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Die Hofdame und der Husar

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Helen Perkins Band 9

Die Hofdame und der Husar von Helen Perkins

Kaiserin Sissys Gunst war ihnen gewiss.

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Es war ein herrlicher Frühlingsmorgen im Jahre 1869. Die warmen Strahlen der Maisonne fanden ihren Weg durch die bestickten Gardi­nen vor Reseda von Bruckners Fenster und kitzelten dem schönen jungen Mädchen so lange die Stupsnase, bis es schließlich die Augen öffnete und, wenn auch nur widerwillig, erwachte. Eigentlich war Re­seda, die alle nur Reserl nannten, eine Frühaufsteherin. Bereits als kleines Mädchen hatte sie die liebe Sonne als Erste am Morgen be­grüßt und war schon durch den Garten getollt, als Geschwister und Erzieherin noch im wohl verdienten Schlummer lagen. In letzter Zeit allerdings hatte sich das geändert. Reserl war kein Kind mehr, sondern eine voll erblühte Schönheit von nunmehr neunzehn Jahren. Die Eltern waren stolz auf ihre Jüngste, der honorige Kommerzienrat von Bruck­ner und seine feingliedrige Gattin Margarete, die für ihre Heirat auf eine glänzende Gesangskarriere verzichtet hatte. Doch Leopold von Bruckner stammte aus einer sehr konservativen Familie, eine lange Reihe von Beamten und Offizieren, die allesamt seit jeher Wert auf ihre großbürgerliche Lebensart gelegt hatten. Margarete hatte sich ge­fügt, denn ihr Herz gehörte Leopold, der in jungen Jahren schneidig und sehr fesch gewesen war. Allein die Sehnsucht hatte ihr Herz nie ganz verlassen und in manch stiller Stunde hatte die schöne Dame sich in eine andere Welt, ein anderes Leben geträumt, in dem sie der Mit­telpunkt eines begeisterten Publikums war, umschwärmt von hoch gestellten Herren aus aller Welt und stets im Licht einer bewundern-den Öffentlichkeit. Reserl war die einzige Tochter, die von den heimli­chen Träumen der Mutter wusste, denn sie war klug und verschwiegen und ebenfalls mit einer nicht zu unterschätzenden Phantasie begabt. Für eine gewisse Zeit waren Mutter und Tochter einander sehr nah, da hatten sie beinahe eine stille Gemeinschaft geteilt, die den Rest der Welt ausschloss. Auch Reserl träumte. Die naiven Wünsche einer rei­nen Mädchenseele waren ihr zu Eigen, manchmal hatte sie diese errö­tend mit ihrer Mama geteilt und Margarete meinte, sich selbst in jun­gen Jahren zu betrachten. Das schöne Mädchen wusste noch nichts von Pflicht und Nutzen, doch es sollte allzu bald mit der Wirklichkeit des Lebens Bekanntschaft machen.

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Der Kommerzienrat hatte längst nach einer passenden Partie für seine Jüngste Ausschau gehalten, die als Einzige noch in der schönen Villa im Herzen von Linz wohnte. Die älteren Schwestern waren bereits unter der Haube, der Bruder im k. und k. Hofregiment in Wien. Reserl vermisste die Geschwister manchmal, aber die herzliche Beziehung zu ihrer Mutter machte manch einsame Stunde wett. Nun jedoch war ein Schatten auf dieses gegenseitige Einverständnis gefallen, der bald Re­serl ganze Zukunft verdüstert hatte. Das schöne Mädchen blickte missmutig aus dem Fenster in den sonnigen Morgen und verspürte keinerlei Neigung, das Bett zu verlassen. Seit Reserl dem Kaufmann Valentin Bahrenbom vorgestellt worden war, schien die unbeschwerte Zeit der Jugend dahin, ebenso wie das Vertrauen zur Mutter, das ei­gentlich unerschütterlich gewesen war. Valentin war ein gut situierter Herr in den Vierzigern. Er stammte aus Hamburg, hatte an der Küste im Seehandel viel Geld verdient und sich nach dem Tod einer Tante, die ihm Haus und Grund vererbt hatte, in Linz niedergelassen. Nun suchte er eine Frau, die ihm sein Leben heiter machte, wie er es aus­drückte. Er gab freimütig zu, selbst ein wenig farblos und langweilig zu sein. Reserl hielt das allerdings für eine einzige Untertreibung. Sie hat­te den blassen, unscheinbaren Mann vom ersten Moment an nicht lei­den können. Er hüstelte dauernd nervös und seine Hand, die er vor­sichtig auf die schmale, porzellanhelle Rechte des Mädchens gelegt hatte, war unangenehm kühl und feucht gewesen. Nein, dieser Mann konnte wahrlich nicht von sich behaupten, dass es ihm leicht fiel, einer Frau zu gefallen. Er hatte auch keine großen Anstrengungen betrieben, auf Reserl einzugehen oder ihre Interessen zu erforschen, die durch­aus vorhanden waren. Was ihn interessierte, war eine Heirat und ein geregeltes Leben. Eine Frau, die seinem Hause vorstand, ihm Kinder schenkte und sich nahtlos in sein langweiliges Dasein einfügte. Doch diese Frau wollte Reserl nicht sein!

Zunächst war das schöne Mädchen nur verzweifelt gewesen. Die Aussicht, Valentin heiraten zu müssen, erschien ihr wie ein ausge­wachsener Alptraum. Dann aber war ihr Widerwille erwacht. Auch wenn sie noch nicht großjährig war, musste sie sich doch nicht zu et­was zwingen lassen, das ihr so völlig zuwider war. Zunächst hatte sie

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mit der Mutter gesprochen, die überrascht und auch verärgert ge­wesen war. Verständnis hatte Reserl bei ihr nicht finden können; im Gegenteil.

»Mein liebes Kind«, hatte sie freundlich aber unnachgiebig gesagt. »Du bist jetzt erwachsen und musst dich langsam daran gewöhnen. Das Leben hält Pflichten für dich bereit, die natürlich nicht alle ange­nehm sind. Doch darin müssen wir alle uns fügen.«

»Aber, Mama, dieser Mann ist mir zuwider«, hatte Reserl aus tief­stem, ehrlichem Herzen bekannt. »Ich kann ihn nicht leiden, mir graust, wenn er meine Hand hält. Du kannst doch nicht wollen, dass ich ein Leben lang unglücklich bin an seiner Seite!«

Das hatte Margarete für übertrieben gehalten. Doch sie hatte vor­sichtshalber mit ihrem Gatten über die Schwierigkeiten gesprochen, die sich ihnen da auftaten und angedeutet, dass eine andere Partie dem vielleicht ein Ende machen könnte. Leopold wollte davon jedoch nichts wissen. »Sie nimmt den Bahrenbom und damit Schluss!« Mehr hatte er dazu nicht zu sagen. Doch auch dem Kommerzienrat wurde schließlich bewusst, dass er sein dickköpfiges Töchterchen nicht in diese Ehe zwingen konnte. Reserl verweigerte sich fortan völlig. Wann immer Valentin Bahrenbom erschien, um seine Aufwartung zu machen, lag sie mit starkem Kopfschmerz danieder oder war auf andere Weise völlig unpässlich. Der Verehrer sollte den Eindruck gewinnen, dass die ersehnte Braut kränkelte und sich zum Eheweib wenig eignete. Sahen Sie einander doch einmal, gab das schöne Mädchen sich so teil­nahmslos, dass der nicht sehr einfühlsame Kaufmann bald ratlos war.

Schließlich sprach er offen mit dem Kommerzienrat und zog seine Bewerbung um Reserls Hand zurück. Damit hatte der Spuk allerdings noch lange kein Ende. Der Vater tobte, die Mutter war tief enttäuscht und die verhinderte Braut fühlte sich von allen verraten und verkauft.

So ging das nun seit ein paar Wochen. Reserl wurde mit kühler Di­stanz behandelt, dahin die schönen Stunden im Beaudoir der Mutter, der phantasievolle Gedankenaustausch zweier gleich meinender See­len. Das schöne Mädchen fühlte sich einsam und bestraft, ohne sich einer Schuld bewusst zu sein.

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Als das Dienstmädchen an Reserls Tür klopfte und ihr beim An­kleiden helfen wollte, stand die junge Dame endlich auf. Doch Lust, diesen Tag zu beginnen, hatte sie nicht. Es schien ihr, als liege ein bleigrauer Schleier über diesem strahlenden Frühlingsmorgen, der ein­fach nicht weichen wollte...

Als Reserl eine Weile später das Frühstückszimmer betrat, hielt sich dort nur noch die Mutter auf. Der Kommerzienrat war bereits in seinem Kontor. Margarete bedachte die Tochter mit einem knappen Blick und einem eben solchen Gruß. Das schöne Mädchen setzte sich und nahm schweigend die erste Mahlzeit des Tages zu sich. Im hellen Licht des Zimmers, das nach Osten hinaus lag und dessen blei­verglaste Fenster das goldene Strahlen der Morgensonne einließen, wirkte Reserl zauberhaft. Die blonden Locken waren zu einer hübschen Hochfrisur gesteckt, das einfache Tageskleid aus hellem Musseline umspielte und betonte zugleich die mädchenhafte schlanke Figur. Das ebenmäßige Gesicht mit der klaren Stirn, der kecken Stupsnase und den großen, ausdrucksvollen Augen allerdings wirkte bekümmert. Veil­chenblau waren diese Augen, doch wenn Reserl traurig war, dann wurden sie ganz dunkel. So wie eben jetzt.

Die Mutter bemerkte es und stellte ruhig fest: »Es gibt keinen Grund für dich, bekümmert zu sein, mein Kind. Du hattest eine glän­zende Partie sicher und hast sie aus Mutwillen verspielt. Das Verschul­den liegt auf deiner Seite und es gibt niemanden, den du dafür zur Verantwortung ziehen könntest, außer dir selbst.«

»Aber, Mama, ich trauere ja nicht Valentin nach«, stellte Reserl leise richtig. »Es ist etwas anderes, das mein Herz beklagt. Doch ich will dich nicht damit belästigen.«

»Ich ahne, was du meinst.« Margarete lächelte nachsichtig. »Doch ich habe dir bereits gesagt, dass die Kinderzeit hinter dir liegt. Das Träumen und Wünschen muss nun hinter dem Dürfen und Sollen zu­rückstehen.«

»Aber du träumst doch auch noch in manch stiller Stunde«, wagte Reserl einzuwenden.

»Gewiss«, gab sie Mutter ohne Zögern zu. »Allerdings kenne ich den Stellenwert solcher Phantasien. Du aber offensichtlich nicht. Und

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ich bereue es nun, dich für verständiger gehalten zu haben, als du bist.« Sie machte ein strenges Gesicht. »Dein Vater ist sehr erzürnt über das, was vorgefallen ist. Ich habe ihm gut zureden wollen, doch ohne Erfolg. Er besteht darauf, dass aus deinem unmöglichen Verhal­ten Konsequenzen gezogen werden. Darauf solltest du dich schon einmal einstellen.«

»Was meint er denn damit?«, fragte Reserl unbehaglich. Sie wuss­te um die strenge Hand des Vaters, die unerbittlich sein konnte, ging etwas nicht nach seinen Vorstellungen.

»Nun, du wirst es erleben. Nur so viel: Eine Depesche ist bereits nach Wien gesandt. Und es sieht danach aus, dass du nicht mehr sehr lange hier bleiben kannst und wirst.«

*

Am Kaiserhof in Wien war die Stimmung gedrückt. Elisabeth, die schö­ne Frau des Monarchen Franz Josef, lag an diesem sonnigen Früh­lingsmorgen matt danieder. Die Leibärzte hatten eine leichte Ma­genverstimmung diagnostiziert und Bettruhe verordnet. Allerdings wussten und ahnten die Menschen in der Nähe der schönen Kaiserin, dass nicht nur ein leichtes Unwohlsein sie wieder einmal aufs Lager streckte. Der Kaiser war viel unterwegs, diplomatische Besuche in aller Herren Länder sollten die Stellung des Reiches nach außen hin festigen und Österreich-Ungarn wieder, zu einer Position wie vor der Niederla­ge gegen Preußen im Jahre 1866 verhelfen. Unruheherde galt es zu befrieden, wie zum Beispiel in Ungarn, wo die Freiheitsbestrebungen unter dem radikalen Politiker Kossuth immer wieder zu Attentaten und kleinen Aufständen führten. Franz Josef war ein fleißiger und erfolgrei­cher Diplomat. Anfangs hatte er seiner reizenden Frau stets erlaubt, ihn zu begleiten, denn Elisabeths Schönheit und ihre natürliche Fein­fühligkeit erschienen ihm wie die reinsten Instrumente der hohen Dip­lomatie. Doch nach der Geburt der Kinder hatte die Monarchin ange­fangen, zu kränkeln. Sie aß zu wenig, um nach den Schwangerschaf­ten wieder schlank zu werden und verlor nach und nach nicht nur die Lust an jeglicher Speise, sondern auch das Bedürfnis, überhaupt etwas

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zu sich zu nehmen. Zerbrechlich war ihr schöner schlanker Leib ge­worden, zu schwach für die Strapazen Wochen dauernder Reisen. Doch die lange Trennung von ihrem Gatten machte der Kaiserin bei­nahe noch mehr zu schaffen. Ein Lungenleiden war hinzugekommen und sollte dafür, dass der Gesundheitszustand der Monarchin unstet und schwankend blieb. So verbrachte sie beinahe das ganze Jahr in Wien, umgeben von den Hofdamen, die ihr Gesellschaft und Zerstreu­ung bieten sollten. Allein sehr wenige dieser hochgestellten Frauen meinten es ehrlich und schafften es, das Vertrauen und auch die Zu­neigung der schönen Kaiserin zu erringen. Elisabeth hatte ein untrügli­ches Gespür für heuchlerische Hofschranzen, die sich in ihrem Glanz sonnen und die Nähe zur Kaiserin ausnutzen wollten.

Eine Hofdame, der die Kaiserin uneingeschränkt vertraute, war die Gräfin Eugenie von Bruckner, unverheiratete Schwester Leoppold von Bruckners, des Linzer Kommerzienrates. Eugenie war eine Dame von Stand, doch nicht nur das: Sie hatte neben ihrer hervorragenden Her­kunft und Bildung auch ein gutes Herz, dem Treue und Aufrichtigkeit nicht fremd waren. Sie verabscheute Klatsch und Großtuerei und sie hatte die oft so unglückliche Monarchin fest ins Herz geschlossen. Eu­genie, eine vornehme Erscheinung Mitte der Dreißig, mit prächtigem, dunklem Haar und tiefblauen Augen, hatte auch heute noch zahlreiche Verehrer. Als junges Mädchen war sie unglücklich in einen Leutnant verliebt gewesen, der im Krimkrieg gefallen war. Lange hatte Eugenies treues Herz getrauert und sich danach keiner lebenden Seele mehr anschließen mögen. Die Stellung bei Hofe war ihr zur Lebensaufgabe geworden und hatte sie in gewisser Weise auch glücklich und zufrie­den werden lassen. Als die Baronin von Saalfeld an diesem Morgen an Eugenies Tür klopfte, hielt diese noch die Depesche aus Linz in Hän­den. Ein wenig verärgert war sie schon, dass Leopold es wieder einmal geschafft hatte, die kleine Reseda unglücklich zu machen. Ihr älterer Bruder schien wenig Sinn für die jüngste und klügste seiner Töchter zu haben. Sie einfach mit einem faden Kaufmann verheiraten zu wollen, das zeugte nicht eben von Feingefühl. Eugenie mochte Reserl sehr gern und wusste mit der natürlichen Herzensbildung einer Frau ihres Standes, dass dieses schöne Kind sich nicht für irgendeine Geldheirat

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eignete. Reserl war klug und gebildet und erwartete mehr vom Leben als einen durchschnittlichen Ehemann und heulende Kinder. Sie muss­te behutsam behandelt und gefördert werden, ebenso wie Margarete es in dem ihr zugebilligten Rahmen bisher getan hatte. Nun aber, da das zarte Band der Kindheit Reserl nicht mehr zu schützen vermochte, trat der pragmatische Vater auf den Plan und benahm sich wie der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen. Dass Leopold seine Tochter ›zur Strafe‹ wegen der geplatzten Verlobung nach Wien schicken woll­te, entlockte der Hofdame nur ein schmales Lächeln. Wie wenig kann­te der Gute doch das Herz seiner Jüngsten, meinte er, sie mit der Ver­bannung aus der Provinz zu maßregeln! Eugenie wollte gleich eine Antwort nach Linz senden, die nicht zu euphorisch klingen durfte. Sie würde sich bereit erklären, ihre Nichte für eine Weile in strenge Auf­sicht zu nehmen und dafür zu sorgen, dass Reserl nicht noch mehr Grillen entwickelte. Der Bruder brauchte nicht zu ahnen, wie groß ihre Freude war, die geliebte Nichte einmal ganz für sich zu haben. Und gewiss würde auch Reserl das Leben bei Hofe und in der Residenz­stadt rasch schätzen lernen...

Zuvor aber musste Eugenie noch die Baronin von Saalfeld abwim­meln, die es sich zur Angewohnheit gemacht hatte, sie täglich zu besu­chen. Die betagte Hofdame gehörte zu jener Kategorie von Menschen, die von der Kaiserin gar nicht geschätzt wurde. Sie hatte stets nur den eigenen Vorteil im Sinn und dachte schon daran, ihre Enkeltöchter gewinnbringend zu verheiraten.

An diesem Morgen aber zeichnete echte Sorge ihr schmales falti­ges Gesicht. Nach einer kurzen Begrüßung ließ sie die Gräfin wissen: »Majestät sind sehr matt heute morgen. Ich mache mir Gedanken, was werden soll. Nun leidet sie bereits das dritte Mal unter diesem Zustand und der Kaiser ist nicht in Wien.«

»Sie wissen, Baronin, es steht uns nicht zu, seine königliche Ho­heit, den Kaiser, zu kritisieren«, erinnerte Eugenie sie ruhig. »Auf sei­nen Schultern ruht ein Reich. Und auf seiner Seele vielleicht der Frie­de, der uns alle vor Krieg und Elend beschützt. Wir sollten unserem Gott danken, dass er uns einen so umsichtigen und weltklugen Herr­scher gegeben hat.«

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Die Baronin machte eine ungeduldige Geste. Sie hörte es nicht gern, wenn jemand gelobt wurde, es sei denn, sie war es selbst. Zu­dem lag ihr der Klatsch mehr als ehrliche Anerkennung.

»Ja, sicher, all das ist doch eine Selbstverständlichkeit«, behaup­tete sie unwillig. »Die Kaiserin verlangt nach Ihnen, meine Liebe. Und Sie sollten nicht zu lange zögern, denn ihr Zustand ist in der Tat nicht der Beste.«

»Ich werde sofort zur Verfügung stehen«, versprach Eugenie mit kühler Freundlichkeit. »Und ich danke Ihnen, dass Sie sich extra hier­her bemüht haben, Baronin. Das wäre in der Tat nicht nötig ge­wesen...«

Die Hofdame bedachte ihr jüngeres Gegenüber mit einem abfälli­gen Blick, verzichtete jedoch auf eine weitere Erwiderung. Hoch er­hobenen Hauptes verließ sie die Räume der Gräfin von Bruckner und schloss die Tür vernehmlich hinter sich. Eugenie seufzte leise; wie es schien, war die Baronin wieder einmal aufs Klatschen aus. Und da ihr dieser Gefallen nicht erwiesen worden war, sann sie nun gewiss schon wieder über Listen und Kniffe nach, um der wenig entgegenkommen­den Gesprächspartnerin zu schaden. Die Gräfin beschloss, sich nicht weiter darum zu kümmern. Die Saalfeld war eine Zumutung; doch beileibe nicht die einzige ihrer Art am Wiener Hofe.

Die schöne Gräfin setzte sich nieder und warf rasch ein paar Wor­te aufs Papier. Sie klingelte einem Diener und wies ihn an, die Depe­sche umgehend zu versorgen. Eugenie wollte sicher sein, dass ihr Bru­der so rasch wie möglich Antwort auf seine Anfrage erhielt. Je eher die Nichte bei der Tante war, umso besser...

*

Reserl saß im Garten auf der alten Schaukel und betrachtete mit ver­sunkener Miene die bunt blühenden Blumenrabatten. Feingliedrige Tulpen erhoben da die schmalen Köpfe neben Narzissen und Immer­grün. Hyazinthenduft erfüllte den Garten hinter der Villa Bruckner, Vogelgezwitscher und heller Sonnenschein. Und doch mochte das schöne Mädchen nicht fröhlich sein.

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Das Zerwürfnis mit den Eltern, die Andeutungen der Mutter, dass sie Linz bald würde verlassen müssen, all das lastete auf ihrer reinen Seele und bekümmerte sie zutiefst. Die Frage, was der Vater wohl plane, ließ Reserl dabei nicht zur Ruhe kommen. Wohin wollte er sie schicken? Was mochte wohl die angemessene Strafe sein für ihr ei­genwilliges Verhalten?

Erst am Abend dieses milden Frühlingstages sollte das Mädchen Antworten auf seine Fragen erhalten. Nachdem man das Abendessen schweigend eingenommen hatte, verließ der Kommerzienrat nicht wie sonst das Speisezimmer, um im Herrenzimmer eine Zigarre zu rauchen und einen Kognak zur Verdauung zu verkosten, sondern richtete mit strenger Miene und ernster Stimme das Wort an seine Tochter, die kaum wagte, ihn anzusehen. Wenn der Vater so rigoros jede Freund­lichkeit vermissen ließ, dann war Übles zu befürchten. Doch in diesem Fall sollte Reserl sich getäuscht haben. Und zwar rundweg.

»Mein liebes Kind, ich stehe nicht an, zu erklären, dass dein störri­sches und wenig erwachsenes Verhalten dem Herrn Bahrenbom ge­genüber mich in eine recht unerfreuliche Lage gebracht hat«, begann er seine kleine Rede. »Deine Mutter suchte in ihrer unendlichen Gut­mütigkeit, auch diese Kapriole ihrer Lieblingstochter zu decken, doch das geht mir wider Sinn und Verstand. Es ist längst an der Zeit, dass du erwachsen wirst, Reseda. Deshalb habe ich beschlossen, dich für eine Weile fortzuschicken. Du sollst das Leben einmal ohne den behü­tenden Schutz des Elternhauses spüren und dein Charakter wird sich daran, so hoffe ich zumindest, festigen und ausbilden. Deshalb wirst du in ein paar Tagen mit deiner Mutter gen Wien aufbrechen und dort für unbestimmte Zeit bei deiner Tante Eugenie am Hofe zu leben.«

Reserl, die schon das Schlimmste befürchtet hatte, musste sich sehr zusammenreißen, um keinen Luftsprung zu vollführen. Nach Wien durfte sie, zur geliebten Tante? Das war wirklich kaum zu fassen! So ruhig und gelassen, wie es ihr möglich war, erwiderte sie: »Es wird mir schwer werden, mein Elternhaus zu verlassen, lieber Papa. Aber wenn du darauf bestehst, füge ich mich.«

Leopold von Bruckner nickte angedeutet. »Ich sehe, dein kleiner Dickkopf besitzt durchaus Einsicht und die Fähigkeit zur Reue. Doch

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ich muss dich noch eindringlich warnen: Sollte es dir in Wien zu wohl werden und deine Tante Grund zum Klagen finden, so wird die Strafe, die dich dann erwartet, empfindlich sein.«

»Keine Angst, Papa, ich werde mich mustergültig verhalten und der Tante nie Grund zum Klagen geben«, versicherte das schöne Mäd­chen rasch und mit großem Nachdruck.

»Nun gut, ich will dir glauben.« Der Kommerzienrat erhob sich und richtete das Wort an seine Frau, die sich die ganze Zeit schwei­gend im Hintergrund gehalten hatte. »Meine Liebe, gestatte mir, mich jetzt zurückzuziehen. Gewiss hast du noch einiges für die Reise vorzu­bereiten.«

»Ja, Leopold.« Margarete war mit der Entscheidung ihres Mannes alles andere als einverstanden. Sie gab ihm Recht, dass Reserl einen Dämpfer erhalten musste. Doch ob eine Reise nach Wien dazu ange­tan war, das wagte die Frau des Kommerzienrates doch sehr zu be­zweifeln. Schließlich wusste sie nur zu gut um das glänzende Verhält­nis zwischen Tante und Nichte. Und ob Eugenie, die selbst nicht unbe­dingt nach den strengsten Prinzipien lebte, für Reserl die rechte Zuchtmeisterin sein konnte, ließ sie lieber dahin gestellt. »Nun komm, mein Kind, wir müssen deine Reisegarderobe zusammenstellen«, sagte sie schließlich zu ihrer Tochter, denn ihr blieb trotz aller Bedenken nichts übrig, als sich in die Entscheidung des Gatten zu fügen.

Reserl lächelte selig. »Ach, liebste Mama, ich freu mich so auf Wien! Sicher hast du das dem Papa eingeredet, um mir eine Freude zu machen, nicht wahr?«

»Da irrst du dich allerdings«, entgegnete Margarete kühl. »Denn ich fürchte, dass dein Vater dich auf diese Weise eher belohnt, denn bestraft. Und das war nicht seine Absicht.«

Das schöne Mädchen schaute die Mutter erschrocken an. »Aber, Mama, ich dachte, du bist mir wieder gut...«

»Nun hör mir einmal zu, Reserl«, bat die Mutter da ruhig. »Du liegst mir am Herzen, wie all meine Kinder. Vielleicht sogar ein wenig mehr, das hat dein Vater ja bereits eben ausgedrückt. Trotzdem möch­te ich, dass du im Leben nicht nur das Schöne siehst, den Genuss und die Freude, sondern dich auch daran gewöhnst, die Pflicht, das strenge

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Müssen und sich dabei Bescheiden kennen lernst und hinnimmst. Ich fürchte, diese Reise nach Wien wird dich darin kaum weiterbringen. Doch es ist sehr wichtig für die Herzensbildung einer Frau, Mitgefühl und Bescheidenheit zur Zeit zu erlernen.«

»Aber, Mama, diese Eigenschaften hast du mir doch schon von klein auf vermittelt. Einzig der Glaube an die wahre Liebe, der viel­leicht naive Wunsch nach Romantik hat mich gehindert, sie dem Herrn Bahrenbom gegenüber zu üben. Bitte, verzeih mir diesen einen Fehl­tritt und urteile durch ihn nicht schlecht über mich! Das wäre mir wirk­lich sehr leid.«

Margarete betrachtete ihre schöne Tochter nachdenklich und ahn­te dabei, dass sie Reserl tatsächlich Unrecht tat mit ihrer strengen Hal­tung. Zuviel in ihrem reinen Herzen war noch verspielt und naiv. Sie musste dem Mädchen die Zeit lassen, von selbst erwachsen zu wer­den. Erzwingen konnte sie dies nicht.

»Nun schön, wir wollen nicht mehr darüber sprechen, uns viel­mehr auf das vorbereiten, was vor uns liegt. Allerdings solltest du dem Vater gegenüber nicht zu befreit auftreten. Er könnte sonst ahnen, dass seine ›Strafe‹ keine wirkliche für dich ist.«

Reserl atmete auf und umarmte die Mutter stürmisch. »Ich bin so froh, dass du mir nicht mehr zürnst, Mama. Und ich verspreche dir auch, mich in Wien mustergültig zu verhalten.«

Die Frau des Kommerzienrates lächelte nachsichtig. »Nun, wir werden sehen, wie es geht...«

Zwei Tage später brachen Mutter und Tochter dann gen Wien auf. Sie bezogen ein Abteil erster Klasse im Überlandzug, der nur an weni­gen Punkten einen Halt einlegte und Wien binnen Tagesfrist erreichte. Strahlender Sonnenschein empfing die beiden Reisenden, ein tief­blauer Himmel überspannte die Residenzstadt und Reserl war sofort wie gebannt vom Flair dieser ungewohnten Umgebung. Auf dem Bahnhof herrschte Gedränge, Arbeiter strebten zu den Vorortzügen, Reisende aus aller Herren Länder kamen an oder fuhren ab. Vor dem großen Gebäude standen die Droschken Schlange, das helle Wiehern der Kutschpferde brach sich an den hohen Mauern der prächtigen Stadtpalais. Margarete und ihre Tochter nahmen eine Droschke und ab

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ging es über die Ringstraße hin zur Residenz. Immer wieder erspähte Reserl etwas Sehenswertes und machte die Mutter darauf aufmerk­sam.

»Ach, Mama, ich bin so aufgeregt! Ist es nicht herrlich!«, rief sie euphorisch aus, als die beiden markanten Türme des Stefandoms in Sichtweite kamen. »Mein liebes Wien, wie hab ich dich vermisst!«

Nun musste die Mutter doch schmunzeln. »Reserl, ich bitte dich! Das letzte Mal warst du als kleines Mädchen hier. Bestimmt erinnerst du dich kaum daran, denn du konntest ja nicht einmal richtig laufen damals.«

»Du hast recht, eine wirkliche Erinnerung hab ich nicht«, gestand sie ein wenig verschämt ein. »Aber es ist eine so schöne Stadt, dass ich immer hier bleiben möchte.«

»Und die Freude auf deine Tante wird das Ihre dazu beitragen«, mutmaßte Margarete nachsichtig. »Schau, dort ist schon die Residenz. Wir sind gleich am Ziel.«

Der Tag neigte sich nun allmählich dem Abend zu. Am Schloss brannten schon die Laternen und es schien Reserl, als betrete sie eine ganz eigene Märchenwelt. Der Droschker fuhr zu einem schmalen Sei­tentor, denn das gold verzierte Portal wurde nur für Staatsgäste zu besonderen Anlässen geöffnet. Eugenie von Bruckner erwartete die beiden Besucherinnen bereits. Herzlich schloss sie die Schwägerin in die Arme und lachte dann, als Reserl ihr allzu stürmisch um den Hals fiel.

