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SCHWEIZER ILLUSTRIERTE 34 TEXT MARCEL HUWYLER FOTOS FABIENNE BüHLER G ottes Personal auf Erden tritt zuweilen herzer- frischend alternativ in Erscheinung. Ihre Klei- dung hat Schwester Veronika selber geschneidert. Schleier und Gewand sind aus Jeansstoff, hell- blau – wie der Himmel oder wie ein Übergwändli. Was beides perfekt zu einer Himmelsbraut passt, die sich ihren Lebensunterhalt selber verdienen muss. Die 39-Jährige gehört keinem Orden an, lebt nicht im Kloster und ist trotzdem eine von der Kirche hoch- offiziell anerkannte Frau Gottes. Eine Fast-Nonne. Am 5. Mai 2002, ein Sonn- tag wars und Veronika 28 Jahre jung, wurde sie in der Kathedrale von Chur vom Bischof geweiht. Veronika legte ihr Gelübde ab, versprach, ehelos zu leben, täglich Stundengebet und Rosenkranz zu beten, die Messe zu besuchen und ein gottgefälliges Leben zu führen. Seit- her betitelt die Kirche Veronika als «ge- weihte Jungfrau», sie selber nennt sich Freelance-Schwester, und ein Priester neckte sie mal als Pippi Langstrumpf der Kirche. Und alle haben sie recht. GOTTES WIRBELWIND Links: Am liebsten steigt Schwester Veronika mit ihrem Alphorn auf einen Hügel und posaunt inbrünstig zum Himmel. Rechts: Frisch, fromm, frei. In ihrem selbst genähten Jeans-Gewand wirbelt Veronika hoch über dem Safiental bei Tenna GR. Für die Kirche ist sie eine «geweihte Jung- frau». Sie selber nennt sich FREELANCE- SCHWESTER. Veronika aus Bonaduz GR dient Gott, arbeitet mit Piraten und verkauft Segens-Snacks. Die Geschichte einer kreuz und queren Fast-Nonne. Die fromme Beere u

die fromme › 2013 › 11 › 46...Veronika mit ihrem Alphorn auf einen Hügel und posaunt inbrünstig zum Himmel. Rechts: Frisch, fromm, frei. In ihrem selbst genähten Jeans-Gewand

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Page 1: die fromme › 2013 › 11 › 46...Veronika mit ihrem Alphorn auf einen Hügel und posaunt inbrünstig zum Himmel. Rechts: Frisch, fromm, frei. In ihrem selbst genähten Jeans-Gewand

schweizer illustrierte34

TexT Marcel huwyler FoTos Fabienne bühler

Gottes Personal auf Erden

tritt zuweilen herzer­

frischend alternativ in

Erscheinung. Ihre Klei­

dung hat Schwester

Veronika selber geschneidert. Schleier

und Gewand sind aus Jeansstoff, hell­

blau – wie der Himmel oder wie ein

Übergwändli. Was beides perfekt zu

einer Himmelsbraut passt, die sich

ihren Lebensunterhalt selber verdienen

muss. Die 39­Jährige gehört keinem

Orden an, lebt nicht im Kloster und ist

trotzdem eine von der Kirche hoch­

offiziell anerkannte Frau Gottes. Eine

Fast­Nonne. Am 5. Mai 2002, ein Sonn­

tag wars und Veronika 28 Jahre jung,

wurde sie in der Kathedrale von Chur

vom Bischof geweiht. Veronika legte ihr

Gelübde ab, versprach, ehelos zu leben,

täglich Stundengebet und Rosenkranz

zu beten, die Messe zu besuchen und

ein gottgefälliges Leben zu führen. Seit­

her betitelt die Kirche Veronika als «ge­

weihte Jungfrau», sie selber nennt sich

Freelance­Schwester, und ein Priester

neckte sie mal als Pippi Langstrumpf

der Kirche. Und alle haben sie recht.

Gottes wirbelwind

Links: Am liebsten steigt Schwester Veronika mit ihrem Alphorn auf einen Hügel und posaunt inbrünstig zum Himmel.Rechts: Frisch, fromm, frei. In ihrem selbst genähten Jeans-Gewand wirbelt Veronika hoch über dem Safiental bei Tenna GR.

