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edition suhrkamp 2662 Die Gute Gesellschaft Soziale und demokratische Politik im 21. Jahrhundert Bearbeitet von Henning Meyer, Christian Kellermann Originalausgabe 2013. Taschenbuch. 318 S. Paperback ISBN 978 3 518 12662 2 Format (B x L): 10,9 x 17,9 cm Gewicht: 190 g Weitere Fachgebiete > Medien, Kommunikation, Politik > Politikwissenschaft Allgemein > Sachbuch, Politikerveröffentlichungen und -biographien schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte.

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edition suhrkamp 2662

Die Gute Gesellschaft

Soziale und demokratische Politik im 21. Jahrhundert

Bearbeitet vonHenning Meyer, Christian Kellermann

Originalausgabe 2013. Taschenbuch. 318 S. PaperbackISBN 978 3 518 12662 2

Format (B x L): 10,9 x 17,9 cmGewicht: 190 g

Weitere Fachgebiete > Medien, Kommunikation, Politik > PolitikwissenschaftAllgemein > Sachbuch, Politikerveröffentlichungen und -biographien

schnell und portofrei erhältlich bei

Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft.Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programmdurch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr

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Leseprobe

Meyer, Henning / Kellermann, Christian

Die Gute Gesellschaft

Soziale und demokratische Politik im 21. Jahrhundert

© Suhrkamp Verlag

edition suhrkamp 2662

978-3-518-12662-2

Suhrkamp Verlag

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Als Ferdinand Lassalle im Mai 1863 den Allgemeinen Deutschen Ar-beiterverein gründete, tat er dies noch in einer anderen Welt. 150 Jahrespäter kann die deutsche Sozialdemokratie große Erfolge vorweisen.Angesichts der Globalisierung, Individualisierung und des Wandelsder Arbeitswelt steht sie jedoch vor komplexen Herausforderungen,für die sie überzeugende Antworten entwickeln muss. In diesem Banddenken kluge Köpfe aus Wissenschaft und Politik darüber nach, wieeine Gute Gesellschaft heute aussehen könnte und auf welchen Wegensie sich realisieren lässt. Mit Beiträgen von Sebastian Dullien, ColinCrouch, Andrea Nahles, Julian Nida-Rümelin, Gesine Schwan u. v. a.

Christian Kellermann arbeitet bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Ber-lin. Henning Meyer ist Senior Visiting Fellow an der London School ofEconomics.

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Die Gute GesellschaftSoziale und demokratischePolitik im 21. Jahrhundert

Herausgegeben vonChristian Kellermann und

Henning Meyer

Suhrkamp

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Diese Publikation basiert auf einem Studienprojektder Friedrich-Ebert-Stiftung

Erste Auflage 2013edition suhrkamp 2662

Originalausgabe© Suhrkamp Verlag Berlin 2013

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere dasdes öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung

durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form

(durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren)ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert

oder unter Verwendung elektronischer Systemeverarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

Satz: Hümmer GmbH, WaldbüttelbrunnDruck: Druckhaus Nomos, Sinzheim

Umschlag gestaltet nach einem Konzeptvon Willy Fleckhaus: Rolf Staudt

Printed in GermanyISBN 978-3-518-12662-2

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Inhalt

Erhard EpplerVorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9Christian Kellermann und Henning MeyerAuftakt zur Guten Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . 13

Erster Teil:Geschichte und Werte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21Andrea NahlesUmkämpfte Gute Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 23Stefan BergerSoziale Demokratie als change agent in Europa?Historische Perspektiven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39Julian Nida-RümelinWerte und Realpolitik in der sozialen Demokratie . . . . 56Gesine SchwanDimensionen zukünftiger Gerechtigkeit . . . . . . . . . . 67Alexander PetringDie Gute Gesellschaft oder der gute Staat? . . . . . . . . . 84Hans-J. MisselwitzKapitalismuskritik als Kampf um Werteund Menschenbilder . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100

Zweiter Teil:Politik und Ökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119Elisabeth WehlingDie Gute Gesellschaft braucht die Gute Sprache . . . . . 121

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Thorben Albrecht/Benjamin MikfeldBlockierte Diskurswelten und mögliche Diskursallianzenfür eine »bessere Gesellschaft« . . . . . . . . . . . . . . . . 134Christian KrollDas Prinzip des größtmöglichen Glücks: Ein neuerLeitfaden für die Gute Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . 159Colin CrouchSo viel Zivilgesellschaft wie möglich; so viele großeKonzerne wie nötig? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175Sebastian Dullien/Christian KellermannDer Wert der Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191Björn Hacker/Gero MaaßDas Primat der Politik gilt auch für Europa . . . . . . . . 210