»Ja, Kind, du bist eine Dame geworden!«, rief sie aus, während sie das schöne Mädchen bewundernd betrachtete. »Du wirst Unruhe am Hofe schaffen, das scheint mir jetzt schon gewiss!«

»Oh, Tanterl, nein! Ich bin ja gekommen, um Ruhe zu finden und meinen Charakter auszubilden«, versicherte sie ernsthaft.

Eugenie warf Margarete einen fragenden Blick zu, den diese mit einem feinen Lächeln beantwortete. Reserl war eine schöne junge Dame geworden, doch in ihrem Herzen wohnte zuweilen noch das naive Kind von einst.

»Ihr werdet euch nach der langen Reise zunächst frisch machen wollen«, mutmaßte die Hofdame und klingelte nach einem Dienst­

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mädchen. »Afra zeigt euch die Gästezimmer. Und hernach können wir zusammen speisen und uns berichten, was wichtig ist.«

Margarete war einverstanden, nur Reserl mochte die Tante nicht verlassen ohne eine Frage nach der Kaiserin. »Sag, Tante, ist sie wirk­lich so schön und so unglücklich, wie es heißt?«

»Du wirst die Kaiserin bald selbst kennen lernen und kannst dir dann deine eigene Meinung bilden«, erklärte die Angesprochene.

Das Mädchen wurde blass. »Ich soll... Aber das geht doch nicht! Ich weiß überhaupt nicht, wie ich mich benehmen soll. Davor graut mich ja richtig!«

»Unsinn. Die Kaiserin ist eine sehr vornehme, aber auch herzliche Person. Du brauchst dich nicht vor ihr zu fürchten. Schau, ich seh' sie jeden Tag und bin fast wie eine Freundin für sie.«

»Wirklich?« Reserl war tief beeindruckt. Noch ehe sie aber weitere Fragen stellen konnte, erschien das Dienstmädchen und zeigte ihnen die Zimmer, die sie bewohnen sollten. Reserls Raum lag nahe dem der Tante, war licht und vornehm eingerichtet und verfügte zudem über Ankleidezimmer und Bad. Das junge Mädchen fühlte sich fast wie in einem schönen Traum. Die Aussicht über Wien, das ihr hier sozusagen zu Füßen lag, war atemberaubend. Mit einer etwas zögernden, beina­he andächtigen Bewegung trat Reserl hinter das tiefe Fenster und blickte hinaus auf den geheimnisvollen Lichterglanz der Residenz. Was mochte sie wohl erleben, was mochte vor ihr liegen in der aufregen­den Zeit, die nun angebrochen schien? Ihr junges Herz klopfte unruhig und zugleich dankte sie dem Vater im stillen, der ihr diese ›Strafe‹ auferlegt hatte, ohne zu ahnen, welches Geschenk er ihr damit mach­te. Oder hatte er es vielleicht doch geahnt...

*

Margarete von Bruckner hatte ihre Tochter nur nach Wien begleiten und dann gleich wieder heimreisen wollen. Doch davon mochte Euge­nie nichts wissen. Die beiden vornehmen Damen, die sich im Grunde ihres Herzens sehr zugeneigt waren, saßen am späteren Abend noch auf einen Plausch beisammen, als Reserl bereits, ermüdet von der

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langen Reise und den vielen neuen Eindrücken, in ihrem neuen Reich in tiefem Schlummer lag.

»Ich lasse es nicht zu, dass du gleich wieder fortfährst«, sagte die Hofdame gerade und lächelte ihrer Schwägerin dabei warmherzig zu. »Es ist schön, dich wieder einmal in der Nähe zu haben. Und diesen Zustand möchte ich noch eine Weile genießen.«

Margarete erwiderte ihr Lächeln erfreut. »Ich würde gerne noch etwas bleiben. Aber Leopold wird es mir übel nehmen...«

»Ach, Unsinn! Der Poldi soll mal eine Weile allein zu recht kom­men. Hernach wird er deine Gesellschaft und alles, was du für ihn tust, wieder höher einschätzen. Ich weiß doch, dass er ein rechter Gries­gram sein kann, der alles für selbstverständlich nimmt. Und es wird ihm gut tun, sich einmal ein paar Gedanken darüber zu machen, dass dem eben nicht immer so ist.«

Margarete seufzte leise. Die Schwester kannte den Bruder eben doch ganz genau. Und wie man es auch betrachtete; so schnell würde sich ihr gewiss nicht wieder die Gelegenheit zu einer solchen Reise bieten.

»Linz ist eben tiefste Provinz, das Leben manchmal schon recht eintönig«, gab die Frau des Kommerzienrates nun zu. »Ein wenig geht einem da der gesellschaftliche Kontakt, der weltstädtische Kunst­genuss ab. Aber Leopold ist sehr verwurzelt in seiner Geburtsstadt. Und das Reisen sieht er als unnützen Luxus an, es sei denn, es handelt sich um einen Besuch bei den Kindern.«

»Ja, ja, so ist er schon immer gewesen, bodenständig und schwerfällig«, konstatierte Eugenie. »Ich bewundere deinen Langmut, meine Liebe. Du verstehst es, dem Leben an seiner Seite noch etwas abzugewinnen. Ich denk, eine bessere Frau hätte der alte Poldi sich nicht wünschen können.«

»Nun ja, manchmal ist es nicht leicht, mit ihm auszukommen. Die­se unselige Geschichte mit dem Bahrenbom... Ich hab es kommen sehen, aber Leopold wollte nicht hören. Er meinte, dieser unwahr­scheinlich langweilige Mensch sei die rechte Partie für unser Reserl. Ausgerechnet!«

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»Nun, sie hat sich ja selbst gerettet. Und diese dumme Sache hat euch beide wieder einmal zu mir geführt, was mich wirklich freut. Aber jetzt wollen wir nicht mehr davon reden, sondern uns angenehmeren Dingen zuwenden. Ich habe die Kaiserin bereits gestern von eurer Ankunft unterrichtet und sie zeigte sich ebenso interessiert wie erfreut, euch kennen zu lernen.«

Margarete war überrascht. »Die Kaiserin wird uns empfangen? Ich mein fast, ich habe deinen Einfluss bei Hofe unterschätzt, meine Liebe. Du scheinst eine enge Vertraute ihrer Majestät zu sein. Oder irre ich mich?«

»Nun, es ist so eine Sache mit der Kaiserin. Sie verfügt über einen gesunden Menschenverstand und erkennt recht schnell, wenn sich ihr ein lauteres Herz nähert. Umgekehrt verabscheut sie die Hofschran­zen, die nur ihr eigenes Fortkommen und ihren Vorteil im Sinn haben. So ergab sich fast von selbst eine herzliche Freundschaft zwischen uns, die von gegenseitigem Vertrauen und Zuneigung geprägt ist. Die Kaiserin ist eine tapfere Frau, die viel Schweres zu tragen hat. Doch sie hat trotz allem ihren Lebensmut und auch ihren Humor nicht verlo­ren.«

»Du scheinst sie ins Herz geschlossen zu haben.« »Gewiss, so wie jeder, der sie näher kennt. Ich bin sicher, auch du

wirst sie sympathisch finden, Margarete.« »Ohne jeden Zweifel. Und ich denke, ich werde deine freundliche

Einladung annehmen, noch ein paar Tage zu bleiben.« »Das ist schön.« Die Gräfin lächelte zufrieden. »Du wirst es ganz

sicher nicht bereuen, meine Liebe...« Als Reserl am nächsten Morgen erwachte, schaute sie sich ganz

verwirrt um. Was war denn das? Sie kannte sich ja gar nicht mehr aus. Ihr Bett hatte einen großen, samtigen Himmel, der Raum war ganz anders als ihr Schlafzimmer in Linz. Und ein Blick aus dem Fenster offenbarte die ganze Pracht der frühlingshaften Residenz an einem sonnigen Morgen. Wien! Das schöne Mädchen war sofort auf den Bei­nen. Die Erinnerung an die gestrige Reise, ihre Ankunft, das Wiederse­hen mit der geliebten Tante, all das stürmte auf einen Schlag wieder auf sie ein, machte sie fast ein wenig schwindlig vor lauter Glück und

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Freude. Reserls strahlende Augen durchstreiften das Häusermeer, die breiten Straßen mit den Kutschen und die ganze Pracht des großen Parks, der das Schloss umgab. Gerade marschierte ein Trupp des Gar­deregiments vor, um den Wachwechsel am großen Portal zu vollzie­hen. Das schöne Mädchen beobachtete fasziniert dieses Schauspiel. Die adretten Gardesoldaten in ihren blitzenden Uniformen schienen jede Bewegung, jeden Schritt im Schlaf zu beherrschen. Fast sah es so aus, als führe sie ein unsichtbarer Dirigent. Reserl fand diese Vor­stellung lustig, sie kicherte ein wenig und erschrak, als die Tür un­vermittelt geöffnet wurde. Doch es war nur Afra, das Dienstmädchen, das ihr ein Bad einließ und ihr dann beim Ankleiden helfen sollte.

»Sag, Afra, weißt du, wann ich die Kaiserin kennen lerne?«, fragte Reserl, als das Mädchen sie frisierte. »Ich bin schon recht neugierig, aber ein wenig Angst habe ich auch. Gewiss werde ich einen Fehler machen und die Hofetikette verletzen.«

»Ihre Majestät ist ein sehr nachsichtiger und gütiger Mensch. Ich hab zwar noch nie ein Wort mit ihr gewechselt, aber man hört und sieht doch so einiges, wenn man hier arbeitet. Sie müssen sich nicht sorgen, gnädiges Fräulein.«

»Hoffentlich hast du recht«, murmelte Reserl befangen. Wenig später nahm sie zusammen mit Mutter und Tante das

Frühstück ein. Eugenie berichtete, dass die Kaiserin an diesem Morgen nicht wohl sei und deshalb niemanden empfangen könne.

»Ich dachte mir, wir unternehmen eine kleine Stadtrundfahrt und ich zeige euch alles Sehenswerte. Ist euch das recht?«

Reserl nickte gleich, doch ihre Mutter zögerte. Sie hatte der Schwägerin zwar am Vorabend versprochen, noch in Wien zu bleiben und nicht gleich wieder abzureisen, aber jetzt plagte sie doch das schlechte Gewissen ihrem Gatten gegenüber, die ihre Rückkehr umge­hend erwartete. »Vielleicht wäre es besser, wenn ich doch schon heu­te aufbreche«, sinnierte sie unentschieden. »Es ist eine verlockende Vorstellung, noch hier zu bleiben und das Leben in der Residenz zu genießen. Aber ich habe Leopold versprochen, bald zurückzukehren. Und ich fürchte, es wäre nicht recht, ihn zu lange warten zu lassen, zumal im Ungewissen.«

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»Dann schick dem Papa doch eine Depesche und lass ihn wissen, dass ich deiner noch bedarf, du erst in einer Weile heimkommen kannst«, schlug Reserl unbekümmert vor. »Es wäre so schön, wenn du noch bleiben könntest, Mama!«

Margarete lächelte nachsichtig. »Du hast wohl Recht, mein liebes Kind. Doch ich darf nicht nur an mich denken.«

»Nun gut, wenn deine Mutter so aufs Heimreisen drängt, werden wir zumindest heute noch einen schönen Tag miteinander verleben«, entschied die Gräfin praktisch. »Und ich finde, eine Stadtrundfahrt eignet sich dafür hervorragend.«

»Also schön, es soll mir recht sein«, stimmte Margarete schmun­zelnd zu. »Den einen Tag stehle ich mir noch...«

Es wurde in der Tat ein überaus amüsanter und kurzweiliger Tag für die drei Damen. Eugenie wies einen Droschkenkutscher an, alle Sehenswürdigkeiten abzuklappern und auch den Heurigen in Grinzing nicht auszulassen, wo man gut und deftig zu Mittag speiste. Je weiter sich der Tag jedoch dem Abend zuneigte, desto stiller und in sich ge­kehrter zeigte Reserl sich. Der baldige Abschied von der geliebten Mut­ter machte dem Mädchen nun doch zu schaffen und trübte selbst die Euphorie, mit der Reserl am Vortag in Wien Einzug gehalten hatte.

Und als es dann ans Abschied nehmen ging, heulte sie wie ein Schlosshund und wünschte sich nur, die Mama noch nicht ziehen las­sen zu müssen. Doch der Zug fuhr an, verließ den Bahnhof und ver­schwand bald im dunstigen Morgenpastell. Ein wenig verloren stand Reserl auf dem Bahnsteig neben der Tante, winkte, obwohl die Mutter es längst nicht mehr sehen konnte und bekannte dann tieftraurig: »Ich vermisse sie jetzt schon. Ach, Tante Eugenie, ich hätt' nicht geglaubt, dass mir dieser Abschied so schwer fallen würde.«

»Das ist ganz normal, schließlich warst du noch nie länger von deiner Mama getrennt«, erwiderte die Tante verständnisvoll. »Aber warte nur ab, der Trennungsschmerz wird vergehen. Und dann kannst du dein neues Leben hier in vollen Zügen genießen.«

*

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So rasch, wie die Tante vermutet hatte, wollte das Heimweh dann a­ber doch nicht von ihrer Nichte weichen. Reserl war in den kom­menden Tagen blass und still, ihre schönen veilchenblauen Augen blickten traurig in die Welt. Schon dachte die Gräfin daran, ihrer Schwägerin zu schreiben, damit sie komme und das Kind ein wenig aufmuntere. Da aber geschah etwas, das Reserl Heimweh und Trübsal vergessen ließ.

»Die Kaiserin denkt daran, nach Ungarn zu reisen. Und da ich ihr von dir erzählt habe, möchte sie dich zuvor kennen lernen. Schließlich kann sie keine Unbekannte in ihren Reisestaat aufnehmen, nicht wahr?«, erklärte Eugenie ihrer Nichte beim gemeinsamen Frühstück.

Reserl machte große Augen. »Reisestaat? Soll das heißen, ich darf mitkommen nach Ungarn?«

»Ja, gewiss. Dein Vater hat mir schließlich die Aufsicht über dein Schicksal ans Herz gelegt. Und ich wäre eine schlechte Tante, würde ich dich ganz allein in Wien zurücklassen. Wenn ich reise, dann wirst du es mir gleichtun.«

Das schöne Mädchen brauchte ein paar Augenblicke, um die Trag­weite dieser Versicherung zu begreifen. Dann murmelte Reserl an­dächtig: »Die Kaiserin will mit mir sprechen. Und ich darf sie nach Un­garn begleiten. Das ist ja wie im Traum!«

Eugenie lächelte nachsichtig. »Ihre Majestät reist des Öfteren im Jahr nach Budapest. Seit sie auch Königin von Ungarn ist, ergeben sich gewisse Verpflichtungen, die zum guten Ton zählen und die Ver­bindung unserer beider Länder festigen. Doch die Diplomatie ist nicht der einzige Grund für diese Reisen.«

»So? Liebt die Kaiserin denn dieses Land, oder was zieht sie im­mer wieder dorthin?«, forschte das Mädchen gleich nach.

»Es ist der Gesundheit wegen. Das Klima bekommt ihr gut, sie kann dort küren und kehrt stets wohl und erholt von diesen Reisen nach Wien zurück.«

»Dann stimmt es, dass sie kränkelt? Ich wollte es gar nicht glau­ben, denn sie schaut doch immer so schön und gesund aus.«

»Ihre Majestät hat einen eisernen Willen. Kein Leiden und sei es auch noch so hartnäckig oder belastend, kann sie davon abhalten,

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ihren Pflichten in der Öffentlichkeit nachzukommen. Oft schimpfen die Leibärzte, doch sie können's nicht ändern. Elisabeth ist eine Herrsche­rin fürs Volk, das seine Sissi liebt.«

Reserl nickte. »Oh ja, beliebt ist sie überall. Aber wenn ich daran denke, dass ich ihr nun bald leibhaftig gegenüberstehen werde, dann kriege ich doch ein bisserl Angst.«

»Das brauchst du nicht«, versicherte die Gräfin Bruckner ihrer Nichte. »Ich begleite dich. Und du wirst sehen, die Kaiserin ist ein lie­ber Mensch, dem du ohne Scheu begegnen kannst...«

Tatsächlich zeigte die Frau Franz Josefs sich dem jungen Mädchen aus Linz gegenüber sehr liebenswürdig. Reserl bestaunte das schmale und etwas blasse, aber edle Antlitz der schönen Herrscherin, das von einer wahren Flucht prächtig schimmernden, haselnussbraunen Haares umrahmt wurde. Die klugen und zugleich gütigen Augen der Kaiserin ruhten mit Wohlgefallen auf ihrer Besucherin. Und nachdem Reserl ein wenig von sich selbst hatte berichten dürfen, sagte Elisabeth zu Euge­nie von Bruckner: »Ein allerliebstes Kind. Sie sind um ihre Gesellschaft ebenso zu beneiden wie um ihre Verwandtschaft, meine liebe Gräfin.«

»Ich bin auch stolz auf meine Nichte, Majestät«, versicherte diese gerührt. »Ein Menschenkind mit klugem Geist und von solcher Anmut erfreut jeden mit seiner Nähe und Gesellschaft.«

Dem pflichtete die Kaiserin bei. »Wenn Sie Reseda mitnehmen wollen nach Budapest, bin ich einverstanden. Wir reisen in drei Tagen. Und es wird dieses Mal einen etwas längeren Aufenthalt bedeuten. Der Kaiser weilt noch in Frankreich, er verlässt sich darauf, dass ich ihm in Ungarn den Rücken freihalte. Doch die Zeiten sind unruhiger gewor­den, wie man mir berichtet.«

»Wäre es dann nicht besser, diese Reise zu verschieben?«, gab Eugenie zu bedenken. »Eure Sicherheit muss an erster Stelle stehen, Majestät. Und die Freiheitskämpfer sind nicht zimperlich, wie einige unschöne Vorfälle im letzten Jahr bereits bewiesen haben.« Sie spielte auf Attentate und Mordversuche an, mit denen eine radikale politische Splittergruppe um den Aufpeitscher Kossuth versuchte, Ungarn von Österreich abzuspalten, um wieder die völlige Unabhängigkeit zu errei­

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chen. Die Kaiserin von Österreich war für sie der Hauptfeind, stand sie doch für Verständigung und Einigung zwischen den beiden Ländern.

»Das wäre ganz falsch«, widersprach Elisabeth ihrer Hofdame sachlich. »Wir dürfen diesen Kräften nicht nachgeben, uns nicht vor ihnen verstecken. Ein Herrschaftsanspruch muss vorgebracht und un­terhalten werden. Sonst verliert man ihn sehr rasch.«

»Aber ich fürchte um Eure Sicherheit«, beharrte die Gräfin Bruck­ner. »Und auch um Eure Gesundheit, Majestät. Die Ärzte haben Euch allzu große Anstrengungen und Aufregungen strikt verboten. Und eine solche Reise ins Ungewisse...«

Die Kaiserin hob knapp ihre schmale, gepflegte Hand und bedeu­tete der Vertrauten so, zu schweigen. »Mein Entschluss steht fest. Beunruhigen Sie sich nicht, liebe Gräfin, für unsere Sicherheit wird gewiss auch dieses Mal gesorgt.«

Obwohl Eugenie von Bruckner sich damit eigentlich nicht zufrieden geben wollte, schwieg sie doch. Es ziemte sich nicht, der Kaiserin allzu offen zu widersprechen oder ihre Entschlüsse in Frage zu stellen. Trotzdem beherrschte eine nagende Unruhe und Sorge ihr Herz, als sie die kaiserlichen Räume verließ, um in ihre eigene Wohnung zurückzu­kehren. Reserl, die auf dem Gang gewartet hatte, lächelte versonnen. Das Kennen lernen mit der Kaiserin hatte ihr junges Herz tief beein­druckt und sie glücklich gemacht. Eugenie mochte diesen Zustand nicht gleich wieder trüben und ließ sich deshalb nichts von ihrem heimlichen Kummer anmerken. Sie lächelte, als Reserl nach der Rei­seroute fragte, nach der nötigen Garderobe und allem, was sie wohl in Budapest erwarten würde.

»Ich kann es kaum glauben! Die Reise nach Wien war beinahe wie ein Traum, so schön«, schwärmte das Mädchen unbekümmert. »Und jetzt auf den Balkan, mit all dem Bunten, Exotischen, von dem man sonst nur in Büchern lesen kann... Ach, Tanterl, ich kann es nicht fas­sen! Ich werde gleich der Mama schreiben, damit sie an meiner Freude teilhaben kann!«

Eugenie zögerte kurz, dann schlug sie vor: »Lass mich diesen Brief schreiben, mein Kind. Du wirst in deinem Überschwang der Mutter noch Sorge bereiten. Ich werde sachlich berichten, so dass auch dein

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Vater die Zeilen lesen kann, ohne misstrauisch zu werden.« Sie lächel­te verschwörerisch. »Immerhin soll dein Aufenthalt hier bei mir doch eine Art Strafe sein. Verstehst du, worauf ich hinaus will?«

»Ja, gewiss.« Reserl erwiderte das Lächeln der Tante beschämt. »Ich habe nicht mehr daran gedacht, wie dumm von mir!«

»Kein Grund, dich selbst zu schelten. Mir ist's damals, als ich an den Hof kam, nicht anders ergangen. Die besondere Atmosphäre, all da Neue, was auf einen einstürmt, das macht schon ein wenig schwindlig, nicht wahr?«

»Oh ja. Und besonders die Kaiserin! Sie ist so schön, so herzens­gut und vornehm! Im Leben hätt' ich sie mir nicht so vorstellen kön­nen. Und wie freundlich sie zu mir gesprochen hat. Ich glaub, das wer­de ich niemals vergessen!«

Die Gräfin Bruckner betrachtete ihre Nichte wohlgefällig. Tatsäch­lich erinnerte Reserl sie an die Zeit, als sie selbst jung und unbe­schwert gewesen war und das Leben ihr wie ein einziger schöner Traum erschienen war. Eugenie hoffte sehr, dass es für ihre Nichte noch lange so bleiben würde. Denn die unbekümmerte Freiheit der Jugend, die erlebte man nur einmal. Und sie war leider oft viel zu schnell vorbei...

*

Anfang Juni 1869 brach die Kaiserin Elisabeth von Österreich dann zu einer längeren Reise nach Budapest auf. Der Kaiser war in der Zwi­schenzeit aus Frankreich zurückgekehrt und hatte sich ebenfalls skep­tisch gezeigt, was die Pläne seiner Gattin anging. Allerdings blieb es ihm versagt, sie zu begleiten, denn neue diplomatische Verhandlungen mit dem russischen Zarenhaus standen an und schon wenige Tage vor Elisabeth brach der Kaiser selbst gen Moskau auf. Die schöne Herr­scherin fühlte sich recht wohl in diesen milden Frühsommertagen, ihre Stimmung war heiter und gelassen und übertrug sich rasch auf den begleitenden Reisestaat. Eugenie von Bruckner hatte ihrer Schwägerin einen verhalten optimistischen Brief zukommen lassen, in dem sie von einer kurzen Reise und dem sehr positiven Kennen lernen zwischen

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Reserl und der Kaiserin berichtete. Das genaue Reiseziel hielt sie ab­sichtlich vage, denn die Meldungen vom Balkan waren alles andere als beruhigend. Nahe Komárno, einer Kreisstadt bei Budapest, die auf ihrer Reiseroute lag, hatten Freiheitskämpfer vor nicht ganz einer Wo­che einen Polizeiposten angegriffen und zwei Menschen getötet. Und in der Residenzstadt selbst schien die Lage recht unübersichtlich. Die Gräfin Bruckner war und blieb vorsichtig, denn ihr erstes Ziel war es, das Leben der Kaiserin zu schützen und auch das ihrer Nichte, die in der Reise nur ein großes Abenteuer sah. Sie hatte am Abend vor der Abfahrt mit dem begleitenden General von Trottwitz gesprochen, ei­nem Leibsoldaten ihrer Majestät. Dieser schien ihre Beunruhigung bis zu einem gewissen Punkt zu teilen, allerdings war er völlig überzeugt, dass alles für die Sicherheit der Kaiserin getan wurde.

»Sie können diese Reise unbesorgt antreten, liebe Gräfin«, hatte er ihr versichert. »Meine Männer werden Sie beschützen.«

So ganz mochte Eugenie dem nicht trauen und hatte sich selbst mit einer kleinen ›Lebensversicherung‹ ausgestattet. Heimlich trug sie einen schmalen Damenrevolver in der Tasche und hoffte sehr, diesen nicht zu benötigen. Doch man konnte ja nie wissen... Der königliche Sonderzug legte die Strecke zwischen Wien und Budapest innerhalb von zwei Tagen zurück. Das Reisen war bequem in den komfortablen Abteilen und es gab stets etwas Interessantes zu sehen und zu entde­cken. Reserl machte die Tante immer wieder auf die besondere Atmo­sphäre der wildromantischen Landschaft des ungarischen Tieflands aufmerksam. Sümpfe und weite Brachen wechselten hier mit schmalen Flüssen, Auenwäldern und kleinen Dörfern ab, in denen die Häuser noch mit Stroh gedeckt waren. Kleine, wilde Pferde mit langen Mähnen bevölkerten die Senken. Graureiher zogen elegant ihre Bahn über dem flirrend grünen Schwemmland. Überall blühten wilde Blumen, das Land wirkte wie verzaubert vom Hauch des frühen Sommers. Und wenn am Abend die Sonne in gleißendem Gold hinter dem Horizont versank, stand Reserl oft wie gebannt hinter der Scheibe des Zugabteils und schien sich in eine ganz andere Welt zu träumen.

Eugenie ließ ihrer Nichte die Freude. Sie wusste, dass Reserl ein Mädchen voller Phantasie und Gefühl war. Und diese Reise in Ge­

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sellschaft der Kaiserin, die war nun einmal etwas ganz Besonderes für das junge Menschenkind.

Kurz vor ihrer Ankunft in Budapest legte der Zug auf freier Strecke plötzlich einen unvorhergesehenen Halt ein. Sofort war die Gräfin Bruckner beunruhigt. Sie begab sich unverzüglich zur Kaiserin, wies ihre Nichte jedoch streng an, nicht ihr Abteil zu verlassen. Alle Fragen beantwortete sie nur mit einem ernsten Blick und der Bitte, sich ruhig zu verhalten.

Die Baronin Saalfeld, die darauf bestanden hatte, die Reise nach Ungarn mitzumachen und sich nun in einem fort über deren Mühsal und Unannehmlichkeiten beschwerte, ging unruhig vor dem Abteil ih­rer Majestät auf und ab. Als Eugenie das sah, verstärkte sich die Sor­ge, die ihr Herz ergriff hatte, noch.

»Was ist geschehen? Warum halten wir?«, wollte sie von der Ba­ronin wissen, die sogleich zu jammern begann: »Man hat mich hinaus­geschickt, ich weiß nichts und fürchte alles. Die Kaiserin hat kein Ver­trauen zu mir, das ist ein herber Schlag...«

»Bitte, meine Liebe, beruhigen Sie sich«, bat die Gräfin betont ge­duldig. »Ist ihre Majestät allein?«

»Nein, der Trottwitz ist bei ihr.« Sie kräuselte verächtlich die schmalen Lippen, denn sie konnte den General preußischer Herkunft nicht ausstehen. »Er wird ihr schlecht raten, das weiß ich jetzt schon. Ganz egal, worum es geht.«

Eugenie hob leicht die Augenbrauen. Wie es schien, hatte es we­nig Sinn, sich noch länger das Lamento der Baronin Saalfeld an­zuhören. Sie klopfte leise an und betrat dann nach entsprechender Aufforderung das Abteil. Die Kaiserin schien erleichtert, sie zu sehen, hatte sie doch mit dem erneuten Auftauchen der Baronin rechnen müssen. Sie bedeutete Eugenie, sich zu setzen und erklärte dann: »Es gibt beunruhigende Nachrichten aus Budapest. Wie es scheint, beste­hen noch immer Interessen von gewisser Seite, das Land in eine illuso­rische Unabhängigkeit zu führen, die doch nur Krieg und Chaos bedeu­ten würde. Der General wird uns in Kürze verlassen, um zu Pferde und nur in Begleitung seiner beiden bravsten Soldaten in die Stadt zu rei­

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ten. Erst wenn sichergestellt ist, dass unsere Reise ohne Zwischenfall fortgesetzt werden kann, wird der Zug ihm folgen.«

Die Gräfin hatte aufmerksam zugehört, nun gab sie zu bedenken: »Wenn es so steht, solltet Ihr vielleicht daran denken, die Reise abzu­sagen, Majestät. Es wäre fahrlässig, gewarnt ins Unglück zu laufen.«

»Wir werden sicherstellen, dass Ihrer Majestät keine Gefahr für Leib und Leben droht«, betonte General Trottwitz nun mit Nachdruck. »Wenn dies allerdings nicht möglich sein sollte, so würde auch ich von einer Fortsetzung der Mission abraten.«

Elisabeth lächelte angedeutet. »Sie können mich nicht überreden, geben Sie sich also auch keine Mühe. Ich muss nach Budapest, der Kaiser verlässt sich auf mich. Und ich habe nicht vor, ihn zu enttäu­schen. Also, Trottwitz, sorgen Sie für Sicherheit. Ich verlasse mich auf Sie.«

Der General verbeugte sich tief und verließ dann das Abteil. Auch Eugenie von Bruckner tat es ihm wenig später gleich, denn die Kaiserin wollte allein sein. Nach diesem Gespräch konnte die Gräfin nicht be­haupten, beruhigter zu sein; im Gegenteil. Die Befürchtungen, die schlechte Neuigkeiten und beunruhigende Meldungen heraufbeschwo­ren hatten, wollten einfach nicht weichen.

