt.

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Die Erforschung der obersten Atrrwspharenschichten. 113

Bei einer kritischen Betrachtung dieser Zahlen wird es sehr wahrscheinlich, daB die meisten von ihnen mit einem nicht uner- heblichen systematischen Fehler behaftet sind, indem niimlich die dunsterfullten, im Schatten liegenden untersten Luftschichten den Oberrand des Dammerungsbogens verdecken, auch wenn dieser noch uber dem Horizont steht. Es ist in dieser Beziehung sehr lehrreich zu sehen, dab die Morgenbeobachtungen, bei denen die unteren Schichten durchsichtiger zu sein pflegen als bei den Abendbeobach- tungen, vie1 iibereinstimmendere Werte liefern als die letzteren, wie die folgende Tabelle zeigt :

Abend Morgen

Spanien . . . . . . . . 1 5 O 2 0 No 52' Assuan . . . . . . . . 14O54' 17O21' Atlantik . . . . . . . . 18O 18' 1 7 O 22'

Nehmen wir hiernach etwa 17.4 O als den wahrscheinlichsten Wert an, so wurde sich bei angenaherter Rechnung fur die obere Grenze der lichtreflektierenden Schichten eine Hohe von 74 km ergeben.

Auch nach diesem ,,Ende der Dammerung" la& sich indessen uber dem westlichen Horizont nach Sonnenuntergang noch ein sehr schwaches, bliiuliches Licht erkennen, aus dessen Beobachtung SEE die Grenze der betrefienden lichtreflektierenden Schichten in 21 4 km Hohe ermittelte. Wie spater zu zeigen ist, stellt diese Hohe wahr- scheinlich die Grenze zwischen der Sphare des Wasserstoffs und der des Geocoroniums dar.

Ein zweites, gleichfalls schon erwahntes Phanomen, das in Frage kommt, stellen die seit 1885 ab beobachteten, aber erst von 1887 ab photogrammetrisch von JESSE und STOLZE verfolgten l euch tenden Nachtwolken dar. Ihre Hohe ergab sich stets zwischen 70 und 83 km.' Uber die Natur dieser eigentiimlichen Wolkengebilde sehen wir auch wohl gegenwartig noch nicht vollig klar. Bisher scheint allgemein angenommen worden zu sein, daB sie auf den genannten Ausbruch des Vulkans Krakatau in der

0. JESSE, Untersuchungen iiber die sogen. leuchtenden Nachtwolken. Sitzungsber. d. Kgl. PreuB. Akad. d. Wiss. in Berlin, Mai 1891 (eine frtihere Arbeit ebendort 1890), sowie namentlich Astron. Nuchr. 140 (1896), 3347, 161. (Vgl. auch Meteorolog. Zeitschr. 1891, 306.) Die geplante zusarnrnenfassende Abhandlung in den Publikationen der Berliner Sternwarte ist durcb JESSES Tod bisher verhindert worden.

Z. anorg. Chem. Bd. 76. 8

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114 A. Wegener.

Sunda-Strabe zuriickzufuhren seien.l Dies wird auch durch theore- tische Erwagungen nahegelegt, da bei der Konstanz der Temperatur in allen Hohen der Stratosphare die relative Feuchtigkeit hier mit der Hohe langsam abnehmen und etwa die folgenden Werte auf- weisen mug, wenn Diffusionsgleichgewicht herrscht :

Hohe km . . 11 16 20 25 30 35 40 45 50 ReLFeucht. 50 34 21 13 8 5 3 1.8 1.1

Ohne ZufluS von Wasserdarnpf mu&te also in der Hohe der leuchtenden Nachtwolken eine so groBe Trockenheit herrschen, dab an Wolkenbildung nicht zu denken ware, wenn nicht etwa, was auch schon vermutet, aber doch wohl unwahrscheinlich ist, diese Wolken gar nicht aus Kondensationen des Wasserdampfes, sondern irgend eines anderen Gases bestehen sollten. Deshalb ist es theoretisch sehr plausibel, dab in diesen Hohen eine starke Ansammlung von Wasserdampf durch eine Vulkaneruption stattgefunden hat. Die Schwierigkeit, wie eine Durchbrechung der stabilen Schichtung der Stratosphare fur die vulkanische Rauchsaule rnoglich gewesen sein soll,3 kann man durch die Annahme umgehen, da8 in dem vor- liegenden Falle die vulkanischen Gase einen hohen Prozentsatz Wasserstoff enthielten, wie es z. B. bei den Gasen der islandischen Funiarolen (25 O l 0 Wasserstoff nach BUNSEN) und denen des Mt. Pelbe auf Martinique bei der Eruption von 1902 (23.3 O l 0 nach MOISSAN) der Fall war. Gorade beim Krakatau ware ein hoher Prozentsatz Wasserstoff plausibel, da er durch die Dissoziation des Meerwassers an der gliihenden Lava freigeworden sein konnte, analog dem Ver- such von GROVE, bei welchem durch Hineinbringen eines ge- schmolzenen, weiBgluhenden Platintropfchens in Wasser Knallgas erhalten wird.

Es sol1 an dieser Stelle aber nicht verhehlt werden, daB die jiingsten Erscheinungen leuchtender Nachtwolken (im Sommer 1909, 1910 und 1911 sollen solche beobachtet sein) doch zu Bedenken gegen die Auffassung ihres Zusammenhanges mit dem Krakatau-

KIESSLINQ zogerte doch noch 1888, diese Erklarung anzunehmen. Siehe: KIESSLING, Untersuchungen iiber Diimmerungserscheinungen. Hamburg und Leipzig 1888.

Beitr. z. Phys. d. freien Atm. IV, 1, 55, 1910.

* Die bisher gemessenen Rauchsiiulen der Vulkanausbruche breiten sich slle in der Hohe von ca. 11 km aus, dringen also nicht in die Stratosphare ein.

A. WEQENER, nber Temperaturinversionen.

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Die Erforschung der obersten Atmospharenschichten. 115

Ausbruch AnlaB geben, und es wird aufs neue die Frage zu disku- tieren sein, ob der Zusammenhang auch in den achtziger Jahren nicht nur ein scheinbarer war, der dadurch hervorgerufen wurde, daS man eben erst seit den prachtigen, durch vulkanische Asche erzeugten Dammerungserscheinungen ein Auge fur diese Dinge gewann und auf diese Weise auch die leuchtenden Nachtwolken entdeckte. Die Frage ihrer Herkunft und Natur ware dann noch als offen zu betrachten. Gleichwohl aber wiirderi sie durch ihre Ausbreitung in Stratusform und die Konstanz ihrer Hohenlage von einer in ca. 80 km Hohe liegenden Schichtgrenze Zeugnis ablegen.

