Die Form der guten Frage - Johannes Herwig- · PDF file33 Die Form der guten Frage Johannes Herwig-Lempp Zusammenfassung D ie verschiedenen Arten von Fragen spielen beim systemischen

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    Die Form der guten Frage

    Johannes Herwig-Lempp

    Zusammenfassung

    Die verschiedenen Arten von Fragen spielen beim systemischen Ar-beiten eine entscheidende Rolle, sie stellen ein wesentliches Hand-werkszeug fr das Gesprch dar. Daneben kann jedoch auch die Form, in derdie Fragen gestellt werden, Einflu auf den Gesprchsverlauf nehmen. So kn-nen wir zwischen schlieenden Fragen, bei denen z. B. lediglich mit ja odernein geantwortet werden kann, und ffnenden Fragen, bei denen man nicht nurvollstndige Stze, sondern auch ausfhrlichere Beschreibungen erhaltenkann, unterscheiden. Hinzu kommen verschiedene Formen des intensivenNachfragens. Die implizite Macht des Fragenden wird reflektiert und Vorschl-ge zum Training der verschiedenen Frageformen werden unterbreitet.

    KONTEXT 32,1 (2001), S. 3355 Vandenhoeck & Ruprecht, 2001, ISSN 07201079

    Wozu ber Fragen sprechen?

    Wir alle knnen Fragen stellen und tun das auch Tag fr Tag auf dieverschiedenste Art und Weise. Wir stellen Fragen, um Informationen zu erhalten so scheint es auf den ersten Blick. Tatschlich gibt es eine Reihe von weiterenGrnden, die uns dabei leiten knnen: wir knnen fragen, um den Befragten zuprfen oder ihn zu kritisieren, wir wollen ihn vielleicht mit unseren Fragen ein-schchtern oder ermuntern - oder wir transportieren mit ihnen selbst Informatio-nen und eigene Ideen (vgl. Culley 1991; Friedrichs u. Schwinges 1999; Gehr-hardt 1993; Hofmann 2000; Nagiller u. Besenbck 1996). Zuweilen haben Fra-gen den alleinigen Zweck zu provozieren oder ihr Inhalt, die eigentliche Fragealso und die zu erwartende Antwort, spielen selbst gar keine Rolle, sondern esgeht lediglich darum, Kontakt zu bekommen, nett zu plaudern oder Zeit zu ber-brcken.

    In der Systemischen Beratung werden Fragen hufig mit einem noch ganzanderen Ziel gestellt, nmlich in der Absicht, durch die Antwort vor allem dem

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    Befragten selbst neue Informationen zu geben so merkwrdig das zunchstklingen mag. Systemische Fragen verstehen sich als Einladungen zum Nachden-ken und zum inneren Suchen nach den Ideen und Vorstellungen des Befragten.Um dies gelingen zu lassen, kann man als Fragender die bekannten systemi-schen Fragearten anwenden, die fr diese Zwecke entwickelt wurden, man den-ke etwa an die Fragen nach Ausnahmen, nach Lsungen, an zirkulre Fragenund an die Wunderfrage (vgl. Tomm 1994; v. Schlippe u. Schweitzer 1996).

    Eines der Grundkonzepte der Systemischen Beratung ist es, neue Perspek-tiven und Sichtweisen zu entwickeln. Die Blickwinkel und somit die Anzahl derHandlungsmglichkeiten sollen dadurch erweitert werden. Dabei wird versucht,mglichst nahe an den Ressourcen und Lsungsvorstellungen der Klientinnenzu bleiben und an ihnen anzukoppeln. Hierfr wurden diese verschiedenen Ar-ten von systemischen Fragen entwickelt, die der Beraterin dabei helfen sollen,sich nicht zu sehr von den eigenen Vorstellungen leiten zu lassen. Im Gegensatzdazu soll im folgenden auf die Form des Fragens und ihre Bedeutung fr dieEntwicklung der Antworten eingegangen werden. So macht es einen erheblichenUnterschied, ob ich meine Fragen so stelle, da der Gesprchspartner nur nochzwischen verschiedenen angebotenen Antworten auszuwhlen braucht (schlie-ende Fragen), oder ob ich ihn einlade, die Antworten selbst zu finden und zuerzhlen (ffnende Fragen). Eine weitere Form des Fragens ist das Nach-Fragen,das nicht nur den Umgang mit den erhaltenen Antworten bestimmt, sondernauch das Interesse des Fragenden an den Perspektiven und Beschreibungen desAntwortenden verkrpert. Die Form der Frage ist unabhngig von den Inhaltender Frage.

