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132 Yortschritt~ der Kieferorthop~idie Bd. 22 H. 1 (1961) Die innere Dynamik im bleibenden Gebifl 1) Yon Dr. reed. dent. Herbert Bergmann, Leipzig Mit I8 Abbildungen Dem mit dem Thema bezeiehneten Fragenkomplex liegt ein sehr einfaeher Versueh zugrunde, den ieh sehon 1943 gemaeht habe. Den AnlaB dazu gab der Umstand, dag man anl/iglieh der damals viel diskutierten Artikulationslehre yon Gysi versuehte, die Molaren statiseh zu erklfiren. Ieh erkannte die mensehliehen Mahlz/ihne als ,,dynamisehe Gebilde" wie ieh das ausdr~eken m6ehte, und es interessierte mieh deshalb, wie diese Molareneigenheit sieh auf das Kontakt- gefiige der Zahnreihe auswirkt. Ieh nahm einen gew6hnliehen Stahlstreifen yon etwa 1/~ 0 mm St~rke und ftihrte ihn mehrmals dureh jeden Interdentalraum und registrierte den Wider- stand bzw. das Fehlen yon Widerstand bei der Kontakttrennung. Keinen Wider- stand bezeiehnete ieh mit ,,Null" und die UnmSgliehkeit der Kontakttrennung mit ,,7". Einen besonderen Apparat fiir diesen Versuch zu konstruieren, ist m6glieh. aber fiir die grundlegenden Versuehe nieht n6tig, da sie so eindeutig ausfallen. besonders wenn man sie mehrmals wiederholt, dab man allgemein giiltige Gesetze daraus ableiten kann. ~Iir standen damals mehrere an GrSBe, Regelm/iftigkeit und Kariesimmunit/it pr/ichtige Abrasionsgebisse yon osteurop/iischen Patienten zur Verffigung, die den kaum bel/tstigenden Versueh gern mitmaehten. Zur Kontrolle registrierte ieh noch 2 Versuehe in der letzten Zeit an 2 sehr regelm/il3igen jugendliehen Gebissen. die ich gliieklieherweise unter meinen Patienten fand. Das Ergebnis ist in dem abgedruekten Schema ersiehtlieh (Abb. 1). Als Gesetzm/i[3igkeiten fiir regelmgBige Gebisse k6nnen wir feststellen: 1. Der Kontakt nimmt von mesial naeh distal an [ntensit/it zu, yon 7 naeh 8 wieder etwas ab. 2. Der Kontaktdruek ist im Unterkiefer im Durehsehnitt st/irker ausgepr&gt als im Oberkiefer. 3. Stellungsunregelmggigkeiten kommen im Kontaktbild zum Ausdruek, und zwar so, daI3 einem geringen Kontakt im Oberkiefer ein festerer Kontakt im Unterkiefer gegeniibersteht und umgekehrt. Die Kontaktzunahme naeh distal hin habe ieh yon vornherein vernmtet, und zwar habe ieh sie aus dem Wurzelbau der Molaren gesehlossen. W/ihrend ein ge- wisser mesialer Kroneniiberhang nieht sehr deutlieh ist und als sog. Kronenmerk- real allen Zghnen bis zu den Sehneidez/ihnen bin eigentiimheh ist, ist die distale Wurzelflueht ein Privileg der Molaren. Zwisehen den Pr&molaren und ihren geraden Wurzeln und den bleibenden Molaren verl/iuft eine deuthehe Bauprinzips- grenze fiir die Zahnwurzeln (Abb. 7), deren entwieklungsgesehiehtliehe Bedeutung noeh zu begriinden ist. Hier ist im Durehsehnitt der gr6gte Kontaktdruek fest- zustellen. Diese Wurzelabkrfimnmng wurde fr/iher als ein belangloses Wachs- 1) Vortrag, gehalten auf der Tagung der Deutsehen Gesellschaft fflr Kieferorthops in Frankfurt Main am 26. Mai 1959.

Die innere Dynamik im bleibenden Gebiß

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Page 1: Die innere Dynamik im bleibenden Gebiß

132 Yortschritt~ der Kieferorthop~idie Bd. 22 H. 1 (1961)

Die innere Dynamik im bleibenden Gebifl 1) Yon Dr. reed. dent. Herbert Bergmann, Leipzig

Mit I8 Abbildungen

Dem mit dem Thema bezeiehneten Fragenkomplex liegt ein sehr einfaeher Versueh zugrunde, den ieh sehon 1943 gemaeht habe. Den AnlaB dazu gab der Umstand, dag man anl/iglieh der damals viel diskutierten Artikulationslehre yon Gys i versuehte, die Molaren statiseh zu erklfiren. Ieh erkannte die mensehliehen Mahlz/ihne als ,,dynamisehe Gebilde" wie ieh das ausdr~eken m6ehte, und es interessierte mieh deshalb, wie diese Molareneigenheit sieh auf das Kontakt- gefiige der Zahnreihe auswirkt.

Ieh nahm einen gew6hnliehen Stahlstreifen yon etwa 1/~ 0 mm St~rke und ftihrte ihn mehrmals dureh jeden Interdentalraum und registrierte den Wider- stand bzw. das Fehlen yon Widerstand bei der Kontakttrennung. Keinen Wider- stand bezeiehnete ieh mit ,,Null" und die UnmSgliehkeit der Kontakttrennung mit ,,7".

Einen besonderen Apparat fiir diesen Versuch zu konstruieren, ist m6glieh. aber fiir die grundlegenden Versuehe nieht n6tig, da sie so eindeutig ausfallen. besonders wenn man sie mehrmals wiederholt, dab man allgemein giiltige Gesetze daraus ableiten kann.

~Iir standen damals mehrere an GrSBe, Regelm/iftigkeit und Kariesimmunit/it pr/ichtige Abrasionsgebisse yon osteurop/iischen Patienten zur Verffigung, die den kaum bel/tstigenden Versueh gern mitmaehten. Zur Kontrolle registrierte ieh noch 2 Versuehe in der letzten Zeit an 2 sehr regelm/il3igen jugendliehen Gebissen. die ich gliieklieherweise unter meinen Patienten fand. Das Ergebnis ist in dem abgedruekten Schema ersiehtlieh (Abb. 1).

Als Gesetzm/i[3igkeiten fiir regelmgBige Gebisse k6nnen wir feststellen:

1. Der Kontakt nimmt von mesial naeh distal an [ntensit/it zu, yon 7 naeh 8 wieder etwas ab.

2. Der Kontaktdruek ist im Unterkiefer im Durehsehnitt st/irker ausgepr&gt als im Oberkiefer.

3. Stellungsunregelmggigkeiten kommen im Kontaktbild zum Ausdruek, und zwar so, daI3 einem geringen Kontakt im Oberkiefer ein festerer Kontakt im Unterkiefer gegeniibersteht und umgekehrt.

Die Kontaktzunahme naeh distal hin habe ieh yon vornherein vernmtet, und zwar habe ieh sie aus dem Wurzelbau der Molaren gesehlossen. W/ihrend ein ge- wisser mesialer Kroneniiberhang nieht sehr deutlieh ist und als sog. Kronenmerk- real allen Zghnen bis zu den Sehneidez/ihnen bin eigentiimheh ist, ist die distale Wurzelflueht ein Privileg der Molaren. Zwisehen den Pr&molaren und ihren geraden Wurzeln und den bleibenden Molaren verl/iuft eine deuthehe Bauprinzips- grenze fiir die Zahnwurzeln (Abb. 7), deren entwieklungsgesehiehtliehe Bedeutung noeh zu begriinden ist. Hier ist im Durehsehnitt der gr6gte Kontaktdruek fest- zustellen. Diese Wurzelabkrfimnmng wurde fr/iher als ein belangloses Wachs-

1) Vortrag, gehalten auf der Tagung der Deutsehen Gesellschaft fflr Kieferorthops in Frankfurt Main am 26. Mai 1959.

