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(Aus dem Pathologischen Institut des St~dt. Kr~nkenhauses in Mainz. Prosektor: Dr. Heinrich M i~ller.) Die histologische Ubereinstimmung zwischen Epithelregeneration und Krebsbildung*. Von Heinrich Miiller. Mit 18 Textabbildungen. (Eingegangen am 1. Januar 1929.) Die grogen Fortschritte der Medizin in der ersten H~lfte des vorigen Jahrhunderts gipfelten in der Erkenntnis, dab zwisehen Gesundheit und Krankheit ein grunds~tzlieher Unterschied nicht besteht, dab beide in ihrem physiologisehen Ablauf den gleiehen Gesetzen nnterliegen. Eine seharfe Grenzbestimmung zwisehen gesunden (physiologisehen) und krankhaften Lebensvorg~ngen ist nieht mSglieh, eine Scheidung entsprieht in vielen F~llen mehr einem praktischen Bediirfnis als dem Verm6gen, das Besondere des Krankhaften zu erweisen. Das wissen- sehaftliche Ziel der physiologisehen Pathologie muB also, um mit R. Virchow 52 zu reden, darauf geriehtet sein, ,,die krankha/ten VorgCinge an/ physiologische Typen zuriickzu/i~hren". Nach allgemeiner Anschauung nehmen hier die Geschwiilste eine Sonderstellung ein. ,,W&hrend", wie sich v. Hansemann 17 ausdrfickt, ,,alle iibrigen pathologischen Ver~nderungen in einer Steigerung oder Abschw&chung der normalen Funktionen der Zellen bestehen, so sehen wir hier ver~nderte Funktionen auftreten, wir lernen die Zellen yon einer neuen, anderswo unbekannten Seite kennen." Die Auffassung, daB die Geschwiilste eigenen, neuen, sonst im KSrper nicht geltenden Gesetzen folgen, gilt als so gesichert, daB selbst der Versuch, die Ge- schwulstentstehung und das Geschwulstwachstum dem physiologischen Geschehen einzuordnen, yon vornherein gr56ten Widerspruch zu er- warren hat. Kommt doeh Lubarsch 2s in seinen ,,Beitr~gen zur Ge- schwulstlehre" (1899, S. 262) zu dem SehluB, dab der Versuch, das Wesen der destruierenden Neoplasmen ,,aus den physiologischen Waehstumsgesetzen zu erkl~ren, notwendigerweise scheitern mul~, falls man nicht siimtliche Faktoren, welehe die normalen Waehstumsvor- g~nge beeinflussen, genau kennt, was wohl niemand behaupten wird. * Nach einem auf der Versammlung der sfidwestdeutschen Dermatologen am 27. X. 1928 in Mainz gehaltenen Vortrag. Zeitschrift ffir Krebsforschung. 28. Bd. 27

Die histologische Übereinstimmung zwischen Epithelregeneration und Krebsbildung

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(Aus dem Pathologischen Institut des St~dt. Kr~nkenhauses in Mainz. Prosektor: Dr. Heinrich M i~ller. )

Die histologische Ubereinstimmung zwischen Epithelregeneration und Krebsbildung*.

Von

Heinrich Miiller.

Mit 18 Textabbildungen.

(Eingegangen am 1. Januar 1929.)

Die grogen Fortschritte der Medizin in der ersten H~lfte des vorigen Jahrhunderts gipfelten in der Erkenntnis, dab zwisehen Gesundheit und Krankheit ein grunds~tzlieher Unterschied nicht besteht, dab beide in ihrem physiologisehen Ablauf den gleiehen Gesetzen nnterliegen. Eine seharfe Grenzbestimmung zwisehen gesunden (physiologisehen) und krankhaften Lebensvorg~ngen ist nieht mSglieh, eine Scheidung entsprieht in vielen F~llen mehr einem praktischen Bediirfnis als dem Verm6gen, das Besondere des Krankhaften zu erweisen. Das wissen- sehaftliche Ziel der physiologisehen Pathologie muB also, um mit R. Virchow 52 zu reden, darauf geriehtet sein, ,,die krankha/ten VorgCinge an/ physiologische T y p e n zuriickzu/i~hren".

Nach allgemeiner Anschauung nehmen hier die Geschwiilste eine Sonderstellung ein. ,,W&hrend", wie sich v. Hansemann 17 ausdrfickt, ,,alle iibrigen pathologischen Ver~nderungen in einer Steigerung oder Abschw&chung der normalen Funktionen der Zellen bestehen, so sehen wir hier ver~nderte Funktionen auftreten, wir lernen die Zellen yon einer neuen, anderswo unbekannten Seite kennen." Die Auffassung, daB die Geschwiilste eigenen, neuen, sonst im KSrper nicht geltenden Gesetzen folgen, gilt als so gesichert, daB selbst der Versuch, die Ge- schwulstentstehung und das Geschwulstwachstum dem physiologischen Geschehen einzuordnen, yon vornherein gr56ten Widerspruch zu er- warren hat. Kommt doeh Lubarsch 2s in seinen ,,Beitr~gen zur Ge- schwulstlehre" (1899, S. 262) zu dem SehluB, dab der Versuch, das Wesen der destruierenden Neoplasmen ,,aus den physiologischen Waehstumsgesetzen zu erkl~ren, notwendigerweise scheitern mul~, falls man nicht siimtliche Faktoren, welehe die normalen Waehstumsvor- g~nge beeinflussen, genau kennt, was wohl niemand behaupten wird.

* Nach einem auf der Versammlung der sfidwestdeutschen Dermatologen am 27. X. 1928 in Mainz gehaltenen Vortrag.

Zeitschrift ffir Krebsforschung. 28. Bd. 27

384 H. Mt~ller: Die histologische i3bereinstimmung

Ieh stehe nicht an, zu behaupten, dab wir Ifir die hervorsteehendsten Eigensehaften vieler autonomer Neubildungen kein physiologisehes Paradigma haben und somit fiir diese Neubildungen in dem cellular- pathologischen Schema l~ein Platz ist".

Das Walten yon Ausnahmegesetzen wird bei der Gesehwulstbildung aus der vermeintliehen Tatsache geschlossen, dab die Oberfl~ehen- epithelzelle pl6tzlich Waehstumsriehtung und Waehstumsgesehwindig- keit ~ndert, dab sie 6rtlieh und in den Metastasen Waehstumsleistungen vollbringt, die uns sonst unbekannt sind, dag sie wie ein , ,Parasit" (RibbertSS), wie ,,Entozoonkeime" (Waldeyer ~3) den K6rper fiberfMlt und zugrunde richter, da~ sie, wie jahrzehntelange Ubertragungen zu erweisen seheinen, auch im neuen Wirtsk6rper, ohne eine erkennbare Einbuge ihrer F~higkeiten zu zeigen, immer wieder die gleiehen zer- stSrenden Kr~fte entfMtet.

Dabei ist es der mit einem unerhSrten Eifer betriebenen Forsehungs- arbeit bisher nieht gelungen, aueh nur die Umrisse der zu erwartenden Sondergesetze zu zeiehnen, ja wir wissen nieht einmal, welehe For- sehungsriehtung wir einsehlagen sollen, um zu dem erstrebten Ziel zu gelangen. So mugte denn auch Borst 5 auf der vorletzten Patho]ogen- tagung (1927) sein l%eferat mit dem Bekenntnis sehliegen, dag wir uns bei der Erfassung der endogenen Faktoren der Gesehwulstbildung ,,noeh nieht einmal im Vorho[ des Tempels der Erkenntnis" befinden.

Dieses unbefriedigende Ergebnis legt die Vermutung nahe, dab die gesuehten, der physiologisehen Auffassung der Medizin doch wider- spreehenden Ausnahmegesetze gar nieht bestehen, dag die Tatsaehen, die solehe Gesetze vermuten lie~en, vielleieht falseh gedeutet sind. Dies Ergebnis zwingt uns, die vor einem halben Jahrhunder t auf- gestellte Fragestellung auf ihre Riehtigkeit zu priifen~ zu beweisen, dag wirklieh die Krebszelle die ihr naehgesagten Leistungen vollbringt, ehe wir weiter die Ursaehen dieser Leistungen zu ergriinden versuchen. Die yon Lubarsch ~s ausgesproehene Erwartung, da[~ ein groger Teil des Gesehwulstproblems gel6st w~re, wenn wir die Ursaehe der Auto- nomie des Gesehwulstgewebes zu erkl~ren vermSehten, wird sich niemals erffillen kSnnen, well die Voraussetzung, dag die Geschwulstwuehe- rungen ,,trotz organischer Verb~ndung mit dem Mutterboden ein selb- st~indiges, seheinbar eigenen Gesetzen unterwor[enes Leben lighten", wirk]ich nur auf Sehein und T~usehung beruht. DaB die immer wieder laut- gewordenen Zweifel bereehtigt sind, werde ieh mit guten Griinden belegen*. Sie ftihrten mieh dazu, start naeh Ausnahmegesetzen zu

* Siehe dazu Carl Ritter, Zum Aufbau und Wesen des Krebses. Arch. ldin. Chir. 14~ (1926). - - Carl Bitter, Zur Frage der Infektiosit~t des Careinoms. Z. Krebsforsehg ~4 (1927). - - Johannes Seiler, Zur Abgrenzung des Gesehwulstbe- grilles. Z. Krebsforsehg ~' (1928).

zwischen Epithelregeneration und Krobsbildung. 385

fahnden, deren Vorhandensein yon vornherein unwahrscheinlich ist, das physiologische Vorbild zu suehen, dessen Gesetzen aueh die Ge- sohwulstbildung folgt*.

Die klinis0he Erfahrung am Menschen, ffir die uns gerade die I)er- matologie mit den Ms Prgeancerosen bezeiehneten I-Iautkrankheiten zahlreiehe Belege liefert, und die experimentelle Geschwulstforsehung weisen uns den Weg, we dieses physiologisehe Vorbild zu suehen ist, sie ffihren fibereinstimmend zu dem Ergebnis, dal3 zwisehen l~egenera- tion und Geschwulstbildung die engsten Beziehungen bestehen. So sieht Sternberg 4~ ,,das Wesen der experimentellen Gesehwulsterzengung in einer dureh immer wiederholte Gewebssehgdigung stets von neuem angeregten und so abnorm gesteigerten, kLinstlich abnorm hochgetriebe- hen regenerativen Zellneubildung". B..Fischer-Wasels und W. Bitnge, ler 1~ konnten ,,die fundamentMe Bedeutung der Regeneration ftir die Geschwulstbildung" auch experimentell belegen, da es ihnen gelang, bei M~iusen in kfinstlich erzeugten Brandnarben Krebsbildung hervor- zurufen, wenn sie unter Sehonung dieser 5Tarben die IKaut mit Teer pinselten. Und in seinem grolBen Ubersichtsreferat fiber die Ergebnisse der experimentellen Gesehwulstforsehung kommt Blumenthal a zu dem Ergebnis, dMB die Tumorbildung ,,ein mit iiberstfirzter Proliferation einhergehender gegenerationsprozel~" ist.

Nun besteht zwisehen dieser durch klinische und experimentelle Beobaohtungen gestfitztell Anschauung, dalB die Gesehwnlstbildung einen fiberstiirzten Regenerationsproze[t darstellt und der anatomischen Auffassung ein uniiberbrfickbarer Gegensatz, da hier eine Gleiehstellung des destruierenden Waehstums und der Metastasenbildung mit einer gesteigerten Regeneration unmSglieh erscheint. Da der Ubergang des regenerativen in das gesehwulstm~i[tige Waehstum morphologiseh nicht faBbar ist, so hut man diese Ltieke, immer in der GewilBheit, dalB die Sonderstellnng der Geschwulstzelle heute erwiesen sei, dureh die Ftypo- these ausgeftillt, dal~ durch die exzessiv gesteigerte Zellregeneration ,,schliefilich Zellen mit abnorm starker Wach~tums- und Vermehrungs- /~ihiglceit herangezi~ctttet werden" (Sternberga4), ohne dMB es allerdings bis- her gelungen wgre, aueh nur ein einziges charakteristisches FierkmM dieser biologiseh so besonders gearteten Zellart festzustellen.