Ein drittes, sehr wichtiges Phiinomen, das hier in Frage kommt, bilden die S te rnschnuppen und Meteore. Die Lichterscheinung der ersteren spielt sich vollstandig in der Wasserstoffsphare ab. BREZINA hat fiir das Aufleuchten und Verloschen folgende Zu. sammenstellung gegeben:

Es fanden:

AL. HERSCHEL aus BRANDES’ und BENZENBERQS Beob. H. A. NEWTON aus Beob. von 1798-1863 (mit In-

begriff der v. HERSCHEL verwendeten) . . . . SECCHI aus seinen eigenen Beob. . . . . . . .

Hohe des Aufleuchten

ZRhl km d.BeoE

113 178

118 234 120 27

Irn besonderen fanden: WEISS fur die Perseiden (Augustmeteore) Europa NEWTON fiir die Perseiden, Arneriks . . . . . ~ E W T O N fur die Leoniden (Novembermeteore) . . WEISS fiir die Leoniden . . . . . . . . . .

. . . . . . . . . . ,? 7 , ,> ,

Hohe des Erlijschens

114.6 49 112.4 39 154.9 78 132.5 4 151.4 6

90.1

79.8 95.1

Auch die Beobachtungen von BESSEL, SCHMIDT und HEIS, DENNING und der Berliner Sternwarte geben ahnliche Werte. J e schneller die Meteoriten bewegt sind, desto groBer ist ihre Hellig- keit, und in desto groBerer Hohe leuchten sie auf; daher geben z. B. die schnelleren Leoniden in unserer Tabelle eine etwas grogere Hohe als die langsameren Perseiden. Im Mittel kann man an- nehmen, dab die Sternschnuppen bei etwa 150 km aufleuchten und

BBEZINA, Die Meteoriten vor und nach ihrer Ankunft auf der Erde. Wien 1893. Vortriige d. Vereina z. Verbreitung natnrw. Kenntnisse in Wien.

8 *

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116 A. Wegencr.

bei etwa 80 km verloschen; sie spielen sich also ganz in der Wasserstoffsphare ab, in welcher der Sauerstoffgebalt noch ganz verschwindend ist, konnen also nicht verbrennen, sondern nur ver- dampfen.

Die Leuchlerscheinung selber ist offenbar auf die nahezu adia- batische Kompression des Gases vor den Meteoriten zuruckzufiihren; bei der grogen Geschwindigkeit (Grogenordnung: 50 km pro Sekunde), mit welcher diese in die Atmosphare eintreten, ist bereits der Wasserstoff zu trage, um auszuweichen, und wird daher bis zur Gluhtemperatur komprimiert. Dies gluhende Gas wirkt dann auf den Meteoriten wie eine Geblaseflamme und bringt ihn zunachst an der Oberflache zum Schmelzen oder Verdampfen, was meist bis zur vollstandigen Auflosung und Zerstreuung seiner Materie langs seiner Bahii in der Atmosphiire fuhrt.

Da die Starke der Lichtentwickelung offenbar in erster Linie von der Tragheit der Gase abhangt, so ist es einleuchtend, daS beim Ubertritt in die Stickstoffsphare die Lichtintensitat des Meteoriten sebr erheblich anschwellen mug. Damit stimmt iiberein, daB auch sehr helle Meteore anfangs durchaus das Aussehen von Sternschnuppen bieten, und die starke Lichtentfaltung erst von einern bestimmten Punkte der Bahn ab aufzutreten pfiegt. In der Stickstoffsphare endigt das Meteor meist mit einer Explosion, welche wohl auf den immer starker anwachsenden Druck der an seiner Vorderseite komprimierten Gase zuruckzufiihren ist, wodurch YcblieBlich eine Zersprengung des Meteoriten durch Uberschreitung der Druckfestigkeit herbeigefuhrt wird. Jedenfalls aber zeigt die folgende, von G. v. NIESSL~ gegebene Tabelle der Explosionshohen, daS die Meteoriten mindestens 20 km tief in die Stickstoffsphare ein- gedrungen waren, bevor die Explosion erfolgte.

Explos ionshohen be i Meteor i tenfa l len .

12. Febr. 1875, Homestead, Nordamerika. . 3.7 km 5. Mai 1869, Krahenberg, Bayern . . . . 8.2 ,, 3. Febr. 1882, M6cs, Siebenburgen,

und zwar iiber M6cs. . . . . . . 8.4 ,, Gynlatelke . . . . . 14.4 ,,

13. Dez. 1807, Weston, Nordamerika . . . 11.1 ,,

Sitzungsber. d. Wiener Akad. d. Wi'ss. 89 (1884), 2. Abt., 283.

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Die Erforschung der obersten ,4tmospha~enschichten. 1 1 7

9. Juni 1866, Knyahinya, Ungarn . . . . 11.9 km 13. Juli 1847, Braunau, Bohmen. . . unter 14.8 ,, 15. Juli 1878, Tieschitz, Mahren . . beilaufig 20.0 ,, 14. Mai 1864, Orgueil, Frankreich . . . . 23.0 ,, 19. Juni 1876, Stalldalen, Schweden . . . 40.8 ,, 30. Jan. 1868, Pultusk, Yolen. . . . . . 41.5 ., 26. Mai 1751, Hraschina, Agram, Kroatien . 46.7 :,

Von grofier Bedeutung ist die spektroskopische Untersuchung der Meteore, da die Leuchterscheinung j a aufier von dem gluhenden Eern , der ein kontinuierliches Spektrum gibt, wesentlich von gluhender Luft herruhrt. PICKERING erhielt mit dem Objektiv- prisma ein Spektrogramm, welches folgende Linien erkennen liefi (die Intensitaten sind in Klammern beigefugt):

486 (10) = Hp 464 (10) = ? 434 (13) = H, 420 (2) = ? 412(100) = Ha 395 (40) = H,

Es waren also, der Theorie entsprechend, hauptsachlich die Wasserstofflinien vorbanden.

Zwei andere Spektrogramme erhielt BLAJKO sie zeigen beide eine aufierordentlich starke Linie, das eine Ma1 bei 393, das andere Ma1 bei 389, welche ich fur identisch mit der Stickstofflinie 391 halte, die auch im photographischen Nordlichtspektrum auBerordent- lich hervortritt. Anscheinend handelte es sich also hier um Meteore, die bereits in die Stickstoffsphare eingedrungen waren.

Diesem Unterschied in der Hohenlage scheinen auch die Farben zu entsprechen, indem die Sternschnuppen meist eine etwas grun- liche Farbe zeigen (wohl von der Wasserstofflinie 486 pp her- ruhrend), wahrend die groBen Feuerkugeln wahrend des letzten, hellsten Teils ihrer Bahn als rot (wohl Stickstofflinie 631 pp; die eben angefuhrte bei 39 1 ist nur photographisch wirksam) beschrieben werden, wobei oft ausdrucklich hervorgehoben wird, dafi sie anfangs grunlich und wenig leuchtend wie eine Sternschnuppe waren.

