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Machenschaften von Facebook
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ISoziale Netzwerke 1 _
SASCHA AOAMEK
Die Facebook-Falle Wie das soziale Netzwerk unser Leben verkauft
Dass ich mich überhaupt für Facebook zu interessieren begann, hatte damit zu tun, dass Facebook sich im Dezember
2009 plötzlich für mich interessierte. Damals fand ich in meinem E-MailKonto zwei Einladungen vor, im Namen zweier Freunde abgesendet von Facebook. Es waren Freunde aus meinem realen Leben - daher nahm ich an, dass sie hinter den Einladungen steckten.
Als irgendwann ein dritter Freund hinzukam, rief ich die Leute an und sagte ihnen, dass ich gern ihr Freund sei, aber nicht auf Facebook. Die Serie der Einladungen riss trotzdem nicht ab. Irgendwann stand unter einer dieser EMails der Satz: "Weitere Personen auf Facebook, die du vielleicht kennst." Die Sache wurde mir allmählich unheimlich. Denn dort tauchten wieder die Freunde auf, die mich bereits erfolglos eingeladen hatten, sowie ein Professor Heinz G., an den ich mich nur noch dunkel erinnern konnte. Der Professor hatte einige Jahre zuvor versucht, mich per E-Mail zu einem Fernsehbeitrag zu animieren - ein beruflicher Kontakt, der bereits nach wenigen Wochen wieder abriss. Und davon wusste Facebook offenbar. Wie war das möglich? Ich rief Heinz G. an und fragte ihn, wie er dazu komme, Facebook meine E-MailAdresse mitzuteilen. Schweigen am anderen Ende der Leitung. Mein Gegenüber hatte nicht den blassesten Schimmer, was ich von ihm wollte. Als ich ihm die Sachlage schilderte, räumte er kleinlaut ein, dass sein Sohn für ihn die Facebook-Seite betreue und er selbst nicht viel damit zu schaffen habe. Dass sein Sohn jedoch meine Kontaktdaten an Facebook weitergeleitet habe, könne er sich nicht vorstellen.
Mit der Zeit erfuhr ich, dass Facebook vielen Leuten solche merkwürdigen Einladungen schickt, und so beschloss ich, mich intensiver mit diesem "sozialen" Netzwerk zu beschäftigen und der Frage nachzugehen, warum sich das USUnternehmen so eifrig in unserer Privatsphäre zu schaffen macht. Aber wie stellt es das an? Die Antwort hat viel mit der Legende als "Freundesnetzwerk" zu tun, mit der sich dieser mittlerweile auf mehr als 50 Milliarden US-Dollar geschätzte Kommunikationskonzern erfolgreich versieht. Was früher noch alternativ und jugendlich angehaucht war, gehöre heute einfach dazu. So hat Facebook eine simple Funktion, zu der es uns permanent einlädt: "Durchsuchen deines E-MailKontos ist der schnellste Weg, um deine Freunde auf Facebook zu finden," Es folgt die Aufforderung: "E-Mail-Passwort eingeben", Damit gemeint ist das Passwort unseres gewöhnlichen, E-Mail-Kontos und damit eigentlich ein Tabu für jeden Internernutzer, denn seien wir ehrlich, das E-Mail-Passwort überlassen wir nicht
einmal unseren Lebenspartnern. Bei Facebook tun das Millionen, und der Konzern verspricht treuherzig: "Wir werden dein Passwort nach dem Import der Informationen deiner Freunde nicht speichern," Nachdem wir also das getan haben, ermöglichen wir Facebook, einen tiefen Blick in unsere Adressbücher zu werfen, samt aller sonstigen Aufzeichnungen wie Geburrsdaten, Postadressen oder NOtizen zu dieser Person. Namen lind E-MailAdressen beschafft sich Facebook auf diese Weise, um dann in unserem Namen an diese Nicht-Mitglieder heranzutreten. Ich nenne das aggressive Werbung - deutsche Datenschürzer nennen das rechtswidrig, denn auf diese Weise gelangt Facebook an die Daten von Menschen, die vielleicht nie im Leben etwas mit dem Netzwerk zu tun haben wollen, und das, ohne dass diese etwas davon ahnen, geschweige denn um ihr Einverständnis gefragt wurden.