Reserl erwartete die Tante bereits voller Ungeduld und bestürmte sie sogleich mit Fragen. Doch die Hofdame ging auf nichts ein. Sie nahm die schmalen Hände ihrer Nichte und setzte sich mit ihr nieder. Dann erklärte sie gefasst aber ernst: »Wir könnten in Budapest in Schwierigkeiten kommen. Es ist möglich, dass die politischen Unruhen sich auch auf unsere Reise auswirken. Deshalb muss ich dich bitten und mahnen, stets vernünftig zu bleiben, in meiner Nähe zu weilen und dich nie - hörst du, nie - vom Reisestaat zu entfernen. Hast du das verstanden?«

Reserl nickte, dann fragte sie leise: »Was hat denn das zu bedeu­ten, Tante? Du bist bereits eine Weile so still und nachdenklich. Weißt du schon länger, dass etwas geschehen wird?«

»Nun, ich hatte Ahnungen. Aber es ist nicht gesagt, dass diese auch eintreffen werden. Die Kaiserin ist entschlossen, diese Reise fort­zusetzen, doch erst, wenn klar ist, dass uns keine direkte Gefahr

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droht. Wir können also in gewisser Weise beruhigt sein, dürfen aber keinesfalls sorglos werden.«

Das schöne Mädchen schaute die Tante beklommen an. »Was könnte denn geschehen? Kannst du mir das sagen?«

»Ich will dich nicht unnütz beunruhigen, mein liebes Kind. Wir soll­ten dieses Thema nun auch fallen lassen. Solange der Zug hier steht, haben wir Zeit, ein wenig zu verschnaufen und uns auszuruhen. Ich für mein Teil werde von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Und ich möchte dich bitten, in meiner Nähe zu bleiben, damit ich mich nicht um dich sorgen muss.«

»Ja, selbstverständlich«, versprach Reserl mit ernster Miene. »Ich werde dir Gesellschaft leisten, Tante. So sehr gehe ich nun auch wie­der nicht auf Abenteuer aus...«

»Das ist vernünftig«, lobte Eugenie und strich ihrer Nichte zärtlich übers Haar.

Reserl lächelte, doch sie war innerlich alles andere als zufrieden oder entspannt. Die Andeutungen über eine Gefahr, die ihnen viel­leicht drohte, machte dem Mädchen zu schaffen. Es fürchtete sich, doch zugleich hatte auch eine gewisse Neugierde von Reserl Besitz ergriffen und die Frage, welche aufregenden Erlebnisse ihrer wohl harrten, ließ sie einfach nicht mehr los.

*

General Hugo von Trottwitz erreichte die Stadt am frühen Abend. Eine Depesche, die ihm vorausgeeilt war, hatte seine Ankunft bereits ge­meldet und öffnete ihm sogleich die Türen im königlichen Palast. Alles war hier bereits für die Ankunft der Kaiserin vorbereitet, doch der Ge­neral wurde den Eindruck nicht los, dass eine gewisse unangenehme Spannung in der Luft lag.

Geza von Belas, General der ungarischen königlichen Husaren, empfing den Österreicher mit geschäftsmäßiger Freundlichkeit. Nach­dem man einige allgemeine Floskeln ausgetauscht hatte, kam von Trottwitz auf das eigentliche Anliegen, das ihn bereits vor der Kaiserin nach Budapest geführt hatte.

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»Dem Geheimdienst liegen Hinweise vor, die von geplanten At-tentaten auf ihre Majestät sprechen. Hinweise so alarmierender Wahr­scheinlichkeit, dass es geraten scheint, diesen Staatsbesuch abzusagen und nach Wien zurückzukehren. Allerdings ist es nicht die Art der Kai­serin, sich bei der kleinsten Gefahr gleich zurückzuziehen. Sie möchte ihre Reise wie geplant fortsetzen. Nun frage ich Sie, General von Be-las, können Sie dies verantworten? Bitte seien Sie offen und ehrlich zu mir, wir beide wissen, was auf dem Spiel steht. Für Ungarn und für Österreich...«

Der Husarengeneral ließ sich mit einer Antwort zunächst Zeit. Er war ein schmaler, mittelgroßer Mann mit scharf geschnittenen Ge­sichtszügen. Vor allem die klugen, grauen Augen fielen sofort auf und schlugen den Betrachter rasch in seinen Bann. Sie zeugten von In­telligenz ebenso wie von einem ausgeprägten Willen. Von Belas war seine Stellung nicht in den Schoß gefallen und er musste ständig auf der Hut sein, wollte er sie nicht wieder verlieren. Die politischen Ver­hältnisse in Ungarn waren verworren, unsicher. Und es geschah schnell, dass eine falsche Entscheidung zu ernsthaften Konsequenzen führte.

»Geplante Attentate sind sozusagen mein täglich Brot, seit ich die­se Stellung hier bekleide«, erklärte er schließlich besonnen. »Möglich, dass die momentane Lage ein wenig brisanter ist als üblich. Doch von einer Gefahr für Leib und Leben ihrer Majestät kann wahrlich nicht die Rede sein.«

Der österreichische General schien das nicht ganz zu glauben. Er wurde den Verdacht nicht los, dass von Belas absichtlich untertrieb, um sich keine Blöße zu geben. Doch dies war nur eine Ahnung, eine Vermutung. Beweise hatte von Trottwitz nicht in der Hand. »Sie geben mir also Ihr Ehrenwort, das ich der Kaiserin guten Gewissens zu einer Fortsetzung ihrer Reise raten kann?«, erkundigte er sich nachdrücklich. »Ich möchte nicht soweit gehen, Ihnen die gesamte Verantwortung für diesen Schritt aufzuerlegen. Doch Sie sollten sich dessen bewusst sein, Herr von Belas: Wenn trotz vorheriger Abklärung etwas geschieht, wird das für Österreich-Ungarn eine schwerwiegende Zäsur in den Beziehungen ebenso wie im außenpolitischen Klima bedeuten.«

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»Ich weiß durchaus, wovon ich rede, Herr von Trottwitz!«, fuhr der Ungar temperamentvoll auf. »Schließlich bin ich nicht erst seit ges­tern Soldat oder Politiker. Beide Tätigkeiten sind mir in all ihren Nuan­cen bestens vertraut. Und wenn ich Ihnen versichere, dass der Kaise­rin keine unmittelbare Gefahr droht, so möchten Sie dies bitte hin­nehmen!«

»Nun gut.« Von Trottwitz' helle Augen musterten sein Gegenüber mit großer Ernsthaftigkeit. »Ich will Ihnen vertrauen. Und ich hoffe wirklich, dass Sie mich nicht enttäuschen werden...«

Nachdem der Gesandte der Kaiserin gegangen war, lief General von Belas eine ganze Weile nachdenklich durch seine Diensträume. Er blieb immer wieder vor dem Fenster stehen und blickte hinab auf die Stadt, deren beide, von der Donau getrennte Teile Buda und Pest ihm hier quasi zu Füßen lagen. Es war ein lauer Sommerabend, der Himmel klar. Der Mond stand bereits als schmale Sichel am Firmament, beglei­tet vom hell leuchtenden Abendstern. Die Stadt begann eben, im warmen Schein der Gaslaternen zu schimmern. Es war ein friedliches Bild, das sich dem General hier bot. Und doch schien es trügerisch...

Schließlich wandte von Belas sich vom Fenster ab und gab seinem Adjutanten Anweisung, den jungen Husaren rufen zu lassen, der be­reits seit einer Weile im Vorzimmer wartete. Der Besuch des österrei­chischen Generals hatte das Gespräch, das von Belas mit ihm führen wollte, hinausgeschoben. Der junge Mann betrat gleich darauf den Raum und grüßte zackig. »Setzen Sie sich, Andreas, ich habe etwas mit Ihnen zu besprechen«, bat der General freundlich. Er kannte den deutschstämmigen Andreas von Kolman schon seit vielen Jahren, war mit dessen Eltern befreundet. Der junge Husar war von blendender Erscheinung, klug und gebildet. Dazu ein tapferer Soldat, dessen Treue unverbrüchlich schien. Von Belas wusste nur von guten Eigen­schaften und nannte Andreas im Stillen den besten Mann des Re­giments. Allein deshalb hatte er ihn nun ausgewählt, um ihn mit einer ganz besonderen Aufgabe zu betrauen.

Der junge Mann in der farbigen Uniformjacke der Husaren mit den gold blitzenden Verschnürungen nahm die schmale Pelzmütze von Kopf und setzte sich. Sein gut geschnittenes Gesicht wurde von dunk­

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lem, welligem Haar umrahmt und von tiefblauen Augen dominiert. Die hohe Stirn, gerade Nase und das energische Kinn gaben ihm einen Ausdruck edler Männlichkeit, den der sensible Mund vervollständigte. Andreas von Kolman war ein Mensch von ansprechendem Äußeren, das seine inneren Werte widerzuspiegeln schien.

»Mein lieber Junge, ich habe lange gezögert, Sie mit der Aufgabe zu betrauen, die nun auf Sie wartet. Meine Verbundenheit mit Ihren Eltern mag gewisse Verpflichtungen mit sich führen, die es mir versa­gen, Sie bewusst in zu große Gefahren zu bringen. Sie wissen, ich schätze Sie sehr. Doch gerade deswegen wende ich mich nun an Sie, denn mir scheint, dass nur Sie allein dem gewachsen sind, was ich zu verlangen gezwungen bin.«

»Herr General, Sie haben zu befehlen«, warf Andreas leicht irri­tiert ein. »Und es ist an mir, zu gehorchen.«

Von Belas lächelte schmal. »Mag sein, dies ist der Usus im Alltag eines Soldatenlebens. Doch wir sprechen heute von einer besonderen Aufgabe, die aus dem Rahmen des Alltäglichen weit herausragt. Ich weiß, ich kann mich auf Sie verlassen, Andreas. Denn was Sie tun müssen, ist schwierig und gefährlich.«

Der junge Husar nickte mit ernster Miene. »Ich werde Ihnen, mei­nem Regiment und diesem Uniformrock keine Schande machen, des­sen können Sie versichert sein!«

»Das weiß ich, sonst wären Sie auch nicht in Frage gekommen für diesen Auftrag. Es geht um den bevorstehenden Besuch der Kaiserin Elisabeth. Sie sind unterrichtet?«

»Ja, soweit es die Zeitungen vermögen, einem die Wahrheit zu vermitteln.«

»Nun gut, Sie wissen demnach nicht mehr als alle anderen Bürger unseres Landes. Doch es gibt Gerüchte, Gerede... Sicher auch in der Kaserne, unter den Kameraden, nicht wahr?«

»Es heißt, die Gefolgsleute Kossuths planen Übles gegen die Kai­serin. Doch ich erinnere mich an keinen Staatsbesuch, der ohne solche Drohungen abgegangen wäre.«

»Dieses Mal sind diese Drohungen ernst zu nehmen.« Der General erhob sich, legte die Hände hinter dem Rücken zusammen und nahm

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seine Wanderung durch das weitläufige Dienstzimmer wieder auf. »General von Trottwitz, dem der Kaiserin Leibgarde untersteht, hat mich heute aufgesucht, um von Geheimdienstberichten zu sprechen, die in diese Richtung weisen. Ich selbst habe bereits zuvor Ähnliches gehört. Es braut sich etwas zusammen. Und dieses Mal scheint es nicht das Werk einiger versprengter Radikaler zu sein. Wir können uns auch nicht darauf verlassen, dass die Bestrebungen aus Kossuths Ecke kommen. Ich fürchte, es handelt sich um eine ernstzunehmende Kon­spiration.«

»Dann haben Sie dem General geraten, die Reise abzubrechen?«

Geza von Belas lächelte angedeutet. »Mein Junge, Sie sind kein Politiker. Vom Standpunkt des Soldaten aus wäre dies gewiss die logi­sche Folge. Doch ein solches Verhalten könnte uns allen auf Dauer mehr schaden, als eine Gefahr, die gemeistert wird. Wenn die Kaiserin umkehrt, ihren Besuch absagt, werden die Kräfte, die gegen uns ste­hen, Aufwind erhalten. Man würde sie ernst nehmen, ja ihnen Gewicht verleihen. Eben das darf aber nicht geschehen. Deshalb werden wir ihre Majestät wie geplant empfangen. Und Sie, Andreas, müssen die Attentatspläne aufdecken und die Täter ihrer gerechten Strafe zufüh­ren. Ich weiß, es ist beinahe unmöglich für einen einzelnen Mann, die­se Aufgabe zu bewältigen. Doch ich kann es nicht verantworten, noch jemanden einzuweihen. Sie müssen absolut verschwiegen sein gegen jedermann. Allein mir sind Sie Rechenschaft schuldig. Offiziell gehören Sie zu der Leibgarde, die unser Land der Kaiserin bei jedem Besuch zur Seite stellt. Sie müssen rasch und ohne Rücksicht ermitteln und Ergebnisse liefern. Und sollte es zum Äußersten kommen, sind Sie ver­antwortlich für das Leben ihrer Majestät. Haben Sie noch Fragen, mein Junge?«

Andreas von Kolman hatte dem General aufmerksam zugehört, nun schüttelte er langsam den Kopf. »Ich denke nicht. Sie haben mei­ne Aufgabe klar umrissen. Ich weiß, was ich zu tun habe.«

Geza von Belas blieb neben dem jungen Husaren stehen und be­trachtete ihn nachdenklich. Andreas schien zu ahnen, was dem Gene­ral durch den Sinn ging, denn er erhob sich nun und versicherte mit

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Nachdruck: »Sie können sich auf mich verlassen, ich werde die Schur­ken finden und verhindern, was sie planen.«

»Das weiß ich, deshalb habe ich Sie auch mit dieser Aufgabe be­traut.« Er lächelte schmal. »Passen Sie gut auf sich auf, mein Junge.«

»Sicher, Herr General!« Andreas von Kolman setzte sein pelzver­brämtes Barett wieder auf den Kopf, grüßte und verließ dann den Raum. Der General trat wieder hinter das Fenster und blickte hinaus in den späten Abend. Eigentlich hätte er zufrieden sein können, denn er hatte in der gegebenen Situation die richtige Entscheidung getroffen. Andreas würde ihn nicht enttäuschen, das wusste er. Doch zum ersten Mal in seiner militärischen Laufbahn quälten ihn auch gewisse Zweifel. Er sorgte sich um den jungen Husaren, der ihm selbst wie ein Sohn war. Und er fragte sich zugleich, ob es auch dem besten Mann des Regiments tatsächlich gelingen konnte, diese gefährliche Verschwö­rung noch aufzudecken, die weitaus mehr bedrohte als das Leben der Kaiserin...

*

Eugenie von Bruckner verließ am nächsten Morgen sehr früh ihr Abteil, um eine Unterredung mit Hugo von Trottwitz zu führen. Die Gräfin wusste, dass der General am Vorabend erst spät zum königlichen Son­derzug zurückgekehrt war und sich nur mit der Kaiserin besprochen hatte. Da der Zug noch immer auf einem Nebengleis stand, vermutete Eugenie, dass über Richtung und Weiterfahrt noch keine Entscheidung getroffen worden war. Sie hoffte, diese in ihrem Sinne beeinflussen zu können, denn ihr wäre die Umkehr und Rückreise nach Wien das Lieb­ste gewesen. Nicht nur aus Besorgnis um Wohl und Wehe der Kaiserin, sondern auch, weil sie befürchtete, in Budapest nicht beständig für die Sicherheit ihrer Nichte garantieren zu können. Reserl war jung und unerfahren, dazu manchmal nahezu sträflich verträumt und naiv. Wenn die politischen Umstände sich tatsächlich als so unsicher erwei­sen würden, wie zu befürchten stand, dann konnte allerlei geschehen, das sich Eugenies Willen und Einfluss entzog...

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Von Trottwitz war bereits auf den Beinen, doch über der Uni­formhose trug er noch den Hausmantel und gab sich der Gräfin ge­genüber sehr reserviert. »Könnten Sie denn nicht zu einem späteren Zeitpunkt...«, setzte er an, wurde aber gleich unterbrochen.

Eugenie hatte nicht vor, sich über Fragen von Anstand und Hof­etikette zu unterhalten, ihr ging es um die Sicherheit der Kaiserin und ihrer Nichte. »Wie ist Ihr Gespräch in der Stadt ausgegangen? Hat ihre Majestät bereits eine Entscheidung gefällt oder steht noch nicht fest...« Die Hofdame verstummte, als ein schriller Pfiff die Morgenstille durchschnitt. Der Lokführer hatte die Maschine unter Dampf gesetzt und gab nun das Signal zur Weiterfahrt. Eugenie von Bruckner musste nur aus dem Fenster schauen, um ihre Fragen beantwortet zu wissen.

»Wir reisen also weiter«, murmelte sie zutiefst bekümmert. Ein verärgerter Blick traf den General. »Hätten Sie das denn nicht verhin­dern können?«

»Ich bitte Sie, Frau Gräfin, es war die Entscheidung der Kaiserin. Und es steht mir wirklich nicht zu...«

»Ach, Papperlapapp! Sie waren in Budapest, haben dort mit den entsprechenden Leuten gesprochen, sich ein Bild der Lage gemacht. Wollen Sie mir allen Ernstes erzählen, dass es dort sicher ist? Waren denn all die Warnungen und Befürchtungen in den Wind geschrieben, aus der Luft gegriffen?«

»Das gewiss nicht. Ganz gefahrlos ist eine Reise auf den Balkan nie, das steht fest. Allerdings hat mir der General von Belas versichert, für Leben und Unversehrtheit ihrer Majestät garantieren zu können.«

»Und das glauben Sie? Sie vertrauen diesem Mann?« »Gnädige Frau, ich muss doch bitten! Ein Wort unter Soldaten gilt

gleich einem Eid. Von Belas ist ein Ehrenmann...« »Schon gut, ich habe genug gehört. Ich muss sagen, ich finde das

alles sehr unvernünftig. Sie wussten doch, dass die Kaiserin ihre Pläne nur ungern aufgeben wird. Anstatt ihr ins Gewissen zu reden, noch einmal die Gefahren deutlich zu machen, haben Sie einfach ins gleiche Hörn gestoßen wie dieser Ungar und ein Wiegenlied zur Unzeit gesun­gen.« Eugenie blitzte den General zornig an. »Ich kann nur hoffen,

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dass dies uns allen nicht noch eine große Menge Ungemach bescheren wird!«

Hugo von Trottwitz schwieg. Im Grunde hatte er seiner Besuche­rin nichts entgegenzusetzen, denn Eugenie hatte in allem, was sie mo­nierte, Recht. Doch er mochte das nicht zugeben, nicht vor einer Hof­dame, die doch eigentlich weder von Politik noch von Diplomatie viel verstehen sollte...

Eugenie war noch immer erregt und übellaunig, als sie in ihr Abteil zurückkehrte. Sie bemerkte, dass Reserl bereits aufgestanden war und sich interessiert die vorbeiziehende Landschaft betrachtete. Als sie die Tante eintreten hörte, rief sie: »Schau, Tanterl, es geht endlich weiter! Wir sind herunter vom Abstellgleis und werden schon bald in Budapest sein. Ist das nicht schön? Hier herum zu stehen und nichts tun zu kön­nen, als zu warten, das war wirklich ganz schrecklich.«

»Du wirst dir noch einmal wünschen, hier warten zu müssen«, murmelte die Gräfin ungehalten. Und als ihre Nichte sie nur fragend musterte, fügte sie begütigend hinzu: »Ich fürchte, diese Reise wird ganz anders verlaufen, als wir uns das vorgestellt haben. Es wird nicht erholsam und auch nicht angenehm in Budapest. Und ich mache mir große Sorgen um dich, mein Kind.«

»Um mich?« Reserl lachte unbekümmert auf. »Aber warum denn? Wegen dieser Gerüchte? Der General war doch in der Stadt und hat sich umgesehen. Wenn wir jetzt weiterfahren, dann bedeutet das ja, dass fort alles in Ordnung ist. Oder doch nicht?«

»So einfach ist das nicht zu sagen. Ich weiß nur eines: Ich habe die Verantwortung für dich übernommen, Reserl. Und ich könnte dei­nen Eltern nicht mehr unter die Augen treten, sollte dir etwas zu­stoßen. Wäre mir bewusst gewesen, wie gefährlich diese Reise werden kann, hätte ich lieber darauf verzichtet, die Kaiserin zu begleiten.«

»Aber ich nicht!«, kam es bestimmt von dem schönen Mädchen. »So eine Reise, die werde ich gewiss nur einmal im Leben machen können. Wenn ich erst verheiratet bin, mit so einem langweiligen Bah­renbom, dann muss ich ja nur noch daheim sein und die Kinderschar hüten!«

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Trotz allem musste Eugenie über diesen Temperamentsausbruch schmunzeln. »Komm einmal her zu mir, Reserl«, bat sie die Nichte. Und als diese sich zu ihr setzte, nahm sie ihre schlanken, zarten Hände und erklärte: »Einen langweiligen Mann hast du doch ausgeschlagen. Damit wird dein Vater dir gewiss nicht mehr kommen. Und ich gönne dir das Reisen ja von Herzen. Mir selbst ist es lieb und teuer gewor­den, im Gefolge ihrer Majestät die Welt zu sehen. Das Einzige, was mir Sorgen und schlaflose Nächte bereitet, ist die Angst, dass dir etwas zustoßen könnte. Ungarn ist zurzeit sehr unsicher. Und niemand weiß zu sagen, auf welche Ideen und Einfälle diese so genannten Freiheits­kämpfer verfallen. Wenn einer in deiner Nähe weiß, dass du zu Elisa­beths Gefolge gehörst, könnte er es sich einfallen lassen, dich zu ent­führen, um Druck auf die Kaiserin auszuüben. Verstehst du, was ich meine?«

»Aber ich bedeute Ihrer Majestät ja gar nichts. Mit mir kann man niemanden erpressen. Höchstens dich. Und du bist nicht die Kaiserin«, merkte Reserl mit umwerfender Logik an. Dann sprang sie aber auf und rief entzückt: »Da schau, Tanterl, die Stadt! Das muss Budapest sein. Ist das nicht schön?«

Eugenie hatte sich ebenfalls erhoben und trat nun neben ihre Nichte ans Fenster des Abteils. Noch unter den lichten Nebelschleiern des frühen Morgens verborgen funkelte ihnen voraus das goldene Band der Donau. Der majestätische Fluss, der unweit von hier das ungarische Mittelgebirge verlassen hatte, teilte die Stadt in zwei Hälf­ten. Auf dem rechten Ufer der bergige kleinere Stadtteil Buda, was zu Deutsch Ofen hieß, mit der weit ins Land hinein blickenden Burg, links Pest, durch sechs Brücken mit dem älteren Stadtteil verbunden. Die engen, mittelalterlichen Gassen strahlten eine behagliche Freundlich­keit aus, die mehr an eine Kleinstadt, denn an eine Residenz erinnerte. Im Gegensatz dazu standen die barocken Prachtbauten, allen voran der Königspalast. Und die vielen, schönen Kirchen mit ihren Kuppeln, deren grünspaniges Kupfer und Gold vom Strahlen der aufgehenden Sonne zum Leben erweckt wurde.

»Ach, Tante Eugenie, ist das nicht eine wundersam verzauberte Stadt? Beinahe wie im Märchen«, seufzte Reserl fast andächtig. »Sie

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ist nicht so klein und behäbig wie Linz, nicht so charmant und welt­läufig wie Wien. Doch ich mein fast, nie im Leben etwas Vergleich­bares gesehen zu haben. Als ob ich's schon kennen würde, ohne je hier gewesen zu sein. Jetzt hältst du mich bestimmt für sehr ver­sponnen, nicht wahr?«

»Ganz bestimmt nicht.« Eugenie lächelte nachsichtig. »Mir ist es nicht anders ergangen, als ich das erste Mal hier war. Warte nur ab, diese Stadt hat mehr zu bieten als den offensichtlichen Glanz und Prunk eines Königsschlosses. Es gibt hier viel zu sehen, viel zu ent­decken.«

»Willst du mir alles Sehenswerte zeigen?«, fragte das Mädchen gleich aufgeregt. »Wo du dich doch schon auskennst...«

»Ich will es dir gerne versprechen, doch es hängt auch an den Plänen ihrer Majestät. Beim letzten Besuch in Ungarn hat sie zwei Wo­chen lang gekürt, der Reisestaat konnte sich zerstreuen und nach Be­lieben ausspannen. Doch ob das in der jetzigen Situation wieder so sein wird, wage ich zu bezweifeln.« Die Hofdame bedachte ihre Nichte mit einem ernsten Blick, als sie noch einmal versicherte: »Ich wünsche dir, dass du diese Reise genießen kannst, mein Kind. Aber du darfst auch meine Mahnungen nicht vergessen. Die Lage ist unsicher. Daran müssen wir immer denken. Versprichst du mir das, Reserl?«

»Gewiss.« Eugenie hatte den Eindruck, als ob ihre Nichte gar nicht recht hingehört hatte. Und als sie gleich darauf ein Schwanenpaar be­wunderte, das stolz seine Bahn auf dem stillen Flusswasser zog, war sie sogar davon überzeugt. Reserl war eben in vielen Dingen noch verspielt und naiv wie ein Kind. Eugenie musste gut auf ihre Nichte aufpassen. Eine große Aufgabe lag da vor ihr, das ahnte die Gräfin in diesem Moment.

*

Die Ankunft der Kaiserin Elisabeth wurde in Budapest mit großem Bahnhof gefeiert. Vertreter von Militär und Politik, ausländische Diplo­maten ebenso wie Würdenträger aus Gesellschaft und Kirche waren erschienen, um vor der schönen Herrscherin das Knie zu beugen. Der

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Staatsempfang fand im großen Saal des Königsschlosses statt, in einer Atmosphäre von beinahe barocker Prachtentfaltung, die von politi­schen Unruhen und Gefahren nichts zu wissen schien. Nach außen hin spiegelten sich Harmonie und Einverständnis zwischen Österreich und Ungarn in der Haltung von Gast und Gastgerbern. Doch unterschwellig war eine gewisse unangenehme Anspannung nicht zu leugnen. Gene­ral von Trottwitz hielt sich mit ernster Aufmerksamkeit stets in der Nähe der Kaiserin auf, die sich nichts anmerken ließ. Eugenie von Bruckner wäre es lieber gewesen, ihre Nichte von dem Empfang fern­zuhalten, der an diesem Abend stattfand, doch Reserl sprach den gan­zen Tag nur davon, welches Kleid sie tragen und wie sie sich frisieren lassen sollte. Die Gräfin brachte es nicht übers Herz, dem jungen Mäd­chen die Vorfreude zu trüben.

Am späten Nachmittag ließ die Kaiserin Eugenie zu sich rufen und redete eine ganze Weile vertraulich mit ihr. Nichts von dem, was dabei zur Sprache kam, drang nach außen, auch Reserl gegenüber musste die Tante schweigen. Das war allerdings nicht sehr schwer, denn das schöne Mädchen war in Gedanken bereits im Ballsaal des Schlosses.

»Wird auch getanzt werden? Ach, Tanterl, ich bin ja so aufge­regt«, rief sie überschwänglich aus und drehte sich einmal im Kreise. »Was denkst du, sehe ich hübsch aus?«

»Ganz wunderschön«, lobte die Gräfin und betrachtete dabei das Kleid aus porzellanheller Seide, das nach der neuesten Mode mit Krino­line geschnitten war. Es betonte die schlanke Anmut des jungen Mäd­chens ebenso wie die hübsche Hochsteckfrisur. Feinste Löckchen ihres blonden Haares ringelten sich um Hals und Schläfen. Und Reserls veil­chenblaue Augen waren dazu der schönste Schmuck. »Ein paar Perlen fehlen noch«, entschied die Tante allerdings. Ein schmaler Strang schmiegte sich bald um den schlanken Hals des schönen Mädchens. »So ist es vollkommen.«

»Sag, Tante, wie geht denn solch ein Staatsempfang vonstatten? Ich kenne mich doch gar nicht aus«, wollte Reserl dann wissen.

»Nun, die Kaiserin wird eine ganze Reihe geladener Gäste be­grüßen. Reden werden gehalten, einige Orden verteilt. Wenn der of­

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fizielle Teil vorbei ist, gibt es ein kaltes Büffet und auch ein wenig Mu­sik. Aber nicht zum tanzen.«

»Ach, wie schade. Dabei tanze ich für mein Leben gern...« Eugenie lächelte wohlwollend. »Gewiss werden wir noch einen Ball

besuchen. Wenn nicht hier, so doch im Herbst in Wien, wenn die Ball­saison wieder eröffnet ist. Ich weiß, das erscheint dir noch sehr lang. Aber die Zeit wird wie im Fluge vergehen.«

»Das glaube ich auch. Ich habe schon so viel gesehen auf dieser Reise, es scheint mir ganz unsäglich, dass erst ein Monat vergangen ist, seit ich Linz verlassen habe...« Reserl betrachtete die Tante fra­gend. »Was ist dir? Du wirkst so nachdenklich. Ist etwas geschehen, Tante?«

»Nein, nein. Ich denke, heute Abend droht uns keine Gefahr, denn der Empfang wird gut bewacht. Die königliche Leibgarde hat Unter­stützung von den Husaren erhalten. Wir können also einmal ganz un­besorgt sein und genießen, was der Abend uns bietet...«

Der offizielle Teil des Empfangs zog sich dann für Reserls Ge­schmack viel zu lange hin. Zwar fand sie es interessant und spannend, die Diplomaten aus aller Herren Länder zu betrachten, von denen manche doch sehr seltsam und fremdartig auf sie wirkten. Aber ihr Herz sehnte sich nach Musik, nach einem Walzer, zu dem man tanzen konnte...