Bevor wir zu der letzten, wichtigsten Erscheinung, dem Polar-

Astrophys. J. 6 (1897), 461. * Astrophys. J. 26 (1907), 341.

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118 A. Wegener.

licht, ubergehen, ist noch an einige Dinge zu erinnern, die mog- licherweise mit der oberen Wssserstoffsphare in Zusammenhang zu bringen sind. Von Interesse sind hier namentlich die Versuche von COEEIN ,l welche zeigen , daB die ultraviolette Sonnenstrahlung imstande ist , den Wasserdampf zu einem merklichen Prozentsatz zu dissoziieren, womit eine stets wirksame Quelle des Wasserstoffs in der Atmosphare nachgewiesen ist. Ferner sind noch die Gas- einschlusse in Meteoriten zu erwahnen, die sich durch Erhitzen der- selben austreiben lassen. Namentlich die Eisenmeteoriten enthalten nach COHEN bedeutende Mengen Wasserstoff, dessen Ursprung noch wenig aufgeklart ist. Indessen muB wegen der grogen Ahnlichkeit, welche diese Meteoritengase mit denen der Kometenschweife besitzen, wohl angenommen werden, daB dieselben nicht erst in der Erd- atmosphare aufgenommen sind, sondern bereits vorher in den Meteoriten enthalten waren.

Gleichfalls nur ganz kurz kann auf die Versuche hingewiesen werden, die Anderung der Zusammensetzung der Luft mit der Hohe direkt durch Analyse von Luftproben zu ermitteln, die mit Hilfe von Ballons herabgebracht sind. Obwohl man innerhalb der Tropo- sphare wegen der bier herrschenden vertikalen Durchmischung noch keine Anderung in der Zusammensetzung erwarten sollte, scheinen die genauesten Messungen doch auch hier bereits Abweichungen nach der Richtung des Diffusionsgleichgewichtes hin zu ergeben. So hat nach die von MILLER ausgefiihrte Analyse der von WELSH gesammelten Luftproben folgende Werte des Sauerstoffgehaltes gegeben :

Erdoberflache . . . . . . . . 20.92 O/, 4100 m . . . . . . . . . . 20.89O/, 5500 m . . . . . . . . . . 20.75°/0 5680 m . . . . . . . . . . 20.89O/,

Der Ballon l'A6rophile brachte aus ca. 151/2 km Hohe 6 Liter Luft herab, deren Zusammensetzung nach MUNTZ folgende war:

0 . . . . . . 20.79O/, N . . . . . . 78.27O/, Argon . . . . 0.93 O/,

A. COEIIN , Photochemische Vorgange in Gasen. Jahrb. d . Radioaktiv. u.

COEEN, Meteoritenkunde Heft 1 (Untersuchungen und Charakteristik der

J. HA", Lehrbuch der Meteorologie, 2. Autl., Leipzig 1906, S. 8.

Elektronik 7 [1910), 4, 577.

Gemengteile), Stuttgart 1894, S. 178.

Page 13: Die Erforschung der obersten Atmosphärenschichten

Die Erforschung der obersten Atomspharenschichten. 119

Die Werte fur 0 und N am Erdboden sind 20.90 bzw. 78.06.l Zu etwas abweichenden Resultaten ist 1908 TEISSEPENC DE BORT gekommen,2 doch muS wohl erst das definitive Ergebnis seiner inzwischen noch fortgesetzten Versuche abgewartet werden.

Endlich sind die soeben von TETENS veroffentlichten Beob- achtungsergebnisse des Aeronautischen Observatoriums zu Lindenberg zu nenneq5 welche auf Anregung des Direktors ASSMANN anlaBlich des Durchganges der Erde durch den Schweif des HaLLEnschen Kometen in der Nacht vom 18. bis 19. Mai 1910 gewonnen wurden. Durch Mitwirkung zahlreicher Luftfahrervereine Deutschlands wurden Luftproben in verschiedenen Seehohen bis zu 8000 m ge- sammelt, deren Analysen von HUGO ERDYANN, nach dessen Tode von seinem Bruder ERNST ERDMANN ausgefuhrt wurden. Das Resultat war: ,,Mit der Hohe der Luftschicht steigt der Gehalt an Helium, Neon und Wesserstoff. Die Gesamtheit dieser drei Gase betragt in niederster Luftschicht 26.2 cmm und wachst bei 8000 m Seehohe auf 37.7cmm pro Liter Luftr‘. Die schweren Edelgase Krypton und Xenon konnten dagegen nicht nachgewiesen werden. Zu den- selben Ergebnissen gelangte HUQO ERDMANN auch durch eine von ihm selber am gleichen Termin ausgefuhrte Verfliissigung etwa eines Kubikmeters Luft, in 4000-4500m Hohe (I. c.). Es scheint hieraus hervorzugehen, dab auch schon in der Troposphare trotz der hier vorhandenen vertikalen Mischungen der Luft ihre Zusammensetzung nicht konstant ist, sondern sich den Gasgesetzen entsprechend mit der Hohe andert.

Die grobte und wichtigste Gruppe von Erscheinungen, denen der Hauptteil meiner oben genannten Arbeit gewidmet ist, bilden aber die Polarlichter. Die von BIRKELAND gegebene und von STORMER zu einer detaillierten Theorie entwickelte Erklarung fir dies seit alters her problematische Phanomen ist erst vor so kurzer Zeit aufgestellt worden, daB sie gegenwartig noch keineswegs iiberall als bekannt betrachtet werden darf.4 Deshalb miissen wir, wenn

Bei Diffusionsgleichgewicht nimmt der Gehalt an N noch bis 40 km

Compt. rend. 147 (1908), 219. TETENS, Aerologische Beobachtungen wahrend des am 18./19. Mai 1910

erwarteten Durchganges der Erde durch den Schweif des Hammschen Kometen, Ergebn. d. kgl. Aeronaut. Obs. Lindenberg 1911.

TRABERTS 1911 erschienenes Lehrbuch der kosmischen Physik kennt sie z. B. noch nicht. Vgl. dagegen z. B. NIPPOLDT~ Referat uber BIRKELANDS gleich zu nennendes groSes Expeditionswerk, Beitr. x.. Geophhysik 10, Heft 2.

Hohe zu, derjenige an 0 fortgesetzt ab; vgl. weiter unten.

