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Die französische bürgerliche Revolution des 18.1ahrhunderts (1789 bis 1794) Das Heranreifen der Revolution in Frankreich Am Ende des 18. Jahrhunderts lebten in Frankreich 25 Millionen Menschen, dar- r unter mehr als 23 Millionen Bauern. Die französische Bauernschaft am Ende des l' I 18. Jahrhunderts unterschied sich sehr von der englischen. Zu jener Zeit waren in England die Bauern mit eigenem Grundbesitz (Yeomen) fast überall ihres Grund und Bodens beraubt und in ihrer Masse Tagelöhner oder städtische Ar- beiter geworden. In Frankreich dagegen betrieben die Bauern eine kleine Land- wirtschaft; der Boden gehörte meistens einem Gutsbesitzer, dem sie zu Feudal- leistungen verpflichtet waren. Obwohl es .gegen Ende des 18. Jahrhunderts in Frankreich eine Leiheigenschaft tatsächlich kaum noch gab, blieben doch die Bauern weiter an zahlreiche feudale Verpflichtungen gehunden. Der Bauer gah einen Teil der Ernte dem Gutsbesitzer ab (gewöhnlich ein Viertel) oder bezahlte dessen Wert in Geld. Einen anderen Teil der Ernte (den Zehnten) nahm den Bauern der habgierige Klerus. Wenn ein Bauer starb, erschien ein Verwalter des Gutsbesitzers und erhob von der Familie eine hohe Abgabe für die Übergahe der Bauernwirtschaft an den Erben. Für den Transport von Getreide oder anderen Erzeugnissen über eine Brücke erhob der Gutsbesitzer, der Seigneur (Herr), einen besonderen Zoll. Für das Ausmahlen von Korn in der herrschaft- lichen Mühle, für das Brotbacken im Ofen der Herrschaft waren besondere Zah- lungen zu leisten. Selbst wenn der Seigneur keine Brotbacköfen besaß, forderte man vom Bauern gleichwohl die irgendwann einmal festgesetzte jährliche Abgabe für die Benutzung eines Backofens. Brücke und Mühle konnten verfallen sein, trotzdem erhob man pünktlich dem geltenden Rechte nach die jährlichen Ab- gaben für die Benutzung bei der Einrichtungen. Noch viele andere vom Mittelalter übernommenen Belastungen des französischen Bauern waren erhalten geblieben. War der Seigneur auf der Jagd, so hatte er das Recht, die Felder der Bauern zu zertreten, wenn er mit seinen Gästen und seinen Hundekoppeln über die Felder ritt. Jeder Gutsbesitzer besaß Taubenschläge. Die Tauben aber schädigten die Felder der Bauern. Tötete der Bauer eine Taube, so wurde er schwer bestraft. Auch weniger schwere, aber dafür erniedrigende Ver- pflichtungen hatten sich vielfach erhalten. In den Nächten mußte der Bauer auf den Gutshiifen die Frösche in den Teichen verscheuchen, damit der Seigneur bOB80rschlafen konnte. Beieiner Begegnung mit dem Gutsbesitzer oder mit dessen

Die französische bürgerliche Revolution des 18. Jahrhunderts

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Page 1: Die französische bürgerliche Revolution des 18. Jahrhunderts

Die französische bürgerliche Revolutiondes 18.1ahrhunderts (1789 bis 1794)

Das Heranreifen der Revolution in Frankreich

Am Ende des 18. Jahrhunderts lebten in Frankreich 25 Millionen Menschen, dar- runter mehr als 23 Millionen Bauern. Die französische Bauernschaft am Ende des l'

I18.Jahrhunderts unterschied sich sehr von der englischen. Zu jener Zeit warenin England die Bauern mit eigenem Grundbesitz (Yeomen) fast überall ihresGrund und Bodens beraubt und in ihrer Masse Tagelöhner oder städtische Ar-beiter geworden. In Frankreich dagegen betrieben die Bauern eine kleine Land-wirtschaft; der Boden gehörte meistens einem Gutsbesitzer, dem sie zu Feudal-leistungen verpflichtet waren.Obwohl es .gegen Ende des 18. Jahrhunderts in Frankreich eine Leiheigenschafttatsächlich kaum noch gab, blieben doch die Bauern weiter an zahlreiche feudaleVerpflichtungen gehunden.Der Bauer gah einen Teil der Ernte dem Gutsbesitzer ab (gewöhnlich ein Viertel)oder bezahlte dessen Wert in Geld. Einen anderen Teil der Ernte (den Zehnten)nahm den Bauern der habgierige Klerus. Wenn ein Bauer starb, erschien einVerwalter des Gutsbesitzers und erhob von der Familie eine hohe Abgabe für dieÜbergahe der Bauernwirtschaft an den Erben. Für den Transport von Getreideoder anderen Erzeugnissen über eine Brücke erhob der Gutsbesitzer, der Seigneur(Herr), einen besonderen Zoll. Für das Ausmahlen von Korn in der herrschaft-lichen Mühle, für das Brotbacken im Ofen der Herrschaft waren besondere Zah-lungen zu leisten. Selbst wenn der Seigneur keine Brotbacköfen besaß, forderteman vom Bauern gleichwohl die irgendwann einmal festgesetzte jährliche Abgabefür die Benutzung eines Backofens. Brücke und Mühle konnten verfallen sein,trotzdem erhob man pünktlich dem geltenden Rechte nach die jährlichen Ab-gaben für die Benutzung bei der Einrichtungen.Noch viele andere vom Mittelalter übernommenen Belastungen des französischenBauern waren erhalten geblieben. War der Seigneur auf der Jagd, so hatte er dasRecht, die Felder der Bauern zu zertreten, wenn er mit seinen Gästen und seinenHundekoppeln über die Felder ritt. Jeder Gutsbesitzer besaß Taubenschläge. DieTauben aber schädigten die Felder der Bauern. Tötete der Bauer eine Taube, sowurde er schwer bestraft. Auch weniger schwere, aber dafür erniedrigende Ver-pflichtungen hatten sich vielfach erhalten. In den Nächten mußte der Bauer aufden Gutshiifen die Frösche in den Teichen verscheuchen, damit der SeigneurbOB80rschlafen konnte. Bei einer Begegnung mit dem Gutsbesitzer oder mit dessen

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Beamtenwar der Bauer verpflichtet,sich tief zu verneigen und ihnen dieHand oder Schulter zu küssen. .Es bestand für den Bauern keine Mög-lichkeit, gegen den Seigneur Klage zuführen. Der Gutsbesitzer selbst oderein von ihm ernannter Richter sprachRecht. Und vor Gericht fand die Fol-ter Anwendung.Der Bauer hing nicht nur von seinemSeigneur ab. Auf ihm lasteten schwereStaatssteuern und Abgaben zugun-sten der Kirche.

Der Bauer zahlte Steuern vom Grund-besitz (die Taille), außerdem zusätzlicheine Steuer vom Einkommen (den Zwan-zigsten), diesogenannte königlicheSteuer.Damit nicht genug,wurde auch eineKopf-steuer erhoben (lat. capitatio).Neben diesen direkten Steuern bedrück-ten den Bauern auch indirekte. Eine hoheSteuer war auf den Verbrauch von Salzgelegt. Damit die Bauern nicht auf das

Ausbeutung der Bauern. Karikatur (Ausschnitt) übermäßig teure Salzverzichteten, warensie verpflichtet, jährlich für jede Person

mindestens sieben Pfund zu kaufen "für den Topf und das Salzfaß" , d. h. zur Verwendungfür Speisen. Zum Einsalzen und für das Vieh mußten sie noch Salzdazukaufen. Damit dieBauern nicht Schmuggelsalz kauften, schickte man die Schmuggler für neun Jahre aufdie Galeeren, "d, h. zur Zwangsarbeit als Ruderer, die mit Ketten an ihre Bänke ge-schmiedet waren. Wurde ein Salzschmuggler erneut ergriffen, so hängte man ihn. Schwerbestrafte man auch die Bauern, die steuerfreies Salz gekauft hatten •.Bes~mdereAbteilungen bewaffneter Beamter vertrieben die Bauern von solchen Orten, andenen sie sich Salz selbst bes~haffenkonnten. .Mit einer hohen Abgabe war der Wein belegt. Für Frankreich mit seinen zahlreichen Wein-bergen, das durch seine Weine in der ganzen Welt berühmt ist, hatte diese Steuer eine be-sondere Bedeutung.'l-7 000königlicheAufseher .durchstöberten die Keller der Bauern und maßen die Fässer aus.An den Schlagbäumen durchsuchten sie die Vorübergehenden und Vorüberfahrenden.Nicht weniger als eineinhalb Millionen Bauern waren in Frankreich an den Bettelstab ge-bracht. Sie streiften umher und lebten vom'Diebstahl. Die großen Straßen in ganz Frank-reich waren von Räuberbanden bedroht.Ein Bischof schrieb kurz vor Ausbruch der Revolution:"Das Volk lebt in unseren Dörfern in einer furchtbaren Armut, in leeren Hütten, ohneBetten und Tische. Die Vorräte an Roggenmehl und Hafer - d~r Hauptnahrung -vreichenbei den meisten nicht einmal für ein halbes Jahr. Aber auch diese Lebensmittel müssen dieBauern sich und ihren Kindern entziehen, um ihre Steuern bezahlen zu können."

Konnte ein Bauer die Steuern nicht bezahlen, so verkaufte man sein Vieh undseine Wirtschaftsgeräte. Die Steuerrückstände wuchsen trotzdem weiter an.Unter solchen Verhältnissen verfiel die Bauernwirtschaft. Hungersnöte traten

.dauernd auf, sogar in guten Erntejahren. Bauernaufstände wiederholten sich

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Jahr für Jahr. Die Militärhefehlshaher der einzelnen Gehiete und die Gouver-neure unterdrückten diese Aufstände mit Hilfe von Truppen, konnten aber nichterreichen, daß sie aufhörten. ,Um die Ahgaben und Steuern in Geld zahlen zu können, verkauften die Bauerneinen Teil ihrer Ernte. Auf diese Weise nahm die Landwirtschaft mehr und mehrden Charakter einer"Warenwirtschaft an.Während die Massen der Bauern verelendeten und dem Ruin entgegengingen, I

hob sich aus ihrer Mitte eine Schicht von reichen Großbauern heraus. Diese Rei- ~chen nutzten die Notlage der Bauernmassen aus; sie gaben Darlehen gegenhohe Zinsen und nahmen nachher den Bauern, wenn sie ihre Schulden nichthezahlen konnten, Vieh und Land weg. In den mittelfranzösischen Provinzenzählte man durchschnittlich 17 Prozent hesitzioser Bauern; in einzehi.en Gehietenbesaßen mehr als die Hälfte der Bauern kein Land mehr.Auch die Industrie war in Frankreich in ihrer Entwicklung der englischen gegen- I

über stark im Rückstand. Ihre Gr~dform war das Zunfthandwerk. 1

Die Angehörigen einer Zunft - z. B. die Steinmetzen, die Metzger, die Färber, dieSchneider -wohnten in eigenen Stadtvierteln. Der Meister saß, mit einer Perückeauf dem Kopf, in seiner Werkstatt auf einem erhöhten Platz und beaufsichtigtedie Gesellen und Lehrlinge.Die Arbeit in der Zunftwerkstatt begann und endete mit dem Glockenschlag dernächsten Kirche. '

Wer in eine Lehre eintrat, mußte an die Kirche, an die Zunft sowie für Beköstigung und fürdie Abfassung der Urkunden Gebühren entrichten, im ganzen bis 500Livres (1Livre = etwa0,75 RM Friedenswert). Sieben Jahre lang erhielt der Lehrling keine Bezahlung für seineArbeit, im Gegenteil, er mußte demMeister für die Lehre zahlen. Danach wurde er Geselleund bekam nun einegeringe Entlobnung. Um aber Meister zuwerden, mußte er eine Muster-arheit, ein "Meisterstück" (chef d'reuvre) anfertigen, der Zimmermann z. B. eine ge-schnitzte Wendeltreppe. Außerdem mußte er hohe Beträge bei der Aushändigung derUrkunde zahlen, mit der seine Ernennung zum Meister ausgesprochen' wurde, ferner einenbestimmten Betrag für den König, einen für die Polizei usw., im ganzen bis zu 5000Livres.

Mehr als zwei Lehrlinge zu haben, war dem Meister nicht erlaubt.Die Zünfte wurden in Frankreich schon seit langem hauptsächlich als Einnahme-quelle der königlichen Regierung angesehen. Ein ganzes Heer von Inspektorenund Aufsehern achtete auf den Eingang der von den Zünften zu zahlenden Steuern.Die Zünfte erhöhten ihrerseits die Abgaben, die die Lehrlinge und ,Gesellen zuleisten hatten.Das Zunfthandwerk, das alle seine Erzeugnisse nur nach he stimmten Musternund in genau einzuhaltender Anzahl herstellte, konnte den Markt nicht befrie-digen. Die Zünfte wurden zu einem Hindernis für die weitere Entfaltung der In-dustrie.So waren die Pariser Handwerker, die Gesellen und Lehrlinge und die Armen derVororte von Paris mit Abgaben belastet und Bestimmungen unterworfen, die jedewirtschaftliche Entwicklung behinderten. Ebenso verhielt es sich auch in den an-deren gewerblichen Zentren Frankreichs. 'Da die Zünfte mit ihren einengenden Bestimmungen nur in den Städten bestan-den, gingen die Kaufleute dazu über, ihre Bestellungen in ,den Dörfern aufzu-geben. Sie verteilten an arme Bauern auf dem Lande Rohmaterial und erhieltendafür fertige Erzeugnisse. Derartige bäuerliche Gewerbehetriebe waren in Frank-reich vor der. Revolution sehr verhreitet.

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i- Es gab damals in Frankreich auch Großunternehmen. So arbeiteten in den Kohlen-n gruben von Anzin, nicht weit von Lille, an"der Grenze der österreichischen Niederlande

(Belgien) mehr als 2000 Arbeiter. In den königlichen Porzellan- und Gobelinmanufakturen(in denen Seidenteppiche hergestellt wurden)waren Hunderte von hervorragenden Künst-lern tätig.In Sedan wurden in großen Manufakturen Tuche für das Heer hergestellt. Solche Groß-unternehmen bildeten jedoch noch eine Ausnahme. Besonders stark entwickelte sich :die Industrie in den" Gebieten Frankreichs, die ihren Schwerpunkt in der südlichen See-handelsstadt Bordeaux sowie in derUmgebung von Marseille hatten. Hier wurden Tuche,Leinwand, Glas und Seife sowohl für den heimischen Markt wie für den Handel mit demOrient hergestellt.

Trotz des Bestehens einzelner industrieller Großunternehmen herrschte in Frank-reichnoch die Kleinproduktion vor.

,I Im 1.8.Jahrhundert hatte der Außenhandel Frankreichs einen großen Umfang er-reicht. Sein Umsatz stieg im Laufe dieses Jahrhunderts von 130 bis auf 1080 Mil-lionen Livres. Nach England und Belgien führte Frankreich Rohstoffe aus: Ge-treide, Wolle lind Vieh, nach den östlichen Ländern des Mittelländischen Meeres,in die türkischen Besitzungen und in die Westindischen Kolonien hauptsächlichGewerbeerzeugnisse und zum Teil auch Lebensmittel. Ungeheuren Gewinn warfder Sklavenhandel ab.In Europa setzte Frankreich bessere Weine und Luxuswaren ab, wie Spitzen,Porzellane, Bronzeschmucksachen, teure Möbel u. a. "Der Handel wurde jedoch in seiner Entwicklung durch das Zollsystem im In-neren des Landes gehemmt. Die Hindernisse, unter denen der Binnenhandel litt,waren groß. Staat, Seigneurs, Bischöfe und Klöster hatten alle eigene Zollstationen,die für die Beförderung von Waren durch ihre Besitzungen Abgaben erhoben.50000 Soldaten bewachten die Binnenzollgrenzen, die" die einzelnen Gebietevoneinander abriegelten. Es hieß, daß es billiger sei, Getreide von China nachFrankreich zu liefern, als es aus Südfrankreich nach Nordfrankreich zu brIngen.So war also die Feudalordnung in Frankreich ein Hindernis für die Entwicklungvon Gewerbe, Handel und Landwirtschaft.Im Jahre 1774 geTangte nach Ludwigs XV. Tod Ludwig xVI. auf den Thron.Er war ein beschränkter, jedoch schlauer, eigensinniger und boshafter Mensch. Inpolitischen Angelegenheiten stand" er stark unter dem Einfluß seiner Gemahlin,der schönen, aber herrschsüchtigen und hochmütigen Marie-Antoinette, einerSchwester des österreichischen Kaisers (der zugleich Kaiser des "HeiligenRömischen Reiches" war). "Bei den Tagungen des Kronrates schlief Ludwig XVI. gewöhnlich ein. Er be-klagte sich, daß die geistige Arbeit ihn bedrücke. Während er der Politik wenigZeit widmete, hatte er eine Vorliebe für die Jagd.Der Pferdestall des Königs wies 1857 Pferde auf, für die er 1400 Pferdeknechtehielt. In der Provinz wurden als Reserve weitere 1200 Pferde gehalten. Zur Aus-fahrt dienten dem Könige 217 Equipagen.

