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BRANCHENKENNER Nicholas Foulkes über den Zustand der Schweizer Uhrenindustrie Fr. 6.50 Was Tommy Hilfiger und John Travolta erzählen Wie die Firma Bucherer gross und erfolgreich wurde Was man von David Bowie über Kunst lernen kann Was man diese Saison schenkt Die Jahresendausgabe WW MAGAZIN Nr. 6 NOVEMBER / DEZEMBER 2016

Die Jahresendausgabe - News · chs ne nach s unae. Noch besser: mit solchen über ihr re hec i seolgr f Leb ne sprechen. Was nicht immer ... extravagante Stil der Hongkong-Chinesen

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BRANCHENKENNER

Nicholas Foulkes über den Zustand

der Schweizer Uhrenindustrie

Fr. 6.50

Was Tommy Hilfiger und John Travolta erzählen Wie die Firma Bucherer gross und erfolgreich wurde

Was man von David Bowie über Kunst lernen kann Was man diese Saison schenkt

Die Jahresendausgabe

WW MAGAZIN Nr. 6NOVEMBER / DEZEMBER 2016

4  WW Magazin November / Dezember

Auf zum grossen Wurf

Innenbetrachtung  Editorial Illustration: RICHIE POPE

Wir haben uns für diese Aus-gabe mit Menschen unter- halten, die etwas besser ge-macht haben als die meisten anderen. Meine Kollegin Claudia Schumacher etwa hat mit John Travolta über die Szene im Film «Pulp Fiction» gesprochen, in der er und Uma Thurman den Twist tanzen. Und ich habe von Tommy Hilfiger erfahren, wann und weshalb er auf Untergebene gehört respek- tive wann und weshalb er einsame Entscheide gefällt und durchgezogen hat. Die Antworten, ohne hier zu viel zu verraten, zeigen, dass grosse Würfe nicht immer Ergebnis durchdachter Pläne sind. Sondern dass etwas auch gelingen kann, weil man

seiner Intuition folgt. Oderweil man Glück hat. Klingt zufällig, ist es aber nicht, wahrscheinlich . . .Ich wünsche Ihnen, dass Sie in den kommenden Tagen oder Wochen wieder einmal den Twist tanzen; wahrscheinlich nicht so gut wie Travolta und wahr- scheinlich nicht mit der Thurman, aber egal. Und ich wünsche Ihnen Glück und dass Sie Ihrer Intuition trauen.

Nr. 6 20166  WW Magazin

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MUIR VIDLER1), CYRILL MATTER2),

MARIANNE ESCHBACH3),

CLAUDIA SCHUMACHER4)

UND NICHOLAS FOULKES5)

Der in London lebende Bücher-schreiber, Journalist und Vor-tragsredner ist so etwas wie der Renaissance-Mann der Uhren- und Luxusindustrie-Korrespon-denten – er beherrscht von der kurzen Kolumne bis zur histori-schen Hardcover-Biografie jede geschriebene Form. Er kom-mentiert etwa für die Financial Times, für Vanity Fair oder GQ, was in der Branche passiert. Für uns berichtet er darüber, wie Schweizer Uhrenmanufakturen zurzeit aufgestellt sind. Und was das für Ihre Zukunft bedeu-ten könnte – Seite 12.

Unsere Uhren- und Schmuck-kennerin hat für diese Ausgabe neueste Modelle und Stücke ausgewählt, die wir auf unseren Trend-Report-Seiten vorstellen – als Gedankenstütze für Männer vielleicht, die noch nicht wissen, was sie dieses Jahr schenken sollen. Ausserdem recherchierte sie die Geschichte der Uhren- und Schmuckfirma Bucherer. Das Luzerner Unternehmen, das gerade eine Kollektion besonde-rer Uhrenmodelle wiederauflegt, ist längst auch in Deutschland vertreten und, ganz neu, in Dänemark – Seiten 18, 20 und 46.

Unsere Mitarbeiterin war etwas aufgebrezelt, als sie John Travolta in Genf traf, da sie gleich danach zur Eröffnung des Zurich Film Festivals reiste. Was dazu führte, dass Travolta ihr Komplimente machte und sie mit der «jungen Jessica Lange » verglich, die Schumacher erst einmal googeln musste. Travolta war schon ein Megastar, bevor unsere Mitar-beiterin geboren wurde. Und aus ihrer Sicht ist er eine ewige Instanz, ähnlich wie Nutella. Dennoch war er nahbar genug, um eine gewisse Verletzlichkeit spüren zu lassen. Das Interview –ab Seite 42.

Das letzte Mal, als wir an dieser Stelle über einen unserer liebsten Porträtfotografen berichteten, erwähnten wir, dass Vanity Fair-Chef Graydon Carter ihn lobend erwähnt hatte, als Fotograf des Schau-spielers Damian Lewis für sein Magazin. Das ist fast ein Jahr her – und mittlerweile ist es nicht mehr nötig, Cyrill mittels Namedropping des berühmten Chefs eines berühm- ten Magazins zu legitimieren. Vor wenigen Monaten wurde er für seine Mode strecken mit dem Swiss Photo Award, dem vielleicht wichtigsten Preis dafür, ausgezeichnet. In der ersten WW-Magazin-Ausgabe dieses Jahres, nebenbei, veröffentlichte er eine Mode-strecke. Diesmal porträtierte er Tommy Hilfiger, unsere WW-Persönlichkeit des Monats, als dieser in Zürich war. Die Bilder – ab Seite 22.

Der schottische Fotograf,der in London lebt und arbeitet, ist regelmässiger WW-Magazin- Mitarbeiter und ein Marrakesch-Kenner. Zum ersten Mal war er in der Stadt, die seine liebste in Marokko ist, mit siebzehn, im Jahr 1992. Seine Anreise damals gestaltete sich aufwendig und abenteuerlich – aus Gründen, die er nicht wieder auf rollen möchte, verpasste er seinen Flug von den britischen Inseln nach Nord afrika. Da er ein nicht um- buchbares Ticket gehabt hatte, blieb ihm – bedingt durch den Stand seiner Reisekasse – nichts anderes übrig, als mit Autos (die er stoppte), Zügen (in denen er schwarz fuhr) und einer Fähre (billigste Klasse) ans Ziel zu gelangen. Dieses Mal verlief die Anreise mit Bezahlung und ohne besondere Vorkommnisse. Doch der Aufenthalt war erneut ein aufregender. Seine Bilder dazu zeigen wir Ihnen ab Seite 30.

1) MUIR VIDLER

2) CYRILL MATTER

3) MARIANNE ESCHBACH

4) CLAUDIA SCHUMACHER

5) NICHOLAS FOULKES

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Innenbetrachtung  Mitarbeiter dieser Ausgabe

Nr. 6 20168  WW Magazin November / Dezember

WW Magazin Nr. 6 INHALT

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Wer lernen will, soll Schulen und Kurse besuchen. Und sich LEBENSENTWÜRFE erfolgreicher Men-schen anschauen. Noch besser: mit solchen über ihr erfolgreiches Leben sprechen. Was nicht immer einfach ist, klar. Tommy Hilfiger, der EHEMALIGE UNTERNEHMER und Designer, der die Marke gleichen Namens gross ge- macht hat, ist ein ERFOLGREICHER MENSCH. Auch darum haben wir ihn zu unserer WW- Persönlichkeit dieser Ausgabe gewählt. Und von ihm gelernt, hoffen wir. Das Gespräch und die Bilder bringen wir ab Seite

BEINE HOCHLAGERN MIT TOMMY HILFIGER

In einer Umkleidekabine des Tommy-Hilfiger- Ladens in Zürich, 30. September 2016.

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Innenbetrachtung  Inhaltsverzeichnis

Nr. 6 201610  WW Magazin November / Dezember

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CONTRIBUTORS

TREND-REPORTE

KOLUMNEN

TITELGESCHICHTE

RUBRIKEN, GESCHICHTEN

Mitarbeiterdieser Ausgabe

SEITE 6

UHRENINDUSTRIE

von Nicholas FoulkesSEITE 12

KUNST

von Andreas RitterSEITE 14

WANDERLUST von Sarah Stutte

SEITE 50

REISEREPORTAGE

Gut erreichbar, SCHICK, mystisch, Impfungen nicht nötig, Wi-Fi vorhanden – «Orient light» in Marrakesch. SEITE 30

WW Magazin Nr. 6 INHALT

Innenbetrachtung  Inhaltsverzeichnis

JOHN TRAVOLTA

Interview mit dem SchauspielerSEITE 42

BLAUES WUNDER

Die Geschichte von BuchererSEITE 46

HAUTE JOAILLERIE

SEITE 18

MODE SEITE 21

SERVICE

BEZUGSQUELLEN SEITE 53

IMPRESSUM SEITE 53

ANLEITUNG

ARBITER ELEGANTIARUM Nicole Kidman

SEITE 52

SCHMUCK

SEITE 20

BRIEFING Uhren & Schmuck

SEITE 16

GESEHEN BEI DELFINA DELETTREZ

Nr. 6 201612  WW Magazin November / Dezember

Illustration: HANNAH K. LEEAussenbetrachtung  Kolumne Uhrenindustrie

er Verband der Schweizerischen Uhren- industrie kommentierte, dass die Branche

im Jahr 2015 mit einem «komplexeren und an-spruchsvolleren Umfeld» zu kämpfen hatte und fügte meisterhaft euphemistisch hinzu, dass dies «auf zwei aufeinanderfolgende Jahre der Konsolidierung» folgen musste.

Nun, da wir uns dem Jahresende nähern, musste der Euphemismus weichen, und an seine Stelle trat Resignation: «Fünfzehn Monate fal-lender Exporte» beschreibt die Situation Ende Oktober am besten. Um den Optimismus nicht zu verlieren, ist es erlaubt, zu sagen, dass «die Exporte im dritten Quartal abgeflacht sind» – was soviel heisst wie, dass der Abwärtstrend ein wenig gebrochen werden konnte. Und das ist immerhin ein Silberstreifen neben der sich in Entwicklung befindlichen, ziemlich dunk-len und bedrohlichen Cumulonimbus, einer Gewitterwolke.

Allerdings muss diese Entwicklung in die richtige Perspektive gerückt werden: Im Jahr 2000 standen die Schweizer Uhrenexporte bei 10,3 Milliarden Franken. 2010 erreichten sie bereits 16,2 Milliarden und bis 2014 stiegen sie auf 22,2 Milliarden. In vier Jahren erhöhte sich also die Zahl um ungefähr die gleiche Summe, wie im gesamten vorangegangenen Jahrzehnt, das schon einen guten Geschäftsgang der Industrie zeigte. So gibt es eine Generation von Mana-gern in der Branche, die nur einen aufstreben-den Markt kennen und deren grösstes Problem es war, genug zu produzieren, um die Nachfrage zu decken und den Einzelhändlern mitzuteilen, was sie senden würden. Doch heutzutage wer-den andere Qualitäten benötigt.

In den vergangenen Jahren hat sich die Welt verändert. Hongkong – einst der unersättliche Rachen, in den die Schweizer Industrie so viele Uhren geworfen hat, dass die Insel in Gefahr

«THE LAND OF COCKAIGNE» Der NAME EINES GEMÄLDES von Bruegel dem Älteren heisst auf Deutsch «Das

Schlaraffenland», was eine Zeit lang auch die passende Bezeichnung für die ZUSTÄNDE IN DER SCHWEIZER UHRENINDUSTRIE war. Jetzt ist's anders –

erfolgsverwöhnte Firmenchefs KÄMPFEN gegen sinkende Einnahmen und UM WENIGER KUNDEN. Das ist jedoch nicht ausschliesslich schlecht für die

Branche und ihre Erzeugnisse.

war, unter deren Gewicht zu sinken – ist nicht mehr «The Land of Cockaigne», das Schlaraf-fenland der Schweizer Uhrenverkäufer. Der Kunde, der teure Uhren kaufte, wie Madame Lily Bollinger Champagner trank, erlebt nun strengere Zollkontrollen, und ein laufender Anti-Korruptions-Drang erzwingt eine neue Nüchternheit. Und während es Berichte über den Aufschwung der Märkte auf dem chine-sischen Festland gibt, ist der sprudelnde und extravagante Stil der Hongkong-Chinesen von früher dort weit weniger offensichtlich.

Heute liegt der Schwerpunkt auf der Qua-lität, die mehr bedeutet als nur gute Ware fürs Geld. Es geht auch darum, den traditionellen Werten jedes Hauses treu zu bleiben (oder zu ihnen zurückzukehren). Cyrille Vigneron, der kürzlich ernannte Geschäftsführer von Cartier, sagte mir, dass er zu den Uhren zurückkehrt, die Cartier in erster Linie berühmt gemacht haben, zu Stücken, die auf schönem Design basieren anstatt auf einer Anhäufung von Komplikatio-nen. In diesem Sinne wird es interessant sein, zu sehen, was die französischen Juweliere für die Hundertjahrfeier ihrer berühmtesten Uhr «The Tank» im nächsten Jahr geplant haben.