Page 14: Die Erforschung der obersten Atmosphärenschichten

120 A. Wegener.

auch nur ganz kurz, dabei verweilen. Bereits ~ G S T E O M und PAULSEN vermuteten, daS das Polarlicht auf Kathodenstrahlen zuruckzuftuhren sej, welche in der Atmosphare absorbiert wurden und dabei diese zum Leuchten erregen. BIRKELAND war aber der erste, welcher die Vermutung aussprach, dat3 diese Strahlen von der Sonne ausgesandt wiirden. Bekanntlich bestehen solche Kathodenstrahlen aus kleinsten, elektrisch geladenen Teilchen, den sogen. Elektronen , welche mit auBerordentlicher Geschwindigkeit von der Kathode in der CROOKSChen Rohre abgeschleudert werden. Auch weiBgluhende Korper entseaden freiwillig Kathodenstrahlen, und dies scheint bei der Sonne zuzutreffen. Freilich werden diese Kathodenstrahlen in den meisten Fallen von der Sonnenatmosphare selber absorbiert und also zuruckgehalten, aber in den Fallen, wo die gluhenden Massen besonders weit empor- steigen, in den als ,,Fackeln" bezeichneten hellen Gebieten , ver- mogen sie anscheinend zuzeiten diese Schwierigkeit zu uberwinden und frei in den Weltenraum hinauszueilen. Nun gibt es bekannt- lich auch noch andere materielle Strahlen ahnlicher Art. Z. B. be- stehen auch die sogen. p-Strahlen des Radiums ebenso wie die Kathodenstrahlen aus winzigen, negativ elektrischen Partikeln, nur ist die Geschwindigkeit, mit der sie abgeschleudert werden, noch vie1 groBer als bei jenen (sie kann nahe an die Lichtgeschwindig- keit herankommen). Auch die a-Strahlen des Radiums stellen %hn- liche, augerordentlich schnell bewegte materielle Partikel dar, doch ist ihre elektrische Ladung positiv. Es darf aber keineswegs als ausgeschlossen gelten, daS es noch andere Strahlen gleicher Art gibt, die wir bisher noch nicht haben erzeugen konnen, und die vielleicht gerade beim Polarlicht die Hauptrolle spielen. Vor allem ist wohl anzunehmen, daB es sich hier nicht nur um eine einzelne Strahlenart handelt, sondern daB samtliche oder doch wenigstens verschiedene derartige Strahlengattungen in Frage kommen. Dies darf man nicht aus dem Auge verlieren, wenn wir im folgenden der Kiirze halber nur von Kathodenstrahlen sprechen.

Durch eine Reihe interessanter Versuche machte BIRKELAND seine Hypothese glaubhaft.' Er brachte in einer grogen CBooKschen Rohre einen kugelfdrmigen Elektromagneten an, der die Erde

BIRKELAND, ExpBdition norvhgienne 1899-1900 pour l'Btude des aurores borhales. Videnskabs Selskabets Skrifter, Christiania 1902, S. 39 u. 74; ferner in seinem groBen Werk: The Norwegian Aurora Polaris Expedition 1902 bis 1903 (1909), siehe auch: Orages magnbtiques et aurores polaires. Arch. d . scienc. phys. et nut. 31, Genhve 1911.

Page 15: Die Erforschung der obersten Atmosphärenschichten

Die Erforscliung der obersten Atmospharenschichten. 121

reprasentierte, und exponierte diesen den Kathodenstrahlen. Die Kugel war mit Platinbariumcyaniir uberzogen , welches bekanntlich an den Stellen, wo es von Kathodenstrahlen getroffen wird, auf- leuchtet. Er erhielt hiermit Erscheinungen, die dem Polarlicht ganz entsprachen.

Die entscheidenden Berechnungen, welche meines Erachtens alle Zweifel an der Richtigkeit dieser Hypothese beseitigen, ver- danken wir indessen STORMER. I n einer langen Reihe von Abhand- lungen fiihrte dieser die sehr miihsame numerische Auswertung des Strahlenganges fiir eine groBe Anzahl von Fallen aus und konnte so zeigen, daS sich alle charakteristischen Erscheinungen des Polarlichts vollstandig erklaren lassen. Auf die Berechnungen im einzelnen einzugehen, wiirde hier zu weit fuhren; es sei nur erwahnt, daB sich die Differentialgleichungen fur die Bewegung der Elektronen nicht streng integrieren lnssen, so daB man nicht die Gleichung ihrer Bahnkurve hinschreiben kann. Man kommt aber wie in vielen anderen Fiillen so auch hier zum Ziel durch die numerische Inte- gration. Um die erhaltenen raumlichen Bahnen zu Anschauung zu hringen, hat ST~RMER eine groSe Zahl von Drahtmodellen konstruiert, die er zum Teil in Stereoskopaufnahmen in eeinen Abhandlungen reproduziert. Nur ein kleiner Teil der Strahlen trifft die Erde selbst und erzeugt das Polarlicht. Die anderen umkreisen die Erde in der Aquatorebene und stellen in ihrer Gesamtheit einen erheblichen elektrischen Strom dar, dessen gelegentliches Anschwellen magnetische

C. ST~RMEB, Sur le mouvement d‘un point materiel portant une charge d’6lectricitB sous l’action d’un aimant BlBmentaire. Vid. Selsk. Skrifter, Christiania 1904; ferner Compt. rend. 1906, 25 juin, 9 juillet, 10 septembre, 1 octobre; der- selbe : Sur les trajectoires des corpuscules BlectrisBs dans l’espace sous l’action du magnetisme terrestre avec application aux aurores borhales. Arch. d. scienc. phys. et nat., GenAve 1907 (Hauptabhandlung); derselbe: Les Bquations explicites de la trajectoire d’un corpuscule Blectrique dans le champ d’un seul pBle mag& tique. Vid. Selsk. Skrifter, Christiania 1909; derselbe: Sur les trajectoires etc. (Titel wie oben). Atti del IV Congresso Internazionale dei Matematici, Roma 1909; derselbe: On the trajectories of electric corpuscles in space under the influence of terrestical magnetism, applied to the aurora borealis and to magnetic disturbances. Arch. for Math. og Naturvidenskab 28, p. 2 ; ferner Compt. rend. 24 octobre 1910, sowie: Sur une classe de trajectoires remarquables dans le mouvement d‘un corpuscule Blectrique dans le champ d’un aimant BlBmentaire. Arch. for Math. og Naturwidmaskab 31 (1911), 11; eine popultire Darstellung in deutscher Sprache gibt ST~RMER in Das Weltall 9 (1909), 9 u. 10, sowie der Verfasser in : Neuere Forschungen auf dem Gebiete der atmosphkischen Physik, im 3. Band von ABDERHALDENS Fortschritte der naturw. Forschung (1911).

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122 A. Wegener.