* In diesem Zusammenhang sei auf einen bemerkenswerten, 1913 gehMte- nen Vortrag yon de Quervain hingewiesen: ,,Uber die Stel]ung der Geschwiilste unter den ~Taturerscheinungen". (Leipzig 1913.) Die Gedankenggnge des Ver- fassers ergeben sich aus der Einleitung: ,,S~att die gesamte Geschwulstbildung in ihrem Zus~mmenh~ng mi~ den tibrigen normalen und krankhaften Erschei- nungen am tierischen KSrper zu untersuchen, rissen viele Forscher yon jeher eine besondere Form derselben, den Krebs, willkfirlieh aus dem nutiirlichen Zusammenhang heraus und verloren sich fiber denselben in Theorien, yon denen die meisten in sich zusammenfMlen mug]ten, sowie man die Krebsbildung wieder in den l~ahmen der fibrigen Geschwulsfbildungen hineinstellte".

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386 H. Mailer: Die histologisehe ~bereinstimmung

Dureh diese Hypothese wird der Gegensatz zwischen klinischer und anatomischer Auffassung der Geschwulstbildung nicht ausgeglichen, sondern vertieft, w~hrend es doch die Aufgabe der anatomischen Forschung sein sollte, die durch klinische Beobachtungen wahrseheinlieh gemaehte Ubereinstimmung zwischen Krebsbildung und Regeneration im Sinne der physiologischen Medizin auch anatomisch zu erweisen.

Dieser Nachweis l~[~t sich tats~chlich ohne Zuhilfenahme auch nut einer einzigen Hypothese aus anatomisehen und physiologischen Tat- sachen fiihren.

Die heute giiltigen Anschauungen fiber die physiologische nnd patho- logische Regeneration stiitzen sich anf die Keimblattlehre und ins- besondere auf ihr Spezifitgtsgesetz, das besagt, dab nach der Trennung der Keimbl~tter eine genetische Vermischung der aus diesen Bli~ttern entstehenden Gewebe und Zellarten nieht mehr geschieht. ,,Das Dogma, daft aus einer Gewebsart immer nur gleichartiges Gewebe entstehen kann, ist in seiner allgemeinen Fassung sieherlich nicht richtig und mit den Tatsachen ebensowenig in Einklang zu. bringen, wie das yon der Constanz der Spaltpilzformen" (Lubarsch 2s 1899). Inzwisehen ist durch zahlreiehe Beobaehtungen, die insbesondere yon der experimentel- len Zoologie geliefert wurden, die Gfiltigkeit dieses Gesetzes endgiiltig widerlegt. Ich berufe reich auf die zusammenfassenden Darstellungen yon Th. Morgan ~3 (1906) und Korschelt 23 (1927).

Korschelt fiihrt zahlreiche Beispiele an, naeh denen embryologiseh als ekto- oder entodermal angesprochene Organe, Epidermis, Pharynx, Gehirnganglien, Nervengewebe, Darmteile usf. yore Mesenehym regene- riert werden. Es liegen, wie Korschelt sich ausdriiekt, wenige F~lle so klar, dag die Beteiligung des Mesenehyms yon vornherein aus- zusehlieBen w~re. Morgan sehrieb bereits 1906 bei den wenigen damals bekannten, dem Spezifit~tsgesetz widersprechenden Tatsaehen, dag eine einzige einwandfrei bewiesene Ausnahme genfigte, um das tradi- tionelle Dogma yon der Bedeutung der Keimbl~tter yon Grund aus zu erschiittern. ,,Damit ist also", so fahrt er wSrtlich fort, ,,die Grund- lage der ]-Iypothese, dab bei der Regeneration sieh immer nur Gleiches aus Gleichem bilden kSnne, gefallen, und es ist an der Zeit, uns naeh einer besser fundierten Theorie fiber den EinfluB des alten Gewebes auf die Entstehung des neuen umzusehen. An und fiir sich ist ja die An- nahme, dab ein Organ sich notwendigerweise immer aus einem ganz bestimmten Keimblatt bilden masse, yon vornherein so sinnlos, dab wir nur froh sein mfissen, diese ganz naive und l~ngstfiber]ebte Ansicht definitiv losgeworden zu sein." In ~hnlicher Weise wendet sich Schlater ~ gegen ,,das alte Dogma yon der Spezifit~t der Keimb]~tter" nnd fiigt hinzu, dab nur die Pathohistologie fortf~hrt, ,,dasselbe in seinem alten

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Umfange zu verteidigen, zum Schaden eines Verst~ndnisses der sich immer mehr verwickelnden morphologischen und histogenetischen Gewebsverh~ltnisse".

Das Spezifit~tgesetz wurde auf die mensehliehe Entwicklung und auf die Krebsbildung fibertragen wegen seiner fundamentalen Be- deutung, die, wie sich Waldeyer 53 noeh 1872 ausdriicken konnte, durch kein einziges sicher beobachtetes Faktum ersehiittert worden sei. Heute mfissen wir nach der iiberw~ltigenden Zahl der allein y o n Korschelt 2~

angefiihrten entgegenstehenden Beobachtungen zahlreicher Unter- sueher den zwingenden Schlu!~ ziehen, da~ das Spezi]itditsgesetz eine Irrlehre darstellt, die in der Deutung der Organbildung, des Organwachs- turns und der Organregeneration zu ganz unhaltbaren Vorstellungen gefiihrt h~t.

Besonders unheflvoll hat das Spezifit~tsgesetz die Erforsehung des physio- logisehen Waehstums beeinflu~t. Das Gesetz gilt hier als ,,eine Regel, welcher alle Wachstumsvorg~nge - - freilieh nicht ohne Ausnahme - - folgen" (Borst 6 1928). Dutch Tatsaehen l~l~t sich diese Regel aber nieht belegen. Nicht nur die Be- dingungen des physiologisehen Wachstums sind uns viel zu wenig bekannt (Borst ~ 1927), sondern aueh fiber die dabei ablaufenden histogenetischen Vorg~nge wissen wir so gut wie nichts. Bei dem Versueh, ,,den V0rgang des natiirlichen Waehstums ffir die einzelnen Gewebe zu schildern, um sparer darauf die Analyse des krank- haften aufbauen zu kSnnen," stellt sieh sofort, wie RSssle 89 in seinem gro~en Referat fiber Waehstum und Altern 1923 sehreibt, ,,eine gro~e Unkenntnis ffir die allermeisten Organe heraus."

Trotz und wegen des Spezifit~tsgesetzes sind wir im allgemeinen nieht fiber die Feststellung der in Gramm und Zentimeter ausdriickbaren GrSl]enuntersehiede zwischen fetalen, kindliehen und erwachsenen Organen hinausgekommen. Im fibrigen: ,,Gemessen sind ein paar Gr613enunterschiede zwischen kindlichen und erwaehsenen Zellen, abet wie sich im einzelnen etwa das Waehstum der Leber, der Lungen, der I-Ierzklappen oder gar des Ohres oder des Auges, eines Nerven usw. gestaltet, ist unbekannt" (R6ssle). Wenn R6ssle weiter sehreibt, dab wir bisher die fehlenden Kenntnisse vom Waehstum der meisten inneren Organe nieht sonderlieh vermissen, da seheinbar kein dringendes Problem daran geknfipft sei, so m6ehte ieh nur auf das Geschwulstproblem verweisen, das Borst (1927) mit Reeht als ein Wachstumsl~roblem bezeiehnet.

Es herrscht die Ansehauung, da~ sich in friihen Stadien der Embryo- nalentwicklung Zellgruppen abgliedern, Selbst~ndigkeit erlangen und zu Organen auswachsen, dal~ dieses zugeteilte Keimmaterial ohne Riicksieht auf die Arbeitsleistung fiir das ganze Leben die einzige Quelle der physiologischen und pathologischen Regeneration darstellen soll. Da nun eine fortlaufende Regeneration durch Vermehrung der Paren- chymzellen bei zahlreiehen Organen gar nicht erkennbar ist, kam man notgedrungen zu der weiteren Vorstellung einer Scheidung in Dauer- gewebe und Wechselgewebe. Da~ dabei ausgerechnet das harte und widerstandsfahige Knoehengewebe sieh ~ls Wechselgewebe mit stun. digem An- und Abbau erwies, w~hrend dem ruhelos arbeitenden Herzmuskel

388 H. Mfiller: Die histologische Ubereinstimmung

eine Regeneration abgesprochen werden mul~te, war die notwendige Folge des Spezifit~tsgesetzes, das yon vornherein die Regenerationsforschung in falsehe Bahnen zwang. Dieses Gesetz ffihrte weiterhin zu der An- nahme besonderer Cambiumzonen, yon der aus die Regeneration der Organe erfolgen sollte. Als eine solche Cambiumzone sieht man in der Epidermis die Basalzellenschicht an. D~s Fehlen einer solchen Cambium- schieht beim einsehichtigen Zylinderepithel ffihrte zu der Hypothese, dab dieses Epithel (z. B. der Trachea) nicht oder wenigstens in nicht erkennbarer Weise regeneriert werde.

Das Regenerationsproblem verlangt eine Gesamtl6sung. Wenn ich hier nur die Epithelregeneration herausgreife, so verzichte ieh yon vornherein auf einen wesent]iehen Tell der ~berzeugungskraft, die sieh erst uus der einheitliehen Auffassung der gewebliehen Neubildungen ergibt.

Die Regeneration der Epidermis ,,aus sieh heraus" griindet sieh auf die vermeintliehe Tatsache, dab die Epidermis wie alle anderen vom Ektoderm und Entoderm abgeleiteten 0rgane keinen Zusammenhang mit dem Mesenchym aufweist. Diese Annahme l~Bt die Ergebnisse der in den letzten Jahrzehnten gemaehten histologischen und experimen- tellen Untersuehungen ganzlieh unberfieksichtigt. Die Forschungen yon G. F. Andrews 1, Held is, Rohde 4~ 4~, Schlatera3, Studnicka48, v. Szily 49, Withmann 55 und vieler anderer ffihrten fibereinstimmend zu dem Er- gebnis, ,,dal~ bei einer Reihe yon Tierformen das sich entwiekelnde Ei ein echtes Syneytium darstellt" (Schlater4~), da~ Sehnitte friiher Ent- wicklungsstadien tats&chlich den Eindruck erwecken, ,,~ls w&re die gesamte Embryonalanlage ein einheitliches Syncytium, in welehem zw~r eine groSe Anz~hl von Einzelindividuen in Form kernhaltiger Protoplasmabezirke wohl zu unterscheiden ist, eine seharfe Abgrenzung der einzelnen Teile jedoch fehlt" (v. Szilyag). ,,Alle Keimbl~itter, Ento- derm, Mesenchym und Ektoderm stehen also dutch das v. Szilysche embryonale Sti~tzgewebe (bzw. das spongioplasmatische Faserwerk) im engsten organischen Zusammenhang miteinander. Der ganze Embryo stellt demnach eine einheitliche vielkernige Protoplasmamasse dar, wie das such v. Szily zugeben mul~ und entsprieht in toto je einem vielkernigen Protozoon, nur mit dem Unterschiede, da2 die Kerne bei letzteren alle gleieh erseheinen und bei den Embryonen der h5heren Tiere das viel- kernige Plasmodium in UnterabteJlungen, d.h. die epithelialen Organ- anlagen zerlegt wird, die aber, wie bemerkt, miteinander im engsten organisehen Zusammenhang sieh befinden" (Rohde 41 1914, S. 116).

Ist diese dureh unwiderlegte Tatsaehen zahlreicher Forscher ge- stfitzte Auffassung richtig, dann l~I~t sich die Beteiligung des Mesenchyms am Parenchymuufbau der ekto- und entodermalen Organe nieht ab- lehnen. Eine genetische Seheidnng des Ausgangsmaterials dieser Organe im Sinne des Spezifit~tsgesetzes hat dann iiberhaupt ihre Be-

zwischen Epithelregeneration und Krebsbildung. 389

rechtigung verloren, da die Keimblattlehre sich auf die urspriingliche Scheidung der blattfSrmigen Anlagen aufbaut. Wir mfissen a l so Schlater 43 zustimmen, wenn er sagt: ,,Die Bekanntschaft mit der Histo- genese einer Reihe yon Gewebsgruppen zwingt uns, die Hoffnung auf- zugeben, die ganze l%eihe der aufeinanderfolgenden Generationen einer jeden Gewebszelle, vom Ausgangselement der Eizelle an, verfolgen zu. kSnnen, denn in fffihen histogenetisehen Perioden verschwinden die Grenzen zwischen den einzelnen Zellen, die Kerne vermehren sich, es geht eine Reihe von Umgestaltungen und Umgruppierungen der ver- schiedenen Strukturelemente der gemeinsamen Syncytiummasse vor sich, wobei es unmSglich wird, den Ursprung eines jeden zellartigen Gewebsteiles zu bestimmen."