Der Relaunch der Marke Tudor hat brillant gezeigt, dass es möglich ist, Uhren herzustel-len, die nicht nur erschwinglichere Versionen von etwas anderem sind – von Modellen des Mutterhauses Rolex nämlich –, sondern selbst-ständige, begehrenswerte Objekte. Der Erfolg der traditionellen «Chronos» und die verschie-denen Durchläufe der Taucheruhr «Black Bay» haben bewiesen, dass eine fast philatelistische Aufmerksamkeit auf kosmetische Details eine einfache Stahluhr in den Status eines Kult-objekts erheben kann.

Natürlich lag ein Grund, warum Tudors Re-launch eine solche Zugkraft bekam, darin, dass sich das Unternehmen nicht schämte, dem Kun-den viel Wert für sein Geld zu bieten. Während TAG Heuer, eine Marke, die sich traditionell eher am Ende der Einstiegsebene des Luxus-Sportuhr-Markts befindet, diesen Platz aufge-geben und seine Preise erhöht hat. Jetzt, unter

der temperamentvollen Führung von Jean-Clau-de Biver, erfüllt die Marke wieder ihren an-fänglichen Auftrag, nämlich innovative Uhren zu attraktiven Preisen anzubieten. Mit dem Relaunch der legendären «Autavia», dem pro-totypischen Heuer-Chronografen aus der zwei-ten Hälfte des 20. Jahrhunderts, erkannten die Verantwortlichen die zunehmend wichtige Rol-le, die Vintage-Sammler heute auf dem Markt spielen.

Die Einführung von Modellen, die von Markentraditionen inspiriert sind, belohnt markentreue Kunden und führt zu eini-gen schönen Uhren – Zeniths «Tipo CP-2», Girard- Perregaux’ «Laureato» und Omegas «CK2998» –, während Rolex seine «Air King» in diesem Jahr neu auflegte.

In der Tat: Rolex zeigte die symbiotische Wirkung von klassisch und modern, als es seine 36-mm-«Day-Date» in einer Vielzahl von Ziffernfarben – inspiriert durch seine alten «Stella»-Zifferblatt-Modelle – wieder einführte; ein Relaunch, der dazu beigetragen hat, den Sammelwert der «Day-Dates»-Modelle mit klassisch-modischen Zifferblättern aufzuwer-ten. Und zum neunzigjährigen Jubiläum der «Oyster» in diesem Jahr gab es meine Lieb-lings-Rolex neu, die 36-mm-«Oyster Perpe-tual» mit einem Traubenziffernblatt: stilvoll, ausgewogen, perfekt proportioniert, sehr trag-bar und, für Rolex, sehr erschwinglich.

Falls der rauhe Wind, der gegenwärtig bläst, etwas Gutes in die Schweizer Uhrenindustrie bringt, dann, dass einige faszinierende und attraktive Uhren hergestellt werden, die es sonst vielleicht nicht gäbe. Mit anderen Wor-ten: Es schadet der Branche nicht nur, dass das Umfeld komplexer wurde und die Heraus-forderungen gestiegen sind.

NICHOLAS FOULKESberichtet über und kommentiert die Schweizer

Uhren industrie etwa für Financial Times, Vanity Fair oder GQ. Der Brite lebt in London.

Text: NICHOLAS FOULKES

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Die Branche kämpft mit einem komplexeren und anspruchsvolleren Umfeld – ein Euphemismus des Verbands der Schweizerischen Uhrenindustrie.

Nr. 6 2016 WW Magazin 15November / Dezember

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Kunstkolumne  Aussenbetrachtung

chon immer waren Kunstwerke besonders begehrt, wenn sie aus einer berühmten

Sammlung stammten. Doch in den vergangenen zehn Jahren hat die Bedeutung der inter­essanten Provenienz, was die Wertsteigerung angeht, besonders stark zugenommen. Wohl­gemerkt spreche ich hier nicht von Memora­bilien, von Gegenständen also, die erst durch Celebrity­Vorbesitzer überhaupt wertvoll wur­den, wie etwa Einsteins Lederjacke, und auch nicht von Juwelen, die, sagen wir: Elizabeth Taylor gehörten, sondern von Kunstwerken. Die Auktion der Sammlung «Yves Saint Laurent» etwa, die vor einigen Jahren in Paris stattfand, war ein Riesenereignis, und es wurden exorbi­tante Preise erzielt; denn des Couturier­Meis­ters untrügliches Auge drückte jedem einzelnen Werk das Prädikat «besondere Qualität» auf. Und nun also die Sammlung des phänomena­len David Bowie.

Ich war etwas erschüttert, als die Nachricht die Runde machte, dass noch im Jahr seines Ab­lebens, nämlich in diesem November, die Kunst­ und Designsammlung des britischen Popstars bei Sotheby’s in London unter den Hammer kommen würde. Doch nach nochmaligem Über­schlafen war ich mir sicher: Hier würden nicht nur zahlreiche Preziosen an die Öffentlichkeit kommen – es tröstet auch das alte Diktum, dass der Sammler eigentlich nur ein Hüter auf Zeit für ein ihm anvertrautes Kunstwerk sei. Vor allem aber befiel mich Neugier, ob man durch das Studium der Sammlung noch etwas über den privaten Bowie, diesen charismatischen Musiker und Performer, der sich als Künstler ja ständig neu erfand, würde erfahren können.

WAS DEM MANN VOM MARS GEFIEL

Ein Kunstwerk wird dadurch, dass es einen BERÜHMTEN BESITZER hatte, nicht besser – aber wertvoller. Provenienz nennt man das. Der Gedanke dahinter:

Ein STÜCK AUS DER KOLLEKTION eines grossen oder bekannten Sammlers muss ein gutes sein und wird sich auszahlen. Stimmt diese Theorie, wenn man

zum Beispiel DAVID BOWIES SAMMLUNG nimmt? Unser Autor hat nachgeschaut.

«Kunst war wirklich das Einzige, das ich je be­sitzen wollte», erklärte er in den späten 1990er Jahren einem Journalisten der New York Times. Kunst sei für ihn lebenswichtig, könne verän­dern, wie er sich am Morgen beim Aufstehen fühle. Seine Sammlung war für ihn stets etwas Privates, fast Intimes, das er bis zu seinem Tod nicht öffentlich gemacht hatte.

Nun blätterte ich also drei Hochglanz­ Kataloge mit über 400 Werken durch, die Bowies Familie zur Versteigerung freigab. Zu sehen sind erst einmal Werke britischer Künstler des 20. Jahrhunderts, darunter Henry Moore, Frank Auerbach, und auch Damien Hirst fehlt nicht. Signifikant ist für mich hier, dass Bowie Künstler sammelte, denen er über Jahre auch persönlich nahestand und zu deren künstle­rischer Sicht auf die Welt er sich hingezogen fühlte. Daneben führte ihn sein offener und neugieriger Geist zu aussergewöhnlichen Samm­lungsgebieten, die erst kürzlich «in» wurden, wie etwa zeitgenössische afrikanische Kunst. Bowie hat all das früh gesammelt. Darum gibt es viel zu entdecken, und es macht Freude, Kunst jenseits des hierarchischen Kanons der meisten anderen Sammler zu sehen, die mit den Ohren kaufen anstatt mit den Augen. Ich erfahre auf diesem Weg auch herrliche Anek­doten, wie etwa, dass der Pop­Superstar im Nebenamt als Kunstjournalist den Kunst­Super­star Jeff Koons interviewte, ja, dass er selbst einen Kunstbuchverlag gründete. Seine Ken­nerschaft hat er auch hier mit verschiedensten Facetten und beharrlich über Jahre aufgebaut.

Alles in allem also ein Lehrbeispiel, was erfolgreiches Sammeln ausmacht: Neugier und Leidenschaft, frühes Wahrnehmen von Strömungen und einzelnen Positionen sowie das Entwickeln eines eigenen Stils mit gleichzeitiger Hartnäckigkeit, die zu einer über die Jahre entwickelten Sicherheit im Erkennen von Qualität führt. Bowie lebte Kunst mit

Leib und Seele, sie war für ihn wohl wirklich lebensnotwendig.

So überraschend wie erfreulich war für mich schliesslich die Entdeckung, dass Bowie auch ein leidenschaftlicher Sammler italienischen Designs, allen voran von Stücken von Ettore Sottsass und dessen Memphis­Gruppe war. Selbst ein grosser Verehrer von Sottsass, bin ich nun ganz glücklich, mit dem Mann, der vom Mars gefallen war, einen Weggefährten im Geist gefunden zu haben, der nach denselben exaltierten und oft ganz sicher nicht gefälli­gen Stücken jagte, die ihrer Zeit immer vor­aus waren. Vielleicht gelingt es mir ja, das eine oder andere Werk zu ersteigern und damit zu übernehmen, quasi als Hüter auf Zeit. Sottsass aufgeladen durch Bowie, wie hoch der Aufpreis wohl sein wird?

Eines der begehrtesten Werke ist zweifels­ohne ein Gemälde von Jean­Michel Basquiat, das Bowie im Jahre 1985 erstanden hat – und das jetzt zu einem vierzig Mal höheren Schätz­preis ausgerufen wird (unser Redaktionsschluss war vor der Versteigerung). Und so kommt zusammen, was zusammengehört: Bowie kaufte nicht nur Basquiat, er spielte auch Andy Warhol in der 1996 von Julian Schnabel verfilmten Lebensgeschichte des Malers. Den grossarti­gen Zürcher Kunsthändler und Sammler Bruno Bischofberger verkörperte in dem Streifen üb­rigens der zwischenzeitlich ebenfalls verstor­bene Dennis Hopper. Was für ein Kompliment! Müssig zu sagen, dass Galerist Bischofberger in einem Haus von Ettore Sottsass wohnt. Das ist eben Qualität.

ANDREAS RITTERist Rechtsanwalt für Kunstrecht. Der 52­Jährige führt

gemeinsam mit Sibylle Loyrette die Kanzlei Ritter & Partner Rechtsanwälte in Zürich.

Text: ANDREAS RITTER

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«Kunst war wirklich das Einzige, das ich je besitzen wollte», hat David Bowie einmal gesagt.

Nr. 6 201616  WW Magazin November / Dezember

STÄRKSTE MARKEN

Den höchsten Jahresumsatz der Schweizer Uhrenmarken er-zielt wohl Rolex mit geschätzten 4,95 Milliarden Franken jährlich – das Unternehmen veröffentlicht keine genauen Zahlen dazu –, ge-folgt von Omega und Cartier, mit

schätzungsweise 2,45 bis 2,5 Mil-liarden Franken. Dahinter folgen Longines (zirka 1,5 Milliarden), Tissot (1,2 Milliarden), Patek Philippe (1,05 Milliarden) und TAG Heuer mit rund einer Milli-arde Franken Umsatz.

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Briefing WER HAT AN DER UHR GEDREHT?

KOSTBARSTE UHR

TEUERSTER ROHDIAMANTMUSCHELKETTE

PINK PANTHER

PFEILSTÄBE

WANDERNDE ZEITGLEICHUNG

Die «Mystery of Time» gilt als teuerste Serienstanduhr der Welt und kostet weit über eine Million Franken. Das Uhrwerk ist kom-plett aus Gold, die Verzierung fasst 636 Edelsteine, zudem wurden Mammut stosszahn, Elfenbein und Bergkristall verbaut. Sechs Jahre tüftelte der deutsche Uhrmacher Tilmann von dem Knesebeck daran, erfand eigens einen dreiachsigen Tourbillon, um die Uhr so präzise wie möglich zu machen, und ein Planetarium, bei dem sich Sonne und Mond in Echtzeit bewegen. Das mechanische Wunderwerk steht in seinem Hamburger Atelier auf einer schliessbaren Säule, die als Tresor fungiert und sich wie eine Blüte automatisch öffnet und schliesst.

Das in Genf ansässige Schmuck- und Uhrenunternehmen de Grisogono ist im Besitz des teuersten Rohdiamanten, der je verkauft wurde. Im Mai dieses Jahres ersteigerte die Marke den 813-Karat-Stein mit Namen «The Constellation» für rund 62 Millionen Franken.

2009 wurde bei Ausgrabungen in Marokko der bis dato älteste datierbare Schmuck der Menschheit entdeckt: eine Kette aus mehreren fingernagelgrossen Nassarius- Muscheln, mit Ocker verziert und mehr als 82 000 Jahre alt.

Andere Länder, anderer Schmuck. Bei den Yanomami, der grössten indigenen Volksgruppe im Amazonasgebiet, werden nach einer jahrhundertealten Tradition schon im Kindesalter Nasenscheidewand und Lippen durchstossen und Pfeil-stäbe eingesetzt. Während Frauen drei oder vier lange, symmetrisch angeord-nete Stäbe tragen, sieht man bei Männern meist nur ein bis zwei kurze Stäbe.