Storungen verursacht und die Zone der Polarlichter in niedrigere geographische Breiten herabzieht, so daB hier an ungewohnten Orten Polarlichter gesehen werden. Auch diejenigen Strahlen, welche in immer engeren Spiralwindungen um die Kraftlinien des Erdmagnetis- mus herum sich der Erde so weit nahern, daB sie in die Atmosphiire eintreten , haben stets einen Umkehrpunkt, nach dessen Uber- schreitung sie sich in einer analogen Kurve wieder entfernen, doch kann dieser theoretische Umkehrpunkt schlieBlich im Mittelpunkt der Erde zu liegen kommen. Hieran habe ich die Vermutung ge- knupft, daB der charakteristische Unterschied der beiden Haupt- klassen von Polarlichtern, namlich derjenigen strahliger Struktur und der sogen. homogenen Bogen, darauf beruht, daB letztere aus solchen umkehrenden Strahlen gebildet werden, wahrend bei den ersteren der Umkehrpunkt unterhalb der Hohe zu denken ist, wo alles absorbiert wird.' Bekanntlich mussen CROOKSChe Rohren auf weniger als 0.1 mm Quecksilberdruck evakuiert werden, urn noch Kathodenstrahlen zu zeigen; bei hoherem Druck wird das Gas ganz undurchlassig fur sie. Dementsprechend mu6 auch in der Atmosphare die Lichtentfaltung in einer Hohe plotzlich ttufhoren, die diesem Luftdruck entspricht (ca. 60 km). LENARD~ wies darauf hin, dtiB sich hierdurch der scharfe Unterrand der Draperien erklaren lasse, der in der Tat besonders haufig etwa in dieser Hohe gefunden worden ist; doch zeigt das Vorkommen auch noch bei Hohen von 40km, daB, wie schon erwahnt, auch noch schnellere Strahlen als Kathodenstrahlen am Polarlicht beteiligt sein miissen.

Von noch grofierer Wichtigkeit ist eine zweite Abhandlung von LENARD,' welche einen neuen, ganz unabhangigen Beweis fur das Vorhandensein sehr leichter Gase in den hochsten Atmospharen- schichten erbringt. Ausgehend von experimentellen Studien uber die Druckgrenzen , welche sich fur teilweise und totale Bbsorption der Kathodenstrahlen ergeben, zeigt LENARD, da8 sich fur konstante Zusammensetzung der Luft, also nach der gewahnlichen baro- metrischen Hohenformel, z. B. fur 370 km Hohe ein Wert des Luft- druckes ergibt, bei dem unmoglich auch nur die geringste Spur von Absorption bemerkbar sein, also auch keine Lichterscheinung auf-

* Thermodynamik der Atmosphiire, Leipzig 1911, S. 11. * LENARD, Uber die Strahlen der Nordlichter, Siteungsber. d. Heidelberger

* LENARD, Uber die Absorption der Nordlichtstrahlen in der Erdatmosphare, Akad. d. Wiss. 1910, 17. Abhandl.

Sitzungaber. d. Heidelberger Akad. d. Wiss. 1911, 12. Abhandl.

Page 17: Die Erforschung der obersten Atmosphärenschichten

Die Erforschung der obersten Atmospharenschichten. 123

treten kann. Andert sich dagegen die Zusammensetzung im Sinne der eingangs erwahnten Berechnung von HANN nach den Gasgesetzen, so resultiert fur die grol3en Hohen ein erheblich hijherer Luftdruck, der zur Erklarung der Absorption wahrscheinlich genugt. LENABD schlie8t: ,,Es kann also die Beobachtung von Nordlicht in Hohen iiber 300 km als ein besonderer Nachweis der Anhaufung leichtester Gase in diesen obersten Schichten der Atmosphare angesehen werden". Diese Hohen sind nun in der Tat vor kurzem unter den 150 photogrammetrischen Hohenmessungen STOBMEB s vertreten, wenn auch der weitaus groSte Teil zwischen 40 und 200 km zu liegen kommt (Extreme: 37 und 370 km). Wahrend allen fruheren Messungen durch Okularbeobachtung wegen der Schwierigkeit des Identifizierens gleicher Punkte von den zwei Stationen aus eine groSe Unsicherheit anhaftet, ist es ST~BMER gelungen, die von BASCHIN und BBENDEL zuerst versuchte Photographie so zu ver- vollkommnen, daB er sie zur photogrammetrischen Hohenmessung verwenden konnte, und auf diese Weise zum ersten Male ein ein- wandfreies Beobachtungsmaterial zu liefern.

Dasjenige Kapitel aber, welches die meisten Aufschlusse uber die Natur der obersten Atmospharenschichten zu geben vermag, und in welches andererseits durch die vorliegenden Untersuchungen am meisten Licht gebracht wird, ist das des Polarlichtspektrums. Schon im Jahre 1906 hat W. F~RSTER darauf hingewiesen, da8 durch gleichzeitige Hohenmessung und spektroskopische Untersuchung des Polarlichts eine Lnderung in der Zusammensetzung der Luft mit der Hohe erkannt werden k6nnte.2 In meiner oben genannten Arbeit habe ich nun einen ersten, sicherlich noch sehr unvoll- kommenen Versuch gemacht, die vorliegenden Betrachtungen in die Deutung des Polarlichtspektrums einzufuhren, und ich glaube, daS dadurch zum ersten Male die Moglichkeit gegeben wird, in das bisher nicht zu entwirrende Chaos der widerstreitendsten Beob- achtungen und Meinungen Ordnung zu bringen. Es geht ohne weiteres aus den Messungen STORMERS hervor, daB die Polarlichter

1 Methode siehe C. STORHER, Photographies des aurores borkales et nouvelle mkthode pour mesurer leur altitude, Compt. rend. 1910, 13 juin; Zusammen- fassung der Resultate: C. STOBMEB, Rhsultats des mesures photogrammktriques de l'altitude de l'aurore boreale Bosekop aux moia de fkvrier rt de mars 1910, Con@. rend. 1911, 1 mai; die ausfiihrliche Publikation erscheint in den Schriften der Gesellschaft d. Wise. in Christiania.

* In der sehr leaenswerten populitren Scbrift: Von der Erdatmosphtire zum Himmelsraume. Berlin und Leipzig 1906.

Page 18: Die Erforschung der obersten Atmosphärenschichten

124 A. Wegener.

sowohl in der hypothetischen Geocoroniumsphare, wie in der Wasserstoffaphare und der des Stickstoffs auftreten konnen, und vielfach werden die Strahlen von der einen in die andere Sphare hineinreichen, so daB eine auBerordentliche Mannigfaltigkeit von vornherein zu erwarten ist.