    Anla fr diese Beschftigung mit den mglichen Formen von Fragen istdie Beobachtung, da wir Berater und Therapeutinnen die Bedeutung und dieMglichkeiten dieser Formen fr das Gesprch meist erheblich unterschtzenund dadurch vernachlssigen. Dieser Text will Anregung geben, souverner undreflektierter mit diesen Formen des Fragens umgehen zu knnen.

    Darber hinaus kann es von Bedeutung sein, sich auch ber einige grund-stzliche Implikationen von Fragen im Klaren zu sein. Jede Frage enthlt so-wohl fr den Fragenden wie auch fr den Befragten unausgesprochen ganzselbstverstndliche Unterstellungen und Hypothesen. Indem wir eine Frage stel-len, wollen wir nicht nur Informationen bekommen, sondern wir teilen auch et-was manchmal eine ganze Menge mit: darber, was wir vermuten, was wiruns vorstellen (knnen), was wir vom anderen erwarten. Uns dessen bewut zusein, kann dies nicht verhindern, lt es uns aber zielgerichteter verwenden: wirknnen die Werkzeuge des Fragens besser fr unsere Absichten nutzen.

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    Die Macht des Fragenden

    Durch Fragen lenkt und leitet man. Dies gilt fr alle Fragen, unabhn-gig davon, um welchen Inhalt es geht, ob sie ffnend oder schlieendsind, ob sie mndlich oder schriftlich gestellt werden. Eine Frage enthlt implizitimmer einer Reihe von Unterstellungen und Annahmen, von denen die am Ge-sprch Beteiligten, der Frager wie der Befragte, sich nicht immer frei machenknnen. Dies gilt auch und gerade in einem Beratungs- oder Therapiegesprch.

    So wird vorausgesetzt, da der Frager offensichtlich das Recht hat zu fra-gen. Seine Rolle und Aufgabe impliziert, da er fragt, und er geht davon aus, dader Befragte antworten wird, da er eine Antwort auf die Frage haben wird.Beide unterstellen, da die Fragen ebenso wie die Suche nach Antworten sinn-voll sind.

    Nehmen wir die Frage Was wollen Sie heute mit diesem Beratungsgesprcherreichen? und betrachten sie nher, so knnen wir aus systemischer Sicht er-kennen, da es hier um eine Auftragsklrung geht, da der Fragende sich offen-sichtlich von den Ideen, Wnschen und Erwartungen des Klienten leiten lassenoder sie zumindest doch kennen mchte. Vielleicht hat der Berater Hypothesendarber, was der Klient wnscht, aber er fragt trotzdem nach, um nicht an die-sem vorbei zu arbeiten: soweit die systemische Komponente.

    Fragen knnen mit Zwang gestellt werden bzw. vom Befragten so empfun-den werden, da er sich zu einer Antwort gezwungen fhlt er erlebt die Fragenals Druck, Informationen preiszugeben oder sich bestimmten Fragen und dendamit verbundenen Themen und Gedanken zu stellen. Er wird die Fragen alsKonfrontation erleben, insbesondere dann, wenn der Fragende etwas bestimm-tes erreichen will und er wei oder zu wissen glaubt, womit sich der Befragteauseinanderzusetzen hat.