Im Mittelalter wurden Stunden noch mittels Glocken oder Kerzen gezählt, und die Uhrzeit wurde mit Sonnenuhren bestimmt. Ab 1650 liessen sich erste Uhrmacher, etwa aus Frankreich, auf dem Gebiet der heutigen Schweiz nieder und entwickelten regio nale Speziali-sierungen. So wurden in Zürich Turmuhrwerke unter halten, in der Zentralschweiz Pendeluhren aus Holz oder Eisen gebaut, und in Genf sowie im Jura spezialisierte man sich auf die Fertigung von tragbaren Kleinuhren. Besonders Genf stieg zum Zentrum der Zeit-messung auf. Cabinotiers nannte man die Genfer Uhrenarbeiter, weil sie in kleinen Räumen tätig waren.

GESCHICHTSTRÄCHTIG

Aussenbetrachtung  Uhren & Schmuck Redaktion: SARAH STUTTE  Illustration: PAUL BLOW

Das Modell «Villeret Équation du Temps Marchante» des Schweiz er Uhrenherstellers Blancpain (Swatch Group) verbindet die Uhr mit dem Sonnenzyklus. Da die Erdumlaufbahn nicht ganz rund und die Rotationsachse um 23 Grad geneigt ist, kann die tatsächliche Sonnenzeit je nach Jahresabschnitt um einige Minuten von den 24 festgelegten Stunden des Tages abweichen. Die Differenz zwischen der Echt-zeit eines Sonnentages und der 24-stündigen Durchschnittszeit ist die wandernde Zeitgleichung.

So heisst eine weltweit tätige Bande von Juwelenräubern, die überwiegend aus Balkanländern stammen. Die zirka 200 Mit-glieder sollen seit den frühen 1990er Jahren für mehr als 400 Überfälle verantwortlich sein und erbeuteten dabei Geld und Schmuck in Höhe von über 360 Millionen Franken. Den Namen bekam die Gruppe von Scotland-Yard-Beamten nach einem Diamantenraub 1993 in London. Die Beute versteckten sie in Gesichtscreme-Tiegeln – eine Taktik, die schon 1963 im Kriminalfilm «Der rosarote Panther» zu sehen war.

Schön um DEN FINGER gewickelt – Mikimotos NEUER PERLENRING «Olympia»

WW Magazin Nr. 6 TREND-REPORT

Perlen und die Geschichten, die man über sie erzählte, faszinierten Menschen schon im Altertum. Per-ser, Griechen und Römer erlagen dem Schimmer, der die Haut einer schönen Frau noch verführerischer ausseehen lässt. Darum liessen sich mit der Schönheit von Per-len schon früh gute Geschäfte machen. Und natürlich auch, weil sie selten waren. Viele erkann-ten dies, Kokichi Mikimoto, der Sohn eines japanischen Nudelres-taurantbesitzers, löste schliess-lich das Problem. Er fand Ende des 19. Jahrhunderts heraus, wie man Perlen züchten konnte, ohne die Muschel zu opfern. Nachhal-tig würde man das heute nennen. 1899 eröffnete er sein erstes Per-lenschmuckgeschäft in Tokyos Ginza-Distrikt. 1913 folgte ein Geschäft in London, 1916 eines in Shanghai. Mit dem Ziel, seine Pre-ziosen in der ganzen Welt bekannt zu machen, reiste Mikimoto nach Amerika und Europa und nahm an Weltausstellungen teil. 1927 lernte er auf einer seiner Touren Thomas Alva Edison kennen. Und der Erfinder schrieb ihm in einem Brief, seine eigenen Labore hät-ten zwei Dinge nicht hervorge-bracht: Diamanten und Perlen. Diese Aussage wurde auch in der New York Times wiedergegeben – was Kokichi Mikimoto endgül-tig zum Perlenkönig machte.

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der Mikimoto «Milano»-Kollektion by

Giovanna Broggian, Weissgold mit Brillanten und zwei Südseeperlen,

Fr. 15 400.–, bei Les Ambassadeurs.

Aussenbetrachtung  Opener Redaktion: MARIANNE ESCHBACH  Bild: DOUGLAS MANDRY

Nr. 6 201618 WW Magazin November / Dezember

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Oktober / NovemberNovember / Dezember Nr. 6 2016

1. Ohrringe «Bora Bora», Weissgold mit Brillanten und goldenen Südsee-Kulturperlen, von VAN CLEEF & ARPELS, Preis a. A.

2. Ring, Gelbgold mit Diamanten, Südsee- und Süsswasserperlen, von MÉLANIE GEORGACOPOULOS, ca. Fr. 8030.–.

3. Collier «Multi-Griffe Piercing», Gelbgold mit Diamanten und Süsswasserperlen, von DELFINA DELETTREZ, ca. Fr. 10 100.–.

4. Ohrhänger, Weissgold mit Alexandrite und Tahiti-Zuchtperlen, von TÜRLER, Fr. 14 700.–.

5. Armreif, Roségold mit Südsee-Kulturperle, von BUCHERER, Fr. 6200.–.

6. Ring, Gelbgold mit Diamant und rosafarbener Südsee-Zuchtperle, von BEYER, Fr. 4750.–.

7. Collier «Ombres et Lumière», Roségold mit Brillanten und Akoya-Perlen, von HERMÈS HAUTE BIJOUTERIE, Preis a. A.

8. Ohrstecker «Shooting Stars», Gelbgold mit Diamanten und Perle, von OLE LYNGGAARD COPENHAGEN, Fr. 4300.–.

9. Ring «Spinning Pearl», Weissgold mit Diamanten und Tahiti-Perlen, von GELLNER, ca. Fr. 6300.–.

10. Ring «Orb Pearl», Platin mit Saphiren und Tahiti-Perle, von TIFFANY & CO., Preis a. A.

11. Bracelet, gekerbte Tahiti-Perlen, Roségoldkugeln und Diamanten, von SHAMBALLA JEWELS, Fr. 18 230.–.

12. Uhr «Happy Diamonds Joaillerie», Roségold mit Diamanten und weissen Perlen, von CHOPARD, Preis a. A.

GEFUNDEN VON UNSERER PERLENTAUCHERIN

Bracelet «Moisson de Perles»,Weissgold mit Diamanten

und Zuchtperlen, von CHANEL, Preis a. A.

Trend-Report PERLEN

erlen galten in der MYTHOLOGIE als DIE TRÄNEN der Nixen und der Götter; sicherlich handelte es sich

dabei um Freudentränen. Diese Saison entdecken MODE- UND SCHMUCKDESIGNER Perlen neu – ein Grund zur Freude.

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Outfit von DRIES VAN NOTEN, Pullover: ca. Fr. 1170.–, Hemd: ca. Fr. 410.–, Hose: ca. Fr. 820.–, Ring: ca. Fr. 490.–,Schuhe: ca. Fr. 760.–.

GESEHEN BEI DRIES

VAN NOTEN

Redaktion: MARIANNE ESCHBACHAussenbetrachtung  Schmuck

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Mode  AussenbetrachtungRedaktion: YVONNE WIGGER

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1. Oberteil von ATLEIN, ca. Fr. 860.– (bei Net-a-porter.com).

2. Ring von DELFINA DELETTREZ, Fr. 4500.– (bei Stylebop.com).

3. Halsband von KENNETH JAY LANE, Fr. 79.– (bei Stylebop.com).

4. Body von AGENT PROVOCATEUR, ca. Fr. 610.–.

5. Ohrringe von CÉLINE, ca. Fr. 460.–.6. Stola von CHARLOTTE SIMONE,

ca. Fr. 495.– (bei Avenue32.com).7. Brille von MIU MIU, Fr. 485.–. 8. Tasche von ETRO, Fr. 1150.–.9. Handschuhe von

DRIES VAN NOTEN, Fr. 289.– (bei Mytheresa.com).

10. Parfüm «Gypsy Water» von BYREDO, 100 ml, ca. Fr. 165.–.

11. Hose von VETEMENTS, Fr. 889.– (bei Stylebop.com).

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13. Kleid von RALPH LAUREN COLLECTION, ca. Fr. 6480.–.

14. Outfit von H&M, Mantel: Fr. 149.–, Kleid: Fr. 149.–.

15. Outfit von ROCHAS, Kleid: ca. Fr. 1100.–, Socken: Preis a. A., Schuhe: ca. Fr. 1690.–.

16. Outfit von DKNY, Jacke: Fr. 678.–, Pullover: Fr. 532.-, Kleid: Fr. 435.–.

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Kleid: ca. Fr. 1090.–, Handschuhe: ca. Fr. 315.–, Halskette: ca. Fr. 350.–, Stiefel: ca. Fr. 820.–.

LIEBLINGSSTÜCKE

Trend-Report SAMT

iese Saison zeigt sich der KÖNIG der Stoffe von seiner schönsten Seite:

SAMT verleiht tagsüber einen femininen Touch und abends ELEGANZ. Wir ihn.

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Outfit von STELLA MCCARTNEY, Oberteil: ca. Fr. 920.–,Hose: ca. Fr. 975.–, Ohrring: ca. Fr. 415.–,Schuhe: ca. Fr. 582.–.

GESEHEN BEI STELLA

MCCARTNEY

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AUF DEM LAUFSTEG

Schuhe von DRIES VAN NOTEN,Fr. 561.– (bei Mytheresa.com).

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Nr. 6 2016 WW Magazin 23November / Dezember

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Was macht man, nachdem man EINE MARKE AUFGEBAUT HAT, die im Bewusstsein von Menschen in Amerika und,

immer mehr, auch in Europa sowie Asien EINEN BLEIBENDEN EINDRUCK HINTERLASSEN hat? Nachdem man Milliarden verdiente und Pleiten erlebte? Wenn man

einen Scheidungskrieg hinter sich und Kinder mit Drogenproblemen und Krankheiten hat? Tommy Hilfiger

hat ein Buch darüber geschrieben, ein Buch über sein Leben – EIN OFFENES, EHRLICHES BUCH.

TOMMYHilfigerText:

MARK VAN HUISSELING

Bilder: CYRILL MATTER

Tommy Hilfiger, fotografiert am

30. September 2016 in Zürich.

Nr. 6 2016 Nr. 6 201624  WW Magazin WW Magazin 25November / Dezember November / Dezember

WW-Persönlichkeit  StoryStory  WW-Persönlichkeit

Thomas Jacob Hilfiger, besser bekannt als Tommy Hilfiger, 65, aus Elmira, New York, ist ein amerikanischer Modedesigner. Was bei Wikipedia nicht steht: Hilfiger ist zuerst Unternehmer, das Entwerfen von Mode kommt an zweiter Stelle. Zusammen mit Geschäfts- und F inanzpartnern baute er seine Marke auf, die zur Hauptsache Kleidung im sogenannten College- oder Preppy-Stil (von preparatory school) anbietet. 2006 verkaufte Hilfiger seine Anteile für 1,6 Milliarden US-Dollar an eine Beteiligungsgesellschaft; rund fünf Jahre später verkaufte die Firma diese weiter an die amerikanische Modegruppe Phillips-Van Heusen – für rund 3 Milliarden US-Dollar. Er hat keine erwähnenswerte Beteiligung mehr am Unternehmen und ist Botschafter der Marke, das heisst: Er gibt Interviews, eröffnet Läden in wichtigen Städten et cetera; operativer Chef ist der Schweizer Daniel Grieder. Hilfiger ist zum zweiten Mal verheiratet, hat fünf eigene Kinder sowie zwei Stiefkinder. Seine Biografie «American Dreamer» ist dieser Tage (auf Englisch) erschienen, ich empfehle das Buch.

Das Buch über Ihr bisheriges Leben, das Sie veröffentlicht haben (mit Peter Knobler, einem ehemaligen Journalisten), ist ein sehr offenes, ehrliches Buch. Weshalb?

Ich denke, wenn man so etwas macht, sollte man es richtig machen. Ich habe nicht das Geringste zu verstecken. Und wenn es einigen Leuten nicht gefällt, kaufen sie vielleicht meine Kleider nicht mehr. Aber ich glaube nicht, dass ich etwas schrecklich Beleidigendes erzählt habe. (Er schreibt darin etwa, dass er einen gewalttätigen Vater hatte, der ihn als Kind oft schlug. Oder dass wenigstens zwei seiner Kinder mit Drogenproblemen zu kämpfen hatten und dass der kleine Sohn, den er mit seiner zweiten Frau hat, autistisch ist.)

Der Titel Ihres Buchs «American Dreamer» ist schön, aber, mit Respekt, falsch. Ich nehme Sie wahr als Macher, als Realist . . . Träumer bauen keine Firmen, die sie für Milliarden verkaufen.

Aber ich hatte Träume, und aus meinen Träumen wurde was. Ich war ein Träumer, ich bin einer; ich träume immer noch, was für mich als nächstes kommen könnte.

Haben Sie auch Albträume?Ich hatte welche: meinen Konkurs, meine Scheidung . . .

Sie schreiben, einer Ihrer Manager sei zum Teil dafür verantwortlich gewesen, dass die Firma wieder erfolgreich wurde. Er hätte richtig gelegen, andere, inklusive Sie selber, hätten eine Zeit lang nicht recht gehabt. Das liest man selten, meist wird Erfolg nicht geteilt . . .