Der technische Vorgang dieser gigantischen Datenübertragung an ein Unternehmen mit Sitz in Pa10 Alm, Kalifornien, hat mich neugierig gemacht. Im Institut
34 1 Die Facebook-Falle 2. Quartal 2011Hintergrund
Soziale Netzwerke
für Internersicherheit der Fachhochschule Gelsenkirchen sagte man uns Unterstützung zu. Ein brisanter Test entlarvt eine Sicherheitslücke. Dazu bauten die Informatiker Marco Smiatek und Malte Woelky eine Versuchsanlage, in der sie den Datenabfluss aus dem iPhone genauestens kontrollieren konnten. Zunächst meldeten sie eine fiktive E-Mail-Adresse an, samt geheimem Passwort, mit dem wir den Zugang zu unseren E-Mails gegen andere schützen können. Dann gaben sie erfundene Daten in das fiktive Adressbuch ein, Daten von Freunden, die keine Facebook-Mitglieder waren. Einen Freund nannten wir Max Mustermann, dessen Freundin Paula Irgendwas. Zu Max Mustermann notierten wir außerdem: "Sucht neuen Arbeitgebel'. Abwerben möglich. Ist sehr geschwätzig." Und nebenbei gaben wir noch weitere Kontakte intimerer Art ein: "Sexy Schnitte", mit einer erfundenen Mobilnummer. Die Experten luden nun die Kontaktdaten 1.1.1 Facebook hoch. Eigentlich müssen diese Daten in dem Moment, wo sie unere Quelldateien verlassen, samt PasSWOrt
verschlüsselt und damit unsichtbar für . ußenstehende werden. Dann fingen die lnformatiker die gesendeten Daten ab, um zu sehen, ob sie tatsächlich verschi üsselt ': rden waren. Zuerst probierten sie es mit
cinem einfachen Kodierungs- bzw. Deko'tIungsprogramm, Base-64, das zum
Beispiel der technischen Umformatierung E-Mail-Anhängen dient. Ein einfaches
_rogranun, das jeder kostenlos im Inter: herunterladen kann, wenn er es nich t
U auf seinem Rechner hat. Mithilfe Programms versuchten sie nun, die
Die beliebtesten sozialen Netzwerke davon, ob wir die Da
~ .... 1;;: [:';;>, fnlerr:e:nu:zer In % _ angemeldet aktiv' ten aus dem iPhone, Facebook r-------------..42"...--............ 47 über Outlook, über
,"=====::;=:;;;;;;;;;;;;;;:::----"'=-=---j% schülerVlJ51udiVlJmeinVZ ~(~~~~~1~9~~~~ 27 E-Mail-Portale wie
Stayfnend5 ~ 11 27 WEB.DE oder jeden
Wer kennt wen ~:;:::::::::;~=-~18:..- ..._. 24 anderen E-Mail-Pro-Xing ( vider auslesen ließen. .9 Twitler~7 Über diesen Skandal
MySpace~7 berichtete ich gemeinJappy~5 sam mit meiner Kol
Lokalisten ~ 5· legin Monika. WageJ..---=-=-----jla"ale Comrnumty ~ 3 ner im Mai 2010 im
Son51ige (,-__'",O~__.17 ARD-Magazin Mo'.~~~ OGbOUs Qw~ Pi1kom (2011) MennachnonnUllQen 'zumindest gelQgenUtch nitor. Der Facebook-
Daten sichtbar zu machen. Das Ergebnis war ebenso erstaunlich wie niederschmetternd. Das Programm spuckte die eingegebenen Daten eins zu eins wieder aus. In den Datenströmen fanden sich sämtliche Details aus dem Adressbuch wieder: nicht nur E-Mail-Adresse, Telefonnummer und Name von Max Mustermanns Freundin Irgendwas, sondern auch der Vermerk über seine Geschwätzigkeit und die Suche nach einem neuen Arbeitgeber. Und natürlich auch die "Sexy Schnitte" samt lesbarer Mobilnummer. Wer seine Kontakrdaten an Facebook hochlädt, übergibt dem Nerzwerk damit sämtliche vertraulichen Informationen aus seinen Adressund Kontaktdateien. Der Test der beiden Informatiker förderte zugleich ein weiteres für Facebook nicht gerade schmeichelhaftes Ergebnis zutage. Während Facebook in seinen Datenschutzrichrlinien verspricht: "Wenn du vertrauliche Daten, wie z.B. Kreditkartennummern und Passwörter, eingibst, werden diese Informationen mithilfe der SSL-Technologie (Secure Socket Layer) von uns verschlüsselt", schüttelten die Informatiker ungläubig den Kopf, als es ihnen mit dem einfachen Base-64-Programm nicht nur gelang, alle übertragenen Daten, sondern sogar das E--Mail-Passwort - für jeden Internetnutzer ein kleines Heiligtum - wieder lesbar zu machen. Von der zugesicherten Verschlüsselung kann also keine Rede sein.