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tumsergebnis aufgefal3t, oder die Molarenachsen wurden in konzentrische Ringe um imagin/~re Drehpunkte des Unterkiefers eingezeichnet, um ihre t rotz Wurzel- flucht senkrechte gelastung zu demonstrieren.

Betraehten wir aber die Natur der Wurzelabkr/immung an der Skizze (Abb. 2) eines unteren Molaren genauer, so sehen wir die vordere Wurzel einfach bis mehr- fach nach hinten abgebogen, w~hrend die distale Wurzel sich yon vornherein ge- radlinig abspreizt analog der Palatinalspreizung der gro6en Wurzel der oberen Molaren. Meine Skizze verdeutlicht, wie aus einem symmetrischen, statisch an- mutenden unteren Molaren, ein dynamisch wirkender entsteht. Bei a das Kronen-

7 5 4, 3 2 7 7 4 5 6 7 8

O.K.

'IIliI:IliI!II' 7 5 5 4 3 2 7 7 2 3 4 5 6 7

O.K.

7 6 5 4 , 3 2

a K .

i l l l , - T , t l l l l

T a t a r 43 3 Abras ions gcbi6

) [ongole 30 ,~ Abras ionsgebi6

Deutsche 20

I)eutsche 14 s

Abb. 1. Priifungsergebnisse des interdentalen Kontaktdruekes yon 4 extrem regehnfigigen Gcbissen. Das oberste Schema s tammt yore sehr regehn~iBig abgekauten Gebig eines 43j~hrigen Tatarcn. Das zweite vom Abrasions- cebig eines 30jfihrigen 5iongolen, das dri t te yon einem 20jfihrigen. das unterste yon cinem 14jfihrigen deutschen

.Miidchen. Die grOBeren Siiulen kennzeichnen die grSgere Kontakt intensi t f i t

merkmal, bei b und c die versehieden geartete Distalflucht der Wurzeln. Aus diesem versehiedenartigen Verhalten der Molarenwurzeln allein geht hervor, dab es sieh nieht um ein bedeutungsloses Waehstumsattribut handeln kann, sondern (lab ein planmMtiges Bauprinzip vorliegt, das die ,,Vorderlast.igkeit" herbeifiihrt., wie T r a u n e r (naeh T h i e l e m a n n ) diese Erscheinung t reffend kennzeiehnet. We]l sieh im Unterkiefer beide Molarenwurzeln an diesem Prinzip bet.eiligen, im Ober- kiefer abet nur 2 yon 3 Wurzeln mu[3 die Vorderlastigkeit der unteren Molaren um ein Drittel gr66er sein als die der oberen, was dem Kontaktversuehsergebnis entsprieht. Die beiden pr~iehtigen Seehsjahrmolaren-Antagonisten sind gem/ig ihrem Kaufl~ehenrelief in ihre ursprtingliehe genaue Okklusion gebraeht (Abb. 3).

Der Kaudruek beim Kauakt und Knirsehen, bzw. der Zungendruek in der Ruheschwebe, mtissen also den Molaren einen Mesialkippungsimpuls geben, ge- nauer einen Dreheffekt um eine aus der Erfahrung abgeleitete, im apikalen Wurzel-

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drittel liegende Kippungsachse (Abb. 4). Wie weir beim Wegfall des mesialen Nachbarn die Kaufl~che gleichzeitig nach abw~rts geneigt Mrd, zeigt der mit, ,mesio- kaudal" bezeichnete Pfeil, der einen genauen Kreisbogenabsehnitt um den Kippungs- punkt ,,K" darstellt. Es wird hierdurch ohne weiteres klar, da[t antagonistische Hocker die Kippung der Molaren nur selten aufzuhalten vermSgen, was ganz der Erfahrung entspricht. Wie jeder gute Lehrsatz umkehrbar ist, ist auch hier Um- kehrung m6glich. Es mul3 also die Distalbewegung eines Molaren zu seiner Auf- richtung, also zu einer Bil3erh6hung im ganzen ffihren. Ich liefere also hier die theoretische Untermauerung der Tatsache, dal3 der Distalschub der Molaren zu vorfibergehendem offenen Bil3 f~hren kann, was L i e b , Hamburg, in seinem Vor- trag am Modellbild vorgef/ihrt hat. Durch diese Verh~ltnisse ~4rd gleichzeitig klargelegt, warum der Distalschub der Molaren auf grol3en Widerstand stSI3t und als schwierig bewertet wird.

r a i

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I

Abb. 2 Abb. 3 Abb. 4

Abb. 2. Skizze zur Veranschaulichung tier Dynamikmerkmale eines unteren 3Iolaren Abb. 3. Zwei wohlausgebildetc Sechsjahrmolaren zeigen, wie durch die Distalflucht der Wurzeln auftretender

Kaudruck die Zahnkronen nach rncsial (in Pfeilrichtung) dr~ingen mu~ Abb. 4. Die Kippungstendcnz eines unteren Molaren um die KipPungsachse , ,K"

Wir sind nun gewShnt und auch berechtigt, das Molarengebiet als Stfitzzone aufzufassen, bei deren Versagen oder Wegfall durch Bil3senkung seh~dliche Kr~fte im Frontzahngebiet frei werden, worfiber ich hier jedoch nicht sprechen mScbte. weft ich die Stfitzzone selbst behandeln will.

Was hat es mit solchen Stfitzpfeilern auf sich, die ihre Aufgabe nur dann er- ffillen, wenn sie sich ihrerseits abstfitzen kSnnen, wie eine an eine Wand gelehnte Leiter? Nun, es liegt dem zweifellos ein dynamisches Prinzip zugrunde. Gestfitzt wird diese Annahme durch die vergleiehende Anatomie. Ich zeigo Ihnen Aufnah- men yon Herbivorenunterkiefern (Abb. 5 und 6). Die distalen Mahlz/~hne sind hier deutlich so gestellt, da[t sie bei Belastung den ganzen Mahlzahnverband zu- sammenschieben und in strengem Kon tak t halten. Man versteht auf diese Weise das menschliebe Molarengebi~ (Abb. 7) und sein Prinzip als Horbivorenremini- szenz. Das ist eine recht beweiskr/iftige, nachtr~gliche Best/itigung meiner bio- mechanischen Betraehtungsweise aus dem Blickwinkel der Entwieklungsge-

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sehiehte der SAugetiere heraus. Am menschliehen GebiI3 f/~llt auf, dab mit der Differenzierung der Pr~molaren- und Molarenkronen auch eine st/~rkere Wurzel- differenzierung stattgefunden hat.