Ja, aber es war so. Ich habe mich immer auf Leute abgestützt, um vorwärtszukommen. Es gab und es gibt ungewöhnlich starke Leute in der Firma.

Wie führt man Mitarbeiter, die besser sind, als man selber?Ich bin sehr selbstsicher bezogen darauf, wo ich mich befinde im

Leben – mein Name steht auf dem Logo, ich bin der Schöpfer und Visionär hinter der Marke.

Aber wie verhindert man, dass solche Leute Ihren Job wollen?Es ist wie im Sport: Man ist eine Gruppe, die gewinnen will.

Jeder ist bereit, alles dafür zu tun, ausser zu betrügen. Ich war der Motivator und Beeinflusser des Teams; ich habe den Erfolg möglich gemacht, meine Leute gelobt und belohnt.

Warum ist die Marke Tommy Hilfiger in Amerika anders positioniert als in Europa oder Asien – hier sowie in Asien hoch und in Amerika eher niedrig?

Grosse Frage. Der Wettbewerb in Amerika ist scharf, die Läden funktionieren anders, Kunden kaufen anders ein in Amerika – jeder will immer einen special deal, immer billigere Ware; in Amerika bevorzugt man Quantität gegenüber Qualität. Das ist traurig, aber wahr.

Sie haben eine hohe Meinung von Europa und den Europäern als Kunden. Weshalb?

Richtig. Bei Ihnen bevorzugt man Kaschmir gegenüber Wolle oder Baumwolle, man kauft Massarbeit statt Massenware. Das hat mit dem europäischen Lebensstil zu tun.

Man hört oder liest selten von amerikanischen Unternehmern, die das so sehen wie Sie. Die meisten Amerikaner finden, sie seien überlegen.

Im Kommerziellen sind sie das wohl. Allerdings ist unser Management-Team, in dem es viele Europäer gibt, darin auch sehr

Tstark. Und gleichzeitig haben sie Respekt vor Kreativität und handwerklichem Können, was ich lobenswert finde. Die Realität ist: Europäer sind more sophisticated. Und das ist, wenn man es sich überlegt, nur logisch – es beginnt damit, wie Kinder hier auf-wachsen, mit der Qualität der meisten öffen- tlichen Schulen, die sie besuchen. Und das Ergebnis ist, dass viele Top marken [der Mode- und Lifestylebranche] europäisch sind.

Wie wichtig ist Glück im Geschäft?Man braucht Glück, um gross zu werden.

Aber auf Glück kann Unglück folgen – wir waren übermässig erfolgreich in Amerika zu Beginn der 1990er Jahre, doch gegen Ende des Jahrzehnts bekamen wir aufs Dach. Einige Partner verkauften ihre Anteile, stie-gen aus . . . Aber mit guten Leuten kann man das Glück ein wenig beeinflussen.

Wenn man vier Jahrzehnte im Geschäft ist, sollten glückliche und weniger glückliche Phasen gleichmässig verteilt sein, nicht wahr?

Ich hoffe es. Und dann noch das: Eine erfolgreiche Laufbahn ist mit harter Arbeit verbunden. Man darf nie ausruhen, muss immer weitermachen: Wie perfektionie-ren wir dieses oder jenes? Was tun wir als Nächstes?

Ihr Einkommen 2016 wird 33 Millionen US- Dollar erreichen; das heisst, in der Zeit, in der wir reden, verdienen Sie etwa 15 000 US- Dollar. Der hochgerechnete Medienwert der Artikel, die ich veröffentlichen werde, liegt aber bei etwa 100 000 Franken oder US-Dollar – Sie sind unterbezahlt.

Haha, ich werde es dem CEO, meinem Freund Daniel Grieder, sagen.

Sie spenden für wohltätige Zwecke, zum Bei-spiel für die Erforschung und Bekämpfung von Autismus. Sie schreiben, in den vergangenen Jahren sei die Zahl der von Autismus betrof-fenen Kinder stark gestiegen. Woran liegt das, daran, dass mehr Fälle erkannt werden, oder steigt die Zahl der Erkrankungen?

Beides. Es hat tatsächlich auch eine Zunahme von Fällen gegeben, es ist nicht bloss Ergebnis weiterentwickelter Testmöglichkeiten.

Bei Ihrem kleinen Sohn wurde Autismus diagnostiziert. Ein Grund, weshalb die Zahl der Krankheitsfälle zunimmt, könnten Pestizide in Nahrungsmitteln sein, denken Sie. Gibt es wissenschaftliche Anhalts-punkte für diese Theorie?

Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen, die zu diesem Schluss gekommen sind, doch bewiesen ist es nicht. Traurig, wie wenig wir erst über die Ursachen der Krankheit wissen.

Ihr Vater, steht in Ihrem Buch, war gewalttätig und unfair – eine Zeit lang waren Sie sein Prügelknabe, später, als Sie älter waren, ein anderes Ihrer acht Geschwister.

Ja, das war so.

Sie haben seinen Ansprüchen nicht genügt, waren zu schwach und un- geschickt im Sport. Ihren Weg haben Sie dennoch gemacht. Hat er das noch mitbekommen?

Ja, er hat die Anfänge erlebt. Er ist 1983 gestorben, da war ich schon ein bisschen erfolgreich.

Der Titel Ihres Buchs «American Dreamer» ist schön, aber, mit Respekt, falsch. Ich nehme Sie wahr als Macher, als Realist . . . Träumer bauen

keine Firmen, die sie für Milliarden verkaufen. Aber ich hatte Träume, und aus meinen Träumen wurde was. Ich war ein Träumer, ich bin einer;

ich träume immer noch, was für mich als Nächstes kommen könnte.

«Bei Ihnen bevorzugt man Kaschmir ge-

genüber Wolle oder Baumwolle, man kauft Massarbeit

statt Massenware», Tommy Hilfiger

über europäisches Einkaufsverhalten.

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1. Tommy Hilfiger mit Gigi Hadid (links) und seiner Frau Dee Ocleppo Hilfiger, Fashion Media Awards 2016, New York.

2. Mit Iris Apfel, Fashion Group International 2016, New York.

3. «Hitchhiking to see Stonehenge» in

den 1970er Jahren. 4. Tommy Hilfiger mit Designs in seinem Studio in New York, 1987. 5. Mit seiner ersten Frau

Susie Hilfiger, Costume Institute Benefit Gala 1995, New York.

6. Tommy Hilfiger 1986 in New York. 7. Mit Samuel L. Jackson

(Mitte) und Produzent Russell Simmons, 2000.

8. Das erste Logo von «People's Place», Tommy Hilfigers erster Boutique in Elmira, New York.

9. Mit Britney Spears während eines Shootings, 1999.

10. Mit CEO Daniel Grieder und Dee Ocleppo Hilfiger, Tommynow Women's Fashion Show 2016, New York.

Nr. 6 201628  WW Magazin November / Dezember

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Story  WW-Persönlichkeit

Tommy Hilfiger trägt ein Jackett und ein Hemd aus der Tommy-Hilfiger-«Tailored»-Kollektion.

Wie ging er damit um, dass Sie viel mehr erreichten, als er erreicht hatte [Hilfiger senior war Uhrmacher und Juwelier, er war Angestellter; seine Vorfahren kamen aus Deutschland und der Schweiz, die Familie der Mutter von Tommy Hilfiger stammt aus Schottland]?

Gut, er war glücklich über meinen Erfolg und auch stolz auf mich. Unser Verhältnis verbesserte sich, als ich älter wurde. Er fand seinen Frieden, und wir versöhnten uns.

War es ein Motor für Sie, dass Ihr Vater Sie lange Zeit schlecht und unfair behandelt hatte?

Ja, ich denke, es gibt einen Zusammenhang. Aber zu welchem Anteil mein Wunsch, aufzusteigen, mit meiner Vergangenheit zu tun hat, kann ich nicht sagen. Was ich aber sagen kann: Ich wollte meinem Vater gefallen. Ich wollte ihm beweisen, dass ich etwas erreichen kann.

Ihre Mutter, schreiben Sie, versuchte für Harmonie in der Familie zu sorgen, was ihr oft nicht gelang. Wie hat sie reagiert, als Sie berühmt wurden?

Sie hat sich gefreut, aber das Materielle war ihr nicht so wichtig. Sie hat jedes ihrer Kinder gleich behandelt, und in ihren Augen war keines besser oder weniger gut, weil es folgsamer war oder nicht so viel erreichte wie jemand anderes.

«Mein Sohn, der Milliardär» – das hat sie nicht mehr beeindruckt als, sagen wir: «Meine Tochter, die Krankenschwester»?

Ja, das ist so, für sie war das kein Unterschied, Hauptsache wir waren zufrieden und gesund.

Haben Sie bereits den Punkt im Leben erreicht, an dem Ihr Vermächtnis, das Andenken, das Sie hinterlassen werden, wichtiger wurde als der Geschäftsgang des Unternehmens, Ihr Vermögen und so weiter?

Das weiss ich nicht, darüber habe ich noch nie nachgedacht.

Sie sind kein legacy-minded man, keiner, dem es wichtig ist, wie er wahrgenommen wird, wenn er nicht mehr im Geschäft tätig ist?

Im Augenblick kümmere ich mich noch am meisten darum, dass wir das Geschäft am Laufen halten und vergrössern können.

Dann spielen Sie Ihre Rolle, die Sie im Unternehmen haben, aber ein wenig herunter – Sie schreiben, Sie seien nur noch zuständig für das Geben von Interviews, das Eröffnen von Läden in wichtigen Städten und die Pflege von Kontakten . . .

Ich motiviere die Kreativen, und ich inspiriere die Mitarbeiter, das ist auch meine Aufgabe.

Vermissen Sie die «hungrigen» Jahre?Oh ja! In den frühen Jahren suchte ich jeden Stoff für meine

Kleider aus, jede Farbe, jeden Knopf . . . Ich zeichnete alles selber, bevor die Stücke hergestellt wurden.

Das vermissen Sie?Natürlich, es hat Spass gemacht.

Interessant. Jeder, den ich kenne, der noch tief in was auch immer für einem Tagesgeschäft steckt, sagt, er träume davon, nur noch zu bera-ten und andere die Arbeit machen lassen zu können. Sie beraten, lassen andere die Arbeit machen – und möchten sich wieder reinknien.

Haha, ja, ich verstehe. Aber ich liebte diese Prozesse. Denn so schafft man eine Marke, so schafft man sie wirklich. Mit anpacken, nicht mit beraten.

Was werden Sie als Nächstes tun?Weitermachen. Und dann bin ich noch investiert in andere

Marken, in ein Hotel [das «Raleigh» in Miami Beach, das er als Ferienhaus und für einen Teil seiner Kunstsammlung nutzt] . . . Das sind interessante Dinge, die auch Spass machen.

War es ein Motor für Sie, dass Ihr Vater Sie lange Zeit schlecht und unfair behandelt hatte? Ja, ich denke, es gibt einen Zusammenhang. Aber zu

welchem Anteil mein Wunsch, aufzusteigen, mit meiner Vergangenheit zu tun hat, kann ich nicht sagen. Was ich aber sagen kann: Ich wollte meinem

Vater gefallen. Ich wollte ihm beweisen, dass ich etwas erreichen kann.

«AMERICAN DREAMER» VON TOMMY HILFIGER. BALLANTINE BOOKS, NEW YORK, 337 SEITEN

Die Autobiografie, die der amerikanische Unternehmer mit dem Journalisten Peter Knobler veröffentlicht hat, unterscheidet sich von anderen Lebens-

geschichten, die Wirtschaftgrössen über sich schreiben (lassen): Sie ist offen, ehrlich und stellt eine gelungene Mischung aus Selbstkritik und der

Überzeugung dar, einer der Besten der Modebranche zu sein. Zudem lernt man viel über erfolgreiches Verhandeln, wird an exotische Orte entführt

oder erfährt, warum genau Hilfiger den Sänger Axl Rose in einem New Yorker Nachtklub tätlich angegriffen hat.

Nr. 6 2016 WW Magazin 31November / DezemberNr. 6 201630  WW Magazin November / Dezember

Reisereportage  StoryStory  Reisereportage

Nr. 6 2016 Nr. 6 201632  WW Magazin WW Magazin 33November / Dezember November / Dezember

Reisereportage  StoryStory  Reisereportage

as nennt man ein Erste-Welt-Problem: wohin reisen, um ein angenehmes, langes Wochenende oder eine Woche zu verbringen? Es sollte nicht weit sein, aber

weit genug. Denn man möchte erstens weg sein und zweitens die Sonne sehen. Möchte ein paar Tage in einer anderen Welt verbrin-gen. Aber sie sollte nicht ab von dieser Welt sein, denn man hat keine Zeit, ein Visum ein-zuholen, und keine Lust, Schutzimpfungen über sich ergehen zu lassen.