Dritter Teil:Herausforderungen und Zukunft . . . . . . . . . . . . . 231Jenny AnderssonNicht ohne Zukunft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233Thomas MeyerDie Zukunft der sozialen DemokratieRessourcen, Programm, Bündnisse . . . . . . . . . . . . . 248Ernst HillebrandDas Soziale und das Demokratische: Baustellen einerSozialdemokratie für das 21. Jahrhundert . . . . . . . . . . 265Kajsa BorgnäsJenseits des grünen Wachstumsparadigmas . . . . . . . . 280David Held/Henning MeyerEine Sozialdemokratie für das globale Zeitalter . . . . . . 302

Über die Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . 315

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Dieser Sammelband ist dem politischen AndenkenDetlev Albers’ gewidmet. Er war ein unermüdlicher

Kämpfer für eine Gute Gesellschaft und ein soziales Europa.Er hätte in diesem Jahr seinen 70. Geburtstag gefeiert.

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Erhard EpplerVorwort

Politik hat es gewöhnlich mit dem Komparativ zu tun. Es gehtimmer wieder um die gerechtere, humanere, freundlichere, ent-spanntere, kurz: um die bessere Gesellschaft. So seltsam es klin-gen mag: Die Forderung nach der Guten Gesellschaft ist ehrgei-zigerals die nach der besseren. Dass wir etwas verbessern wollen,nimmt man uns ab. Dass wir etwas rundum Gutes schaffenkönnen, eher nicht.

Das hat damit zu tun, dass die Menschen, die eine solcheGesellschaft bilden, auch nicht rundum gut sind, auch dannnicht, wenn sie besser, klüger, vernünftiger, verständnisvoller,liebevoller erzogen werden als bisher. Weil dem so ist, könnenwir uns eine Gesellschaft nicht mehr vorstellen, die nicht ver-bunden wäre mit einem Staat, der Regeln und Gesetze erlässt,die anzeigen, was rechtens, also erlaubt ist und was nicht. Undder einen Justizapparat samt Polizei unterhält, der alle bestraft,die sich nicht an die Gesetze halten.

Das wird in einer Guten Gesellschaft nicht anders sein. Viel-leicht wird es da weniger Gewalttaten, weniger Betrügereien,weniger Gefängnisse geben. Aber damit sind wir schon wiederbeim Komparativ. Da wir geschichtliche Wesen sind, müssen wirhinzufügen: Falls wir je zu der Überzeugung kommen sollten,wir lebten jetzt in der Guten Gesellschaft, dann dürften wiruns nicht selbstgefällig ausruhen. Denn solange sich die tech-nischen Bedingungen ändern – und das geschieht inzwischenin einer gar nicht mehr menschlichen Geschwindigkeit –, mussdie Gute Gesellschaft von heute nicht mehr die von morgen sein.

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Die Autoren, die sich das Thema »Die Gute Gesellschaft« ge-wählt haben, waren nicht immun gegen solche Einwände. Siewaren bescheidener, als der Titel vermuten lässt. Sie suchennach der Guten Gesellschaft, weil sie ein Leitbild brauchen,um zu erkennen, in welcher Richtung die bessere zu suchenwäre.

Und diese Autoren wissen natürlich, dass ihre Vorstellungenvon einer Guten Gesellschaft, so differenziert sie sein mögen,dadurch zusammengehalten werden, dass sie Sozialdemokratensind. Wollten Marktradikale – oder gar marktradikale Markt-radikale wie die Anhänger der amerikanischen Tea Party – dieGute Gesellschaft entwerfen, sie sähe ganz und gar anders aus:Jeder und jede hätte – formal – die Chance, reich zu werden.Wer trotzdem arm bliebe, wäre selber schuld und könnte al-lenfalls auf die Almosen derer hoffen, die ihre Chance genutzthätten. Das wäre dann gerecht. Gerecht wäre es auch, wenn derStaat sich darauf beschränkte, die kleineren und größeren Ge-setzesübertreter wegzusperren, damit die Gesetzestreuen ihreRuhe haben.