Eugenie blieb stets in der Nähe ihrer Nichte. Später dann ver­wickelten sie immer wieder Freunde und Bekannte in eine Plauderei. Und Reserl fing an, sich ernsthaft zu langweilen. Das kalte Büfett war verlockend. Mit einem Teller voller Leckereien spazierte das schöne Mädchen durch die Säle, schaute sich ein wenig neugierig um und lan­dete schließlich in einer großen Orangerie. Hier blühten Bitterorangen und Zitronen, hohe Palmen beugten ihre langen Wedel graziös zum Boden hin und es gab Pflanzen nach der neuesten Mode. Reserl be­trachtete sich alles staunend. Sogar ein Wasserbecken war vorhanden, auf dem seltene Blüten strahlten. Als sie gerade versunken in den kla­ren Spiegel des kühlen Nasses schaute, gewahrte sie eine Bewegung ganz in ihrer Nähe. Erschrocken fuhr sie herum, ließ ihren Teller fallen, der im Becken landete und augenblicklich zum Grund sank. Das schö­

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ne Essen schwamm allerdings malerisch auf der Oberfläche. Reserl biss sich auf die Lippen; warum war sie aber auch so ungeschickt?

Ein junger Husar trat zu ihr, verbeugte sich knapp und bat: »Ver­zeihen Sie mir, gnädiges Fräulein, es war nicht meine Absicht, Sie zu erschrecken.«

»Aber das haben Sie!«, beschwerte sie sich. »Und nun sehen Sie die Bescherung an.«

Der junge Mann blickte sie ein paar Sekunden wie verzaubert an, dann drehte er das Gesicht fort und murmelte: »Der Lachs schwimmt noch immer...«

Reserl spürte, wie ihr Ärger verflog und sie konnte dem Drang, zu lachen, nicht widerstehen. Der Husar musterte sie fragend, dann aber lachte auch er. Und in genau diesem Moment, da war Andreas von Kolman sich später sicher, hatte er sein Herz an das schöne Mädchen aus Linz verloren.

»Bitte entschuldigen Sie, es gehört sich sicher nicht, wie ich mich betrage«, murmelte Reserl und wollte sich abwenden. »Wir sind ein­ander nicht einmal vorgestellt worden und ich...«

»Nicht doch. Heute Abend sind nach meinem Geschmack schon viel zu viele offizielle Vorstellungen zelebriert worden. Lassen Sie mir die Freude, noch einen Moment lang bei Ihnen zu bleiben. Und dann werde ich Ihnen einen neuen Teller besorgen.«

»Ach nein, das ist nicht nötig. Und ich... kann auch nicht bleiben. Meine Tante wird schelten, erfährt sie, dass ich hier ganz allein mit Ihnen bin!«

»Aber dann sagen Sie mir wenigstens...« Er verstummte, denn sie war bereits fort. Ein wenig bekümmert verließ der junge Husar die Orangerie. Zu gerne hätte er den Namen dieses bezaubernden Ge­schöpfes erfahren. Wer mochte sie sein? Gewiss befand sie sich im Gefolge der Kaiserin, denn sie sprach mit österreichischem Akzent. War sie vielleicht gar eine Verwandte Elisabeths, eine Prinzessin? And­reas von Kolman war beinahe davon überzeugt. Ihre Schönheit, ihre natürliche Haltung und Anmut sprachen von hoher Geburt, dessen war er sicher. Und doch schien sie auch einen Sinn fürs Zwischenmenschli­che zu haben, denn sie hatte ohne Scheu zu ihm gesprochen. Er seufz­

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te leise; er musste sie wieder sehen! Doch wie sollte er das anstellen? Hatte sie nicht von einer Tante gesprochen? War sie am Ende die Nichte der Kaiserin?

Andreas hätte alles dafür gegeben, dies zu erfahren und auch ih­ren Namen zu kennen. Doch sie war fort und er würde sie im Gewühl des Empfangs kaum wieder finden. Zumal seine Aufgabe ihm keine Zeit für eine solche Spielerei ließ.

Auch wenn es dem jungen Mann schwer fiel, so musste er das schöne Mädchen wohl fürs erste vergessen und einfach hoffen, dass sie einander schon bald wieder begegnen würden...

*

Während Andreas von Kolman sich noch auf dem Empfang aufhielt, hatten Eugenie und ihre Nichte sich bereits zurückgezogen. Die Gräfin war sehr ärgerlich, weil Reserl ihr einfach entschlüpft war. Und es schien ihr zudem, dass in ihrer Abwesenheit etwas geschehen war, wovon das Mädchen nicht sprechen wollte. Doch die leicht geröteten Wangen und ein gewisses Schimmern der veilchenblauen Augen machten die Tante mehr als misstrauisch.

»Du wirst doch nicht mit einem der jungen Herren gesprochen ha­ben, die auf dem Empfang anwesend waren?«, forschte sie, als Reserl bereits im Bett lag. Das schöne Mädchen wollte dies sogleich empört von sich weisen, aber Eugenie ließ sich auf nichts ein. »Ich war selbst einmal jung und kenne den Reiz, den eine kleine Tändelei stets aus­übt. Doch ich hatte dich gebeten, dich an keinen Fremden zu wenden und dich auch stets in meiner Nähe aufzuhalten. Du weißt genau, weshalb ich so darauf bestehe, mein Kind. Es geschieht zu unser aller Sicherheit. Denn wir wollen trotz des Glanzes des heutigen Abends nicht vergessen, wie die Lage draußen vielleicht ist und welche Gefah­ren dort dräuen.«

»Aber, Tante, ich versichere dir, dass nichts Unrechtes geschehen ist! Ich... bin nur ein wenig durch das Schloss spaziert. Es gibt dort eine Orangerie mit den wunderbarsten Pflanzen. Hast du das ge­wusst?«

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»Nun, dieser Platz ist sehr beliebt bei jungen Menschen, die ein­ander näher kommen möchten«, merkte die Gräfin süffisant an.

»Tante!« Reserl schloss demonstrativ die Augen. »Ich möchte nicht mehr darüber sprechen und jetzt schlafen, denn ich bin wirklich sehr müde!«

»Reseda, ich verlange die Wahrheit«, forderte die Gräfin da aller­dings in sehr strengem Ton. Und es war das erste Mal, dass sie die Nichte nicht beim Kosenamen genannt hatte. Reserl schluckte; wie es schien, gab es keine Ausflüchte mehr. Sie musste ihr kleines, unbe­absichtigtes Abenteuer beichten, vorher würde die Tante diese strenge Befragung kaum beenden.

»Nun, was hast du mir zu sagen? Ich sehe es dir an der Nasen­spitze an, dass dein Gewissen nicht rein ist...«

»Ich... bin ein wenig herum spaziert und habe etwas vom kalten Büffet gegessen. In der Orangerie stand ich gerade am Wasserbecken und betrachtete die seltenen Blüten, die so süß duften, da stand plötz­lich jemand hinter mir. Ich habe mich sehr erschreckt und dabei ist mir der Teller ins Wasserbecken gefallen.«

Eugenie musterte ihre Nichte unwillig. »Was ist das für eine al­berne Geschichte? Du wirst dich doch nicht blamiert haben. Wer war denn dort, der dir so einen Schrecken einjagte? Ich hoffe, es war keine der anderen Hofdamen, allen voran nicht die Baronin Saalfeld mit ihrer losen Zunge. Das gäbe wieder Klatsch und Tratsch...«

»Nein, es ist ein junger Mann, ein Husar...« Reserl verstummte, denn die Tante erschrak sichtlich. Das schöne Mädchen beeilte sich deshalb zu versichern: »Ich habe nur ein paar belanglose Worte mit ihm gewechselt und habe mich dann gleich zurückgezogen. Ich weiß nicht einmal seinen Namen...«

»Du hättest überhaupt nicht mit ihm sprechen dürfen, denn ihr wart einander nicht vorgestellt. Wie sah er aus?«

»Ich... weiß nicht, er war recht stattlich und...« »Nein, das meine ich nicht. Trug er vielleicht ein Pelzbarett zu sei­

nem Uniformrock? Nun erinnere dich bitte!«

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»Ja, ich glaube schon. Aber warum ist denn das so wichtig? Ich sagte dir doch bereits, dass ich nur sehr flüchtig mit ihm gesprochen habe.«

Die Gräfin von Bruckner dachte eine Weile nach, dann erwiderte sie: »Schlaf jetzt. Wir sprechen morgen weiter.«

»Aber, Tante, ich bitte dich, sag mir doch, warum du dich so sorgst. Was hat es denn mit dem Husaren auf sich?«

»Nichts. Ich wollte nur wissen, ob er zur Leibgarde gehört. Da dem offensichtlich so ist, bin ich beruhigt. Gute Nacht, mein Kind. Schlafe wohl.« Noch ehe Reserl eine weitere Frage stellen konnte, hatte die Gräfin bereits das Schlafzimmer verlassen. Das junge Mäd­chen fragte sich, was diese strenge Befragung wohl zu bedeuten hat­te. Es schien Reserl, als ginge es der Tante nicht nur um einen Verstoß gegen die Etikette, sondern um mehr. Doch was mochte das sein? Hatte es vielleicht eine besondere Bewandtnis mit diesem Husaren, dessen Namen sie nicht einmal kannte?

Es schien in der Tat so, denn Eugenie von Bruckner fand in dieser Nacht keinen Schlaf. Unruhig ging sie in ihren Räumen auf und ab, stand im Morgengrauen hinter dem Fenster und starrte besorgt nach draußen, wo die Nebel der Nacht sich langsam aus dem Flussbett ho­ben und ein klarer Morgenhimmel schönes Wetter versprach. Etwas lag ihr schwer auf der Seele, ging ihr nicht aus dem Sinn und verhin­derte, dass sie Ruhe fand. Doch was dies war, schien niemand zu wis­sen außer der Gräfin selber. Und sie hütete ihr Geheimnis streng.

*

Andreas von Kolman hatte sich an diesem Abend mit vielen Menschen unterhalten und dabei seine Umgebung stets scharf im Blick behalten. Er hatte sich Notizen über Verdächtiges gemacht und war einer Spur bis in eine schmale Gasse am rechten Donauufer gefolgt. Doch die beiden Diplomaten, die hier in einem hohen windschiefen Haus ver­schwanden, hatten anderes im Sinn als eine Konspiration gegen die Kaiserin Elisabeth. Im schwachen Schein eines Streichholzes las And­

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reas das Schild neben der Haustür, das auf gewisse Damen für speziel­le Dienste hinwies. Hier würde er kaum fündig werden.

Als der junge Husar im Morgengrauen in die Kaserne zurückkehr­te, fühlte er sich müde und zerschlagen. Ein strammer Ritt, eine Feld­übung erschienen ihm im Vergleich zu diesem Empfang wie eine wah­re Erholung. Und als er dann endlich in seinem Bett lag, fand er trotz allem keinen Schlaf, denn vor seinem geistigen Auge erschien immer wieder das bezaubernde Gesicht der schönen Unbekannten, die sein Denken und Fühlen nicht loslassen wollte...

General von Belas erwartete Andreas zeitig am nächsten Morgen. Der junge Mann sollte ihm Bericht erstatten, doch er hatte nichts vor­zuweisen außer Vermutungen und wenig aussagekräftigen Beobach­tungen. Der General zeigte sich davon nicht eben erfreut.

»Wie es scheint, sind die Attentäter also nicht im näheren Umkreis der Kaiserin zu suchen. Das ist nicht neu, allerdings war ich überzeugt, dass sie einen Mittelsmann brauchen, der ihnen im Fall der Fälle direk­ten Zugang zum Reisestaat ihrer Majestät gewähren kann. Ist Ihnen in dem Zusammenhang nichts Verdächtiges aufgefallen, Andreas?«

»Nun, ehrlich gesagt, nein. Doch es ist auch möglich, dass ich noch zu ungeübt in dieser Beziehung bin. Ich werde mich erst in meine neue Aufgabe einfinden müssen.«

»Das ist natürlich. Allerdings sollten Sie sich damit nicht zuviel Zeit lassen, denn diese wird uns allmählich knapp. Die Hinweise, dass et­was geplant wird, verdichten sich. Und wir müssen dem zuvor­kommen, wenn es keine Katastrophe geben soll.«

»Ich verstehe. Ich werde meine Nachforschungen sofort weiter­führen«, versprach der junge Husar und wollte gehen.

Doch der General hatte noch etwas für ihn. Er reichte seinem Ge­genüber eine Liste mit Namen und erklärte: »Dies hier ist der gesamte Reisestaat der Kaiserin. Sie sollten sich mit den Namen vertraut ma­chen und sich ein wenig umhören. Möglich, dass es doch eine undichte Stelle in der unmittelbaren Umgebung der Kaiserin gibt. Ich halte das zwar für recht unwahrscheinlich, aber wir müssen in alle Richtungen denken.«

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»Soll ich mit den österreichischen Leibgardisten zusammenar­beiten?«, wollte Andreas noch wissen. »Bestimmt weiß der eine oder andere etwas zu berichten, das uns weiterhelfen könnte.«

»Schon möglich, doch das Risiko ist mir zu groß. Sie müssen Ihre Aufgabe allein erfüllen, Andreas. Wenn einer dieser Soldaten den Frei­heitskämpfern Informationen liefert, dann fliegt nicht nur Ihre Tarnung auf, es könnte auch lebensgefährlich für Sie werden. Und das will ich vermeiden.«

Obwohl der junge Husar nicht davor zurückschreckte, Risiken ein­zugehen, um etwas zu erreichen, hielt er sich doch an das, was der General gesagt hatte. Und als er wenig später die Namensliste studier­te, wurde ihm zudem rasch bewusst, dass er das schöne, unbekannte Mädchen vom Vortag schon sehr bald wieder sehen würde...

Eugenie von Bruckner hatte die Kaiserin schon früh aufgesucht und kehrte mit ernster Miene in ihre Räumlichkeiten zurück. Reserl erwartete die Tante bereits.

»Ist alles in Ordnung?«, fragte sie. »Du wirkst so besorgt.« »Die Kaiserin ist unwohl. Ich habe es die ganze Zeit befürchtet;

diese Reise, die Aufregungen und die ständige Anspannung sind zuviel für sie.«

»Und was soll nun geschehen?« »Das Klügste wäre ein sofortiger Abbruch dieser Reise und eine

Rückkehr nach Wien. Doch davon will ihre Majestät nichts hören.« »Und die Leibärzte? Wie raten sie denn?« »Nun, sie sind der gleichen Meinung wie ich. Doch das fruchtet

wenig. Die Kaiserin hat noch zwei offizielle Termine, die sie unter allen Umständen einhalten will. Ich habe bereits mit Engelszungen auf sie eingeredet, aber sie lässt sich nicht umstimmen.« Die Gräfin seufzte bekümmert auf. »Ich wünschte, wir wären niemals zu dieser Reise aufgebrochen. Es wird böse enden...«

»Aber, Tanterl, so kenne ich dich gar nicht«, monierte Reserl er­schrocken. »Du bist doch sonst keine solche Schwarzseherin.«

Eugenie wollte ihrer Nichte eben antworten, als an die Tür ge­klopft wurde und nach entsprechender Aufforderung ein Dienst­mädchen erschien, das eine Karte auf einem Silbertablett überreichte.

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Reserl blickte neugierig auf das kleine Stück Bütten und las: »Leutnant Andreas von Kolman, 5. Division Ihrer Majestät königlicher Husaren«. Die Gräfin war irritiert.

»Was hat denn das zu bedeuten? Was will dieser Leutnant hier? So früh empfange ich niemanden.«

Das Dienstmädchen knickste und erwiderte: »Er sagt, er komme in einer sehr wichtigen Angelegenheit, die keinen Aufschub duldet.« Sie hatte sichtlich Mühe, sich an den genauen Wortlaut zu erinnern. Der Besucher war aber auch zu schneidig, er hatte das arme Ding ganz durcheinander gebracht.

»In einer wichtigen Angelegenheit?« Eugenie dachte kurz nach, dann wies sie das Dienstmädchen an, den Besucher in ihren Salon zu führen. Reserl bedachte die Tante mit einem forschenden Blick, den diese mit den Worten kommentierte: »Ich kann mir zwar nicht denken, was dieser Husar von mir will, doch es könnte tatsächlich wichtig sein. In der jetzigen Lage müssen wir ständig mit allem rechnen.«

»Darf ich bei dem Gespräch zugegen sein?«, wollte das Mädchen wissen. Im ersten Impuls dachte die Tante daran, dies zu verbieten. Doch dann erinnerte sie sich an den Vorabend, an Reserls angeblich so harmlose Begegnung mit einem jungen Husaren. Womöglich bestand da ein Zusammenhang... Doch das wäre in der Tat ebenso ungehörig wie unverfroren gewesen.

»Von mir aus. Doch du hältst dich bitte im Hintergrund. Und nun komm, wir wollen hören, was unser früher Besucher heischt.«

Andreas von Kolman ging im Salon der Gräfin unruhig auf und ab. Als sich die Türen dann öffneten, Eugenie in Begleitung ihrer Nichte erschien, blitzte es in seinen ehrlichen Augen so deutlich auf, dass die Hofdame Bescheid wusste. Noch machte sie aber gute Miene und tat so, als habe sie nichts bemerkt.

»Gnädige Frau, ich muss Sie zunächst um Verzeihung bitten. Mein früher und unangemeldeter Besuch muss Sie in Verlegenheit bringen. Doch ich versichere Ihnen, dass die Gründe schwerwiegend und dieses Gespräch unabdingbar ist.« Er küsste Eugenie galant die Hand und verbeugte sich angedeutet vor Reserl. Das schöne Mädchen war errö­tet und schlug die Augen nieder, als der Blick des jungen Mannes es

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traf. Reserl fürchtete, die Tante könne in ihrem Gesicht lesen wie in einem Buch. Und zugleich klopfte ihr unschuldiges Herz sehnsüchtig und verwirrend intensiv.

»Nun, Leutnant von Kolman, wir leben in unruhigen Zeiten, wes­halb ich Ihnen diesen ›Überfall‹ nachsehen werde, wenn Sie mir nun Ihr Begehr nennen«, erwiderte die Gräfin förmlich und wies auf eine Sitzgruppe im barocken Stil. Die Gastzimmer im königlichen Schloss zu Budapest zeichneten sich durch einen überaus eleganten Luxus aus, der von einer früheren, einer besseren Zeit zu sprechen schien. Der junge Leutnant folgte ihrem Wink und setzte sich zu den Damen. Sein Blick stahl sich immer wieder zu Reserl, doch er vermied es, seine Auf­merksamkeit zu offensichtlich auf sie zu lenken, um sie nicht in Verle­genheit zu bringen.

»Wie mir aus zuverlässiger Quelle bekannt ist, verfügen Sie, gnä­dige Frau, über einen nicht unbeträchtlichen Einfluss auf die Kaiserin. Dieser Staatsbesuch ist leider sehr unglücklich gewählt, zur Unzeit, möchte man sagen. Gerüchte und Gerede über finstere Pläne und Ma­chenschaften, die Leib und Leben ihrer Majestät bedrohen, machen beständig die Runde...«

»All das ist auch mir bekannt. Kommen Sie bitte auf den Punkt«, forderte die Gräfin ungeduldig.

»Nun, ich denke, es wäre das Vernünftigste, den Staatsbesuch vor der Zeit zu beenden und abzureisen«, erklärte Andreas mit ernster Miene. »Zu viele Gefahren drohen. Die Lage ist unübersichtlich. Und ich meine, wir alle wissen, was ein gravierender Zwischenfall für Fol­gen haben könnte. Meine Aufgabe ist es, die Kaiserin zu schützen, Schaden von ihr abzuwenden. Allerdings scheint es mir, dass diese Aufgabe von Stunde zu Stunde schwerer zu erfüllen ist. Und da dachte ich an Sie, Gräfin...«

»Sie wollen, dass ich die Kaiserin zur Abreise bewege«, schloss diese logisch und lächelte dabei angedeutet. »Es tut mir leid, Herr Leutnant, aber ich kann Ihnen nicht helfen. Ihre Majestät pflegt, ihre Entscheidungen selbst zu treffen. Und was meinen Einfluss auf sie betrifft, so ist dieser weitaus geringer, als Sie vielleicht denken mö­gen...«

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Andreas überlegte kurz, dann bat er: »Könnte ich Sie unter vier Augen sprechen, Frau von Bruckner?«

Eugenie zögerte. Reserl war gespannt auf die Abfuhr, die der jun­ge Husar sich nun einhandeln würde. Denn dass die Tante auf seine Bitte einging, schien ganz unmöglich und völlig gegen jede Regel von Sitte und Anstand. Sehr zur Verwunderung des jungen Mädchens bat die Gräfin dann allerdings: »Lass uns bitte allein, Reseda. Ich werde mit dem Leutnant von Kolman unter vier Augen sprechen.«

»Aber, Tante...« Reserl biss sich auf die Lippen, als ein äußerst strenger Blick sie traf und sogleich verstummen ließ. Sie nickte und verließ dann gesenkten Hauptes den Salon. Draußen fragte das schöne Mädchen sich allerdings mit brennender Ungewissheit, was dies alles zu bedeuten hatte...

Eugenie von Bruckner schwieg eine Weile, eh sie das Wort an den jungen Gast richtete. »Ich glaube zu wissen, was Ihre wahren Gründe für diesen Besuch sind, mein Herr. Die Kaiserin ließ mich im Vertrauen erfahren, dass der Geheimdienst unter der Hand nach den Männern sucht, die ihrer Majestät Übles wollen. Es soll hier ein Zusammen­schluss beider Seiten, eine Art Zweckbündnis existieren, um den Feind im Innern zu eliminieren. Ich vermute, dass Sie darin eine wichtige Rolle spielen. Oder irre ich mich vielleicht?«

»Nun, gnädige Frau, ich bin zuallererst Soldat, kein Geheimpoli­zist. Und die Aufgabe, die man mir auftrug, verlangt absolutes Still­schweigen gegen jedermann. Bitte sehen Sie es mir deshalb nach, wenn ich Ihre Fragen nicht direkt beantworten kann. Nur soviel: Es liegt in meinem ureigenen Interesse, das Unheil abzuwenden, das der Kaiserin droht. Und ich bin ebenso willens wie fähig, dies auch zu tun. Allerdings verlangt eine so delikate Aufgabe gewisse Hilfestellungen. Sie verstehen?«

»Gewiss. Und ich bin nicht abgeneigt, in diesem Punkt mit ihnen zu kooperieren. Doch bevor ich Ihnen mein Vertrauen schenke, erlau­ben Sie mir ein paar grundsätzliche Fragen.«

»Das ist selbstverständlich, Frau Gräfin. Fragen Sie.« »Nun gut. Wieso sprechen Sie so gut Deutsch?«

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»Meine Mutter stammt aus Frankfurt. Mein Vater ist in Budapest geboren und ich wuchs mit beider Muttersprache gleichberechtigt auf. Ebenso wie meine drei jüngeren Schwestern.«

»Sie sind vom Rang ein Leutnant, vom Stande adlig. Ich rechne auf Ihr Ehrenwort, wenn Sie mir versichern, nur in unserem ge­meinsamen Interesse zu handeln. Eines aber möchte ich noch wissen: Sind Sie der Husar, der meine Nichte auf dem Empfang so erschreckte, dass ihr ein Malheur widerfuhr?«

Bei der Erwähnung dieses Vorfalls stahl sich ein kleines, ver­schmitztes Lächeln auf die markanten Züge des jungen Mannes, das Eugenie eigentlich schon Antwort genug war. Etwas verschämt ge­stand er: »Es wäre wohl anständig und geboten gewesen, mich gleich als derjenige vorzustellen, der ihr Fräulein Nichte in eine etwas... gro­teske Situation brachte. Doch ich wollte sie nicht kompromittieren und war mir auch nicht sicher, inwieweit Sie, gnädige Frau, über den klei­nen Vorfall informiert sind.«

»Nun, meine Nichte vertraut mir stets alles an. Und ich werde auch noch einmal über Ihr wenig manierliches Verhalten hinwegsehen. Eines aber sollte Ihnen bewusst sein, Leutnant von Kolman, meine Nichte kann niemals das Objekt Ihrer spielerischen Werbung sein. Re­seda ist eine junge Dame von Stand und Bildung. Sie mag in manchem noch unerfahren und naiv wirken. Aber ich werde es auf keinen Fall zulassen, dass Sie mit ihr sorglos tändeln.«

»Das käme mir nie in den Sinn«, versicherte der junge Husar dar­aufhin mit großer Ernsthaftigkeit. »Mein Leben gehört der Kaiserin, meine Ehre diesem Uniformrock. Sie dürfen versichert sein, dass ich keine unlauteren Absichten mit Fräulein Reseda verbinde. Das sei fer­ne von mir!«

»Sie sind jung, haben Temperament. Ich kenne diese Lebenszeit, die leider viel zu schnell verfliegt. Deshalb mache ich Ihnen keine Vor­würfe, aber ich bitte Sie, meine Nichte zu respektieren als das, was sie ist: Ein Mitglied des Reisestaates Ihrer Majestät. Und damit für Sie unantastbar.«

Obwohl die Worte der Hofdame ihn schmerzten, nickte der junge Mann doch, denn er wusste, dass er hier weder Recht noch Bitte an­

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bringen konnte. Er kannte Reseda ja kaum. Und doch hatte sie sein Herz bereits gestohlen.

»Ich werde mich noch einmal bei der Kaiserin für eine sofortige Rückreise einsetzen«, sagte Eugenie daraufhin ruhig. »Kommen Sie heute am Abend wieder her, dann werde ich Neues wissen.«

Andreas von Kolman bedankte sich und ging. Er verließ das Schloss nicht, ohne nach Reserl Ausschau zu halten. Doch sie war nir­gends zu sehen und er musste wohl hinnehmen, dass sie fürs Erste unerreichbar für ihn war und blieb. Diese Vorstellung mochte seinem verliebten Herzen nicht gefallen. Doch er zwang sich, das Gefühl dem Verstand unterzuordnen. Und der riet ihm sich voll und ganz seiner schwierigen Aufgabe zu widmen, für die er an diesem Morgen zumin­dest einen Beistand gewonnen hatte.

*

Leider erreichte Eugenie von Bruckner bei der Kaiserin nichts in ihrem Sinne. Elisabeth fühlte sich am Nachmittag, als die Gräfin sie aufsuch­te, bereits wieder ein wenig besser und hielt mehr denn je an ihren einmal gefassten Plänen fest.

»Meine liebe Gräfin, ich respektiere Ihre Meinung und Ihre Sorge wärmt mein Herz. Doch ich werde der Eröffnung dieser neuen Kaserne ebenso beiwohnen wie dem Empfang in zwei Tagen. Ich fühle mich durchaus fähig, meine diplomatische Mission zu erfüllen. Und ich emp­finde es ebenso als Pflicht wie als Freude, meinem Gatten hier ein we­nig von seiner Sorge zu erleichtern. Heute Morgen erreichte mich eine Depesche aus Moskau, die von durchaus schwierigen Unterhandlungen kündete.«

»Der Kaiser war skeptisch, als Ihr von dieser Reise zu ihm spracht«, erinnerte die Hofdame vorsichtig.

Doch die Kaiserin wollte nichts mehr hören und Eugenie verließ schließlich unverrichteter Dinge die Räume ihrer Majestät.

Andreas von Kolman hatte sich in der Zwischenzeit unter den rest­lichen Mitgliedern des kaiserlichen Reisestaates ein wenig umgehört. Als er sich am Abend zu der Gräfin von Bruckner begab, war er bei­

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nahe überzeugt, dass keiner der Menschen, mit denen er gesprochen hatte, in unlautere Machenschaften verwickelt war. Er dachte aller­dings auch an die Meinung des Generals, dass jemand in der un­mittelbaren Nähe der Kaiserin ein Spion sein musste, der den Frei­heitskämpfern in die Hände spielte. War dem wirklich so, hatte der junge Husar es mit einem überaus listigen Charakter zu tun, der sich wohl erst im Moment der Gefahr enttarnen würde. Und dann mochte es bereits zu spät sein...

Der Zufall wollte es, dass Eugenie sich noch bei der Kaiserin auf­hielt, als Andreas vorsprach. Nur Reserl war da. Und sie zögerte, den Besucher zu empfangen. Ihr Herz klopfte unvernünftig schnell, als sie einen Blick durch den Türspalt auf den Gast erhaschte. Er sah aber auch zu gut aus! Das schöne Mädchen wusste nicht, was es tun sollte. Einerseits war die Vorstellung, ein kurzes Gespräch mit dem schneidi­gen Husaren zu führen, überaus verlockend. Andererseits fürchtete Reserl, sich wieder den Unmut der Tante einzuhandeln. Schließlich hatte sie sehr ärgerlich auf die harmlose Episode in der Orangerie rea­giert.

Noch ehe das Mädchen eine Entscheidung treffen konnte, hörte es den Besucher laut sagen: »Kommen Sie nur hervor, Fräulein Reseda. Ich sah Ihren Blondschopf bereits zwischen den Türen blitzen.« Er wandte ihr das Gesicht zu und lächelte freundlich.