Die Ausgahen für die Hofhaltung waren märchenhaft hoch. Allein für die Fütterung derJagdhunde gab man 54000 Livres im Jahre aus. In den dichten Wäldern von Paris hegtenzahlreiche Jäger Tausende von Hirschen für die königliche Jagd.Als Beispiel für die riesigen Ausgaben der Hofhaltung kann die an sich unwesentliche Tat-sache dienen, daß die Tanten des Königs in einem Jahre für 216000 Livres Kerzen ver-brannten. 4000 Höflingsfamilien erhielten vom König reichliche Mittel in Gestalt von Pen-sionen (ständigen Zuwendungen) oder Geschenken.

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Der selbstherrlich regierende König hatte die engsten Beziehungen zum hohen Di,

Adel, der aus den reichsten und vornehmsten Grundherren bestand, und zu den Sti

führenden Männern der Geldbourgeoisie, den Generalpächtern, Bankiers undWucherern. Der erste Stand war in Frankreiclj, die Geistlichkeit, der zweiteder Adel. Beide Stände waren mit Vorrechten (Privilegien)ausgestattet. Siewarenvon fast allen Steuern befreit. Alle hohen Ämter im Staate, alle Befehlsstellenim Heere befanden sich in den Händen der Adligen. Aber auch innerhalb" derGeistlichkeit und des Adels gab es verschiedene Schichten. Die reichen Ad-ligen, die am Hofe in Paris lebten, glaubten wegen ihres großen Einflußes, den siebesaßen, auch gesellschaftlich viel höher zu stehen als die armen, wenig gebildetenAdligen in der Provinz. Ein Teil der Grundbesitzer, der dem Bürgertum nahestand, beschäftigte Lohnarbeiter.Auch in der Geistlichkeit hatten sich verschiedene Schichten herausgebildet.Die Vertreter der hohen Geistlichkeit, die Bischöfe, gewöhnlich die jüngsten Söhnedes hohen Adels (nach den französischen Gesetzen wurde das ganze VermögendesVaters stets auf den ältesten Sohn vererbt), besaßenriesige Güter und bezogenvon der Kirche Einkünfte (Pfründen), die nach Millionen von Livres zählten. Zugleicher Zeit bezog die Geistlichkeit auf dem Lande verhältnismäßig geringe Ein-künfte. Bisweilen unterschieden sich die Landgeistlichen in ihrer Lebensart nurwenig von den wohlhabenden Bauern.Zum Unterschied von England, wo sich der Adel mit dem Bürgertum zur Be-kämpfung des Königs zusammengeschlossen hatte, lebten in Frankreich die Ad-ligen von den feudalen Abgaben, die sie von den Bauern erhielten, und warenbemüht, das feudale System zu erhalten. Deshalb standen sie einer Revolutionsehr feindlich gegenüber. Es gab nur wenig fortschrittliche Adlige in Frankreich.Alle diejenigen, die nicht zu den ersten beiden bevorrechteten Ständen gehörten, rzählten zum Dritten Stande, dessen überwiegende Mehrheit die Bauernbildeten.Hierzu gehörten auch die Handwerker, die Arbeiter und die Armen in den Städten.Die führende Stellung im Dritten Stande nahm das Bürgertum ein: die Kauf-leute, die Bankiers, die Generalpächter, die Besitzer von Manufakturen.Zu der gerade erst entstehenden französischen Arbeiterklasse gehörten "die Ar-beiter aus den Manufakturen, die Arbeiter aus dem Handwerk (Gesellen und Lehr-linge), ein Teil der Heimarbeiter auf dem Lande, endlich die große Menge derSaisonarbeiter. Die Lage aller dieser Gruppen war äußerst schwer. Der Arbeitstagdauerte vom frühen Morgen bis in die späte Nacht. Man belegte die Arbeiter mitharten Strafen. In den Manufakturen kam es häufig zu Aufständen der Arbeiter.Jedoch waren damals die Arbeiter, wie überhaupt die unteren Schichten derstädtischen Bevölkerung, die "plebejischen Elemente", in politischer Hinsichtnoch nicht selbständig; noch folgten sie der Bourgeoisie.Was Luxus anbetraf, wetteiferten die reichgewordenen Bürger mit dem hohenAdel Frankreichs. Sie ließen sich Paläste bauen und veranstalteten glänzendeEmpfänge. In den letzten Jahrzehnten vor der Revolution erwarb die Bourgeoisiein bedeutendem Umfange Land von den bankrott gewordenen Adligen. Aber inpolitischer Beziehung war das Bürgertum rechtlos. Im Staatsapparat und bei denGerichten waren König und Adel die Herren.Der reichste Teil des Bürgertums, die Generalsteuerpächter, die Bankiers, die demStaate Geld liehen, die Kaufleute, die mit den Kolonien Handel trieben, dieGrundbesitzer, die von den Bauern Abgaben erhielten, waren zwar mit der feudal-absolutistischen Schicht eng verbunden, erstrebten aber doch auch Refor-

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men, Sie wünschten Ordnung in den Finanzen und wollten politische Rechte er-langen.Das Bürgertum aus den Handels- und Gewe~bekreisen jedoch, das unter den Be-hinderungen dieser Wirtschaf1i6zweige zu leiden hatte, ging weiter und verlangteeine Verfassung. Es hatte das Beispiel Englands und Amerikas vor Augen. Alssich die Volksmassen zum Kampf gegen das feudal-absolutistische Regime er-hoben, schloß sich sich ihnen die Bourgeoisie nach langem Zögern an.

Die Ideen des fortschrittlichen Bürgertums und der Volksmassen

nd Die Forderungen des Bürgertums waren schon lange vor der Revolution vor-eu gebracht worden. Einen ungeheuren Einfluß hatten in der Mitte des 18. Jahr-

hunderts Voltaire und Montesquieu, die zur älteren Generation der politischenSchriftsteller des französischen Bürgertums gehörten.Voltaire (1694 bis 1778), ein als "Beherrscher der Gedanken" von allen fortschritt-lichen Menschen seiner Zeit anerkannter Schriftsteller, der viele Dramen, ge-schichtliche Arbeiten und politische Streitschriften verfaßt hat, war durch seinzornig-leidenschaftliches Auftreten gegen die Leibeigenschaft und die Kirche be-rühmt geworden. "Er schlug ein und brannte wie ein Blitz" (Herzen). "Zerstörtdas alte Gebäude des Betrugs! Zerschmettert das Scheusal", riefVoltaire aus."Scheusal" nannte er die in Frankreich. herrschende katholische Kirche. Er for-derte Toleranz und Beschränkung der Willkür des Königs durch eine Verfassung.Schon wegen seiner frühesten Verse wurde Voltaire in die Bastille gesperrt. Un-mittelbar nach seiner Entlassung mußte er nach England fliehen. Mehrmals warer gezwungen, sein Leben unstet in der Fremde zu verbringen. Gleichwohl war erder Meinung, daß man "den Pöbel in strengem Gehorsam halten müsse", daß fürdas einfache Volk die Religion sogar nützlich sei, und er selbst errichtete auf sei-nem Gute ein Denkmal mit der Aufschrift: "Gott gewidmet von Voltaire. ""Wenn es keinen Gott gäbe, müßte man ihn erfinden", erklärte er und behaup-tete doch gleichzeitig, daß Gott, nachdem er die Welt erschaffen habe, sich nichtmehr in ihre Angelegenheiten eingemischt hätte. Die Änderung der Gesellschafts-ordnung erwartete Voltaire nicht von einer Revolution, sondemvon einem "auf-geklärten Herrscher", einem Philosophen. Er führte einen lebhaften Briefwechselmit dem König von Preußen Und der Kaiserin Katharina H. von Rußland.Voltaire schrieb einige historische Arbeiten, darunter das heryorragende Werk:"Die Geschichte Rußlands unter Peter dem Großen." Dieses Werk wurde auf Vor-schlag der russischen Akademie der Wissenschaften geschrieben, zu deren Ehren-mitglied Voltaire gewählt worden war. Beider Bearbeitung der" Geschichte Ruß-lands unter Peter dein Großen" wurde Voltaire von M.W. Lomonossow und an-deren russischen Gelehrten unterstützt.Während' viele von denen, die in Westeuropa über Rußland schrieben, diesesals ein "wildes, barbarisches Land" verleumdeten, erklärte Voltaire in einemseiner Briefe: "Will man große Ereignisse sehen, so muß man heute nach Ruß-:land reisen ... " In einem. anderen Briefe hemerkte Voltaire : "Auf der Erde findetsich keine andere Nation, die in solch kurzer Zeit auf allen Gebieten derartigeFortschritte gemacht hätte." Eine hohe Meinung besaß Voltaire von der damalsnoch jungen russischen Akademie der Wissenschaften.

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.Der zu gleicher Zeit mit Voltairehervortretende Montesquieu (1689bis 1755),ein Mannvon adliger Her-kunft, war Mitglied des Parlaments(so nannte man in Frankreich dieobersteir Oerichtshöfe) in Bordeaux.An seinemHauptwerke, dem" Geistder Gesetze", schrieb er 30 Jahre.Als es erschien, war sein Erfolg sogroß, daß in den beiden folgendenJahren 22 Auflagen dieses Buchesgedruckt wurden.Woraus erklärt sichdieserErfolg?Montesquieu war der Meinung, daßdie Haupttätigkeit des Königs nurdarin bestehe, die Durchführungder Gesetze zu überwachen, dievollziehende Gewalt auszuüben. Diegesetzgebende Gewalt sollte denVertretern der besitzenden Klassengehören. Die Richter sollten sowohlvom König wie vom Parlament un-abhängig sein. Im Frankreich des18.Jahrhunderts bedeutete einesolche Theorie nichts anderes alsdie Forderung, die Macht des Kö-nigs zugunsten des Bürgertums ein-zuschränken. Indem er die parlamentarische Ordnung in England lobte, gab erdem französischen Bürgertum die Hoffnung, ebensolchen Einfluß zu gewinnen,wie ihn das Bürgertum in England hatte.Im Jahre 1751erschienen in Frankreich die ersten Bände der berühmten "Enzy- D

klopädie der Wissenschaften, Künste und Gewerbe". Die Leitung dieses Werkes. di

hatten der Philosoph Diderot und der Mathematiker d'Alembert. An der "Enzy-klopädie" wirkten Voltaire. Rousseau und viele andere hervorragende Schrift-steller mit.Das Erscheinen dieses Werkes war ein großes Ereignis. Es brachte sehr ausführ-licheDarstellungen der verschiedenenWirtschaftszweige Frankreichs, der Manu-fakturen und auch der Landwirtschaft (wobeiMuster der besten Erzeugnisse be-schrieben wurden). Das französische Bürgertum wollte seine Leistungen zeigen.Die "Enzyklopädie" hatte aber noch eine weitere, viel größere Bedeutung. Siestellte nicht nur eine zusammenfassende Beschreibung des handwerklich-gewerb-lichen Schaffensdar, sondern war auch eine Enzyklopädie der Wissenschaften mitumfangreichen Abhandlungen und ganzen wissenschaftlichen Untersuchungen.Die Enzyklopädisten brachten das gesamte Wissen, das sich in der Mitte des18. Jahrhunderts angehäuft hatte, in ein System.Das wesentlichste Merkmal der "Enzyklopädie" aber war die kämpferische, poli-tische Haltung, die sich in dem ganzen Werk offenbarte. Diderot und cl'Alem-hert sagten der katholischeuReligion einen unerbittlichen Kampf an und unter-zogendie Einrichtungen der feudal-aristokratischen Gesellschaftsordnung einer

Voltaire, Skulptur von Houdon

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schonungslosen Kritik. Nicht ohneGrund beschloß der Kronrat, die er-sten Bände der "Enzyklopädie" zuvernichten. Ihre Herausgabe wurdemehrere Male unterbrochen undverboten. Jedoch erschienen imLaufe von 20 Jahren ihre gesamtenBände.Bei aller entschiedenen Kritik, diedie Enzyklopädisten an der abso-lutistischen Herrschaft übten, undobwohl sie für eine Beschränkungder königlichen Macht eintraten,gingen sie nicht soweit, die Beseiti-gung des Königtums zu fordern.Zum Unterschied von Voltaire und Mon-tesquieu waren die Enzyklopädisten, diejüngere Generation der französischenbürgerlichen Schriftsteller, Materiali-sten. Sie behaupteten mit Recht, daßdie Welt sich bewegende Materie sei.Aber, obwohl sie hinsichtlich der Erklä-rung der Naturerscheinungen Materiali-

Diderot sten waren, blieben siebei der Erklärungder Entwicklungsgesetze der mensch-

lichen Gesellschaft Idealisten, denn sie nahmen irrigerweise an, daß die gesamte gesell-schaftliche Entwicklung nur von den Fortschritten des Denkens abhänge. Sie erkanntenweder die entscheidende Bedeutung der materiellen Bedingungen der wirtschaftlichen Ent-wicklung noch die des Klassenkampfes.

, Die Forderung nach der Republik, die Lehre, daß die Macht dem Volke selbst ge-höre und dieses sie niemand anderem übertragen könne, verkündete J ean JacquesRousseau (1712 bis 1778), der Vertreter der kleinbürgerlichen Demokratie. Er warder Sohn eines Schweizer Uhrmachers. In Genf geboren, war er von Kind anZeuge des ständigen Kampfes zwischen den reichen Aristokraten dieser Stadtund den Handwerkern und den Bauern.In seinem Buche "Über die Entstehung und die Grundlagen der Ungleichheitunter den Menschen" schrieb Rousseau: "Der erste, der ein Stück Land absteckteund dann sich herausnahm, zu erklären: Das gehört mir! und Leute fand, einfäl-tig genug, dies zu glauben, war der wahre Begründer der bürgerlichen Gesellschaft.Wie viele Verbrechen, Kriege, Mordtaten, wieviel Elend und Schrecken hätte dernicht dem Menschengeschlechte erspart, der die Pfähle herausgerissen, die Gräbenzugeschüttet und seinen Genossen zugerufen hätte: ,Hütet euch, diesen Betrügeranzuhören; verloren seid ihr, wenn ihr vergeßt, daß die Früchte allen gehören undder Boden keinem!'"Doch wenn Rousseau auch die Entstehung von Privateigentum für ein Übelansah, so hielt er dieses Übel gleichwohl für unvermeidlich und fand sich damitab. Für nötig hielt er es nur, es einzuschränken, einen unerbittlichen Krieggegen die großen Besitzer zu führen, die Kleinen aber in jeder Weise zu schützen."Zur Verbesserung der Gesellschaftsordnung ist es nötig, daß jeder genügend be-sitzt und niemand übermäßig viel hat", betonte Rousseau. .>

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Das Hauptwerk Rousseaus ist seineSchrift "Der Gesellschaftsvertrag".Nach der Ansicht Rousseaus ent-stehen Gesellschaft und Staat aufder Grundlage einer Vereinbarung,die die einzelnen Personen zur Wah-rung ihrer gemeinsamen Interessenuntereinander treffen. Träger derMacht, "Souverän", ist das Volkselbst. Rousseaus Ideal ist die de-mokratische Republik der kleinenBesitzer, in der jede Familie allesfür ihren Bedarf Notwendige fürsich selbst erzeugt.Die Theorien Rousseaus spiegeltendie Stimmungen der kleinhürger-Iichen Schichten und der Bauern,massen wider, die die Vernichtungdes Feudalismus' erstrehten, aherdie Katastrophen des Kapitalismusfürchteten und naiv genug waren,zu glauhen, sie könnten ihnen ent-gehen, wenn sie den Großhesitz ein- Jean Jacques Rou sseau

schränkten.Während der prunkvollen Regierungszeit LudwigsXIV., amEnde des 17. und zu M

Beginn des 18. Jahrhunderts, lehte in Frankreich ein armer Landgeistlicher, JeanMeslier. Als Sohn eines Wehel's hatte er stärkstes Mitgefühl mit den Leiden dervon den Seigneurs geknechteten Bauern. Da Meslier aber Geistlicher war, predigteer die christliche Lehre von der Ergehenheit und Friedfertigkeit. Dadurch, daßMeslier die Bauern zur. Demut gegenüber den Grundhesitzern aufforderte, warer selbst an der Unterdrückung der Bauern beteiligt. Er fühlte sich nicht stark ge-nug, um zu kämpfen und machte seinem Lehen durch den Hungertod ein Ende.Meslier hinterließ eine Schrift, das "Testament", in dem er Gott, dem Königeund den Reichen den Krieg erklärte und vorschlug, Grund und Boden zum all-gemeinen Nutzen zu verwenden. Diese Forderung stellte er um des Glücks derMenschheit willen und schrieh, indem er sich an die .Volksmassen wendete: "Ihrunterhaltet nicht nur eure Könige und Prinzen, sondern darüber hinaus noch dengesamten Adel, die ganze Geistlichkeit, alle Mönche •.. alle Nichtstuer und un-nützen Leute, die es nur auf der Erde giht."Meslier hrachte die Sehnsucht der armen Landhevölkerung zum Ausdruck, dervon der Not fast erdrückten Bauern und Tagelöhner. .Dies waren die Ideen, mit denen die verschiedenen Klassen Frankreichs in dieRevolution eintraten.Die französischen Aufklärer des 18. Jahrhunderts, Voltaire, Rousseau und an-dere, waren Kämpfer für Kultur und Fortschritt. Daher schmolzen die Feinde derKultur und des Fortschritts, die deutschen Faschisten, nach der BesetzungFrankreichs im Jahre 1940 die hekannten Bronzedenkmäler Voltaires und Rous-seaus zu Geschossen um und verhrannten 'die Bücher dieser Männer sowie dieWerke anderer Anhänger des Fortschritts.