Abb. 5. Un te rk ie fe r voin l~ind

Abb. 6. Unte rk ie fe r vom Pferd

Als Kontrastprinzip betrachten wir ein RaubtiergebiB, genauer einen Hunde- oberkiefer (Abb. 8), an deln deutlieh die Distalneigung des Reigzahnes, also so- zusagen eine gewisse , ,Hinterlastigkeit" zu sehen ist. Das Raubtiergebig ist an der Aufreehterhaltung der Lfieken hinter den Fangz~ihnen interessiert, um eine~

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tiefen Eingriff in das Fleiseh des Beutetieres zu erhalten. Die ReiBz/ihne mfissen naeh hinten kippen, um dem Reiftzug naeh vorn standzuhalten. Demgegeniiber findet das mensehliehe Frugivorengebig seine Vollkommenheit in seiner Gesehlos- senheit gegeniiber allen iibrigen S/iugern, einschliel31ich der Affen. Aueh die Primatenl/ieken, die in fd'bereinstimmung mit dem Ontogenie-Phylogeniegesetz noeh das mensehliehe Milehgebig aufweist, werden im bleibenden Gebig ge-

Abb. 7. t /eliefartiges Bild des mensehliehen Unterkiefers (naeh D i e c k)

Abb. 8. Hundesch~idel. Der groBe auffiillige Molar, der ,,Reil3zahn", ist illl ganzen mit seinen gespreizten Wurzeln und seiner Krone nach distal orientiert. Er hfilt iibrigens Kon tak t naeh distal hin. Also besteht auch im aus-

gesl)roehen liickig angelegten RaubtiergebiB die' Tendenz zunl Molarensehhlf~

schlossen, und wir m/issen untersuehen, ob diese Aufgabe den bleibenden Mo- laren zufgllt..

Aus meinem Kontaktversueh seheint nun die Annahme eines Mesialsehubes dutch die 5Iolaren gerechtfertigt. Ieh nehme folgende l~'berlegung als riehtig an:

In der Ruhesehwebe findeg ein permanenter Weiehteildruek auf alle freien Zahnfl/iehen, beim Kauakt oder krampfhaftem Pressen ein intermittierender Druek auf die Kaufl/iehen statt. Nut besondere Stellen sind druekfrei, n/imlieh

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die DistalflKehen der jeweils letzten Molaren. Diese liegen - - wie ieh das einmal nennen m6ehte - - im ,,Drueksehatten" des aufsteigenden Unterkieferastes. Um einer Aufsplitterung der Zahnreihen, die gerade fiir das Molarengebiet als 3Iahl- zone wegen der breiten Kontaktflfiehen ungiinstig w/ire, und einem Hineinkippen der Molaren in den aufsteigenden Ast zu begegnen - - ein Vorgang, der die Dentitio diffieilis noeh h/iufiger maehen und sehr gravieren wiirde - - mug der Organis- mus zu einem so drastisehen und unter Umst/inden verh/~ngnisvollen Mittel wie der Molarenwurzelflueht greifen. Das Verh/~ngnis tritt n/imlieh dann ein, wenn das kunstvolle dynamisehe Gefiige dureh Karies, Extraktionslfieken und Stel- lungsanomalien gestSrt wird, worauf der Organismus phylogenetiseh in keiner Weise vorbereitet ist.

Wenn meine Behauptung, dab die Wurzelflueht der Molaren ihre Vorw/trts- kippung verursaeht, riehtig ist, dann mfissen sieh daraus Konsequenzen er- geben fiir das Aussehen einer Zahnlfieke im Seitenzahngebiet. Die Pr/imolaren

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Abb . 9. Die~e Sk izze soil da~ v e r s e h i e d e n e V e r h a l t e n der 3 [ o l a r e n u n d de r i i b r i gen Zf ihne g e g e n f i b e r de r Z a h n - l i icke v e r a l l s e h a l l l i e h e n l l l i t del l Jill T e x t b e s e h r i e b e n e n S y n l p t o n l e n

mit ihren geraden Wurzeln mfigten stehen bleiben und nur (tie Molaren mfigten in die Lfieke hineinkippen. Die Lehrmeinung geht dahin, dab die ,,Naehbarz/ihne" in die Liieke hineinkippen, hineinwandern oder hineinr/ieken. Wenn sieh dis Molaren bei Lfiekensehlug anders verhalten sollten als alle fibrigen Z/ihne, dann dfirfte man in den Zahnwanderungsgesetzen im Seitenzahngebiet iiberhaupt nieht yon ,,Lfieken-Naehbarz/thnen" spreehen, und es mfigten neue, dem wahren Saeh- verhalt Reehnung tragende Zahnwanderungsgesetze aufgestellt werden, wasnaeh der neuen Erkenntnis keine Sehwierigkeiten mehr maeht und welter unten ge- sehehen ist.

Meine Skizze (Abb. 9) zeigt, wie die Pr/imolaren beim Ausfall des Seehsers ihren Platz behaupten, w/ihrend der zweite und der dritte Molar naeh mesial un- gfinstig in die Lfieke hineinkippen. Der mesiale, ehemalige Kontaktpunkt der Molaren senkt sieh erheblieh. Es kommt also fast nie vor, dab ein neuer befrie- digender Kontakt zustande kommt. Die kippenden Molaren gewinnen selten den AnsehluB. Ihre Wurzeln wandern im bleibenden Gebig nieht mit naeh vorn. Die R6ntgenbilder geben naeh Jahrzehnten noeh Auskunft fiber diesen Tatbestand, aueh wenn die Zahnreihe kliniseh gesehlossen erseheint. Ihre Kippung ist oft so exzessiv, dab sie fast in die Waagereehte kommen, dab die distalen Wurzeln zu- rage treten und die Zghne fast yon selbst ausfallen. Sie treiben das Zahnfleiseh

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wie eine Bugwelle vor sieh her und bilden eine tiefe Tasche, allein schon dureh das Umkippen, nicht immer durch spezielle ulzer6se Taschenvertiefung. Die Pr/i- molaren bleiben fast immer stehen. Sie st anden schon vor der Lfiekenbildung genau so da. Ihre scheinbare Distalkippung ist ihre natfirliche Distalneigung, die

Abb. 10 Abb. 11 Abb. 10. Die s t andha f t en Pr i imolaren im Gegensatz zu den k ippenden Molaren, eine alltfigliehe Er fahrungs ta t saehe Abb. 1]. H ie r zeigt sich die Mola rendynamik als parodontosef6rdernd. Der s tandhaf te Pr~imolar bleibf yon der

Knochenat rophie fas t unber t ihr t

Abb. 12 Abb. 13 Abb. 12. H ie r ha t ein k ippender kari6ser 2. 3Iolar i iber den rest ierenden Wurzeln des Sechsers Kon tak t mi t dem

2, Pr/ imolaren gefunden, der seinerseits in s t renger S ta t ik ve rha r r t Abb. 13. Wenn der 2. Molar spiit verlorenging, k ipp t der 3. Molar in die Liicke. Der 1. Molar zeigt keine Neigung,

seinen K o n t a k t nach mesial aufzugeben

sie seit ihrem Hoehwaehsen infolge der S p e e sehen Kurve sehon vor der Liieken- bildung besagen.

Aueh das leidlieh geiibte R6ntgenauge bemerkt an dem versehieden breiten Periodontalspalt und der Verschiedenartigkeit der Knoehenstruktur auf beiden Seiten der Lfieke die Riehtigkeit meiner Behauptung, und man kann t/iglieh das typisehe Bild sehen und mit R6ntgen- bildern belegen. Ieh fiige deshalb nur wenige Bei- spiele bei (Abb. 10 bis 14).