Ffir uns erhebt sich die Frage, geht das ursprfingliche Syncytium mit der fortschreitenden Differenzierung verloren oder l~I~t sich, um beim Beispiel der Epidermis zu bleiben, ein soleher syneytialer Zu- sammenhang zwischen mesenchymalem Gewebe und Epidermis auch bei der weiteren fetalen Entwicklung und im postfetalen Leben nach- weisen. Selbst in neueren Darstellungen (Hoeplce ~2 1927) wird ein solcher Zusammenhang abgelehnt und die zwischen Corium und Epi- dermis verlaufende Basalmembran als Keimblattgrenze bezeichnet, allerdings auch hervorgehoben, dal~ nach den Ergebnissen der ffanz5si- schen Schule ,,ein eytoplasmatischer Zusammenhang zwischen den Zellen der Keimschieht fiber die Langerhansschen und Bindegewebs- zellen bis an die Endothelien besteht". [Inter den zahlreichen deutschen Forschern, die sich mit diesen Fragen besehi~ftigen, mSchte ich vor allem Friboes 12 hervorheben, der seit vielen Jahren durch eine ganze Reihe ungewShnlich sorgf~ltiger Arbeiten die Beteiligung des Mesenchyms am Aufbau der Epidermis, namentlich seines Fasergerfistes, nachgewiesen hat.

In dem kfirzlich [Virchows Arch. 269, 105 (1928)] ersehienenen I. Teil meiner Arbeit fiber eine einheitliche Erkl~rung ffir die im mensch- lichen KSrper vorkommenden geweblichen Neubildungen und in einem Vortrag fiber Regeneration [Verh. Path. Ges. (1928)] habe ich den Nachweis geffihrt, dal~ die Anschauung einer gewebliehen Scheidung yon Corium und Epidermis nicht zu Recht besteht, da[t sich im Bereich der Papillen von Zungenschleimhaut und Haut zwischen der Wandung der hier ein Schlingennetz bildenden Capillaren und den Basalzellen ein Syncytium nachweisen li~l~t ganz yon der Art jenes embryonalen Protoplasmas. Die in diesem Plasmodium zerstreuten Kerne machen nach ihrem formativen Charakter eine Unterscheidung zwischen Basal- zellen, Gef~tl~wandzellen und Endothelien nicht mSglich. In besonders schSner Weise konnte ich diese Zusammenh~nge an der Fu~sohlenhaut eines Fetus yon 8,5 cm und an der Oberlippe einer 35 cm langen Frfih- geburt (Abb. 2 in VirehoWs Arch.) darstellen, Hier erfolgte bei fehlenden

390 H. Mtiller: Die histologisehe Ubereinstimmung

Pap i l l en die Angl iederung der Mesenehymzel len an die E p i d e r m i s in vol ler Bre i t e aus dem Corium.

E ine mi t der hier gegebenen Dars te l lung f ibe re ins t immende Be- sehre ibung der Neub i ldung des Zungenepi the l s ~indet sieh bei M. Nedo- pil 8~ (1877), e inem Ass i s ten ten yon Billroth. Bei der Besehre ibung eines Durehschn i t t e s aus der Mitre tier n o r m a l e n Zungenoberfli~ehe eines Neugeborenen ff ihrt Nedopil u. a. aus (S. 335):

,,An ganz feinen Durehschnitten wird es unmCiglieh, eine genaue Grenze zwischen tier oberen Schieht tier Mucosa und der Epithetschicht zu ziehen. Es sind an der ~bergangslinie immer Zellen nnd Kerne zu Iinden, yon denen man nieht sagen kann, ob sie der ersteren oder letzteren angehSren. Ieh kann reich bei oft wiederholter Betraehtung dieser Bilder des Eindruekes nieht erwehren, dab die Regeneration des Epithels nut in der Weise mSglich is~, da$ die in dem weiehen: halb flfissigen Gewebe der obersten Schleimhautsehieht eingelagerten und sich bier vermehrenden Kerne in einer stetigen Bewegung, in einem langsamen Flusse gegen die iiullerste Lage und dann ins Epithel hinein sich befinden. Teilun- gen tier Kerne, sobald sie in die Epithellage gelangt sind, babe ieh niemals ge- sehen. Die unterste Lage des Epithels, diejenige also, welehe den Papillen anliegt, erscheint gewShnheh nieht aus Zellen gebildet, sondern aus Kernen, welche palli- sadenartig aneinander gelagert und in eine homogene Protoplasmamasse eingebettet sind. Erst beim ttinaufrficken nehmen die Kerne einen deutlichen l)rotoplasma- kSrper an, der sich dann yon der umgebenden Masse isohert und als Zellindividuum erseheint. Dieses Hinaufrficken der Epithelien aus immer tieferen Sehichten wird wohl nicht bezweifelt. Es ist nicht einzusehen, warum nnd wie in der niichst tieferen Schieht, worin sich die Kerne ziemlieh frei im Parenehym bewegen kSnnen, ein anderes physikahsehes Moment diesen Strom gegen die Peripherie hindern kSnnte."

W i h r e n d bei Neugeborenen diese E p i t h e l n e u b i l d u n g aus dem yon K e r n e n durehse tz t en weiehen, Mucosa und P a p i l l a r k S r p e r umfassenden P a r e n c h y m erfolgt , b e s c h r i n k t Nedopil diese ep i the lb i ldenden Eigen- schaf ten be im Erwachsenen auf die Gefi~$wand, da die e igent l iche Mucosa inzwischen eine U m w a n d l u n g zu e inem ke rna rmen , s t raf fen Gewebe e r fahren ha t . Die Dars te l lung , die Nedopil yon der Zungen- seh le imhau t g ibt , e rseheint mi r so klassiseh, da$ ich sie bier wSrt l ich einffige, in tier Hoffnung, dal~ sie endl ieh, wenn aueh u m ein ha lbes J a h r h u n d e r t verspi~tet, ihre ve rd i en t e Wi i rd igung e r fahren mSge*. U n t e r Hinweis auf seine Abb . 2 schre ib t Nedopi136 (S. 335):

,,Si~mtliche Capillaren, die an normalen Zungen die eigentliche Mucosa und die Papillen durehziehen, sind yon einer dieken Brotoplasmamasse umgeben, in welche sehr reichlieh Kerne eingelagert sin& Dieses Protoplasma saint den Kernen ist dutch Brticken und Fortsi~tze in direkter Verbindung mit der untersten Lage des Epithels. Dieses aber ist wieder in tier den Papillen anliegenden Sehicht in bezug auf die Struktur ganz analog dem Protoplasma, welches die Gefi~Be urn-

* Da$ Jacob Wol/] in seiner Lehre yon der Krebskrankheib (II. Tell, S. 159 his 161) die Arbeiten Nedopils voll wfirdigt, is$ bei tier unerreichten Vollsti~ndigkeit dieses unentbehrliehen ttandbuehes selbstverst~ndhch.

zwisehen Epithelregeneration und Krebsbildung. 391

hfillt. Es sind da keineswegs sehon' fertige isolierte Zellen, sondern gleichfalls eine homogene Masse, in welche2 die Kerne, die etwas l~nglich erscheinen, palli- sadenartig angeordnet sind. Erst w~hrend der Fortbewegung gegen die Peri- pherie bfldet sieh die Zelle mit ihrem Protoplasma. Eine bestimmte Trennung zwischen Epithel und eigentlieher Mueosa kann man an vielen dieser Stellen nieht angeben, es verschmelzen beide Schiehten ineinander ohne seharfe Grenzen. Die Regeneration seheint mir hier in der Weise stattzufinden, dab ein konstanter Strom der Kerne in dem Protoplasma, welches sich um die Gef~13e (kleinsten Arterien) befindet, gegen das Epithelstratum hin sta~tfindet. Ich babe nie wahr- nehmen kSnnen, da~ das Epithel selbst irgendeinen aktiven Antefl an der Regene- ration nimmt, es spielt vielmehr eine absolut passive Rolle, und zwar nieht nut bei norm~len Verh~ltnissen, sondern auch bei pathologisehen, wie wir dies in folgen- dem zu entwiekeln und zu begrfinden versuehen."

Besonders bemerkenswert erscheint mir an dieser Darstellung, d~l] Nedopil die Epithelbildung yon kernhaltigen Plasmodien ableitet, wie es erst sehr viel sparer yon Rohde ~~ 41 ffir jede histologische Differen- zierung als leitendes Prinzip bei der Entwicklung der Organismen ~uf- ges~ellt wurde.

Das besehriebene, deutlich darstellbare Syncytium zwischen Mes- enchym und Basalzellen beschr~nkt sich im allgemeinen auf die Papillen, also auf die Absehnitte, an denen yon vornherein dureh die zutretenden Gef~l]e ein besonders lebhafter Stoffweehsel zwisehen Corium und Epidermis zu erw~rten ist. Bei lebh~fter Epithelbildung beim Embryo und unter krankhaf ten Verh~ltnissen (Abb. 5 i l~Bt es sich fiber grol~e Streeken zwischen Corium und Epidermis nachweisen. Solehe Befunde bereehtigen zu der Deutung, da[t das in den ruhenden Absehnitten als Basalmembr~n bezeichnete und als Keimblat tgrenze ~ngesehene Ge- bride den riickgebildeten, verkfirzten ursprfinglichen Protopl~sma- verbindungen entsprieht. Tatsaehlich versehwindet die Basalmembran bei der mechanischen Abhebung der Epidermis und wird aufgelSst in gestreekte, senkreeht zur Hautoberfl~ehe stehende Fasern, wie man das besonders deutlieh am Rand einer Brandblase oder im Bereich des einfachen VerbrennungsSdems erkennen kann. Eine ganz ~hnliehe Streckung der Protoplasmaverbindungen zu parallel verlaufenden F~sern sah ich mehrfaeh fiber Hautangiomen (s. Abb. 3 in Virehows Arch. 269, 117). Ein besonders schSnes Beispiel eines solehen ~bergangs yon Mesenchym in Epithel stellt die Haarpapille dar. An der Grenze yon Papillenspitze und Haa rm ark ist nach Hoeplce eine Glashaut ,,nieht zu erkennen oder nieht vorhanden". Eigene Untersuehungen haben mieh davon fiberzeugt, dal~ je naeh der Ausbildung der Papille, ihrem Kern- reiehtum und ihrem Durchmesser, auch der pro~oplasmatische Zu- sammenhang zwisehen dem kernreichen Syncyt ium der Papille und den bereits differenzierten Epithelien des Ha~rbulbus in wechselnder Ausdehnung deutlich zu erkennen ist. Ebensowenig wie ~n der Epider- mis-Coriumgrenze l~tBt sieh im Bereich d e r Haarpapille die Wandung

392 H. Mtiller: Die his~ologische ~3bereinstimmung

der an ihrer Spitze eintretenden Capillare gegen das Syncytium ab- grenzen. Die im folgenden besproehene Epidermisregeneration gilt in gleicher Weise aueh fiir das Wachstum der Haare.

Sind wir nun bereehtigL dieses Syneytium zwischen Corium und Epidermis oder wie wir auch sagen kSnnen, dieses kernhaltige Plasmodium mit der Epithelerneuerung der Epidermis in Zusammenhang zu bringen ~.

Das Hauptargument, das fiir die physiologische Epidermiserneuerung durch die Basalzellen angefiihrt wird, ist das hypothetisehe und nach den zahllosen entgegenstehenden Beobaehtungen unhaltbare Spezifit~ts- gesetz der Keimblattlehre. Der Erneuerungsvorgang selbst, der sieh in groBen, leicht darstellbaren, dureh eingehende Untersuchungen genau efforsehten Zellen abspielen soll, ist umstritten. Die Unklarheiten be- treffen nicht nur den Teilungsmodus, die Frage, ob neben der mitotisehen ZeUteilung aueh noch eine amitotisehe vorkommt und nieht nur die Zellsehieht, in der sich die Teilungen abspielen sollen, vor Mlem ist es noch nieht gelungen, das Mil~verh~ltnis aufzukl~ren, das zwisehen dem h~ufig grobsinnliehen Epidermisverbrauch und der im VerhMtnis dazu nur ganz unzureiehenden Zahl yon Mitosen besteht. Diese Sehwierig- keit hut man dureh die tIypothese behoben, dab (immer in der An- nahme, dal~ eine andere Zellzufuhr unmSglich sei) die Zellteilungen rhythmiseh erfolgen, ohne dab bisher tin soleher Rhythmus dureh fortlaufende Untersuchungen naehgewiesen worden w~re. Dann be- sehuldigt man die Fixierungsmittel, deren langsame Einwirkung deu Ablauf der bereits in Gang befindlichen mitotisehen Kernteilung nieht aufhalten, das Auftreten neuer Mitosen aber hindern soll, Was den Zeit- punkt der Fixierung betrifft, so kann man hSchstens die auff~llige Tatsache feststellen, dab man in sp~t entnommenem Sektionsmaterial gelegentlich zahlreiche Mitosen finden, wie umgekehrt in frisehem, sofort fixiertem Operationsmaterial vOllig vermissen kann. Noch unklarer liegen die Verh~ltnisse beim einschiehtigen Zylinderepithel, da hier j a eine Cambiumsehieht mit angeblieh embryonalen Eigensehaften fehlt,, andererseits Mitosen so augerordentlich selten sind, dab ihr Vor- kommen yon manehen Untersuchern iiberhaupt bezweifelt wird.