Wie von der Tarantel gebissen wich Reserl zurück und biss sich auf die Lippen. Dieser Leutnant schaffte es aber auch immer wieder, sie in Verlegenheit zu bringen! Doch wenn er meinte, sie damit einzu­schüchtern, hatte er sich getäuscht. Sie würde ihm zeigen, dass sie eine vollendete Dame war!

Reserl gab sich einen Ruck und betrat gleich darauf den Salon der Tante mit würdiger Attitüde. Sie bedachte den Besucher mit einem Blick, wie er herablassender nicht sein konnte und sagte dann sehr kühl: »Ich hoffe, Sie halten mich nicht für eine Spionin. Doch meine Tante warnte mich davor, unvorsichtig zu sein. Und ich musste schließlich feststellen, wer sich hier ganz allein aufhält.«

Andreas verbeugte sich förmlich und erwiderte in gleicher Manier: »Ich wiederum hoffe, Sie entschuldigen mein Eindringen hier. Doch

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Ihre Tante bat mich, am Abend noch einmal bei ihr vorbei zu schauen. Sie ist nicht hier?«

»Sie hält sich noch bei ihrer Majestät auf, sollte aber jeden Augen­blick zurückkehren.« Reserl zögerte kurz. »Kann ich Ihnen vielleicht etwas anbieten?«

»Oh, nein danke. Ich möchte mich nicht lange aufhalten und Sie auch nicht stören. Nur eines vielleicht: Es tut mir leid, wenn Sie mei­netwegen Unannehmlichkeiten hatten. Mein Verhalten in der Orangerie war unschicklich. Bitte verzeihen Sie mir!«

»Ach, ich war selbst in Gedanken versunken«, entgegnete sie leichthin. »Es war meine eigene Ungeschicklichkeit, die dem Lachs noch einmal das Schwimmen beibrachte...« Sie senkte den Blick, denn sie bemerkte, wie es schon wieder schalkhaft in seinen tiefblauen Au­gen blitzte. Und wider Willen musste sie dann trotzdem lachen.

»Sie haben eine herzerfrischende Art, Fräulein Reseda«, lobte Andreas und nahm spontan ihre Rechte, um einen galanten Kuss dar­auf zu hauchen.

Errötend entzog sie ihm ihre Hand und murmelte: »Ich bitte Sie, Herr von Kolman! Wenn nun eben meine Tante ins Zimmer gekommen wäre. Sie bringen mich schon wieder in Verlegenheit.«

»Bitte, entschuldigen Sie.« Er betrachtete sie einen Moment lang so fasziniert, dass sie schon wieder den Wunsch verspürte, ihn zu ta­deln. Doch gerade da erschien die Gräfin und beendete das kurze Ge­spräch der beiden jungen Menschen.

»Herr Leutnant, ich bringe leider keine guten Neuigkeiten«, er­klärte Eugenie, nachdem sie ihre Nichte hinaus geschickt hatte. »Die Kaiserin besteht auf Einhaltung ihrer Verpflichtungen. Es ist mir nicht gelungen, sie umzustimmen. Nun liegt es an Ihnen, den Schutz sicher­zustellen, der für den Rest unseres Aufenthaltes hier vonnöten sein wird.«

Andreas nickte. Er hatte bereits mit etwas Ähnlichem gerechnet. Bevor er sich empfahl, fragte er die Gräfin aber noch nach einigen Mit­gliedern des Reisestaates. Eugenie gab nach bestem Wissen und Ge­wissen Auskunft, bis die Fragen sich auf einige der Gardesoldaten rich­teten.

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»Ich kann Ihnen über diese Personen nichts Genaues sagen. Doch wenn es Ihnen helfen sollte, könnte ich den General von Trottwitz fra­gen«, schlug sie vor, was Andreas sofort annahm. »Wir bleiben dann in Verbindung...«

Der junge Husar verließ wenig später den Salon der Gräfin. Noch immer erschien ihm seine Suche nach den Verschwörern wie ein Sto­chern im Nebel. Doch die Hilfsbereitschaft der Gräfin Bruckner machte seine Aufgabe ein klein wenig einfacher. Und sie erlaubte ihm zudem, die schöne Reseda nun öfter zu treffen...

Bereits am nächsten Vormittag saß Andreas von Kolman wieder in Eugenies Salon. Sie hatte etwas herausgefunden, das ihm vielleicht weiterhelfen konnte.

»Der General ließ mich wissen, dass einer seiner Soldaten, ein ge­wisser Josef Hartinger, Verwandte hier in Ungarn hat. Und wie es scheint, pflegt er diesen Kontakt auch, denn er besuchte Tante und Onkel, die etwas außerhalb der Stadt leben, schon zweimal zu Pfer­de.«

Der junge Husar horchte auf. »Kennen Sie Namen und Adresse?« Eugenie hatte sich beides aufgeschrieben und reichte ihrem Besu­

cher den Zettel. Dieser bedankte sich knapp, wollte gleich fort. Doch die Gräfin fragte ihn zunächst: »Wie sicher wird die Kaiserin auf dem morgigen Empfang sein?«

»So sicher es eben möglich ist.« Andreas zögerte kurz, dann er­klärte er: »Ich muss dem hier sofort nachgehen. Bitte, achten Sie gut auf Reseda, Frau Gräfin. Beschützen Sie ihr reines Herz, das kein Falsch kennt...«

Eugenie nickte angedeutet, dann blieb sie nachdenklich zurück. Erst als Reserl erschien, stellte sie fest: »Du hast einen sehr hartnäcki­gen Verehrer in diesem jungen Leutnant. Es scheint, dein ungeschick­tes Verhalten in der Orangerie hat seiner Zuneigung zu dir keinen Ab­bruch tun können.«

»Tante, ich bitte dich!« Obwohl das schöne Mädchen gleichgültig tat, errötete es doch bis in die Haarwurzeln. »Ich habe ja nur ein paar Worte mit ihm gewechselt. Wie kann er mich denn da verehren?«

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»Er tut es, glaube mir.« Eugenie lächelte schmal. »Unter anderen Umständen wäre es durchaus ein Grund, sich zu freuen. Doch in dieser mehr als unsicheren Lage solltest du keinen Gedanken mehr an diesen jungen Mann verschwenden.«

»Sag, Tanterl, was sind das nur für geheimnisvolle Unterredun­gen, zu denen er dich aufsucht? Darf ich's nicht wissen?«

»Nein, es tut mir leid. Doch das Wissen um Dinge, die dich nur unnützen Gefahren aussetzen, will ich dir lieber ersparen.«

Reserl wirkte sehr betrübt. Allein der Gedanke, dass Andreas von Kolman sie gern hatte, verwirrte wie beglückte ihr junges Herz. Doch zu denken, dass er sich in Gefahr befand, ängstigte sie über die Ma­ßen. Zu gerne hätte Reserl erfahren, was es mit diesem besonderen Mann auf sich hatte, aber sie traute sich nicht, die Tante noch weiter zu fragen. Die dunklen Andeutungen, die Eugenie gemacht hatte, mussten ihr fürs Erste genügen.

*

Andreas von Kolman verließ Budapest am frühen Nachmittag. Nicht, ohne vorher mit General von Belas gesprochen zu haben. Dieser hatte ihn zur Vorsicht gemahnt und es auch lieber gesehen, wenn der junge Husar nicht allein aufs Land geritten wäre.

»Wenn Sie in ein Nest der Verschwörer stechen, könnte das über­aus gefährlich sein.« So klangen Andreas noch die Worte des Generals in den Ohren. Doch dieser wusste natürlich auch, dass der junge Hu­sar allein reiten musste. Schließlich hatte man sich zu strikter Geheim­haltung entschlossen und musste diese nun auch beibehalten. Es wäre zu riskant gewesen, noch mehr Mitwisser zu haben. Und Andreas fürchtete sich nicht vor dem, was er nun tun musste. Im Gegenteil; er war froh und erleichtert, endlich auf eine Spur gestoßen zu sein, die vielleicht einmal nicht ins Leere führte.

Die Verwandten von Josef Hartlinger lebten in einem winzigen Fle­cken, gut fünf Kilometer vor den Stadttoren Budapests. Es gab hier weder Wegweiser, noch Ortsschild, weshalb Andreas sich durchfragen musste. Schließlich stand er vor der verwahrlosten Hütte der Görnys,

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die hier schon seit langer Zeit hausten. Sie waren Bauern, bewirtschaf­teten aber nur ein sehr kleines Stück Land, das ihnen kaum ihr Aus­kommen sicherte. Vor der Tür der Hütte stand eine dürre Ziege und knabberte an Unkraut, das hier als einziges üppig zu gedeihen schien. Eine junge Frau kam vorbei. Sie führte ein Kind an der Hand und starr­te den Husaren abweisend an. Die Gardeoffiziere waren hier nicht gut gelitten, denn sie stellten für die Landbevölkerung nur Knechte einer fremden Herrscherin da, die ihnen weder Brot noch Schutz bot.

Das Leben auf dem Land war zu jener Zeit äußerst karg; die Men­schen hatten wenig zu essen, die Kindersterblichkeit war hoch. So verwunderte es nicht, dass Widerstandsnester immer wieder in sol­chen Dörfern ausgehoben wurden. Andreas wusste das und war ent­sprechend vorsichtig. Als er an die Hüttentür klopfte, regte sich drin­nen nichts. Er war jedoch überzeugt, dass man seine Ankunft bemerkt hatte. Eine seltsame, unnatürliche Stille hatte sich über das Dorf ge­legt. Sogar das Gackern der Hühner war verstummt. Wieder pochte er gegen das morsche Holz, wieder erfolgte keine Reaktion.

Als der junge Husar sich umschaute, bemerkte er, dass sich nie­mand mehr auf der Straße blicken ließ. Eine gespannte Atmosphäre umgab ihn wie das Fanal kommenden Unheils. Andreas überlegte, was er tun sollte. Umkehren und es später wieder versuchen? Kam er nach Einbruch der Dunkelheit, wäre es für ihn vielleicht einfacher gewesen, in die Hütte zu gelangen. Doch auch ungleich gefährlicher.

Während er noch die ihm verbliebenen Möglichkeiten abwägte, wurde die Hüttentüre quietschend nach innen gezogen und ein uraltes Weibel erschien. Sie hatte keinen einzigen Zahn mehr im Mund, ihr gesamtes Gesicht bestand nur aus Runzeln. Aber der Blick ihrer hellen Augen war ebenso wach wie tückisch.

»Was willst du?«, fragte sie in einem seltsam gefärbten Dialekt. »Verschwinde!«

»Ich suche die Görnys. Sie sollen hier wohnen«, antwortete And­reas freundlich. »Kennst du Sie, Alte? Wenn ja, gib Bescheid!«

Das Weibel lachte meckernd. Dann wollte sie dem jungen Husaren die Tür vor der Nase zuknallen, doch darauf war dieser gefasst ge­wesen und wusste es deshalb zu verhindern. Er drückte die Tür mit

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der Hand nach innen und drang auf die Alte ein, die erschrocken zu­rückwich. »Nun gib mir endlich Auskunft! Ich bin hier in einer wichti­gen Sache. Die Kaiserin ist in Gefahr, unser ganzes Land mag un­tergehen, wenn nichts geschieht!«

»Soll es doch untergehen«, keifte die Alte. »Was geht mich die Kaiserin an? Sie kümmert sich auch nicht um mich!«

Nun wurde es dem Husaren allmählich zu bunt. Er merkte, dass er seine Zeit bloß vergeudete. Streng maß er das Weibel und forderte noch einmal die Wahrheit von ihr.

Da aber lachte sie wieder und schrie: »Fahr zur Hölle, Österrei­cherknecht!« Das war der Schlachtruf der Verschwörer. Zu spät wurde Andreas klar, dass er in eine Falle gegangen war. Er wirbelte herum, als er aus dem Augenwinkel heraus eine Bewegung wahrnahm. Im letzten Augenblick wich er so einem armdicken Knüppel aus, der auf seinen Hinterkopf gezielt hatte. Der Schlag war kraftvoll geführt, von einem finsteren Gesellen im leinernen Hemd. Gewiss war dies nicht der Onkel von Josef Hartlinger, dazu wirkte er zu jung. Dem Leutnant von Kolman wurde klar, dass tatsächlich geschehen war, wovor der Gene­ral ihn gewarnt hatte: Er war in ein Nest der Verschwörer geraten. Und er sah sich nun gleich drei Feinden gegenüber, aus deren Augen die Mordlust nur so blitzte.

Das alte Weibel hatte die Hütte rasch verlassen. Drei junge Bur­schen, Bauern auf den ersten Blick, versperrten die Tür und nahmen Andreas so jede Möglichkeit, dieser gefährlichen Situation zu ent­gehen. Der Knüppelträger grinste kalt und sagte etwas zu seinen Kumpanen, das Andreas nicht verstehen konnte. Dann aber hob er die Stimme und drohte: »Du kommst nicht lebend hier heraus, Soldat. Meine Freunde und ich warten nur darauf, einen wie dich alle zu ma­chen. Hast du was zu sagen?«

Der junge Husar hatte sich gefangen. Ruhig erwiderte er: »Es wird euch nichts nützen, wenn ihr mich tötet. Meine Kameraden wissen, wo ich bin. Ihr werdet alle hängen für diesen feigen Mord, das verspreche ich euch.«

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»Ein Versprechen von einem Toten«, höhnte einer der beiden an­deren, ein schmächtiger Kerl mit brandrotem Haar und einer großen Narbe auf der Wange. »Wer gibt schon was darauf?«

Der Knüppelträger, offensichtlich der Anführer, bedeutete ihm mit einer kappen Geste, zu schweigen. Dann überlegte er kurz und ent­schied: »Es hat keinen Sinn, ein unnötiges Risiko einzugehen. Er bleibt hier, bis alles erledigt ist.«

Die beiden anderen murrten, sie wollten offensichtlich Blut sehen, konnten sich aber zu Andreas' Erleichterung nicht durchsetzen. Der Anführer befahl ihnen, den Gefangenen zu fesseln.

»Ihr werdet euer Ziel nicht erreichen«, prophezeite der junge Hu­sar. »Wenn der Kaiserin etwas zustößt, wird unser Land im Krieg ver­sinken. Und dieses Mal bleibt nichts übrig, was man später noch als Vaterland bezeichnen könnte.«

»Die Kaiserin muss sterben«, behauptete der Anführer kalt. »Nur dann wird unser Land wieder frei sein. Und man kann mit Stolz sagen, dass man Ungar ist!«

»Schöne Worte, doch die Wirklichkeit sieht anders aus.« »Halt endlich dein Maul. Sonst überlege ich es mir doch noch an­

ders und stopfe es dir«, drohte der Verschwörer daraufhin eisig. »Glaubst du, wir sind dumm und du kannst uns mit ein paar Worten überzeugen, dir zu glauben? Wir wissen genau, was richtig und falsch ist. Österreich hat nichts in Ungarn zu suchen, dies hier ist unser Land. Und schon sehr bald werden wir wieder über uns selbst bestimmen können!«

»Glaubst du, ich liebe mein Vaterland nicht?«, hielt Andreas ihm entgegen. »Doch was ihr tut, ist genau das Falsche!«

Der Anführer lächelte kalt. Ohne Vorwarnung schlug er Andreas nieder, der wie leblos zu Boden stürzte. »Fesselt ihn gut«, befahl er dann seinen Kumpanen, die an dieser Aktion doch noch ihren Spaß fanden. »Ich will nicht, dass er uns noch einmal in die Quere kommt.« Er blickte finster auf den Bewusstlosen nieder. »Denn dann müsste ich ihn tatsächlich töten...«

*

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Reserl schaute die Tante unsicher an. »Wollen wir nicht hier bleiben? Müssen wir denn an dem Empfang teilnehmen?«

»Es wäre mir auch lieber, nicht zu erscheinen, doch ihre Majestät hat auf Vollzähligkeit gedrängt. Es ist der letzte Abend hier in Buda­pest. Alles soll nach Protokoll verlaufen. Aber ich habe ein ganz schlechtes Gefühl... Wenn wenigstens der Leutnant von Kolman hier wäre. Ich hatte gehofft, dass er heute Abend noch einmal seine Auf­wartung macht und uns vielleicht begleitet. Er hätte auf dich achten können...«

»Das will ich aber nicht, ich kann selbst auf mich aufpassen«, wi­dersprach Reserl trotzig.

»Sei nicht albern, mein Kind. Du weißt so gut wie ich, dass es hier nicht um Tändelei geht, sondern um deine Sicherheit.«

»Sorgst du dich um den Leutnant?«, fragte das schöne Mädchen. »Ihm wird doch nichts zugestoßen sein, oder? Bitte, Tanterl, sag mir doch, was ihr immer besprochen habt.«

»Du musst dich jetzt ankleiden, mein Kind«, wich die Gräfin der Frage ihrer Nichte aus. »Bitte, trödle nicht zu lang, damit wir pünktlich sind. Je eher dieser Abend vorbei ist, desto besser.«

Reserl brannten noch viele Fragen auf der Zunge, doch sie fügte sich, denn sie ahnte, dass die Tante ihr doch keine Antwort gegeben hätte. Zumindest keine, die ihre wachsende innere Unruhe hätte be­frieden können. Eugenie machte sich in der Tat Sorgen um Andreas von Kolman. Sie hatte den jungen Husaren als zuverlässig kennen ge­lernt. Dass er nun einfach nicht erschien, ließ Böses ahnen. Zumal der General von Trottwitz an diesem Tag über eine Stunde bei der Kaiserin gewesen war. Etwas braute sich zusammen, davon war die Gräfin fest überzeugt. Doch sie wusste nicht genau, was es war. Und wie sie die­ser schleichenden Gefahr begegnen sollte...

Kurz bevor Eugenie und ihre Nichte ihre Räume verließen, er­schien die Baronin von Saalfeld. Sie trug bereits ein staubgraues Sei­denkleid mit edler Stickerei, das ihre recht gerundete Figur nur leidlich aufbesserte und schien ganz außer sich zu sein. Ihr Gesicht war gerö­tet, ihr Atem ging rasselnd.

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»Was ist denn geschehen, Baronin? Setzen Sie sich, verschnaufen Sie sich einen Augenblick«, bat die Gräfin fürsorglich. »Reserl, hol ein Glas Wasser für die Frau Baronin.«

Diese sank wie ermattet in einen der verspielten, barocken Sessel, die den Salon zierten und murmelte: »Ja, ein wenig Wasser wäre nun angenehm...« Nachdem sie einige Schlucke getrunken hatte, konnte sie wieder ruhiger sprechen. »Liebe Gräfin, Sie müssen einschreiten!« Ihre Augen blitzten entschlossen. »Eben komme ich von ihrer Majestät und muss feststellen, dass sich ihr Zustand sehr verschlechtert hat. Sie ist matt, schwindlig. Kaum, dass sie sich auf den Beinen halten kann. Und doch besteht sie darauf, zum Empfang zu gehen. Das ist doch purer Wahnwitz!«

»Nun, ich denke, ich werde noch ein Wort der Mahnung an ihre Majestät richten«, entschied Eugenie nach kurzer Überlegung. »Aber wenn Sie nichts erreicht haben, liebe Baronin...«

»Ach, Sie wissen so gut wie ich, dass ich wenig Einfluss auf die Kaiserin besitze«, erwiderte die Saalfeld beleidigt. »Nun kommen Sie schon, meine Liebe, eh es zu spät ist!«

»Du wartest hier, Reserl«, entschied die Tante, dann folgte sie der rundlichen Hofdame, die bereits den Salon verlassen hatte. »Und öffne niemandem die Tür, bis ich wieder zurück bin. Es sei denn, der Leut­nant von Kolman erscheint doch noch...«

Das schöne Mädchen versprach es, dann eilte die Gräfin hinter der Baronin her. Sie fand die Kaiserin blass aber beherrscht vor. Eben wurde letzte Hand an ihre haselnussbraune Haarpracht gelegt.

»Gräfin Bruckner, was wünschen Sie? Und Baronin, ich bitte, nicht schon wieder das leidige Thema anzuschneiden! Ich stehe im Begriff, aufzubrechen.«

»Majestät mögen mein unangemeldetes Eindringen entschuldi­gen«, bat Eugenie höflich. »Doch ich hörte, dass Ihr unwohl seid und es schien mir geboten...«

»Was denn? Mich vor mir selbst zu beschützen?« Elisabeth schmunzelte nachsichtig. »Seien Sie nicht immer so besorgt, liebe Grä­fin. Ich bin wieder auf dem Posten und werde mich jetzt zum Empfang begeben. Ich hoffe, Sie sind ebenfalls fertig.«

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»Ich... ja, ich wollte eben meine Räume verlassen, als die Baronin erschien und...«

»Sie sind also die Urheberin dieser Mahnwache.« Die Kaiserin be­dachte die rundliche Hofdame mit einem strengen Blick. »Nun gut, ich sehe es Ihnen nach. Wir alle sind angespannt durch die ungünstigen Umstände dieser Reise. Doch morgen früh, so Gott will, werden wir uns auf die Heimreise ins schöne Wien begeben. Dies sollte Ihnen bei­den ein angenehmer Trost sein.« Sie verließ ihr Ankleidezimmer, die anwesenden Damen beugten ehrfurchtsvoll das Knie, dann beschwerte die Baronin sich: »Sie haben nichts erreicht und mich nur in Misskredit gebracht. Das merke ich mir!«

Eugenie zog es vor, sich einer Antwort zu enthalten. Sie wusste, dass die Baronin streitsüchtig und ungerecht war. Leider hatte sie sich wieder einmal hinreißen lassen, auf eines ihrer Manöver einzugehen. Doch die Gräfin schwor sich, dass dies nicht wieder geschehen sollte. Sie eilte zu ihren Räumen, um ihre Nichte abzuholen. Reserl war sehr angespannt. »Lassen wir den Empfang ausfallen?«, fragte sie gleich als erstes.

»Leider nein, er findet statt, die Kaiserin besteht darauf. Und nun komm, damit wir nicht zu spät sind!«

Der Empfang für alle Würdenträger des Landes fand nicht im kö­niglichen Schloss, sondern in der alten Burg oberhalb der Altstadt von Buda statt. General von Trottwitz war damit überhaupt nicht einver­standen und hatte bis zuletzt auf eine Verlegung ins Schloss gedrängt, allerdings ohne Erfolg. Die alte Burg war weniger gut gesichert als das Schloss, zudem führte ein unübersichtliches Gewirr von schmalen Gas­sen hinauf zu ihr. Für den General, der um die Sicherheit der Kaiserin bemüht war, ein ausgewachsener Alptraum. Doch er ließ sich nichts anmerken, stellte an jedes zweite Haus eine Doppelwache und ließ die Burg ebenfalls sichern wie eine Festung.

Als die Kaiserin eintraf, hielten sich an die zweihundert geladene Gäste im alten Rittersaal auf. Elisabeths Reisestaat war ebenfalls voll­zählig erschienen. Alle schienen sich langsam zu entspannen und den Glanz des Abends zu genießen. Einzig Reserl war unruhig und ließ sei­nen Blick immer wieder schweifen. Sie fragte sich, wo Andreas von

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Kolman war. Warum tauchte er nicht wenigstens jetzt auf? Ihre Sor­gen steigerte sich immer mehr.

»Was ist dir, mein Kind?«, fragte die Gräfin nach einer Weile. »Du bist ganz blass.«

»Ach, ich fühle mich auch nicht gut«, bekannte das schöne Mäd­chen ein wenig bekümmert.

»Gewiss ist es die Angst vor dem Ungewissen, die dir zu schaffen macht. Doch du brauchst dich jetzt nicht mehr zu ängstigen. Hier dro­ben sind wir sicher. Hast du nicht die vielen Soldaten gesehen? Sie schützen nicht nur das Leben der Kaiserin, sondern auch das unsere. Sei ganz unbesorgt, mein Kind, hier kann dir nichts geschehen.«

»Aber ich sorge mich ja um den Leutnant. Wieso ist er nicht hier? Hast du denn nicht gesagt, dass er dich noch aufsuchen wollte? Ihm wird doch nichts zugestoßen sein...«

Die Gräfin warf ihrer Nichte einen strengen Blick zu und mahnte: »Du lässt dich gehen, Reseda, das ist hier und jetzt nicht angemessen. Zudem hat der Leutnant von Kolman dich nicht zu kümmern. Richte deine Aufmerksamkeit lieber auf deine Umgebung und vermeide das Träumen. Es führt zu nichts!«

Das schöne Mädchen senkte bekümmert den Blick und nickte. Es war Reserl leid, dass die Tante ihre Gefühle so gar nicht verstehen wollte. Was war denn so schlimm daran, dass sie Andreas gern moch­te? Mitten in ihre Überlegungen hinein lief ein Raunen durch die Men­ge, das Reserls Aufmerksamkeit weckte. Sie schaute sich um und be­merkte, dass die Tante fort war, zur Kaiserin geeilt. Wie es schien, war diese tatsächlich nicht wohl, denn sie stand überblass und wie erstarrt auf dem Fleck, gestützt von zwei Hofdamen. Reserl wusste nicht, was sie tun sollte. Sie hörte zwei Hofdamen in ihrer Nähe nach den Leib­ärzten fragen. Doch es dauerte nicht lange, bis Eugenie zu ihrer Nichte zurückkehrte.

»Was ist der Kaiserin? Was hat das zu bedeuten?«, fragte Reserl gleich.

»Stell jetzt keine Fragen. Lauf hinaus und rufe den Kutscher. Ihre Majestät muss zurück ins Schloss. Es war eine bodenlose Leichtsin­

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nigkeit, hierher zu kommen. Doch nun muss gehandelt werden, um Schlimmeres zu vermeiden. Also rasch, eile dich!«

»Aber wo finde ich die Kutsche?«, wollte das Mädchen aufgeregt wissen. »Es stehen so viele dort draußen...«

»Die größte, die am nächsten steht, ist die Kutsche der Kaiserin. Sie trägt das Wappen Österreich-Ungarns. Und nun eile dich aber wirk­lich, die Kaiserin braucht dringend Ruhe!«

Reserl nickte und drängte sich wenig damenhaft zum Ausgang. Sie verließ den Rittersaal und eilte über einen langen Gang hinaus zur Freitreppe vor dem Portal. Auf dem kiesbestreuten Platz musste sie sich erst einmal umsehen. Es dauerte aber nicht lange, bis sie die Kut­sche entdeckt hatte. Mit leichten Schritten lief Reserl herzu, gab dem Kutscher Anweisung und schlüpfte in das große, mondäne Gefährt. Al­lerdings musste sie eine Weile warten, bis sie das Schnalzen der Peit­sche hörte und die Pferde sich in Bewegung setzen. Doch was war das? Gleich wurde der Schlag aufgerissen, ein junger Gardesoldat sprang herein und knallte die Tür hinter sich zu. Die Kutsche nahm Fahrt auf, die Pferdehufe polterten den schmalen Weg hinab, fort von der Burg.

Reserl brauchte ein paar Sekunden, um zu gewahren, was hier geschah, begreifen konnte sie es allerdings nicht.

»Was soll denn das? Auf der Stelle halten Sie die Kutsche an und...«, forderte sie, aber der Soldat ging nicht auf ihre Worte ein. Er herrschte sie nur grob an, zu schweigen.

»Sie vergessen sich in jeder Beziehung, ich bin die Nichte der Grä­fin Bruckner und ich fordere...«

»Jetzt halt die Goschen, Madl«, brummte der Soldat unwillig. »Ich bin der Josef Hartlinger. Und wennst es genau wissen willst: Du bist entführt!«

Reserl starrte den Soldaten an, als halte sie ihn für verrückt. »Das... ist doch nicht Ihr Ernst. Was soll denn diese Entführung für einen Sinn haben?«

»Des host doch grad selber gesagt«, erwiderte er in seinem brei­ten, niederösterreichischen Dialekt. »Du bist die Nicht von der Bruck­

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ner. Und die steht der Kaiserin nah. Ergo: Du wirst uns helfen, unser Ziel zu erreichen. Verstanden?«

»Welches Ziel? Ich verstehe gar nichts«, murmelte sie zugleich verängstigt und verwirrt.

Josef Hartlinger bedachte sie mit einem abfälligen Blick. »Die Un­garn wollen frei sein, Madl. Und du wirst ihnen dabei helfen.«

*

Andreas von Kolman wusste nicht, wie lange er ohne Bewusstsein ge­wesen war. Als er aber endlich wieder zu sich kam, brummte sein Schädel, als hause dort droben ein ganzer Schwärm Hornissen. Er blin­zelte, musste husten, denn sein Hals war ganz trocken und schaffte es erst nach mehreren Anläufen, seine Umgebung klar zu gewahren. Ein dreckiger Boden, gestampfter Lehm, der leicht säuerlich roch, ein paar Stuhlbeine aus roh behauenem Holz, das war alles, was er sah. Doch es dauerte nur ein paar Sekunden, bis der junge Husar begriff, wo er sich befand und was geschehen war: Er war in eine Falle gegangen, die drei Kerle, die ihn in der kleinen Hütte überrascht hatten, waren gründlich zu Werke gegangen. Sie hatten ihn nicht nur niedergeschla­gen, sondern auch so geschickt gefesselt, dass er sich kaum bewegen konnte. Andreas bemühte sich, Arme und Beine ein wenig zu rühren, gab dieses Vorhaben allerdings rasch wieder auf, denn er spürte, dass die Schlingen sich dadurch nur noch enger zusammenzogen. Eine ver­hängnisvolle Lage.

