12
Deutsche Zeitschrift FOr Nervenheflkunde 185, 191--202 (1963) Aus der Neurologischen Klinik der Universit~t Wiirzburg (Direktor: Prof. Dr. G. SCITALTENBRAND) Die Koordination benachbarter Muskeln bei einfachen Willkiirbewegungen* ** Von H. C. HOPF und H.-J. HUFSCHMIDT Mit il Textabbildungen ( Eingeganffen am 15. Eebruar 1963) Einleitung Kein Akt der Willkiir ist so einfach, dab nicht eine gr6Bere Anzahl yon Agonisten, Antagonisten und Synergisten in zeitlich abgestufter Weise innerviert wfirden. Das Gesetz der Reziprozit/it zwischen Agonist und Antagonist beherrscht zwar die experimentelle Neurophysiologie des Tieres, ist aber nicht unbedingt bindend fiir die Willkiiraktivit/~t des Menschen, der seine Handlungen anpassen, der einen ,,Bewegungs- entwurf" nach Wahl und Umst~nden durchffihren kann und dabei das starre Schema durchbrieht ; ein Faktum, welches bereits in den Anf/~ngen der myographischen Untersuchungstechnik eindeutig demonstriert wer- den konnte (vgl. WACm~OLDm~und ALTENBURGER). W~hrend der Will- kiirkontraktion selbst kommt es mit Bestimmtheit zu einer grol3en An- zahl propriozeptiv bedingter Regelungen des Bewegungsablaufes. Doch ist z. Z. nur wenig fiber das zentrale Programm bekannt, das corticale Erregungsmuster, welches den Einsatz der verschiedenen Muskeln und Muskelgruppen dirigiert. Unsere Experimente gehen deshalb von ra- schen, einfachen Willkiirbewegungen aus und versuchen, die zeitliehe Reihenfolge und Koordination eines gr6f~eren Muskelkollektivs zu Be- ginn des Aktes zu bestimmen. Wie ein solches Erregungsmuster zentral zustande kommt, ist heute noch spekulativ. I)och daft man wohl an- nehmen, dat3 hierf/ir die Area 4 nicht alleine verantwortlich, diese viel- mehr nur eine Relaisstation des Programmes ist, was sowohl yon anderen corticalen Arealen als auch subcorticalen Bezirken aufgebaut werden kann (s. Diskussion). * Herrn Professor Dr. G. SCHALTENBRAND zum 65. Geburtstage gewidmet. ** Mi¢ dankenswerter Unterstiitzung durch die Deutsche Forsehungsgemein- sehaft.

Die Koordination benachbarter Muskeln bei einfachen Willkürbewegungen

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Die Koordination benachbarter Muskeln bei einfachen Willkürbewegungen

Deutsche Zeitschrift FOr Nervenheflkunde 185, 191--202 (1963)

Aus der Neurologischen Klinik der Universit~t Wiirzburg (Direktor: Prof. Dr. G. SCITALTENBRAND)

Die Koordination benachbarter Muskeln bei einfachen Willkiirbewegungen* **

Von

H. C. HOPF und H.-J. HUFSCHMIDT

Mit il Textabbildungen

( Eingeganffen am 15. Eebruar 1963)

