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53 (Aus dem physiologischen Institut der Universit~t K0nigsberg i. Pr.) Die Erregbarkeit des Nerven im Elektrotonus. Von L. ]][ermann und &. W. Tsehitsehkin aus Moskau. (Mit 2 Textfiguren.) 1. Vorbemerkung und itltere Versuche yon L. Hermann. In meiner Bearbeitung der allgemeinen Nervenphysiologie 1) sagte ich vor 20 Jahren in Bezug auf die von vielen Beobachtern behaupteten Abweichungen yon den P fl i] g e r' schen Gesetzen des Elektrotonus: ,,Ich selbst muss nach sehr zahlreichen eigenen Er- fahrungen erklaren~ dass, sobald mir oder meinen Schillern eine Ab- weichung vorkam, ihr Grund alsbald jedesmal in Versuchsfehlern erkannt wurde, zu denen diese Versuche besonders viele Gelegenheiten bieten," und weiter nach Aufzahlung der hauptsachlichen Fehler- quellen: ,,Trotz aller hier gebotenen Vorsicht ware es aber doch voreilig, alle angedeuteten Angaben yon vornherein als unrichtig zu bezeichnen," worauf die wichtigsten behaupteten Abweichungen er- iirtert werden. Auch Tigerstedt 2) land einige Jahre spater in einer sorg- fi~ltigen Untersuchung tiber die Erregbarkeit im Elektrotonus, bei welcher mechanische Reizung verwendet wurde, keinerlei Abweichung yon den bekannten Gesetzen. Bei den zahlreichen Elektrotonusversuchen, welche ich im Laufe vieler Jahre, auch ohne besondere Untersuchung, theils in Vor- lesungen, theils im Praktikum anzustellen oder zu sehen Gelegen- heit hatte~ sind mir aber doch hie und da Abweichungen vor- gekommen, welche sich auch bei sorgfi~ltigster Priifung nicht, wie es 1) Handbuch der Physiologie Bd. 2 Abth. 1 S. 45, 46. 1879. 2) Mittheilungen vom physiol. Laboratorium des Karol. med.-chir. Instituts, Stockholm Heft. 1. 1882.

Die Erregbarkeit des Nerven im Elektrotonus

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(Aus dem physiologischen Institut der Universit~t K0nigsberg i. Pr.)

D i e E r r e g b a r k e i t d e s N e r v e n i m E l e k t r o t o n u s .

Von

L . ] ] [ e r m a n n und &. W . T s e h i t s e h k i n aus Moskau.

(Mit 2 Textfiguren.)

1. Vorbemerkung und itltere Versuche yon L. Hermann.

In meiner Bearbeitung der allgemeinen Nervenphysiologie 1) sagte ich vor 20 Jahren in Bezug auf die von vielen Beobachtern behaupteten Abweichungen yon den P fl i] g e r ' schen Gesetzen des Elektrotonus: ,,Ich selbst muss nach sehr zahlreichen eigenen Er- fahrungen erklaren~ dass, sobald mir oder meinen Schillern eine Ab- weichung vorkam, ihr Grund alsbald jedesmal in Versuchsfehlern erkannt wurde, zu denen diese Versuche besonders viele Gelegenheiten bieten," und weiter nach Aufzahlung der hauptsachlichen Fehler- quellen: ,,Trotz aller hier gebotenen Vorsicht ware es aber doch voreilig, alle angedeuteten Angaben yon vornherein als unrichtig zu bezeichnen," worauf die wichtigsten behaupteten Abweichungen er- iirtert werden.

Auch T i g e r s t e d t 2) land einige Jahre spater in einer sorg- fi~ltigen Untersuchung tiber die Erregbarkeit im Elektrotonus, bei welcher mechanische Reizung verwendet wurde, keinerlei Abweichung yon den bekannten Gesetzen.

Bei den zahlreichen Elektrotonusversuchen, welche ich im Laufe vieler Jahre, auch ohne besondere Untersuchung, theils in Vor- lesungen, theils im Praktikum anzustellen oder zu sehen Gelegen- heit hatte~ sind mir aber doch hie und da Abweichungen vor- gekommen, welche sich auch bei sorgfi~ltigster Priifung nicht, wie es

1) Handbuch der Physiologie Bd. 2 Abth. 1 S. 45, 46. 1879. 2) Mittheilungen vom physiol. Laboratorium des Karol. med.-chir. Instituts,

Stockholm Heft. 1. 1882.