Umso mehr, als er wusste, dass wohl gerade jetzt in der Stadt Üb­les im Gange war. Wenn er an die Drohungen der finsteren Burschen dachte, denen er unterlegen war, konnte es daran gar keinen Zweifel geben. Die Kaiserin schwebte in höchster Gefahr. Und es gab nichts, was er, Andreas, dagegen tun konnte. Er hatte versagt, seine Aufgabe nicht erfüllt. Wut und Scham beschlichen ihn. Und zugleich die Sorge um Reseda, die sich nun wohl auch auf dem Empfang in der alten Burg befand. Sollte ihr etwas zustoßen, würde er auf ewig schuldig sein. Sein Herz blutete bei diesem Gedanken. Und doch war seine La­

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ge hoffnungslos, gab es nichts, was er tun konnte, um den Lauf der Dinge noch zu ändern.

Eine Bewegung, die der junge Soldat aus dem Augenwinkel her­aus wahrnahm, lenkte ihn von seinen düsteren Gedanken ab. Er hob ein wenig den Kopf, dachte an die Alte, die ihn in die Falle gelockt hat­te, doch er irrte sich. Eine junge Frau, es war die gleiche, die er bei seiner Ankunft im Dorf gesehen hatte, stand offenbar unschlüssig auf der Türschwelle. Sie beobachtete ihn. Und er sah noch immer die Ab­neigung in ihren Augen. Doch sie schien Mitleid zu haben, sonst wäre sie nicht hierher gekommen. Andreas wagte es, sie anzusprechen.

»Kannst du mir helfen? Ich fürchte, das Seil wird mir auf Dauer die Kehle zuschnüren«, erklärte er ebenso offen wie freundlich. »Es soll dein Schaden nicht sein...«

»Ich nehme kein Geld von Königstreuen«, entgegnete die junge Frau brüsk und wollte sich zum Gehen wenden. Das aber musste And­reas unter allen Umständen verhindern. Er wurde den Eindruck nicht los, dass diese junge Frau seine einzige Chance auf Befreiung war.

»Warte! Hast du kein Herz? Willst du es zulassen, dass ich sterbe? Ich habe keinem Menschen etwas zuleide getan. Und auch wenn ich den Rock der Husaren trage, heißt das nicht, dass ich ein schlechter Charakter bin.«

»Warum hast du denn die Görnys gesucht? Du wolltest sie ausfra­gen und festnehmen. Das ist nicht richtig. Sie sind rechtschaffene Leu­te«, hielt sie ihm überzeugt entgegen.

»Ich wollte nur eine Auskunft von ihnen«, behauptete Andreas, dem die Luft langsam knapp wurde. Hielt er Arme und Beine nicht ständig angespannt, zog sich die Schlinge um seinen Hals weiter zu. Und viel Spiel hatte sie nicht mehr...

Die junge Frau trat etwas näher. Der Husar bemerkte das Messer in ihrer Hand. Er fragte sich gerade, ob dies nun das Ende oder die Be­freiung bedeuten würde, als sie sich über ihn beugte und murmelte: »Ich bin kein schlechter Christenmensch. Und ich sehe auch nicht zu, wie du stirbst. Wenn ich dich jetzt freilasse, ist es eh schon zu spät. Du kannst nichts mehr retten.« Mit einem Ruck schnitt sie seine Fesseln durch.

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Andreas stöhnte erleichtert auf. Er spürte augenblicklich, wie das Blut ihm wieder in Arme und Beine strömte und das taube Gefühl dar­auf vertrieb. Es dauerte aber noch ein paar Minuten, bevor er wieder auf die Füße kam. Und dann drückte die junge Frau ihn auf einen der Schemel.

»Warte, du blutest am Kopf. Ich will zuerst noch deine Wunde versorgen.«

Er schaute sie fragend an. »Du tust viel für mich. Wirst du das nicht bereuen müssen?«

»Man muss alles im Leben bereuen«, erwiderte sie lapidar, rei­nigte die Platzwunde an seiner Stirn mit einem Lappen und Wasser und strich danach etwas Kräutertinktur darauf, die höllisch brannte. Andreas zuckte zusammen, doch die junge Frau ließ ihn wissen: »Das heilt die Wunde. Und es hilft gegen Entzündungen.«

»Wie heißt du?« »Mein Name ist Elena. Aber jetzt muss ich gehen. Hier steht noch

ein Krug Wasser. Wenn du schlau bist, verschwinde rasch von hier. Irgendwann werden die Männer zurückkommen. Und wenn ihr Plan misslungen sein sollte, werden sie ihre Wut an dir auslassen.« Sie wandte sich zum Gehen, Andreas bedankte sich noch für ihre Hilfe, aber sie drehte sich nicht mehr um, verschwand einfach wortlos in der Nacht.

Der junge Husar trank einen kräftigen Schluck Wasser und schaff­te es dann langsam, wieder auf die Beine zu kommen. Er fühlte sich noch immer unsicher und schwindlig. Die Wunde an seinem Kopf pochte dumpf. Doch er konnte und wollte keine Rücksicht auf seinen Zustand nehmen. Wichtiger war es jetzt, zu retten, was noch zu retten war. Vielleicht gelang es ihm ja doch, die Kaiserin zu warnen, vielleicht war das Attentat noch nicht durchgeführt. Er hoffte es von ganzem Herzen. Und als Andreas von Kolman sich wenig später auf seinen Rappen schwang, legte er einen scharfen Ritt nach Budapest vor. Denn er wusste: Nun hatte er in der Tat keine Sekunde mehr zu verlie­ren...

*

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Reserl wähnte sich in einem bösen Traum. Und doch war es die Wirk­lichkeit, das zu begreifen fiel nicht schwer, wenn sie in das stumpfe Gesicht ihres Gegenübers schaute oder auf das Knarren der Kutschrä­der und den schnellen Hufschlag der Pferde lauschte. Man brachte sie fort, sie war entführt!

Diese Gefahr, die von der Tante so eindringlich geschildert worden und die dem schönen Mädchen ganz unbegreiflich erschienen war, hatte sie also ereilt. Reserl konnte es kaum glauben. Eine unaus­sprechliche Angst schlich sich in ihr Herz und machte ihr das Atmen schwer. Wie erstarrt kauerte sie in einer Ecke der Kutsche und starrte den jungen Gardesoldaten an, als halte sie ihn für einen bösen Geist. Josef Hartlinger kümmerte sich nicht um sie. Er schmauchte ein Meer­schaumpfeiferl und döste dabei vor sich hin. Reserl wusste nicht zu sagen, wie lange sie unterwegs gewesen waren, als die Kutsche un­versehens stoppte. Der Soldat sprang hinaus, wechselte ein paar kurze Worte auf Ungarisch mit dem Kutscher und trat dann wieder an den offenen Schlag.

»Steig aus!«, herrschte er das verängstigte Mädchen an. Und als Reserl nicht gleich reagierte, langte er einfach mit seiner groben Hand nach ihrem Arm und zog sie rücksichtslos nach draußen. Reserl wehrte sich verbissen, sie weinte und schrie. Aber der junge Hartlinger ließ sich davon nicht beeindrucken. Er zog sie hinter sich her, auf eine niedrige Hütte zu, die sich bei näherem Hinsehen als Stall entpuppte. Das Mädchen hörte Schweine grunzen, es roch den scharfen Gestank von Mist und es herrschte seinen Peiniger an: »Bei den Schweinen ist wohl eher Ihr Platz, Herr Hartlinger! Lassen Sie mich sofort los.«

Er lachte nur, öffnete die Tür zum Koben und versetzte Reserl dann einen groben Stoß in den Rücken, der sie nach vorne taumeln ließ. Sie stieß einen spitzen Schrei aus, hörte die Schweine quieken und brüllen und landete mitten in einer übel riechenden Lache von Exkrementen.

Ihr Entführer lachte noch lauter, dann fuhr er sie an: »Schweig lie­ber, Madl, sonst könnte es dir schlecht bekommen. Wennst schreist, hört dich hier keiner, der dir wohl gesonnen ist. Und wennst net auf­

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hörst zu schreien, lass ich es mir vielleicht einfallen, wiederzu­kommen...« Er grinste gemein, dann knallte er die Tür zu und schob den hölzernen Riegel vor.

Reserl saß auf dem Boden und weinte. Sie war völlig verzweifelt und hoffnungslos. Wo immer sie sich hier auch befand, gewiss würde niemand ihr helfen. Sie war diesem gemeinen Kerl ausgeliefert, der sich einen Spaß daraus machte, sie zu erniedrigen. Und wenn die Ent­führer nicht erreichten, was sie wollten, dann würde es ihr sicher übel ergehen.

Bei diesem Gedanken lief ein eisiger Schauer durch den schlanken Leib des schönen Mädchens und sein Weinen verstärkte sich noch. Reserl begriff kaum, wie sie innerhalb weniger Augenblicke in eine so schreckliche Lage hatten geraten können. Doch es war geschehen. Und es sah nicht so aus, als dürfte sie auf Rettung hoffen...

Nur wenige Minuten, nachdem Andreas von Kolman das Dorf ver­lassen hatte, brachte die Kutsche der Kaiserin die Entführte. Hätte der junge Husar gewusst, wie knapp er das geliebte Mädchen verpasst hatte, sicherlich wäre er trotz allem auf der Stelle umgekehrt. Doch er ahnte es nicht und hielt im scharfen Ritt auf Budapest zu. Ohne Zö­gern oder Verharren erreichte er schließlich nach kaum einer halben Stunde die Burg. Dort herrschte allerdings bereits heller Aufruhr, der den jungen Husaren das Schlimmste befürchten ließ. Er saß rasch ab, strebte dann auf das Portal zu, doch der Zugang zur Burg wurde ihm von grimmig drein blickenden Soldaten verwehrt. Noch ehe Andreas sich mit der Garde ihrer Majestät auseinandersetzen musste, erschien die Gräfin Bruckner. Sie ebenfalls blass und aufgelöst zu sehen, ver­setzte Andreas das in tiefste Besorgnis.

»Frau Gräfin, was ist geschehen?«, fragte er sogleich atemlos. Eugenie schaute forschend zu ihm auf, im ersten Moment schien

sie den jungen Mann gar nicht zu erkennen. Dann aber erschrak sie ob seiner Wunde und seines derangierten Aussehens.

»Herr Leutnant, was ist Ihnen? Sie schauen aus, als seien Sie in einen Hinterhalt von Buschräubern geraten.«

Der junge Mann lächelte flüchtig und entgegnete: »Ganz ähnlich ist es auch gewesen. Doch ich will nun nicht von mir sprechen. Bitte,

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sagen Sie mir, was geschehen ist. Lebt die Kaiserin, ist sie wohlauf? Oder komme ich zu spät?«

»Die Kaiserin fühlte sich nicht gut, deshalb hat sie den Empfang frühzeitig verlassen. Allerdings ist Reserl fort...« Sie presste ihr Spit­zentüchlein gegen die zuckenden Lippen, denn die Tränen um die ge­liebte Nichte wollten schon wieder fließen.

»Reserl? Was hat das zu bedeuten?« Die Gräfin brauchte einen Augenblick, um sich wieder zu fangen,

dann berichtete sie: »Da ihre Majestät unwohl war, schickte ich meine Nichte, um die kaiserliche Kutsche vorfahren zu lassen. Doch Reserl kam nicht zurück. Also forschte ich nach, musste feststellen, dass die Kutsche fort war, der Kutscher aber lag bewusstlos am Boden. Er konnte nichts berichten, außer dass ihn einer von hinten nie­dergestreckt hatte. Doch er meint, zuvor einen der Gardesoldaten in der Nähe der Kutsche gesehen zu haben. Ich... begreife das alles nicht! Es scheint, als habe man die Kaiserin gemeint und Reserl ent­führt. Dabei muss den Schurken doch sogleich der Unterschied be­wusst geworden sein. Trotzdem ließen sie meine Nichte nicht wieder frei. Ach, Herr Leutnant, ich mache mir die schlimmsten Sorgen!«

Andreas grübelte nach. Obwohl ihm das Herz im Leibe schmerzte und die Angst um das geliebte Mädchen ihn schwindlig machte, muss­te er ihr doch nun helfen. Und das konnte er nur, wenn er logisch nachdachte. »Sie sagten, ein Gardeoffizier war in der Nähe der Kut­sche, bevor sie entführt wurde?«, vergewisserte er sich. Und als die Gräfin nickte, fuhr er fort: »Gewiss hatte er dort nichts Reelles zu su­chen, sonst wäre er dem Kutscher nicht aufgefallen. Das heißt, er steckt mit den Entführern unter einer Decke...«

»Sie denken an diesen einen, nach dem ich den General gefragt habe, wie hieß er noch gleich? Haberstroh, Haterlinger...« Sie dachte nach, während Andreas sich schon wieder zum Gehen wandte. Die Gräfin verstummte konsterniert. »Wohin wollen Sie, Herr von Kolman? Ist das eine Art, eine Dame einfach stehen zu lassen ohne Erklärung?«

»Bitte, verzeihen Sie, wenn ich es eben an Sitte und Anstand mangeln ließ. Doch ich ahne, was Ihrer Nichte zugestoßen ist. Und ich

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glaube sogar zu wissen, wo Reseda sich aufhält. Aber ich muss rasch fort. Auf bald!«

Eugenie blickte dem jungen Mann verwirrt hinterher. Doch sie mochte ihm auch keine Vorwürfe für sein unpassendes Verhalten ma­chen. Schließlich war dies eine Ausnahmesituation. Und wenn es ihm gelang, ihre Nichte zu befreien, dann würde die Gräfin dem Herrgott auf Knien dafür danken...

Andreas hatte sich bereits auf den Weg zu General von Belas ge­macht. Wenn seine Vermutungen zutrafen, galt es nun, zu handeln. Reseda schwebte in höchster Gefahr. Und der junge Mann würde sich ewig Vorwürfe machen, wenn er nun nicht zu ihrer Rettung eilte...

Der General hatte den jungen Husaren bereits erwartet. Er zuckte leicht zusammen, als er Andreas sah. Dieser grinste schief und ge­stand: »Ich bin wohl ein wenig zu nah an die Verschwörer herange­kommen. Leider hat man mich überrumpelt und für eine Weile schachmatt gesetzt. Sonst wäre ich schon sehr viel früher wieder hier gewesen...«

»Sie wissen, was passiert ist?« »Ja, die Nichte der Gräfin Bruckner ist entführt worden. Doch ich

bin fast sicher, dass es die gleichen Kerle waren, die mich in die Falle gelockt haben. Ich werde sie stellen und...«

»Sie werden nichts dergleichen tun«, unterbrach der General ihn knapp. »Die Entführung der kleinen Bruckner war nur ein Ablen­kungsmanöver. Die Kaiserin ist nur knapp einem Attentat auf ihr Leben entronnen. Vor dem königlichen Palast lauerten die wahren Schurken. Doch Trottwitz hat schlau gehandelt und auch dort die Wachen ver­doppelt. Die Kerle konnten zwar fliehen, ich bin jedoch überzeugt, dass man sie im Handumdrehen dingfest wird machen können.«

Andreas war blass geworden. Entschlossen verlangte er: »Ich muss den Trupp anführen, ich weiß, wohin sie wollten, da bin ich ganz sicher. Und wenn wir nicht vor ihnen dieses Dorf erreichen, wird es Reseda von Bruckner schlecht gehen.«

Der General musterte sein Gegenüber forschend. Wie es schien, war Andreas nicht mehr nur mit dem Verstand, sondern nun auch mit

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dem Herzen bei der Sache. Und von Belas wusste nicht, was er davon halten sollte.

»Sie sorgen dafür, dass die Kaiserin Ungarn sicher verlassen kann«, wies er nun den jungen Husaren streng an. »Es bleibt keine Zeit für eine romantische Rettungsaktion, wie sie Ihnen vielleicht vor­schwebt. Der Weg über die Schiene versagt sich von selbst, zu groß ist die Gefahr eines Bombenattentats. Deshalb wird man in Kutschen rei­sen. Der Konvoi startet in weniger als einer Stunde. Und Sie werden ihn führen.«

Andreas wollte heftig widersprechen, aber er ahnte, dass er damit wenig Erfolg haben würde. Einen Befehl, den der General ihm gegeben hatte, zu missachten, war zudem undenkbar für ihn. Doch es musste einen Weg geben, die Pflicht des Herzens mit der des Uniformrocks zu verbinden...

*

»Bitte, Gräfin, Sie müssen mitkommen. Ihre Majestät bedarf jetzt drin­gend Ihrer Gesellschaft und auch Ihres Trostes. Sie fragt schon die ganze Zeit nach Ihnen!« Die Baronin Saalfeld rang die Hände. »Ach, es ist aber auch eine unaussprechliche Tragödie, die Ihrer armen, bedau­ernswerten Nichte widerfahren ist. Sie können sich gar nicht vorstel­len, wie sehr...«

»Schon gut, ich komme.« Eugenie straffte sich. Das Letzte, was sie jetzt hören wollte, waren die salbungsvollen Worte der Baronin, die doch nur sensationslüstern aufs Spionieren aus war.

Sie schien fast ein wenig enttäuscht vom raschen Nachgeben der Gräfin, denn auf dem Weg zu Elisabeths Gemächern beschwerte sie sich: »Mir vertraut ja niemand, auch wenn ich noch so oft beteuere, wie groß mein Verständnis und meine Nachsicht sind. Aber aus einem unerfindlichen Grund zieht die Kaiserin Ihre Gesellschaft stets der mei­nen vor. Ein wenig kränkend ist das schon.«

»Vielleicht durchforschen Sie Ihr Herz einmal nach den möglichen Gründen«, riet die Gräfin ihr kühl. »Sie sind nicht einmal so weit her­

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geholt, dessen bin ich sicher.« Sie klopfte und trat nach entsprechen­der Aufforderung ein, während die Baronin beleidigt zurückblieb.

Die Kaiserin war bereits in Reisekleidung, doch sie bat die Gräfin, sich zu ihr zu setzen. »Ich habe ein unaussprechlich schlechtes Gewis­sen Ihnen gegenüber, meine liebe Gräfin«, erklärte sie ernsthaft. »Wie von Trottwitz mir sagte, wurde Reseda im Zusammenhang mit dem Attentat auf mich entführt, quasi als Ablenkungsmanöver. So etwas hätte niemals geschehen dürfen.«

Eugenie senkte nun den Blick und betrachtete angelegentlich ihre gepflegten, schmalen Hände. »Zunächst einmal muss ich Euch versi­chern, wie unendlich erleichtert mein Herz ist, dass Euch nichts zuge­stoßen ist. Das Schicksal meiner Nichte liegt nun in Gottes Hand. Ich bin überzeugt, Er wird sie nicht verderben lassen.«

»Wir werden nicht eher aufbrechen, bis Reseda wieder bei uns ist«, entschied die Kaiserin mit Nachdruck. »Ich habe bereits ent­sprechende Order gegeben. Alle verfügbaren Kräfte haben sich der Suche nach Ihrer Nichte anzuschließen.« Sie bemerkte, dass die Gräfin widersprechen wollte und fuhr besonnen fort: »Ich bin mir der Gefah­ren, die eine verzögerte Abreise birgt, durchaus bewusst. Doch es muss sein. Sie können mein Gewissen nicht mit der Frage nach dem Schicksal dieses jungen Lebens belasten.«

Eugenie von Bruckner seufzte tief. »Ihr könnt gewiss ermessen, was es für mich bedeutet, meine Nichte in den Händen dieser Mord­buben zu wissen, Majestät. Und ich würde Euch nichts höher anrech­nen, als dass Ihr Euer Mitgefühl so praktisch zeigt. Doch es stehen gravierendere Interessen, die gleich zweier Länder Schicksale betref­fen, über meinen persönlichen Gefühlen. Deshalb käme es mir nie in den Sinn, ein solches Anerbieten an Euch zu richten. Und ich möchte Euch zudem auch noch einmal dringend gemahnen, nichts über die Staatsräson zu stellen.«

Die Kaiserin lächelte milde. »Spielen Sie jetzt nicht die Märtyrerin, liebe Gräfin, denn diese Rolle käme zur Unzeit. Ich selbst mache es mir zum Vorwurf, was Ihrer Nichte geschah. Und ich werde keine Ruhe finden, bis ich Reseda in Sicherheit weiß. So jetzt kein Wort mehr dar­über. Ich kenne Ihre Verschwiegenheit und war deshalb ganz offen zu

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Ihnen. Das bedeutet allerdings nicht, dass Sie die anderen Hofdamen unbedingt instruieren müssen. Sie werden noch früh genug erfahren, was gespielt wird.«

Die Gräfin nickte und neigte dann das Haupt, eh sie die Kaiserin verließ. Sie empfand tiefe Dankbarkeit für die hochgestellte Frau, die doch so mitfühlend und verständig auch den kleinsten Kummer ihrer Untertanen erspürte und zu beseitigen trachtete.

Aber ob alle Suchaktionen Eugenie ihr Reserl zurückbringen konn­ten, das wagte diese doch kummervollen Herzens zu bezweifeln. Und dabei ahnte die Gräfin nicht, dass sich just in diesem Moment ein klei­ner Trupp Husaren auf dem Weg zur Rettung ihrer Nichte befand...

Andreas von Kolman wollte nicht ruhen, bevor er nicht etwas zur Befreiung des geliebten Mädchens unternommen hatte. Er war eine Weile ruhelos in seiner Stube in der Kaserne auf und ab marschiert, bis ihm schließlich ein Gedanke gekommen war: Er würde zwei Kamera-den zu Stillschweigen verpflichten und bitten, ihn zu begleiten. Wenn sie einen strammen Ritt hinter sich brachten, konnte die Befreiung der Entführten noch innerhalb der Frist geschehen, die General Belas bis zur Abreise der Kaiserin genannt hatte. Andreas setzte seinen Plan sofort in die Tat um. Schon kurze Zeit später verließen die drei jungen Husaren die Kaserne und trieben ihre Pferde zum scharfen Galopp an. Der Leutnant ahnte, dass es ihnen nicht mehr gelingen würde, das Dorf vor den erfolglosen Attentätern zu erreichen. Er konnte nur be­ten, dass Reseda nichts zustieß, bevor er bei ihr war. Allein diese Vor­stellung brachte ihn beinahe um den Verstand.

Es war eine sternklare Nacht, der Himmel wölbte sich wie mit un­gezählten Diamanten bestickt über das ungarische Tiefland. Ge­heimnisvoll glänzte das breite Band der Donau und in den Gebüschen am Wegesrand gloste das heimliche Licht der Glühwürmchen. Andreas von Kolman hatte für all das keinen Blick. Erst als die matten Lichter des nahen Dorfes zu erkennen waren, atmete er ein wenig auf. Im­merhin hatten sie ihr Ziel beinahe erreicht...

Vor der kleinen Ortschaft ließ der Leutnant absitzen. Er führte den Dreiertrupp an, schärfte seinen Kameraden ein, keinen unnötigen Laut zu verursachen und sehr vorsichtig zu sein. Auch wenn sie die Revolu­

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tionäre am liebsten mit großem Getöse niedergekämpft hätten, so mussten sie doch in erster Linie an Reseda von Bruckner denken. Be­vor die Entführte nicht in Sicherheit war, durften keine unnützen Risi­ken eingegangen werden. Andreas gab sich sehr umsichtig. Er schlich sich im Schutz der Dunkelheit an die Hütte heran, in der er schon ein­mal in eine Falle gelaufen war. Das sollte ihm dieses Mal nicht passie­ren! Seine beiden Begleiter schwärmten aus. Von drei verschiedenen Standpunkten aus hatte man den besten Überblick.

In der Hütte brannte Licht, man hörte deutlich die aufgeregten Stimmen, die sich drinnen stritten. Der Leutnant musste sich nicht ein­mal sonderlich anstrengen, um zu verstehen, worum es bei dem Dis­put ging. Natürlich um den misslungenen Anschlag auf das Leben der Kaiserin! Und auch um Reseda...

»Was ist sie jetzt noch wert, da alles verloren ist?«, fragte einer und lachte abfällig. »Wir bringen sie einfach um, das wird ihnen eine Lehre sein!«

Andreas zuckte leicht zusammen wie unter einem Schlag. Er ballte die Hände zu Fäusten, denn Wut und Hass auf diese Schurken droh­ten, ihn zu überwältigen. Doch er musste ruhig bleiben, den rechten Moment abwarten. Sonst war Reseda verloren...

»Unsinn«, meldete sich ein anderer zu Wort. Der junge Husar er­kannte an der Stimme den Kerl, der ihn niedergeschlagen hatte. Er schien der Anführer zu sein, denn seine Worte blieben unwiderspro­chen. »Wir belasten uns nicht mit einem überflüssigen Mord. Das wür­de unseren Feinden nur helfen, uns als Monster hinzustellen. Wir ver­schwinden von hier. Aber das Mädchen nehmen wir mit. Als Geisel und Pfand für unsere Sicherheit.«

Einige murrten, doch offener Widerstand regte sich nicht. Der An­führer gab einem der Kerle die Anweisung, das Mädchen zu holen. Das war der Moment, auf den Andreas die ganze Zeit gewartet hatte. Er schlich zur Hüttentür und wartete. Es dauerte nur ein paar Augenbli­cke, bis einer der Kerle, ein grobschlächtiger Hüne mit dichtem Bart ins Freie trat. Er steuerte schnurstracks auf einen kleinen, niedrigen Verschlag zu, der wie ein Stall aussah. Als er die Tür öffnen wollte, gab Andreas seinen Kameraden das Zeichen; zu dritt drangen sie auf den

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Kerl ein und hatten ihn innerhalb weniger Minuten außer Gefecht ge­setzt. Der Leutnant zog den groben Riegel zurück, die Tür schwang nach außen. Gestank und Schweinegrunzen drang ihnen entgegen. Aber noch etwas anderes. Im schwachen Licht einer Sturmlaterne sah der junge Husar eine Gestalt, die am Boden kauerte, kaum einen Me­ter von der Tür entfernt. Sein Herz schien einen Schlag zu übersprin­gen, als er Reseda erkannte. Mit tränennassen Augen und völlig ver­ängstigt blickte sie zu ihm auf und schien kaum zu begreifen, dass er tatsächlich hier war, gekommen, sie zu retten.

»Fräulein Reseda, sind Sie wohlauf?« Andreas erkannte seine ei­gene Stimme kaum, die aufwallenden Gefühle drohten, ihn ganz um seine Fassung zu bringen.

»Herr Leutnant, Sie...« Sie wollte aufstehen, doch die Knie waren zu schwach. Rasch war er bei ihr und nahm sie auf seine starken Ar­me, um sie ins Freie zu tragen. Wie erwachend schaute sie ihn an, dann legte sie den Kopf an seine Schulter und schloss die Augen. Es war eine naive Geste, die Schutz und Trost suchte und doch berührte sie das liebende Herz des jungen Mannes tief. Doch lange Zeit blieb ihm nicht, sich seiner Gefühle bewusst zu werden, denn die Feinde hatten bereits gemerkt, dass etwas nichts stimmte und gingen sofort zum Angriff über. Andreas gebot dem schönen Mädchen, sich noch einmal im Stall zu verstecken, denn er wollte sie beim Kampf in Si­cherheit wissen. Dann ging es auch schon los. Mit Dreschpflegeln und Stangen gingen die Bauernburschen auf die jungen Husaren los. Diese wussten sich aber mit dem Säbel so geschickt zu verteidigen, dass das Getümmel sich rasch auflöste. Obwohl die Soldaten in der deutlichen Minderzahl waren, siegten sie doch überlegen. Allerdings musste And­reas bald feststellen, dass die drei Kerle, die ihn in die Falle gelockt hatten, nicht unter den Gefangenen waren. Sie hatten sich rechtzeitig aus dem Staub gemacht, um ihrer gerechten Strafe zu entgehen. Dar­um konnte der Leutnant sich nun aber nicht mehr kümmern, denn er musste auf schnellstem Wege zurück in die Stadt. Die von General Belas gesetzte Frist war beinahe verstrichen. Doch er hatte sein Ziel erreicht, Reseda, das geliebte Mädchen war befreit!

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Der Leutnant von Kolman gab seinen Kameraden Anweisung, die Gefangenen im Tross nach Budapest zu bringen, wo der Kerker auf sie wartete. Dann führte er Reserl aus dem Stall und hob sie auf sein Pferd. Eh die beiden sich auf den Weg machten, rief einer der Ge­fangenen ihnen zu: »Das wirst du noch bereuen, Husar! Unsere Rache wird dich treffen!«

Reserl schauerte bei dieser offenen Drohung zusammen, doch An­dreas beruhigte sie mit den Worten: »Das ist nur ohnmächtige Wut, denn er weiß, dass seine Sache verloren ist.« Dann gab er seinem Rappen die Sporen und fort ging es im eiligen Galopp.

*

Eugenie von Bruckner war überglücklich, ihre Nichte wohlbehalten in die Arme schließen zu können. Die sonst so beherrschte Hofdame lachte und weinte in einem Atemzug, denn die Erleichterung schien ihr beinahe die Sinne zu benebeln. Auch dass Reserl einen nicht eben sehr angenehmen Geruch mit sich brachte, schien die Gräfin nicht zu stö­ren. »Du bist wieder da, dem Herren sei gedankt! Und auch deinem tapferen Retter, der so viel für dich aufs Spiel gesetzt hat.« Sie drückte dem Leutnant herzlich die Hand und ließ ihn wissen: »Die Kaiserin hat angeordnet, dass wir erst abreisen, wenn Reserl wieder bei uns ist. Ihre mutige Tat ist also von höchster Stelle abgesegnet.«

»Das beruhigt mich ein wenig, doch nicht vollends. Ich werde meinem General Rede und Antwort stehen müssen.«

»Doch nicht jetzt. Wir brechen auf. Und wie ich hörte, werden Sie und Ihre Kameraden uns begleiten.«

Andreas zeigte sich nicht überrascht, war er doch bereits von Ge­neral Belas instruiert worden. Sein Blick streifte liebevoll Reserl, die noch immer nah bei ihm stand, als wähnte sie sich noch in Gefahr. »Ich muss mich trotzdem in der Kaserne abmelden. Doch ich kehre innerhalb kurzer Frist zurück«, versprach er und verabschiedete sich dann knapp.