Viel bedenklicher Ms alle diese Unklarheiten und Unstimmigkeiten ist die biologisehe SchluBfolgerung, dab die Basalzellen und Zylinder- epithelien ohne Rficksieht auf die Beanspruchung durch die physio- logische und krankhafte Regeneration, (dureh Wundheilung und z. B. durch schuppende ttautkrankheiten) trotz ungez~hlter, Jahrzehnte hindurch w~hrender Teilungen keine EinbuBe ihrer physiologisehen und morpho]ogisehen Eigensehaften zeigen, obwohl doeh schlieBlieh vonder Erbmasse nut noeh ein kaum meBbarer Teil fibrigbleibt, eine Zufuhr neuen Keimmaterials aber ausgesehlossen sein soll.

zwischen Epithelregeneration und Krebsbildung. 393

Und welche Argumente lassen sich gegen eine mesenchymale Epithel- erneuerung anffihren, wenn man auf das hypothetische Spezifit~tsgesetz verziehtet, yon dem man bisher nur die recht zahlreichen Ausnahmen durch Tatsachen belegen k a n n ? Ich st imme Huec/~ 21 durchaus zu, wenn er mir entgegnet, daf~ ein morphologischer Zusammenhang yon Geweben noch nicht beweise, dal~ auch das Wesen*, die Lebenseigen- schaften des einen Gewebes in die des anderen fibergehen, obwohl ihn dieser Einwand nieht yon der Pflicht entbindet, die yon ihm angenom- mene epitheliale ]~egeneration der Epidermis zu beweisen, oder auf Grund der yon ihm angeffihrten Entgegnung wenigstens auch die epitheliale Ents tehung des Carcinoms Zu bezweifeln, die doch ihre Begrfinder Thiersch und Waldeyer in erster Linie auf den nachgewiesenen morphologischen Zusammenhang zwischen den epithel~hnlichen Krebs- zellen mit praexistenten Epithelien stfitzen. Geht nicht die heutige, doeh auch yon Hueck vertretene Krebslehre sogar so welt, dab sie bei ektopischen Carcinomen an physiologisch epithelfreien Orten einen morphologischen Zusammenhang selbst mit erdachten, embryonal oder spgter verlagerten Epithelien annimmt ? Ich babe es ~usdrficklich uls einen Mangel der anatomischen Forschungsmethode bezeichnet, ,,dsl~ die Aneinanderreihung selbst ungezghlter Zustandsbilder fiber dan wirk- lichen Ablauf yon Vorg~ngen niemals allein volle Aufkl~rung geben kann" . Der histologisehe Nachweis eines Syncytiums zwischen Corium und Epidermis kann also nur die anatomische Grundlage ffir meine Schlul3folgerungen sein. Dal~ diese anatomische Grundlage richtig ist, ist mir yon den zahlreichen erfahrenen Histologen (Fr. Wassermann, Gg. B. Gruber, Lubarsch, Pick, Benda), die ich zu Rate zog, nach ein- gehendem Studium meiner t)r~par~te nicht bestri t ten worden.

Die durch das Spezifitgtsgesetz gebotene Annahme einer Erneuerung der Epidermis ,,aus sich heraus" lgl~t sich weder dutch anatomische

* Wenn Hueck ~1 von dem 'Wesen" der bier in Frage stehenden Gewebe, Epithel und Mesenchym (nicht Bindegewebe!), spricht, so setzt das erkennbare wesentliche Eigenschaften des Epithelgewebes voraus. Der Epithelbegriff li~B~ sich morphologisch, wie das v. Hansemann 1~ eindringlich betonte, nur ganz unvoll- kommen begrenzen, er ,,ist kein genetischer und bei der Vielseitigkeit der physio- logischen oder biologischen Leistungen des Epithelgewebes auch kein physio- logischer." (Gegenbauer und Scha]/er4~.) Die Epithelbildung aus indifferentem Mesenchym erfolgt durch einen DifferenzierungsprozeI~: Das bedeutet einen Er- werb neuer oder einen Verlust alter ,,wesentlicher" Eigenschaften oder beides. Es ist also gar nicht mSglich, dab bei einer Differenzierung das ,,Wesen" des einen Gewebes in das des anderen tibergeht. Die ihrem Wesen nach verschiedenen Gewebe kSnnen, und das ist der Sinn meiner Un~ersuchungen, auf das gleiche Ausgangsgewebe zurfickgeffihrt werden oder, wie es Bostroem 9 in der gleichen Besprechung ausdriickte: ,,Es mul~ im KSrper also w~hrend des ganzen Lebens ein Gewebe mit allen embryonalen Potenzen vorhanden sein, aus dem nur eine Neubildung yon Zellen und Gewebe effolgen kann."

394 H. Miiller: Die histologische ~bereinstimmung

noch durch entwicklungsgeschiehtliche noch durch experimentelle Tatsachen stiitzen. Im Gegenteil, die neueren Ergebnisse der Ent- wicklungsgesehichte (die doeh Hueck ~~ sogar zum Ausgangspunkt seiner Mesenehymstudien genommen hat), die im Gegensatz zur alten Auffassung die urspriingliche Scheidung der Keimbli~tter ablehnen und damit dem Spezifit~tsgesetz ihre Grundlage entziehen, ferner die zahl- reiehen Beobachtungen der experimentellen Zoologie, die die mes- enchymale Regeneration epithelialer Organe, such der Epidermis, beweisen, alle diese Tatsaehen stehen mit der Annahme einer epithelialen Regeneration der Epidermis im Widersprueh, Die herrschende Lehre ist also weder bewiesen noch i~berhaupt wahrscheinlich.

Demgegeniiber stfitzt sich die Annahme einer mesenehymalen Epithelregeneration auf Tatsachen der Anatomie (Syncytium zwischen Epidermis und Mesenehym), der Embryologie (Syneytium zwischen den Keimbl~ttern) und der experimentellen Zootogie (mesenehymale Regene- ration epithelialer Organe). Weiterhin sind damit all die sehon genanuten Schwierigkeiten behoben, die sieh aus der epithelialen Regeneration ergaben, ebenso die zahlreichen Schwierigkeiten fiir die Erkl~rung der Wundheilung und der Krebsbildung. Gegeniiber dem Einwand, dal~ eine mesenchymale Epithelbildung ihr physiologisches Gleiehnis im KSrper nicht besitze, m6chte ieh darauf hinweisen, dal~ die Entwicklungs- geschichte die mesenehymale Bildung ganzer epithelialer Organe, der Nieren und Genitalorgane lehrt. Ich fiige ein lehrreiehes Beispiel aus der Pathologie an.

Abb. 1 zeigt eine Epithelbildung auf der Lichtungswand eines mesenchymalen Sehleimbeutels yore Ellbogen, die sich mit ihren Intercellul~rbriicken nicht yon der Epidermis unterseheidet. D~ immer wieder zur Erkl~rung eines solchen Befundes aufgestellten Annahme einer embryonalen oder sp~teren Epithelver- lagerung, die unter dem Zwang des Spezifit~tsgesetzes einfaeh gefordert wurde, fehlt jegliche Beweiskra~t gegeniiber der doch entwieklungsgeschichtlich gesieherten Tatsaehe einer mesenehymalen Epithelbildung.

Eine wesentliche Stiitze fiir die yon mir vertretene Anschauung der mesenehymalen Epithelregeneration ergibt sich aus der Tatsache, dab die bei der physiologischen Epithelregeneration erhobenen Befunde sieh in grunds~tzlieh gleieher Weise bei der Wundheilung, bei den mit gesteigerter Neubildung einhergehenden Epidermisseh~digungen und schliel~lich beim Careinom wiederholen, nut mit dem Unterschied, dai~ sie hier bei ihrer quantitativen Steigerung viel leichter zu erkennen sind.

Die heute giiltige Lehre yon der Wundheilung li~l~t die beiden Haupt- fragen ungelSst, 1. wie die Epithelien sieh vermehren, 2. wie sie sich der Unterfl~ehe anheften. In meinen genannten Arbeiten habe ieh diese Verh~ltnisse ausfiihrlich unter Hinweis auf die klassisehe Darstellung yon Marchand al besprochen. Mitosen sind am Wundrand weder naeh. gewiesen noch behaups worden, auch nicht festzustellen nach Ab-

zwisehen Epithelregeneration und Krebsbildung. 395

klingen des zur ErM~rung angenommenen Wundshoeks. Ebensowenig h~lt es Marchand ffir m6glieh, dab die entfernt vom Wundrand auf- tretenden Mitosen etwa eine Vorschiebung des freien l%andes bewirken sollten. Marchand selbst nahm eine amitotische Epithelvermehrung an. Noch unklarer ]iegen die VerhMtnisse Iiir die Anheftung der angeblieh zun~chst frei fiber die Oberfl~ehe hinkrieehenden Epithelien. Man stellte sieh vor, dab diese Epithelien wie Grassamen Wurze]fiiBchen in das Granulationsgewebe einsenkten, bezeichnete aber im fibrigen, ohne sich auf viele Einzelheiten einzulassen, den ganzen Vorgang als Desmo-

Abb. 1. Geschichtetes P!attenepithel mit deutlicher E!oithelfaserung~ aIs Imlenbelag der Bursa olecrani eines 54jhhrigen Mannes. (It 3/28.) Photogramm/ Ze!B .Apochr6mat' 8 ram, t[omal I,

Tubus 44 cm. trarbung: ltama~ox~lin-:EosiiL

philie. Die aufgez~hlten Unklarheiten sind behoben; wenn man auf Grund der anatomischen Befunde (immer unter:Beriieksichtigung der bereits besprochenen embryologischen und experimentellen Ergebnisse) dem Mesenchym epithelbildende F~higkeit zuerkennt. Am Wund~ rand lhBt sich stets ein reich entwickeltes rnesenchymMes Gewebe nach- weisen, da:~ mit bereits ausdifferenzierten Epithelien syncytial zu- sammenh~ngt (s, Abb. 7 in Virchows Arch. 269, 127). Besonders deutlich erkennt man diese Verhgltnisse an den neugebildeten Papillen am Wund~ rand (Abb. 8 in Virchows Arch.). Dabei mSchte ich noch auf einen weiteren auffMligen ~Befund hinweisen, der uns sp~ter noch hgufiger begegnen wird, dab n~mlich die Capillaren oft bis zu erheblieher Tiefe ins Gewebe hinein vergrSBerte, nicht selten ausgesprochen kubische

396 H. Miiller: Die histologische Ubereinstimmung

Endothelien besitzen oder dag die Endotheliea ersetzt sind dureh ein kernreiehes Plasmodium, oder dag die Capillaren einen kernreiehen von der Wandung nieht abgrenzbaren Mesenchymmantel aufweisen.

Mit dem Hinweis, dal~ diese Endothelver~nderungen und Neu- bildungen entziindlicher Natur seien, ist ffir die Erkl~rung gar nichts gewonnen. Man kann die Wundheilung abhandeln unter dem Gesiehts- punkt der reparativen Entziindung oder der Regeneration.Die urs~ch- lichen Bedingungen ffir die dabei vorkommenden Gewebsneubildungen werden yon dem Standpunkt des Betruchters gar nicht beriihrt. DaB diese Endothelvergnderungen und die umsehriebenen Kernvermehrun- gen im Mesenchym, wenn auch nieht ausschliel~lich, so doch in erster Linie mit dem seine Regeneration ausl6senden Epitheluntergang zu- sammenh~ngen, wird sieh aus der weiteren Besprechung ergeben.