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bis 1879 jedesmal der Fall war, aus Versuchsfehlern erkliiren tiessen. Diese Abweichungen bestanden ausnahmslos daria, dass bei infra- polarer Reizung der absteigende Strom gelegentlich statt der kat- elektrotonischen ErregbarkeitserhShung eine Herabsetzung oder Auf- hebung der Reizwirkun8 ergab.

Im Juni und Juli 1896 babe ich daher diesem Gegenstande eine besondere Untersuchung gewidmet, welche unter Beobachtung aller erdenklichen Vorsichtsmassregeln durchgefflhrt wurde. Die Reizung erfolgte theils mit einzelnen OeffnungsJnduktionen, theils mit tetanisirenden Wechselstr0men, die Muskelzuckung, resp. der Tetanus, wurde am Zuckungstetegraphen beobachtetl). Die vier Elek- troden waren durchweg RShrenelektroden mit Thonspitzen. In einem Theile der Versuche wurden die einander zugewandten Elektroden des Reiz- und des polarisirenden Stromes zu einer einzigen Elektrode vereinigt, indem die eine Thonspitze an die andere angelegt wurde; d. h. beide Strecken (die durchflossene und die gereizte) beriihrten sich unmittelbar, diel Reizung erfolgte an der Kathode (resp. Anode) selbst. Die untere Elektrode der durchflossenen Strecke war meist durch die WasserleitungsrOhren mit der Erde in Verbindung.

Das iibereinstimmende Ergebnis aller Versuche war, dasses bei absteigenden StrSmen an jedem Nerven erreicht werden kann~ dass die Reizung im Katelektrotonus statt erhShter Wirkung gar keine Wirkung hat. Die Unterdri~ckung des Erfolges tritt stets erst ober- halb einer gewissen Intensiti~t des polarisirenden Stromes ein, welche um so niedriger ist, je n~her man mit der Reizstrecke an die Kathode beranrackt~ am niedrigsten also, wenn beide Strecken in angegebener Weise vereinigt sind. Bei Reizung mit einzelnen Oeff- nungsschliigen macht es einen deutlichen Unterschied, ob der Induk- tionsstrom aufsteigend oder absteigend gerichtet ist; im ersteren Falle liegt die Grenze, bei welcher der Effekt des Katelektrotonus sich umkehrt, am niedrigsten, offenbar, weil dann die eigentliche Reizstelle, d. h. die Kathode des Induktionsstromes, mit der Kathode des polarisirenden Stromes zusammenfi~llt.

Der absolute Werth der polarisirenden Str0me, bei welchem der Katelektrotonus unterdrackend wirkt, ist keineswegs sehr hoch. Bei vereinigten Strecken und nicht zu langer Intrapolarstrecke (etwa 7 mm) genilgt schon ein Bruchtheil eines Daniell, z. B. 1 Daniell

1) Ueber eine kleine iModifikation an diesem Apparat siehe dies Archly

Bd. 71 S. 245, Anm. 1898.

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mit 10 his 100 Ohm Nebenschliessung. Bei 1--3 mm Zw~schen- strecke k(~nnen mehrere Elemente erforder]ich werden, lch babe mich iiberzeugt, dass, wenn z w ei l~eizstrecken yon verschiedenem Abstande angebracht werden, bei geeigneter Starke des polarisirenden Stromes die Wirkung der ni~heren unterdriickt, die der entfernteren wie gewShnlieh erhiiht ist.

Von Wichtigkeit ist ferner folgende, oft gemachte Beobachtung. War zur Unterdrt'~ckung der Wirkung eine hohe Stromsti~rke nSthig, so kommt man, wenn der Versuch nach kurzer Zwischenzeit wieder- holt wird, hi~ufig mit sehr viel schwt~cheren StrSmen aus; die unter- driickende Wirkung des Katelektrotonus hat also unter Umsti~nden eine gleichsinnige _Nachwirkung. Ferner sei hervorgehoben, dass, wi~hrend die normale Erh0hung der Erregbarkeit nach Oeffnung des polarisirenden Stromes vori~bergehend einer Herabsetzung Platz macht, die unterdrtickende Wirkung niemals nach der Oeffnung in eine Erh0hung ilbergeht, sondern bei den schwi~chsten unterdrt~ckenden StrSmen nach tier Oeffnung sofort der gewShnliche Zustand sich ein- stellt, bei sti~rkeren meist die Erregbarkeit noch kurze Zeit nach der Oeffnung unterdriiekt bleibt.