Sozialdemokraten erinnern sich auch an die paradiesischgute, die klassenlose Gesellschaft, an die einst die Kommunis-ten geglaubt haben. Sie war und blieb weit weg, auch nach derRevolution, sie hatte nichts mehr zu tun mit dem tristen All-tag des sozialistischen Aufbaus, sie war das Ziel, das alle Mühelohnte, ein Ziel allerdings, das einfach nicht näher kommenwollte, bis es sich schließlich mit dem »real existierenden So-zialismus« in nichts auflöste.

Wenn Sozialdemokraten über die Gute Gesellschaft nach-denken, stehen sie in einer anderen Tradition, die mindestens150 Jahre umfasst. Was einst die drei »Prinzipien« waren, wur-den in Godesberg die drei Grundwerte: Freiheit, Gerechtigkeit

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und Solidarität. Sie sind seit 1789 die Bausteine der europäi-schen Demokratie. Daher gelten sie auch für liberale und kon-servative Demokraten. Aber von Anfang an gab es eine so-zialdemokratische Besonderheit: Gerechtigkeit und Solidaritätwaren nicht die Konkurrenten der Freiheit, die, falls im Über-maß genossen, die Freiheit gefährdeten. Sie waren die Verbün-deten, die Helfer der Freiheit, die dafür sorgten, dass alle mitihrer verbrieften Freiheit auch etwas anfangen konnten. Gerech-tigkeit war gleichermaßen realisierbare Freiheit. Und insofernwar sie der Gleichheit nahe.

Wer allerdings glauben sollte, diese Gemeinsamkeit definiereausreichend den Raum für die Gute Gesellschaft, der wird ent-täuscht. Es gibt verschiedene Vorstellungen von dem, was vor-rangig ist, will man zu einer Guten Gesellschaft kommen. Inder demokratischen Linken finden sich mindestens drei sol-cher Denkwelten,von denen jede die Gute Gesellschaft anders-wo sucht.

Das ist zuerst der von der Ökonomie geprägte Diskurs. Esgeht um Innovation und Wettbewerbsfähigkeit,um »besser stattbilliger«, wie die IG Metall formuliert. Geht es der Wirtschaftgut, dann hat auch die Gute Gesellschaft eine Chance. Alsodient der Guten Gesellschaft, wer die nationale Wirtschaft fitmacht, sei es als Unternehmer, sei es als Gewerkschafter. Werökonomisch die Nase vorn hat, kann sich auch sozial etwasleisten.

Insofern besteht eine Beziehung zum zweiten Paradigma:soziale Gerechtigkeit. Im Zentrum steht hier die ungleiche Ver-teilung von Macht, Chancen, Einkommen und Vermögen, auchdie Analyse der Krisen, mit denen wir uns herumschlagen.Hier hat eine Steuerpolitik ihren Ort, die dem Ausgleich dient,auch handlungsfähige Kommunen, die zur Daseinsvorsorge im-stande sind.

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Das dritte Paradigma stellt die beiden ersten infrage: Ist diesalles nachhaltig? Hier bedroht uns nicht nur eine Krise des Fi-nanzkapitals, sondern die Frage nach der Nachhaltigkeit deswachstumsbasierten Wirtschaftsmodells an sich. Ist es zukunfts-fähig oder kann es ohne die Überwindung der Wachstumssuchtkeine Gute Gesellschaft geben?

Auch die Gute Gesellschaft ist nicht frei von Widersprüchen.Wer all die lesenswerten Anregungen dieses Buches auf sichwirken lässt, wird zwar zum Thema der Guten Gesellschaftmehr und Substanzielleres zu sagen haben als zuvor. Aber erwird sich nicht wundern, wenn dies nicht das letzte Buch zumThema bleiben wird.

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Christian Kellermann und Henning MeyerAuftakt zur Guten Gesellschaft

In diesem Buch diskutieren wir über die Gute Gesellschaft.Eine solche Vision sollte immer der Maßstab für eine Entwick-lung zum Besseren sein; aber gerade wenn sich die Gesellschaftzum Schlechteren entwickelt, ist ein positives Gegenbild be-sonders wichtig. Und Anzeichen für eine zumindest proble-matische Entwicklung in unserer Gesellschaft sind nicht zuübersehen. Die Ungleichheit wächst, nicht nur bei den Einkom-men, sondern auch bei den Chancen, die jeder im Leben hatund bekommt. Immer häufiger hören wir das Wort »Spaltung«.Spürbar wird diese Spaltung im Alltag, in der Schule, im Be-rufsleben, zwischen den Generationen und zwischen den Ge-schlechtern – zwischen reich und arm sowieso. Die politischenAntworten sind allzu oft auf beschämende Weise rückwärts-gewandt, die intellektuellen Vorschläge leider häufig zu weitweg von dem, was im gegenwärtigen politischen Machtgefügerealisierbar ist. In diese Lücke des »realistischen Visionismus«stößt die Politik der sozialen Demokratie – und das seit 150 Jah-ren.