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Verschärfung der Krise. Beginn der Revolution

In Frankreich waren die Bauern durch die Abgaben an die Gutsbesitzer (Sei-gneurs) , den König und die Kirche ruiniert. Die Bauernwirtschaft verfiel. Hungers-nöte und Bauernaufstände wurden zu ständigen Erscheinungen. Das feudal-absolutistische System hemmte die Entwicklung der Landwirtschaft.Im 18. Jahrhundert nahm in Frankreich besonders die Unterdrückung durchdie Gutsbesitzer immer härtere Formen an. Damals lebten die reichen Aristo-kraten gewöhnlich in Paris. Da sie an den kostspieligen Zerstreuungen des Königs-hofes teilnehmen wollten, erhöhten sie ständig ihre Geldforderungen an ihreBauern. Besondere Angestellte mußten in den Archiven der Grundherren nach-forschen, um alte Dokumente über längst vergessene bäuerliche Verpflichtungenausfindig zu machen, die jetzt als Unterlagen für die weitere Erhebung von Ab-gaben dienen sollten. -Die zunehmende Verarmung der Bauern bewirkte ein starkes Zurückgehen der indie Staatskasse fließenden Steuern. Trotzdem fuhr der König fort, ungeheureSummen für die Befriedigung seiner Launen und für große Zuwendungen an dieAristokratie auszugeben.Die französischen Könige unterhielten nicht nur ihren Hof und bauten sichSchlösser auf Staatskosten, sondern sie bezahlten sogar die Schulden ihrer Ver-wandten aus der Staatskasse. Der Staat nahm große Anleihen auf, die bis aufviereinhalb Milliarden Livres anstiegen. Alle diese Gelder wurden verschleudertund die Zinsen für die Anleihen mit Verzug ausgezählt. Als schließlich die Ban-kiers überhaupt keine Zinsen erhielten, weigerten sie sich, neue Anleihen zu ge-währen. Trotz dieser finanziellen Schwierigkeiten, und obwohl die Ausgaben desStaates seine Einnahmen um ein Vielfaches übertrafen, hörte die ungeheure Ver"schwendung des Hofes nicht auf. Der Bruder des Königs, der Graf von Artois,einer der reichsten Grundherren Frankreichs, schuldete der Staatskasse 32 Mil-lionen Livres, die der König aus Staatsmitteln bezahlte. Als sich der König für10Millionen Livres ein weiteres Schloß in Rambouillet kaufen wollte, mochte auchdie Königin nicht zurückstehen und forderte für sich ein neues Schloß in der Nähevon Paris, dessen Erwerb sechs Millionen Livres kostete. Inzwischen war es auchmit Steuern nicht mehr möglich, viel Geld aus dem Volk herauszuholen, unddas Bürgertum gab kein Geld für Anleihen.Für -die königliche Regierung wurde es immer dringlicher, einen. Ausweg ausdieser Lage zu suchen. Der von Ludwig XVI. zu Anfang seiner Regierungberufene - energische Generalkontrolleur (Minister für Handel, Finanzen undinnere Angelegenheiten) Turgot, ein berühmter Nationalökonom, schlug schonim Jahre 1774 vor, Adel und Geistlichkeit zur Steuerzahlung heranzuziehen.Auf Drängen der darüber empörten Adligen und Geistlichen wurde er ent-lassen.Der Genfer Bankier Necker, der ihn bald als Leiter der Finanzen ersetzte, führteseine Reformen mit geringerer Entschiedenheit durch. Er befreite die auf denköniglichen Domänen arbeitenden Leibeigenen. Um die Verschwendung staat-licher Gelder wenigstens etwas einzuschränken, veröffentlichte er ein Verzeichnisder monatlichen, auf Anweisung des Königs erfolgenden Geldzahlungen an-denAdel und eine Aufstellung der staatlichen Einnahmen und Ausgaben. Jedochauch ihn traf das Schicksal Turgots; auf Drängen des Adels und der Geistlichkeitentließ ihn der König.

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Die Zollpolitik des französischen Kö-nigs rief die Unzufriedenheit derBourgeoisie hervor.Im Jahre 1786 schloß Ludwig XVI.mit England einen Handelsvertrag,der zwar für die französischen Wein-bauern und die Hersteller von Luxus-waren, nicht aber für die Mehrzahlder Gewerbetreibenden vorteilhaftwar. Dieser Vertrag erleichterte denAbsatz von Wein und Luxusgegen -ständen in England, gleichzeitig aberbrachte er eine Herabsetzung der Ein-fuhrzölle auf englische Waren. EinStrom billiger englischer Erzeugnisseergoß sich nach Frankreich. Die fran-zösischen Kaufleute und Manufak-turbesitzer murrten. Mehr als 200000französische Handwerker und Ar-beiter WUrden brotlos.

NeckerIm Jahre 1787 berief Ludwig XVI.Vertreter des Adels und der Geistlichkeit, die Notabeln (das heißt die Vertreterder herrschenden Klassen], und forderte sie auf, sich mit einer Besteuerung ihrerLändereien einverstanden zu erklären. Als ihm Adel und Geistlichkeit diese Zu-stimmung verweigerten, entließ der König die unbotmäßige Versammlung, diehartnäckig auf ihren feudalen Vorrechten bestand.Die Finanzkrise verschärfte sich jedoch immer mehr. Die Steuern auf Salz undWein wurden an die Generalpächter auf mehrere Jahre im voraus verpfändet.Damals lastete auf Frankreich die ungeheure Ausgabe von 2 Milliarden Livres,die die Unterstützung der nordamerikanischen Kolonien in ihrem Kriege gegenEngland, vor allem aber seine eigene Teilnahme an diesem Krieg verschlungenhatten.Die königlichen Minister gaben gesetzwidrig Gelder aus, die für Invaliden undKrankenhäuser bestimmt' waren. Im Jahre 1788 stellte der Fiskus die Zah-lungen ein.Abermals erhob sich die. Frage nach der Besteuerung von Adel und Geistlichkeitin voller Schärfe.Im Jahre 1788 war der König ·~t'ngesichts der ausweglosen Lage gezwungen, sichmit einer Einberufung der Generalstände einverstanden zu erklären, die seit 1614nicht mehr zusammengetreten waren. Von ihnen, die sich aus den Vertretern derdrei Stände Frankreichs zusammensetzten, hoffte Ludwig XVI. die Zustimmungzur Auflegung einer neuen Anleihe und zur Ausschreibung neuer Steuern zu er-halten.

Die Wahlen begannen. Die,Vertreter der Stände gaben ihren Deputierten schriftliche In-struktionen mit in Gestalt von Beschwerdeschriften (cahiers de doleanccs),Der Adel und die hohe Geistlichkeit bewiesen.mit schönen Worten, daß es nötig sei, ihreVorrechte zu bewahren. Das Bürgertum dagegen forderte die Beseitigung der Standesvor-rechte sowie die Befreiung des Handels und des Gewerbes von allen Behinderungen undstrebte nach politischen Rechten.

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Sitzung der Geruralständtt

Die Beschwerden der Bauern waren voll von Klagen über die Schwere der Feudalpflichtenund der vielen Steuern, über die hohen Pachtsummen, über die Ungerechtigkeit, die in derRechtsprechung der Gerichte waltete, und über die Härte der Seigneurs, die den Bauernihr Land weggenommen hatten.Da aber Adel und Geistlichkeit es ablehnten, Geld herzugeben, beschloß der Kö-nig, dem Dritten Stande die doppelte Anzahl von Abgeordneten zu gewähren, wasdieser überdies beharrlich verlangte. Geistlichkeit und Adel erhielten das RecIh,je 300 Deputierte zu entsenden, dem Dritten Stande aber wurden (entsprechendseiner zahlenmäßigen Stärke) 600 Sitze zugebilligt. Unentschieden blieb dabei je-doch, in welcher Weise die Generalstände abstimmen sollten, nach Ständen odernamentlich. Im Falle einer Abstimmung nach Ständen hätten der Adel und dieGeistlichkeit zusammen zwei Stimmen, also die Mehrheit gehabt. Bei "einer Ab-stimmung nach Köpfen hingegen hätte der Dritte Stand über 600 Stimmen ver-fügt, das heißt über die Hälfte der gesamten Stimmenzahl. In diesem Falle konntedas Bürgertum außerdem auch die Landgeistlichkeit und einen Teil des Adels aufseine Seite ziehen.An den Wahlen nahmen nur Steuerzahler teil, die ständige Wohnsitze hatten.Vertreter des Dritten Standes waren Abgesandte des BürgertUms sowie der bür-gerlichen Intelligenz, Rechtsanwälte, Notare und Arzte. Kein Bauer, kein ein-ziger Arbeiter gelangte in die Generalstände.Unter den Deputierten des Dritten Standes nahm das große Geld- und Handels-bürgertum die führende Stellung ein.In die Liste des Dritten Standes wurden auch der von Geburt aus nicht zu ihmgehörige, aber verarmte Graf von Mirabeau und der ehrgeizige Abbe Sieyes auf-genommen, der durch seine Broschüre überden Dritten Stand berühmt gewordenwar. (AbM = Abt, eine geistliche Würde. Gewöhnlich wird als Abt der Vor-steher eines Klosters bezeichnet; hier Abb6 nur Titel eines Weltgeistlichen.)"Was ist der Dritte Stand?", fragte Sieyes in seiner Broschüre und antwortetedarauf: "Die ganze Nation in Ketten und unter Bedrückung." "Was ist er in derStaatsordnung bisher gewesen? Nichts. Was begehrt er? Etwas zu sein."

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Aus Furcht vor den Volksmassenkonnte sich die Bourgeoisie langenicht dazu aufraffen, diese zum Auf-stand aufzufordern und begnügtesich damit, politische Bücher undBroschüren zu veröffentlichen, diegegen die Allmacht des Königs undder Adligen gerichtet waren. Aber.im Jahre 1789 erreichte die Unzu-friedenheit der Bourgeoisie mit derPolitik des Königs ihren Höhepunkt,und sie schloß -sich vorübergehendder bedrohlichenVolksbewegung an,die sich andernfalls auch gegen siegewendet hätte.Mitten in dieser Zeit einer tiefenKrise des feudal-absolutistischenSystems, der allgemeinen Empö-rung, der Bauernaufstände undKundgebungen der Manufaktur-arbeiter und der Armen in denStädten wurden die Generalstände Mirabeau

eröffnet.·Auf diese Situation in Frankreich treffen die Worte Lenins zu, daß "die unterenSchichten nicht mehr wollen" und daß auch "die Oberschichten nicht mehr inalter Weise weiterleben können."!Die Eröffnung der Generalstände wurde auf den 5. Mai 1789 festgesetzt. Um sich ,nicht lange von seiner geliebten Jagd entfernen zu müssen, berief der König die (Generalstände nicht nach Paris, sondern nach Versailles ein. Der König und die :Höflinge wollten die Generalstände auch deswegen nicht in Paris versammeln,weil sie die revolutionäre Stimmung der Massen in der Hauptstadt fürchteten.Die Eröffnung der Generalstände erfolgte in einem feierlichen Akt. Prunkvoll, in

-weiße und violette Seidenmäntel gekleidet, erschienen die Geistlichen, die Adligenin langen Röcken mit reicher Goldstickerei. Dem Dritten Stand hatte man be-fohlen, sich bescheiden in schwarzen Anzügen einzufinden. Als der König auf demThron Platz nahm und, wie es herkömmlich war, den Hut aufsetzte, nahmen dieDeputierten von Adel und Geistlichkeit ihr altes Vorrecht wahr und bedecktenihre Häupter. Zur Verwunderung und Entrüstung des Adels bedeckten die Depu-tierten des Dritten Standes, die den König kniend und entblößten Hauptes an-hören sollten, ebenfalls ihre Häupter und hörten den König stehend an.Die Rede des Königs war kurz; er verlangte die Bewilligung von Geld, beklagtesich über die Erregung der Geister und warnte vor Neuerungen.Am 17. Juni erklärte sich der Dritte Stand auf Sieyös' Antrag zum Vertreter derganzen Nation, zur Nationalversammlung, und beschloß, falls man ihn ausein-andertreiben sollte; die Bevölkerung aufzufordern, die Zahlung der Steuern ein-zustellen. Der Abbe Sieyes begründete diesen Beschluß damit, daß zum DrittenStande 96 Prozent der gesamten Nation gehörten. Auch sprach die Nationalver-

1Lenin, Der Zusammenbruch der 11. Internationale, Verlag für fremdsprachige Literatur, Mos-kau 1949, S. 12.

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sammlung dem König das Recht ab, die Durchführung ihrer Beschlüsse zu ver-zögern. So erklärten sich die Vertreter des Dritten Standes auf revolutionäreWeise zur höchsten Macht im Lande.Als sich die Nationalversammlung drei Tage später, am 20. Juni, versammelnwollte, fand sie die Türen ihres Versammlungsraums verschlossen. Ludwig XVI.,der die A~beit der Versammlung unterbinden wollte, hatte unter dem Vorwandeiner notwendig gewordenen Bauarbeit die Schließung des Raumes angeordnet.Die Deputierten ließen sich aber dadurch nicht aufhalten. Sie versammeltensich in einem in unmittelbarer Nähe gelegenen freien Raume, im Ballhaussaale(einem Raum, der für ein dem heutigen Tennis ähnliches Spiel bestimmt war).Dort schwuren sie mit großer Begeisterung, sich nicht zu trennen, bis eine Ver-fassung ausgearbeitet sei.Da .entschloß sich der König zu ernsteren Maßnahmen. Er setzte eine Tagungunter seinem Vorsitz an, um all diese Beschlüsse aufheben zu lassen. Diese Sitzungfand am 23. Juni statt. Das Gebäude der Nationalversammlung wurde von einerstarken Wache umstellt. Tiefes Schweigen der Deputierten empfing den König.Er hielt eine kurze Rede voller Drohungen und befahl den Deputierten, ausein-anderzugehen und sich nach Ständen gesondert zu versammeln. Geistlichkeit undAdel gehorchten, die Deputierten des Dritten Standes jedoch blieben in schweigen-dem Unwillen auf ihren Plätzen. Als einer der Höflinge die Weigerung der Ver-sammlung, auseinanderzugehen, bemerkte, wiederholte er den Befehl des Königs.Mirabeau, ein Deputierter der Generalstände, der vom Dritten Stand gewähltworden war, antwortete mit lauter Stimme: "Gehen Sie und sagen Sie IhremHerrn, daß wir uns hier gemäß dem Willen des Volkes befinden und daß wir hiernur vor der Gewalt der Bajonette weichen werden." "Laßt uns in die Debatte ein-treten", schlug Sieyes vor. Die Nationalversammlung setzte ihre Arbeit fort.Seit diesem Tage schlossen sich entgegen dem Verbote des Königs auch Depu-tierte des Adels, der die Kraft des Dritten Standes fühlte, der Nationalversamm-lung an. Die Nationalversammlung ging an die Ausarbeitung einer Verfassungund erklärte sich zur Konstituierenden Versammlung.Der König gab sich den Anschein, als habe er sich mit dem Bestehen der National-versammlung abgefunden, und befahl dem Adel und der Geistlichkeit, sich ihranzuschließen, Dies geschah jedoch nur zum Schein, insgeheim faßte er den Ent-schluß, nun zur Gewalt zu greifen.Versailles nahm das Aussehen eines Heerlagers an. Der Saal der Nationalvsr-sammlung war wieder von einer Wache umstellt, Paris wurde von einem Truppen-kontingent von 20000 Mann eingeschlossen. Necker, der Anhänger des Bürger-tums, der vom König ein zweites Mal als Leiter der Finanzen berufen worden war,wurde von neuem aus seinem Amte entlassen.Alle diese Vorgänge riefen in der Hauptstadt eine ungeheure Aufregung hervor.Mittelpunkt der Zusammenrottungen der Pariser wurde der Garten eines derSchlösser, des Palais Royal. Ständig war eine Menge im Garten versammelt; jederBürger konnte hier reden. Man sprach von den Gefahren, die Paris drohten undbestärkte sich gegenseitig in dem Entschluß, Widerstand zu leisten.Als man in Paris die Entlassung Neckers erfuhr, sammelten sich die Massen zueiner großen Protestkundgebung. Ein Dragonerregiment (deutsche Söldner)warf sich auf die unbewaffnete Menge. Es ertönte der Ruf: "Zu den 'Waffen!"Ein französisches Garderegiment schloß sich dem Volke an. Am Abend des12. Juli begann ein allgemeiner Aufstand. Man läutete die Sturmglocke. Das