Diese bei der Lfiekenbildung klar zutage tretende Dynamik der Molaren mug im KontaktgebiB als nach mesial geriehteter Druek auftreten. Er ist als potentie]le Energie gewissermaiten latent vorhan-

Abb. 14. E in ~ihnliches Beispiel nlit Knoehenatrophien und anhaltender den und kann mit der yon mir besehriebenen Kon-

exzessiver K ippung taktmessung festgestellt werden. Ffir diesen Druck spricht noch die Tatsaehe, dag es viele physiolo-

giseh lfiekig aufgestellte Frontgebisse gibt, die stets vom zweiten Pr~molaren ab naeh distal hin keine Ltieken aufweisen. Ferner glaube ieh, aus der Erfahrung heraus behaupten zu k6nnen, dag es mehr jugendliche Gebisse gibt, die lfiekig aufgestellt sind, als solehe yon Erwaehsenen. Es mu[3 also eine ,,Mesialverlage-

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rung" s t a t tge funden haben, wie das A. M. S c h w a r z nennt , die jedoeh meines E rach tens einen Druckmeehan i smus vorausse tz t , l~ber die N a t u r dieses Molaren- druekes mu[~ noch gesagt werden, dal~ er n ieh t iden t i sch is t m i t einer e twaigen Spannung im Zahnbogen, welehe aueh S e h w a r z s t r i k t ab lehn t . Spannungen ent- s tehen beim Separ ieren oder be im Einse tzen einer zu bre i ten K r o n e u n t e r PreB- druck, h6chstens noeh in pa tho logischen F/illen, die als schmerzhaf te Ersche i - nungen im Sehr i f t tum beschr ieben werden. Die yon mi r gemein te K o n t a k t d r u c k - ~drkung en t s t eh t erst bei Be las tung und ve ru r sach t dann h6chstens m o m e n t a n ~drkende Spannungen fiber 2 - - 3 N a c h b a r n nach mesial hin. Die Molaren werden erst durch den K a u d r u c k ak t iv ie r t , so tihnlich wie es pass ive k ieferor thop/ id ische Ger/ite tun. Es is t anzunehmen, d a b bei der K o n t a k t p r / i f u n g die Elas t iz i t / i t der Wurze lhau t und die Fes t igke i t der i n t e rden t a l en Fase rn mi t reg is t r ie r t werden.

Aus der erl/~uterten K i p p u n g s t e n d e n z der Molaren, die durch K o n t a k t m e s s u n g fes tgeste l l t und aus dem Mahlzahnwurze lbau als physiologisches Baup1~inzip er- k a n n t wurde, geht nun Mar hervor , dab eine eehte W a n d e r u n g der Molaren im ausgewachsenen Gebig n ieht m6glich ist . I r a Gegentei l , en t sp rechend der Lage des K ippungsd rehpunk te s bewegt sich das ap ika le W u r z e l d r i t t e l e twas nach dis ta l , w/ihrend die Kaufl~iche bei g rogen Z/ihnen e twa u m zwei P r / imola renbre i t en naeh vorn gelangen kann. Durch den ansehnl ichen R a u m g e w i n n a n d die n ich t auf- h6rende K i p p u n g und die gesetzm/igige Bes t / ind igke i t und Al lgemeingt i l t igke i t dieser K i p p u n g ist nun in unserem Seh r i f t t um das Ur te i l yon der lebensl~ngl iehen Mesia lwanderung der Se i tenzahnre ihen en t s t anden , das auch S e h w a r z von S t e i n und W e i n m a n n f ibe rn immt , und das wahrseheinl ich yon der tats/~chlichen W a n d e r u n g im wachsenden GebiB herr i ihr t . Die sp/ite W a n d e r u n g k a n n nur so min ima l sein, d a g man sie p rak t i seh vernaehl/~ssigen kann . Das k a n n man mi t ehler grunds~tz l iehen Uber l egung Mar herauss te l len : Es milftte be i Bes tehen einer echten und lebens]/ inglichen W a n d e r u n g s t e n d e n z de r Sei tenz/ ihne wenig- s tens e inmal in e inem besonders beg i lns t ig ten Fa l le ein Sechser be im E c kz a hn oder gar be im Einser a n k o m m e n oder wenigs tens e inmal ein Vierer in der Kiefer- mi t t e s tehen. Der Kasu i s t i k w/ire so e twas n ich t en tgangen 1). Alle eehten biolo- gisehen Pr inz ip ien k o m m e n meines E r a e h t e n s in der ~ b e r t r e i b u n g vor. So i s t die F iebere rzeugung als Hei lp r inz ip ein echtes biologisehes Pr inzip . Der Organismus f iber t re ib t es bisweilen bis zur Selbs tzers tSrung. Die Wurze l f luch t der Molaren

1) W~hrend der Drucklegung dieser Arbeit hat mir der Zufall eiaen lustigen Streich ge- spielt. Er hat mir einen 39j/ihrigen Patienten zugeffihrt, der im Oberkiefer wie auch im Unterkiefer der linken Seite tats/~chlich Kontakt zwischen erstem Molar und Eckzahn auf- weist. Im Oberkiefer steht der Seehsjahrmolar sogar vSllig orthodont neben dem Eekzahn, und ~7 uad 18 stehen ebenfalls vSllig aufreeht (Abb. 17). Im Uaterkiefer dagegen sind alle drei Molaren gegen den Eckzahn gekippt (Abb. 18), analog meiner Skizze Abb. 9. Die Anamnese er- gibt, dal~ im Oberkiefer die beiden Pri~molaren wahrscheirdieh gar nicht angelegt waren, w~h- rend im Unterkiefer ein ,,seitlich herausgewachsener Zahn" eat fernt wurde. Dieser Ausnahme- b e f u n d - wahrscheinlich von Seltenheitswert - - bestatigt also die vorgetrage~e Ansieht, dab die Z/~hne beim Durchbruch Standortver~nderuagen vornehmen k6nnen, w/~hrend sie bei sp~terer Liickenbildung vorwiegend kippen. Man wiirde jedoch fehlgehen mit der Annahme, dab hier die Molaren etwa zwei Pr/~molarenbreiten naeh mesial gewandert w~,ren. HSchst- wahrseheinlieh hat di e Epithelseheide bei Nichtanlage der Pr/imolaren eine Verkiirzung er- fahren, so dab die Molarenkeime sehon von vomherein welter mesial angelegt wurden. Fer- her kann angenommen werden, dab tier Kiefer im Pr~molarenbereich im Wachstum gehemmt wurde. Der Eckzahn hat sich in diesem Falle gegeniiber der normalen Seite um Pr~molaren- breite nach distal orientiert. Erst der verbleibende, unbestimmbare Rest kommt auf das Konto einer eehten Wanderung der Molaren wahrend des Zahndurchbruchs.