In besonderen, ja auch kliniseh nicht so h~ufigen Fallen, kann man Epithelneubildung aueh inmitten einer Wundf]~ehe feststellen. Die Anerkennung solcher Befunde setzt aber sehon die Zustimmung zur mesenehymalen Epithelbildung voraus, da ja naturgemal~ die noeh nieht zur vollen Reife ausdifferenzierten, wenn auch schon zu epithel~hnlichen Verb~nden zusammengeffigten mesenehymalen Ze]len den charakteristi- sehen Aufbau der Epidermis nieht zeigen. Ist der Aufbau aber vor- handen, so kann man den Einwand nieht entkraften, da$ es sich um einen Rest alten Epithels handelt oder zwar um neugebildetes, aber urspriinglich mit dem Wundrand durch eine nachtr~glieh zerstSrte Brfieke verbundenes Epithel handelt. Ieh verweise im fibrigen auf die ausffihrliche Bespreehung und die dabei niedergelegten, dureh Ab- bfldungen erl~uterten Befunde in Virchows Archly. Die Frage, warum die Epithelneubildung den Wundrand bevorzugt und sich sieher in vielen Fallen auf den Wundrand besehr~nkt, wird uns sp~ter noeh besch~ftigen. ,,Die tagliehe Beobaehtung, dal~ eine granulierende Wunde bei totaler Entfernung der Cutis nur yon den R~ndern her benarbt", ffihrte B i l l ro t h 2 zu dem Trugschlul~, ,,da[~ wahres Epithel nur vom Epithel kommt."

Die bier vertretene Ansehauung fiber die mesenehymale Epithel- bfldung kann natfirlieh nur dann Anspruch auf Richtigkeit haben, wenn sich ihre anatomisehen Unterlagen in gleieher Weise aueh bei der gesteigerten Epithelneubildung und schlie~lieh beim Krebs erweisen lassen, wenn sieh ferner die Ergebnisse der experimentellen Geschwulst- forsehung dieser Ansehauung zwanglos einffigen oder eine solehe LSsung sogar zwingend fordern. Sell die physiologisehe Epithelregeneration den physiologischen Typ der Krebsbildung darstellen, wie das die klinische und experimentelle Erfahrung wahrseheinlieh maeht, dann miissen uns insbesondere die histologisehen Befunde bei krankhaft gesteigerter, klinisch nicht oder noch nicht als I~rebs anzusprechender

zwischen Epithelregeneration und Krebsbildung. 397

Epi the l regenera t ion den Weg weisen, dessen nati i r l iche For t se tzung uns schlieBlich zum Krebs fiihrt. DaB dieser Weg wirklich zum Ziel

fiihrt, das sollen die bier mitgetei l ten, aus einer grol~en Zahl gleich- ar t iger Befunde ausgew~thlten Beispiele beweisen.

Der in Abb. 2 wiedergegebene Schnitt zeigt die Papille eines kaum linsen- grol3en, wegen Krebsverdaeht entfernten papill~ren Fibroepitheliom der Zunge. Hier erkennt man mit besonderer Deutliehkei~ das bei der physiologisehen Re-

Abb. 2. Papille ei~es Fi-broepitheliom der Zunge mit deutlichem Syncytium zwisohen denl Proto- plasma der Basalze~len und der kernreichen Wandung der Capillaren. (H 1146/28, 43jAhrige ~.) Farbung mit tt~imatoxylln-Eosin. Photogramm: ZeiB-Apochromat 8 ram, Homai I, Tubus 31 cm.

Sohnitt Nr. 30,

generation beschriebene Syncytium im Bereich der Stroma-Epithelgrenze. Die in das mesenchymale netzfSrmige Flasmodium eingestreuten Kerne ftigen sich so IlieBend nach Lage und Form dem Oberfl~chenepithel ein, dag eine Grenz- bestimmung ganz unm6glich ist, Die EndotheHen sind vergr6gert; in anderen Papillen erstreckt sich diese Endothelvergr6Berung (bei fast v611igem Fehlen yon Rundzellen und Leukocyten) bis fief in das Stroma hinein, streckenweise ist dadurch die Lichtung v611ig verlegt.

Die beiden folgenden Zeichnunge n stammen yon der stark schuppenden Sehulterhaut eines an Dermatitis ex[oliativa universalis verstorbenen 70j~hrigen Mannes. Abb. 3 zeigt eine Coriumpapille, deren aufgeloekertes gefal~fiihrendes Grundgewebe ein syneytiales Netzwerk bildet, das neben wenigen rundlichen

398 K, l~iiller: Die histologische tJbereinstimlnung

chromatinreichen (offenbar Lymphocyten)-Kernen vorwiegend sehr zahlreiche hellere, plumpspindelige Kerne enth~lt, die z, T. ~ls Endothelkerne der bluthaltigen Capillaren anzuspreehen sind. Entsprechend der naeh dem klinischen Bfld zu erwartenden lebhaften Epithelneubildung ist an der Grenze gegen die Epidermis das kernhaltige mit dem Protoplasma der (als Einzelzellen nieht abgrenzbaren) Epithelien zusammenhgngende Syneytium besonders reiehlieh ausgebildet. Eine andere Papille des gleichen F~lles (Abb. 4) l~l~t die bereits besproehene Ver- grSBernng der Endothelkerne erkennen, die im ganzen Verlauf der Capillaren bis fief ins Corium hinein formal den Kernen der syneyti~len Grenzzone gleiehen.

Abb, 3. l:fautpapille bei Dcrmati t is exfoliativa universalis. (S 375/28, 70j~hl'iger d, Sclmitt 16.) Syncyti~lm zwisclien dem Protoplasma der Epide~'miszellen a n d dem ke~nreichen 2~r der

CoriumDapille: ~t'hrbnng: l:Ii~matoxylin-Eosin. Zeil~' homog. Immersion 1/12, Okular 2.

Eine weitere, besonders einclrueksvol[e Beobachtung, betrifft einen 55jghrigen l~angiermeister, bei dem sic h i m Ansehlul~ an wiederholte Durchn~ssung der FiiBe ira Naehtdienst an beiden Fersen kleinhandtellergrolle, bis in die ~Viuskulatnr hineinreichende Geschwfire ~bildeten. Die umgebende Igaut war bli~ulieh ver- f~rbt und zeigte am Wundrand nur ganz schwache Grannlationsbildnng. Die klinisehe Diagnose (Obermed.-Rat Dr. Hugo M~ller) l~utete: Erythromelalgie mit ~]bergang in Raynaudsehe Gangr~tn. Da trotz monatel~nger Behandlung kein Heilungsfortschritt zu erzielen war, mul~ten beide Unterschenkel amputiert werden. Die hier vorgezeigten Sehnitte entstammen der IKaut der Gesehwfirs- umgebung. Es wurden, wie bei den bereits besprochenen und den noeh folgenden Fgllen lfickenlose Schnittserien verschiedener Stellen angefertigt. Mikroskopisch fehlen an der Hau~ streckenweise Papillen vSllig oder sind nur angedeutet. An

zwisehen Epithelregeneration und Krebsbildung. 399

der Grenze zwisehen der vielschichtigen Epidermis und dem yon sp~rlichen Rund- zellen und EiterkSrperehen durehsetzten lockeren, mesenchymalen Corium ist auch nicht die Andeutung einer Basalmembran zu erkennen. Im Gegenteil, man sieht selbst an dem mit mittlerer VergrSBerung hergestellten Photogramm (Abb. 5, S, 400~ deutheh, wie die untersten Epithe]ien dutch protoplasmatisehe Ausl~ufer mit den ver~stelten Ze]len des Corinms zusammenh~ngen. Noeh sinnfi~lliger erseheint dieses Syncytium an Stellen, w o e s zur Ausbildung unregelm~Biger Epithelzapfen gekommenist (Abb. 6, S. 401). Das reiehlich entwickelte, die Capillaren begleitende Syncytium geht ohne eine erkennbare Grenze in das Protoplasma der untersten

Abb. 4. ~[autpapille des gleichen Fal]es wie Abb. 3 (Schnitt 5). Syncytium an der Coriuln-Epi- dermis-Grenze, namentlich in der Urngebung der Capillaren und eine his tier ins Corium reichende

YergrSl]erung der :EndothelkeI~e. Y~rbung: H~matoxylin-]~osin. Zeil3 DD, Okular 4.

Epidermissehicht fiber. Der Obergang ist bei der formalen Ubereinstimmung der Kerne so flieitend, dab eine scharfe Scheidung zwisehen mesenchymalem und Epithelgewebe g~nzlich unm6glich ist. Die Endothelkerne zeigen dabei die sehon mehffach hervorgehobene VergrSBerung.

Die vielfaeh reihenfSrmig senkrecht zur Oberflache verlaufenden Capillaren stellen oft solide Zellstrgnge dar (Abb. 7, S. 402), die mal einen Leukocyten ein- sehliel~en oder eine kleine, Erythroeyten enthaltende, umsehriebene Lichtung aufweisen. Abb. 8 (S. 403) zeigt eine solehe, naeh oben aufstrebende, in einen soliden Zellstrang umgewandelte Capillare, die sieh ohne erkennbare Grenze einem fief naeh abwgrts reichenden Epithelzapfen einfiigt.

Diese Capillarvergnderungen, ihre Umwandiung in solide Zellzfige, vermitteln das Verstgndnis ftir die Erkl~rung jener Carcinome, die in Form sehmaler ana-

ZeitsOlrift fiir Krebsforsehung. 28. Bd. 28

400 H. Miiller: Die histologisehe i:~bereinstimmung

stomosierender Epithelstr~nge auftreten. Dutch Rekonstruktion konnte ieh die Entstehung eines solehen Carcinoms mi~ Sieherheit auf die Umwandlung eines Capill~rnetzes in solide Zellztige zurtiekftihren (siehe Abb. 13--17 in Virehows Arch. 269, 139--]42). M~n vergleiehe ~ueh die soliden Capill~ren in Abb. 7, wie sie bei gesteigerter Epithelregener~tion auftreten mi~ den ganz gleiehartig entstandenen schmMen Krebsztigen der Abb. 18.

Die hohe Bedeu~ung dieser C~pillarver/~nderungen ftir d~s Verst/indnis der beginnenden Krebsbfldung ergibt sieh noch aus folgender Beobaehtung. Sie be- traf eine 64j~hrige Frau, die an der 0berlippe, entsprechend dem dauernden Reiz durch einen cari6sen Z~hn eine umsehriebene, kirsehkerngrol]e, leieht vorragende Verhartung zeigte, die nach Anamnese und klinisehem Befund yon Prof. Jeh~

Abb. 5. ~aut bei gesteigerter Epithelregeneratiom (Erythromelalgie mit iJbergang in R~ynaudsche Gangr~n am Furl.) Dent]Jches Syncytium zwischen ]~pidermis und Corinmzellen. Keine J3asal- membran. (]K 518/28, 55j~ihriger eL) F~rbung: Hiimatoxylin-Eosin. l~hotogramra: Zeifl-Apochromat

16 ram, l:IomM I, 31 cm.

mi~ Sieherheit als Carcinom angesprochen und dureh Keilexcision entfernt wurde. Dieser diagnostischen Sieherheit des erfahrenen Chirurgen entspraeh der histo- logische Befund in kei~ier Weise, sofern man der I)eutung die iibliehe Auffassung der I-Iistogenese des Carcinoms zugrunde legte. Von dem in 3 Teile zerleg~en Gewebsstfick wurden grol~e ltickenlose Sehnittserien angelegt. An einer um- sehriebenen Stelle land sich ein verlangerter, in das entziindlieh infiltrierte Stroma hineinreichender Epithelzapfen, im iibrigen war die Epidermis im ganzen verdiekt, es zeig~en sieh geringe Abweiehungen im Bau der l~etezapfen, das Stroma war in wechselnder St~rke, im allgemeinen abet nieht hoehgradig rundzellig infiltriert: Alles zusammen genommen Veranderungen, wie man sie bei ehronischen Reiz- zustanden der I-Iau~ finder, die an sieh kaum den Verdaeh~ eines Careinoms reeht- fertigen. Die heu~e giiltige Auffassung fiber die tIistogenese des Careinoms, welche die Wachstumsvorg~nge in die Epithelien verlegt, die dureh unbekannte Reize unter vSlliger" ~nderung ihres biologischen Charakters in Wucherung geraten

zwischen Epithelregeneration und Krebsbildung. 401

sollen, vermag uns fiber den ersten Beginn gar nichts anszusagen, da jeder morpho- logisehe Ausdruck ~fir die hier angenommene Charakter/~nderung fehlt. Es wird darum auch immer wieder betont, ,,dab man einen ,beginnenden Krebs' iiberhaupt nicht mit Sicherheit histologisch erkennen kann, sondern nur einen /ertigen. Es gibt keine spezifischen Merkmale der K3"ebszellen, auf die man sich verlassen k6nnte, auch wenn man noch so groBe Finessen im Bau der Zellen und Kerne heran- zieht" (LubarschsL 1913). Dieser Standpunkt hat sich bis heute nicht ge/~ndert.