Alles Gesagte bezieht sich nur auf minimale und submaximale Reizsti~rken. Die Wirkung starker Reize wird niemals dutch den infrapolaren Katelektrotonus beeinflusst. Erwi~hnt sei noch, dass die Umkehrung der Katelektrotonus-Wirkung sich stets in roller Unter- drilckung, nie in blosser Herabsetzung der Reizwirkung ausserte,

Bei aufsteigenden StrSmen (infrapolarer Anelektrotonus) zeigt sich hie eine Abweichung yon dem gew0hnlichen Verhalten. Bemerkt sei noch, dass bei vereinigten Strecken es vorkommen kann, class die unterdrt~ckende Wirkung des Katelektrotonus bei so schwachen Str6men auftritt, dass dieselben bei umgekehrter (aufsteigender) Richtung noch keinen deutlichen Einfluss des Anelektrotonus machen.

Zuni~chst wird man aus diesen Versucben den Schluss ziehen milssen, (lass der Katelektrotonus yon einer gewissen HShe ab die Kathodenstelle selbst und deren nitchst angrenzenden extrapolaren Bereich unerregbar macht. Far den angrenzenden intrapolaren Be- reich babe ich schon vor langer Zeit nachgewiesenl), dass dessert Reizung in Folge yon Leitungsunfithigkeit tier Kathodenstelle wir- kungslos bleibt. Die Kathodenstelle kann aber, wie die hier mit-

1) Dies Archly Bd. 7 S. 354. 1873; Bd. 10 S. 226. 1875.

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getheilten Versuche ergeben, nicht nur leitungsunf/~hig, sondern auch unerregbar werden.

Ich habe diese vor drei Jahren angestellten Versuche bisher nicht verSffentlicht~ well es mir wilnschenswerth schien, ihr Ergebniss noch durch weitere Untersuchungen zu sichern. Es ist bekannt, wie leicht auf diesem Gebiete IsolationsstSrungen zu Fehlern Anlass geben k/)nnen, Auf diesen Punkt war allerdings in meinen Ver- suchen schon alle Aufmerksamkeit verwendet worden; vor Allem wurde w~thrend des eigentlichen Versuches der Glaskasten der feuchten Kammer stets abgenommen und sorgfaltig darauf geachteL dass nicht etwa feuchte Beschl~ge, wie sie sonst leicht auftreten, vorhanden waren. Aber eine Art yon IsolationsstSrung, so kann man es wenigstens bezeichnen, wird durch die elektrotonischen Stromzweige selbst bedingt, far welche die sekundare Spirale des Reizstromes einen ableitenden Bogen herstellt. Es ist schlechter- dings nicht zu ~ermeiden, dass der Elektrotonus wie ein selbst- st/~ndiger Strom die Reizstrecke durchfliesst. In unserem Falle (ira infrapolaren Katelektrotonus) ist derselbe absteigend gerichtet, und die Unterdrt~ckung kSnnte mSglicherweise daher ri~hren, dass die proximale erregende Elektrode zugleich Anode des elektrotonischen Stromes ist. Theoretisch freilich ist es hSchst unwahrscheinlich, class der elektrotonische Strom, welcher als Abgleichung vorhandener Polarisationen betrachtet werden kann, selbstst~ndig polarisirend wirken kSnnte; abet dies wird nicht ausreichen, jenen Verdacht zu beseitigen. Um seine Bedeutung experimentell zu entscheiden, ver- fuhr ich in einem Theile der Versuche so~ dass in den Kreis der sekundaren Spirale ein Galvanometer aufgenommen wurde, an welchem, sobald die zur Unterdrackung der Erregung eribrderliche Stromst/~rke fest~'estellt war, die elektrotonische Ablenkung (ohne Reizung) abgelesen und mittels des Kompensators kompensirt wurde. Hierauf wurde, indem einfach die Kompe.nsatorwippe umgelegt wurde, ein dem Elektrotonus genau gleicher Strom durch die Reizstrecke geleitet und nun nachgesehen, ob dieser far sich (d. h. ohne Durch- strSmung der intrapolaren Strecke) etwa die Reizwirkung unter- driickte. Dieser Strom zeigte nun niemals irgend einen Einfluss auf den Reizerfolg; jener Verdacht ist also unbegr~ndet.