    Im Gegensatz hierzu knnen Fragen auch als Einladung, als Angebot, alsMglichkeit, sich damit auseinanderzusetzen, vorgebracht und auch vom Be-fragten verstanden werden. Die Antworten knnen begriffen werden als einSchritt hin zu den Wnschen, Erwartungen oder Lsungen des Befragten.

    Bodenheimer (1984) spricht von der Obsznitt des Fragens und weistdarauf hin, da dem Akt des Fragens selbst, unabhngig vom Inhalt, Obsznittanhaftet. Einer fragt, der andere antwortet und findet gewisse Anteile seinerPersnlichkeit unvermittelt, unvorbereitet nach auen preisgegeben ... Aus einer(einseitigen) Entblung ergibt sich (einseitige) Beschmung. In der Einseitig-keit, der Asymmetrie der Verhltnisse, liegt das Wesen der Obsznitt (S. 10f.). Dies gilt nicht nur fr Beratungsgesprche, sondern kann durchaus bereitsbeim Ausfllen von Formularen fr Behrden erlebt werden.

    In einer scharfen Analyse eines Ausschnitts aus einem sokratischen Ge-sprch zeigt Bodenheimer (1984, S. 25ff.), da der Befragte mit Hilfe der Be-fragung eben genau nicht zu eigenstndigen Erkenntnissen kommt, wofr

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    man die Gesprchsfhrung des Sokrates immer als gutes Beispiel anfhrt. Viel-mehr hebe das sokratische Fragen das Selbstbewutsein auf: es macht denBefragten zum Knecht. (Insofern ist fraglich, ob wir uns tatschlich das syste-mische Gesprch als ein sokratisches vorstellen wollen, wie Boscolo vor-schlgt; vgl. Tomm 1994, S. 93).

    Fragen verleiht Macht und umgekehrt: wer Macht hat, darf fragen.Mit Fragen lt sich bewut Einflu auf den Gesprchsverlauf nehmen,

    dazu gehrt nicht nur die inhaltliche Ausgestaltung, sondern auch die Form derFragen. Reflexionen hierber erhhen die Steuerungsmglichkeiten, also auchdie Gefahren von Manipulation. Allerdings wird die Beraterin oder Therapeutinja genau deshalb aufgesucht, weil sie diese Macht und die technischen Kennt-nisse hat. So brauchen diese also nicht nur negativ gesehen zu werden imGegenteil: die Aufgabe der Profis ist es, ihre Arbeit bestmglich zu gestalten.Dazu gehrt es auch, das Handwerkszeug der Gesprchsfhrung und des Fra-gens als Teil ihrer Macht optimal zu beherrschen.

    Ein Manipulationsversuch liegt dann vor, wenn der Klient zu etwas ge-bracht werden soll, was er eigentlich nicht will, etwa wenn man etwas von ihmerfahren will, was er eigentlich nicht preisgeben will. Erst dann, wenn der Profibesser zu wissen glaubt, was richtig oder gut ist fr den Klienten, wird er sichauch im Recht fhlen, den Klienten zu berlisten. Arbeitet er oder sie jedochmit einer kundenorientierten, respektvollen Grundhaltung, die die Autonomieund Eigenverantwortung des Klienten in den Vordergrund stellt, wird ihm daranliegen, einen Teil der Macht und Entscheidungsbefugnis an den Klienten zu-rckzugeben: dieser bestimmt, wie weit er mit gehen will. Diese Haltung kannsowohl mit dem Menschenbild als auch mit der Wirksamkeit begrndet werden.Es macht wenig Sinn, in einem therapeutischen Gesprch den Klienten zum ab-hngigen Knecht zu machen oder ihm auch nur das Gefhl zu geben.

    Bezogen auf Fragen (die ja nur einen Teil des gesamten Beratungs- undTherapiekontextes betreffen), kann man um einen Teil der Macht und der Ver-antwortung an den Befragten zurckzugeben parallel metakommunizieren und

    die Frage so formulieren, da sie eher als Bitte um eine Antwort oder alsEinladung zum Nachdenken verstanden wird und legitimerweise auchausgeschlagen od