Im Laufe der letzten anderthalb Jahrhunderte haben Sozial-demokraten mehrfach vor der Herausforderung gestanden, sichauf Basis ihrer Traditionen und Werte neu auszurichten. Dieindustrielle Revolution, das Zeitalter der Weltkriege, der KalteKrieg und nun auch die volatile Periode der globalen Vernet-zung und Abhängigkeit haben ihre eigenen spezifischen Pro-bleme mit sich gebracht und verlangen auch jeweils ihre eigenenAntworten.

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Diese Antworten selbst müssen bestimmte Kriterien er-füllen. Im Fall dieses Buches geht es darum, auf Basis einertraditions- und wertebasierten Analyse der zeitgenössischenUmstände das Gute zu definieren, um das Bessere möglich zumachen. Erhard Eppler schreibt in seinem Vorwort, dass mandie Gute Gesellschaft selbst wohl nie wird erreichen können.Dazu fehlt allein schon eine geeignete Methode, um das Gutefestzustellen. Aber die Idee der Guten Gesellschaft kann zu-mindest eine Orientierung bieten. Das Umreißen einer GutenGesellschaft, die Debatte darüber, wie wir leben wollen, ist einKompass, der uns in die Lage versetzt, eine politische Richtungzu definieren, die dann auch in der Praxis umgesetzt werdenkann. Die Gute Gesellschaft steht somit in der Tradition WillyBrandts, der schon vor Jahrzehnten die Synthese von prakti-schem Denken und idealistischem Streben gefordert hat. Vordieser Herausforderung stehen wir auch heute. Die Gute Ge-sellschaft ist unser Versuch, die gewaltigen Herausforderungenunserer Zeit mithilfe einer solchen Synthese anzugehen.

Der rote Faden für unser Projekt spinnt sich zusammen ausden Krisen, die unsere Gemeinschaft als offene Gesellschaftzunehmend bedrohen; aus den Lehren, die man aus politischenFehlentscheidungen der letzten Jahrzehnte ziehen kann; aus Er-fahrungen aus einer Zeit, in der es gefühlt schon einmal besserwar; und aus der Überzeugung, etwas zum Besseren verändernzu können. Natürlich geht es dabei stets auch um Kräftever-hältnisse – der Markt, der Staat, die Gesellschaft, mächtige In-stitutionen, Denkmuster und schier unverrückbare Disposi-tive.

Die »gute alte Zeit« des Nachkriegswohlstands basierte un-ter anderem auf der Kriegserfahrung und auf der Bipolaritätder Ideologien und Weltmachtverteilung. Sie basierte aber auchauf einem Erstarken sozialdemokratischen Denkens weit über

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das traditionelle Milieu der Arbeiterbewegung hinaus. LudwigErhards Motto vom »Wohlstand für alle« ist ja streckenweisenichts anderes als ein keynesianisches Derivat. Leider ist diegesellschaftliche Realität von diesem Ziel heute weiter entferntals vor fünfzig Jahren. Einige Jahrzehnte nach der Etablierungder sozialen Marktwirtschaft steht Deutschland als eine derweltweit leistungsfähigsten Industrienationen auf einem zuneh-mend mürben gesellschaftlichen Fundament. Noch strahlen dieökonomischen Kennziffern zwar recht kräftig, doch die Rech-nung steigt rasant. Zunehmend ausgebrannt sind nicht nur Na-tur und Umwelt, sondern vor allem die Menschen selbst.

Die einen haben keine Arbeit, die anderen viel zu viel – dassdie Marktgesellschaft damit immense Schäden am Menschenverursacht, ist ihr zunächst gleichgültig. Liberale und auch kon-servative Ordnungsmuster funktionieren mehrheitlich immernoch nach dem Motto »sozial ist, was Arbeit schafft«. »Markt-gerechte Demokratie« und andere neoliberale Reliquien tau-chen immer wieder in der politischen Debatte auf, verglühenmittlerweile aber recht schnell, weil sie letztlich nicht mehr sa-lonfähig sind.