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Volk, das im Rathaus (dem Gebäude des Stadtrats) versammelt war, beschloß,Abgesandte in die Bezirke zu senden, um auch dort die Bevölkerung zu bewaffnen.Am darauffolgenden Tage drang die Menge ins Arsenal ein und plünderte dieWaffenkammern. Um die Zahl der Waffen zu erhöhen, ließ das Komitee, das sichim Rathaus gebildet hatte, 50000 Piken schmieden. Es wurde fieberhaft gearbei-tet. Die ganze Nacht über war die Stadt hell erleuchtet.In Paris machte man sich bereit, den Kampf mit den königlichen Truppen auf- E

zunehmen. Am 14. Juli 1789 verbreitete sich das Gerücht, die Kanonen auf der d

alten Königsfestung, der Bastille, seien auf die Stadt gerichtet worden. Es er-tönte der Ruf: "Zur Bastille!" Vier Stunden lang dauerte die blutige Belagerung,dann rückten Gardisten mit einer Kanone heran. Der Kommandant erkannte nun,daß die Übergabe unvermeidlich sei und stürzte eich mit brennender Lunte in denPulverkeller, um die Festung in die Luft zu sprengen. Er wurde aber von den Sol-daten daran gehindert. Die Soldaten öffneten die Tore der Bastille. Der Komman-dant wurde getötet. Auf allen Straßen und Plätzen ertönten die Rufe: "Sieg,Sieg !"In der Nacht vom 14. zum 15. Juli schlief in Paris niemand. Keiner zweifelte mehrdaran, daß die königlichen Truppen die Hauptstadt stürmen würden. Die ganzeBevölkerung ging daran, die Stadt zu befestigen. Man errichtete Barrikaden, rißdas Straßenpflaster auf und zog Schanzgräben. Man schmiedete Piken und goßKugeln. Die Frauen schleppten Steine auf die Dächer, um sie von dort auf dieSoldaten zu werfen. Alles bewaffnete sich mit Flinten, Spießen und Knüppeln. Dievon der Bürgerschaft aufgestellte Nationalgarde besetzte mit ihren Abteilungendie wichtigsten Punkte.

Einnahme der Bastille. Nach ein.em Gemälde von Monet

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Für den Dienst in der Nationalgarde gab es keinen Sold. Jedes Mitglied der Na-tionalgarde mußte sich aus eigenen Mitteln Waffen und eine Uniform beschaffen.Die Nationalgardisten wohnten nicht in Kasernen, sondern zu Hause und ver-sammelten sich nur zum Exerzieren oder bei Alarm.Im Rathaus bildete sich auf revolutionärem Wege eine Selbstverwaltung derStadt Paris, in der die Großbourgeoisie 'die Führung hatte. Schon während desKampfes um die Bastille hatten einige Schichten der Großbourgeoisie Verratgegen das Volk begangen: So hatte der Vorsteher der Kaufmannschaft der StadtParis, FIesseIles, den Belagerern der Bastille Kisten mit der Aufschrift "Waffen"gesandt, die in Wirklichkeit mit alten Lumpen gefüllt waren. Das Volk tötete

. diesen Verräter.Als man Ludwig XVI. berichtete, daß sich Paris im Aufstand befinde 'und dieBastille gefallen sei, rief er erschreckt aus: "Nun, das ist also eine Revolte." "N ein,Majestät, das ist keine Revolte, das ist eine Revolution", antwortete ihm einer derHofleute.Da sich der König nicht mehr auf das Heer verlassen konnte, fürchtete er sich, denBefehl zum Angriff auf Paris zu geben. Er erschien persönlich in der Nationalver-sammlung und kündigte an, daß er den Truppen den Befehl geben werde, sich aufParis und Versailles zurückzuziehen. Necker wurde erneut zum königlichen Mi-nister ernannt. Führer der Pariser Nationalgarde war vom 15. Juli an der reicheAdlige Lafayette, ein angesehener Deputierter der Nationalversammlung undTeilnehmer am Unabhängigkeitskampf der amerikanischen Kolonien.So endete diese Erhebung der Volksmassen, in der sie zum erstenmal mit poli-tischen Losungen auftraten, mit einem Siege. Es war der Beginn der Revolution.Die Großbourgoisie nutzte diesen Sieg aus, ergriff die Macht und ging daran, siedurch Gesetze zu festigen.

Von der Übern~e der Macht durch die Großbourgeoisiebis zum Sturz der Monarchie (1789-1792)

e Die Einnahme der Bastille war das Signal für das Auflodern von Volksbewegun-t gen in den Provinzen. In den städtischen Zentren ergriff überall das Bürgertum,

indem es die Volksbewegung ausnutzte, nach dem Beispiel von Paris die Machtund organisierte aus den wohlhabenden Bürgern eine Nationalgarde.Auf dem Lande vereinigten sich die Bauernaufstände, die bis dahin nur örtlichaufgeflackert waren, mit der Revolution. In ganz Frankreich wurde Sturm ge-läutet. Die Bauern griffen zu Sensen, Heugabeln und Dreschflegeln; die Schlösserder Seigneurs gingen in Flammen auf.Die Urkunden, in denen die FeudalverpHichtungen der Bauern aufgezeichnetwaren, verbrannte man auf Scheiterhaufen. Für die Grundbesitzer kam damalseine "Schreckenszeit". Manche von ihnen packten ihre Sachen und flohen überdie Grenze des Landes.Auch die Vertreter von Adel und Geistlichkeit in der Konstituierenden National-versammlung waren beunruhigt. Um sich zu rettencbeschlossen sie, einige Zu-geständnisse zu machen. In der Nacht zum 4. August 1789 beantragte GrafNoailles, einige feudale Vorrechte abzuschaffen. Daraufhin beseitigte die Ver-sammlung zwar einige veraltete, weniger bedeutsame feudale Privilegien, wie etwa

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das Recht, Taubenschläge zu halten, oder das Recht, auf den Feldern der Bauernzu jagen. Jedoch alle wesentlichen Verpflichtungen, die auf dem Bauernlandelagen, blieben aufrechterhalten. Von ihnen sollten sich die Bauern unter äußerstschweren, ja unerfüllbaren Bedingungen loskaufen. Daher gingen die Aufstände.auf dem Lande weiter; zwar flauten sie zeitweilig etwas ab, bald aber schwollensie von neuem und noch mächtiger an.Ludwig XVI. dachte nicht daran, auf die gewaltsame Unterdrückung der Revo-lution zu verzichten. Etwa Anfang Oktober 1789 wurden um Versailles und vorParis wiederum große Truppenteile zusammengezogen. Die größten Hoffnungensetzte man auf deutsche und schweizerische Söldnertruppen. Im Mittelpunkt derVerschwörung, die die Königspartei betrieb, stand die dem Volke verhaßte"Österreicherin" Marie-Antoinette.Die sonst immer so hochmütige Marie-Antoinette ließ sich so weit herab, persön-lich an die Gardeoffiziere und Soldaten weiße Kokarden zu verteilen. (Die weiße

. Farbe war die Farbe des königlichen Hauses Bourbon.) Davon erfuhr man inParis, wo zu jener Zeit die Bevölkerung hungerte. Infolge eines außerordentlichheftigen Hagelunwetters, einer Mißernte und eines harten Winters war im Jahre1789 eine der furchtbarsten Hungersnöte des 18. Jahrhunderts ausgebrochen.Als die Pariser nun merkten, daß die Königspartei eine blutige Auseinander-setzung vorbereitete, .zogen Handwerker, Arbeiter und Kleinbürger, mit ihrenFrauen an der Spitze, unter den Rufen: "Brot, Brot!" nach Versailles. Manerzählte sich, der König habe Brot verstecken lassen. Als das Volk in Versaillesanlangte, sah es, daß die Wagen der königlichen Familie mit Gepäck beladen undreisefertig waren. Es verbreitete sich das Gerücht, der König beabsichtige,über die Grenze zu fliehen, um von dort mit den Truppen der zur Interven-tion bereiten Mächte nach Paris zu marschieren. Da nahm das Volk König undKönigin gefangen und brachte sie als Geiseln nach Paris. Alle Hoffnung des vomVolke gefangengenommenen Königs richtete sich jetzt auf die Intervention derausländischen Feudalstaaten Österreich, Preußen und auch Rußland.Bei der Aufstellung einer Verfassung für Frankreich arbeitete die KonstituierendeVersammlung, indem sie sich die amerikanische "Unahhängigkeitserklärung" ~zum Vorbild nahm, zuerst eine "Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte" aus(am 26. August 1789). In ihr wurden feierlich jene Grundsätze verkündet, die derVerfassung zugrunde liegen sollten, nämlich die Abschaffung der Stände und dieGleichheit aller vor dem Gesetz. Das Volk seIhst sei die einzige Quelle der. Macht,wurde in dieser Erklärung verkündet; es hieß darin: ,;Die Natur hat die Menschenfrei und gleich geschaffen." Zur gleichen Zeit bestätigte die "Deklaration" dieGrundlagen des bürgerlichen Systems: "Das Eigentum ist unverletzliches undgeheiligtes Recht", - hieß es in der "Deklaration".Für jene Zeit bedeutete die Annahme der "Erklärung der Menschen- und Bürger-rechte" einen ungeheuren Fortschritt. Sie versetzte den feudalen Vorrechten, derWillkür der Feudalherren einen schweren Schlag. Sie verkündete die Gleichheit·aller vor dem Gesetz. Aber dies war eine Gleichheit in Worten; denn durch dieBestätigung des bürgerlichen Eigentums schuf sie eine neue Ungleichheit, die desBesitzes, und keine Freiheit, sondern eine neue Abhängigkeit der einen Menschenvon den anderen, die Abhängigkeit der Arbeiter von den Kapitalisten.Die französische bürgerliche Revolution verkündete in ihrer "Erklärung" die Un-verletzlichkeit des Privateigentums und bestätigte so den Grundsatz der Unter-drückung einer Klasse durch eine andere.

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Zum Unterschied von allen bürgerlichen Revolutionen hat unsere Große Sozia-listische Oktoberrevolution jegliche Ausbeutung beseitigt.Die "Erklärung der Rechte lies arbeitenden und ausgebeuteten Volkes" von 1918verkündete die Beseitigung des Privateigentums an den Produktionsmitteln, er-klärte Grund und Boden,"Wälder, Fabriken und Betriebe zu öffentlichem Eigen-tum und proklamierte die Beseitigung jeder Ausbeutung des Menschen durchden Menschen, die Unterdrückung der Ausbeuter und die Schaffung einerklassenlosen Gesellschaft. Wenn auch die "Erklärung" des Jahres 1789 die"Menschen- und Bürgerrechte" verkündete, so hat sie doch für die Arbeitendennicht sichergestellt, -daß sie jene Rechte auch verwirklichen konnten; sie ver-mochte dies auch nicht zu tun. Im Gegensatz dazu gab die Stalinsche Verfassungdie echten Ganmtien für die Rechte eines Sowjetbürgers. Die sozialistische Ge-sellschaftsordnung und die besonderen staatlichen Maßnahmen garantieren demSowjetbürger das Recht auf Arbeit, Erholung, Bildung, Freiheit des Wortes undder Schrift und andere Rechte.In der Stalinschen Verfassung des sieghaften Sozialismus sind die schon gewonne-nen Errungenschaften niedergelegt: der volle Sieg der sozialistischen Produktions-weise, die völlige Beseitigung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen,die Schaffung einer neuen, sozialistischen Wirtschaftsordnung, die keine Krisenund keine Arbeitslosigkeit kennt, die kein Elend und keinen Ruin kennt, und dieden Staatsbürgern alle Möglichkeiten für ein wohlhabendes und kulturelles Lebengewährt.Während der Sowjetstaat das bürgerliche Eigentum beseitigt hat, schützt er in-dessen mit allen Mitteln das kollektive sozialistische Eigentum.In der Verfassung der Sowjetunion heißt es: "Jeder Bürger der UdSSR ist ver-pflichtet, das gesellschaftliche, sozialistische Eigentum als heilige und unverletz-liche Grundlage der Sowjetordnung, als Quelle des Reichtums und der Macht desHeimatlandes, als Quelle des wohlhabenden und kulturell hochstehenden Lebensaller Werktätigen zu hüten und zu festigen.""Personen, die sich am gesellschaftlichen, sozialistischen Eigentum vergreifen,sind Feinde des VolkesI."Der König, der die Revolution haßte, wartete nur auf eine Gelegenheit, aus Frank-reich zu fliehen und die Unterstützung der Feudalstaaten zu erhalten. Im Jahre1791 hatten sich viele gegenrevolutionäre Emigranten, die aus Frankreich. ent-flohen waren, in der deutschen Stadt Koblenz unweit der Grenze versammelt underwarteten das Zeichen ZUlU Losschlagen.Der König nahm bei Pariser Bankiers Gelder auf, beschaffte sich einen falschenrussischen Paß und begab sich am 20. Juni mit seiner Familie heimlich zur bel-gischen Grenze, an der man schon vorher Truppen konzentriert hatte, deren Füh-rung dem Könige ergeben war.Unterwegs, unweit der Stadt Varennes, erkannte ein Postmeister den König, derunvorsichtigerweise aus dem Fenster seines Wagens geschaut hatte. Die Patriotenschlugen Alarm, und die Folge war, daß der König unter dem Geleit des Volkesnach Paris zurückgebracht wurde.Die Massen von Paris forderten eine gerichtliche Aburteilung des Königs; dieKonstit'uierende Versammlung jedoch fürchtete, daß der Sturz des Königs eineMassenbewegung des Volkes gegen Grundherren und Bourgeoisie zur Folge habenwürde. Sie stellte sich schützend. vor den König und versuchte, sein Verhalten zu1Verfassung der UdSSR, Artikel 131. -

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Der König wird nach Paris zurückgebracht

beschönigen. Man ließ verkünden, der König sei gar nicht geflohen, er sei "ent-führt" worden. Als sich dann am 17. Juli eine gewaltige Volksmasse auf demMarsfelde versammelte und die Absetzung des Königs sowie die Ausrufung derRepublik forderte, ließ die Bourgeoisie die Nationalgarde unter Führung Lafayet-tes gegen diese Demonstration aufmarschieren. Die Garde jagte die unbewaffne-ten Patrioten mit Gewehrsalven auseinander. So trat die Großbourgeoisie offenauf die Seite des Königs und stellte sich gegen das Volk.Die überwiegende Mehr~eit, der Konstituierenden Versammlung bestand ausVertretern der großen Finanz- und Handelsbourgeoisie und der Großgrund-besitzer. Die revolutionären bürgerlichen Demokraten waren in der Versamm- ,lung nur mit wenigen Männern vertreten, an deren Spitze der junge AdvokatRobespierre aus Arras stand. Er kämpfte gegen den König, die Aristokratieund die Großgrundbesitzer. In den revolutionären Pariser Vorstädten hatte ergroßen Einfluß.Weit größer war die Zahl der Vertreter der revolutionären Bourgeoisie in denpolitischen Klubs. Einen immer größeren Einfluß errang der Klub der Jakobiner(der so genannt wurde, weil er in dem früheren Kloster des Heiligen Jakobustagte). Anfangs überwog in diesem Klub die Großbourgeoisie; je weiter sich je-doch die Revolution entwickelte, um so mehr gewannen darin die revolutionärenbürgerlichen Demokraten die Oberhand. Die Vertreter der Großbourgeoisie unddes liberalen Adels, die Anhänger einer konstitutionellen Monarchie spalteten sichvon den Jakobinern ab und gründeten einen eigenen Klub. (Er hieß Klub derFeuillants, da er in einem großen Gebäude des während der Revolution ge-schlossenen reichen Klosters der Feuillantstagte.)