Einleitung Kein Akt der Willkiir ist so einfach, dab nicht eine gr6Bere Anzahl

yon Agonisten, Antagonisten und Synergisten in zeitlich abgestufter Weise innerviert wfirden. Das Gesetz der Reziprozit/it zwischen Agonist und Antagonist beherrscht zwar die experimentelle Neurophysiologie des Tieres, ist aber nicht unbedingt bindend fiir die Willkiiraktivit/~t des Menschen, der seine Handlungen anpassen, der einen ,,Bewegungs- entwurf" nach Wahl und Umst~nden durchffihren kann und dabei das starre Schema durchbrieht ; ein Faktum, welches bereits in den Anf/~ngen der myographischen Untersuchungstechnik eindeutig demonstriert wer- den konnte (vgl. WACm~OLDm~ und ALTENBURGER). W~hrend der Will- kiirkontraktion selbst kommt es mit Bestimmtheit zu einer grol3en An- zahl propriozeptiv bedingter Regelungen des Bewegungsablaufes. Doch ist z. Z. nur wenig fiber das zentrale Programm bekannt, das corticale Erregungsmuster, welches den Einsatz der verschiedenen Muskeln und Muskelgruppen dirigiert. Unsere Experimente gehen deshalb von ra- schen, einfachen Willkiirbewegungen aus und versuchen, die zeitliehe Reihenfolge und Koordination eines gr6f~eren Muskelkollektivs zu Be- ginn des Aktes zu bestimmen. Wie ein solches Erregungsmuster zentral zustande kommt, ist heute noch spekulativ. I)och daft man wohl an- nehmen, dat3 hierf/ir die Area 4 nicht alleine verantwortlich, diese viel- mehr nur eine Relaisstation des Programmes ist, was sowohl yon anderen corticalen Arealen als auch subcorticalen Bezirken aufgebaut werden kann (s. Diskussion).

* Herrn Professor Dr. G. SCHALTENBRAND zum 65. Geburtstage gewidmet.

** Mi¢ dankenswerter Unterstiitzung durch die Deutsche Forsehungsgemein- sehaft.

Page 2: Die Koordination benachbarter Muskeln bei einfachen Willkürbewegungen

192 H.C. HoPr und H.-J. HV~scm~IDT:

Die Ergebnisse der Expe r imen te a m Menschen m/issen immer un te r der Vorausse tzung be t r ach t e t werden, dab der Le i te r des Expe r imen tes das P r o g r a m m entwir f t und dieses nach dem Grade der Intel l igenz, der Mi ta rbe i t und der motor i schen Fi~higkeiten von der Versuchsperson kop ie r t wird. So wird die S te reo typ ie der Reak t ion , wie sic be im Tier- versuch s te ts au f t r i t t , vermiBt ; die Variabili t /~t is t welt grSBer und ab- h/ingig von einer Vielzahl psychologischer Momente , die im einzelnen n ich t zu erfassen sfild. Es gi l t aus dieser Var iabf l i t~t die Gesetzm/~Big- ke i ten herauszufinden. Dies wiire dann die Grundlage , die zent ra lbeding- t en motor i schen St6rungen n icht nur zu beschre iben - - wie es der Kli- n iker ru t - - , sondern im einzelnen zu analys ieren.

Methodik Die elektromyographischen Untersuchungen wurden an 15 neurologisch unauf-

fiilligen Versuchspersonen im Bereiehe der Schulter-, Oberarm- und Underarm- so- wie der I{andmuskulatur durchgcffihrt. Die Aktionspotentialc dcr einzeinen Mus- keln registrierten wir bipolar mit blanken, in den Muskel eingestochcnen Nadeln fiber einen Vierstrahl-OscillographenL In der ersten Gruppe verglichen wir mit- einander die T/itigkeit des Trapezius, Deltoideus, Biceps und Triceps. Als Aufgabe wurde gestellt: eine kurze Willkfirkontraktion yon Biceps mid Triceps bei ver- schiedener Stellung des Armes zum K6rper, ferner eine zweimalige kurze Inner- vation des Biceps (kurz als DoppelstoB bczeichnet), der willkiirlich hervorgerufene Biceps-Triceps~remor und eine rasche Kontraktion des Dcltoideus.

In der zweiten Gruppe untersuchten wir die Koordination der Beuger- und Streckermuskulatur des Handgelenkes, des Brachio radialis und Opponens I. Will- kiirlieh wurden die Beuge- und Streckbewegungen sowie ein Willkfirgremor ira Handgelenk durchgeffihrt und schlieglich der EinfluB der Opponenskontrak~ion auf die Untcrarmmuskulatur geprfift.

In den nachfolgenden Resultaten sind die wesentlichen Ergebnissc als Block- schemata wiedergegeben und die Originalkurven zur Orientierung dann beigcfiigg, wenn sic zur Erkliirung des Textes unumgiinglich notwendig sind.