"Wir gehen davon aus, dass die Entwickler bei der Online-Einführung des Dienstes die SSL-Verschlüsselung einfach vergessen haben", sagte Malte Woelky. Die Sicherheitslücke betraf die gesamte
Funktion "Freundessuche", unabhängig
Konzern reagierte unmittelbar nach der Sendung auf die Veröffentlichung des Tests und schloss die Sicherheitslücke noch in derselben Nacht. Das allerdings, so habe ich es während der Recherchen zu meinem Buch erfahren, gehört zu den Grundstrategien dieses Konzerns. Erst auf öffentliche Kritik wird reagiert - manchmal entschuldigt sich der FacebookGründer und Vorstandsvorsitzende Mark Zuckerberg öffentlich, um dann trotzdem die gleichen Wege weiterzuverfolgen.
Sicherlich ist Facebook auf den ersten Blick sehr nutzerfreundlich, sprich: einfach bedienbar. Doch genau darin liegt häufig die Tücke. So sucht Facebook zwar
potenzietl verloren gegangene "Freunde" für uns, im Grunde dient es aber seiner eigenen Expansion. Eine Strategie, die aufgeht, denn längst marschiert das Netzwerk auf die Marke von weltweit 600 Millionen Mitgliedern zu - wäre Facebook ein Land, wäre es das drittgrößte dieser Erde. Und bei dieser Expansion gehört es dazu, dass der Konzern auch die Daten von Nicht-Nutzern ins Visier nimmt. Sollte sich unter den Leserinnen und Lesern des Hinterg1'Und auch der eine oder andere einmal auf die Seiten von Bild.de verirren, so sollte er sich darüber im Klaren sein, dass auch Nicht-Mitglieder von Facebook auf diesem Wege von Facebook ins Visier genommen werden können. Dieser Trick führt über einen kleinen Knopf, den neben Bild.eIe mehrere Hunderttausend Partnerseiten von Facebook integriert haben. Er zeigt einen kleinen weißen, nach oben gerichteten Daumen und darunter steht "Gefällt mir" oder "Empfehlen". Es handelt sich um eine Kernidee von Facebook - denn hier können Facebook-Mitglieder direkt ihr Gefallen äußern -, das wiederum meldet das System auf den Seiten ihrer Freunde, die nun wissen, dass mir dieser oder jener Bericht "gefallen" hat, dieses oder jenes Produkt, ein Song, ein Film oder ausnahmsweise eine Facebook-Seite eines Politikers. Auf diese Weise werben wir "unter Freunden", was natürlich für wirkungsvoller gehalten wird, als wildfremde Werbungen. Denn seien wir ehrlich: Gibt es eine glaubwürdigere Werbung als die durch unsere Freunde? Diese Strategie heißt im Werberjargon "Empfehlungs
2. Quartal 2011 Die Facebook-Falle I 35Hintergrund
I Soziale Netzwerke I
Facebook-Datenzentrum ..