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Die Erschießung auf dem Marsfelde. Nach einer Gravüre von Berthault von einem Gemälde t.'on.Prieur

Im Jahre 1791 bestätigte die bürgerliche Konstituierende Versammlung die Ver-fassung. Die Monarchie blieb in Frankreich bestehen. Dem König verblieb sogardas Recht, die. Durchführung von Gesetzen, die die Versammlung angenommenhatte, auf die Dauer von vier Jahren zu verhindern. Nach dieser Verfassungteilte man entgegen der in der "Erklärung" von 1789 verkündeten Gleich-heit der Rechte die Bürger in "aktive" und "passive" ein, das heißt in solche, diedas Recht hatten zu wählen, und in solche, denen es vorenthalten wurde. Frauenhatten überhaupt kein Wahlrecht.Zur Zahl der aktiven wurden nur die wohlhabenden Bürger gerechnet, die Steuernzahlten. Von 25 Millionen Franzosen waren nur 4 Millionen aktive Bürger. Nur dieaktiven Bürger wurden in die Gesetzgebende Versammlung sowie in die Organeder städtischen Selbstverwaltung gewählt. Nur sie konnten in die Nationalgardeeintreten. ..,Wer gab euch das Recht, dem Volke seine Rechte zu rauben?", rief MaximilianRobespierre in einer Rede über diese Verfassung empört aus.Nachdem das Bürgertum zur Macht gekommen war, beseitigte es die Zünfte unddie Reglementierung der Industrie durch die Regierung. Hauptsteuer wurde dieGrundsteuer.Die frühere Einteilung Frankreichs in Provinzen, die den Grenzen der alten Feu-dalfürstentümer entsprach, wurde beseitigt. Man teilte das Land in 83 ungefährgleich große Departements ein, die nach Flüssen oder Gebirgen dieser Gebietebenannt wurden. Alle Binnenzölle wurden aufgehoben. Ein einheitliches, me-trisches System wurde eingeführt, das die Unzahl örtlich gebräuchlicher Maßeersetzen sollte. Das Gericht der Seigneurs wurde durch das Geschworenengerichtersetzt. Den Juden gewährte man Rechtsgleichheit.

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Deputierte von Paris, der Journalist Brissot. Die Girondisten waren Vertreter desHandels- und Industriebürgertums.Der König stand der neuen Versammlung feindlich gegenüber. Die GesetzgebendeVersammlung nahm Gesetze an, durch die das Eigentum der gegenrevolutionärenEmigranten beschlagnahmt und die Todesstrafe gegen sie verhängt wurden. Sieentzog den Geistlichen, die den von der Gesetzgebenden Versammlung geforder-ten Eid auf die Verfassung verweigerten, die Gehälter. Der König nahm seinVetorecht wahr und versagte diesen Gesetzen seine Genehmigung.Im Frühjahr 1791 kam es in den Städten wegender Verpflegungsschwierigkeitenzu Unruhen. Man forderte die Festsetzung neuer Brotpreise. Der Wert des Geldessank immer mehr, die Teuerung stieg. Auf dem Lande wurde die Bewegung unterden Bauern, die Landzuteilungen verlangten, immer stärker. Im gleichen Jahrezog die Gefahr kriegerischer Verwicklungen über Frankreich herauf.Schon im Jahre 1791 hatten der Kaiser Leopold H. und der preußische KönigFriedrich Wilhelm H. in Pillnitz eine Zusammenkunft mit Vertretern der fran-zösischen Emigranten. Sie unterschrieben ein Abkommen über gemeinsame Unter-nehmungen zur Wiederherstellung des absoluten Regimes Ludwigs XVI. und.beschlossen, Truppen bereit zu halten.In jener Zeit wandten sich französische gegenrevolutionäre Emigranten an Ka-tharina H. und schrieben an sie: "Wir sind überzeugt, daß unter Ihrem Schutzedie Monarchie (in Frankreich) aus der Asche erstehen und ihren früheren Glanzwiedererlangen' wird. " Auf diese Eingabe antwortete Katharina H. : "Die Vertei-digung des Königs von Frankreich ist eine Angelegenheit aller Herrscher. ImAugenblick genügt ein Heer von 10000 Mann, um Frankreich von einem bis zumanderen Ende zu erobern." Die Zarin erklärte, die Gesetzgebende Versammlungsei eine "H ydra mit 1200Köpfen". Zu einer unmittelbaren Einmischung Rußlandsin die Angelegenheiten Frankreichs kam es jedoch in den Jahren der Franzö-sischen Revolution nicht, da Rußland durch Kriege mit Schweden und der Türkeiund durch seine Teilnahme an den Teilungen Polens von jenen Vorgängen ab-gelenkt wurde.Während Katharina H. auf der Seite der französischen Gegenrevolution stand,brachten die fortschrittlichen Kreise der russischen Gesellschaft der Revolution,die in Frankreich ausgebrochen war, die stärkste Sympathie entgegen.Im Jahre 1790 hatte in Rußland A. N. Radistschew, der erste russische Republi-kaner, seine berühmte "Reise von Petersburg nach Moskau" veröffentlicht. Indiesem Werke enthüllte er kühn die Schrecken des leibeigenen Regimes. Katha-rina 11. nannte Radistschew einen "Verbreiter der französischen Seuche" undeinen "Aufruhrer, schlimmer als Pugatschow". Er wurde zur Todesstrafe verur-.teilt, die in Verbannung nach Sibirien umgewandelt wurde, Man legte ihn in Fes-seln und brachte ihn dorthin.Im. Jahre 1792 rüstete Kaiser Leopold H, der die schwierige Lage Frankreichsausnützen und die Autokratie Ludwigs XVI. und seiner Schwester, der KöniginMarie-Antoinette, wieder aufrichten wollte, zum Kriege gegen Frankreich. DieGesetzgebende Versammlung aber beschloß, ihm zuvorzukommen; sie erklärteim Frühjahr 1792 Österreich den Krieg.Im Jahre 1792 trat Frankreich in eine Reihe von Kriegen ein, die sich über einenZeitraum von 20 Jahren hinzogen.Der Krieg gegen Österreich und das mit ihm verbündete Preußen begann fürFrankreich mit Mißerfolgen. In den vom Adel besetzten KommandosteIlen hatten

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sich Verrat und Sabotage eingenistet. Die Soldaten verloren das Vertrauen zu den,Offizieren und Generälen. Die Disziplin lockerte sich. Die militärische Lage Frank-reichs wurde noch dadurch verschlechtert, daß Marie-Antoinette den Öster-reichem den Kriegsplan verriet. Preußische und österreichische Truppen nähertensich den Grenzen Frankreichs, und von Tag zu Tag wurde ihr Einfall erwartet,Unter dem Druckder Pariser Arbeitervorstädte beschloß die Gesetzgebende Ver-sammlung in dieser Situation, aus der Provinz 20000 Freiwillige (Föderierte) nachParis einzuberufen und in der Nähe der Stadt ein Heerlager einzurichten. Als derKönig diesem Beschluß seine Zustimmung versagte, erhob sich im ganzen Landeein Sturm der Empörung.Entgegen dem Verbot des Königs strömten im ganzen Lande Scharen von Frei-willigen zusammen und zogen in Eilmärschen zur Verteidigung der Stadt nachParis. Die bewaffneten Abteilungen, die aus Marseille heranrückten, sangen einneues revolutionäres Lied, die Marseillaise, in der es zu Beginn heißt:

Vorwärts, Kinder des Vaterlandes,der Tag des Ruhmes ist gekommen.Gegen uns hat die Tyrannei die blutige Fahne erhoben.Zu den Waffen, ihr Bürger, zu den Waffen!

Am 11. Juli erklärte die Gesetzgebende Versammlung das "Vaterland in Ge-fahr". An die Pariser wurden Waffen ausgegeben. Die neu aufgestellten Frei-willigenverbände begaben sich an die Front.In dieser Zeit veröffentlichte der Herzog von Braunschweig, der Oberbefehlshaberder vereinigten preußisch-österreichischen Armeen, ein Manifest, in dem er dieDrohung aussprach, er werde mit den Volksmassen von Paris erbarmungslos ab-rechnen und in Paris keinen Stein auf dem anderen lassen, wenn die frühere auto-kratische Regierung Ludwigs XVI. nicht wiederhergestellt werden sollte. DerHerzog von Braunschweig begann mit einem regulären Heere und Emigranten-verbänden von Koblenz aus den Vormarsch auf Paris."Der Krieg von 1792 war", so schreibt Stalin, "ein dynastischer Krieg gegen dasrepublikanische Frankreich, geführt von unbeschränkten Feudalkönigen, dievon der revolutionären Feuersbrunst in diesem Lande in Schrecken versetzt"waren. Das Ziel des Krieges war, diese Feuersbrunst zu löschen, in Frankreich "die alten Zustände wieder herzustellen und damit die erschreckten Könige gegendie revolutionäreSeucJ:te in ihren eigenen Staaten zu sichern. Eben darumkämpften die Revolutionäre Frankreichs so opfermutig gegen die Truppender Könige."!

Der Sturz der Monarchie

In diesen Stunden der Gefahr erhoben sich die Arbeiter und die Handwerker derPariser Vororte zur Verteidigung der Errungenschaften der Revolution gegen 'das Heer der Emigranten und der Feudalstaaten. Robespierre war unermüdlich ,tätig; er forderte die Absetzung des Königs und die Einberufung einer Volks-versammlung, des Konvents, der durch allgemeine Abstimmung, ohne Aus-schließung der armen Bürger von der Teilnahme an den Wahlen, gewählt wer-den sollte.

1 Stalin, Auf dem Wege zum Oktober. Werke, Dietz Verlag 1950, Bd. 3, S,5.

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Bei den Kleinbürgern und den Ar-beitern von Paris war Marat popu-lär. Er forderte in seiner Zeitung"Der Volksfreund" dazu auf,we-der dem Könige noch der Gesetz-gebenden Versammlung zu trauen."Die Gesetzgebende Versammlungist euer schlimmster Feind, siewird sich an euch rächen und sichbemühen, euch mit lügnerischenVersprechungen zu überschütten",betonte Marat immer wieder in sei-nen Artikeln. "Fordert die Einbe-rufung eines Konvents zum Ge-richt über den König und zurÜberprüfung der Verfassung !"Jean Paul Marat (1745 bis 1793)war von Beruf Arzt. Er hatte inLondon studiert und war dannnach Paris übergesiedelt. Seit Be- ,_ginn der Revolution trat ,Marat ,in scharfen und leidenschaftlichen

Marat Zeitungsartikeln für die Interessender Armen in den Städten und

der Bauern ein. Er wandte sich gegen Mirabeau, den er beschuldigte, sich demHofe verkauft zu haben (was sich übrigens auch als vollkommen richtig er-wies). Es wurde ein Haftbefehl gegen Marat erlassen, so daß er sich viele Mo-nate in den Armenvierteln von Paris versteckt halten mußte. Da er Tag undNacht in einem Keller ohne Tageslicht arbeitete, zog sich Marat eine Augenkrank-heit zu. Trotzdem schrieb er seine Artikel, in denen er zur Weiterführung der Re-volution aufrief, unermüdlich weiter.

'\.Unter den Armen hatte er überall Freunde; man nannte ihn selbst "Freunddes Volkes". Indem er zum Kampf gegen König und Adel und später gegen dieGirondisten aufrief, brachte er nichts vor, was von dem Programm der Jako-,biner abwich.Aus Mitgefühl mit den verelendeten Handwerkern und in dem Wunsche, ihre Lagezu verbessern, schlug Marat vor, das überlebte mittelalterliche System der Zünftewiederherzustellen.In den für die Revolution kritischen Tagen entfaltete Marat eine umfassende'I'ä-tigkeit in den Sektionen, die in einigen Bezirken von Paris anfänglich zur Durch-führung der Wahlen zu den Generalständen gebildet, danach aber zu ständigenOrganisationen der Bürger in den Bezirken geworden waren. In diesen Sek-tionen hatte man schon früher nicht nur die aktiven Bürger, sondern auch alledie zugelassen, die es wünschten. Jetzt erklärten die Sektionen, die der Gesetz-gebenden Versammlung nicht trauten, ihre Sitzungen als ununterbrochen tagendund wählten ein Zentralkomitee, die revolutionäre Kommune von Paris, zur.Leitung der revolutionären Bewegung.Die Zunahme der Teuerung und der Mangel an Lebensmitteln vergrößerten dieErregung der Massen. Die Mißerfolge an der Front und der immer offensichtlicher

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werdende Verrat des Hofes trugen nicht wenig dazu bei, daß die Unzufriedenheitim Lande wuchs.In der Nacht vom 9. zum 10. August 1792 zogen die bewaffneten Bürger von Parisunter dem Läuten der Sturmglocken (es heißt, Marat habe als erster von einemder Glockentürme Sturm geläutet) zum Gebäude der Pariser Kommune. Die mitGewehren, Pistolen und Piken bewaffneten Abteilungen der Pariser griffen zu-sammen mit den aus der Provinz eingetroffenen Verstärkungen im Morgengrauendes 10. August das königliche Schloß, die Tuilerien, an. Auf einen solchen Angriffhatte sich der König seit langem vorbereitet. Im Schlosse waren Abteilungender Schweizer Söldnergarde zusammengezogen und Artillerie aufgestellt worden;ferner hatten sich dort dem König ergebene Adlige und Offiziere versammelt.Der erste Angriff wurde abgeschlagen; Tote und Verwundete blieben auf demPlatz vor dem Schlosse. Erst nach einem zweiten Angriff gelang die Einnahme derTuilerien. Ludwig XVI. aber war in die Gesetzgebende Versammlung geflüchtet,wo er um Schutz bat.Die Gesetzgebende Versammlung, die die revolutionären Volksmassen fürchtete,entzog dem König die Macht und beschloß seine Überführung in ein PariserSchloß. Daraufhin bestand die revolutionäre Kommune auf seiner Verhaftung. Erwurde mit seiner Familie im Turm des 'I'emp le- gefangengesetzt. So wurde am10. August 1792 in Frankreich die Monarchie beseitigt.Dieser Aufstand schloß die erste Periode der Französischen Revolution (vom14. Juli 1789 bis 10.August 1792) ab. In dieser ersten Periode war die hohe Finanz-bourgeoisie im Verein mit den liberalen Adligen und dem König an der Macht.

Die Einnahme der 'I'uilerien am 10. August 1792. Nach einem Gerryiilde von Duplessis-Benaux

1Altes befestigtes Kloster der Templeritter in Paris. D. Ü.

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Die Revolution entfaltete sich immer stärker. Die Volksmassen nahmen immergrößeren Anteil an der Revolution. Am 10. August wurde die Herrschaft deroberen Schichten der Bourgeoisie und des Königs gestürzt. An die Macht gelangtedie girondistische Handels- und Industriebourgeoisie, die sich den Aufstand desVolkes zunutze gemacht hatte. Die zweite Periode der Revolution dauerte vom10. August 1792 bis zur Errichtung der Diktatur der Jakobiner in den Tagenvom 31. Mai bis zum 2. Juni 1793.Darauf begann die dritte Periode, die Periode der Diktatur der Jakobiner. DieseZeit des höchsten Aufschwungs der Revolution dauerte etwas länger als ein Jahr,vom 2. Juni 1793 bis zum 27. Juli 1794. Das Ende dieser dritten Periode, derSturz der Diktatur der Jakobiner, war zugleich auch das Ende der FranzösischenRevolution.