Wenn man, wie in einem Theil der oben mitgetheilten Ver- suche, die Reizstrecke unmittelbar an die durchflossene Strecke heranschiebt, so ist noch ein zweiter Einwand mSglich. Die untere

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Elektrode der durchflossenen Strecke (in unserem Falle die Kathode) ist ni~mlich jetzt unmittelbar durch die sekundi~re Spirale hindurch metallisch mit der distalen Reizelektrode verbunden~ wir haben also eine verzweigte Kathode, und die Reizung findet faktisch in der Zwischenstrecke beider Kathoden, also gewissermassen intrapolar statt, und es lasst sich nicbt i~bersehen, welchen Einfluss etwa dieser Umstand auf das Ergebniss haben kann.

Es erschien deshalb sehr wtinschenswerth, die Fehlerquellen der elektrischen Reizung ganz zu beseitigen, indem man zur m e c h a- n i s chen Reizung ilberging. Ich habe daher einen einfachen Apparat far mechanische Reizung konstruirt, welchen Fig. 1 im Aufriss und Fig. 2 im Grundriss in halber natiirlicher GrSsse darstellt.

L

Q D

@

f

z

A I

Fig. 1.

Fig. 2.

A ist ein schwerer parallelepipedischer Bleiklotz, auf welchem die Messingplatte /~ befestigt ist. Letztere tri~gt mittels der kurzen Si~ule C und des verschiebbaren Triigers D die dilnne Elfen- beinlamelle f, unter deren freiem Ende das abgerundet konische Elfenbeinhi~mmerchen h angebracht ist. Letzteres schwebt fiber dem

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Elfenbeinamboss a , dessen oben ausgeschnittene Gestalt leicht er- kennbar ist. Der messingene Trigger E hat einfache Axenlager ffir die beiden in einander greifenden Zahnrader t uncl u und ft~r den Stellhebel r s . Die Axe des unteren Zahnrades t ist nach vorn ver- langert und endet mit dem Drehknopf g. huf die Axe des oberen Zahnrades u ist eine Scheibe mit den beiden Messingstiften d und d'

aufgesetzt, welche, wenn man den Knopf g nuch links dreht, unter das Ende tier federnden Lamelle f greifen, dieselbe etwas heben und dann herunterschnellen lassen. Das Herabschnellen wird abet (lurch den sti~hlernen Stellhebel r s gehemmt, der in dem Trigger E eine horizontale Axe hat und dessert hakenfSrmig abgebogenes Ende r unter die Elfenbeinlamelle greift. Das andere Ende s des Stellhebels geht durch die Federbi~chse 2 ' , wo es zwischen der kri~ftigen Spiralfeder V und dem unteren Ende der Mikrometer- schraube z liegt. Mittels dieser Schraube lasst sich das Hebelende r sehr fein einstellen und hierdurch die Sti~rke des Schlages, welchen das herabschnellende Hammerchen h dem durch den husschnitt des Ambosses a gezogenen ~erven AT ertheilt, iiusserst genau reguliren. Man erreicht leicht und sicher, dass jeder Schlag dieselhe sub-

maximale oder minimale ZuckungsgrSsse hervorbringt. Erst in diesem Sommersemester gelangte ich dazu~ die erforder-

lichen Versuche mit dieser Vorrichtung~ sowie eine vervollkommnete Wiederholung meiner frfiheren elektrischen Reizversuche durch Herrn A. W. T s c h i t s c h k i n ausffihren zu lassen.

2. Versuche yon Dr. Tschitschkin.

a) V e r s u c h e m i t m e c h a n i s c h e r R e i z u n g .