Nachdem der junge Husar gegangen war, riet Eugenie ihrer Nich­te: »Du solltest noch ein Bad nehmen und dich umkleiden. Mein liebes

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Kind, ich will dir ja nicht zu nahe treten, doch du riechst, als hättest du mit den Schweinen gesuhlt.«

Reserl musste lachen und es klang wie befreit. »Das habe ich ja auch, Tanterl! Du wirst es nicht glauben, wenn ich dir schildere, was ich erleben musste. Ich hatte bereits alle Hoffnung auf eine Rettung fahren lassen, als der Leutnant plötzlich vor mir stand und mich sicher zurück zu dir brachte. Ach, Tante, er ist ein ganz besonderer Mensch, der Andreas von Kolman. So einer ist mir mein Lebtag noch nicht be­gegnet.« Das schöne Mädchen errötete heftig, als es dem wissenden Blick der Tante begegnete und murmelte betreten: »Ich werde deinem Rat folgen und noch ein Bad nehmen. Denn so kann ich gewiss nicht die Heimreise antreten...«

Eugenie nickte nur und schaute ihrer Nichte wohlwollend, aber auch ein wenig wehmütig nach. Wenn sie Reserl betrachtete, glaubte sie sich an die eigene Jugend erinnert, an ihre Liebe zu einem Leut­nant des k. und k. Hofregiments, der ebenso schneidig und fesch ge­wesen war wie der junge Husar, der das Herz ihrer Nichte gestohlen hatte. Damals hatte ihre Liebe keine Erfüllung finden können, denn der geliebte Mann war in der Schlacht gefallen. Auch auf Reserl und And­reas lauerten mancherlei Gefahren und bedrohten die zarte Liebe, die in ihren jungen Herzen erblüht war. Ob es für das heimlich verliebte Paar zu einem guten Ende kommen konnte, schien tatsächlich noch ganz ungewiss. Doch Eugenie hoffte sehr, dass ihre Nichte mehr Glück haben würde als sie in ihren Jugendjahren...

Während Reserl sich wieder menschlich machte, sprach Andreas von Kolman bei General Belas vor. Der junge Mann war bereits auf einen unfreundlichen Empfang vorbereitet, denn schließlich hatte er mit seiner heimlichen Befreiungsaktion gegen den ausdrücklichen Be­fehl seines Vorgesetzten gehandelt. Allerdings zeigte Geza von Belas sich verständnisvoll.

»Sie haben wenig besonnen, dafür aber sehr erfolgreich agiert«, stellte der General nicht unfreundlich fest. »Und ich kann Ihre Motive durchaus nachvollziehen, mein lieber Junge. Allerdings wird Ihnen be­wusst sein, dass zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal über Ihr Verhalten zu sprechen sein wird.«

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Andreas nickte stumm. »Momentan haben wir jedoch andere Sorgen. Die Kaiserin muss

schnellstmöglich unser Land verlassen, bevor die Attentäter erneut ihr Glück versuchen. Mir liegen Meldungen vor, wonach am Schienennetz Sprengungen vorgenommen wurden. Scheinbar wahllose Überfälle auf Reisende lassen nichts Gutes vermuten. Unser Land wird in Chaos und Anarchie versinken, wenn es uns nicht gelingt, diese Aufrührer und Unruhestifter endlich dingfest zu machen. Ich bin allerdings überzeugt, dass die Lage sich entspannen wird, wenn die Kaiserin erst wieder in Wien ist. Dann werden wir rasch Herr der Lage sein und wieder Ord­nung schaffen können. Sie begleiten also den Konvoi. Meiden Sie die Hauptreiserouten, fahren sie nur des Nachts. Wenn Ihr Auftrag erfüllt ist, kommen Sie stehenden Fußes zurück nach Budapest. Niemand kann sagen, wie es in wenigen Tagen hier aussehen wird, ob die Lage sich tatsächlich entspannt oder noch verschärft.«

»Sie rechnen mit einem Bürgerkrieg?« »Ich weiß es nicht, doch wir müssen auf alles vorbereitet sein. Der

Unmut der armen Landbevölkerung braucht nur einen Anstoß, um sich zu entladen. Und die Attentäter sind noch frei. Das bedeutet, Sie müs­sen besonders vorsichtig sein...«

Andreas versicherte: »Ich werde alles tun, um Gesundheit und Le­ben ihrer Majestät zu schützen.«

»Das weiß ich, deshalb habe ich Sie auch für diese Aufgabe aus­gewählt, Andreas. Und nun: Gottes Segen und viel Glück!«

Der junge Husar verabschiedete sich ein wenig erleichtert von sei­nem Vorgesetzten. Dass dieser ihm seine Eigenmächtigkeit nachsah, zeigte, wie hoch Geza von Belas ihn einschätzte. Zugleich beschlich ihn aber ein mehr als ungutes Gefühl. Die drei Kerle, die ihn in der Hütte niedergeschlagen und gefesselt hatten, waren noch auf freiem Fuß. Gewiss würden sie nicht eher ruhen, bis sie ihr Ziel doch noch er­reichten. Und das bedeutete für Andreas, gleich doppelt aufmerksam und vorsichtig zu sein...

*

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Tatsächlich hatten die Revolutionäre noch längst nicht aufgegeben. Ihre Flucht vor dem Kampf mit den Husaren war wohlüberlegt gesche­hen. Der Anführer hatte seine beiden Kumpane angetrieben, so rasch wie möglich aus der Nähe des Dorfes zu verschwinden. Diese hätten sich lieber aufs Kämpfen eingelassen, aber ihr Anführer hatte Wichti­geres im Sinn. Als sie sich schließlich in einem fast undurchdringlichen Waldgebiet nordöstlich der Stadt verschnaufen, brachte er die Sprache darauf.

»Wir sind keine Feiglinge, aber wenn man uns fängt, können wir der guten Sache nicht mehr dienen«, belehrte er seine Kumpane. »Al­lein deshalb mussten wir fliehen.«

»Aber wir hätten den Kameraden helfen und vielleicht gewinnen können«, warf einer der beiden anderen ein.

»Die Husaren sind verdämmt gute Kämpfer. Wir wären ihnen un­terlegen und in den Kerker gewandert.« Der Anführer grinste kalt. »Und von dort aus hätten wir die Kaiserin nicht töten können, oder?«

»Das können wir sowieso nicht, sie ist sicher längst wieder in Wien und...«

»Halt's Maul!«, blaffte der Boss. »Und hör gefälligst zu, was ich euch sage. Die Kaiserin ist noch hier. Sie wird erst heute Nacht Bu­dapest verlassen. Und wir folgen ihr...«

»Was hast du vor, Istvan? Du hast doch einen Plan!« Der Anführer gab sich selbstsicher. »Natürlich habe ich den. Nach

dem ersten Attentat ist das Militär vorsichtig geworden. Sie werden die Kaiserin auf Nebenstraßen nach Wien bringen, die sie für sicherer hal­ten. Diese Straßen sind aber sehr schmal und teilweise auch abgele­gen. Ideal also, um es noch einmal zu versuchen. Niemand wird ihnen helfen. Und wir bewaffnen uns richtig, bevor wir angreifen.«

»Das klingt gut. Aber können wir es zu dritt schaffen?« »Selbstverständlich. Wichtig ist nur, dass die Kaiserin stirbt. Was

danach mit uns geschieht, braucht keinen zu kümmern. Wenn wir un­sere Aufgabe erfüllen, wird unser Land bald frei sein. Versagen wir aber, dann gibt es für Ungarn keine Hoffnung mehr. Das Schicksal unseres Vaterlandes liegt nun in unseren Händen!«

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Mit solchen beschwörenden Reden stimmten die Freiheitskämpfer sich auf die neuerliche Konfrontation ein. Während sie im Wald darauf warteten, dass der Tross der Kutschen sich näherte, ritt Andreas von Kolman neben der Kutsche der Gräfin Bruckner. Er mochte sich einfach nicht von Reserl trennen, allein das Wissen, dass sie ihm nah war, machte ihn glücklich. Zugleich richtete sich seine ganze Aufmerksam­keit aber auf die Umgebung, die zunehmend unübersichtlich wurde. Der Befehl, sich auf Nebenstraßen zu halten, schien auf der ersten Blick sinnvoll. Auf der Schiene oder der breiten Reisestraße zwischen Budapest und Wien wäre der Tross bereits von weitem aufgefallen. Hinter Kurven und mächtigen alten Baumriesen verschwand eine Kut­sche bei Gefahr rasch. Doch auf der anderen Seite war es hier für ei­nen Attentäter auch um vieles leichter, sich zu verstecken und auf die Reisenden zu lauern. Es war und blieb ein wenig Russisches Roulette, was hier gespielt wurde. Andreas bewunderte die stolze Haltung der Kaiserin, die weder Furcht und Zaudern zeigte. Obwohl der gesamte Staatsbesuch ihr mit all seinen Schrecken sehr zugesetzt haben muss­te, verlor sie doch in keinem Augenblick ihre Contenance.

Der Plan sah vor, bis zum Morgengrauen zu fahren und dann eine längere Rast einzulegen. Man wollte eine Schenke nahe dem Ort Tata­bánya erreichen, die genügend Gastzimmer besaß, um den gesamten Reisestaat aufzunehmen. Andreas hoffte sehr, dass sie diese erste Etappe ohne Zwischenfall hinter sich bringen konnten. Doch es schien ungewiss, ob dies glücken konnte. Immer wieder ließ er den Blick über die Umgebung schweifen. Es war eine mondhelle Nacht, der Himmels­trabant stand voll und gelblich am tiefschwarzen Firmament, begleitet von ungezähltem Sternengeflimmer. Eine romantische Frühsommer­nacht, wie gemacht für verliebte Herzen. Ein wenig wehmütig wurde es dem jungen Mann bei diesem Gedanken ums Herz. Wie gern hätte er die Nacht bei einem Spaziergang mit Reserl verbracht und dem ge­liebten Mädchen seine Zuneigung gestanden. Doch es war ja ganz un­möglich, denn sie schwebten noch immer in großer Gefahr. Andreas musste warten, sich bescheiden. Aber er wollte jedes Opfer auf sich nehmen, denn er spürte, dass seine Liebe zu Reserl dies tausendmal wert war.

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Von Zeit zu Zeit wechselten die begleitenden Soldaten ihre Positio­nen innerhalb des Trosses. Andreas schloss nun langsam zur Spitze auf, auch wenn er sich nur ungern aus Reserls Nähe begab. Doch sei­ne Aufgabe musste an erster Stelle stehen, ihr war alles andere unter­zuordnen und nichts durfte den jungen Leutnant von seiner Pflicht ab­lenken.

»Alles scheint ruhig«, mutmaßte ein österreichischer Leutnant, als der Husar sich ihm näherte. »Wir können...« Weiter kam er nicht, denn mitten in sein letztes Wort hinein knallte eine Büchse. Noch ehe Andreas recht begriff, was geschah, sank sein Nebenmann erbleichend vom Pferd. Ein tödlicher Schuss hatte ihn mitten ins Herz getroffen.

Es dauerte nur wenige Sekunden, dann reagierte General von Trottwitz. Er ließ den Zug halten, postierte seine Männer schützend um die Kutschen und verteilte den Rest auf der Suche nach dem Schur­ken, der geschossen hatte. Andreas saß ab, zückte seinen Säbel und drang ins Unterholz vor, das neben dem Weg aufwuchs. Er trug kein Licht, doch der Mond schien so hell, dass er seine Umgebung recht gut erkennen konnte. Ganz in seiner Nähe rauschte es im Gebüsch. Er­stickte Kampflaute wurden hörbar. Der junge Husar zögerte nicht. Er eilte, seinem Kameraden beizustehen und kam gerade zur rechten Zeit. Ein junger Husar rang mit einem finsteren Gesellen, der offen­sichtlich bereits die Oberhand gewonnen hatte. Sofort griff Andreas in den Kampf ein und konnte ihn bald für sich entscheiden. Der Schurke wurde bezwungen und zum Tross gebracht, wo sich bereits einer sei­ner Kumpane in der Obhut des Generals befand.

»Einer ist entflohen«, erklärte von Trottwitz ungehalten. »Diese Kerle sind wie Ratten, sie brauchen nur ein Loch, um darin zu ver­schwinden.«

»Sollen wir ihn verfolgen?«, fragte Leutnant von Kolman, erhielt aber eine abschlägige Antwort.

»Das hätte wenig Sinn. In dem unwegsamen Gelände und bei Nacht ist er uns überlegen, denn gewiss kennt er sich bestens aus. Diese beiden hier müssen nach Budapest. Stellen Sie zwei Ihrer Män­ner ab, die dies übernehmen. Und dann müssen wir weiter, sonst er­reichen wir unser Ziel nicht vor dem Morgen...«

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Andreas tat, wie ihm befohlen, dann schaute er aber noch in der Kutsche von Eugenie von Bruckner vorbei. Er wollte sich einfach ver­gewissern, dass dem heimlich geliebten Mädchen nichts geschehen war. Reserl lächelte ihm lieb zu und ließ ihn wissen: »Ich bin froh, dass Sie wieder wohlbehalten bei uns sind. Wir haben uns nämlich sehr um Sie gesorgt, Herr Leutnant.«

»Aber was soll mir denn geschehen? Unkraut vergeht nicht«, meinte er betont gleichmütig.

»Unkraut vielleicht nicht. Doch Sie haben viele Gefahren zu durch­stehen. Das ist bewundernswert...« Sie senkte verlegen den Blick, als er ihre Rechte nahm und einen galanten Kuss darauf hauchte. »Meine Empfehlung an die Frau Tante.«

Eugenie, die sich schlafend gestellt hatte, mahnte ihre Nichte nun: »Mach es ihm bloß nicht zu leicht, sonst wird er noch übermütig wer­den.«

Das schöne Mädchen erschrak und errötete tief. »Tanterl, du hast gelauscht? Das gehört sich aber gewiss net!«

Die Gräfin lachte. »Manchmal muss man zu einer kleinen Un­gehörigkeit greifen, um über alles, was wichtig ist, Bescheid zu wis­sen.« Sie streckte die Hände nach ihrer Nichte aus und bat: »Setz dich zu mir, mein Kind, ich möchte was mit dir bereden.«

Reserl schaute sie fragend an. »Wenn's wegen dem Leutnant ist, dann kannst du ganz unbesorgt sein, es ist nichts gewesen zwischen uns. Er hat mir nur die Hand geküsst.«

»Ja, ich weiß. Aber mir geht es um was anderes. Schau, deine El­tern haben sich wohl nicht viele Gedanken über das gemacht, was du dir wünschst. Ein junges Madl vom Land, das hat zu heiraten und zwar eine angemessene Partie. Dagegen ist im Allgemeinen ja auch nichts zu sagen. Nur in deinem Fall wäre es eben fatal gewesen, weil dein Bewerber dir gar so zuwider war. Jetzt hast du dein Herz verloren, das ist offensichtlich.« Sie merkte, dass die Nichte ihr widersprechen wollte und fuhr entschieden fort: »Du musst nicht leugnen, es ist auch nicht schlimm. Im Gegenteil. Der Leutnant von Kolman ist ein sympathischer junger Mann, der dich gewiss glücklich machen könnte. Nur etwas solltest du dabei nicht vergessen: Die Lage in seinem Heimatland ist

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unsicher, wie uns gerade eben wieder vor Augen geführt worden ist. Wenn wir daheim sind, wird er umkehren müssen. Die Kaserne in Bu­dapest ist sein Zuhause. Und vielleicht werdet ihr euch lange nicht wieder sehen...« Sie bemerkte den betrübten Blick ihrer Nichte und fügte noch begütigend hinzu: »Ich will dich nicht mutlos machen, mein Kind. Doch mir scheint, du bist in diesen Dingen noch ebenso uner­fahren wie naiv. Und ich möchte nicht, dass du unglücklich wirst, weil du vielleicht von etwas träumst, das sich in der Wirklichkeit gar nicht erfüllen kann.«

»Du hast schon recht, Tanterl, ich mag den Andreas sehr. Aber ich weiß ja nicht einmal, ob er auch so fühlt. Denn gesagt hat er mir nichts, kein Wort.«

»Dann glaub den Augen einer Frau mit Lebenserfahrung: Er hat dich auch gern. Und zwar sehr.«

Das schöne Mädchen lächelte ein wenig, wurde aber gleich wieder ernst. »Wenn das stimmt, was du sagst, Tante, dann werde ich mein Herz in beide Hände nehmen und tun, was nötig ist.« Ihre veil­chenblauen Augen schauten die Gräfin wild entschlossen an. »Ich würde dem Andreas überall hin folgen. Und wenn er es will, dann auch nach Ungarn!«

Eugenie lächelte mild. »Ich sehe, du begreifst bereits meine Vor­behalte. Vielleicht muss ich mir also gar keine Sorgen um dich ma­chen, mein Kind. Dein praktischer Verstand wird dich leiten.«

»Ich freue mich, wenn du an mich denkst, Tante«, versicherte das schöne Mädchen daraufhin lächelnd. »Und gewiss werde ich deinen Rat noch häufig brauchen. Eines aber weiß ich: Der Andreas ist mir lieb und teuer. Er ist was ganz Besonderes für mich.«

*

Die Anschläge auf das Leben der Kaiserin Elisabeth wurden rasch auch in Österreich publik. Kaiser Franz Josef, soeben von seiner Russland­reise zurück, sandte sofort Soldaten in Richtung der ungarischen Gren­ze, um den Reisetross sicher zu geleiten. Er selbst fuhr seiner Gemah­

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lin entgegen, denn brennende Sorge um ihr Leben und ihre Gesund­heit erfüllten sein Herz.

Bei Pressburg erreichten die Kräfte aus Österreich ihr Ziel, so dass die weitere Eskorte durch die Husaren überflüssig wurde. Die Kaiserin ließ es sich nicht nehmen, sich persönlich bei jedem der jungen Un­garn zu bedanken, die ihr mit Leib und Leben Schutz geboten hatten. Andreas von Kolman wollte allerdings nicht scheiden, ohne sich von Reserl verabschiedet zu haben. Die Gräfin bat ihn in den Salon der Suite, die sie im Hotel ›Goldener Bär‹ in Pressburg für eine Nacht be­zogen hatte und ließ die beiden jungen Menschen dann, ganz entge­gen jeglicher Hofetikette, allein. Ein wenig verunsichert standen sie sich gegenüber, schließlich bat das junge Mädchen: »Setzen wir uns doch. Im Stehen redet es sich so schlecht.«

»Verzeihung, aber ich möchte lieber stehen«, widersprach er ihr nervös. »Ich fürchte, ich bin zu unruhig zum Sitzen.«

Reserl warf ihm einen scheuen Blick zu. »Was ist denn los mit Ih­nen, Herr Leutnant? Ist es das Heimweh, das Sie nicht ruhen lässt? Oder möchten Sie gleich wieder losziehen, um die restlichen Ver­schwörer dingfest zu machen?«

»Weder noch. Ich... stehe im Begriff, einen wichtigen Schritt zu tun. Und ich fürchte mich davor.«

»Sie... fürchten sich?« Reserl lachte so herzhaft, dass es Andreas schien, sie lachte ihn aus.

Ärgerlich hielt er ihr entgegen: »Glauben Sie vielleicht, ich habe keine Gefühle, bin aus Holz? Immerhin macht man nur einmal im Le­ben eine solche Liebeserklärung, wie sie mir vorschwebt.«

Das schöne Mädchen wurde ganz blass vor Schreck. »Eine... Lie­beserklärung?«

»Ja! Ich liebe Sie nämlich, Reseda, dass Sie es nur wissen! Und ich beabsichtige, um Sie zu freien!« Er atmete tief durch. »Nun wissen Sie Bescheid.«

»Und das sagen Sie mir erst jetzt, wo wir schon wieder scheiden müssen?«, fragte sie sehr betrübt. »Oder haben Sie Ihre Liebe für mich nicht schon früher bemerkt? Ich glaube nämlich, dass ich Sie schon länger liebe...«

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Er starrte sie einen Moment lang ungläubig an. Wie sie da saß, die Hände im Schoß gefaltet, den Blick gesenkt, wirkte sie unschuldig wie der reinste Engel. Und doch hatte sie gerade eben seine Liebeser­klärung auf recht unverblümte Art und Weise erwidert. Was war denn nun davon zu halten?

Er schob behutsam eine Hand unter ihr Kinn, hob so ihr Gesicht zu ihm auf und vergewisserte sich: »Habe ich gerade recht gehört? Sie sagten, dass Sie mich lieben?«

»Das tue ich«, erwiderte sie mit einem zauberhaften Lächeln, das Andreas' Herz berührte. »Ich weiß, ich habe keine Erfahrung in diesen Dingen. Und gewiss würde meine Tante mich schelten, weil ich gar so offen zu Ihnen gesprochen habe.« Sie erhob sich mit einem Ruck, ver­schränkte die schlanken Hände ineinander und begann, unruhig im Salon auf und ab zu laufen. »Aber ich fühle so. Und ich weiß nicht, wie ich's anders sagen soll...«

»Geliebter Engel, du machst mich sehr glücklich«, murmelte der junge Husar da und zog Reserl stürmisch an seine Brust. Seine Augen suchten ihren Blick und er versicherte ihr: »Und ich will dich noch tau­sendmal glücklicher machen!« Behutsam fanden seine Lippen ihren süßen Mund zu einem ersten Kuss. Reserl schloss die Augen und hatte das Empfinden, als verlasse sie den Boden und schwebe mitten in den Himmel hinein. Purstes Glück und reinste Seligkeit erfüllten ihr Herz. Mit naiver Inbrunst erwiderte sie die Zärtlichkeit, die Andreas ihr schenkte. Und in diesem wundersamen Moment fanden zwei Herzen zusammen, die von nun an nur noch füreinander schlagen wollten.

»Mein Engel«, seufzte der junge Husar, als Reserls Kopf an seine Brust sank und sie glaubte, ganz schwindlig zu werden vor lauter Glück. »Ich will dich immer lieben und vor allem Argen behüten. Das schwöre ich dir hier und jetzt.«

»Aber, Liebster, wie kannst du das?« Sie blickte unsicher zu ihm auf. »Du musst wieder nach Budapest, ich kehre in die Heimat zurück. Wir werden uns trennen...« Ganz klein und verängstigt klang Reserls Stimme. »Ach, ich weiß nicht, was werden soll.«

»Sei nicht verzagt«, bat er sie, nahm ihre Hände und führte sie zu der Chaiselongue, die neben dem Fenster stand. »Schon sehr bald

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werden wir wieder zusammen sein. Ich spreche mit meinen Eltern und mit dem General Belas. Er ist zwar mein Vorgesetzter, zugleich aber auch wie ein väterlicher Freund für mich. Sie alle werden verstehen, dass ich mein Glück gefunden habe und ganz festhalten muss. In kur­zer Frist folge ich dir nach Wien. Und dann will ich bei deinen Eltern um deine Hand anhalten.«

»Ach, Andreas, wenn dir nur nichts zustößt. Die Lage ist so schwierig, überall lauern Gefahren«, beklagte das schöne Mädchen voller Kummer. »Ich habe große Angst um dich.«

»Das musst du nicht«, versicherte er ihr und suchte ihren Blick. »Du vertraust mir doch und glaubst an mich, nicht wahr?« Sie nickte ohne zu zögern. »Das ist recht. So versichere ich dir jetzt und hier, dass ich binnen Monatsfrist wieder bei dir sein werde.«

»Ich will dir gerne glauben. Aber kannst du dein Versprechen denn auch halten?«

»Ich mache es möglich. Die Lage wird sich bald beruhigen. Wenn die Kaiserin Ungarn verlassen hat, werden noch die letzten Aufständi­schen gefangen gesetzt. Das Volk wird befriedet, was geschehen ist, soll vergessen sein. Ich werde meine Pflicht niemals vernachlässigen. Aber ich komme zu dir, darauf darfst du zählen. Und dann werden wir ein Leben lang Zusammensein...«

Reserl lächelte selig. »Das wäre zu schön, um wahr zu sein«, be­kannte sie und schmiegte sich an den geliebten Mann.

»Es wird so sein, wie ich es sage«, bekräftigte er noch einmal. In diesem Moment wurde leise gegen die Salontür geklopft. Und als Re­serl ›Herein‹ bat, erschien die Tante. Eugenie machte ein bekümmer­tes Gesicht, als sie die beiden jungen Menschen wissen ließ: »Es ist mir leid, euch in trauter Zweisamkeit zu stören. Doch die Husaren bre­chen auf. Und ich denke, Sie sollten nicht allein zurückbleiben, Herr Leutnant.«

Andreas nickte und küsste der Gräfin galant die Hand. »Ich muss Ihnen für vieles danken, gnädige Frau. Den größten Dienst haben Sie mir allerdings nun erwiesen. Ich scheide zuversichtlich, weil mein zu­künftiges Glück in Ihren Händen liegt.«

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Eugenie lächelte angedeutet. »Wenn es nach mir geht, so billige ich die Wahl meiner Nichte ohne Vorbehalte. Doch Sie sollten sich noch nicht auf sicherem Terrain wähnen, Herr von Kolman. Die Eltern dieses Mädchens sind strenge Menschen mit genauen Vorstellungen vom Leben. Und ich kann mir beileibe nicht ausmalen, dass es ihnen gefallen wird, wenn ein Fremder in blitzender Uniform daher geritten kommt und ihnen die Tochter stiehlt.«

»Tante!« Reserl wusste nicht, was es von solcherlei lockeren Re­den halten sollte.

Doch die Gräfin lächelte versöhnlich. »Keine Angst, ich habe nur gescherzt. Der Herr Leutnant hat mich schon verstanden. Und nun Gottes Segen und Beistand auf Ihrem weiteren, gefahrvollen Weg, mein lieber Andreas. Auf dass wir uns gesund und wohlbehalten wie­der sehen mögen!«

Der junge Husar verbeugte sich knapp, dann nahm er die Hände seiner Liebsten noch einmal in seine, schaute ihr tief in die Augen und ging, ohne sich noch umzusehen. Reserl schluchzte trocken auf, nach­dem er die Tür hinter sich ins Schloss gezogen hatte. Eugenie legte einen Arm um die zuckenden Schultern ihrer Nichte und versicherte lächelnd: »Du musst dich nicht sorgen, mein liebes Kind. Er wird wie­derkommen, denn er liebt dich. Und gewiss hat er dir auch einen An­trag gemacht, nicht wahr?«

Das schöne Mädchen nickte und erklärte mit tränenschwerer Stim­me: »Ach, Tanterl, ich hab ihn ja so schrecklich lieb. Und ich vermiss ihn jetzt schon! Wie soll das nur werden, bis er in einem Monat nach Wien kommt?«

»Es wird schon gehen. Es muss.« Eugenie drückte das Mädchen herzlich. »Wir lassen uns die Zeit nicht lang werden!«

*

General Geza von Belas hatte bereits ungeduldig auf die Rückkehr sei­ner Husaren gewartet, denn in Budapest spitzte sich die Lage stündlich zu. Entgegen seinen Hoffnungen musste der General feststellen, dass die Lage sich nach der Abreise der Kaiserin nicht entspannt hatte; im

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Gegenteil. Die Freiheitskämpfer hatten die Bevölkerung zum großen Teil auf ihrer Seite, vor allem die Bauern und landlosen Tagelöhner erhofften sich von einer Revolution endlich ein besseres Leben.

Als Andreas von Kolman in die Kaserne zurückkehrte, empfing der General ihn sogleich mit einer schlechten Nachricht: »Die Lage ist ge­spannter denn je. Beinahe stündlich erreichen mich neue Hi­obsbotschaften. Die Aufständischen haben wichtige Wegstrecken ab­geriegelt, Teile der Stadt besetzt. Wir müssen uns mit dem Gedanken vertraut machen, dass dieser Kampf nicht so leicht zu gewinnen sein wird.« Er legte dem Leutnant eine Hand auf die Schulter. »Ich bin froh, dass Sie wieder hier sind, Andreas. Zumindest die Kaiserin und ihr Reisestaat sind in Sicherheit, das soll mir ein kleiner Trost sein in all den Wirren. Und nun kommen Sie, lassen Sie uns die Lage bespre­chen...«

Andreas war bestürzt, als ihm das Ausmaß der Unruhen klar wur­de, die sein Land erschütterten. Bereits wenige Stunden nach seiner Rückkehr befand er sich mitten im Straßenkampf mit den Aufstän­dischen. Hatten er und seine Kameraden sich bislang leicht durch­setzen können, so war die Situation nun eine andere.

Die Kämpfer, die sich ihnen entgegenstellten, waren besser aus­gebildet und skrupelloser. Sie hatten nur wenig mit den unbedarften Bauernburschen gemein, die ihre Ziele durch plumpes Drohen zu er­reichen suchten.