Die Organisation der Verteidigungund die Vertreibung des FeindesObgleich das Volk von Paris am 10. August 1792 einen gewaltigen Sieg errungenhatte, begriffen die Pariser wohl, daß die Zeit des Jubels noch nicht gekommen sei;denn die Interventen rückten gegen Frankreich vor.Die Kommune benutzte ihren Einfluß vor allem zur Organisation der Verteidi-gung' die unverzüglich erfolgen mußte; denn die Preußen waren schon bis Verdungelangt. Während Paris Truppen an die Front schickte, bereiteten in der Haupt-stadt selbst Gegenrevolutionäre offen einen Aufruhr vor. Die Anhänger des Königsschickten sich an ,'die Gefängnisse aufzubrechen und die darin gefangengehaltenenGegenrevolutionäre freizulassen, den König zu befreien und inder Hauptstadt einGemetzel zu veranstalten. Da ordnete die Kommune eine Reihe von Verhaftungenan. Anfang Septemher stürzte sich das Volk in die Gefängnisse und machte mitden Gegenrevolutionären, die im Begriffe waren, auszuhrechen, kurzen Prozeß.In diesen Tagen gab der Jukobiner Danton der Stimmung der Massen von derTrihüne der Gesetzgebenden Versammlung herah Ausdruck, indem er sagte:"W"enn das Vaterland in Gefahr ist, hat niemand das Recht, ihm den Dienst zuverweigern, ohne Gefahr zu laufen, sich mit Schmach zu hedecken und sich denNamen eines Verräters am Vaterlande zuzuziehen. Um die Feinde zu schlagen,brauchen wir Kühnheit, Kühnheit und noch einmal Kühnheit - und Frankreichwird gerettet sein."Die Losungen Robespierres, Marats und Dantons zur Verteidigung der Heimatwurden vom ganzen revolutionären Frankreich aufgegriffen. Und dann geschahetwasfür Europa ganz Unerwartetes. Die revolutionären französischen Truppen,die hungrig, schlecht gekleidet, oft ohne Schuhwerk und mangelhaft bewaffnet,jedoch von revolutionärer Begeisterung ergriffen waren, verjagten die gut aus-gehildeten Heere der feudalen Koalition.Am 20. September 1792 kam es bei Valmy zur Entscheidungsschlacht. Die preu-ßischen Truppen flohen, da sie dem starken Artilleriefeuer und dem unerwartetenAnsturm der revolutionären Truppen nicht gewachsen waren. Paris war gerettet.Die Schlacht hei Valmy bedeutete einen Umschwung im Verlauf des Krieges.Nach diesem Sieg ging die revolutionäre Armee zum Angriff über.Kurze Zeit darauf überschritten die französischen Truppen die Grenze und be-setzten ganz Belgien. Dies rief große Unzufriedenheit bei der englischen Regie-

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rung hervor, die der Ansicht war, daß es eine Gefahr für England darstelle, wennBelgien von einer starken Macht besetzt werde ..Der Sieg bei Valmy fiel mit der Eröffnung des Konvents zusammen, der die Ge- rsetzgebende Versammlung abgelöst hatte. Seine erste Maßnahme war die Aus- rrufung der Republik (September 1792). Ohwohl der Konvent durch allgemeines Z·

Wahlrecht, ohne Auf teilung der Bürger in passive und aktive, gewählt worden u

war, bestand er hauptsächlich aus Vertretern des Bürgertums. Ihnen gaben so-wohl die Bauern ihre Stimmen, wie auch die breiten Schichten der städtischenBevölkerung, die noch nicht fähig waren, als eine selbständige politische Machtaufzutreten. Dierevolutionären Jakobiner, die die obersten Bänke im Saal ein-nahmen, erhielten den Namen "Bergpartei" . Auf den unteren Bänken des Kon-vents saßen die Girondisten, die Vertreter des handel- und gewerbetreibenden

8

~ VormarsCh der FranztlsisChen Truppen

~ Yornurrschderdeul'schen Truppen

100 0 100 200km•__-=~C3"-=======~======d!Frankreich 1789-1792

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\Bürgertums. An derselben Stelle hatten sich die bürgerlichen Vertreter des Kon-vents niedergelassen, die sich an keine Partei angelehnt hatten und insgesamtdrei Viertel der Gewählten ausmachten. Sie unterstützten die Partei, die im ge-gebenen Augenblick stärker war; sie gingen zuerst mit den Girondisten und dannmit den Jakobinern. Wegen ihrer Unbeständigkeit und ihres Schwankens bei po-litischen Entscheidungen naimte man sie den "Sumpf" oder die "Ebene".Von Anfang an spielten sich im Konvent Kämpfe zwischen den Jakobinern und denGirondisten ab. Die Girondisten meinten, die Revolution sei beendet.DieGroßbour-geoisie, deren Vertreter sie waren, hatte nämlich ihre Ziele erreicht. Die Jakobinerdagegen waren der Ansicht, man müsse die Revolutionvertiefen und es sei nötig,den Kampf gegen die Überreste der feudalen Unterdrückung weiterzuführen.Während die Girondisten den König vor der Hinrichtung retten wollten, setztenes die Jakobiner mit Unterstützung der Kommune durch, daß der Konvent überden König Gericht abhielt und ihn zum Tode verurteilte. Am 21. Januar 1793wurde Ludwig XVI. hingerichtet, später auch die Anführerin der Hofclique,Marie- Antoinette.Unterdessen verschlechterte sich die Lage an der Front sehr. Schonwährend dessiegreichenEinfalls in Belgien (1792) hatte der Konvent verkündet, daß er allenVölkern brüderliche Hilfe leisten werde, daß die Truppen der Französischen Repu-blik auf die Abschaffung der feudalen Vorrechte in den angegliederten Ländernbedacht sein würden. Die Revolutionsgenerale erklärten als Losung: "friede denHütten, Krieg den Palästen."Die Girondisten jedoch betrachteten den Krieg als ein Mittel zur Unterwerfungneuer Länder durch die französische Bourgeoisie. Ihre Generale plünderten dieBevölkerung der eroberten Gebiete aus. Der zu den Girondisten gehörende Mini-ster Roland enthüllte die wahren Absichten der Großbourgeoisie. "Man mußTausende von Männern aus Paris zur Grenze schicken", sagte er. "Geben wirihnen Gewehre und schicken sie so weitweg, wie ihre Füße sie nur tragen können!Sonst kommen sie zurück und schneiden uns die Kehlen durch." Die Cirondistenwollten sich also von den revolutionärsten Elementen, den Sansculotten, dadurchbefreien, daß sie sie an die Front schickten. Die Armen hießen Sansculotten,da sie nicht wie die Adligen und Reichen mit Spitzen reich besetzte Kniehosen(culottes}, sondern lange Hosen aus grobem Gewebe trugen.'Unter der Führung der Girondisten ließ die Kampfbegeisterung bei den Truppendes Konvents wieder nach, denn sie trauten ihren Kommandeure;n nicht. Siewichen vor dem heftigen Ansturm der Heere der feudalen Koalition zurück. AußerÖsterreich und Preußen schloß sich dieser Koalition etwas später auch Spanienan. Am 1. Februar 1793 erklärte Frankreich England, das französische Schiffe be-schlagnahmt hatte, wegen dieser feindseligen Handlungen den Krieg. Am gleichenTage erfolgte die Kriegserklärung an Holland. Den Feudalstaaten war es vor allemdarum zu tun, die französische Revolution zu unterdrücken, um zu verhüten,daß ihre Flamme auf andere Länder Europas übergriff.Nach der Hinrichtung Ludwigs XVI. maßte sich England die Rolle eines inter-nationalen Gendarmen an. England schlug Katharina H. vor, "sich mit denMächten zur Zügelung der Revolution zu verbinden".Im März 1793 unterzeichneten England und Rußland einen Vertrag über den Ein-tritt in den Krieg gegen Frankreich und über eine gegenseitige Unterstützung indiesem Kriege. Ein russisches Geschwader lief in die Nordsee aus, um zusammenmit den Engländern französische Schiffe zu verfolgen.

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Hinrichtung Ludwigs XYI. Nach einem Gemälde von Monet

Das englische Bürgertum war daran interessiert, daß in Frankreich die Bewegungder Volksmassen unterdrückt wurde. Sein Hauptziel war jedoch die Vernichtungdes seimir Industrie gefährlichen Konkurrenten und seines Rivalen im Kampf umdie"Kolonien. Englandspielte die Hauptrolle in der Organisation des Kriegesgegen das revolutionäre Frankeeich. Es zahlte seinen Bundesgenossen Österreich,Preußen und anderen Hilfsgelder und veranlaßte sie, Truppen gegen Frankreichzu senden.Die Lage wurde dadurch erschwert, daß in Frankreich selbst, in der Vendee, eingegenrevolutionärer Aufstand ausbrach. Die rückständige Bauernschaft diesesGebietes stand" hinter den gegenrevolutionären Geistlichen und Grundherren.Die Aufstände wurden durch englische Spione und Agenten unterstützt, die Geldund Waffen in die Vendee schmuggelten.Zwischen dem "Berg" und der "Gironde" entbrannte ein scharfer Kampf um dieFrage der Versorgung. Die Teuerung wuchs mit jedem Tag lind lastete schwer aufden Massen. Die Girondisten aber setzten den Erlaß eines Gesetzes über die volle

"Freiheit des Getreidehandels durch, was sehr große Unzufriedenheit unter derarmen Bevölkerung der Städte hervorrief, In den Pariser Sektionsversammlungentraten Anhänger radikaler Maßnahmen auf, die von dem Bürgertum als die "Wü~tenden (enrages)" bezeichnet wurden. Den größten Einfluß hatte bei ihnen Jac-ques Roux, ein armer Hilfsgeistlicher,"Die Freiheit ist ein leeres Phantom, wenn eine Klasse ungestraft eine andere aus-hungern darf", sagte Houx. "Ist denn Eigentum von Halunken wertvoller als dasMenschenleben ?"Die""Wütenden""traten gegen die Steuerpächter und dieReichen auf.

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Nun begannen die Jakobiner unter dem Einfluß der Massen und der Agitation der"Wütenden", die Einführung fester Preise für Brot und andere Lebensmittel zufordern. (Den festen Höchstpreis auf Waren nannte man damals "Maximum").Endiich nahm der Konvent am 4. Mai 1793 ein Gesetz über das Maximum fürBrotgetreide an.Dem Lande drohte Gefahr von außen und zugleich durch die gegenrevolutionärenBestrebungen im Innern. Bereits im März 1793 übte der Oberbefehlshaber derNordarmee, der girondistische General DumouriezvVerrat und ging auf die Seiteder Österreicher über. Marat, der "Freund des Volkes", wurde von den Giron-disten vor Gericht gestellt, aber unter dem Druck-der Massen freigesprochen. DasVolk trug Marat auf den Händen aus dem Gerichtsgebäude heraus und zum Kon-vent. Unterwegs wurde er mit Zurufen freudig begrüßt und mit Blumen über-schüttet.Die Nachricht von einem Beschluß der Girondisten, gegen die Kommune und dierevolutionären Sektionen ein Gerichtsverfahren einzuleiten und zu diesemZwecke eine besondere "Zwölferkommission " zu wählen, rief in den Vororten einegewaltige Erregung hervor.

f Am 31. Mai 1793 waren die Straßen vonParis wieder voll von bewaffneten Auf-s ständischen. An diesem Tage aber erreichten sie vom Konvent nur die Auflösung

der "Zwölferkommission". Der Kampf ging weiter. Am Morgen des 2. Juni gabMarat selbst vom Rathaus aus das Signal zum Läuten der Sturmglocken. Die Vor-städte erhoben sich. 40000 Mann zogen zum Konvent. Nachdem die bewaff-neten Trupps der Sektionen den Konvent eingeschlossen hatten, entschied sichdieser unter dem Druck der Aufständischen dafür, die girondistischen Führer zuverhaften. Die führende Partei im Konvent wurden die Jakobiner, die die ent-schiedensten Vertreter der revolutionären Klasse ihrer Zeit, des Bürgertums,waren.Die Jakobiner waren Vertreter des revolutionären Bürgertums, das gegen die feu-dal-absolutistische Ordnung kämpfte. Hinter dem revolutionären Bürgertumstanden die Plebejer: die verelendeten und am schlechtesten versorgten Schich-ten des Kleinbürgertums, die Handwerker und die Arbeiter.Im Kampfe gegen die feudal-absolutistische Ordnung wurden die Jakobinerdurch die unteren Schichten der Städte unterstützt. Oft waren diese plebejischenMassen, die Sansculotten, sogar die treibende Kraft. Die Bauernschaft,die gegendie Grundherren auf dem Lande und zugleich gegen den äußeren Feind an denFronten kämpfte, war zahlenmäßig 'am stärksten und bildete die Hauptstreit-kraft der französischen bürgerlichen Revolution.Vom 31. Mai bis zum 2. Juni 1793 wurde in Frankreich die revolutionär-demo-kratische Diktatur der Jakobiner errichtet, die unter dem Druck der niederenstädtischen und ländlichen Schichten eine Reihe von wichtigen, im Interessedieser Schichten liegenden Maßnahmen durchführte.

Die Periode der Diktatur der Jakobinerer Während seiner bürgerlichen Revolution im 18. Jahrhundert war Frankreichr zweimal einer sehr schweren Gefahr ausgesetzt. Zum ersten Mal im Sommer des

Jahres 1792 vor dem Aufstand des 10. August. Nach dem Sturz der Monarchieaber hatte das revolutionäre Frankreich in sich genügend Kraft gefunden, um den

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Ein jakobinischer Sansculotte.Nach einem Gemälde von Boilly

Feind abzuwehren und sogar zum Angriff überzugehen. Noch kritischer war dieLage im Frühjahr 1793, als für die verräterischen Girondisten die letzten Monateihrer Herrschaft gekommen waren: Nach ihrem Sturze, im Augenblickderhöch-sten Gefahr, gelangten die Jakobiner an die Macht. Frankreich war von einemRing feindlicher Feudalstaaten umgeben, denen sich England, das fortschrittlich-ste Industrieland Europas. angeschlossen hatte. .Als die Macht in die Hände der Jakobiner überging, entschlossen sich die Eng-länder, in Frankreich zu intervenieren. Ihre Truppen und ihre Flotte besetztenunter Mitwirkung der verräterischen Girondisten Toulon, den wichtigsten Kriegs-hafen Südfrankreichs.Der gegenrevolutionäre A~stand in der Vendöe und der Bretagne dehnte sich,von England unterstützt, immer weiter aus. Die Venelee dampfte von Blut, siewar mit Leichen übersät und von den Rauchschwaden zahlloser Feuersbrünsteeingehüllt. In diesen Tagen soll Robespierre gesagt haben: "Wenn die Revolu-tion zugrunde geht, dann durch die Vendöe, Damit Frankreich leben kann, mußman die Vendee vernichten."

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Robespieire

Die aus Paris geflohenen Cirondisten und ihre Anhänger in der Provinz entfessel-ten zusammen mit dem monarchistischen Adel gegenrevolutionäre Aufstände inBordeaux (Departement Gironde), Lyon und Marseille. Es gah einen Zeitpunkt,an dem von den 83 französischen Departements nur noch 23 hinter dem Konventstanden. .Die größte Gefahr stellten die Spione und Agenten in denjenigen Departementsdar, die dem Konvent treu gehliehen waren, Im Sommer 1793 drang die denGirondisten nahestehende Gegenrevolutionärin Charlotte Corday unter einemVorwande in Marats Haus ein und ermordete ihn heimtückisch durch einen Dolch-stoß. Das ganze rev·olutionäre Paris hetrauerte Marat, den "Freund· des Volkes".