Der mir yon Herrn Professor H e rm a n n iibergebene mechanische Reizapparat wurde auf die Glasplatte der feuchten Kammer gesetzt und zwei RShrenelektroden mit Thonspitzen so nahe wie mSglich herangeschoben. Der Amboss a ist nach vorn und hinten derartig abgeplattet, dass man, wenn der Froschischiadikus (in den Figuren mit AT bezeichnet) aufgelegt ist~ mit der Thonspitze der ni~chsten polarisirenden Elektrode his auf etwa 1 mm yon der Schlagstelle an diese heranrticken kann. Der ~Terv wurde nur yon den Thon- spitzen und dem Amboss getragen und lag sonst nirgends auf; das Pri~parat bestand nicht wie in den Versuchen des Herrn Professor H e r m a n n aus dem Gastroknemius am Zuckungstelegraphen, son-

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dern aus dem ganzen Unterschenkel, welcher auf einer Korkplatte befestigt war~ dieses einfache Praparat ist besonders geeignet zur Wahrnehmung und Vergleichung der Beugezuckungen auf minimale Reize. Die schon oben erwahnten Vorsichtsmassregeln hinsichtlich der Isolation und tier Vermeidung feuchter Beschlage wurden streng beobachtet.

Es gelang mir sehr leicht, an jedem Pri~parat mittels der Schraube z die wtinschenswerte Stiirke des mechanischen Reizes her- zustellen, welche sich sehr konstant erwies.

Der absteigende Strom bewirkte, sobald er einige St~trke erreicht hatte, schSne und deutliche ErhOhung der Wirkung des mechanischen Reizes; yon einer gewissen Stgrke des polarisirenden Stromes ab, welche um so geringer ist, je n~ther die Kathode mechanisch gereizt wird, tritt jedoch statt tier Erh0hung regelmassig Unterdriickung (niemals blosse Herabsetzung) tier Reizwirkung ein.

Mit den schw~chsten Striimen kommt man nati~rlich aus, wenn die mechanische Reizung mit tier Kathode selbst zusammenfi~llt. Um dies zu erreichen, wurde die Schlagfliiche des Elfenbeinambosses mit einem Bli~ttchen Fliesspapier bekleidet, welches mit physiologischer KochsalzlOsung befeuchtet war. Dies Papierstiickchen setzte sich an der hinteren Ambossflache vertikal nach unten ein wenig fort, und hier wurde ihm die Thonspitze der unteren polarisirenden Elektrode angelegt. Der Erfolg war der schon angegebene.

Ich theile aus meinen Versuchsreihen einige wenige als Beispiel mit. Die stets erregbarkeitsherabsetzende Wirkung des aufsteigenden Stromes ist nieht erw~hnt. Alles bezieht sich also auf absteigenden Strom. p q ist die Li~nge der durchflossenen Strecke, q r die Ent- fernung zwisehen der Stelle r der mechanischen Reizung und der unteren Elektrode q. Kette stets 1 Daniell mit einem StSpsel- rheostat (Siemens-Einheiten) als Nebenschliessung.

B e i s p i e l 1. 2 q ~ 5, q r ~ 3 ram. Erhi~hte Erregbarkeit yon 0,1 bis 18 S.-E. ; yon 20 S.-E. ab Unterdrilckung der l%iz- wirkungen.

B e i s p i e l 2. p q ~ 7, qr ~-- 3 ram. Ebenso; die Unterdrt~ckung beginnt bei 25 S.-E. Nebenscht.

B e i s p i e l 3. p g - ~ 4, q r ~ 0 ram. ErhShung yon 0,1 bis 4 S.-E.; yon 5 S.-E. ab Unterdrackung.

B e i s p i e l 4. 19q--~ 7, q r ~ 0 ram. Ebenso; die Unterdrtickung beginnt bei 4 S.-E.

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60 L. Hermann and A. W. Tschitschkin:

Die Unterdri~ckung hat, wie schon yon Herrn Professor H e r - m a n n mit elektrischer Reizung beobachtet, eine kurze, gleiehsinnige Nachwirkung, welche sich auch darin i~ussert, dass kurze Zeit nach einem Unterdriickungsversuch die Grenze der Stromintensitat, bei welcher Unterdrilckung eintritt, etwas tiefer tiegt, als zuvor.

b) V e r s u c h e mi t e l e k t r i s c h e r R e i z u n g .

Mit der Besti~tigung der Umkehrung der katelektrotonischen Wirkung in der n~chsten ~'i~he der Kathode durch meine Versuche mit mechanischer Reizung war eigentlich meine wesentliche Aufgabe erledigt, welche ja nur darin bestand, die oben angedeuteten Fehler- quellen der elektrischen l~eizversuche mit Sicherheit auszuschliessen. Ich habe aber doch nicht unterlassen, auch die elektrisehen Reiz- versuche zu wiederbolen und nach einigen Richtungen zu erweitern.