marketing". Nun gut, sollte man den
ken, das kann man ja mitmachen oder es bleiben lassen, und bedienen kann diesen
Knopf auch nur, wer Facebook-Mitglied
ist. Allerdings können mit diesem ButtOn noch andere Funktionen verbunden
sein, von denen Nicht-Mitglieder von
Facebook auch nicht das Geringste ahnen. Das führte mir bei einem Besuch
der Datenschutzbehörde von SchleswigHolstein die Informatikerin Marit Han
sen vor. Sie will mir etwas zeigen, das vor allem Nicht-Mitglieder von Facebook
betrifft. Sie hat an ihrem PC keinen Facebook-Account. Sie ruft einfach die Seite
von Bild.de auf. Anschließend überprüft sie, ob Cookies auf ihren PC heruntergeladen wurden, und ist überrascht: Schon bei einem einfachen Klick auf die Bild.deSeite platzien Facebook zwei Cookies auf
ihrer Festplatte, ohne dass sie zuvor den Empfehlungsbutton angeklickt hätte. Cooldes sind weit verbreitet in der Netzwelt. Wenn ich eine \Vebsite aufrufe, nis
ten sich diese Miniprogramme in meinem
PC ein. Sie melden dann jeden meiner weiteren Besuche auf der Website dem
Absender. Bei den Cookies, die Marit Hansen identifizierte, handelt es sich um
sogenannte persistente Cookies, die für
längere Zeit - in diesem Fall zwei Jahre auf der Festplarre bleiben. Für Facebook
s,ind sie Gold wert, denn sie markieren Benutzer eindeutig und ermöglichen eine
Wiedererkennung. Im Fall von Facebook sind die Cookies aber noch wirksamer,
denn wenn ich auf eine andere mit Fa
36 1 Die Facebook-Falle
cebook verbundene Seite klicke, erfähn
das Facebook ebenfalls. "Facebook kann über zwei Jahre sehen, wo ich mich im Netz aufhalte, auf welcher Webseite ich
aktiv bin", resümiert Marit Hansen. Bei vielen Internetdiensten verlängert sich
der Aufenthalt der Cooldes mittlerweile
bei jedem neuen Aufruf innerhalb der
Zwei-Jahres-Frist um weitere zwei Jahre. Allerdings
können Google, Amazon und Co. das Netzver
halten nur anonymen IP-Adressen zuordnen. Sie wissen nicht, wer vor
dem PC sitzt. So ist es zwar auch bei Facebook,
aber nur solange man dort nicht angemeldet
ist. Holt man dies eines Tages nach, hat Facebook
bereits jahrelang das eige... in Oregon / USA
ne Netzverhalten ausspä
hen können: "Facebook weiß dann unter Umständen mehr über mich, als ich selbst noch in Erinnerung habe", sagt Marit
Hansen. "Es entsteht ein umfassendes Psycho- und Sozialprofil."
Auf meine wnfassende Anfrage bei Facebook antwortet Facebook mit einem
Satz: "Unseres Wissens werden die IPAdressen von Nicht-Nutzern nicht über
die Social Plugins von Facebook gespei
chert." Ausführlich dagegen antwortet mir die deutsche Facebook-Partner-Web
site Bild.de. Tobias Fröhlich, Sprecher von Bild.de, schreibt, die Kommentarfunktion
Hintergrund
des "Gefällt-mir"- bzw. "Empfehlen"ButtOns biete Bildde-Lesern "einen interessanten Zusatznutzen". Zu der Tatsache, dass Facebook die Website von Bild.de nutzt, um Millionen von Menschen zu
verfolgen, die gar nicht bei Facebook angemeldet sind, meinte Fröhlich: "Bild de hat Facebook das Setzen von Cookies
I bei Nicht-Facebook-Mitgliedern nicht ge
stattet. Bild.de bekommt über FacebookCookies keine Rückmeldungen über das
Nutzerverhalten von Nicht-FacebookMitgliedern. Es ist auch nicht im Interesse von Bild.de, Nutzer-Daten über Face
book-Cookies zu sammeln." Offenbar hält Facebook selbst seine Partner nicht
unbedingt auf dem Laufenden darüber, auf welche Weise Facebook die Daten
von Mitgliedern und Nicht-Mitgliedern dieses sozialen Netzwerkes abgreift. Und
erst recht nicht deutsche Datenschutzbehörden, die das von Facebook wissen
wollen. Aufgrund von Beschwerden von I Nicht-Facebook-Mitgliedern über die
merlcwürcügen Facebook-Einladungen
schrieb der Datenschutzbeauftragte des
Landes Schleswig-Holstein, Thilo Weichen, einen Brief an den angeblichen
Datenschutzbeauftragten von Facebook,
Chüs Kelly, in Palo Alto. Weichert berief sich auf Beschwerden von Bürgern, die sich fragten, wie ihre E-Mail-Adressen in
die Datenserver von Facebook gelangt wa
ren. Weichert wollte wissen, wie Face'book Daten von Nicl1t-Mitgliedern speichert
und für welchen Zweck. Und ob Facebook das Netzverhalten von Nutzern verfolgt,
um bei ihnen gezielte Werbung platzieren zu können. Ob das Unternehmen Da
ten an Dritte weitergebe. Thilo Weichert
2. Quartal 2011
__________________________1 Soziale Netzwerke I
Jugend im Netz: Chatten, Mailen, Musik hören 3.:- w'Drirl;gen 12- bis 19-Jahnge taglichO 136 Minuten im Internet. Dafür nutzen sie ihre OnJine-Zeit
Onlme-Communiües lit;!~ti~ 70 %'
Instant Messenger I 63 %
InformatIons Kommunikation Emails empfangen/schicken suche
Challen ..........~!!!.!!..