Soziale und demokratische Politik stellt immer auch die poli-tische Machtfrage mit dem Ziel, die Gesellschaft zu verbessern.Die Gedankenwelt der sozialen Demokratie und die Sozial-demokratie als Massenbewegung haben einst die Kraft entwi-ckelt, Deutschland richtungsweisend zu prägen. Gemeinsammit Partnern wie den Gewerkschaften konnten gesellschaft-liche Utopien von Gerechtigkeit, Sozialstaatlichkeit und auchein gewisses Maß an Gleichheit in manchen Bereichen sehr weitverwirklicht werden. Es herrschte ein »sozialdemokratischerKonsens«, der die verschiedenen gesellschaftlichen Interessenin Einklang brachte.

Dieser Konsens ist infolge einer Welle der Liberalisierungs-

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euphorie brüchig geworden. Dabei war der marktradikale Glo-balisierungsprozess kein Zufallsprodukt. Er war das Ergebniseiner beinahe perfekt choreografierten und koordinierten Vor-bereitung, die ein historisches Einfallstor für den Neoliberalis-mus eröffnete, wie wir ihn heute im Endstadium erleben.

Vor diesem Hintergrund hat sich das gesellschaftliche Zu-sammenleben spürbar verschlechtert. Wir sind daher aufgeru-fen, die Rolle der Märkte (insbesondere der Finanzmärkte),des Staates (und damit auch der Europäischen Union) neu zuentwerfen und darüber nachzudenken, was Emanzipation heu-te bedeutet und wie wir sie realisieren können. Die Diskussionum die Gute Gesellschaft setzt an genau diesem Punkt an: Wirstecken in einem »Interregnum« (Zygmunt Bauman), weshalballenthalben Diagnosen eines Danach kursieren (postdemokra-tisch, postnational, postneoliberal), ohne das wir bereits wüss-ten, wie es weitergehen wird. Wir müssen die Gunst der Stun-de nutzen, um unsere Zukunft in gute Bahnen zu lenken. DieRichtung muss sozial, demokratisch und naturgemäß auch öko-logisch sein.

Es gibt selbstverständlich verschiedene Meinungen darüber,was das Gute letztlich ist. Insbesondere die Frage nach dem Gu-ten am wirtschaftlichen Fortschritt und Wachstum wird indiesem Buch kontrovers diskutiert. Kann zukünftiges Wachs-tum so nachhaltig gestaltet werden, dass Wirtschaft und Ar-beitsbedingungen eine Gute Gesellschaft zulassen? Oder sindindustrielle Gesellschaften gefangen in einer Wachstumssucht,die eine Gute Gesellschaft grundsätzlichunmöglichmacht,wennwir uns nicht wenigstens teilweise von ihr lösen? In diesemBuch werden wir nicht alle Antworten präsentieren können.Unser Anspruch ist es aber, die relevanten Fragen unserer Zeitaufzuwerfen und die Diskussionen darüber voranzutreiben.

Im ersten Teil »Geschichte und Werte« legen wir die Grund-

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lagen für die weitere Analyse. Andrea Nahles umreißt in ihremAuftaktkapitel den kämpferischen Kern des Konzepts der Gu-ten Gesellschaft, bevor Stefan Berger in seiner historischen Stu-die die politische Tradition der europäischen Sozialdemokra-tie skizziert. Julian Nida-Rümelin legt anschließend die direkteVerbindung von Wertvorstellungen und Realpolitik dar. Es istein Trugschluss zu glauben, dass Werte hauptsächlich in pro-grammatischen Erklärungen existieren, in der praktischen Po-litik jedoch in den Hintergrund treten. Das wird auch deutlichan der zentralen Bedeutung des sozialdemokratischen Grund-wertes der Gerechtigkeit, dessen vielfältigen Dimensionen sichGesine Schwan und Alexander Petring widmen. Den Abschlussdes ersten Teils bildet Hans Misselwitz’ Beitrag über die Unter-komplexität des Menschenbilds des Homo oeconomicus und dieErosion des Leistungsprinzips.

Der zweite Teil des Buches beschäftigt sich mit aktuellen The-men des politischen und wirtschaftlichen Lebens. Sprache istdas Hauptwerkzeug der Politik, doch sie wird oft nicht richtigeingesetzt. In Zeiten komplexer Problemstellungen ist es not-wendig, politische Vorstellungen entsprechend reflektiert undkontextualisiert zu kommunizieren (vorausgesetzt, die Inhaltestimmen!). Elisabeth Wehling zeigt in ihrem Kapitel einen po-litischen Kommunikationsweg für die Gute Gesellschaft auf,mit dem die soziale und demokratische Politik des 21. Jahrhun-derts vermittelt werden kann. Thorben Albrecht und BenjaminMikfeld nehmen sich ebenfalls Fragen der politischen Diskurs-führung an. Hier werden jedoch nicht die politische Kommu-nikation selbst, sondern die fragmentierten Diskurswelten desprogressiven Spektrums sowie die Chancen auf neue Diskurs-allianzen und damit auf Hegemoniefähigkeit analysiert.