Vor Allem bemi~hte ich mich, diejenige Intensit~t des polari- sirenden Stromes, bei welcher die Umkehrung eintritt, in absolutem Maasse festzustellen. Da dieselbe nur selten 1/lOO Milli-Amp~re

iibersteigt, so konnten die absolut graduirten Milli-Amp~remeter, welche das Institut besitzt, nicht verwendet werden. Ich verfuhr daher so, dass ich in jedem Einzelversuche den Widerstand der

durchflossenen Nervenstrecke sammt Elektroden (w2) nach dem W h e a t s t o n e' schen u bestimmte ; da der Widerstand der Nebensehliessung (wl) aus dem Versuche unmittelbar hervorging, und derjenige des Kettenkreises (w) ein ft~r Mlemal bekannt war (es wurde ein stets gleich behandeltes D a n i e I l ' sches Element ver- wendet), so konnte die Intensiti~t im ~ervenkreise (ie) leicht nach

der bekannten Formel Ewl

w w I -+ ww.~ -q- waw~

berechnet werden, welehe in unserem Falle wegen der GrSsse yon

w2 in die etwas einfachere Ew~

i~ - - (w + wl)w~

iiberging. Bei den Versuchen mit unmittelbarer Vereinigung der durch-

flossenen und der Reizstrecke habe ich~ um das oben S. 57 an- geffihrte Bedenken zu beseitigen~ in den Kreis der sekundi~ren Spirale einen sehr grossen Widerstand aufgenommen~ n~mlich mehrere Hunderttausend Ohm, theils mit Hilfe eines Rheostaten, theils mittels

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eines langen dOnnen Heberrohres, welches mit ZinksulfatlSsung ge- fiillt war und in welches zwei gut amalgamirte Zinkdr~hte ein-

tauchten. Endlich habe ich in sehr zahlreichen Versuchen die Reizstrecke

durch Umlegen einer Wippe mit einem Galvanometer verbunden und mich aberzeugt, dass dieselbe w~ihrend der Schliessung des polarisirenden Stromes richtigen Elektrotonus zeigt.

Meine Ergebnisse lassen sich in Folgendem kurz zusammenfassen. An den untersuchten FrSschen (wie bei den H e r m an n'schen

Versuchen durchweg SommerfrSsche) gelang es fast ausnahmslos, zu best~tigen, dass der absteigende Strom yon einer gewissen Intensitat ab statt der ErhShung eine Unterdrtickung der Wirkung zur Folge hat, wenn die Reize minimal sind. Lag die Reizstrecke mehrere Millimeter yon der durchflossenen entfernt, so land ich in der Regel mehrere Elemente erforderlich, um die unterdrUckende Wirkung zu erhalten. Bei Abstand 0 dagegen geniigt stets 1 Daniell mit Nebenschliessung.

Auf den letzteren Fall habe ich meine Bestimmungen des ab- soluten Werthes der Stromstarke beschr~nkt, weil man ja nur bier den eigent!ichen Grenzwerth erhalt; class dieser mit der Entfernung bis nnendlich zunehmen muss, ist selbstverst~ndlich, und quantitative Bestimmungen warden hier nut ein Mittel sein, das Gesetz der Ab- nahme des Elektrotonus mit zunehmender Entfernung indirekt zu ermitteln, was auf anderen Wegen viel leichter und l~mgst geschehen ist. Um den wirklichen Werth des Stromes zu ermitteln, welcher an der Kathode selbst Unerregbarkeit hervorbringt, habe ich den erregenden OeffnungsinduktionsstrSmen aufsteigende Richtung gegeben (vgl. oben S. 54). Die durchflossene Strecke war 11/2--4, die un- mittelbar angrenzende Reizstrecke 1--2 mm lang.

Unter 17 solchen Messungen des Grenzwerthes land ich im Minimum 0,001,: im Maximum 0,012 Milli-Amp~re; der Minimalwerth kam fi~nfmal vor. Das Mittel aller Bestimmungen war 0~0051 Milli- Ampere. Bemerkt sei noch, class ich einige Male an ganz frisch eingefangenen FrSschen schon bei den schw~ichsten StrSmen~ welche tiberhaupt Wirkung batten, Unterdrt~ckung der Erregung erhielt.