Musik am Computer horen 'HHHHW'C 58 %
Vidaoportale WWWWWWW 66%
Musik im Internet hören 'C 'C 'C (C 'C 'C 60%
Stöbern in Online-Communities Z. Z. Z. Z. Z. Z. 60%
Spiele Unlerhaltung Suoomaschinen
Wikipedia
Fragen aus dem Alllag recherchieren ? ? ? ? 38%
Newsgroups lesen @@ 22% 'Monlag bis Freitag Oue:le: J1M-SIUCIt 2010
setzte Facebook in seinem Brief eine einmonatige Frist zur Beantwonung seiner Anfrage, nach deren Ablauf er sich "weitere Schritte" vorbehielt. Nach mehreren Ermahnungen erhielt er schließlich drei Monate später von dem neuen Facebook"Datenschutzbeauftragten" Richard Allan aus London eine Antwort auf seine Anfrage. Allerdings handelt es sich bei Allan in Wahrheit um einen ehemaligen britischen EU-Abgeordneten, der seit dem Sommer 2009 Chef-Lobbyist von Facebook für Europa ist. Allans Antwort an Weichen fiel alles andere als zufriedenstellend aus. So fordene er den deutschen Datenschützer gleich zu Beginn auf, ihm die Beschwerdefälle zu nennen, damit er einschätzen könne, ob sich die Fälle erledigt hätten oder ob es erforderlich sei, "sie direkt zu
kontaktieren". Von einer staatlichen Datenschutzbehörde zu verlangen, Daten von Beschwerdeführern an Facebook weiterzuleiten, offenbart, gelinde gesagt, ein sehr laxes Verständnis von Datenschutz.
Richard Allan bestritt übrigens in dem Schreiben, dass Facebook Daten von Nicht-Nurzern sammle. Vielmehr ermögliche das Netzwerk, wie viele andere Internetdienste auch, seinen Nurzern lediglich, Kontakt-Informationen Dritter hochzuladen. Mit dieser Interpretation bewegt sich Facebook auf einem erstaunlichen argumentativen Niveau: Wir Nutzer selbst sind es, die die Daten hochladen, und wir tun es "purely volumarily" - absolut freiwillig. Wir tun es zwar über die Server von Facebook und angeleitet von Facebook, aber Facebook ist nach dieser Logik im Prinzip gar kein eigener
2. Quartal 2011 Hintergrund
ganz persönlichen Bedürfnissen. Wir wollen nicht allein sein, und ein Netzwerk wie Facebook bietet auch dem Einsamen eine Gemeinsamkeit. Die Schweizer Agentur Rod Kommunikation AG unternahm im Jahr 2009 einen bemerkenswerten Versuch mit dem Titel "Facebookless". Über eine eigene Facebook-Seite suchte die Agentur "Facebook-Junkies", die bereit waren, für 30 Tage auf das Netzwerk zu verzichten und ihre Abstinenzerfahrung aufzuschreiben. 50 Facebook-Nurzer im Alter von 17 bis 52 Jahren machten mit und erhielten dafür jeweils 300 Franken. Noch vor Beginn des Experimentes fragte die Agentur die Teilnehmer nach ihrer Facebook-Nutzung und erfuhr, dass diese meist einem täglichen Ritual folgte: morgens vor der Arbeit ein kurzer FacebookCheck und abends die hemmungslose Langzeit-Session. Bei der Frage, was die Teilnehmer angesichts von 30 Tagen Abstinenz am meisten fürchteten, offenbarten die meisten das Hauptmotiv für ihre Facebook-Mitgliedschaft: Neugier. Ein 27-jähriger Mann fürchtete sogar, seine leibhaftige ehemalige Freundin aus den Augen zu verlieren: "Mir wird es im kommenden Monat fehlen, dass ich meine ExFreundin nicht mehr ausspionieren kann und nicht mehr mitbekomme, was in ihrem Leben jetzt so läuft." Mit Liebe und Freundschaft hat das alles herzlich wenig zu tun. Die Probanden sollten auch kurz vor