Der Lösungsvorschlag der Mitarbeiterin des Reiseunternehmens: Marrakesch. Das klingt ein wenig schick und mystisch, erfüllt die Anforderungen also (und es gibt Direkt-flüge mit Edelweiss Air ab Zürich) . . . Falls jemandem diese Zeilen bekannt vorkamen,

D hat er ein Elefantengedächtnis. Ich habe sie schon einmal in dieser Zeitschrift veröffent-licht, vor neun Jahren. Höchste Zeit, wieder einmal nach Marokko zu reisen.

Bevor zu lesen sein wird, was es zu sehen und erleben gab, ein Haftungsausschluss: Marrakesch, mit knapp einer Million Ein-wohnern, liegt im Südwesten Marokkos. Das Königreich mit einer Fläche von 446 000 Quadratkilometern (ohne Westsahara; etwa elfmal so gross wie die Schweiz) ist das westlichste der fünf Maghrebländer (sechs mit Westsahara) und grenzt im Osten an Algerien. Mein Eindruck ist, dass es sich um ein sicheres Reiseziel handelt; allerdings wurde im April 2011 ein Terror anschlag auf ein Café auf dem Marktplatz – Djemaa el-Fna – verübt, bei dem siebzehn Menschen starben,

darunter auch Touristen aus der Schweiz. Das Herz von Marrakesch ist die Altstadt, genannt Medina. Diese ist fast dreieckig, und die Schenkel des Dreiecks sind zirka zwei Kilometer lang. Das hört sich nach überschau-barem Gebiet an. Doch genau das ist es nicht – es handelt sich dabei um eine Ansammlung von Plätzen, Strassen, Gassen, kleinen Gas-sen, engen Gassen, noch kleineren Gassen und so weiter. Sie sind auch unüberschaubar, weil sie, zumindest in Touristen-Augen, alle recht ähnlich aussehen. Mit anderen Wor-ten: Sich zurecht und beispielsweise den Weg retour in das Café, an dem man vorhin vor-beiging, zu finden, ist schwierig. Ebenso den Weg ins Hotel, ein Riad genanntes Stadthaus, weil diese von aus sen alle ähnlich unscheinbar sind, was für Paare, bei denen noch Wettbe-

werb herrscht, wer der bessere Pfadfinder sei, zu Spannungen führen kann.

Doch es wäre schade und unnötig, sich in Marrakesch zu streiten. Besser befolgt man den Tipp, der auf der Marrakesch-To-do-Liste, die es als Poster zum Mit-nach- Hause-Nehmen gibt, steht: «Verlaufen Sie sich in der Medina.» Ich kann es emp-fehlen. Denn man verläuft sich nicht richtig respektive nicht für allzu lange – dafür ist die Medina mit ihrer Fläche von wenigen Quadratkilometern nicht gross genug. Und falls man es doch schafft, bittet man jemanden auf Französisch oder Englisch um Hilfe. Am besten erkundigt man sich nach einem Platz oder einem bekannten Gebäude in der Nähe des Ziels, denn Strassennamen, habe ich gelernt, sind nicht immer eindeutig. Es kann

Mädchengruppe auf dem Weg zum zentralen Markt- oder Gauklerplatz Djemaa el-Fna (nicht im Bild). Im Hintergrund das 77 Meter hohe Minarett der Koutoubia-Moschee, ein Wahrzeichen der Stadt.

Dandy im Suk – einer der wenigen Einwohner, der sich gerne fotografieren liess. Die anderen verkaufen einem lieber etwas.

Sich in Marrakesch MIT DER PARTNERIN ZU STREITEN, wäre schade und unnötig. Besser befolgt man den Tipp, der

auf DER TO-DO-LISTE steht, die es als Poster zum Mit-nach- Hause-Nehmen gibt: «Verlaufen Sie sich in der Medina.»

Nr. 6 2016 WW Magazin 35November / Dezember

Reisereportage  Story

allerdings sein, dass einem die freundlichen und hilfsbereiten Bewohner der Stadt, nicht ganz eigennützig, stattdessen den Weg ins Geschäft eines Cousins beschreiben. Dort angekommen, erinnert man sich am bes-ten an den Satz: «Hilf dir selbst, sonst hel-fen dir alle.» «Danke», auch im Sinn von: «Nein, danke», heisst auf Arabisch übirgens «Shukran».

Weitere Einträge auf der To-do- Liste sind: «Tragen Sie Babuschen», «Trinken Sie Tee», «Besuchen Sie einen Hamam» oder «Spielen Sie Oud». Den letzten Punkt konnte ich nicht abhaken, weil der Oudspieler, dem ich begeg-net bin, mir sein Saiteninstrument nicht in die Hand geben wollte. Was er mir dagegen anbot: seinen Fes aufzusetzen und zu ver-suchen, mittels kreisenden Kopfbewegungen die Quaste, die auf dem flachen Deckel ange-bracht ist, durch die Luft sausen zu lassen. Ich habe es nicht geschafft, ehrlich.

Marrakesch ist eine der vier Königsstädte Marokkos. Das heisst, es gibt zahlreiche Sehenswürdigkeiten: die Koutoubia-Moschee und die Kasbah – Festung aus dem 12. Jahr-hundert – oder die Ben-Youssef- Koranschule aus dem 14. Jahrhundert. Ferner die Suks, Märkte, deren Angebot von touristisch bis wirklich kaufenswert reicht; einige Geschäfte, die ich zum Besuch empfehle, liegen in der Nähe der Place de la Kissaria. Und die Gär-ten: Agdal sowie Menara oder in der Neu-stadt den Jardin Majorelle, der zuerst dem Maler Jacques Majorelle gehörte – dieser war bekannt für sein Kobaltblau, das er auch im Garten oft verwendete – und später Yves Saint Laurent, dem Modeschöpfer. Etwas ausser-halb ist der Anima-Garten, dabei handelt es sich um die neueste Anlage, geschaffen von André Heller, dem österreichischen Künst-ler; der knapp dreissig Kilometer weite Weg dorthin lohnt sich.

DAS MODERNE LEBENDie Neustadt, etwa die Viertel Gueliz und Hivernage, anzuschauen, ist ebenfalls interessant – denn dort ist das moderne Leben zu Hause. Im «Le Comptoir» oder «Dar Rhizlane» zum Beispiel, diese Restaurants mit Bars sind so etwas wie Marrakeschs Äqui-valent zum Zürcher «Kaufleuten». Es über-rascht, dass es das in einem muslimischen Land gibt. Und im neuen «Mandarin Orien-tal», dem vielleicht besten Haus der Region, sicher aber dem Hotel mit den grössten Vil-len, nicht Zimmern, wurde gerade ein «Ling Ling»-Restaurant eröffnet. Es gehört zur Lon-doner Hakkasan-Gruppe, die Küche ist pan-asiatisch, wie man sagt, an Wochenenden treten DJs auf, und weitere Attraktionen sind

Weitere Einträge auf der To-Do-Liste sind:

«Tragen Sie Babuschen», «Trinken Sie Tee»

oder «Besuchen Sie einen Hamam».

eine lange Bar plus eine längere Liste alkoho-lischer Cocktails. Das «Mandarin» ist in der Nähe des recht modernen Flughafens gelegen, vom Stadtzentrum in etwa fünfzehn Minuten mit dem Wagen erreichbar.

Der ebenfalls empfehlenswerte Gegenent-wurf zu einem Hotel der Spitzenklasse ist ein Aufenthalt in einem Riad. Es gibt Hunderte, wenn nicht Tausende dieser Stadthäuser in der Medina. Wahrscheinlich unterscheiden sich alle irgendwie voneinander, doch zwei Dinge haben sie gemeinsam: Ihre inneren Werte erkennt man erst, nachdem man

Kochkurse an fremden Orten sind empfehlenswert. Weil einem die cuisine und ihre Rezepte viel über die Befindlichkeit ebendort verraten. Hier entsteht in einem Riad, einem Stadthaus, Tajine mit Poulet.

Quacksalber oder Apotheker Ihres Vertrauens? Wir

entschieden uns für Letzteres – und

kauften einen Flakon Arganöl (wirkt

gegen respektive für fast alles).

Suks gibt’s in Marrakeschs Medina

viele – die vielleicht besten befinden sich

in der Nähe der Place de la Kissaria.

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Story  Reisereportage Reisereportage  Story

die staubige Gasse und die bröckelnden Mau-ern hinter sich gelassen hat und in den küh-len Hof, um den herum sich auf mehreren Stockwerken die Zimmer befinden, getreten ist. Und zweitens, in ihnen weht der «Zauber des Orients», den der Reiseführer verspricht, tatsächlich. Gemeint ist hier ein Reisefüh-rer in Buchform oder im World Wide Web. Einen weiteren, oft besseren Reiseführer gibt der gérant oder monsieur des Riads ab; es handelt sich dabei meist um einen Franzo-sen, der die Stadt und Umgebung kennt und für den Besitzer des Riads, meist ebenfalls ein Franzose, nach dem Rechten schaut. In unserem Fall hiess der Riad Tawargit und dessen Chef Olivier. Und er hatte wenigs-tens zwei sehr gute Ideen für Aktivitäten respektive Exkursionen, die aus einem nor-malen Marrakesch-Aufenthalt einen gelunge-nen Marrakesch-Aufenthalt machten.

DIE KÜCHE ERZÄHLTIch bin ein Fan von Kochkursen an fremden Orten. Weil einem die cuisine und ihre Rezepte viel über die Befindlichkeit ebendort verraten. Bei uns gab es Tajine mit Poulet. Unter Tajine versteht man einen traditionellen Topf aus Ton mit Deckel, wie er einem im Suk angeboten wird. Man bezeichnet aber auch das Gericht, das darin zubereitet wird – Gemüse, Cous-cous –, als Tajine. Vereinfacht lässt sich sagen: Es gibt so viele Tajine-Varian ten, wie es marok-kanische Köchinnen gibt. Richtig, gekocht wird in Marokko meistens noch von Frauen, ausser in den neustädtischen Vierteln der grösseren Städte, wie unsere Köchin erzählte. Das Tajine, das sie zubereitete, enthielt zirka ein Dutzend verschiedener Gewürze – Kurkuma, Koriander, Kreuzkümmel . . . Man kann es auch ein facher haben und eine Mischung mit Namen Ras el-Hanout oder Dukkah kaufen. Eine Küche, die so viele verschiedene Gewürze verwendet, ist eine, die was zu erzählen hat, sozusagen. Etwa von Karawanen, die früher durchs Land zogen und Halt machten und davon, was die Reisenden mitgebracht hatten und so weiter.

«Spielen Sie Oud» – diesen Punkt konnte

ich nicht abhaken, weil der Oudspieler mir sein Saiteninstrument

nicht geben wollte.

Das 77 Meter hohe Minarett der Koutoubia-Moschee,

noch einmal, weil's ein Wahrzeichen der Stadt ist;

davor ein Stück vom Markt- oder Gauklerplatz

Djemaa el-Fna.

Nr. 6 201638  WW Magazin November / Dezember

Berber sind die Ureinwohner Marokkos und machen noch heute rund achtzig Prozent der Bevölkerung aus. Sie ist eine von ihnen.

Ein «Berbertaxi» ist ein Esel (nicht im Bild). Und eine «Berberterrasse» ein Teppich auf einer Fläche vor dem Haus. Diese Witze, nebenbei, machen die Berber selbst.

Dörfer im Hohen Altas bestehen aus Häusern mit unverputzten Mauern, die an Schwalbennester in Felsvorsprüngen erinnern – manche haben weder Strom noch fliessendes Wasser.

Story  Reisereportage

Nr. 6 2016 WW Magazin 41November / Dezember

Unser Tajine mit Poulet – am Vortag gekauft, mit Zitrone und Knoblauch eingerieben und über Nacht ruhen gelassen – schmeckte hervor-ragend, überhaupt ist die marokkanische Küche ein weiterer guter Grund, nach Marrakesch zu fahren.

Bei der «Berber-Erfahrung» handelte es sich um eine Fahrt in einem Offroader in ein Tal im nahen Hohen Atlas. Dieser Teil des Gebirges hat seinen Namen nicht von irgend-woher – Marrakesch liegt auf zirka 450 Meter über Meer, die Gebirgskette des Hohen Atlas, die zirka 50 Kilometer von der Stadt entfernt durchführt, zählt mehrere Gipfel, die über 4000 Meter hoch sind und zahlreiche Dörfer, die auf 2500 oder so Metern liegen. Drum also, auch wenn es in der Stadt 30 oder mehr Grad warm und windstill ist, Pullover und Wind-jacke sowie lange Hosen anziehen. Die Fahrt über Naturstrassen, nachdem man die letzten grösseren Dörfer durchquert hat, ist etwas für

Mutige, jedenfalls wenn man einen Fahrer hat, der denkt, Geschwindigkeiten unter 50 km/h seien nur etwas für Angsthasen. Die schrof-fen, steilen, kaum bewachsenen Hänge, die man zu sehen bekommt, kann man selbst als an Berge gewohnter Schweizer als eindrück-lich beschreiben. Und die Dörfer, bestehend aus Häusern mit unverputzten Mauern, die an Schwalbennester in Felsvorsprüngen erinnern, hätte man so nicht erwartet – manche haben weder Strom noch fliessendes Wasser. Auf der Strasse stehen Kinder, die einen misstrauisch, wenn auch nicht unfreundlich ansehen – und das, nachdem man vor zirka einer Stunde an einem Louis-Vuitton-Geschäft in Marrakesch- Neustadt vorbeigefahren ist.