Im hellsten, untersten Teil der Draperien treten die Stickstoff- linien in den Vordergrund, namentlich im photographischen Spektrum, da sie hauptsachlich am violetten Ende des Spektrums liegen. Hierher gehoren die starken Linien 631, 530, 471 und 428 p p Die letztere, und namentlich die bereits unsichtbare, aber photographisch sehr inten- sive Linie 391 wurden bereits von WESTMANN, PAULSEN u. a. photo- graphiert. Den Arbeiten des letzteren ist es zu verdanken, daB die Stickstoff linien als einwandfrei nachgewiesen betrachtet werden konnen.

Fur die Wasserstoff linien sind wir auf die Okularbeobachtungen angewiesen, da sie zu den weniger hellen Linien ziihlen und deshalb im photographischen Spektrum nicht mehr abgebildet werden. Auch sie sind in den Beobachtungen deutlich zu erkennen. Die folgende Tabelle gibt die umfangreichste derartige Messungsreihe, namlich diejenige von CARLHEIM-GYLLENSEJ~LD. Die Beobachtungen wurden mit zwei verschiedenen Spektroskopen ausgefuhrt. Die Anzahl der Falle, in denen eine bestimmte Linie beobachtet wurde, kann hierbei als MaB fur die Intensitat gelten.

Am deutlichsten ausgepriigt ist die Linie BB (486). Bei der Aufzahlung samtlicher Okularbeobachtungen, welche H. KAYSER in seinem Handbuch der Spektroskopie Bd. V (Leipzig 1910, S. 47) gibt, ist sie in 41 Beobachtungsreihen 15 ma1 vertreten. Gerade diese Linie sol1 aber nach FRANKLAND und LOCEYER bei so niedrigen Drucken, wie sie hier in Frage kommen, die groBte Helligkeit unter den Wasserstoff linien besitzen. Daher kann das Wasserstoffspektrum wohl im Gesamtspektrum des Polarlichts als nachgewiesen gelten.

Von groBem Interesse ist auch die folgende Zusammenstellung bei CARLHEIM-GYLLENSKJ~LD, nach welcher sich der FuB der

Von besonderem Interesse ist das zeitweilige Auftreten der genannten Linie 631, welches stets mit auffilliger Rotfarbung der Strahlen verbunden ist (VOGEL). Wabrend namlich die meisten iibrigen Linien dem Kathoden- epekt,rum angahiiren, ist 631 die Hauptlinie des An o denspektrums des Stickstoffs.

Observations faites au Cap Thordsen, Spitzberg, par 1’Expbdition Sub- doise (Internationale Polarforschung 1882- 1883), Tome 11, 1, Aurores Borbales Stockholm 1886.

Page 19: Die Erforschung der obersten Atmosphärenschichten

Die Brforschung der obersten Atmosphihnschachten. 125

Spektri Well.-Lange

667 645 631 612 604 594 575 566 557 5 54 551 548 545 541 538 535 530 526 523 518 515 504 500

487 4 80 470 464

kop I Zahl d. Beob.

1 1

11 7 4 3

14 12 19

9

14 5 6 2 1

1 2 1 1

Strahlen von scheidet !

den oberen Partien

Spel Well.-LLnge

595 575

558

547

541

535

530

524

513 505 500 493 484

471 464 458

t3 411

derselben

Spektrum

Luftspektrum . . . . . . . . . . . Spektrurn des Stickstoff8 aus der Anode .

1 ) > 7 ,, ,, Kathode ,, ,, Wamerstoffs . . . . . .

Unbekannt . . . . . . . . . . . .

oskop I1 Zahl d. Beob.

. . . . . H a

1 1

1 (Hauptlinie)

5

7

9

16

13

5 5 3 7 6 . H@

16 8 3

2 . . H d

spektroskopisch unter-

Zahl der Linien im Gipfel

der Strahlen

9 2

10 3 8

im FuS der Strahlen

8 4 14 1 4

Page 20: Die Erforschung der obersten Atmosphärenschichten

126 A. Wegener.

Wahrend also die Zahl (und damit die Intensitat) der Stick- stoff linien mit wachsender Hohe abnimmt, nimmt diejenige der Wasserstofflinien zu, genau wie es nach der Theorie sein sollte. Auch die unbekannten Linien nehmen mit der Hohe zu.

Von der grogten Bedeutung aber sind die Resultate, welche sich fur die Hauptlinie des ganzen Spektrums, die sogen. Polar- lichtlinie (557 pp) ergeben, die nach der oben genannten Hypothese dem Geocoronium angehort. In dieser Hinsicht verdient die als homogene Bogen bezeichnete Klasse der Polarlichter, welche keine strahlige Struktur erkennen lassen, eine eingehende Untersuchung. Diese Bogen, die sich durch groBe Ruhe auszeichnen, liegen offenbar in vie1 groBeren Rohen als die Draperien, und sind anscheinend von STORMER nicht mitgemessen worden. PAULSEN hat in Gemein- schaft mit LA COUR wahrend einer Uberwinterung in Akureyri auf Island einen Versuch gemacht, die Hohe dieser homogenen Bogen trigonometrisch durch Okularbeobachtung zu bestimmen; es ergab sich, daB man ,,auch bei Zulassung von Einstellungsfehlern, die sicher nicht zu klein sind, dieser Art dea Polarlichts mindestens Hohen von 400-500 km iiber dem Erdboden zuerkennen muBL'.l Das Spektrum dieser Bogen ist bisher noch niemals Gegenstand einer gesonderten Behandlung gewesen. Indessen geht aus LA COTJRS Beobachtungen deutlich hervor, daB es im wesentlichen nur aus der einen Linie bei 557 pp, eben der ,,Polarlichtlinie", besteht. Auch die sorgfaltigen Beobachtungen von CARLHEIM-GYLLENSKJOLD zeigen, wie ich nachweisen konnte, dieses Gesetz auf das Deutlichste. Damit ist aber erwiesen, daB die Entstehung dieser Polarlichtlinie gerade in den obersten Schichten der At.mosphiire zu suchen ist. Aus diesem Grunde mu6 z. B. auch die Hypothese von HUQGINS, RAMSAY, SCHUSTER u. a.3 abgelehnt werden, daB diese Linie mit der Hauptlinie des Kryptons identisch sei, mit der sie allerdings innerhalb der Fehlergrenze zusammenfallt. Denn das Krypton muS ja vermoge seines auBerordentlich hohen spezifischen Gewichts auf die allerunterste Schicht der Atmosphare beschrankt sein.

Die Vermutung, daB die Polarlichtlinie auf ein unbekanntes, sehr leichtes Gas zuriickzufuhren sei, ist bereits von SCHEINER aus-

A. PAULSEN, Sur les rhcentes theories de l'aurore polaire. Bull. de l'Acadimie R. des Sciences de Danmayk 2 (1906), 132.

% Nach freundlicher brieflicher Mitteilung deaselben. ' Vgl. W. RAYSAY, Die Gase der Atmosphare uud die Geschichte ihrer

Entdeckung. Deutsch von HUTB, Halle 1907, S. 146.