Resultate

I. Muskelkoordina t ion im Schu l t e r -0bera rm-Bere ich (1. Trapezius , 2. Del toideus , 3. Biceps, 4. Trapezius) .

1. Kurze Bicepslcontraktion in 1Vormalhaltung (Oberarm 900 gegen den U n t e r a r m gebeugt) . Wie die Abb. 1 zeigt, k o m m t es vor der e igent l ichen B icepskon t r ak t ion h/~ufig zu einer I n n e r v a t i o n des Trapezius und des Del toideus , w~hrend der Triceps, als Antagonis t , 40- -100 ms sp£ter e insetzt . Gleichzeit ig mi t der B icepskon t r ak t ion wird der Trapezius g e h e m m t ; dagegen verh&lt sich der Del to ideus recht unterschiedl ich : er is t w~hrend der B icepskon t rak t ion en tweder gehemmt oder a rbe i t e t nach e inem kurzen In t e rva l l synchron mi t dem Biceps. Wie man leicht

1 Aus dem Laboratorinm ffir Elektrophysik Dr. T6••Iv.s, Freiburg i. Br.

Page 3: Die Koordination benachbarter Muskeln bei einfachen Willkürbewegungen

Koordination benachbarter Muskeln bei Willkiirbewegungen 193

erkennt, folgt auf den initialcn Bicepssto~ eine kurze Pause mit anschlic- i~endem Rebound.

2. Kurze Bicepslcontralction bei aIctiver Abdulction des Oberarmes. Hier kommt es immer zu einer vorlaufenden Aktivi t£t des Trapezius; jedoeh liegt der Innervationsbeginn des Deltoideus noch hinter dem des Biceps und f~tllt meist mit dem antagonistisch wirkenden Triceps zusammen.

Biceps-StoB

! Trapezius

Deltoideus

|: !

Biceps

Triceps

Abb . 1. Be i e i n e m k u r z e n w i l l k i i r l i c h e n Bicepss to f i k o m m t es zu e ine r v o r l a u f e n d e n I n n e r - r a t i o n des T r a p e z i u s u n d De l t o ideus . W e i t e r e E r k l ~ r u n g e n s iehe T e x t

3. Kurze Bicepslcontraktion bei passiver Abduktion des Oberarmes. In dem Blockschema (Abb. 2) werden die Versuche 1--3 gegeniibergestellt. Es crgibt sich deutlich, dab im Versuch 3 die Bicepskontraktion kfirzer ist, der Einsatz des Triceps sparer erfolgt und die Deltoideuskontraktion meist als erste eintritt.

4. Doppelstofl des Biceps. Hierunter verstehen wir eine zweifache Bicepskontraktion, die so sehnell wie m5glieh nacheinander ausgeffihrt wird. Die Abb. 3 li~Bt deutlich erkennen, wie sich bereits zu Anfang die koordinativen Komponenten ver~ndern: der Start und der weitere Verlauf von Trapezius und Deltoideus werden weitgehend synchronisiert; der Rebound des Biceps und vor allem der Einsatz des Triceps riicken deutlich heraus.

5. Wenden wir uns nun der aktiven Tricepskontraktion bei normaler Armhaltung (Versuch l) zu; dann zeigt sieh auch hier eine Vorlauftendenz des Deltoideus, aber nieht des Trapezius. Dieser ist sogar vorlaufend gehemmt (!) und beginnt mit seincr Innervat ion fast zu dem gleichen Zeitpunkt wie der Rebound des jetzt antagonistisch arbeitenden Biceps (Abb. 4).

Page 4: Die Koordination benachbarter Muskeln bei einfachen Willkürbewegungen

1 9 4 H O P F U. H U F S C H M I D T : K o o r d i n a t i o n b e n a c h b a r t e r M u s k e l n

6. Wird ein TricepsstoB bei abduzierter Oberarmhaltung ausgefiihrt, dann ergibt sieh praktisch das gleiche Bild wie beim Versuch 5, nur dab der Deltoideus in der Regel noch frfiher innerviert wird.