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is t ein eehtes Baupr inz ip . I n zahlre iehen F/i l len is t es f iber t r ieben vorhanden bis zur Abb iegung der Wurze ln naeh d i s t a l im reeh ten Winke l und mehr. Aueh die nat i i r l iehe Mesialneigung der Molaren k o m m t im i iber t r iebenen AusmaBe vor. Biswei len l iegen die un te ren Weishei tsz / ihne - - meis t beidersei t ig - - bis zur W a a g e r e e h t e n naeh mesial gek ipp t im Kiefer , wohei die Wurze ln im aufste igenden As t l iegen und die K r o n e sieh gegen die Siebenerwurzel s t emmt . Ein ex t remes AusmaB yon eeh te r W a n d e r u n g k o m m t abe t n ich t vor. Noeh ha t jeder Pro- t he t ike r bei der Sanierung der Mundh6hle die Molarenwurze l res te an der ihnen z u k o m m e n d e n Stelle vorgefunden. Die Ansehauung yon der W a n d e r u n g der Se i tenzghne ist insp i r ie r t yon d e m Mola renk ippen einerseits , ferner yon der Tat- saehe, daft wir im b le ibenden Gebift zahlreiehe gewander te Z/ihne vorfinden, die aber bei gewissenhaf te r Anamnese ihren P la tzweehse l sehon in der Zahnweehsel- per iode vo rgenommen haben. Daft die eehte Zahnwande rung im ble ibenden GebiB aufh6r t , ~ i r d gerade dem Kiefe ror thop / iden ansehaul ieh vorgef~hr t dureh (tie Ta t saehe , dag in ihm k6rper l iehe Bewegungen yon Z/ihnen /~ufterst sehwierig durehzuff ihren sind. Aueh geben die seh6nen, au f E r f ah rung be ruhenden Wan- derungsgese tze yon K a n t . o r o w i e z Aufsehlul3 darf iber , dal3 mit, d e m 12. Lebens- j ah r beispielsweise die D i s t a lwande rung der P rgmola ren p rak t i seh aufh6r t . Es mfiftte doeh ein se l t samer hormona le r Meehanismus einsetzen, der e twa die Distal- wande rung der Pr/~molaren abs topp te , aber gleiehzei t ig die Mesia lwanderung der Molaren wei te rh in e r l aub te oder gar f6 rder te l ) .

Die Lei t s~tze yon K a n t o r o w i e z en tha l t en aber 2 wei[te Stellen, die meines E raeh t ens dureh die Erkenn tn i s se yon der M o l a r e n d y n a m i k ausgefi i l l t werden k6nn ten . Be im 2. Satz m/iftte der Sehlug naeh , ,halbe Pr /~molarenbrei te" l au ten : ,,Die L i i ekenverk le ine rung bzw. der Liiekensehluft erfolgt dureh K i p p u n g der Molaren ." Und der SehluB des 3. Satzes miiftte l au ten : ,,Die Z/ihne hinter der Lfieke k i p p e n mes ia lw~r ts . " I eh will an e inem Beispiel zeigen, (ta13 man eine solehe K i p p u n g noeh naeh vielen J a h r z e h n t e n rSntgenologiseh naehweisen kann.

Hier is t die E x t r a k t i o n v o m ers ten Mahlzahn sehon in e inem Al te r er- folgt, in dem der zweite Pr/~molar noeh eeht naeh d i s ta l gewander t is t (neben- her noeh gedreht , wie das hierbei h~iufig gesehieht) . Der zweite Molar s teh t naeh 40 J a h r e n noeh i m m e r gek ipp t und wird wei ter in dieser Sehr/iglage bleiben (Abb. 15).

Da aber solehe gek ipp ten Z/ihne bei j e d e m K a u a k t seh/idlieh be las te t werden, sieh aber i m m e r wieder d a v o n erholen, zeigt die K n o e h e n s t r u k t u r ihrer Alveolen auf der Vorderse i te bis zur Drehaehsenh6he D r u e k z o n e n s y m p t o m e , auf der Riiek- seite en t spreehend Zugzonensymptome . Die His to logen k6nn ten yon solehen

1) Die Leitsi~tze yon K a n t o r o w i c z lauten: 1. Geht der erste bleibende Mahlzahn in der Zeit vom 6.--8. Lebensjahr verloren, so

entwiekelt sieh im VerhS, ltnis zur gesunden Seite ein Distalstand der Z~hne vor der Zahn- ]iieke im AusmaB einer Pr~molarenbreite. Die hinter der L~eke stehei~den Z~hne vervoll- stfi, ndigen den Liiekensehluft.

2. Geht der erste bleibende Mahlzahn zwischen dem 8. und 10. Lebensjahr verloren, so betrs der Distalstand der Z~hne vor der Lflcke nur eine halbe Pr~molarenhreite. Die 3Iesialwanderung der Z~hne h i n t e r der Lticke erfolgt in versehiedenartiger und weehsel- roller Weise.

3. Geht der erste bleibende Mahlzahn verloren, naehdem der Platz far den zweiten blei- benden Mahlzahn bereits vorhanden ist (10.--12. Jahr), dann stehen die Z~hne vor der Liieke zumindest anfgnglieh meist symmetriseh. Die Z~hne hinter der Lfleke wandern mesial- w/~rts.

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H. Bergmann, Die innere Dynamik im bleibenden Gebil3 141

Dauerkippern evgl. ihre Pr/~parate beziehen, um daraus ihre Dauerwanderungs- theorie herzuleiten. Solehe Z/ihne f/ihren beim Kauak t nur Pendelbewegungen naeh der Art einer Unruhefeder aus, bleiben abet am Ort und wandern nieht, sie kippen h6ehsgens weiter.

In einem zweiten Fal l (Abb. 16) ,~ird eine vor 8 Jahren enstandene Zweierltieke gezeigt. Die Kronen haben sieh zusammengesehlossen, aber die Wurzelspitzen haben ihren alten Platz niehg verlassen. Zu diesem Thema sehreibt aueh B r f i e k l

Abh. 15 Abb. 16

Abb. 15. Bei sehr friihem Verlust des Seehsjahrmolaren kommt der 2. Pr~imolar dem Siebener in aufrechter ~tellung entgegen. Der Siebener hat sieh zum , .Dauerkipper" entwiekelt und hfilt diese Schr~iglage seit 40 Jahren. Die Trabekel haben sich reaktiv in der Druekriebtung angeordnet. Die okklusale Abrasion ze|gt seine Bean-

~pruehung

Abb, 16. Auch die Frontz~hne ordnen sieh ein durch Kippung. Der seitliehe Sehneidezahn wurde vor 8 Jahren extrahiert. Die Kronen der L(iekennaehbarn haben sieh gefunden, ihre Wurzelspitzen bliebcn am alten Platz

Allb. 17 Abb. 18

Aid), 17. Der seltene Fall eines regelreehten Kontaktes zwisehen Eckzahn und Seehsjahrmolar be| Nic'ht- an lage der Pr~imolaren im Oberkiefer

Abb. 18. Die Antagon i s t en yon Abb. 17. Naeh En t fe rnung eines sei t l ieh herausgewaehsenen Prfimolaren s ind die Molaren an den Eekzahn l~.erangekippt

sehr klar und - - abgesehen vom Sammelbegriff ,,Nachbarziihne ~" - - sehr ein- deutig :

,,Ganz anders naeh abgesehlossenem H6henwaehstum, wo die Nachbarz/ihne nieht nur sehr langsam, sondern fast immer unter Kippung den Liiekenschlug bewerkstelligen." Es |st riehtig und unerlgBlich, be| FoS"mulierung der Zahn- wanderungsgesetze klar zu trennen zwisehen den Gesetzen im waehsenden und denen im ausgewaehsenen Gebi6, wobei jedoeh der zweite und dri t te Molar w/ih-

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rend ihres Wachstums teilweise den Gesetzen des Wechselgebisses unterstehefi; denn beim Hoehwachsen kSnnen sie sieh k6rperlieh bewegen. Das v611ig ~us- gewaehsene GebiB erfordert besondere Zahnwanderungsgesetze, well die eehte Wanderung in welt gr6Berem MaBe aufgehSrt hat, als man bisher wahrhaben will. Praktiseh h6rt jede Wanderung auf und die reine Kippung beherrseht das Oe- sehehen, aueh bet Paradentose.