Page 21: Die Erforschung der obersten Atmosphärenschichten

Die Erforschung der obersten AtmosplLarenschichterL. 127

gesprochen w0rden.l Eine besondere Stutze findet diese Hypothese in den Spekulationen, welche MENDE~JEFF an das von ihm auf- gestellte periodische System der Elemente knupft. E r kommt dabei namlich zu dem SchluB, es miisse noch ein Gas geben, das leichter als Wasserstoff ist, etwa von dem Atomgewicht (einatomig) 0.4.2 Bei der gliicklichen Hand, welche dieser Forscher namentlich bei dem auf gleiche Weise vorausgesagten Element Germanium bewiesen hat, erscheint diese Hypothese sehr beachtenswert.

Um nun wenigstene eine erste, orientierende Berechnung der Zusammensetzung der Luft in den verschiedenen Hohen zu ermog- lichen, habe ich diesen MENDEmEmschen Wert fur das Molekular- gewicht angenommen, und auBerdem die Annahme gemacht, daB das neue Gas von ca. 200 km Hohe ab der vorherrschende Bestand- teil der Atmosphare wird, so daB sein Partialdruck in der an- gegebenen Hohe gerade gleich dem des Wasserstoffs ist. Diese letztere Annahme wird einmal durch die Dammerungsbeobachtungen von SEE, die bei 214 km Hohe eine neue Schichtgrenze vermuten lassen, und andererseits auch durch die Erscheinung der Stern- schnuppen nahegelegt, deren Aufgliihen unterhalb 200 km erfolgt.

Nimmt man mit diesen Annahmen das Geocoronium bei der Berechnung mit, so erhalt man unter Zugrundelegung der in der ersten der beiden folgenden Tabellen gegebenen Ausgangswerte am Erdboden eine Zusammensetzung in den verschiedenen Hohen, wie sie in der zweiten Tabelle angegeben ist und durch die auf Seite 129 folgende Figur erlautert wird.

Will man aus der Figur die Zusammensetzung in einer be- stimmten Hohe entnehmen, so legt man durch dieselbe eine Hori- zontale; die auf die verschiedenen Felder entfallenden Abschnitte stellen d a m die Volumprozente der betreffenden Qase dar.

Die Zahlenwerte haben naturlich unter den obwaltenden Um- standen lediglich orientierenden Wert. Doch ist leicht ersichtlich, daB selbst starke Fehler in den Ausgangswerten das Bild als Ganzes nicht zu andern vermogen. Speziell ist die Langsamkeit der zweiten Hauptanderung, des Ubergangs vom Wasserstoff zum Geokoronium, ein Ergebnis, das ganz unabhangig von unseren vielleicht wenig zii- treffenden numerischen Annahmen ist; denn es ist wesentlich da- durch bedingt, da8 das spezifische Gewicht des Wasserstoffs bereits ______

Spektralanalyse der Gestirne. Chem. Centrlbl. 1904, I, 137; Prometheus 16 (1903), Nr. 735-738.

Leipzig 1890, S. 341.

Page 22: Die Erforschung der obersten Atmosphärenschichten

128 A. Wegener.

760 41.7

1.92 0.106

0.0192 0.0128 0.0106 0.00900

0.00581 0.00329 0 00220 0.00162

Zusammensetzung der Luft am Erdboden.

0.00058 0 0 5

19 29 32 36

50 71 85 93

Geokoronium (einatomig) . . .

Wasser H,O . . . . . . .

Stickstoff N, . . . . . . .

Kohlensayre CO,. . . . . .

Krypton Kr . . . . . . .

Wssseretoff H, . . . . . . Helium H e . . . . . . . .

Neon Ne. . . . . . . . .

Sauerstoff 0, . . . . . . . Argon Ar . . . . . . . .

Ozon 0,. . . . . . . . .

Xenon X . . . . . . . .

1

4 4 3 2

1 -

-- Mo1.-Gew.

7 7

21 1 0 -

ca. 0.4 2.02 4 .O

18.02 20.0 28.02 32.00 39.9 44.0 48.0 83.0

130.7

Volumprozente

ca. 0.00058 (hypothetisch) 0.0033 (GAUTIER-RAYLEIW) 0.0005 (CLAUDE) varisbel 0-4 0.0015 (CLAUDE) 78.06 (LEDUC) 20.90 0.937 0.029 (var.) Spuren (TBIEBRY) ca. 0.0001 ca. 0.000005

Zusammensetzung der Luft in der Hohe (in Volumprozenten). - - Hobe km

0 20 40 60

- -

80 100 120 140

200 300 400 500

Rasser- 1 stoff

12

55 67 6 5 62

50 29 15 7

Sauer- I stoff

20.9 15 10 6

1 0 -

Argon

0.937 0 -

einen so geringen Wert hat. Daraus erklaren sich aber gerade manche Einzelheiten des Polarlichtspektrums. Da jetzt gar keine reine Wasserstoffsphare mehr vorhanden ist, so wird es sehr plau- sibel, daB die Wasserstoff linien im Spektrum verhiltnismaBig wenig deutlich sind. Und da das Geocoronium erst unterhalb 60 km Hohe verschwindet, so erklart sich damit, daB selten oder nie ein Polarlicht beobachtet wird, welches die Hauptlinie nicht zeigt.

Zum SchluB sei noch kurz der aus dem Vorangegangenen sich ergebenden kosmischen Beziehunqen gedacht, wenn es sich dabei auch mehr um Ausblicke handelt als um Resultate, denen man be-

Page 23: Die Erforschung der obersten Atmosphärenschichten

Die Erforschung der oberslen Afnzosp~iarenschiehten. 120

reits Realitat zusprechen konnte. Schon friiher war nuf die nun- mehr stattfindende Analogie zur Sonnenatmospare hingewiesen worden. Auch bei ihr sehen wir oberhalb einer beiderseits scharf begrenzten Wasserstoffzone ein anderes, offenbar leichteres Gas, das Coronium, dessen sehr ausge- dehnter Bereich, die Corona, nur bei totalen Sonnenfinster- nissen sichtbar wird. Auch bei diesem Gase ist die Tragheit auBerordentlich gering, denn be- kanntlich sind die Kometen 1680, 1843 I, 1880 I , 1882 I1 und 1887 I durch die Corona hindurchgegangen, ohne daB sich ein Widerstand nachweisen IieS, ebenso wie die Stern- schnuppen ohne Widerstand das Geocoronium durchdringen und erst im Wasserstoff aufleuchten.