Im vorliegenden Fall der klinisch mit guten Grfinden als Krebs angesprochenen Oberlippengeschwulst fanden sich nun die bei der gesteigerten Epithelregeneration

Abb. 6. ]=[aut bei gesteigerter Epithelregeneration. Gleicher Fall wie Abb. 5 (Schnit~ 3). Fliel]ender ~3bergang des stark ausgebildeten, die Capillaren begleitenden, kerahaltigen ~esenchyms in]~die Epidermis. F~rbung: ~/~matoxylin-Eosin. ZeiB-Apoehromat 8 mm; Okular 4, Tl~bus 16 era.

besehriebenen Capfllarver~nderungen in reiehlichem MaBe und in ungew6hnlieh starker Ausbildung. In der Lamina propria der Lippe sind ganze Capillarver- zweigungen in solide kernreiehe Zellstr~nge umgewandelt (Abb. 9, S. 404). An den Gabelungsstellen wird die bier auf ein mehrfaehes verbreiterte Capillarwand vielfaeh eingenommen yon einem mit vielen Spindelkernen durehsetzten Plas- modinm, des einzelne Zellen nicht abgrenzen l~6t. Nach der Tiefe zu setzen sich diese soliden Zfige regelm/~Big als offene Capillaren fort, zeigen aber aueh vielfaeh im Verlauf ffir eine kurze Streeke eine mit Erythrocyten oder Leukoeyten gef~llte Liehtung. Abb. 10 (S. 405) zeig~ ein solehes naeh oben sieh gabelndes Plasmodium, des sieh naeh unten in eine offene Capillare fortsetzt. Eine gleiehartige Umwand- lung in solide Zellstr~nge zeigen vielfach auch die Capillaren im Bereieh der Papillen (Abb. 11, S. 405).

28*

402 H. Niiller : Die histologisehe ~bereinstimmung

Man k6nnte natiirlidh die ganze Er6rterung fiber die Bedeutung der hier vorliegenden Gef~gverinderungen mit dem Itinweis ablehnen, dab fiir die Krebsdiagnose in letzter Linie der histologisehe und nieht der klinisehe Befund entseheidet. Einer solehen i)berwertung histologiseher Befunde m6ehte ieh bei der Gesehwulstforsehung sehon aus dem ein- faehen Grunde nieht zustimmen, well der aus der klinisehen Erfahrung gewonnene Begrifi der B6sartigkeit keineswegs aus dem histologisehen

Abb. 7. t Iaut bei gesteigerter Epithelregener~tion. Gleicher :Fall wie Abb. 5 u. 6 (Schnitt 17). Umwandlung dot aufwhrts strebenden Cagillaren in solide, anastomisierende Zellstringe. Keine BasMmembram :F~rbung: l:Iimatoxylin-]~osin. ZeiB-Apochromat 8 ram, Okular 4, Tubus 16 cm.

Befund allein ersehlossen werden kann; fiir die Beurteilung der Gut- oder B6sartigkeit maneher Gesehwfilste miissen wit trotz des histologiseh eareinomat6sen Baues die klinisehen Merkmale in erster Linie heran- ziehen. Ffir die Erforsehung des beginnenden Careinoms, das wir histo- logiseh vorl~ufig tiberhaupt nieht diagnostizieren k6nnen, sind wit einzig und Mlein auI das Urteil erfahrener Kliniker angewiesen. Ieh m6ohte da Waldeyer 5a folgen, der sieh gegeniiber dem Zweifel, ob die yon ihm untersuehten Gesehwiilste aueh wirMieh Careinome waren, auf die Autoritat der erfahrenen Chirurgen berief, die die betreffenden Ge- sehwiilste diagnostiziert und entfernt hatten.

zwischen Epithelregeneration und Krebsbildung. 403

Daft ein Careinom in der Form soleher spindelkerniger solider Ztige auftreten kann, wie sie hier (Abb. 9) die umgewandelten Capillaren darstellen, l~gt sieh wohl nieht bestreiten. Eine besondere Eigentiimlieh- keit des hornfreien, adenogenen Hauteareinoms ist naeh Ribbert as ,,dutch die h~ulig langgestreekte Gestalt der Epithelien gegeben, die sieh spinddzellghnlieh ~neinanderl~gern, so da~ die Struktur eine gewisse J~hnliehkeit mit der eines Spindelzelleusarkoms bekommt. Zuweilen verlaufen dann aueh die parallel gelagerten langgestreekten Epithelien innerhatb der A1veolen wie in einem Sarkom naeh versehiedenen

Abb. 8. l~a~t bei gesfeiger~er ]~pithelregeners,~icn. G/eicher Fall yon ]grythromelMgie wie AbB. 5-- 7. {Jbergang der yon unten bogenfSrmig nach oben verlaufenden Ca!oillare (C) in die Spitze eines Epidermiseapfens (EPid.). Schnitt24. Fiirbung: ttimatoxylin-Eosin. Photogramm: Zeig-ADe-

chromat 8 ram, Hemal I, Tubus 32 era.

Richtungen". Auch nach Krompecher 2~ besteht der Basalzellenkrebs ,,meist aus ovalen oder l~inglichen sarkom~ihnlichen Zellen". Nach Borst~ bleib~ in vielen Careinomen alas wuchernde EpitheI auf ganz unrei/em Stadium stehen und die so gebauten Careinome i~hnelten morphologiseh gewissen Sarkomen (Endotheliomen, Alveoli~rsarkomen). Danaeh bliebe als einziges Merkmal, das die besehriebenen soliden Zellstringe yon Careinomziigen unterseheidet, die naeh dem Befund nicht zu bezweifelnde Tatsaehe, dal~ ihre Bildung mit den Capillaren z~sammenhgngt. Ein solches l~ferkmaI steht n/it der herrschenden Ansehauung, welehe die Bildung der Krebszfige von Epithel ableitet, in ausgesproehenem Widerspruch. Diese Ansehanung kann abet sehon

404 H. Mtiller: Die histologische Ubereinstimmung

aus dem Grunde nicht als bewiesen gelten, weil sie den Nachweis ihrer l~ichtigkeit nur ffihren kann mit Itilfe des hypothetischen, ganz unhalt- baren Spezifit~tgesetzes (das Epithelbildung nut aus Epithel zuli~Bt) und der damit zusammenhgngenden weiteren tIypothese einer embryo- nalen Epithelverlagerung ffir die Erkl~rung der ektopischen Carcinome an physiologisch epithelfreien Often. Die unbewiesene Anschauung yon der epithelialen Genese des Carcinoms l~gt sich also gegen die Gleich-

Abb. 9. Klinisch als beginnender Krebs angesprochene Geschwulst der Oberlippe einer 64j~hrigen Frau. ( t t I240/28.) Umwandlung ganzer CapiHarverzweigungen in sonde Zellstr~inge. F~rbung:

~ma toxy l in -Eos im Serie I I , Sclmi~t 5. ZeiB-Apochromat 8 ram, Okulur 4, Tubus 16 cm.

stellung der hier beschriebenen, aus C~pillaren hervorgegangenen soliden Zellstr~tnge mit Krebszfigen nieht ins Feld ffihren. Wie wenig die herrsehende Ansehauung geneigt ist, solehe Gedamkengi~nge als be- reehtigt anzuerkennen, geht sehon daraus hervor, dab sie bei einem ausgebildeten Careinom die immer naehweisbaren Zusammenhi~nge mit Capillaren stets in einseitiger Weise als Einwuchern yon Krebs in Capillaren deutet (so Ribbert, Das Carcinom. 1911, Abb. 149). Dieses Einwuchern wird dadureh nieht bewiesen, dab man die entgegenstehende

zwischen Epithelregeneration und Krebsbildung. 405

Abb. 10. Klinisch: Beginnender Oberlippenkrebs. Gleicher Fall wie Abb. 9. Ubergang der offenen, x, on unten nach au/w~rts strebenden Capi]lare ill ein kernreiches, sich gabelndes Plasmodium. Serie I I , Sclmttt 9. F~rbung: H~matoxylin-Eosin. Photogramm: Zeig-Apochromat 4 mm, t tomal I, Tubus

31 cm.

Abb. 11. Papille einer klinisch als Krebs angesprochenen Oberlippengeschwulst (gleicher Fail wie Abb. 9 u. 10) mit Umwandlung der sich gabelnden Capillare (C) in einen soliden kornreichen Zellstrang. F~rbung: H~matoxyhn-~osin. Serie I, Schnitt 14. Photogramm: Zeitt-Apochromat 4 ram,

Homal I, Tubus 31 cm.

406 H. NIiiller: Die histologische ~dbereinstimmung

Ansicht, die Umwandlung yon Endothelien in Epithelien einfach als einen Irr tum ansieht, der sich, wie Ribbert 3s ausffihrt, ,,zum Tell daraus erld~rte, dal~ als platte Elemente sich vorschiebende Epithelien /i~r Endo- thelien angesehen wurden, zum anderen daraus, dab die Endothelien d e r Lymphbahnen nicht selten unter dem Einflu~ des Carcinoms zu kubi- schen Zellen anschwellen und epithel~hnlich werden". Mit diesen Worten entschuldigt Ribbert den I r r tum, widerlegt ihn aber niche. Nicht nut hier, sondern immer wieder fragt man bei Ribbert vergeblich nach Grfinden, wenn er histologische Zustandsbilder im Sinne seiner Lehre als Wachstumsvorg~nge yon Krebszfigen deutet. Die Erkl~rung fiir dieses vereinfacht~ Beweisverfahren gibt Ribbert ss selbst in den Worten, mit denen er sein letztes zusammenfassendes Werk fiber das Carcinom einleitet: ,,Ira Gebiete der Pathologie des Krebses fehlt es nicht an Meinungsverschiedenheiten. Das eine aber steht lest: Das Carcinom ist gekennzeichnet durch eine schrankenlose Wucherung yon Epithelien." Leider wird der Beweis fiir diese feststehende Voraussetzung auch nicht erbracht und niemand ist in der Lage, ihn zu erbringen, sofern er auf Hypothesen verzichtet.

I m Widerspruch zu dieser feststehenden Voraussetzung der epitheli- alen Genese des Carcinoms steht wi.ederum die Angabe yon Ribbert 3s (S. 127), da~ ,,noch niemand ein beginnendes Mamma-, Pankreas-, Prostata-, Schilddrfisen-, Bronchial-, Gallenblasencarcinom gesehen" hat, dal~ andererseits ,,die Genese des Carcinoms nur in seinen ersten Entwicklungsstadien studiert werden kann". Daraus miiBte man doch wohl den SchluB ziehen, dal~ die allgemein anerkannte epitheliale Genese der genannten Carcinome nicht bewiesen ist, man w~re abet immerhin zu einem Analogieschlul~ berechtigt, der aus der erwiesenen Histogenese anderer Carcinome gezogen w~re. Nun kann man aber nach Lubarsch ~7 ein beginnendes Carcinom iiberhaupt nicht mit Sicher- heir diagnostizieren, aus unsicheren Unterlagen l~l~t sich aber eine sichere Histogenese nicht gewinnen. Wie umstr i t ten und unsicher tat- sgchlich der Begriff des beginnenden Carcinoms war, mit welch mangeln- der Objektivit~t die histogenetischen Untersuchungen durchgefiihrt wurden, geht aus einer Besprechung Lubarschs 2s hervor, wenn er schreibt, man kSnne ,,auf die Idee kommen, daf~ nut solche Krebse yon Ribbert anerkannt werden, deren histologische Struktur eine Deutung im Sinne seiner Theorie gesta t te t" . I m fibrigen herrscht auch nach Lubarsch 2s im wesentlichen ,,kein Streit darfiber, da~ die Krebse yon Epithelzellen ihren Ausgang nehmen".

Der Versuch, aus morphologischen Merkmalen der Krebszelle ihrc epitheliale Genese beweisen zu wollen, erscheint aus dem Grunde aus- sichtslos, weil die ,,epithelialen" Krebszellen in allen nur denkbaren Formen und Verbgnden vorkommen, yon den reihenfSrmig gelagerten,

zwischen Epithelregeneration und Krebsbildung. 407

festgefiigten flimmernden Zylinderzellen bis zu den g~tnzlich entdifferen- zierten, zusammenhanglosen sarkom~hnliehen Formen, wie sie bei der experimentellen lJbertragung yon ursprfinglich differenzierten Carci- nomen entstehen sollen and die B. Fischer-Wasels 1~ ,,einfach" als den ,,Ausdruck einer atavistischen Reminiseenz dieser embryonal fehl- differenzierten Zellen" anspreehen m6chte. Das Ergebnis einer strengen Kritik, ,,daf~ weder die Zellform noch die Formation der Zellverb~tnde einen sicheren Schlul~ auf die Herkunft und damit die histogenetische Diagnose erm6gliehen", hindert B. _~ischer-Wasels lo nicht, es als ,,selbst- verst~ndlieh" anzunehmen, dal3 die Geschwulstwueherung yon den Cambiumzellen der Gewebe ihren Ausgang nimmt, also unter Um- st~nden aueh yon den Basalzellen der Epidermis. Diese ,,Selbstver- st~ndliehkeiten" bilden neben dem Spezifit~ttsgesetz und der embryonalen Epithelverlagerung die wesentliche Grundlage der epithelialen Genese des Carcinoms.