Die Zahnwanderung und Zahnkippung sind naeh meiner Ansieht ein rein passiver Vorgang. Die Ausdrueksweise von A. M. S e h w a r z , wenn er yon der ,,lebhaften Neigung der NaehbarzAhne, aueh der yell durehgebroehenen, in die Liicke einzurfieken", sprieht, ist nieht nnmil~verstandlieh genug; wahrsehein- lich ist hier nut aktiv ausgedriiekt, was passiv zu verstehen ist. Die Zahnwan- derungsgesetze yon B a u m e leiden unter der Vermisehung von Erseheinungen des Weehselgebisses mit denen des bleibenden Gebisses. Nur die exakte Trennung sehafft klare Formeln. Aus meinen Darlegungen tiber die Molareneigentiimlieh- keiten geht deutlieh hervor, dab im bleibenden Gebil~ eine weitere Trennung naeh Zahngrnppen n6tig wird, nnd dab die nene Formel den Begriff ,,NaehbarzAhne" allenfalls in der Front, abet keinesfalls im Seitenzahngebiet enthalten diirfte. Diese Trennnng wird meines XVissens bislang nieht durehgefiihrt. Meine Formel lantet nun :

Die Ziihne I--5 lassen sieh mit ihren Kronen einordnert; die Z~thne 6--7 las- sen sieh in die vor ihnen liegende Liieke hineinkippert, oder falls man die Passi- vitgt der Bewegung fiir selbstverstgndlieh halt : Die ZAhne 1--5 ordnen sieh mit ihren Kronen ein, die ZAhne 6--8 kippen in die vor ihnen ]iegende IAieke. Alle ZAhne waehsen dabei ans ihrer Alveole soweit heraus, als es die Antagonisten zulassen. Die ZAhne I--5 k6nnen sieh also mit ihren geraden'Wurzeln naeh zwei Seiten orientieren. Die Molaren k6nnen nur naeh vorn kippen. Das Vertikal- waehstum wird yon allert Z~ihnen j e naeh dem Gegenbil~ mit ihrer grundbewegung kombiniert. Natiirlioh beeinfluf3t die Antagonistensituation den LiiekensehluB, bzw. den Liiekenverbleib in nnzghlbaren Vgristionen. Na.eh Rekonstruktion kommt die obige Grundformel zum Vorsehein. Molaren ohne GegenbiB kippen nieht, sondern waehsen nur empor.

Hier drAngt sieh yon selbst die Frage auf: Ist die Zahnwanderung und Kippung als ein beabsiehtigter Regenerationsvorgang des Organismus aufzufassen oder werden hier nnr die KrAfte fret, die der 8ehaffnng gesehlossener Zahnreihen dienen sollten? Nun, ieh habe das sehon beantwortet, indem ieh sagte, (lab der Organismus auf die Entstehung yon Liieken in der Zahnreihe (dureh Karies. traumatisehen Zahnverlust oder Stellungsanomalien) in keiner XVeise phylo- genetiseh vorbereitet set. Naehdem ieh festgestellt habe, dab eine eehte Zahn- wanderung im bleibenden Gebil~ fast nieht mehr vorkommt, ist die Entseheidung noeh klarer geworden. Die \Vanderung beim Hoehwaehsen der Zghne ist ein eehter physiologiseher, dem Ban des Gebisses dienender, das L6ekenkippen ist ein pathologiseher Vorgang, aueh dann, wenn er in besonderen FAllen dureh Zufall Giinstiges bewirkt. DaB dabei ein neues ,,Gleiehgewieht" erreieht wird, wie der Faehansdrnek lautet, ist kein Beweis ffir die Absiehtliehkeit des Oesehehens. Aneh alle toten K6rper erstreben ein physikalisehes wie ehemisehes Gleiehgewieht. Man kann aueh sagen, dab ein den Berghang hinabstfirzendes Fahrzeug einem nenen Gleiehgewieht zustrebe. ~\'enn es dann zersehmettert liegen bleibt, k6nnte man feststellen, dab nun der neue Gleiehgewiehtszustand erreieht set. ~'~.hnlieh diesem Beispiel ist das neue Gleiehgewieht im Lfiekengebil~ reeht problematiseh ;

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denn betrachtet man einen schr/igliegenden Molaren genauer, dann zeigt er selbst bei Kontak t seh/idliehe Druekzonen an der Vorderseite (Abb. 15). Ein soleher Zahn befindet sieh eher in einem Balaneeakt (s. meine obige Bezeiehnung ,,Dauer- kipper"!), aueh wenn das klinisehe Bild nach Gleiehgewicht aussieht. Aueh A. M. S c h w a r z vermeidet meines Erachtens eine Mare Entseheidung, wenn er bei Besprechung der Lfickenbildung erkli~rt: . . . . . und so stellt die Zahnwande- rung mindestens teihveise das Bestreben nach einem neuen Gleiehgewiehts- zustand dar." Bisweilen begibt man sieh auf einen unsieheren Boden, wenn man biologisehe Vorg/inge ausdeuten will. Jedoch gibt es auch eindeutige Tatbestgnde, so z .B. die Knochenheilung: Der Vorgang der Knochenheilung fiber Kallus- bildung und Kallusriickbildung usw. ist eine so erstaunliche, planm&Big gesteuerte Leistung des Organismus, daB man nicht aufhSren kann, solehes Geschehen zu bewundern. Dagegen ist der Organismus anscheinend vSllig machtlos, etwas zur Reposition verlagerter Knochenenden zu tun. Er kann keine Muskelentspannung im betroffenen Wundgebiet herbeifiihren. Das eine geschieht in der Natur voll- kommen, das andere gar nicht. So heilt eine Extraktionswunde so vollkommen, daB man die St/itte des einstigen Zahnes nieht wiedererkennt. Auch der Zahn- weehsel ist ein Vorgang yon groger Kompliziertheit and Pr/izision. Aber E xtraktions- Lficken gegeniiber ist die Natur unvorbereitet und maehtlos. Je h6her ein Lebe- wesen organisiert ist, desto weniger hat es die Fiihigkeit, ein verlorenes oder ver- brauchtes Organ zu ersetzen. Ob die Kompensationserseheinungen final oder kausal zu verstehen sind, dfirfte kaum zu entseheiden sein. Der Kieferorthop~de wird zu leieht, verffihrt, das Anpassungswandern, das er beim Zahnweehsel und speziell bei der systematischen gelenkten Extr~ktionstherapie so oft erlebt und benutzt, auf das ErsatzgebiB zu iibertragen. Besonders der Prothetiker well3, was ihm die sog. Wanderungen ffir Sorgen maehen, die, wie ich gezeigt habe, Kippungen sind. Der Organismus k6nnte in den meisten F&llen niehts Besseres tun, als das Empor- waehsen und die Kippungen bei Lfickenbildung zu unterlassen. Sta t t dessen bilden sieh Gleithindernisse, EinbiB in das gegenfiberliegende Zahnfleiseh, BiB- senkung, spontaner Zahnausfall usw. Das ist oft mehr oder minder schnell voran- schreitende Zerst6rung und Vernichtung des Gebisses. Es lohnt sieh nieht, die wenigen Ffille, in denen etwas Giinstiges dabei herauskommt, zu photographieren und als Kompensationserscheinung auszugeben. Verffihrt werden wir zu dem Kompensationsgedanken durch den Umstand, dab bei der immer h/iufiger wer- denden Kieferenge systematische Extrakt ionen tats/ichlich gfinstig sich aus- wirken kSnnen. Aber das sind k/insttiche Korrekturen, die wir nieht der Natur zugute halten kSnnen. Wir kompensieren ihr Unverm6gen, die Reduktion der Z~hne der vorauseilenden Kieferreduktion anzupassen.