Wegen dieser vollkommenen Analogie ist es naheliegend, das

PO0 \ \ Km

\

\ \ , I Creoeomnium)

0 10 20 30 40 00 60 70 10 90 l0O.I.

unbekannte irdische Gas mit MutmaBliche Zusammensetzung der oberen

dem gleichfalls unbekannten Ele- ment der Sonnencorona zu identifizieren. Der Hinblick auf diese Mog- lichkeit war auch ausschlaggebend bei der Wahl des provisorischen Namens ,,Geocoronium ". Einstweilen stoBt diese Identifizierung noch auf Schwierigkeiten, da die Spektren verschieden sind. Das Coronium der Some ist durch eine grune Linie bei 532 charak- terisiert, wahrend die Polarlichtlinie bei 557 ,up liegt. Beriicksichtigt man aber, dab alle Elemente iiber mehrere, oft viele verschiedene Spektra verfiigen, welche je nach den Versuchsbedingungen aus un- bekannten Ursachen miteinander abwechseln , daB speziell Bogen- spektrum, Funkenspektrum , Flammenspektrum und das Spektrum in der GErsSLER-Rohre im allgemeinen verschieden voneinander sind, so darf man offenbar aus diesem Unterschied der Spektren noch nicht schlieaen, daB auch die Gase verschieden sind, zumal wenn man beachtet, daB es sich beim Polarlicht offenbar um elektrisches Gliihen, in der Sonnencorona aber wohl um Temperaturgliihen handelt. Die vollkommen parallele A r t des Auftretens in der Sonnen- und Erdatmosphare, sowie das ihnen zuzuschreibende auSer-

Luftschichten.

Z. aoorg. Chem. Bd. 76. 9

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ordentlich geringe spezifische Gewicht scheinen dagegen schwer- wiegende Argumente fur die Identitat zu bilden.

Die Annahme liegt aufierordentlich nahe, daB auch diese letzte Schicht der Erdatmosphare, das Geocoronium, noch einen Damme- rungsbogen verursacht, und daB dieser Dammerungsbogen mit dem wesentlichsten Teil des Zodiakallichtes identisch ist. Die charak- teristische Pyramidenform, in welcher dies erscheint, wiirde die An- nahme notig machen, daB die Massenverteilung in der Sphiire des Geocoroniums bereits UnregelmaBigkeiten unterliegt ; doch gerade dies fiihrt zu einer neuen Analogie mit der Sonnenatmosphare, da ja auch die Sonnencorona eine sehr eigenartige, noch unerklarte Massenverteilung zeigt.

Dies gilt zunachst allerdings nur fur die Haupterscheinung. Um auch die schwache Lichtbriicke, die sich uber den ganzen Himmel zieht, sowie die Lichtverstarkung im Gegenpunkt der Some (den ,,Gegenschein") zu erklaren, miiBte man annehmen, daB der interplanetarische Raum mit diesem leichtesten Gase in hiichster Verdiinnung angefullt ware, uud man kame - die Identitiit des Coroniums mit dem Geocoronium vorausgesetzt - auf diese Weise dazu, die Gesamterscheinung auf eine zur Sonne gehorige, den ganzen Raum des Planetensystems erfullende Coroniumatmosphlre zuriickzufiihren, von welcher die Sonnencorona und die Geocoro- niumsphare nur lokale Verdichtungen darstellen.

Es muB dabei dahingestellt bleiben, ein wie groBer Teil der Lichtreflexion auf die Beleuchtung kleinster, in diesem Raume ver- streuter f e s t e r Massenteilchen zuriickzufiihren ist, denen SEELIQER sogar die Hauptrolle zuteilt.

Es sind indessen neuerdings namentlich von BIRKELAND 3 sehr beachtenswerte Versuche gemacht worden, das Zodiakallicht auf die Kathodenstrahlung der Sonne zuriickzufuhren, in ahnlicher Weise, wie ST~RMER auch seine Theorie zur Erklarung der Struktur der Sonnencorona verwenden will. Uber diese Fragen konnen wohl

Zu diesem Resultat kommt namentlich F. SCHMID, Neue Beobachtungen uber das Zodiakallicht. Beitr. x. Oeophysik 11 (1911), 1, 112-131: vgl. auch ebendort 9 (1908), 113.

tfber kosmische Staubmassen und das Zodiakallicht. Sitz.-Ber. Miinchen 31, 265; SEELIGERB Schiiler K. SCHWEND vertritt dieselbe Ansicht in seiner Ar- beit: Zur Zodiakallichtfrage (1naug.-Diss. Miinchen 1904), welche vie1 Literatur enthtilt.

BIRXXLAND, Sur la lumikre zodiacale. STORPER, Sur la structure de la couronne du soleil.

Compt. rend. 6 f h i e r 1911. Ibidem 20 fbvrier

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gegenwartig die Akten noch nicht geschlossen werden, doch gewinnt die fruher von RESPIGHI, VOGEL und WRIGHT gemachte Beobach- tung, daB bisweilen im Spektrum des Zodiakallichts auch die Nord- lichtlinie auftritt, nunmehr an Bedeutung. Auch die von BRENDEL und WIECHERT gemachte Wahrnehmung, daI3 die Nordlichtlinie mit- unter iiberall am Nachthimmel zu beobachten ist , gehort hierher.

Bei einer konsequenten Durchfiihrung dieser Gedanken wird man zu einer sehr weittragenden Anwendung hingeleitet, fiir welche bereits Z~LLNER und ROGOWSKI, freilich ausgehend von den unvoll- kommenen alteren Ansichten, die ersten Anfange geliefert haben; es ergibt sich niimlich die Frage, ob nicht d i e A t m o s p h a r e n d e r verschiedenen Himmelskorpe r in unse rem Sonnen- sys tem u n t e r e i n a n d e r n a c h den Gasgese t zen im Gle ich- gewicht sind. Man kiinnte sie als lokale Verdichtungen einer das ganze Sonnensystem umspannenden Sonnenatmosphilre auffassen, so daS Druck und Zusammensetzung an jeder Planetenoberflache eine einfache Funktion des Sonnenabstandes und der Schwerkraft des Planeten wiiren. Naturlich kgnnte dieaer Satz nur fur solche Gase gelten, die weder verbraucht noch erzeugt werden. Da diese Be- dingung streng wohl nirgends zutrifft, so wird man auch nur eine naherungsweise Gultigkeit des Satzes erwarten.

Eine Behandlung dieser Frage wiirde uns hier aber allznweit von unserer Aufgabe entfernen.

1911 und: La structure de la couronne du soleil dans la thborie d’Arrhenins. Ibidem 6 mars 1911.

Marburg, Physikalischss Institut der Ufiiversitat.,

Bei der Redaktion eingegangen am 15. Mtirre 1912.