Endothelwueherungen gleieher Art und yon gleiehem AusmaS beschreibt Orth ~7 (1887) als produktive Entzfindung der Blut- und Lymphgef~tfte,. wobei durch die Endothelproliferation ,,schlie•lich das Lumen der GefgSe vSllig ausgeffill~ werden kann und die Gefaf3e sich in solide, Krebsk6rpern nicht un~thnliche Strange verwandeln, w~hrend sie vorher, solange noch ein Lumen vorhanden ist, Driisenkan~tlen gleiehen". Ahnliche yon den Endothelien der Saftspalten des sub- cutanen Fettgewebes abgeleitete ,,Drfisenbildungen" mit Ausffihrungs- g~ngen und seitlichen Sprossen, ausgekleidet mit schSnem kubischem oder zuweilen auch fast zylindrischem Epithel, ferner starke Epithel- proliferation um ein Driisenlumen beschreibt neuerdings (1928) Leupold ~ in einer ~ul3erst wertvollen Arbeit fiber den Einflu$ des Stoffweehsels auf die reaktiven Vorg~tnge bei der Wundheilung. Bei den Versuchen wurden M~tusen in Hautschnittwunden verschiedene, nicht k6rper- fremde LSsungen (Ei~veiSk6rper, Fette, Kohlehydrate and ihre Spalt- produkte sowie Salze) eingetr~ufelt, wodurch zum Tell sehr lebhafte Epithelwueherungen der Epidermis ausgel6st wurden. Die drfisen- ghnlichen, oft organoiden Wueherungen, ,,welche in ihrer vollen Ent- wicklung morphologiseh yon tubulgr-acin0sen Driisen, etwa vom Baue der Mamma laetans, kaum zu unterscheiden sind", m6chte Leupold nicht als regenerative deuten, da alas Fettgewebe gar nicht verletzt worden w~re, also ein AnlaB zur Fettgewebsregeneration etwa unter Beteiligung der Lymphgefgf3e nicht vorl~ge. Ein absehliel~endes Urteil m6ehte Leupold nicht abgeben. Meines Erachtens k6nnen diese Endothel- wueherungen den yon mir beschriebenen Endothelver~nderungen bei gesteigerter Epithelregeneration grunds~tzlieh gleiehgestellt werden, zumal gerade die massigen Drfisenbildungen sich im Wundbereieh oder in ihrer unmittelbaren Naehbarschaft fanden. Wenn Leupold

408 H. Mfiller: Die histologisehe Ubereinstimmung

hervorhebt, dal3 es sich hier, formalgenetiseh veto entwieklungsgesehieht- lichen Standpunkt aus betrachtet , nieht um eehte Driisen, sondern um Endothelwueherungen h~iidelt, so mSehte ich dem entgegnen, daI~ ieh die mesenchymalr Bildung yon Mamma- und Schweil~dvfisen und die mesenchymale 1;Legeneration der Driisen in der Appendix nachweisen konnte (Path. Tag. Wiesbaden 1928).

Borst 4 hat das Verhalten der Endothelien bei Entziindungen und Gesehwiilsten (1897) in einer Monographie eingehend dargestellt. Er sah bei einer chronisehen Appendicitis ,,bis zum Verwechseln c~rcinom- ~hnliche Wucherungen der Lymphgef~l~endothelien". Ferner f~nd sieh bei einer ~bgelaufenen Peritonitis eine mgchtige Proliferation der Saft- spaltenendothelien, wodurch ein,,vSllig elidotheliomartiges Bild" erzeugt wurde mit zahlreiehen Sehichtungskugeln und gesehichteten Kalkperlen.

In diesem Zusammenhang sei auch hingewiesen auf die Geschwulst- zellen der prim~ren maliglien Peritonealgesehwiilste, die v. Gierlce 1~ (1926) zum Teil als" flach, endothel~rtig, zum Tell als kubiseh und polymorph, zum Teil aber aueh als zylindrisch, an echte Epithelien erinnernd, besehreibt.

Gegeniiber der Zuriickhaltung, mit der die genalinten Autoren immer nut yon krebs~hnlich, drtisen~Lhnlich, epithel~hnlich sprecheli, sei hervorgehoben, dab es doeh niemandem einfallen wiirde, die Nieren- epithelien Ms epithel~hnlieh und die davon abgeleiteteli Gesehwiilste Ms krebs~hnlieh zu bezeiehnen, obwohl doeh Endothelien, Peritoneal- epithel und Nierenepithel entwicklungsgesehiehtlieh in gleicher Weise veto Mesoblast abgeleitet werden*.

Ieh komme also zu deln Ergebnis, daI~ die Gleichstellung der yell mir besehriebenen Capillarver~nderungen (ihre Umwandlung in solide kernhaltige Strange) mit Krebszfigen weder mit morphologischen noeh einer erwieselien ~ndersartigen Genese der krebsigen Wucherungen in Widerspruch steht.

* Auf die Sehwierigkeit, j~ Unrn6gliehkeit, ,,die jetzt giiltigen Ansch~uungen fiber die Entstehung der Geschwiilste in befriedigender Weise mit der embryo- logischen Theorie zu vereinigen," hat Marchand in den Anmerkungen zu seiner GieBener ~k~demisehen Antrittsrede (Uber den Weehsel der Ansehauungen in der Pathologie. Stuttgart 1882) hingewiesen. Marchand erinnert vor Mlem ,,an die C~ro]nome der H~rn- und Gesehlechtsorgane, welehe wir den eehten epitheli~len Geschwfilsten, d.h. den vom I{~rn- und D~rmdriisenbl~tt stammenden, voll- sts zu p~r~]lelisieren pflegen, w~hrend doeh k~um ein Zweifel mehr bestehen kalm, d~f~ die Anlagen jener veto mittleren Keimbl~tt, veto Peritone~lepithel stammen." Lubarsch ~9 schreibt 1925 fiber die Nierenkrebse: ,,~ber die Entwic]c- luny, den Ausgangspunlct der ~denomat6sen Krebse und Adenocareinome machen die meisten Untersueher mit Reeh~ keine ngheren Ang~ben." Trotz dieser fehlen- den n~heren Angaben gilt die epitheliale Genese des Nierenkrebses ~ls bewiesen. Die entwicldungsgeschiehtlich n~her liegende mesenohymMe Entstehung wird fiberh~up~ nieht er6rtert.

zwisehen Epithelregeneration und Krebsbildung. 4~09

Diese Befunde u n d ihre Deu tung lassen sieh fiir die Ausbre i tung der krebsigen Wuche rung nu r d a n n heranziehen, wenn sie ~ich in den Wachs tumszonen des Careinoms i n der gleiehen Weise erheben lassen. Aus der groBen Zahl ~hnlicher Befunde sind ira folgenden einige wenige mitgetei l t .

Abb. 12 zeigt vom l~and eines Careinoms eine yon unten aufstrebende, weite, blutgeifillte Capillare, die unvermittelt in einen soliden spindelkernreiehen, in 2 gleiehgebaute Aste sich gabelnden Strang tibergeht. Der linke Ast verliert sieh nach oben in dem kernreiehen mesenehymalen Gewebe, das den eben sich~baren Krebszapfen umgibt.

Eindrucksvoller erscheint der in Abb. 13 wiedergegebene Befund; eine yon links unten aufstrebende, sich gabelnde Caloillare stellt zum gr6gten Teil einen soliden, durch wenige kleine Lichtungen nnterbrochenen Zells~rang dar, der sieh mit seinen ehromatinreiehen pyknoLisehen Kernen (wie noch mehrere ktirzere gleichartig ver~nderte Capillaren) yon den soliden Krebszfigen nieht unter- seheiden l~gt.

Neben einer solehen Umwandlung ganzer Capillaren in solide Krebsziige verdient noeh ein weiterer Befund besondere Aufmerksamkeit. Die Capillarwand wird vielfaeh gebildet yon einem breiten kernreiehen mesenehymalen Netzwerk, dessen augerste Elemente alle morphologisehen i)berg~nge zu den damit verbun- denen Zellen der ausgebildeten soliden Krebsziige aufweisen. Die Abb. 14--16 lassen diese Verh&ltnisse deutlieh erkennen. Ein Zusammenhang dieses mesen- ehymalen Keimgewebes mit Capillaren ist im einzelnen Sehnitt nieht immer erweislieh. Oft gelingt es, dutch Vergleieh mit den Naehbarsehnitten der Serie solehe Zusammenh~nge aufzudeeken. Geeignege Stellen, an denen das mesenehy- male Gewebe unmittelbar den reifen Krebshaufen angrenzt, lassen oft in seh6nster Weise alle Differenzierungsstufen yon dem netzf6rmigen Mesenchym bis zu den ausgebildeten Epithelien erkennen, wie das Abb. 17 zeigt. Vorbedingung ist natiir- lieh eine besonders sorgf~ltige Teehnik, bei der Liickenbildung am Rande der differenzierten Epithelien unter allen Umst~nden vermieden werden mug. Pr~- parate mit solehen (oft sehwer vermeidbaren) Liiekenbildungen t&usehen mit Krebsziigen angeftillte Hohlr~ume (Alveolen) vor; f/it das Studium der t-Iisto- genese des Careinoms sind sie g~nzlieh ungeeignet.

Nan wird nut selten Gelegenheit haben, ein Careinom wie das in Abb. 18 dargestellte zu untersuehen, das in so eindeutiger Weise den Zusammenhang der Krebsstr&nge mit Capillaren erkennen l&Bt. Es handelt sieh um ein aut dem Boden eines ehronisehen Ekzems entstandenes RSntgeneareinom des Fingers. Der Befund &hnelt augerordentlieh dem in Abb. 7 wiedergegebenen, der bei einer Raynaudsehen FuBgangrgn erhoben wurde. I-tier wie dort kann fiber die mesenehymale Bildung der streekenweise yon kleinen Lichtungen unterbroehenen, an anderen Stellen deutlieh in Capillaren sieh fortsetzenden Krebszfige wohl kein Zweifel bestehen. Daneben sieht man links oben in der Umgebung zweier Gef/~Be Anh~ufungen epithelialer Zellen, die mit der hyalinisierten Gef~Gwand zusammen- h~ngen und die sieh morphologiseh, ebenso wie die vergr6gerten Endothelien, yon den Krebsztigen nieht unterseheiden lassen.

Diese Un te r suehungen f t ihr ten also zu dem Ergebnis, dab die Epithel- b i ldung un t e r physiologisehen Verh~ltnissen, bei der gesteigerten t~egeneration u n d sehlieBlieh bei der krebsigen Wueherung in grund- s~tzlieh gleieher Weise erfolgt. I n yeller Ube re ins t immung mi t kl inisehen

410 H. Mfi l l e r : D i e h i s t o l o g i s c h e ] J b e r e i n s t i m m u n g

Abb. t2. l~andabschnit~ eines Carcinoms der Wangenschleimhaut. (H 278/28, 55j~hriger ~.) Die ~,on unten aufstrebende Ca!oi!lare geht in einen soliden, sich gabe]nden Zellsr tiber. /~rbnng:

tt~matoxylin-]~osin. Photogramm: ZeiB-Apochromat 16 ram, Boreal I, Tubus 30 cm.

Abb. 13. Randabsehnitt eines Caneroids vom Oberschenkel. (1~ 460/28, 58ji~hriger ~, 8erie I, Hr. 11.) Die Yon unten links aufstrebende Capillare nnd mehrere andere gehen in solide Zells%r~inge fiber. F~rbung: ]~matoxylin-Eosin. Photogramm: Zeii~-Apochronlat 16 ram, tIomal I, Tubus 35 cm.

z w i s c h e n E p i t h e l r e g e n e r a t i o n u n d K r e b s b i l d u n g . 411

Abb. 14. Cancroid des Oberschenkeis. H 460/28, 58ji~hriger ~, Serie II, _~r. 14. Die quer zwisehen den Krebsziigen verlaufende, ~on einem kel"nreiche~ Mesenchymman~el ulngebene Capillare (C) geht nach rechts in einen Krebszapfen (Ca) tiber. F~irbung: B~matoxylin-Eosin. ~hotogramm:

Zei~-Apoehromat 8 mm, t tomaI I, Tubus 31 cm.