Naeh unseren heutigen Vorstellungen vom phylogenetisehen Erbgesehehen kann der Organismus meines Eraehtens die Kompensat ion yon Zahnlticken iiber- haupt nicht erworben haben. Unsere Vorfahren vor der Erfindung der Feuer- benutzung und damit der Gekoehtnahrung haben bes t immt die Karies wenig gekannt und dann sieher noeh nieht im Zeugungs- und Empf/~ngnisalter, das wohl frfiher lag als heute, wobei aueh das durehsehnittliehe Lebensalter niedrig lag. Wie soll man sieh da vorstellen, dab Zahnausfallskompensationen fiberhaupt in das Vererbungsgesehehen hineingeraten sein k6nnten. Man muB sieh dabei aueh das Verh/iltnis der winzigen Entwicklungszeitspanne des rezenten Mensehen zu der Millionenzahl der Jahre, in der sich unsere Menseh- und Tiervorfahren ent- wickelt haben, vorstellen, mit anderen Worten die kurze Zeit der Zivilisations- dystrophie gegen/iber der Riesenzeitspanne der kr&ftigeren Urgebisse. Also gegen

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den GebiBverfall ist unser Organismus absolut machtlos. Die Zahn/irzte, ein- schlieBlich der Kieferorthop/iden, verdanken diesem Tatbestand ihr immer not- wendiger werdendes Dasein.

Die Molarenkippung ist also nur in dem Sinne regenerativ, als sie den nat~r- lichen Kontaktabschliff ersetzen soil, nieht aber ganze verlorengegangene Z/ihne.

Die Molaren sind demnach kleine, natfirliche, automatisierte Kieferortho- p/iden, die jedoch eine Bedingung erfiillt sehen miissen: Sie brauchen zu segens- reicher Wirksamkeit vollbezahnte Kiefer, und zwar solehe, bei denen die Summe der Zahnbreiten zu der Kieferbasis in einem harmonischen Verh/tltnis steht. Auf Ltickenbildung, Zahnunterzahl, seitliches Ausweiehen der Zi~hne sind die Molaren nicht gefal3t. Die Zivilisationsdystrophie ist ein Novum, dem sie hilflos gegenfiber- stehen, well sie einen Auftrag ausfiihren, den sie schon vor Urzeiten hekommen haben, zu einer Zeit also, wo im l~iefer reichlich Platz war f/Jr ihre Rangier- hewegung und das Vordergehig kr/iftig genug war, ihren Druck zu neutralisieren. Ist die Basis zu klein und sind die Zahnwurzeln zu schwaeh, oder der Knoehen zu nachgiebig, so wirkt sich ihr physiologiseher Kippungsauftrag iibermiigig aus. Sie schieben alle Zahnachsen sehr/ig nach vorn, und sie fiihren einen Zustand herbei, der auch die Pr~molaren aus ihrer Neutrallage heraus zu Vorw/irtskippen aktiviert und dadureh hisweilen zu Spannungen schmerzhafter Art und zu alveol/irer Prognathie ffihrt. Die gemeinsam kippenden Z/ihne klemmen sich gewissermagen gegenseitig lest.

Zuf/illig habe ich einen Fall gehabt, wo ein unterer linker Eckzahn unter starkem Druck der SeitenzShne steht. Der 33i~hrige Patient gab mir spontan an. dab er auf der linken Seite einen Druckschmerz in den Zahnreihen verspiire, der sich hisweilen wie heftiger Zahnschmerz bemerkhar mache. Er babe auch auf der rechten Seite einen solchen Druckschmerz gehabt, der aher nach der Extraktion des unteren rechten Sechsers vSllig verschwunden sei. Interessant ist an diesem Fall, dab noch - -3 unter starkem Druck (Kontaktzahl 5) der riickw~rtigen Z/ihne steht, ws yon - -3 nach - -2 gar kein I)ruck (Kontaktzahl 0) vorhanden ist. Also der Druck ist, mit A. M. S e h w a r z zu reden, tats/ichlich ,,verpufft", aber nicht well - - 3 herausgedr/tngt w/ire, sondern dieser hat yon vornherein seinen Platz nicht bekommen kSnnen, well die riickw/irtigen Z/ihne seinen Platz ein- geengt haben, die zudem bei stark nach vorn geneigten Zahnachsen einen beson- deren pathologisch zu bewertenden Mesialschub erleiden.

Die Distalflucht der Molarenwurzeln verursacht normalerweise keinen so sub- jektiv, wie objektiv spiirbaren Druck wie in dem geschiiderten Fall. Man darf sich iiberhaupt diesen physiologischen Druck nicht sehr groB vorstellen, solange (lie Z/ihne normal orthodont stehen.Im Normalfall sorgt die Wurzelabkrfimmung. zusammen mit dem Kronenmerkmal, also die Vorderlastigkeit, nur dafiir, dag nicht einmal das Umgekehrte, n/imlich eine Distalneigung der Zahnaehsen, ein- treten k6nnte, was sehr seh/idliche Folgen h/itte. Es w/irden sich dann Lippen- druck und Distalflucht der Z/~hne summieren, anstatt sich aufzuheben, um da- durch die Gesehlossenheit der Zahnreihe zu bewirken. Der Mesialschub der Molaren betr/~gt also je nach der Wurzelflucht von nahezu Null bis patholo~sch, wird aber abgesehen yon sch/idlichen Antagonistenverh/iltnissen niemals negativ. also hie distalw/irts gerichtet.

Wenn A.M. S e h w a r z die Annahme yon Spannungen ablehnt, well die Primatenliicken im Milehgebi6 dagegensprechen, so mug man dem zustimmen, besonders soweit es sieh um das Front.gebiB handelt. Die Begriindung scheint jedoch nicht fiir das Seitenzahngebig zuzutreffen. Das Milchgebig steht im Zeichen

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des spontanen Kieferknochenwachstums, wodurch die Frontzahne passiv aus- einanderrticken. Trotzdem besteht auch hierbei Kon tak t zwischen IV, V und 6. Die \Vurzelbildung des ersten bleibenden Molaren bef/~higt diesen zun/tchst, beim Hoehwaehsen am Milehffinfer Kontakt. zu halt.en und naeh Erreiehung des Ant- agonisten Kontaktdruek auf die Milchmolaren auszutiben, den diese ihrerseits dutch ihre statische, d. h. symmetrisehe Bauweise, aufzufangen und yon der Front abzuhalten imstande sind. Sie haben ja naeh mesial und distal gleichm/igig gespreizte Wurzeln, zwisehen denen die Pr/imolarenkeime liegen. Fallen die Milch- molaren als Druekfang aus, dann gibt es dureh den Mesialdrang yon 6 die Enge, die wir als Eekzahnhochstand oder als Pr/imolarenretention zu behandeln haben. Man sieht, es sind tats/iehlieh aueh im lfiekigen MilehgebiB in der Hauptkauzone Druekspannungen theoretiseh m6glieh, z. B. beim Knirschen. Wenn man reeht gesunde und charakterlich harmonisehe Kinder n/iehtlieh knirsehen h6rt, so kann man auf den Gedanken koInmen, da6 es ihnen unbewugt eine atavistisehe Lust gewfihrt, Druckspannungen auszul6sen, die ehedem Raubtierfletsehen oder Rumination ausgel6st haben m6gen. Meines Wissens ist eine solehe entwieklungs- gesehiehtliche Definition f/Jr das Knirsehen noeh nieht angegeben worden. Erst yore Zahnweehsel an beginnt also das Ausbalaneieren aller Kr/ifte, meist auf einem Minimum an Raum und die Molarendynamik tr/igt dann zur Harmonisierung des Kauapparates bei.