ihrer Abstinenz ihre Gefühle äußern: "Wie wenn ich mein Tagebuch aus der Hand geben würde", schrieb eine 21-jährige Frau. Und eine 52-Jährige teilte mit: "Facebook ist wie ein Fenster zur Welt, und ich bin jetzt nicht am Fenster." Die Ergebnisse des Schweizer Experimentes sind zwar nicht repräsentativ, geben aber doch eindeutige Hinweise auf den starken Einfluss, den Facebook auf das Leben seiner Nutzer ausübt. Sind wir online, folgen wir damit einer schleichenden Sucht und dem sozialen Druck. Dafür spricht auch, dass im Nachhinein fast alle Teilnehmer einräumten, sie seien während ihrer Abstinenz entspannter, ausgeglichener gewesen. Viele gaben auch an, ihre Zeit im realen Leben intensiver verbracht zu haben als zuvor und Facebook nun weniger zu nutzen. Der Soziologe Richard Sennet sagte einmal, dass wir dabei seien, unsere
Die Facebook-Falle I37
ISoziale Netzwerke l
Kulturtechniken zu verlernen: "Rituale, uns mit Fremden wohlzufühlen". Zugleich beginnen wir, uns mit uns selbst zu
langweilen. Weil wir nicht mehr wissen,
wie schön Geselligkeit ist, wissen wir auch
nicht die Einsamkeit zu schätzen. Auf Facebook werden wir Entertainer auf Ge
genseitigkeit. Und so kann das milliardenschwere Netzwerk darauf vertrauen, dass
wir es nicht so schnell verlassen. Denn wer
verlässt schon gerne seine Freunde?
Dieser "Freundschaftsterror" geht mit einer immer umfassenderen Sammlung unserer privatesten, ja, auch intimsten Daten einher. Daten, für die sich übri
gens nicht nur Facebook selbst als Werbevermarkter interessiert, sondern längst
auch Konsumgüterkonzerne. Sie beauftragen Softwarefirmen wie das US-Un
ternehmen Visible Technologies, die gezielt mit Filterprogrammen die Inhalte in
den riesigen Datenströmen interaktiver Plattformen wie Facebook auf Meinun
gen durchforsten. Der Softvvare-Riese habe Visible Technologies zum Beispiel
beauftragt, in Netzinhalten systematisch zu erforschen, wie die globale lnternetge
meinde das neue Programm Windows 7 beurteile, berichtet das Online-Magazin
Wited. Was in sozialen Netzwerken von wem diskutiert wird, lässt auch die CIA
nicht kalt. Und so versorgt Visible Tech
nologies auch die US-Regierung mit Auswertungen. Täglich werden eine halbe
Million interaktive Webseiten durchfors
tet. Das Verfahren nennt sich "opinion mining" - also das Abhören von Meinun
gen - und ist technisch bereits so ausge
reift, dass Sätze, die Menschen im Netz formulieren, semantisch auf ihre Tendenz
analysiert werden: finden Menschen ein Produkt, einen Politiker gut oder äußern sie sich negativ. Visible Technologies ist übrigens ein von der CIA-Firma ~n-Q
Tel mitfinanziertes Unternehmen, für das soziale Netzwerke mit ihren Aberhundert
Millionen Mitgliedern eine unschätzbare Informationsquelle sind. Während der DNI (Director of National Intelli
gence) Open Source Konferenz 2008 in Washington plauderte der damalige
CIA-Direktor Michael Hayden gut gelaunt über den Stellenwert offener Quellen - wie sozialer Netzwerke - .für seinen
Geheimdienst: "Geheime Informationen
38 1 Die Facebook-Falle
sind nicht alles in unserem Beruf, und es macht wirklich Spaß, Probleme mithilfe
von Informationen zu lösen, die Leute so dum m waren, offen ins Netz zu stellen."