ESEL REITEN UND TA JINE ESSENBerber sind die Ureinwohner Marokkos und machen noch heute rund achtzig Prozent der Bevölkerung aus. Die Mehrheit davon sind

sesshafte Bauern, die anderen Nomaden. Die zirka zwanzig Prozent Nichtberber des Lan-des sind Einwanderer aus arabischen Län-dern, ein paar Christen und einige Juden. Die Berbersprache enthält einige Wörter aus dem Französischen und erinnert ein wenig an Créole. In den Dörfern des Atlas begeg-net man kaum noch Marokkanern, die andere Sprachen als ihren Berberdialekt und marok-kanisch-arabisch beherrschen. Was aber der Berber-Erfahrung nicht schadet – Esel reiten und Tajine-Essen geht auch ohne viel verbale Kommunikation. Und wenn wir es davon ha-ben: In der Stadt ist Wi-Fi sozusagen überall vorhanden, einigermassen stabil mit brauchba-rer Übertragungsgeschwindigkeit. Im Gebirge dagegen gibt es nicht mal ein Mobiltelefonnetz.

Was uns zurückführt zum Erste-Welt-Problem: wohin reisen, um einige angenehme Tage zu verbringen? Die, oder immerhin eine Antwort ist mittlerweile klar, hoffe ich.

Reisereportage  Story

Etwas ausserhalb ist der Anima-Garten,

geschaffen von André Heller, der knapp

dreissig Kilometer weite Weg dorthin lohnt sich.

John Travolta in drei seiner wichtigsten Rollen: in «Staying Alive», «Pulp Fiction» und «Saturday Night Fever» (von links im Uhrzeigersinn).

John Travolta  Story

Nr. 6 2016 WW Magazin 43

Nr. 6 2016 Nr. 6 201644  WW Magazin WW Magazin 45November / Dezember November / Dezember

John Travolta  StoryStory  John Travolta

estern seien sie mit seinem Challenger-Jet hergeflogen: «Es ist schön hier. Mein Sohn hat gleich einen grossen Fisch im Genfersee geangelt und war ganz aus dem Häuschen.» Komisch, wie er so normal daherredet. Und doch aussieht, wie eine Figur aus Madame Tussaud’s. Denn er ist: John Travolta.

Schwere Vorhänge in Purpur, ein Sofa mit weichen Kissen – ein Genfer Hotelzimmer. Der Schauspieler darin trägt Anzug und Haare auf

dem Kopf, die nicht seine eigenen sein können. Jahrelang hat Travolta auf dem Kopf und im Gesicht eigenartige Experimente über sich erge-hen lassen. Doch der 62-Jährige sieht nicht mehr halb so museal oder skurril aus, wie man ihn auch schon gesehen hat. Manches an ihm mag gemacht sein, aber es ist gut gemacht. Er kommt optisch wie eine sei-ner Rollen daher. Und man denkt, der eigent-liche Weg wäre doch: Der Schauspieler macht die Figur. Nicht umgekehrt.

John Joseph Travolta wurde in eine katho-lische Familie in New Jersey geboren. Seine irischstämmige Mutter, 42 bei seiner Geburt, war Schauspiellehrerin und hatte früher selbst gespielt sowie gesungen. Sein italo-amerika-nischer Vater, von Beruf Reifenverkäufer, war früher Footballspieler gewesen.

Am Beginn von Travolta juniors Aufstieg standen zwei Musikfilme: «Saturday Night Fever» (1977) und «Grease» (1978). Von da an wurde er für eine Zeit lang mit Rollenangeboten überschwemmt, und die anderen jungen Schauspieler in Hollywood konnten froh sein, dass selbst Travolta nicht alle attraktiven Charaktere gleichzeitig spielen konnte. Die Haupt-rollen in «American Gigolo» und «Ein Offizier und Gentleman» wurden

ursprünglich Travolta angeboten – diese beiden Filme machten dann Richard Gere berühmt. Travolta lebt mit seiner Frau, der Schauspielerin Kelly Preston, in Florida. Das Paar hat zusammen drei Kinder – Tochter Ella Bleu, 16, und Sohn Benjamin, 6. Der ältere Sohn Jett starb 2009, mit 16, an einem Krampfanfall.

«Saturday Night Fever», «Pulp Fiction» oder «Schnappt Shorty»: Aus dem grossen Angebot Hollywoodscher Produktionen stechen immer wieder Filme hervor, die man nicht vergisst. Und die von Travolta getragen wurden. Und vielleicht handelt es sich dabei um Filme, die man nicht vergisst, weil sie von ihm getragen wurden. Vereinfacht lässt sich sein Werk auf zwei Rollen zusammenfassen, seine beiden Paraderollen: zuerst den sexy loverboy, der singen und tanzen kann. Später den ambivalenten Kriminellen, ein kaputter Kerl und doch . . . nett, irgendwie, das männliche Gegenstück zur Hure mit dem Herzen aus Gold. Für immer unvergessen ist Travolta in der Rolle des

Kleinverbrechers Vincent Vega in «Pulp Fiction» von 1994. Noch in vielen Jahren, beim Lesen sei-nes Nachrufs, wird es eine Szene sein, die sich vor dem geistigen Auge abspielt wie ein – Film eben: seine Tanzszene mit Uma Thurman. Wie kann man etwas so darstellen?

«Vincent Vega war heroinabhängig, also habe ich im Vorfeld verschiedene Heroinabhängige interviewt», sagt Travolta. «Einer der Junkies ver-

glich das Einsetzen des Rauschgefühls mit Tequila-Trinken in einer war-men Badewanne», fährt er fort. «Als Vorbereitung habe ich mir also ein Bad eingelassen und Tequila getrunken.»

Bei seiner Tanzpartnerin Mia Wallace (Thurman) bestand der Rausch aus etwas anderem: Kokain und Alkohol – «Sie war schon in diesem Zustand, als wir auf die Tanzfläche gingen. Uns schwirrte auf zwei verschiedene Weisen der Kopf, if you know what I mean.» Travolta persönlich habe Thurman

G

am Set gezeigt, wie man Kokain vom Waschbeckenrand in die Nase zieht, steht in Michael Scholtens Biografie von Quentin Tarantino, dem Regisseur des Films. Am Set seien sie aber beide immer nüchtern gewesen, sagt Travolta, und auch die Vorbereitungen seien – bis auf den Tequila – Trockenübungen gewesen.

Hat ein Schauspieler Mitspra-cherecht beim Entwickeln seiner Charaktere? Und wer hat zum Bei-spiel die Magie seiner stärksten Sze-nen heraufbeschworen? Er oder der Regisseur? «Nun, Tarantino wollte, dass wir den Twist machen. Das war die Anweisung», sagt Travolta. «Dann ging ich auf ihn zu und sagte: Wenn es zeitgemäss und bunt wer-den soll, müssen wir was Neues daruntermischen, ein paar humorvolle moves in die Szene bringen – also habe ich den ‹Schwimmer›, ‹Batman› und den ‹Autostopper› eingebracht. Ich hatte also Ideen, wie wir es interessanter machen kön-nen. Aber natürlich mussten wir in erster Linie die gegebenen Charaktere im Kopf behalten.» Vielleicht ist es diese Mischung, die aus einem Schauspieler einen grossen Schauspieler macht.

Ruhm und Vergessenheit wechseln sich in Travoltas Arbeitsleben ab. Oder mit anderen Worten: Er ist der Mann der Comebacks. Und vielleicht wäre mal wieder Zeit für eines. In den vergangenen Jahren war es eher ruhig um ihn. Der Grund, der ihn nach Genf führt, ist kein neuer Film, sondern die Uhrenmanufaktur Breitling. Travolta ist deren Testimonial, und am Tag, als dieses Gespräch stattfand, wurde die erste Boutique des Unternehmens in Genf eröffnet. Travolta passt zum Aviatik-Image der Marke. Neben seinem fly-in- Zuhause in Florida gibt es mehrere Rollfelder für seine verschiedenen Privatmaschinen.

Travolta hat sogar ein Kinderbuch über das Fliegen ge-schrieben, bei dem er auch an den Illustrationen mitgewirkt hat: «Nachtflug nach L. A.», ursprünglich für seinen Sohn ge-schrieben, 2002 veröffentlicht (Originalversion 1997). «Ich wäre Pilot geworden, wenn es mit der Schauspielerei nicht ge-klappt hätte», sagt er. «Das Fliegen verschafft mir ein leichtes Herz und das Gefühl, frei zu sein. Es macht jung. Wenn mei-ne Schwester mit mir fliegt, findet sie, ich sei wie ein Zehn-jähriger.» Mehr als 9000 Flugstunden hat er bereits hinter sich, das heisst, um seinen Privat-Piloten-Ausweis muss er sich nicht sorgen.

Neben dem Fliegen fand er aber doch noch Zeit, Filme zu drehen. 2015: «Der Auftrag», «Criminal Activities». 2016: «Rage – Tage der Vergeltung», «The People v. O. J. Simpson: American Crime Story», «In a Valley of Violence» . . . Keine schlechten Filme, aber wohl kein Werk darunter, das herausragt. Travolta erging es in den letzten Jahren ähnlich wie anderen Namen von Hollywoods ehemaliger A-Liste: Immer häufiger feiern seine Filme nicht mehr Premiere in Tausenden von Kinosälen, sondern kommen gleich auf DVD und Blu-ray raus. Doch er lässt sich davon nicht runterziehen, im Gegenteil.

Kein Scientology«Tom Hanks und ich: Hollywood war gut zu uns. In der ganzen Geschichte Hollywoods wurden wir doch am besten behan-delt. Wir bekamen alle Rollen, die wir spielen wollten. Wir

«Hollywood war gut zu mir, so gut», sagt John Travolta. Er habe ALLE ROLLEN BEKOMMEN, die er habe spielen

wollen: am Anfang den SEXY LOVERBOY, der singen und tanzen kann, später den KLEINKRIMINELLEN – kaputt,

aber irgendwie doch nett. Jetzt ist er 62 Jahre alt und trägt mit Würde Falten – in einem der besten Gesichter

der Filmgeschichte.

haben die Zuschauer umarmt, und sie uns», sagt Travolta. Es irritiert, dass er das behauptet – denkt er einfach positiv, oder ist es das Ergebnis vieler langer Seminare von Scientology und die Sicht, die man als «Operating Thetan Level III» oder auf einer vergleichbar fortgeschrittenen Stufe der religiösen Bewegung hat? Das würde ich Travolta im Grunde gerne fra-

gen. Doch das Management hat Scientology-Fragen im Vorfeld abgelehnt.

Der Film, in dem Travolta viel-leicht am meisten berührt hat, ist von 2004: «Lovesong für Bobby Long». Vielleicht geht er einem darin gerade deshalb so nahe, weil er keine seiner beiden Paraderollen spielt, sondern einen

Literaturprofessor, der alles verloren hat, aber – ganz unten im Alkoholismus angekommen – mit kindlichem Trotz wei-terhin die Schönheit von Poesie beschwört und seine eige-nen besseren Tage besingt.

Travolta spielt, an der Seite der damals ganz jungen Scar-lett Johansson, eine Figur die, verglichen mit anderen Rol-len, aus dem echten Leben gegriffen ist. Und er tut dies mit schütterem weissen Haar und einer Glaubwürdigkeit, die ihm zwischen zeitlich immer mal wieder abhandengekommen ist. Er sang und er tanzte in diesem Film, wenn auch anders. Doch der alte Zauber war wieder da.

«Grease 2.0»2017 kommt mit «The Life and Death of John Gotti» ein Film über den Mafia-Paten heraus, in dem Travolta die Haupt rolle spielt. Dafür hat er Aufwand betrieben: «Ich habe Bücher studiert, die authentische Informationen über das Leben Gottis enthalten. Zudem gibt es Videos von Überwachungskameras, die ich mir angesehen habe. Gottis Frau, Victoria, ist ausserdem noch am Leben, ebenso ihr Sohn. Ich konnte mich mit beiden unterhalten. Und ich habe auch mit vielen der Leute gespro-chen, mit denen Gotti Geschäfte gemacht hat.» Was ihn an dem 2002 verstorbenen Oberhaupt einer New Yorker Mafia-Familie fasziniere, sei «diese Sache namens Cosa Nostra». Gotti sei ein komplexer Charakter, ein Familien mensch und Verbrecher, der dennoch einem gewissen Ehrenkodex gefolgt sei.