Dabei ist noeh zu beaehten, dab die Gesehlossenheit, der wirklieh dichte Kon- takt der Frontz/ihne, dem Organismus nieht so wiehtig zu sein seheint wie die Gesehlossenheit der Seitenz/ihne, analog den kompakten Mahlzahnreihen der Herbivoren.

Aueh in den sehr lfiekigen Gebissen der Raubt.iere finder sieh Molarengesehlos- senheit, die sieh jedoeh naeh distal ausriehtet (Abb. 8). Die Gesehlossenheit der Seitenzahnreihe wird vom mensehliehen Organismus dureh ein physikalisehes Prinzip, dessen Ausdruck die Molarenwurzelflueht ist, erzwungen und erreieht. Der harmonische Kontak t der Front ist ein idealer Grenzfall zwischen der Front- enge und der Frontlfiekigkeit und dem Spiel yon Mundmuskulatur, Zungendruek und Kieferwaehstum fiberantwortet. Damit ist jedoeh nieht gesagt, dab sieh die Seitenzahndynamik nicht bisweilen auch am Eckzahn entlang auf die Front auswirken k6nne. Der Eekzahn muff dabei keineswegs, wie A. M. S e h w a r z meint, aus der Reihe gedrfingt werden; denn die Zahnreihen stehen gewisser- inaBen zwisehen 2 Gleisen, die von den bekannten Weiehteilkr~ften geformt wer- den. In einem Idealgebig n immt der Eekzahn keine Eckpfeilerstellung ein, son- dern er steht mit seinen Kontak tpunkten genau im Parabelbogen, aueh im Unter- kiefer, der im Idealfall ebenfalls keine Eeken hat. Der Druek kann sigh also wie bei Sehienenfahrzeugen aueh im Bogen auswirken, ohne zu verpuffen.

Mit tIilfe der den mensehliehen Molaren innewohnenden, yon den Tiervor- fahren mitgegebenen natfirliehen Kippungsdynamik lassen sieh die beobaehteten Ph/inomene in der Zahnreihendynamik natfirlieh und leicht erkl~iren, w/ihrend zu ihrer Deutung bisher komplizierte und mystisehe Ausdrucksweisen gebraueht wurden, wie ,,Mesialverlagerung, Mesialschub hochkommender Z/ihne, nattir- liches, nach mesial geriehtetes Waehs tum" und andere mehr.

Die hiermit skizzierte, aus Erfahrung und Theorie, insbesondere aus der Kau- druekmessung, der vergleiehenden Anatomie und den R6ntgenbildern yon Zahn- liicken gewonnene Lehre yon der Molarendynamik will verstanden werden als bescheidenes Teilgebiet aller der biomeehanisehen Kr/ifle, welehe die Za.hnreihen bilclen, erhalten, umformen und bisweilen verunstalten. Die Molarendynamik 10 J:'ortschritte der Kieferorthopiidie Bd. 22 H. 1

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g e h 6 r t zu r G e s a m t b i o m e c h a n i k des Gebisses als de r t h e o r e t i s e h e n G r u n d l a g e ftir die k i e f e ro r t hop / i d i s ehe T h e r a p i e .

Zusammenfassung Es wird eine vom Verfasser angegebene systematisehe Zahnkontaktpriifung besehrieben.

Daraus werden Gesetzm~13igkeiten fiir das regelmi~Bige bleibende Gebig abgeleitet. Der hShere Kontaktdruek im Seiten zahngebiet wird auf die Wurzelflueht (,,Vorderlastigkeit" naeh T r a u n e r ) der Molaren als auf ein planm/~fJiges Bauprinzip des Gebisses zuriiekgefiihrt, das besonders bei Herbivoren deutlieh ausgebildet ist, w~hrend Raubtiergebisse ein gegen- teiliges Prinzip veransehauliehen. Die physiologisehe Molarenkippung, die der Gesehlossen- heit des Gebisses dient, wirkt sieh bei Liiekenbildung verhgngnisvoll und exzessiv aus und eharakterisiert die Seitenzahnliieke, Die Kippung sehliel3t im bleibenden Gebig die Wan- derung aus. Fiir dieses sind Zahnwanderungsgesetze neu zu formulieren. Spannungen treten nur artifiziell oder pathologiseh auf. Die Molarendynamik bedarf der Aktivierung dureh Kaudruek oder Zungendruck, um wirksam zu sein.

Die Ansehauung yon der dauernden Mesialwanderung der Seitenzi~hne wird widerlegt und ersetzt dutch die Ansehauung yon der andauernden blesialkippung der Molaren, dureh welehe die Wanderungsgesetze yon N a n t o r o w i ez ergii, nzt werden kSnnen. Fiir das bleibende Gebil3 wird der Satz aufgestellt: Die Zghne 1---5 ordnen sieh mi t ihren Kronen ein; die Zghne 6--7 kippen in die vor ihnen liegende Liieke. Die Kippung bei traumatiseher Ltieken- bildung wird als reine Destruktion bezeiehnet und die Kompensationsnatur dieses Gesehehens zurtiekgewiesen. Das histologisehe Bild der , ,Dauerkipper" tguseht dem Histologen ,,Wan- derung" vor. Die iibermggige Kippung der ganzen gahnreihe mit sehmerzhaftem Spannungs- gefiihl wird an einem Fall gezeigt und mit Hilfe der Kontaktmessung veransehaulieht. Die Molarendynamik beginnt mit dem Antagonismus des Seehsjahrmolaren gegen die ~{ileh- molaren. Das Knirsehen wird hypothetiseh als Atavismus erklgrt. Diese Betraehtungsweise der Molarend)mamik ist entwieklungsgesehiehtlieh fundiert und vereinfaeht die Erklgrung altbekannter Tatsaehen des Ltiekensehlusses yon distal her.

Schrifttum H e r b s t , E., Zahn~,rztliche Orthop/klie. Mi~nehen 1922. - - H o f e r - R e i c h e n b a c h und

K r e u d e n s t e i n - W a n n e n m a c h e r , Lehrbuch der Klinischen Zahnheilkunde. Leipzig 1952. - - R e i e h e n b a c h , E., und H. B r i i e k l , Kieferorthop/~dische Klinik und Therapie (Zahn- /~rztliche Fortbildung, Heft 7). Leipzig 1957. - - S c h w a r z , A. M., Lehrgang der GebiBrege- lung. Wien-Innsbruck 1956. - - T h i e l e m a n n , K., Biomechanik der Paradentose. Mfmchen 1956.

Ansehrift d. Verf.: Leipzig S 3, An der 3[itrchenwiese