Wir sehen, aufFacebook warten nicht nur
Freunde auf uns - insbesondere in den
Ländern der sogenannten "Facebook-Revolten" sind Oppositionelle auch in das
digitale Messer von Regimen gelaufen. So gelang es zwar, via Facebook viele Menschen für Proteste zu mobilisieren, aber
dieser Effekt kann auch ins Gegenteil
verkehrt werden: Der Segen der schnellen Vernetzung kann zugleich zum Fluch
werden. So wurden in Iran 2009 Oppositionelle verhaftet, weil der Geheimdienst ihre Profile mit sämtlichen Aktivitäten
und Verhindungen ausgewertet hatte,
ja, sogar eigene Facebook-Profile angelegt hatte, um Menschen auszuhorchen. Vor dem Sturz von Präsident Ben Ali in
Tunesien gelang es der Regierung durch Phishing-Mails, die Facebook-Konten
vieler Oppositioneller und Sympathisanten zu knacken. Die Leute gaben ihr
Passwort ein und ahnten nicht, dass sie damit direkt auf die Server des Regimes
umgelenkt wurden. Facebook selbst reagierte darauf erst viele Wochen später,
als sich Oppositionelle beschwerten, dass
bestimmte Meinungsäußerungen regelmäßig verschwanden. Solche Beispiele
zeigen in dem gegenwärtigen Hype um Facebook: die Rolle des Netzwerkes ist
politisch janusköpfig und kann auch von autokratischen Regierungen missbraucht
werden. Denn nichts macht uns Menschen so angreifbar wie die ungezügelte
Offenlegung unsere Privatsphäre: in unseren kapitalistischen Industriestaaten für die Datensammelwut von Konsumgüter
konzernen - in Diktaturen .für den Staat. Schon bei unserer Anmeldung auf
Facebook werden wir automatisch ani
miert, möglichst viel von uns preiszugeben: unseren Wohnort, unser Alter, Ge
schlecht oder Beziehungsstatus (Single, verheiratet, geschieden, offene Beziehung oder:"es ist kompliziert"), unsere Position,
Arbeitgeber, Universität. Und permanent
fragt uns Facebook: "Was tust du gerade?" Alles, was wir dort eingeben, verwendet Facebook, um uns zu scannen. Wir tun das alles, um dazuzugehören. Facebook
Mitglieder laden jeden Monat etwa 3 Mil-
Hintergrund
liarden Fotos und 10 Millionen Videos
hoch. Sie verwenden Facebook als digita
les Album. Und pro Tag wird der "Gefälltmir"- oder "Like"-Bunon 3 Milliarden
Mal am Tag angeklickt. Aus diesen vielen Regungen im Netz erfährt Facebook über
die Menschen in 70 verschiedenen Ländern mehr als jemals zuvor eine Organi
sation oder Regierung. Aus diesem Raster bietet es dann der werbetreibenden Wirt
schaft an, gezielte, auf uns zugeschnittene
Werbung zu machen. So kann es anbieten, entsprechende Werbeanzeigen bei Mitgliedern im Alter von 20 bis 30 in Neu-An
spach zu platzieren, die gern Nordic-Walking betreiben, oder bei dem katholischen
Pfarrer, der auf "Frauensuche" ist und sich I, für Viagra interessiert, sollte er jemals so
naiv gewesen sein, das auf Facebook einzugeben. Der werbetreibenden Wirtschaft
schreibt Facebook: "Du solltest Nutzer mit ähnlichen oder verwandten Interessen finden, die zwar dein Produkt nicht aus
drücklich nennen, jedoch an ähnlichen Produkten/Serviceleistungcn interessiert
sind oder deren Lebensstil bzw. Aktivitäten den von dir vermarkteten Produkten
entsprechen." So verkauft Facebook unser
Leben und verdient dabei mehr und mehr
Milliarden. Für das Jahr 2011 prognostiziert der Branchendienst eMarketer Facebook Einnahmen aus der Werbung von 4
Milliarden US-Dollar. 2012 sogar von 5,7
Milliarden US-Dollar. Unsere "Freundschaften" werden zu einem kommerziel
len Ereignis. Dazu passt auch die Aktion, die ein bekannter Burgerbrater vor einiger
Zeit unter dem Titel. "Whopper-Sacrifice" startete: Wer zehn Freunde löschte, erhielt dafür einen Whopper. Der frikadellenbra
tel' hat der Facebook-Freundschafi: damit einen realen Marktwert verschafft: Ein
"Freund" ist ein Zehntel Whopper wert.
Sascha Adamek arbeitet für das ARD-Politikmagazin Mo
nitor. Er ist auch Fernsehautor -. ...
~.zahlreicher Filmdokumentationen. u.a. für die WDR-Sendung Die Story. Gemeinsam mit KimOtto veröffentlichte er ~' .~•2008 das Buch Der gekaufte Staat sowie 2009 den Wirtschahsbestseller Schön reich Steuern zahlen die anderen.
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