Es dürfte ein guter Film sein. Wenn auch keiner, in dem der Held tanzen und singen wird. Hätte er deshalb vielleicht Lust auf eine Art «Grease 2.0»? «Ich würde es lieben!», sagt Travolta. «Und ehrlich gesagt: Ich arbeite daran. Aber es muss passen. Die richtige Rolle, der richtige Film, das ist gar nicht so einfach.» Sicher auch nicht einfach ist es, als Schauspieler zu altern – nicht einmal als the one and only John Travolta. Die perfekte Rolle, die ihm heute auf den Leib geschnitten ist und alle Welt noch einmal überrascht, hat er noch nicht gefunden. Unmöglich ist es nicht: Robert Redford wurde mit 62 Jahren erneut ein Sexsymbol als der «Pferdeflüsterer».Und Clint Eastwood, Jack Nicholson, Al Pacino oder Robert De Niro feierten ebenfalls späte, grosse Erfolge. Und schliess-lich gehören die Falten im Gesicht von John Travolta zu der Sorte Falten, die eines der besten Leben von Hollywood – wie er selbst findet – in eines der besten Gesichter von Hollywood geschrieben hat.

Der Film, in dem Travolta vielleicht am meisten

berührt hat, ist «Lovesong für Bobby Long».

Jahrelang hat Travolta auf dem Kopf und im Gesicht

eigenartige Experimente über sich ergehen lassen.

1976 CARRIE

1977 SATURDAY

NIGHT FEVER

1978 GREASE

1980 URBAN COWBOY

1981 BLOW OUT –

DER TOD LÖSCHT ALLE SPUREN

1983 STAYING ALIVE

1989 KUCK MAL,

WER DA SPRICHT!

1994 PULP FICTION

1995 SCHNAPPT SHORTY

1998 MIT ALLER MACHT

2001 PASSWORT: SWORDFISH

2004 LOVESONG FÜR

BOBBY LONG

2010 FROM PARIS WITH LOVE

2013 KILLING SEASON

2017 THE LIFE AND DEATH

OF JOHN GOTTI

Text: CLAUDIA SCHUMACHER Illustrationen: RICHIE POPE

Nr. 6 2016 WW Magazin 47November / Dezember

Uhren- und Schmuckhandel  Story

1888 fing in Luzern ein GOLDSCHMIED MIT NAMEN BUCHERER an, Uhren und Schmuck zu verkaufen. Heute ist das Unternehmen einer der wichtigsten

Händler der Welt für TEURE SCHWEIZER UHREN. Und sein Besitzer, der Vertreter der dritten Generation, einer der reichsten Schweizer. Die neue Kollektion

«BLUE EDITIONS» besteht aus 14 Uhrenklassikern in Blau – Bucherers Hausfarbe.

Blaues Wunder

«Altiplano» von Piaget, aus Rotgold, Fr. 17 900.–.

Text: MARIANNE ESCHBACH

Bilder: DANIELE KAEHR & MAYA WIPF

er Duden erklärt die Redewendung «blau-machen» mit «während eines bestimmten Zeitraumes ohne triftigen Grund nicht zur Arbeit gehen». Das ist die neuzeit liche Interpretation. Der Ausdruck hingegen geht auf das alte Handwerk der Färber

zurück. Die Pause war Teil ihres Arbeitsprozesses und hatte mit faulem Müssiggang nichts zu tun. Die damalige Färbemethode machte nämlich eine natürliche Oxidation im Tageslicht notwendig, damit sich das gewünschte Blau entwickelte. Während die Garne und Textilien an der fri-schen Luft hingen und der Vorgang sie also «blau machte», konnten die Färber nichts tun, weil sie eben «blaumach-ten». Es gibt also durchaus gute Gründe fürs Blaumachen, so sollte man das sehen.

Das Luzerner Uhren- und Schmuckunternehmen Bucherer ist ganz auf dieser Linie. Zwar werden «Durch-haltevermögen, unermüdliches Streben nach Erfolg und enorm viel Fleiss» als Unternehmenstugenden hochgehal-ten, wie der Patron in dritter Generation, Jörg G. Bucherer, in seiner Festschrift zum 125-jährigen Firmenjubiläum 2013 schrieb. Das ist aber kein Widerspruch. Denn des einen Musse ist des anderen Geschäft. Seit der Gründung des Unternehmens hält man dieses ohne Unterbruch fleis-sig und mit Erfolg am Laufen, gerne an Orten, an denen andere blau, sprich: Ferien machen. Der aus einer Basler Kaufmannsfamilie stammende Goldschmied Carl Friedrich Bucherer hatte den richtigen Riecher, als er sich Luzern aussuchte, um zusammen mit seiner Frau Louise im Jahr

1888 am Falkenplatz ein Verkaufsgeschäft für Schmuck und Uhren aufzumachen. Der Tourismus in der Schweiz war mit Eisenbahn und Dampfschifffahrt gerade in die Gänge gekommen. Luzern hatte bald sogar einen Luft-schiffanlegeplatz.

Die Erkenntnis, dass das Geld da besonders leicht rollt, wo Leute sich erholen, genügte dem Geschäftsmann nicht. Die Bucherers blickten weiter und liessen ihre beiden Söhne strategisch geschickt ausbilden: Ernst wurde in den Jura, nach Saint-Imier, in eine Uhrmacherlehre gesteckt, Carl Eduard absolvierte in London eine Goldschmiedelehre, wobei er sich auf die Feingestaltung von Uhrgehäusen spe-zialisierte. Den Duft der grossen weiten Welt in der Nase, und mit dem Wissen, dass Geld nicht nur dort zu machen ist, wo es zwecks Freizeitgestaltung ausgegeben wird, son-dern auch da, wo es verdient wird und der Amüsierwille gross ist, in glitzernden Metropolen also, eröffnete er 1915 ein Geschäft Unter den Linden in Berlin. Bruder Ernst wurde derweil ebendort kaiserlicher Hofuhrmacher. Die Lichter der Grosstadt erloschen für die beiden allerdings nach kurzen drei Jahren mit der Novemberrevolution und der Abschaffung der Monarchie in Deutschland. Zurück in der Heimat, wurden weitere Schweizer Tourismus-Des-tinationen erschlossen. Bucherer baute in den 1920er Jah-ren Geschäfte in Lugano, St. Moritz und Interlaken auf. Und statt Zeitmesser für den Kaiser zu fertigen, lancierte Bucherer ab 1919 Uhren unter eigenem Namen.

Die 1920er Jahre waren bestimmt von unternehmerischem Geschick und einem persönlichen Schicksalschlag in

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Nr. 6 2016 Nr. 6 201648  WW Magazin WW Magazin 49

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November / Dezember November / Dezember

Story  Uhren- und Schmuckhandel

«Master Collection» von Longines,

aus Stahl, Fr. 24 000.–.

der Familie. Die Brüder nahmen 1924 die damals junge Marke Rolex ins Sortiment auf. Ein weitsichtiger Entscheid, und die Beziehung zur umsatzstärksten Uhrenmarke der Welt hält bis heute. Bucherer ist einer der wichtigsten Rolex-Konzessionäre und verfügt über das weltweit grösste Angebot der Uhrenmodelle mit der Krone auf dem Ziffer-blatt. Bis in die 1970er Jahre hinein glichen sich die Logos der beiden Häuser sogar: Grüne Schriftfarbe und darü-ber ein goldenes Emblem, bei Rolex eben die Krone, bei Bucherer eine Kartusche mit Familienwappen (einer Buche) und einem Schwan (einer Anspielung an die Adresse, den Luzerner Schwanenplatz). Carl Eduard Bucherer zog es noch einmal in die Ferne: Er und seine Frau Wilhelmina, genannt «Mina», eröffneten in Santiago de Chile ein Geschäft. Mina Bucherer-Heeb, eine moderne Frau mit Flair für Gemmo-logie zudem, baute die Edelstein-Abteilung im Unterneh-men auf und betreute den Einkauf der Gemmen. Dafür reiste sie um die Welt. 1927, auf einer Passage vor der bra-silianischen Küste, sank die «Principessa Mafalda» – an Bord befand sich, unter anderen Passagieren, Mina Buch-erer, die dabei ihr Leben verlor. Der Schiffsuntergang gilt bis heute als der schlimmste Unfall in der Geschichte der zivilen Seefahrt Italiens – 314 Menschen – ein Viertel der Passagiere und Besatzungsmitglieder – starben. Das Wrack wurde bis heute nicht gefunden. Es soll 1400 Meter tief auf dem Boden des Atlantik ruhen. Mit ihm kostbarer Schmuck und Uhren aus dem Besitz der Mina Bucherer.

Zu Hause verlegte Bucherer seinen Stammsitz 1930 an den Schwanenplatz in Luzern, wo es bis heute ein Ver-kaufsgeschäft gibt. Zu den besten Zeiten, ab den 1980er Jahren, hielten bis 250 Reisebusse täglich direkt vor Bucherers Türe – und brachten vor allem Käufer aus Asien. Im Inneren des Geschäfts sorgten schon früh Rolltreppen für einen besseren Fluss der zehntausend Kaufwilligen am Tag. Es scheint, dass das gute Karma des Gründungs-jahres 1888 bei Bucherer im Spiel ist. In China gilt die 8 als die beste aller Glückszahlen. Sie verspricht Geld. Eine dreifache 8 ergibt dann wohl ein Vermögen. Und die 1 sorgt für guten Rückenwind. Das private Unterneh-men Bucherer veröffentlicht kaum Geschäftszahlen. Alleinbesitzer Jörg G. Bucherer ist in der Bilanz-Liste der 300 reichsten Schweizer unter den Milliardären aufgeführt.

Expansionspläne über die Landesgrenze hinaus nahm das Unternehmen wieder Ende der 1980er Jahre auf, als durch den Kauf eines österreichischen Juweliers die erste Auslandfiliale in Wien eröffnet wurde. In der Schweiz wurde derweil die Juwelier-Kurz-Gruppe übernommen. Dem Schritt in Richtung Osteuropa folgte jener nach Deutsch-land in den 1990er Jahren, wo es unterdessen neun Filialen an sechs Standorten gibt. In der jüngeren Vergangenheit führte Bucherer als erster Juwelier ein Graduierungszerti-fikat für Perlen ein, weiter wurden die Diamantschmuck-linien «Lacrima» und «Vive Elle» lanciert. 2001 fasste

Bucherer seine Uhrenproduktion unter der Marke Carl F. Bucherer zusammen. Kürzlich wurden zehn Millionen Franken in den Ausbau der Produktionsstätte in Lengnau bei Biel investiert. Uhren-CEO Sacha Moeri steigerte den Output von knapp 6500 Uhren 2009 auf beinahe 25 500 Stück im vergangenen Jahr. Das Ziel ist, 30 000 Carl-F.- Bucherer-Uhren jährlich herzustellen.

Klar hat die hauseigene Uhrenmarke auch ein Modell zu den «Blue Editions» beigetragen. Für deren Lancierung gebe es keinen speziellen Grund, sagt Marketingchef Jörg Baumann. Blau sei die Hausfarbe und spiele in der Uhr- m acherei eine wichtige Rolle. In der Metall bearbeitung zum Beispiel für gebläute Zeiger. «Zudem ist es eine ele-gante Farbe, was gerade bei Luxusuhren eine Rolle spielt, wenn man Farbe wagt», sagt Baumann.

Einen weiteren Schritt zur Verfeinerung der Distribution ist Bucherer gerade dabei zu unternehmen: In Warenhäu-sern werden Bucherer-Boutiquen eröffnet. Gleichzeitig mit jener im Jelmoli in Zürich entstand auch im Alsterhaus in Hamburg eine Boutique. Kommendes Jahr wird es bei Oberpollinger in München einen Shop-in-Shop geben und 2019 im Berliner KaDeWe. Alles Städte, in denen Bucherer bereits mit eigenen Geschäften vertreten ist. Der Grund sei die Hybridisierung der Kaufgewohnheiten, sagt Bau-mann und meint damit, dass Kundinnen heute vielleicht eine Chanel-Tasche zum Top von Zara und eine Jacke von H&M zur Hose von Hermès tragen. Und dazu eben eine Uhr oder Schmuck von Bucherer. Hochpreisige und güns-tige Teile werden gemischt. So will man in Warenhäusern Kunden ansprechen, auch jüngere, die sich möglicher weise nicht in ein Uhrenfachgeschäft oder eine Bijouterie bege-ben mögen, die aber, wenn sie einfach beim Shoppen in vertrauter Umgebung auf ein schönes Stück stossen, doch gerne mal zugreifen.

Bucherers neueste Auslandadresse (nach der Eröffnung eines grossen Geschäfts in Paris im Jahr 2013) befindet sich in Kopenhagen. Seit vergangenem Oktober empfängt man auf 650 Quadratmetern Kunden, und diese Fläche macht Bucherers Niederlassung im Warenhaus Illum zum grössten Uhrengeschäft Skandinaviens. Bucherer setzt auf Kopen-hagen als skandinavischen Hub. Während Bucherer Paris, das mit 2200 Quadratmetern grösste Uhrengeschäft der Welt, zurzeit über ausbleibende Touristen klagt, wie viele Geschäfte im Verkauf, verzeichne man bei einheimischen Kunden steigende Einkäufe. Und auch die ersten Erfahrun-gen aus Kopenhagen seien erfreulich, sagt Jörg Baumann.