Für die Kirche ist sie eine «geweihte Jung-frau». Sie selber nennt sich Freelance-schwester. Veronika aus Bonaduz GR dient Gott, arbeitet mit Piraten und verkauft Segens-Snacks. Die Geschichte einer kreuz und queren Fast-Nonne.

die fromme beere

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Page 2: die fromme › 2013 › 11 › 46...Veronika mit ihrem Alphorn auf einen Hügel und posaunt inbrünstig zum Himmel. Rechts: Frisch, fromm, frei. In ihrem selbst genähten Jeans-Gewand

schweizer illustrierte schweizer illustrierte36 37

andachtSchwester Veronika beim Gebet in ihrer Lieblingskirche, der aus dem 10.  Jahr hundert stammenden Sogn Gieri in Rhäzüns GR.

bilden eine Sitzecke, und auf einem pis­

taziengrünen Secondhand­Taburettli

stehen Telefon, Marienstatue und ein

Lederbeutel, gefüllt mit Knochenreliqui­

en der drei Heiligen Franziskus, Klara

und Therese. Sie habe so viele Einrich­

tungs­ und Gestaltungsideen, frohlockt

Veronika, «ich könnte ganze Häuser fül­

len». Zum Glück sei sie eine Schwester

und habe ein karges Leben zu führen,

«sonst besässe ich eine Menge Kleider

und wohl hundert Paar Schuhe».

Veronika Ebnöther wächst als

jüngstes von fünf Kindern im zürche­

rischen Rüschlikon auf. Sie besucht

das Kunstgymnasium und beginnt ein

Kunstgeschichtsstudium. Mit 18 Jahren

wird sie sich ihres Glaubens bewusst,

mit 20 schliesslich hat sie ein «unbe­

schreibliches Erlebnis, eine Berufung»,

fortan will Veronika Gott dienen. Sie

bricht ihr Studium ab, «testet» verschie­

dene Klöster, merkt aber, dass diese

Formen sie nicht wirklich anziehen. Die

berühmten sieben biblischen Jahre lang

sucht sie nach der für sie richtigen Le­

bensform und lässt sich in der Zeit zur

Religionslehrerin ausbilden.

Dann, 2002, findet Veronika Eb­

nöther die für sie vorbestimmte Art,

Gott zu dienen. Sie wird eine «geweihte

Jungfrau», ein Stand, den man be reits

im Frühchristentum kannte, als es noch

keine Frauenklöster gab. Später geriet

diese Weihe in Vergessenheit, bis sie

1970, in den Nachwehen des Zweiten

Vatikanischen Konzils, wiederentdeckt

wurde. Weltweit gibt es 3000 geweihte

Jungfrauen. Laut Bischofskonferenz

sind in der Schweiz 49 gottgeweihte

Jungfrauen bekannt, weitere drei berei­

ten sich auf ihre Weihe vor.

Mit einem kleinen 4 x 4-Auto

besucht Veronika ihre Gläubigen. Im

Safiental hat es viele abenteuerliche

Strassen, bei deren Benutzung man Got­

tes Namen schon Mal missbräuchlich

zischt. Veronika hingegen, das betont

sie, flucht natürlich nicht. Die einzigen

lauten Töne, die sie gen Himmel schickt,

sind herausposaunt. Benötigt sie auf

Schwester Veronikas Arbeits­

kollege ist ein wildhaariger, vierschröti­

ger Kerl mit Dreispitzhut. Jack heisst er,

ist Pirat – und eine Handpuppe. Mit ihm

zusammen unterrichtet Veronika Reli­

gion. Die Schwester wohnt im bündne­

rischen Bonaduz und betreut von dort

aus das weitläufige Safiental. Weil der

Grossteil der Bevölkerung reformiert

ist, besucht Veronika die wenigen

katholischen Kinder bei ihnen zu Hause.

Heute zum Beispiel Lina, Nico, Flavia

und Hanna. Die vier Kinder der Familie

Lutz aus der 113­Seelen­Gemeinde Ten­

na lassen sich gerade von Jack erklären,

welchen Reichtum er in seiner mit­

gebrachten Schatzkiste bewacht – das

Reich Gottes nämlich. Faszinierend­

irritierend, wie die drahtige Schwester

eine von Rum und Seeluft gegerbte

Piratenstimme so gewandt imitiert.