Der junge Leutnant begriff bald, dass sein Land sich tatsächlich am Rande eines Bürgerkriegs bewegte. Und Andreas wollte alles tun, um dies zu verhindern. Tagelang war er auf den Beinen, setzte sich unermüdlich ein und kämpfte mit großer Tapferkeit. Schließlich war es General von Belas, der ihn mit Gewalt zum Ausruhen zwang. Die bei­den unterschiedlichen Männer waren auf dem Rückweg zur Kaserne, als es geschah: Sie gerieten in einen Hinterhalt, wurden sofort rück­sichtslos unter Feuer genommen. Andreas von Kolman begriff kaum, wie ihm geschah, als ihn gleich zwei Kugeln trafen. Er hatte das Emp­finden, als streckten ihn eiserne Fäuste nieder. Noch bevor er das Be­wusstsein verlor, kehrten seine Gedanken zu Reserl zurück. Würde er sie nun nie wieder sehen? War dies das Ende ihres Traumes von der

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großen Liebe? Bitterkeit erfüllte sein Herz. Er spürte Trauer und Wut. Und dann versank die Welt für Andreas hinter einem tiefschwarzen Vorhang aus kommender Kälte, die alles Leben wegzunehmen schien.

*

Margarete von Bruckner stand in Hut und Mantel vor ihrem Mann und forderte: »Nun begleite mich wenigstens zum Bahnhof, Leopold, wenn du dich schon strikt weigerst, mit nach Wien zu fahren. Eine Schande ist es, wie wenig du noch an dein Kind denkst. Dabei war Reserl schlimmen Gefahren ausgesetzt. Ach, ich mag mir gar nicht vorstellen, was sie alles hat durchmachen müssen. Und wir wussten es nicht ein­mal!«

»Nun ist sie ja wieder sicher«, brummte der Kommerzienrat und erhob sich eher widerwillig. »Ich sehe aber nicht ein, weshalb du schon wieder eine Reise unternehmen musst. Kann denn Eugenie uns das Kind nicht heimbringen?« Und mit leiser Ironie fügte er noch hin­zu: »Den Weg nach Linz wird sie gewiss noch finden.«

»Du bist herzlos, Leopold«, beschuldigte Margarete ihren Gatten ungehalten. »Verspürst du denn nicht den Wunsch, deine Tochter so schnell wie irgend möglich wieder zu sehen?«

»Heimkommen soll sie. Und hernach werden wir sie mit dem Bah­renbom verheiraten. Da hilft kein Sträuben, das ist das einzig Vernünf­tige!«, polterte er.

Die Frau des Kommerzienrates schwieg. Sie wusste, dass es wenig Sinn hatte, ihrem Mann zu widersprechen, wenn er in solcher Stim­mung war. Doch Margarete ahnte auch, dass auf sie noch viel Unge­mach zukam. Eugenie von Bruckner hatte gewisse Andeutungen unter der Hand gemacht, die darauf schließen ließen, dass Reserl ihr Herz in Ungarn verloren hatte. Und wenn dies wirklich stimmte, dann standen ihnen alle unruhige Zeiten bevor. Denn Leopold würde ganz sicher nicht zugeben, dass seine Jüngste einen Ungarn zum Manne nahm. Er sträubte sich ja sogar, bei der Wahl des Bräutigams die nähere Umge­bung von Linz zu verlassen...

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Wenig später hielt die Kutsche der Bruckners vor dem Bahnhof. Margarete verabschiedete sich nur zögerlich von ihrem Gatten, sie hatte die Hoffnung, ihn doch noch zum Mitkommen bewegen zu kön­nen. Bei Hofe in Wien würde Leopold die großen Neuigkeiten vielleicht etwas gemäßigter aufnehmen, zumindest konnte er dort nicht poltern und seiner Tochter Vorwürfe machen. Aber er winkte bloß ab und er­klärte: »Keine zehn Pferde bringen mich nach Wien. Ich bleibe hier, wo ich hingehöre. Und ich hoffe sehr, du wirst ebenfalls bald heim­kommen, meine Liebe. Mit Reseda.«

Margarete nickte ergeben. »Soll ich das Kind denn nicht wenigs­tens von dir grüßen?« fragte sie noch, eh der Zug abfuhr.

Leopold von Bruckner machte kein begeistertes Gesicht. Dann murrte er aber: »Es soll mir recht sein, dass du meinen Gruß mit nach Wien nimmst. Aber gemahne das Kind auch, dass ernste Folgen ihres Handelns sie hier erwarten.«

»Ja, gewiss, Leopold, das vergesse ich nicht«, versprach sie, dann ertönte der schrille Pfiff der Lokomotive und im nächsten Moment setz­te sich der Zug Richtung Wien auch schon in Bewegung.

Währenddessen saß Eugenie von Bruckner mit ihrer Nichte im Sa­lon und beschäftigte sich mit einer Stickarbeit. Sie spürte wohl, dass Reserl nicht bei der Sache war. Immer wieder irrte der Blick des schö­nen Mädchens aus dem Fenster, als könne sie dort Andreas von Kol-man ausmachen. Seit ihrer Rückkehr nach Wien waren nun zwei Wo­chen vergangen, ohne dass der junge Husar sich gemeldet hatte. Die Gräfin gemahnte ihre Nichte immer wieder an die Monatsfrist, die sie dem jungen Mann einzuräumen hatte. Doch Reserls verliebtes Herz sehnte sich nach Andreas und hatte zumindest auf eine Depesche von seiner Hand gehofft. Mit jedem Tag, der ohne ein Lebenszeichen aus Ungarn verging, wurde Reserl ein wenig blasser, stiller und trauriger. Und als die Mutter sich schließlich angekündigt hatte, schien das Mäd­chen ganz zu verzweifeln. Die Aussicht auf eine Rückkehr nach Linz er­schien ihr wie ein Todesurteil. Sie musste einfach in Wien bleiben und auf Andreas warten! Alles andere war undenkbar. Und doch schien es keinen Weg zu geben, diesen Wunsch in die Tat umzusetzen. Wenn der Vater bestimmt hatte, dass Reserl heimkommen musste, dann war

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es an dem noch unmündigen Mädchen, sich zu fügen. Allein die Vor­stellung, dass Andreas nach Wien kam und sie nicht antraf, zerriss ihr das liebende Herz, das doch voller Sehnsucht war.

»Was ist dir, mein Kind? Du bist so blass und still heute«, stellte die Gräfin nach einer Weile des Schweigens mitfühlend fest. »Freust du dich denn gar nicht, deine Mutter bald wieder zu sehen?«

»Oh doch, gewiss. Es ist nur... du sagtest, dass sie mich heimho­len will. Und ich möchte Wien doch nicht verlassen!« Ein bittender Blick traf Eugenie, der ihr Herz berührte.

»Wir werden sehen. Wenn deine Mutter erfährt, was sich in der Zwischenzeit zugetragen hat, zeigt sie ganz bestimmt Verständnis«, meinte die Gräfin optimistisch.

Doch Reserl teilte diese Einstellung nicht. »Der Vater wird darauf bestehen, dass ich heimkomme. Und er wird auch Andreas abweisen, ich ahne es...« Sie schwieg bekümmert und senkte den Blick. In die­sem Moment erschien ein Diener, der eine Depesche brachte. Die Grä­fin stutzte, als sie den Absender las.

»Dies hier kommt von einem General Belas aus Budapest. Du weiß, wer das ist?«

»Oh ja, gewiss! Andreas sprach von ihm als seinem Vorgesetzten und väterlichen Freund. Er sagte mir, dass er dem General seine Lage erklären und ihn bitten wolle, ihn freizustellen, damit er nach Wien kommen und um mich werben kann.« Reserl strahlte. »Sicher schreibt er, dass Andreas nun kommt und...« Sie erschrak, als sie sah, dass Eugenie erbleichte. »Tanterl, was ist dir? Es sind doch keine schlech­ten Nachrichten, oder? So sprich doch!«

»Mein liebes Kind, du musst nun stark sein. Der General schreibt, dass Andreas schwer verwundet wurde. Er geriet in einen Hinterhalt und zwei Kugeln trafen ihn. Tage rang er mit dem Tod, doch nun scheint er auf dem Wege der Besserung. Reisen kann er freilich noch nicht so bald. Aber der General wollte, dass du erfährst, wie es um deinen Liebsten steht. Sobald Andreas ganz gesund ist, kommt er nach Wien. Doch das wird dauern...«

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Reserl war totenblass geworden, Tränen hatten sich in den veil­chenblauen Augen gesammelt. Nun aber rief sie entschlossen: »Ich muss zu ihm!«

Die Gräfin, die schon mit einer solchen Reaktion gerechnet hatte, bat begütigend: »Mäßige dich, mein Kind, das hätte gar keinen Sinn. Die Lage in Ungarn ist noch immer unsicher. Andreas hätte bestimmt nicht gewollt, dass du dich um seinetwillen in Gefahr begibst.«

»Aber ich muss zu ihm, Tanterl! Verstehst du das denn nicht? Al­lein das Wissen, dass er schwer verwundet wurde, zerreißt mir das Herz. Ich will bei ihm sein, ihn gesund pflegen. Ach, bitte, versuch doch, das zu begreifen!«

»Ich begreife gewiss, was dein Herz bewegt, mein liebes Kind«, versicherte die Gräfin daraufhin mitfühlend. »Doch es ist zu gefährlich. Und deine Mutter ist bereits auf dem Weg hierher...«

Reserl senkte betrübt den Blick. Sie musste wohl einsehen, dass die Tante ihr trotz allem Verständnis dieses Mal nicht zustimmen konn­te. Aber nachgeben mochte das Mädchen auch nicht. Andreas ging es schlecht, er lag im Lazarett und hatte keinen Menschen, der sich um ihn kümmerte, außer vielleicht seiner Familie, die ihn mal besuchen kam. Doch das war nicht das Gleiche. Reserl beschloss in diesem Mo­ment, nach Budapest zu reisen, um bei dem geliebten Mann zu sein. Sie wollte ihn umsorgen und gesund pflegen! Und sie wusste, dass sie mit diesem Entschluss nun ganz auf sich gestellt war. Niemand durfte erfahren, was sie beabsichtigte, keiner durfte ihr Unterfangen vor der Zeit bemerken. Während das schöne Mädchen mit bekümmerter Miene bei der Tante saß und so tat, als füge es sich in sein Schicksal, nahm zugleich ein heimlicher und äußerst riskanter Plan hinter ihrer klaren Stirn Gestalt an...

*

Margarete von Bruckner erreichte Wien am späten Nachmittag. Sie freute sich, dass ihre Schwägerin und auch ihre Tochter sie vom Bahnhof abholten. Lange schloss die Frau des Kommerzienrates Reserl in die Arme und weinte dabei vor Erleichterung, dass diese tatsächlich

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gesund und munter war. Ein wenig regte sich da das schlechte Gewis­sen in der Brust des schönen Mädchens. Wenn sie daran dachte, was sie plante, würde dies gewiss neuerlichen Kummer für das liebende Herz der Mutter bedeuten. Skrupel kamen Reserl, doch sie mochte nicht von dem lassen, was ihr am wichtigsten erschien: Für Andreas da sein zu können, in seiner Nähe zu sein, ihm Trost und Liebe zu spen­den. Die Mutter würde sicher verstehen, was Reserl bewegte, denn auch sie wusste, was er hieß, dem Herzen zu folgen, um glücklich zu werden.

Als die drei Damen dann beim Abendessen saßen, brachte Marga­rete die Rede sogleich auf die Heimreise. »Ich möchte mich dieses Mal gerne ein wenig länger in Wien aufhalten«, erklärte sie. »Leopold gibt sich so verkratzt und uneinsichtig, dass ich es für besser halte, ihn noch eine Weile schmoren zu lassen. Doch heim müssen wir irgend-wann, mein Kind, das weißt du sicher.«

»Ja, Mama, das weiß ich«, entgegnete Reserl verständig. Margarete bedachte ihre Schwägerin mit einem fragenden Blick,

den diese mit den Worten kommentierte: »Reserl, du solltest deiner Mutter berichten, was in Budapest vorgefallen ist. Gewiss wird sie sich freuen, zu hören, dass dein Herz eine Heimat gefunden hat. Und es ist, liebe Margarete, so kann ich dir versichern, eine gute Heimat, wie du und Poldi sie sich nicht besser wünschen könntet...«

Die Angesprochene zeigte sich überrascht. Auch wenn gewisse Andeutungen in der Depesche der Gräfin bereits in diese Richtung ge­wiesen hatten, war sie nun doch ein wenig irritiert von der Offenheit Eugenies. »Ist das wahr, mein Kind?«, fragte sie ihre Tochter, die er­rötend die Lider senkte. »Sprich nur frank und frei. Konnte ich dich schon nicht bei deinem ungarischen Abenteuer beschützen, so möchte ich wenigstens jetzt an dem teilnehmen, was dein Herz bewegt.«

Reserl warf der Mutter einen scheuen Blick zu. »Dann bist du mir nicht böse? Ich dachte...«

»Ach, mein liebes Kind, ich möchte ja nur, dass du glücklich wirst«, beteuerte Margarete da herzlich. »Willst du mir denn jetzt nicht anvertrauen, wer der junge Mann ist, der dein Herz gestohlen hat?«

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»Doch, sicher...« Das schöne Mädchen atmete ein wenig auf. Wie es schien, war die Mutter nun wieder auf Reserls Seite. Die verpatzte Verlobung mit dem Bahrenbom hatte sie einander entfremdet. Aber Sorge und Angst um die geliebte Tochter schien noch immer der beste Kitt zu sein, der zwei Menschen zusammenhielt. So erzählte Reserl mit wachsender Lebhaftigkeit von der Reise nach Ungarn, der tapferen und stolzen Haltung ihrer Majestät, die selbst ein Attentat nicht hatte schrecken können, von den vielen neuen Eindrücken und nicht zuletzt von Andreas. Margarete hörte ihrer Tochter aufmerksam zu, unter­brach sie kein einziges Mal und schwieg auch noch, nachdem Reserl verstummt war. Prüfend und unsicher blickte das Mädchen die Mutter an und ein wenig sank ihm bereits wieder der Mut. Doch Margarete lächelte schließlich verstehend. »Ich kann mir vorstellen, wie ro­mantisch diese Eindrücke dir anmuten müssen, mein liebes Kind. Und ich bin überzeugt, dass dein junger Husar durchaus zu seinem Wort stehen wird. Allerdings wird es nicht einfach für euch werden. Du bist noch nicht großjährig, das bedeutet, dein Vater muss einer Eheschlie­ßung zustimmen. Und ich wage zu bezweifeln, dass er dies so ohne weiteres tun wird.«

»Poldi war schon immer ein bornierter Kleinstädter«, beklagte Eu­genie schroff. »Allein deshalb musst du dich hinter deine Tochter stel­len und den beiden jungen Menschen Schützenhilfe leisten, meine lie­be Margarete. Du hast gerade selbst gesagt, dass dir Reserls Glück am Herzen liegt.«

»Und du bist überzeugt, dass dieser junge Ungar ihr Glück ist?«, fragte sie skeptisch nach. »Ich will euch beiden nichts vorwerfen. Doch was ihr erlebt habt, gemahnt nun schon sehr an ein Abenteuer. Die Umstände waren außergewöhnlich und gefährlich. Da ist es nicht ver­wunderlich, wenn ein junges Mädchen ohne Erfahrung in Liebesdingen dem edlen Lebensretter seine Gunst schenkt. Doch steht eine solche Verbindung denn auch im Alltag auf solidem Fundament? Das wage ich zu bezweifeln.«

»Andreas liebt deine Tochter aufrichtig. Er wird ihr ein guter Ehe­mann sein. Er ist von Adel, hat die beste Erziehung genossen, ist un­gewöhnlich klug und tapfer. Es besteht kein Grund, ihn von vorneher­

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ein abzulehnen, weil er Reserl unter ungewöhnlichen Umständen ken­nen gelernt hat«, unterstrich die Gräfin mit Nachdruck. Margarete lä­chelte angedeutet. »Wie es scheint, hast du hier eine leidenschaftliche Fürsprecherin, mein Kind. Doch ich denke, wir sollten zunächst einmal Zeit vergehen lassen und nach Hause zurückkehren, bevor du eine so wichtige Entscheidung für dein ganzes zukünftiges Leben fällst. Nicht wahr, Eugenie?« Reserl hatte sehr gehofft, dass die Tante sie nun auch in Schutz nehmen würde, doch diese nickte nur. Die beiden Da­men schienen sich einig; die Jugend sollte zunächst eine Zeit der Selbstprüfung hinter sich bringen, bevor über ihre Zukunft zu ent­scheiden war. Doch davon hielt Reserl nun gar nichts; umso weniger, als Andreas gerade jetzt ihrer Hilfe und Unterstützung bedurfte. Sie fügte sich nach außen hin in ihr Schicksal. Doch ihre wahren Pläne waren andere...

*

Spät in der Nacht, lange nach der Tageswende verließ Reseda von Bruckner die kaiserliche Residenz und machte sich auf den Weg zum Bahnhof. Den ersten Zug am Morgen, der Richtung Budapest fuhr, wollte sie nehmen. Ihr Herz pochte wild und sie hatte ein schrecklich schlechtes Gewissen. Denn sie hinterging nicht nur Mutter und Tante, sie begab sich zudem in Gefahren, die noch ganz ungewiss schienen. Doch ihr Herz brannte vor Sehnsucht, sie wollte zu Andreas, alles an­dere war ihr egal.

Reserl traute sich nicht, eine Kutsche zu nehmen, sie lief den gan­zen weiten Weg zu Fuß und war schon recht matt, als sie das große Bahnhofsgebäude erreichte. Unsicher schaute sie sich um. Zu dieser frühen Stunde herrschte hier nicht viel Betrieb. Auch der Ausgabe­schalter für die Billets war noch nicht besetzt. Reserl suchte auf dem großen Plan nach dem Gleis, an dem ihr Zug abfahren sollte. Es dauer­te nicht lange, bis sie fündig wurde und feststellte, dass dieser Zug aus Budapest kam und auch wieder dorthin zurückfuhr. Sie beschloss, di­rekt am Gleis zu warten. Während sie dann dort stand, sich scheu die fremde Umgebung betrachtete und sich fragte, wie lange es wohl

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dauern würde, bis sie nach Budapest kam, fuhr am gegenüberliegen­den Gleis ein Zug ein. Reserl achtete nicht auf die Menschen, die ein und ausstiegen. Ihre Gedanken beschäftigten sich mit ihrer eigenen Reise und all den vielen Unwägbarkeiten, die damit verbunden waren. Erst als sich ihr Schritte näherten, blickte sie ängstlich auf. Doch es war kein Fremder, der da auf sie zukam. Das schöne Mädchen meinte, zu träumen und seinen Augen nicht trauen zu können.

»Andreas...« Dieses eine Wort kam über ihre Lippen, dann hatte der geliebte Mann sie erreicht und zog sie stürmisch in seine Arme.

»Reserl, mein Engel, was tust du hier?« Er schaute sie ungläubig an, betrachtete sie, als könne er noch immer nicht fassen, dass sie es wirklich und wahrhaftig war.

»Ich... wollte zu dir.« Sie erwiderte seinen Blick mit einem feinen Lächeln. »Die Tante hat mir erzählt, was in der Depesche von General Belas steht. Ich habe mir schreckliche Sorgen um dich gemacht und wollte nach Budapest kommen, um dich zu pflegen. Aber du bist ja gesund! Wie ist das möglich?«

Er lachte. »Ganz gesund bin ich noch nicht. Wenn man's genau nimmt, wollte der Arzt mich noch nicht aus dem Lazarett entlassen. Da habe ich mich einfach davongestohlen. Ich wollte nämlich zu dir, denn keinen Tag länger hätte ich es noch ohne dich aushallen können. Nur gut, dass ich den letzten Zug gestern Abend noch erwischt habe. Sonst hätten wir einander vielleicht sogar verpasst.«

»Na, das wäre eine schöne Bescherung gewesen.« Sie kicherte. »Du in Wien und ich in Budapest.«

Andreas reichte dem geliebten Mädchen galant den Arm und frag­te: »Wie geht es dir, mein Engel? Hast du schon Gelegenheit gehabt, deinen Eltern alle Abenteuer zu berichten, die wir zusammen aus­gestanden haben?« Er bemerkte, dass ein Schatten über ihre eben­mäßigen Züge fiel und mutmaßte: »Es wird also Schwierigkeiten ge­ben. Ich habe es bereits geahnt, aber nicht wahrhaben wollen. Sind deine Eltern gegen unsere Heirat?«

»Nun, Mama ließe sich gewiss überzeugen. Sie besucht mich ge­rade und möchte, dass ich mit ihr zurück nach Linz fahre. Papa aber

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wird schwieriger. Er hat schon einen Schwiegersohn im Sinn. Und es fällt ihm schwer, seine Meinung zu ändern...«

»Dann werde ich mich wohl auf eine lange und anstrengende Werbung einstellen müssen, um mein Glück zu machen«, schloss der junge Mann mit einem angedeuteten Lächeln. »Doch sei es drum. Ich will mich bemühen, denn ohne dich werde ich Wien nicht wieder ver­lassen...«

*

Andreas von Kolman mietete sich in einem Hotel in der Nähe des kö­niglichen Schlosses ein, um stets in Reserls Nähe sein zu können. Das heimliche Verschwinden des jungen Mädchens war bereits bemerkt worden. Und als Reserl sich in ihr Zimmer schleichen wollte, stand unversehens die Tante vor ihr, noch im Morgenmantel und reichlich überrascht.

»Was hat das zu bedeuten? Woher kommst du um diese Zeit mit einem Koffer, mein Kind?«, wunderte sie sich. »Du solltest besser beichten, eh deine Mutter erscheint und die Wahrheit verlangt.«

»Ich wollte nach Budapest fahren«, gab Reserl ohne zu zögern zu. »Aber das musste ich gar nicht, denn ich habe Andreas auf dem Bahn­hof getroffen!«

Die Gräfin machte eine überaus skeptische Miene. »Du redest wir­res Zeug, Reseda. Bitte, erkläre mir jetzt offen und ehrlich, was das zu bedeuten hat!«

»Aber es ist wahr!« Reserl folgte der Tante in den Salon und be­richtete die ganze, etwas seltsam anmutende Geschichte. Eugenie wirkte noch immer ungläubig, doch sie bekannte: »Ich danke dem Himmel, dass der Herr Leutnant dich vor einer so großen Leichtsinnig­keit bewahrt hat. Allerdings fürchte ich, dass sein Unterfangen mindes­tens ebenso schwierig sein wird wie dein Plan, nach Ungarn zu rei­sen.«

Reserl nickte bekümmert. »Ja, das habe ich ihm auch gesagt. Zu­mal er noch nicht wieder vollständig genesen ist. Doch er wollte nicht mehr warten, mich unbedingt wieder sehen.«

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Die Gräfin lächelte wohlwollend. »Mir scheint, er ist ein wahrlich verlässlicher junger Mann. Und ich denke, es ist nun an der Zeit, euch beide ein wenig zu unterstützen. Ich werde den Leutnant heute zum Tee bitten. Und ich bitte dich, dann nicht zuhause zu sein.«

»Wie bitte?« Das schöne Mädchen wirkte ratlos ob der anschei­nend bereits wohlüberlegten Kabalen, die von der Tante geschmiedet wurden. »Aber wenn Andreas seine Aufwartung macht, möchte ich ihn doch sehen!«

»Gemach! Du wirst ihn noch dein ganzes Leben lang sehen kön­nen und zwar jeden Tag, wenn du nun ein wenig Vertrauen hast und tust, was ich dir sage«, versicherte die Tante daraufhin mit einem ver­schmitzten Lächeln...

Margarete von Bruckner zeigte sich wenig erfreut, als sie hörte, dass Reseda den Tag außerhalb des Schlosses verbringen würde. »A­ber wohin will sie denn? Wir könnten doch gemeinsam...«

»Ach, liebe Margarete, lass sie nur. Ich denke, sie braucht einfach Zeit, um mit sich selbst ins Reine zu kommen«, behauptete Eugenie überzeugend. »Und ich meine, es ist nicht schlimm, wenn wir beide Mal ein wenig Zeit miteinander verbringen. Zumal ich auch einen sehr charmanten und ebenso interessanten Gast zum Tee erwarte. Nun, lässt du dich auf das Wagnis ein?«

Die Frau des Kommerzienrates machte eine ratlose Miene. »Ich weiß nicht recht, ob ich dir trauen soll, Eugenie. Du führst doch etwas im Schilde, nicht wahr?«

Die Gräfin lachte heiter auf. »Nie und nimmer! Ich möchte nur ei­nen angenehmen Tag mit dir verbringen...«

Obwohl Margarete dem noch immer nicht recht traute, stimmte sie doch schließlich zu. Die beiden Damen unternahmen am Vormittag einen angenehmen Spaziergang durch den Schlosspark, speisten dann zusammen und unterhielten sich sehr angeregt. Als gegen vier Uhr dann Eugenies Gast eintraf, schien ihre Schwägerin den Braten aller­dings zu riechen. Sie bedachte die Hofdame mit einem überaus stra­fenden Blick, ließ sich Andreas von Kolman gegenüber jedoch nichts anmerken. Der junge Mann zeigte sich von seiner besten Seite, er war höflich und wohl erzogen und unterhielt die Damen dazu mit geistrei­

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chen Anekdoten, die auch Margarete immer wieder zum Lächeln brachten. Als der junge Husar sich dann aber verabschieden wollte, fragte Reserls Mutter ihn: »Ist es Ihnen denn wirklich ernst mit meiner Tochter, Herr von Kolman? Ich muss zugeben, dass Sie mir nicht un­sympathisch sind, im Gegenteil. Doch wenn dieser Besuch dem Zweck diente, mich auf Ihre Seite zu ziehen, so verlange ich zuerst Ihre ge­nauen Absichten zu kennen. Mein Mann ist weder ungerecht noch herrschsüchtig. Seine Entscheidungen entspringen stets reiflicher Ü­berlegung. Rate ich ihm nun zu, Ihr Anerbieten wohlwollend zu be­scheiden, übernehme ich damit auch Verantwortung.«

»Das ist mir durchaus bewusst. Und ich kann Ihnen aus reinstem Herzen versichern, dass ich Ihre Tochter liebe und ehelichen möchte, Frau von Bruckner. Nichts könnte mich glücklicher machen, als Ihrer Unterstützung versichert zu sein. Doch ich würde auch allein nach Linz reisen, um mit Ihrem Gatten von Mann zu Mann zu sprechen. Meine Absichten sind so lauter wie reines Gold. Und ich bin gewiss, jeden Menschen davon überzeugen zu können. Auch den Herrn Kommerzien­rat.«

Margarete lächelte angedeutet. Es waren die Worte, die sie erwar­tet hatte und die den guten Eindruck, den sie von dem jungen Mann gewonnen hatte, abrundeten. Sie reichte ihm ihre schmale Rechte und versicherte: »So freue ich mich, wenn Sie uns in Kürze nach Linz be­gleiten. Und ich denke, an meinem Wohlwollen wird Ihr Wünschen und Hoffen nicht scheitern.«

»Ich danke Ihnen zutiefst.« Er küsste ihr galant die Hand und eilte dann, um Reserl noch zu sehen.

»Das war eine kluge List«, lobte Margarete ihre Schwägerin, als sie allein waren. »Ich sehe, das Hofleben hat bereits seine Spuren bei dir hinterlassen, meine Liebe.«

Eugenie schmunzelte. »Sonst bin ich nicht so intrigant. Doch die­ses Mal diente es einem guten Zweck.«

»Du glaubst also, Reserl wird mit diesem jungen Mann glücklich werden?«

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»Oh ja, das glaube ich«, unterstrich die Gräfin mit Nachdruck. »Wenn sich je zwei Menschen aufrichtig und wahrhaftig geliebt haben, dann diese beiden...«

So geschah es, dass Margarete von Bruckner, ihre Tochter Reseda und der junge Leutnant von Kolman schon wenige Tage später Wien den Rücken kehrten und eine gemeinsame Zugreise nach Linz antra­ten. Leopold von Bruckner zeigte sich einigermaßen konsterniert, als seine Frau ihm nicht nur die jüngste Tochter mit nach Hause brachte, sondern zugleich auch noch einen Schwiegersohn in spe. Es dauerte, wie Andreas befürchtet hatte, einige Wochen, bis der Kommerzienrat den jungen Mann ausgiebig ›beschnüffelt‹ und auf Herz und Nieren geprüft hatte. Nach einem langen Herrenabend, bei dem ebenso viele Zigarren wie Weingläser verkonsumiert worden waren, ließ Leopold sich endlich erweichen, dem jungen Paar seinen väterlichen Segen zu geben. Margarete schrieb eine zufriedene Depesche nach Wien und begann mit den Vorbereitungen für die Hochzeit ihrer Jüngsten.

Doch es dauerte gar nicht lange, bis große Nachricht aus der Resi­denz mit berittenem Boten eintraf: Die Kaiserin selbst hatte beschlos­sen, dass Reserl und Andreas in Wien heiraten sollten, wo dem jungen Leutnant zuvor ein Orden für besondere Tapferkeit verliehen und er auch noch zum Leutnant des k. und k. Hofregiments ehrenhalber er­nannt werden sollte. Die Eltern waren darüber sehr stolz, Leopold ließ sich sogar dazu überreden, sein geliebtes Linz auf ein paar Tage zu verlassen und die Gräfin freute sich von Herzen über das junge Glück. Reserl und Andreas aber war das alles gar nicht so wichtig. Sie genos­sen still und selig ihre tiefe Liebe, die im Sturm der Gefahren erwacht, alle Irrungen und Wirrungen des Schicksals überdauert hatte und die nun im seligen Frieden ihrer trauten Zweisamkeit und im Angesicht einer gemeinsamen, beglückenden Zukunft voll erblüht war.

Ende

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