Zurück zum Anfang, zur Bucherer-«Blue Editions»- Kollektion, die für Tradition und fürs Blaumachen steht. Blaumachen heisst nicht Nichtstun, sondern: darauf warten, dass man weiter das tun kann, was man am bes-ten kann. Und das ist, was Bucherer angeht, der Verkauf von kostbaren Uhren und schönem Schmuck an Menschen aus der ganzen Welt.

BUCHERER «BLUE EDITIONS»Uhrenkollektion, die in Zusammenarbeit mit namhaften Uhren-

partnern entstand. Vierzehn Modelle von neun Uhrenmarken umfasst die Kollektion, alle inspiriert von der

Farbe Blau, der Hausfarbe des Luzerner Juweliers. Exklusiv in den Bucherer-Boutiquen erhältlich. www.bucherer.com

Carl Eduard Bucherer und seine Frau eröffneten in Santiago de Chile ein Geschäft. Mina Bucherer-Heeb, eine moderne Frau mit Flair für Gemmologie zudem, baute die Edelstein- Abteilung im Unternehmen auf.

CARL F. BUCHERER, «Manero Peripheral»,

aus Stahl, Fr. 6500.–.

CHOPARD, «Happy Sport», aus Edelstahl,

Fr. 5990.–.

IWC, «Portugieser», aus Rotgold, Fr. 16 700.–.

JAEGER-LECOULTRE, «Master Ultra

Thin Date», aus Stahl, Fr. 8200.–.

H. MOSER & CIE.,«Venturer Small

Seconds», aus Weissgold, Fr. 18 500.–.

PANERAI, «Radiomir 1940»,

aus Edelstahl, Fr. 9900.–.

«Royal Oak Offshore Chronograph» von

Audemars Piguet, aus Stahl und Rotgold,

Fr. 31 400.–.

Nr. 6 2016 Nr. 6 201650  WW Magazin WW Magazin 51November / Dezember November / Dezember

Warum Venedig die Stadt der Liebe sein soll, habe ich persönlich nie begriffen. Sie ist teuer, eng und überlaufen, nirgends hat man seine Ruhe. Und auch bei der angeblich so romantischen Gondelfahrt, während der man sich im Lichte der versinkenden Sonne unter der Seufzerbrücke küssen soll, um dann immerwährende Zuneigung zu erfahren, hat man mindestens den matrosenhemdtragenden Gondoliere mit im Boot. Unter trauter Zweisam-keit stelle ich mir etwas anderes vor.

Doch verklärt-kitschig war die Bezeich-nung vielleicht nie gemeint – in den wilden Zeiten des 16. Jahrhunderts lebten immerhin an die 12 000 Prostituierte in der Lagunenstadt, bei rund 60 000 Einwohnern. Und auch die unglaublichen Verführungskünste von Venedigs berühmtestem Sohn, Giacomo Casanova, sind möglicherweise bestreitbar. Schliesslich kennt man diese nur aus seiner eigenen Überlieferung

Schiff derTräumeFür viele ist eine Fahrt in der GONDEL DURCH VENEDIG die mögli-cherweise romantischste Vorstellung. Nicht so für unsere Autorin. Sie hat sich aber dennoch mit dem SPEZIELLEN WASSERFAHRZEUG auseinandergesetzt.

Text: SARAH STUTTE

GONDOLA

Die moderne Gondel, wie sie heute noch gebräuchlich ist, gibt es erst seit Ende des 19. Jahrhunderts. Das schmale Boot mit seinen weit aufgebogenen Enden ist ungefähr

11 Meter lang und 1,5 Meter breit. Die Konstruktion wurde um 1882 vom Bootsbauer Domenico Tramontin entwickelt.

– die betroffenen Damen schwiegen und ge-nossen möglicherweise. Oder auch nicht.Auf jeden Fall soll er reihenweise Frauen abgeschleppt haben, nicht wenige davon mit dem schaukelnden Verkehrsmittel. Darunter angeblich zahlreiche Nonnen, die er aus Klös-tern in geheime Wohnungen zum Liebesstell-dichein entführt habe – o dio mio.

Wie dem auch sei – das aus neun Hölzern und 280 Einzelteilen bestehende Gefährt mit

seinen aufgebogenen Enden prägt Venedigs Stadtbild schon seit dem elften Jahrhundert und ist an sich schon interessant, denke ich, als ich zum ersten Mal ein solches besteige. Zwei bis sechs Personen finden auf zirka elf Metern Länge und eineinhalb Metern Breite Platz respektive wenig Platz bei Vollbesetzung. Ich bin unterwegs mit einer zusammengewür-felten Reisegruppe. Also sowieso weit weg von Gefühlsseligkeit. Doch als wir auf dem Canal

Grande ablegen, vorbeigondeln an solch ge-schichtsträchtigen Bauten wie dem Dogenpalast und vielen altherrschaftlichen Häusern, be-schleicht sogar mich so etwas wie eine innere Stille. Es ist eine andere Art und Weise, eine Stadt vom Wasser aus zu entdecken und zu er-leben. Man sieht mehr Details, erkennt Spuren alten Lebens an den Fassaden und bekommt Ab-stand zum Hier und Jetzt, dem bunten Treiben in den kleinen Gassen, den Touristenströmen, die sich über die Brücken wälzen, während man selbst leise darunter hindurchgleitet.

Natürlich muss man sich darauf einlassen können, und das könne nicht jeder, sagt Nicola,

der Gondoliere. Manche Touristen hätten kei-nen «Aus-Knopf» und seien immun gegen Anweisungen, vor allem wenn es darum gehe, das beste Foto zu schiessen. Dann wird sich ruckartig bewegt oder sogar während der Fahrt aufgestanden, obwohl dies streng verboten sei. Denn die Balance sei beim Steuern einer Gondel am wichtigsten. Deshalb verlagert auch Nicola, auf dem Heckschnabel stehend, bei einigen niedrigen Passagen sein Gewicht vom linken Bein vorne auf das rechte Bein hinten, um die Gondel auf Schlagseite zu legen. Die Füsse dreht er dabei zur Seite, damit er ei-nen festen Stand hat und die Spannung halten

kann. Den remo, das Ruder, das immer auf der rechten Seite in einer besonderen Gabelvorrich-tung (forcola) liegt, hält er mit beiden Händen und einer ständigen Drehbewegung, benutzt es mitunter wie einen Schalthebel. Jeder Gon-doliere hätte seine eigene Technik, sagt er, auch, was das Abstossen an Häuserwänden in den Gassen beträfe, wo man Augenmass und Kondition benötige, um bei viel Verkehr die Gondel aus der Gefahrenzone zu manövrieren.

Nicola ist einer von 435 ausgebildeten Gondolieri in der Wasserstadt, zusätzlich gibt es noch 165 Aushilfen. Um den Beruf kommerziell ausüben zu dürfen und die dafür nötige Lizenz zu erhalten, muss man volljäh-rig sein, den Hauptwohnsitz in Venedig haben und eine Prüfung absolvieren, inklusive Eng-lischtest. Diese wurde jedoch erst 2006 ein-geführt, vorher war es üblich, die begehrten Lizenzen innerhalb der Familie weiterzuverer-ben. In der Hochsaison von Juni bis Septem-ber und während des Karnevals im Februar verdienen Gondoliere zwar gut (man vermutet zwischen 400 bis 600 Franken am Tag; bei einem Fahrpreis von zirka 40 bis 90 Franken pro Person, je nach Tageszeit und Auslastung des Bootes, Aufpreis bei Einzelfahrten), doch die Kosten sind nicht unerheblich: Die Anschaf-fung einer Gondel liegt bei rund 30 000 Fran-ken, hinzu kommt der Betrag für die Lizenz, und der beträgt, tatsächlich, umgerechnet eine halbe Million Franken. Viele Venezianer müs-sen einen Kredit aufnehmen, um sich diesen Beruf überhaupt leisten zu können. Und man sollte nicht nur ein gutgefülltes Sparkonto besitzen, sondern auch Mann sein, denn es gibt bisher nur eine einzige Frau (erst noch eine gebürtige Deutsche), die als Gondoliera tätig ist. Sie musste sich ihre Lizenz 2007 gar gerichtlich erstreiten.

Was man nicht können muss, um eine Gondel zu pilotieren, ist singen. Denn dass die Gondoliere lustige Lieder trällern, wäh-rend sie den Canal Grande entlangschippern, ist eine Falschannahme, die sich durch einen alten italienischen Film hartnäckig über die Zeit gerettet hat. Dafür gibt es einen Musiker und einen Sänger, die extra gebucht werden können und dann mit in der Gondel sitzen. Womit wir wieder bei der Privatsphäre wären – das Boot ist eigentlich immer voll. Und darum ist, finde ich, für Liebe wenig Platz.

Venedigs berühmtester Sohn, Giacomo Casanova, soll reihenweise Frauen abgeschleppt haben – nicht wenige davon mit dem schaukelnden Verkehrsmittel. Immerhin.

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Illustration: ZOHAR LAZARAussenbetrachtung  Wanderlust Wanderlust  Aussenbetrachtung

Nr. 6 201652  WW Magazin November / Dezember

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Redaktion: YVONNE WIGGERAnleitung  Arbiter Elegantiarum

HERAUSGEBERIN: Weltwoche Verlags AG Förrlibuckstrasse 70, Postfach, 8021 Zürich REDAKTION: Telefon: 043 444 57 00 Fax: 043 444 56 69 E-Mail: [email protected] E-Mail: [email protected] VERLAG: Telefon: 043 444 57 00 Fax: 043 444 56 07 E-Mail: [email protected]: www.weltwoche.ch

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Text/Redaktion: Marianne Eschbach, Nicholas Foulkes, Andreas Ritter, Claudia Schumacher, Yvonne Wigger

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erscheint am 27. APRIL 2017

Nr.1WW MAGAZIN

NICOLE KIDMANFÜR STILVOLLE MÜTTER

«Mothers Can't Win» war der Titel eines vielbeachteten Essays,

in dem eine dichte Beweisführung dafür geliefert wurde, dass Frauen nicht FAMILIE UND KARRIERE

haben können. Davon unbeeindruckt lernte Nicole Kidman ihren zweiten

Ehemann kennen, bekam zwei Kinder und stieg, scheinbar nebenbei,

auf den höchsten Karrieregipfel von Hollywood. Und, bevor wir es vergessen, SIE ZEIGT DABEI STIL,

KLASSE und sieht umwerfend aus.

Clutch von JIMMY CHOO, ca. Fr. 1075.–.

Lippenstift von TOM FORD, Fr. 62.–.

Uhr «Ladymatic Co-Axial» von OMEGA, Fr. 26 500.–.

Sandalen von ALAÏA, ca. Fr. 812.–

(bei Net-a-porter.com).

Wenn man ihr Talent hat, steht einem der movie star heaven weit offen. Ob in «Eyes Wide Shut», «Moulin Rouge», «Grace of Monaco» oder «Die Dolmet-scherin» – die mit einem Academy Award (Oscar) als beste Schau-spielerin für «The Hours» ausge-zeichnete Australierin überzeugt immer und wird dafür verehrt. Im privaten Leben lief es bei ihr zuerst nicht so gut. Sie war über zehn Jahre mit Tom Cruise ver-heiratet, die Scheidung dann war eine schwierige, die beiden adoptierten Kinder wurden ihm zugesprochen. Danach aller-dings erfolgte ihr Aufstieg in die oberste Spielklasse Hollywoods. Und mit ihrem zweiten Ehemann, dem neuseeländischen Musiker Keith Urban, scheint sie auch ihr Liebesglück gefunden zu haben. Kidman, so sieht es aus, ist eine Frau, die irgendwie alles mitein-ander vereinbaren kann: Familie (mit Urban hat sie zwei Kinder), Karriere und Gutes tun – sie engagiert sich als Unicef-Bot-schafterin für Kinder- und Frau-enrechte.Und, natürlich, zeigt sie immer und überall Stil: Ihre zierli-che Figur, die feinen Gesichtszüge und ihr Porzellanteint haben es auch Entscheidungs trägern von Mode- und Luxusmarken angetan. Zurzeit wirbt sie für Jimmy Choo, Chanel, Omega oder Etihad Air-ways. Sie rennt keinen Modetrends nach, weil sie längst herausgefun-den hat, was sie mag und was ihr steht. Tagsüber trägt sie oft Kom-binationen aus weissen Blusen und dunklen Jeans oder Rollkragen-pullover und Stoffhosen. Abends sieht man sie in bodenlangen schwarzen Roben mit hohem Schlitz. In knielangen Cocktail-kleidern in hellen Farbnuancen sieht sie besonders umwerfend aus. Für uns ist sie die Australi-erin des Jahrhunderts.

Yvonne Wigger

W

Natürlich zeigt Nicole Kidman immer und überall Stil; in knielangen Cocktailkleidern sieht sie besonders umwerfend aus.

Spitzenkleid von DIANE VON FURSTENBERG,

Fr. 591.– (bei Mytheresa.com).

Nr. 6 2016 WW Magazin 53November / Dezember

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