Abb. 15. Cancroid des 0berschenkels. (H 460/28, Serie II , ~Nr. 11, 58j~hriger c?.) Die yon unten aufstrebende Capillare (C) gibt nach links 3 Aste (1, 2, 3) ab, yon denen sich der 2. als solider Ze l l s~rang dem Carcinomgewebe angliedert. F~rbung: H~imatoxylin-Eosin. Photogramm: Zei•-Apo.

chromat 8 ram, ]~omal I, Tubus 35 cm.

412 H. Miiller: Die histologische l)bereinstimmung

Abb. ]6. Cancroid des Oberschenkels. (:g 460/28, Serie I, ~Nr. 2, 58j~hriger c~.) Von der mit offener Lichtung senkrecht in der Mitre zwiseheu den/<rebsziigen verlaufenden Capillare zweigt sich bei A ein As~ ab, der in einen soliden Zellstrang umgewandel~ ist. Seine epithelialgefiigten Zellen grenzen sich unschs.rf gegen das Carcinomgewebe (Ca) ab. F~rbung: ]t~maioxylin-Eosin. 1)hotogramm:

ZeiB-Apochromat 8 ram, ]~omal I, TuJbus 31 cm.

Abb. 17. Cancroid des Oberschenkels. (]I 460]28, SerielI , Nr. 17, 58j~hriger c~.) Der kerm'eiehe Mesenehymmuntel der yon unten anfstrebenden Capillare (C) geht nach links oben in den Js zapfen (Ca) tiber, l~Erbung: ~Em~toxylin-~osin. Photogramm: Zeil~-Apochromat 8 ram, ] tomal I.

Tubus 34 era.

zwischen Epithelregeneration und Krebsbfldung. 413

und experimentellen Beob~chtungen l~l~t sieh der Krebs also aueh histologiseh als ,,ein mit gesteigerter Proliferation einhergehende~ RegenerationsprozeB" ( Blumentha! 3) erweisen.

Die l~egenergtion wird entweder ausgelSst dutch Gewebsuntergang oder durch Hormone, die ~uf dem Blur- oder Lymphweg yon entfernt gelegenen Organen zugeffihrt werden. Die Neubildungen in der Milch-

Abb. 18. R6ntgenkrebs vom Finger. (]t 1168/27.) Deut]icher Zusammenhang der schmalen soliden Krebsz~ge mit Capillaren. Oben links je ein schriig und quer getroffenes Gef~ , deren hyali~fisiertc Wandungen mi~ epithelia]gefiigten ZeUen zusammenh~ngen. Man ~erg]eiche damit Abb. 7. Fitrbung:

H~matoxylin-Eosin. ZeiB-Apochromat 8 mm, Komp.-Okular 4, Tubus 16 cm.

drfise wahrend der Graviditgt, die Bildung der sekund~ren Gesehleehts- charaktere unter der Einwirkung der Keimdrfisen, das yon Hypo- physenwirkung abh~ngige Knoehenwachstum, sind physiologisehe Bei- spiele einer solchen hormonalen Waehstumsbeeinflussung.

Die urs~chlichen Beziehungen zwischen Gewebsuntergang und Neubildung wurden zuerst erkannt yon Carl Weigert 5~ und ausgebaut zur Theorie des reaktiv-bioplastischen Geschehens. Der weitere Ausbau und die Umbildung dieser Theorie zur Lehre vom Partialtod grfindet

414 H. Mtiller: Die histologische Obereinstimmung

sich auf die Arbeiten yon Haberlandt 16, Gutherz 15, v. Gaza 13 u .a . Be- sonders eindrucksvoll sind die experimentellen Ergebnisse, fiber die auf dem letzten Chirurgentag der Basler Chirurg Henschen 19 berichten konnte, dem es gelang, dutch Autolysate yon Knoehen und H a u t spezifische Gewebswucherungen am Knoehen bzw. an der t t au t auszulSsen*.

Aus a]len diesen Arbeiten ergibt sich die Tatsache, dab der Gewebs- untergang die Quelle bildet / i i r neues Leben, indem die aus dem alternden oder untergehenden Gewebe stammenden spezifischen Stoffe selbst hormonal die Neubfldung des gleiehen Gewebes auslSsen.

Diese Neubildung erfolgt durch das im ganzen K6rper vorhandene, zum Tell an die Gef~l~wand gebundene undifferenzierte Mesenchym.

Gesteigerter Gewebsuntergang fiihrt zu gesteigerter Regeneration: Es wird mehr Gewebe neugebildet, als zum Ersatz des untergehenden Gewebes notwendig ist. Das fiberschfissige Gewebe bildet sich erfah- rungsgem~13 langsam wieder zurfick.

Naeh klinischer und experimenteller Erfahrung kann es zur Krebs- bildung kommen, wenn der Ablauf der Epithelregeneration vor erfolgter Heilung immer wieder gest6rt wird. Die StSrung trifft dann das im Ubersehul~ neugebildete Gewebe.

Die Folge der immer wiederholten StSrung ist eine fortw~hrende Steigerung der Regeneration, die eine FSrderung dadurch erf~hrt, dal~ mit der epithelialen Umwandlung der Endothelien die Capillaren gedrosselt, schliel~lich verlegt werden, woraus sich eine Beschleunigung des Gewebsuntergangs ergibt.

Mit der zunehmenden Vergr6i3erung des Regenerates f~llt (auch im Experiment) mehr und mehr die Notwendigkeit, dal~ ~ul~ere Seh~di- gungen welter bei der GewebsstSrung mitwirken: Zur Unterhaltung der Neubildung geniigt dann der eigene Gewebsuntergang und lediglich die mangelnde Abgrenzung und die dadureh ermSgliehte wahllose und ungeordnete Einwirkung der Nekrohormone auf das mesenehymale Keimgewebe der Umgebung verhindert die Rfickbildung des Regenerates, sobald dies einmal die zur Selbst~ndigkeit notwendige GrSl~e erreicht hat. Das unterscheidet die organoiden Gesehwfilste yon den eehten Organen.

Zur Stfitze der epithelialen Regeneration wird immer wieder die bevorzugte Epithelbildung am Wundrand angeffihrt. Da die Regenera- tion das Vorhandensein des zu erneuernden Gewebes oder auch nur seiner Wachstumshormone voraussetzt , erklgrt sich ohne weiteres das seltene Auftreten yon Epithelinse]n inmitten einer freien Wund-

* Die theoretisehe und praktische Bedeutung der Hormone fiir die Regene- ration finder eingehende Beriicksichtigung dutch August Bier in seiner Aufsatz- reihe ,,Beobachtungen tiber Regeneration beim Mensehen" in der Dtsch. reed. Wschr. 1917 und 1918. Besonders sei hingewiesen auf die II. Abhandlung ,,Die Ursachen der Regeneration" 1. e. lgl~, Nr. 27--30.

zwischen Epithelregeneration und Krebsbildung. 415

fli~che. Im Mlgemeinen sind also zur Epithelneubildung inmitten freier Wundflgehen Epithelreste notwendig, nieht weft yon ihnen die Neu- bildung ausgeht, sondern weft sie die Neubildung ausl6sen.

Dal~ die Epithelneubildung auch in den Metastasen mesenehymal erfolgt, immer unter der Einwirkung der auf dem Blur- oder Lymphweg weitergeleiteten Hormone, konnte ich an krebsigen Lymphknoten histologiseh erweisen. Damit stimmen aueh die l~Jbertragungserfolge der experimentellen Gesehwulstforschung fiberein, naeh denen ,,die MSgliehkeit der Entstehung maligner Gesehwiilste ohne die Mitwirkung yon Tumorzellen als gesiehert" gelten mug (C. Lewin26). Die yon Blumenthal a zur Erkl~rung solcher Erfolge aufgeworfene Fr~ge, ,,kann etwas infektiSs und doch nieht parasitgr sein", die Frage naeh dem ,,ens malignitatis" (TeutschlginderSO), beantworte ieh unter I-Iinweis auf die die Regeneration ausl6senden Hormone des Gesehwulstgewebes, die doeh in den Autolysaten enthalten sind.

Aus diesen Gedankeng~ngen ergibt sieh folgende biologische Be- urteilung des Careinoms:

Das Carclnom stellt die gewaltigste Regenerationsleistung des KSrpers dar. DaB diese Regenerationssteigerung in ihrem Abl~uf und in ihrem

Ergebnis den KSrper sch~digt, hat Sie mit alien t0dlichen Erkrankungen und mit zahlreichen reparativen Prozessen gemeinsam. Man denke nur an die Heilung der Perikarditis, die in ihrem ganzen Ablauf durch die Exsudatbildung und schlieglich dureh die Vernarbung den K/)rper sch~digt und h~ufig zugrunde richtet. Man denke an die Heilung einer Hornhautwunde, die durch Vernarbung zur Erblindung fiihren kann, an die regenerative Lebercirrhose und an die Schrumpfniere.

Die Ma/31osigkeit des Geschehens tiiuscht beim Krebs Sinnlosigkeit vor. Wir sind aber nicht berechtigt, Sinnlosigkeit zum Prinzip eines~ biologischen Vorgangs zu erheben, indem wir die Sinnlosigkeit als charakteristische Eigenschaft der krebsigen Wucherung erkl~ren.

Das Ziel der krebsigen Wucherung ist das gleiche wie das der physio- logischen Regeneration und der Wundheilung, der Ersatz des untergehenden Gewebes. Der Krebs folgt dabei den gleichen Gesetzen wie die physio- logisehe Regeneration mit dem einen Unterschied, dag sich diese Gesetze bei ihrer gesteigerten Anwendung leichter erkennen und erforschen lassen.

Wie welt diese auf anatomisehe und physiologische Tatsachen auf- gebaute Lehre geeignet ist, unsere gesamten Vorstellungen fiber die physiologischen und krankhaften geweblichen Neubildungen um- zugestalten, wird sich aus weiteren Mitteilungen ergeben.

Von den gleichen allgemeinen Grunds~tzen ausgehend, hat Stoec~eniusa5, 46, aT die Lehre yon der Metaplasie und yore Naevus, Bostroem 7 die Lehre yore Chorionepitheliom erneuert. Mein Assistent

Zeitschrift ffir Krebsforsehung. 28. Bd. 29

416 H, Miiller: Die histo]ogisehe Ubereinstimmung

Dr, Oberho/f f i ihr te in einer demn~chs t e rseheinenden Arbe i t den Nach- weis der mesenchymalen Regene ra t i on der Leber , ieh selbst be r i ch te te fiber die mesenchymale Bi ldung und Regene ra t ion der Dri isen. I n einer wenige Tage vor seinem Tode ersehienenen Arbe i t h a t Bostroem s

seine bere i ts in d e r Lehre vom Chor ionepi the l iom niedergelegte Auf . fassung fiber die Gewebsneubi ldung auf das Carc inom f iber t ragen. I n zahl re ichen grunds~tz l ichen, dig His togenese des Carcinoms be t re f fenden F r a g e n k a n n ich Bostroem nur beipf l iehten . Dagegen ha l t e ich sein SehluBergebnis, dal~ der K r e b s eine A l lgeme ine rk rankung des K 6rpe r s u n d die Krebsgesehwuls t Gin S y m p t o m dieser A l lgeme ine rk rankung dars te l l t , n ich t ffir h in re ichend begrf indet . Doch b in ich f iberzeugt , dal~ die Berf ieks ieht igung dieser und zahl re icber andere r yon e inem so er- f ah renen u n d Zuverl~ssigen Unte r suche r wie Bostroem aufgeworfenen F r a g e n uns bei der wei te ren For schung vor dogmat i sche r E inse i t igke i t bewahren wird.

WiG m a n aueh zu den hier mi tge te i l t en Ergebn issen s tehen mag , die heu te her rschende u n d a l lgemein ane rkann t e Lehre yon der epi thel i - a len Regene ra t ion u n d Krebsb i l dung wi rd e rnent den Nachweis ihrer Reeh tm~Bigke i t ff ihren mfissen, nachdem sich ihre theore t i sehen und ana tomischen Grund lagen als hal t los erwiesen haben. Diese Lehre is t vor a l lem d a d u r c h be las te t , dab sie im W i d e r s p r u e h zur phys io logischen Auffassung der Medizin bei der E rk l~ rung des geschwulstm~Bigen Wachs- turns auf die A n n a h m e yon Ausnahmegese tzen night ve rz icb ten konnte .

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