UnmSglich konnte diese Umkehrung der Wirkung des Kat- elektrotonus, unter den einfachsten Verh~ltnissen, namlich infrapolar, so leicht feststellbar, den friiheren Beobachtern entgehen, und so

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62 L. H e r m a n n und A. W. T s c h i t s c h k i n :

finden sich denn auch in der Literatur, welche in H e r m a n n ' s Handbuch zusammengestellt ist~ mehrfach entsprechende Angaben, welche aber keine allgemeine Beachtung fanden, weil man Fehler vermuthete. In unseren Versuchen, besonders mit mecbanischer Reizung, weiss ich aber keine Feblerquelle zu entdecken. Nur das muss vorlaufig festgehalten werden, dass sowohl Herrn Professor H e r m a n n ' s als meine Versuche an SommerfrSschen angestellt sind und an Winterfr~schen mSglicherweise die Erscheinung weniger leicht auftritt.

Die neueste VerSffent]ichung, welche Aehnliches enthalt, ist eine im Wiener physiologischen Institut ausgefahrte Arbeit yon Z a n i e - t o w ski 1). Der Verfasser sah allerdings die Umkehrung der kat- elektrotonischen Wirkung erst im Verlaufe der DurchstrSmung nach vorhergehender normaler Wirkung sich einstellen~ was ich nur aus- nahmsweise beobachtet babe. Er drilckt das Ergebnis so aus, dass der Bereich des Anelektrotonus sich bis aber die Kathode hinaus erstreckt. Diese Auffassung des Sachverhaltes, welche fibrigens schon yon E n g e l m a n n ~) und ganz neuerdings yon L h o t ~ k v. L h o t a 8) geltend gemacht worden ist, erscheint mir jedoch unm~glich. Erstens ist es, wenn der Elektrotonus eine Po]arisationserscheinung ist, pbysi- kalisch undenkbar, dass die positive Polarisation ~ber die Kathode hinausgeht; wo sollte denn dann der Strom aus den l~ervenfasern austreten, d. h. die physiologische Kathode liegen? Zweitens miisste, wenn diese Vorstellung richtig ware, der elektrotonische Strom der zwischen den Reizelektroden liegenden ~ervenstrecke eine verkehrte Richtung haben, whhrend er, wie wir unendlich oft konstatirt haben, stets richtig ist. Drittens sind, wie wir gesehen haben, die zur Her- beifahrnng der Umkehrung erforderlichen StrSme durchaus nicht stark, also eine excessive Verschiebung des Indifferenzpunktes an- zunehmen kein Anlass. Endlich hinterlasst die anelektrotonische Erregbarkeitsherabsetzung stets ErhShung, w~hrend in unseren Ver- suchen die bTachwirkung stets in Herabsetzung bestand.

Ich glaube also, dass es der Katelektrotonus selbst ist, welcher bei einem gewissen Grade seiner Entwicklung, welcher natfirlich an

1) Sitzungsber. d. 5sterr. Akad. Math.-naturw. Klasse~ Abth. 3 Bd. 106

S. 183. 1897. 2) Dies Archiv Bd. 3 S. 409. 1870. 3) Bull. internat, de l'acad, d. sc. d. Boh~me. 1898. Sep.~Abdr.

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der Kathode selbst am leichtesten eintritt, eine Erregung, wenigstens fiir schwache Reize, unmSglicht macht. Man kann sich die Sache

etwa so vorstellen, dass die negative Polarisation in diesem Falle nahezu ihr Maximum erreicht hat, so dass eine ErhShung der Ne- gativitiit~ welche ja mit der Erregung innig verbunden ist, nicht leicht erfolgen kann. Aehnlicb hat schon 1872 H e r m a n n das

Scheitern der Erregung an der Kathode zu erkli~ren versucht.

Zum Schluss ist es mir eine angenehme Pflicht, Herrn Professor H e r m a n n meinen innigsten Dank, sowohl ftir seine liebenswtirdige Erlaubniss, in seinem Institut zu arbeiten, als far seinen vielfachen Rath und stetige Anregung bei dieser Arbeit auszusprechen.

Auch danke ich Herrn Dr. 0. W e i s s herzlichst fiir seine freundliche, mir vielfach geleistete Unterstiitzung bei dieser Arbeit.