Im Bereich der Wirtschaft geht es zuerst um die Frage, wieman Fortschritte auf dem Weg zum Guten messen kann. Die

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moderne Volkswirtschaftslehre ist einseitig auf das Wachs-tum des Bruttoinlandproduktes fokussiert. Wirtschaft ist aberkein Selbstzweck, sondern soll möglichst gleichmäßigen gesell-schaftlichen Wohlstand schaffen. Christian Kroll gibt in sei-nem Kapitel darüber Aufschluss, inwieweit die moderne Glücks-forschung unsere Wohlstandsmessung anreichern kann. DassWerte und Wirtschaft nur scheinbar gegensätzliche Begriffesind, führen Sebastian Dullien und Christian Kellermann inihrem Beitrag aus. Sie skizzieren eine realistische Alternativezu unserem Wirtschaftsmodell und grenzen sich damit auchgegenüber der derzeit so häufig betonten »Alternativlosigkeit«ab. Colin Crouch nimmt in seinem Kapitel die Zivilgesellschaftin die Pflicht, wo es darum geht, die eklatanten Machtasym-metrien in unserem Wirtschaftsgefüge zu durchbrechen. GeroMaaß und Björn Hacker schließlich präsentieren einen Ent-wurf für eine stabile politische Ökonomie in Europa.

Im dritten und letzten Teil richtet sich unser Blick etwas wei-ter in die Zukunft. Wie können die großen Herausforderungender nächsten Jahrzehnte mit einer sozialdemokratischen Politikbewältigt werden? Jenny Andersson eröffnet diesen Abschnittmit einer Kritik an der taktischen Konzentration auf das, wasals gesellschaftliche Mitte apostrophiert wird. Der Freiheitsbe-griff müsse wesentlich breiter gefasst werden, wenn echte Chan-cengerechtigkeit (wieder)hergestellt werden soll. Außerdembrauche die Sozialdemokratie nach wie vor eine eigene Utopie.Thomas Meyer und Ernst Hillebrand gehen danach konkret aufdie großen Herausforderungen ein, vor denen die Sozialdemo-kratie als Bewegung und Partei zu Beginn des 21. Jahrhundertssteht. Der Beitrag von Kajsa Borgnäs stellt, anknüpfend an dieDiskussion um die ökologischen Grenzen des Wachstums, dieFrage, ob unsere Gesellschaft durch einen falschen Bezugsrah-men nicht nur ihre »Gute« Zukunft, sondern ihre Zukunft an

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sich aufs Spiel setzt. Den Abschluss des Bandes bildet der Bei-trag von David Held und Henning Meyer, in dem diese denBogen zu den globalen Problemen unserer Zeit schlagen undeine globale Sozialdemokratie entwerfen.

Die Debatte um die Gute Gesellschaft ist mit diesem Bandweder eröffnet noch abgeschlossen. Eröffnet wurde sie vor min-destens 150 Jahren. Abgeschlossen wird sie – wie eingangs er-wähnt – wohl nie sein. Unser Buch ist ein neuer Versuch, gesell-schaftlichen Wandel so zu denken, dass er materiell sowie post-materiell in der Breite der Gesellschaft ankommt. Darin liegtder soziale und demokratische Kern unseres Vorhabens, unddas ist auch im 21. Jahrhundert unverändert notwendig.

Ohne vielfältige Unterstützung kann ein solches Projektnicht gelingen. Wir möchten uns deshalb zuerst bei den vielenMitstreitern bedanken, die sich in Deutschland und Europaam Projekt der Guten Gesellschaft beteiligt haben. Die Ar-beit wurde von der Friedrich-Ebert-Stiftung unterstützt, derwir dafür überaus dankbar sind. Danken wollen wir auch Hein-rich Geiselberger vom Suhrkamp Verlag. Auch Tobias Dürr undMichael Miebach, den Übersetzern der ursprünglich in eng-lischer Sprache verfassten Beiträge, gebührt großer Dank.

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