Der Religionsunterricht ist für

Veronika lediglich ein 13­Prozent­Job.

Und weil sie als Freelance­Schwester

ohne Ordens­ oder Klosterhilfe zurecht­

kommen muss, braucht sie noch andere

Einnahmequellen. Also verträgt sie in

Bonaduz mit dem Velo das Pfarrblatt

(die Bündel stapelt sie in einer am Len­

ker montierten Weinkiste), arbeitet als

Putzfrau und hütet im Sommer auf einer

Alp Geissen. Und sie verkauft Süssig­

keiten für die Seele, Seligkeiten also, ge­

nannt «Frommbeeren». Das sind monat­

lich erscheinende Büchlein, 24 Seiten im

A6­Format, von Veronika keck getextet,

frisch illustriert und ästhetisch gestaltet,

«in denen ich von der Schönheit, der

Liebe und Zärtlichkeit Gottes erzähle, so

wie ich sie sehe und erlebe», erklärt des

Herrgotts Chefredaktorin. Fromm, geist­

reich und süss sind ihre publizierten

Beeren, von einem «geistlichen Amuse­

Bouche», spricht sie, dem sagt man

dann wohl ein Amen­Bouche.

Glaube und Ästhetik prägen Vero­

nikas Leben. Einmütig vereint hat sie

diese zwei Kräfte in den «Fromm­

beeren» – und ihrem Daheim. Das Haus

an der Via Tgivisuri in Bonaduz ist ein

moderner, kubischer Bau mit kloster­

dicken Betonmauern. Veronika bewohnt

eine Zweizimmerwohnung, in der Licht

und Weiss vorherrschen. Die hölzerne

Bettstatt schreinerte ein Kollege von

ihr, das passende Kreuz an der Wand

gleich mit dazu. In alten Rhäzünser­ und

Passugger­Holzkisten stehen Bücher

mit Titeln wie «Franz von Assisi», «Cer­

velat und Tafelspitz» und «Pure Style».

Sie möge es, betont Veronika, schlicht

und schön. Und etwas Abwetz­Chic, im

Fachjargon Vintage genannt, findet die

Dienerin des Herrn herrlich. So ist der

Esstisch eine alte Festbank, die dank

der Schrammen früherer Gelage eine

neckisch­schäbige Patina hat. Schlichte

weisse Hocker, als wärens Wölklein,

ihren Autofahrten eine Frischluftpause,

hält sie an, holt ihr zusammensteck­

bares Alphorn aus dem Kofferraum und

pustet inbrünstig los. Am Schaltknüppel

ihres Autos baumeln Geissenglöggli, die

in jeder Kurve bimmeln, «damit ich auf

langen, nächtlichen Fahrten nicht ein­

schlafe», erklärt die enorm praktisch

veranlagte Schwester.

Die «Frommbeeren», Veronikas

Andachts­Apéro, kommen an, bereits

200 Abonnenten laben sich an ihren

Büchlein, die süsse Pausen in der Hek­

tik versprechen. «Mit dem Lohn all mei­

ner Jobs reicht es knapp zum Leben, da­

für fühle ich mich glücklich, erfüllt und

frei.» Sagt die Freelance­Schwester,

lacht und dreht sich im Kreis, mitten auf

einer Wiese, hoch über dem Safiental.

Dreht sich schnell und schneller, Schlei­

er und Gewand flattern, der himmel­

blaue Jeanskreisel wirbelt, die Free­

lance­Schwester jauchzt. Veronika,

frisch, fromm, frei, was für eine wohl­

tuend ungewöhnliche Schwester.

Himmlisch non(nen)konform.

taGwerk Veronika beim Verteilen des Pfarrblattes (oben), beim Gestalten der «Frommbeeren» am Notebook (Mitte), beim Religionsunterricht mit Pirat Jack bei den Kindern der Familie Lutz in Tenna GR.

schöner wohnen und betenSchwester Veronika hat ihre Zweizimmer-wohnung mit viel Stil und (Vintage-)Style möbliert. Die hölzerne Bettstatt samt Kreuz (oben), alte Holzkisten als Regale.

zum Glück führe ich als

schwester ein karges leben, sonst

hätte ich hundert Paar schuhe

schwester Veronika

----------Mehr infos www.frommbeeren.ch

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