Der englische Premierminister Pitt setzte 5 Millionen Pfund Sterling für Spionage undAgententätigkeit in Frankreich aus. Ende Juli 1793fand man auf dem Festungswall vonLilIe eine Brieftasche, die ein englischer Spion verloren hatte. Aus den Schriftstücken, die .sich darin befanden, war ersichtlich, daß dieser Spion mit vielen Agenten in Frankreich inVerbindung stand, denen er teilweise monatliche Beträge von 2500Livres zahlte. Er orga-nisierte Brände in einer Reihe von Städten, in Heeres- und Segelschiffwerkstätten; außer-dem kaufte er Gegenstände des notwendigen Bedarfs auf, um den Hunger zu vergrößernund eine allgemeine Hungersnot herbeizuführen. Verräter steckten in Bayonne Patronen-fabriken in Brand und sprengten in ChemillöArtillerielager in die Luft;Ein englischer Agent, der Bankier Boyd, bestach eine Reihe von Konventsmitgliedern.Der österreichische Spion Proli wurde sogar Mitglied des Jakobinerklubs und brachte viele

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geheime Beschlüsse in Erfahrung. Robespierre sah sich gezwungen, in sein Notizbuch einzu-.tragen : "Man muß zwei Pläne bereit haben, einen für die Angestellten der Kanzlei." Denzweiten, den wirklichen Plan, mußte man sogar vor gewissen engsten Mitarbeitern geheim-halten. Zwei Brüder, österreichische Agenten, gaben sich im Straßburger Klub als verfolgtePatrioten aus und befaßten sich unter dem Decknamen Frey mit Spionage. GeistlicheundAngehörige des Adels, die sich in den Apparat der jakobinischen Diktatur eingeschlichenhatten, betrieben eine gefährliche Unterminierungsarbeit. '

Einen Ausweg aus den übergroßen Schwierigkeiten fanden die Jakobiner in der rErrichtung einer festen revolutionären Gewalt, die mit den Feinden der Revolu- (tion rücksichtslos ahrechnete.Im Sommer 1793 wurde von den Jakobinern eine neue Verfassung ausgearbeitet.Sie erklärte Frankreich zur. demokratischen Republik. Das Stimmrecht wurdejedem Bürger gewährt, der das 21. Lehensjahr erreicht hatte. Das direkte Wahl-recht wurde eingeführt. Diese Verfassung war im .Vergleich zur znonarchistischenZensusverfassung von 1791 ein großer Fortschritt. Als über sie beraten wurde,forderte Rohespierre sogar die Beschränkung des Eigentums, insoweit es "unsererSicherheit, unserer Freiheit, unserer Existenz oder dem Eigentum des NächstenEintrag tue". Er verkündete, daß "die Gesellschaft verpflichtet sei, sich um: dieExistenz aller ihrer Glieder zu kümmern". Aher der bürgerliche RevolutionärRohespierre ging über verschwommene, unbestimmte Aufrufe zur Beschränkungdes Eigentums nicht hinaus. Er konnte sich nicht dazu entschließen, die Beseiti-gungdes Privateigentums an den Produktionsmitteln zu fordern. "Seelen ausSchmutz, die ihr nur das Gold achtet", sagte Hohespierre, "ich will eure Schätzenicht antasten." In der Verfassung von 1793 wurde das Eigentum als "das natür-liche und verhriefte Recht des Menschen" hezeichnet.Die Verfassung, die auf dem Höhepunkt der Französischen Revolution geschaffenwurde, eine 'der demokratischsten hürgerlichen Verfassungen, hestätigte aher dasPrivateigentum und den Klassencharakter der Gesellschaft. Sie hatte dem Volkeweder Brot noch Arbeit gesichert, und sie konnte es auch nicht tun, da sie einehürgerliche Verfassung war.DieVerfassung von 1793 gilt 'als eine der fortschrittlichsten bürgerlichen demokra-tischen Verfassungen. Diese demokratische Verfassung sollte aber erst nach Be-endigung des Bürgerkrieges in Kraft treten. -Dies hegründete Rohespierre folgendermaßen: "Die revolutionäre Regierunghraucht eine außerordentliche Aktivität, weil sie sich im Krieg- befindet, Sie istkeinen stahilen Gesetzen unterworfen, weil die Umstände, unter denen sie herrscht,stürmisch sind und sich jeden Augenhlick verändern. Sie ist genötigt, ohne Unter-brechung neue Quellen der Kraft gegenüher den sich schnell verändernden Ge-fahren zu entdecken ... Die revolutionäre Regierung schuldet den guten Bürgernden. nationalen Schutz; sie schuldet den Feinden nur eines, den Tod ... "Diese Verfassung, die allerdings nicht zur Anwendung gelangte, bedeutete einengroßen Fortschritt gegenüber der monarchistischen Verfassung von 1791.Nachdem die Inkraftsetzung der Verfassung aufgeschohen worden war, organi-sierten die Jakohiner ihre Diktatur, eine starke Gewalt, deren Aufgahe die Ret-tung der Revolution vor den ihr drohenden Gefahren war.Der Staatsapparat der hürgerlich-demokratischenDiktatur der Jakohiner wurdein folgender Weise organisiert: Die Fülle der Macht gehörte seit dem Sommer1793 dem vom Konvent gewählten Ausschuß der öffentlichen Wohlfahrt (Wohl-fahrtsausschuß), an dessen Spitze der entschlossene und unheugsame Rohes-

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Mafistab 1000m~ ~ 500 ,

. Z it der Revolution (1789-1791,)Plan VOlt Pans zur Je

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pierre stand. Ruhig, kaltblütig, stets sorgfältig gekleidet, war Robespierre in denschwersten Augenblicken ein Beispiel der Mannhaftigkeit. Die Feinde haßten ihn,aber bei den Massen war er populär. Er war rechtlich denkend und galt als un-bestechlich. Dem Ausschuß standen bevollmächtigte Kommissare des Konventszur Verfügung, die in die Departements und an die Front geschickt wurden, Siehandelten entschlossen und revolutionär.Als Saint-Tust, ein Mann von großer Intelligenz und starkem Willen, der engsteMitarbeiter Robespierres im Wohlfahrtsausschuß, als Kommissar zur Rhein-armee gesandt wurde, belegte er die Reichen mit einer Steuer. In einem der Be-fehle schrieb Saint-Tust : ,,10000 Soldaten sind in unserer Armee barfuß. Ihrmüßt morgen allen Aristokraten von Straßburg die Schuhe wegnehmen, undübermorgen um 10 Uhr früh müssen die Wagen mit10000 Paar Schuhen auf demWeg zu unserem Hauptquartier sein."Außer auf die Kommissare stützte sich der Ausschuß auf den Klub der Jakobinerund einige Tausend seiner über das Land verstreuten Tochterklubs (der "Volks-gesellschaften") in den Provinzen und auf die revolutionären Kommunen und Sek-tionen (Bezirke) in den Städten. Die Kommunen und Sektionen wählten überallentschlossen und schnell handelnde revolutionäre Ausschüsse. Ihre Kraft schöpftedie Regierung der Jakobiner aus der Unterstützung, die sie bei den Massen fand..Eine der wichtigsten Aufgaben der Regierung war es, mit den Feinden der Revo-lution fertig zu werden, mit dem Adel, den monarchistischen Geistlichen, demgegenrevolutionären girondistischen Bürgertum, den Verrätern und Spionen, vondenen es in Frankreich wimmelte, mit den Spekulanten, die am Hunger derMassen verdienten.Die "Volksgesellschaften" , die Revolutionsausschüsse und auch einzelne Bürgetin den verschiedenen Orten halfen dem Wohlfahrtsausschuß und dem Revolu-tionstribunal, die Gegenrevolutionäre aufzuspüren und mit ihnen abzurechnen.Das Revolutionstribunal richtete die Gegenrevolutionäre, die Spekulanten, dieSpione und die Verräter rasch und streng.Seit dem Herbst 1793 steigerte die jakobinische Diktatur auf Drängen derVolksmassen ihren revolutionären Terror. Es wurde ein Erlaß über die "Ver-dächtigen" veröffentlicht, zu denen die gezählt wurden, "die sich durch ihr Ver-halten, durch ihre Verbindungen oder durch ihre Reden und Handlungen alsAnhänger der Tyrannei und Feinde der Freiheit erwiesen". Alle Verdächtigenwurden sofort verhaftet. Als Verdächtige wurden auchdiej enigen Geistlichen er-klärt, die sich geweigert hatten, den Eid auf die Verfassung abzulegen. Den ad-ligen Emigranten, die heimlich nach Frankreich zurückgekehrt waren, drohtedie Todesstrafe. Die Gegenrevolutionäre, die an Aufständen teilnahmen, erschoßman. Die Führer der Girondisten wurden hingerichtet.Den energischen Maßnahmen gegen alle Feinde der Revolution war es zu verdan-ken, daß die Aufstände unterdrückt, die Sabotage gebrochen und der Sieg an denFronten errungen werden konnten.Die Volksmassen, die Bauern und das Kleinbürgertum in den Städten, das "Ple-bejertum", unterstützten die Jakobiner, die nicht nur die unmittelbaren Feindeder Revolution, sondern auch das Feudalwesen endgültig beseitigten.Am 17. Juli 1793 gaben die Jakobiner ein Dekret über die völlige und entschädi- D

gungslose Abschaffung aller Feudallasten heraus. In diesem Beschluß gab der'Kon- d

vent den Befehl, alle Urkunden zu verbrennen, in denen die Rechte der Seigneursaufgezeichnet waren. Die Bauern erhielten das Gemeindeland zurück, das ihnen

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früher von den Seigneurs geraunt worden war. Gleichzeitig gestattete der Kon-vent, daß auf Verlangen eines Drittels der Hausbesitzer eines Dorfes das Ge-meindeland aufgeteilt werden konnte, sofern jeder den gleichen Anteil er-hielt. Die bei der Geistlichkeit und den emigrierten Adligen beschlagnahmtenLändereien wurden in kleinen Parzellen verkauft, uni den Bauern die Erwerbungzu erleichtern. In den Kolonien schaffte der Konvent die Sklaverei ab, freilicherst, nachdem die aufständischen Negersklaven in der französischen KolonieHaiti bereits ihre-Befreiurig durchgesetzt hatten.

e Im Herbst 1793 nahm der Konvent unter dem Druck der Massen, die unter den1 zerrütteten Verhältnissen und besonders unter der Teuerung zu leiden hatten, ein

Gesetz über das allgemeine Maximum an, d. h. über Höchstpreise für alle Waren,Das Gesetz bedrohte die Überschreitung des Maximums mit den schwersten Stra-fen bis zur Todesstrafe. Man sandte bewaffnete Trupps aufs Land, um beiden Gutsbesitzern und den wohlhabenden Bauern Getreide zu beschlagnahmen.Zur gleichen Zeit führten die Jakobiner ein Maximum für die Löhne der Arbeiter(Höchsttarife) ein. _

f Als der Konvent gegen die konterrevolutionäre Geistlichkeit entschlossen vorging, unter-nahm die Kommune von Paris den Versuch, die Kirche abzuschaffen. Immer häufigerwurden Feierlichkeiten, wie Taufen, Hochzeiten und Beerdigungen.. ohne HinzuziehungGeistlicher durchgeführt. Die Kirchen wurden geschlossen. Gleichzeitig machte die Kom-mune den Versuch, die Religion durch einen "Kult der Vernunft" zu ersetzen, und veran-staltete Feiern, in denen man dem Geiste der Aufklärung Ehre zu erweisen suchte.Festlichkeiten gab es auch aus Anlaß wichtiger Augenblicke im Leben der Natur, derGeschichte der Menschheit und der französischen Revolution, zu Beginn und bei Be-

-endigung von Feldarbeiten, wie z. B. der Ernte oder der Weinlese. Überall wurden zu Ehrender Revolution Triumphbogen errichtet und Umzüge veranstaltet, bei denen man Revolu-tiorislieder sang.Als die jakobinische Diktatur ihrem Ende entgegenging, füh:rte der Konvent auf VorschlagRobespierres, der den Kampf gegen die Religion nicht billigte, diese wieder ein, wenn auchin anderem Sinne. Auf Robespierres Rat schuf man einen Kult des "Höchsten Wesens"d. h. Gottes. Am besten diene man diesem "Höchsten Wesen", so wurde erklärt, wenn mandie Pflichten des Bürgers erfülle. Zu Ehren des "Höchsten Wesens" wurden Feste veran-staltet.

Ein neuer Kalender wurde eingeführt. Die einzelnen Monate benannte man nachden Besonderheiten der Jahreszeit. So hieß z. B. ein Sommermonat Thermidor,der heiße Monat, ein Herbstmonat Brumaire, d. h. Monat der Nebel; ein Winter-monat Ventose = Monat der Winde. Germinal (Monat des Keimens der Saaten)und Prairial (Monat der Wiesen) waren die Namen von Frühlingsmonaten. JederMonat war in Dekaden eingeteilt, d. h. in Abschnitte von je 10 Tagen.Ebenso energisch, wie sie mit den Feinden der Revolution innerhalb des Landesverfuhren, und ebenso entschlossen, wie sie die alten feudalen Verhältnisse besei-tigten, gingen die Jakobiner auch an die Reorganisation des Heeres. Sie wandteneine neue revolutionäre Taktik an, und es gelang ihnen, an den Fronten den Siegzu erringen. So schwer es war, mit Soldaten zu siegen, die kein Schuhwerk besaßenund oft nur mit Piken bewaffnet waren :'diese Soldaten wußten, daß sie mit ihremKampfe die Errungenschaften der Revolution verteidigten; sie gingen unter demGesang der "Marseillaise" gegen die oft erdrückende Übermacht eines gut be-waffneten Feindes vor und besiegten ihn.Das Heer der Revolution kämpfte nach einer neuen Methode. Bei den Heeren derFeudalstaaten wurde die "Lineartaktik" angewandt, die unter Friedrich H. ihre

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Frankreich im Jahre 1793. Der Kampf gegen die Koraerreoolution

höchste Vollendung erreicht hatte, Bei dieser Taktik wurde die gesamte Infan-terie in gewaltige "Linien" auseinandergezogen, die an ihren Enden durch kurzeQuerkolonnen miteinander verbunden waren. Eine solche unbeholfene Massekonnte sich nur langsam und nur auf ebenem Gelände bewegen.Die Offiziere, die aus Ländern kamen, in denen die Leibeigenschaft herrschte,fürchteten sich, die Soldaten auch nur für kurze Zeit ohne Aufsicht zu lassen.Die Revolutionsheere hingegen konnten eine andere Taktik anwenden. Den fran-zösischen Soldaten fehlte zwar die Erfahrung, aber sie wußten, im Gegensatz zuden angeworbenen Söldnern, wofür sie kämpften.Die veränderte Zusammensetzung des Heeres rief, worauf Engels hinweist, eineneue Art der Kriegführung ins Leben, die aufgelöste Schützenlinie und den Marschin Kolonnen.Solch'e Kolonnen, denen dichte Schützenketten vorausmarschierten, konntenauf jedem beliebigen, für die "Linien" ungeeigneten Gelände kämpfen undnach Durchbrechung der feindlichen Reihen schnell die Truppen aus der Re-

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serve heranziehen, umdie feindlichen Kräfteendgültig zu vernichten.Die Armee wurde inselbständige Korps ein-geteilt, in denen sämt-liche Waffengattungenvertreten waren."Sieg oder Tod!" Daswar die Losung des Re-volutionskrieges. DerOpfermut und die Tap-ferkeit der Soldaten desrepublikanischen Hee-res - hauptsächlichBau-ern, Handwerker undArbeiter des freienFrankreich, die die Lastder alten Feudalord-nung abgeschüttelt hat-ten - waren ohne Bei-spiel.Schon im August 1793hatte der Konvent einneues Dekret über eineMassenaushebung er-lassen. Alle Bürger vom18. bis zum 25. Lebens-jahre galten als mohili-siert zur Verteidigungder Heimat. "DIe jun-gen Leute", hieß es indiesem Dekret, "werden

Soldaten der Revolution. Nach einer Lithographie von Raffet in den Kampf ziehen.die Verheirateten Waf-

fen schmieden und Lebensmittel zuführen. Die Frauen werden Zelte undBekleidung herstellen und in den Spitälern Dienst tun, die Alten werden.sich auf die. öffentlichen Plätze bringen .lassen, um den Mut der Kriegerzu entfachen, den Haß gegen die Könige und die Einheit der Republik zu pre-digen.">Organisatoren der Siege waren die Kommissare und die Heerführer, die oft aus den

. untersten Schichten der Bevölkerung stammten. Unter den Generalen zeichnetesich der junge Hoche, der Sohn eines einfachen Soldaten, durch besondere Tapfer-keit aus. Er war in der Jugend Pferdeknecht gewesen und hatte dann an der Ein-nahme der Bastille teilgenommen. Eine große Rolle spielte in der neuen Heeres-organisation ein Militäringenieur. der Jakobiner Lazare Carnot.Das Revolutionsheer schlug die gut ausgerüsteten Heere Österreichs und Eng-Iands. Ende 1793 wurden die Engländer aus Toulon vertrieben. Hier zeichnete1 Mathiez, Die Französische Revolution, Zürich 1940, S.495.

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sich ein junger Artilleriehauptmannzum ersten Male aus; er hieß Na-poleonBonaparte.Die Aufständischen der Vendeewurden schwer geschlagen. Gegendie Girondisten, die sich Lyonsbemächtigt hatten, erhoben sichunterFührung von Kommissarendes Konvents die Bauern der Um-gegend. Einer Lawine gleich stürz-ten sich die Bauern, mit Piken,Heugabeln und Sensen bewaffnet,von den umliegenden Bergen aufdie Stadt. Lyon wurde genommen;die Häuser der Reichen wurdenzerstört.Die Truppen der Jakobiner erran-gen am Rhein, auf elsässischemGebiet, einen Sieg über die Öster-reicher. Aber erst am 26. Juni 1794 Ojjizilir der R."olutionsarme.

versetzten die Heere des Konventsin der Schlacht bei Fleurus der Koalitionsarmee den entscheidenden. Schlag. Da-durch wurde der Krieg aus Frankreich heraus und in das Gebiet des Gegnersgetragen.Die Ursachen der französischen Siege erklärte Lenin folgendermaßen: "Man be-ruft sich ständig auf den heroischen Patriotismus der .Franzosen in den Jahren1792 bis 1793 und auf die Wunder an militärischem Heldenmut, die sie voll-bracht haben. Man vergißt :aber die materiellen - historischen und ökonomi-ehen - Bedingungen, die diese Wunder erst ermöglicht haben. Die wirklichrevolutionäre Abrechnung mit dem überlebten Feudalismus, der mit einerSchnelligkeit, Entschlossenheit, Energie und Hingabe, die wahrhaft revolutionär>demokratisch waren, erfolgte Übergang des ganzen Landes zu einer. höherenProduktionsweise, zumfreien bäuerlichen Grundbesitz -das waren die materiellen,Ökonomischen Bedingungen, die Frankreich mit ,wunderbarer' Schnelligkeit rette-ten, indem sie seine wirtschaftliche Grundlage umgestalteten und erneuerten. «I

Der Kampf gegen die feudale und die bürgerliche Gegenrevolution und gegen den I

äußeren Feind hatte die hinter den Jakobinern stehenden Kräftezusammenge- iJ

schmiedet. Seit dem Herbst 1793 jedoch, als an den äußeren Fronten der Um- d

schwung eintrat und die Aufständischen im Lande selbst eine Niederlage erlitten d

hatten, verstärkten sich im Lager der bürgerlichen Revolution die innerenZwistigkeiten.Die Armen litten Hunger; die Arbeiter waren mit der Einführung des "Maxi-mums" für den Arbeitslohn nicht einverstanden. Die wohlhabenden Bauern,die das Dekret des Konvents ausnutzten, zwangen die Armen, während derErnte auf ihren Feldern zu arbeiten. Die "Wütenden" und jene Jakobiner,die sich innerhalb der Kommune zu einer Gruppe zusammengetan hatten,forderten die Verstärkung des Terrors gegen die Spekulanten. Sie verlangten

1Lenin, Die drohende Katastrophe und wie man sie bekämpfen solI. Ausgewählte Werke in zweiBänden, Verlag für fremdsprachige Literatur, Moskau 1947, Band II, S. 127.

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Maßnahmen gegen die Reichen auf dem Lande und sogar gegen die kleinenGemüsehändler .Der Konvent ließ die "Wütenden" verhaften. Ihr Führer, Jacques Roux, der er-fahren hatte, daß er dem Gericht des Revolutionstribunals übergeben sei, brachtesich einen tödlichen Stich mit dem Messer bei.Im März 1794 wurden einige Führer der Kommune, die versucht hatten, die Machtzu ergreifen, an ihrer Spitze Hehert, verhaftet und hingerichtet. Bald daraufwurde eine Verschwörung Dantons und seiner Anhänger in der Jakobinerparteiund im "Sumpf". aufgedeckt. Danton war von gewaltigem Wuchs, hatte einfleischiges, gerötetes Gesicht, seine Haare waren wirr und zerzaust, und er besaßeine Donnerstimme. Er verlangte die Einstellung des Terrors und die Beseitigungder Höchstpreise. Zugleich bestand er auf einem Friedensschluß mit England. Dan-ton vertrat die Interessen der Großbourgeoisie, die nach unbegrenzten Profitenstrebte. Es wurde festgestellt, daß Danton Volksgelder veruntreut hatte. Man be-hauptete, er sei von England bestochen. Danton wurde verhaftet und bald miteiner E.eihe seiner Anltänger hingerichtet.Trotz Beseitigung der Feudallasten -hlieb die Lage der Massen schwierig. Die Ar-men auf dem Lande besaßen keine Mittel, um konfisziertes Land kaufen zu können.Ein besonderes Dekret der Jakobiner bedrohte schon die Einbringung eines"Agrargesetzes", d. h. eines Gesetzes über eine allgemeine ausgleichende Land-auf teilung, mit der Todesstrafe. Das Gesetz Le Chapelier ließ man in Kraft undverbot den Arbeitern jeden Zusammenschluß in Verbänden, schloß ihre Organi-sationen und bestrafte sie, wenn sie streikten.Die Massen verlangten neue revolutionäre Maßnahmen - die Wegnahme des Lan-des aller Gutsbesitzer, und nicht nur der Emigranten oder der abgeurteiltenGegenrevolutionäre ; aber Robespierre und seine Anhänger wollten nicht dasEigentum antasten, ausgenommen in jenen Fällen, in denen dies aus zwingendenpolitischen oder militärischen Gründen notwendig war (Beschlagnahme des Be-sitzes von Gegenrevolutionären, Einführung des Maximums, Requisitionen). DieArbeiter verlangten eine Abschaffung des Maximums für ihre Löhne; die GruppeRobespierres ließ sich jedoch nicht darauf ein.Äußerst schwierig blieb die Lage der Armen auf dem Lande; aber die Jakobinerließen ihnen keine Hilfe zukommen. Dadurch stießen die Jakobiner jene Schich-ten der Massen von sich, bei denen sie früher Unterstützung gefunden hatten.Hierin zeigte sich die bürgerliche Beschränktheit der Jakobiner.Da Robespierre, Saint- Just und die anderen Jakobiner offenbar nicht daran dach-ten, die Revolution weiter voranzutreiben, und die Unterstützung der Armen inStadt und Land verloren, sahen sie sich der Gefahr einer gegenrevolutionärenUmwälzung durch das Bürgertum gegenüber, das erstarkt war und die Höchst-preise heftig bekämpfte.Gerade in dieser-Zeit entstanden viele neue Betriebe. Es entwickelte sich trotzder Höchstpreise ein Spekulationshandel.Im bürgerlichen "Sumpf" und unter einem Teil der Jakobiner reifte eine Ver-schwörung gegen Robespierre und seine Anhänger heran. Robespierre erfuhr da-von; er beschloß, den Verschwörern zuvorzukommen und sie seinerseits anzu-

[ greifen.Als er im Konvent erschien, verlangte er die Verhaftung der Verschwörer. SeineFeinde ließen ihn aber nicht zu Worte kommen und verhafteten ihn im Konvent.Die Kommune jedoch rief Hilfe herbei. Robespierre wurde befreit und begab sich

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sogleich auf das Rathaus, in dem die Kommune von Paris zu tagen pflegte.Die gegenrevolutionären Verschwörer umstellten das Rathaus mit Truppen.Robespierre, dem die Pariser Vorstädte nur unzureichend Hilfe brachten, wurdeverhaftet und dabei verwundet. Dies geschah am 9. Thermidor des Jahres IInach dem neuen Revolutionskalender (27. Juli 1794).Am darauffolgenden Morgen wurden Robespierre, Saint-Tust und ihre Anhänger,die man als außerhalb des Gesetzes stehend erklärt hatte, enthauptet.An die Macht gelangten nun die sogenannten Thermidorianer, ein gegenrevolu-tionäres Bürgertum, das sich sofort mit wütendem Terror gegen die Volksmassenwandte. Die Bauern erhoben sich nicht zum Schutz der Jakobiner. Sie hatten be-reits die Abschaffung der Feudallasten erreicht und zum Teil Land erhalten. Dasie daran interessiert waren, ihre Erzeugnisse auf dem Markt zu verkaufen,waren sie über die Höchstpreise für Brot und über die ständigen Requisitionenfür die Bedürfnisse des Heeres unzufrieden. Als die Thermidorbourgeoisie an dieMacht gelangte, stieß sie bei den Bauern auf keinen Widerstand; sie benutztenun ihre Macht, um die Bauern zu unterdrücken.

Die Bedeutung der französischen bürgerlichen Revolution des18. Jahrhunderts. Der grundsätzliche Unterschied zwischen derbürgerlichen und der proletarischen RevolutionÜber die historische Bedeutung derfranzösischen bürgerlichen Revolution schriebLenin: "Für Ihre Klasse, für die sie wirkte, nämlich für die Bourgeoisie, hat siesoviel geleistet, daß das ganze 19. Jahrhundert, dieses Jahrhund ert, das der ganzenMenschheit Zivilisation und Kultur brachte, unter dem Zeichen der FranzösischenRevolution stand. Dieses Jahrhundert hat an allen Enden der Welt nichts an-deres getan, als das durchzuführen, nach und nach zu verwirklichen und zubeendcn, was die großen französischen Revolutionäre der Bourgeoisie schufen,deren Interessen sie dienten, obwohl sie sich dessen nicht bewußt waren und esmit Worten über ,Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit' bemäntelten."!Die Revolution in Frankreich hatte ungeheure Veränderungen auf allen Gebietendes gesellschaftlichen Lebens bewirkt. Vor der Revolution war das Bauerntumdurch die Feudalverpflichtungen unterdrückt. Adel und Geistlichkeit waren imVergleich nicht nur zu den Bauern, sondern auch zu der Bürgerschaft. privile-gierte Stände. Ihre Macht verkörperte die unbeschränkte Monarchie. In der Pro-vinz hatten sie eigene Gerichte, eigene Zollstationen und eigene Maße. Die Ent-wicklung von Gewerbe, Landwirtschaft und Handel war durch die Fesseln derfeudalen Gesellschaftsordnung gehemmt.Alle diese Fesseln wurden von den Jakobinern restlos beseitigt. Sie errichteteneine revolutionäre Diktatur, unterdrückten mit großer. Energie und rück-sichtslos die Gegenrevolution und schützten die Heimat gegen den äußeren Feind.Die Bauern wurden von dem Joch der Leibeigenschaft befreit, und die Hinder-nisse auf dem Wege zur kapitalistischen Entwicklung des Landes wurdenbeseitigt.Die Volksmassen nahmen aktiv Anteil an der französischen Revolution des18. Jahrhunderts. Stalin hat diese Revolution als eine Volksrevolution charak-

1Lenin, Sämtliche Werke, Band XXIV. Seite 304 [russ.),

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terisiert, "die dadurch siegte, daß sie ungeheure Volksmassen zur Erhebunggegen den Feudalismus führte und die Interessen des Dritten Standes vertei-digte ... "1

Jedoch "einen vollständigen Sieg zu erringen", sagt Lenin, "war den Jakobinernnicht beschieden, hauptsächlich darum, weil das Frankreich des 18. Jahrhundertsauf dem Festland von allzu rückständigen Ländern umgeben war, und weilFrankreich selbst keine materiellen Grundlagen für den Sozialismus besaß,es gab keine Banken, keine kapitalistischen Syndikate, keine Maschinenindustrie,keine Eisenbahnen. "2

Die geschichtliche Bedeutung der Jakobiner liegt darin, daß sie in Frankreich diefeudalen Verhältnisse beseitigten; jedoch ebneten sie damit den Weg für denKapitalismus und für die Herrschaft der Bourgeoisie. "Die bürgerliche Revolu-tion stand nur vor einer Aufgabe", schrieb Lenin, "alle Fesseln der früheren Ge-sellschaft abzuwerfen und zu vernichten. Jede bürgerliche Revolution, die dieseAufgahe erfüllt, erfüllt alles, was man von ihr fordert: sie stärkt das Wachs-tum des Kapitalismus.t'P"... In Frankreich erntete die Bourgeoisie, an der Spitze der Revolution stehend,die Früchte der Revolution ... "A An Stelle der feudalen Ketten legte das Bürger-tum den Arbeitern und Bauern neue Ketten an, die der bürgerlichen Ausbeutung.Die Stände wurden beseitigt; aber an die Stelle des Drucks, den die adligen Herrenausübten, trat jetzt der Druck der reichen Kapitalisten. Jetloch war das kapita-listische System fortschrittlicher als das feudale. Unter dem Kapitalismus ent-steht und wächst neben dem Bürgertum das Proletariat, der zukünftige Toten-gräber eben dieses Bürgertums.Solange die Jakobiner den Kampf g.egendie feudal-absolutistischen Klassen führ-ten, fanden sie bei den Volksmassen Unterstützung. Dazu stellt aber Stalin fest:"Die bürgerliche Revolution kann die Millionenmassen der Werktätigen und Aus-·gebeuteten nicht für eine einigermaßen lange Periode mit der Bourgeoisie zu-sammenschließen, und zwar deshalb nicht, weil sie Werktätige und Ausgebeutetesind ... "5

Nur in der sozialistisch~n Revolution ist ein dauernder Bund der breiten Massender Werktätigen mit dein Proletariat, das sie mit sich reißt, möglich.

Grundlegende Unterschiede bestehen auch zwischen den Voraussetzungen der bürgerlichenund der proletarischen Revolution. Im feudalen Frankreich waren schon vor der Revolution"meht oder weniger fertige Formen der kapitalistischen Ordnung"6 ausgereift. In Frank-reich gab es eine kapitalistische Manufaktur. Lohnarbeit und Pacht gegen Geld waren inder Landwirtschaft weit verbreitet. Der Handel hatte sich schnell entwickelt.Anders liegen die Dinge im Falle der sozialistischen Revolution. Stalin sagte, daß "bei Be-ginn der proletarischen Revolution fertige Formen des sozialistischen Systems fehlen oderfast fehlen. "7

1Stalin, Unterrednng mit dem englischen Schriftsteller H. G. Wells, Fragen des Leninismus,10. Ausg., 1938, S. 83l.2 Lenin, Kann man die Arbeiterklasse mit dem "Jakobinertum" schrecken? Sämtliche Werke,Wien-Berlin, Band XX, 2. Halbband. S. 214.3 Lenin, Rede über Krieg und Frieden, Sämtliche Werke, Wien-Berlin, Band XXII, S.345.4 Stalin, "Die provisorische revolutionäre Regiemng und die Sozialdemokratie", Werke, DietzVerlag, Berlin 1950, Band 1, S. 129.5 Stalin, Fragen des Leninismus, 11. Ausg. 1947, S. 14l.6 Ebenda, S. 140.7 Ebenda, S. 140.

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In Rußland war es erst nach Errichtung der Diktatur des Proletariats möglich, den So-zialismus einzuführen. Wie hieraus verständlich ist, :warendie Aufgaben der großen prole-.tarischen.Revolution bei weitem verwickelter und schwieriger. .

Der Hauptunterschied zwischen der Revolution des Bürgertums und der desProletariats ist folgender: "Die bürgerliche Revolution beschränkt sich darauf,die Herrschaft einer Ausbeutergruppe durch die einer anderen Ausbeutergruppezu ersetzen ... " 1Die Große Sozialistische Oktoberrevolution beseitigte jede Aus-beutung des Menschen durch Menschen; indem sie das Privateigentum an denProduktionsmitteln aufhob, riß sie die Wurzeln der Ausbeutung aus. Bei derLösung der Aufgaben, die einer bürgerlichen Revolution gestellt sind, zerstörtund vernichtet die Bourgeoisie nicht den ausbeuteriechen feudal-absolutisti-schen Staatsapparat, sondern paßt ihn der bis zu einem gewissen Grade bereitsausgereiften bürgerlichen Wirtschaftsweise an.Die proletarische Revolution dagegen, die alle ausbeutenden Klassen beseitigt,vollbringt ein ungeheures Werk. Sie zerbricht und vernichtet die Staatsmaschi-nerie der Ausbeuter, die die Massen im Interesse einer winzigen Minder-heit unterdrückt hat. Das Proletariat schafft einen Staat neuer Art, der den Wil-len der Massen und die Diktatur dieses Proletariats verwirklicht. Dieser Staatunterd~ück~den gehässigen gegenrevolutionären Widerstand einer ausden Über-resten der ausbeutenden Klassen bestehenden winzigen Minderheit, organisiertden sozialistischen Aufbau und verteidigt die Grenzen der Sowjetunion.

Aus'dem grundlegenden Unterschied zwischen dem bürgerlichen und dem proletarischenStaat erklärt sich auch der verschiedenartige Verlauf der Revolutionen.Die sozialistische Revolution begann mit der Machtergreifung durch das Proletariat. In derbürgerlichen französischen Revolution hingegen gelangten die Jakobiner, die fortschritt- .lichsten Elemente des Bürgertums, die von der Masse des Volkes unterstützt wurden undmit den Plebejern ein Bündnis eingingen,erst auf der letzten Entwicklungsstufe der Revo-lution zur Macht.

Die bürgerliche französische Revolution des 18. Jahrhunderts und die' Gr,oßeSozialistische Revolution des 20. Jahrhunderts, die sich beide in ganz verschie-denen geschichtlichen Epochen und nach ganz verschiedenen Gesetzen ent-wickelten, unterscheiden sich also grundlegend voneinander.Im 18. Jahrhundert fehlten die Voraussetzungen für die Einführung des Sozialis-mus, für den Sturz des Bürgertums. Im Gegenteil, das Bürgertum war damals,als es die Feudalordnung stürzte und die Macht ergriff, eine aufsteigende Klasse.Anders liegen aber die Dinge jetzt. In unserer Zeit des Niedergangs und Zusam-menbruchs des Kapitalismus befindet sich das Bürgertum im Zustand des Ver-falls, und die aufsteigende Klasse ist jetzt das Proletariat. .Stalin sagt über die Große Sozialistische Oktoberrevolution, daß sie "weder eineFortsetzung noch eine Vollendung der Großen Französischen Revolution ist. DasZiel der Französischen Revolution war die Beseitigung des Feudalismus, um denKapitalismus 'zu festigen ..Das Ziel der Oktoberrevolution aber ist die Beseitigungdes Kapitalismus" um den Sozialismus zu festigen. "2 '.

1. Stalin, Fragen des Leninismus, 11. Ausg. 1947, S. 140. .2 Lenin und Stalin, Gesammelte Werke 'zum Studium der Geschichte der KPdSU (B), Band III,S. 532 (russ.),