7. Von groBem Interesse ist ein willkfirlich alternierendes Biceps- Triceps-System. Wenn auch hier das Programm dureh die rhythmisch

27

-] /pa, oga/uv

~ D,I/oideus

-- --~ Tr/'o~pm

I00 ~ s

[3Z3=[

A b b . 2

induzierten propriozep- / ~ ~.ap~z/~,~ riven Einfliisse verschlei-

err wird, so leitet es doch ~ - ~ pe//om~u~ fiber zu spgteren Unter-

suchungen,die dasWech- _ ~ 8,?.e~s. selspiel von zentralem

Befehl und propriozep- - - - ~ 7r~?ezs" tiver Regelung zum Ge-

genstand haben werden. e E ~ Dabei laufen, entspre-

ehend der Abb. 5, Biceps E ~ ~ { ~ undTriceps alternierend,

Deltoideus und Trape- ~ ~ , ~ : ~ ~t zius meist synehron oder

mit geringer Phasenver- ~ schiebung gegeneinan-

Abb. 3 der, derart, dab der Del-

A b b . 2. I K u r z e r B i c e p s s t o 2 in n o r m a l e r H a l t u n g . I I I ( u r - zcr Bieepsstol~ bei a k t i v e r A b d u k t i o n des O b c r a r m e s . I I I K u r z e r B icepss to l ] bei p a s s i v e r A b d u k t i o n des O b e r a r m e s . I n n o r m a ] e r H a l t u n g sowie bci p a s s i v e r A b d u k t i o n des Obe r - u r ines w i r d z u e r s t t ier D c l t o i d e u s i n n c r v i e r t , d a g e g e n bei a k - r i v e r A b d u k t i o n des O b e r a r m c s d e r T r a p e z i u s . D ie W a h l des S t a b i l i s a t o r s i s t o f f e n b a r y o n d e r A ~ m g a n g s s t e l l u n g a b h / i n g i g

A b b . 3. I Bicepsstol~. I I Z w e i B i c e p s s t S S c k u r z h i n t c r e i n - a n d e r a u s g e f t i h r t . Bc i e i n e m Doppe ls to la x~erden s o w o h l b e i m e r s t e n als a u e h b e i m z w e i t e n ~eVillkiirakt T r a p e z i t t s u n d D e l t o i d e u s f r i i h e r als t ier B i c e p s i n n e r v i e r t . ~Veitere Erk l t t -

r u n g c n s iehe T e x t

~ r

toideus vor dem Trapezius innerviert wird, beide aber vor der Biceps- kontraktion starten.

8. Wir untersuchten scblieBlich eine rasche Abduktion des Oberarmes. Wie man aus der Abb. 6 ersieht, beteiligen sieh an diesem Vorgang alle Muskeln mit gestaffelter Phasenverschiebung. Hier kann kaum noch von Antagonismus gesprochen werden. Der Trapezius beginnt, d~nn folgt in zeitlichen Abstgnden yon jeweils 40 ms (Durchschnittswert) der Deltoideus, der Biceps und der Trapezius.

II. Muskelkoordination im Unterarm und Handbereieh (1. Brachio radialis, 2. Handstrecker, 3. Handbeuger, 4. Opponens pollieis).

1. Kurze Bicepskontraktion in Normalhaltung. Verstgndlich, aber nieht ohne weiteres vorausschaubar, ist die Mitbeteiligung der Unterarm- und

Page 5: Die Koordination benachbarter Muskeln bei einfachen Willkürbewegungen

Triceps-Sto~

50 Hz

Trapezius

Deltoideus

Biceps

Triceps

A b b . 4. W i l l k i i r l i c h e r Tr icepss to l~ . N o c h v o r d e m I n n e r v a t i o n s b e g i n n i m T r i c e p s tri¢,t e i n e deu t ] Jche H e m m u n g i m T r a p e z i u s e in , w h h r e n d g l e i e h z e i t i g m i t d e m T r i c e p s d e r D c l t o i d e u s

s t a r t e t . A u c h d e r B i c e p s d e m o n s t r i e r t e ine v o r l a u f e n d e 1 - I e m m u n g

I Trupezium

Oellold~us

8icspm

~ - - Tr/oepw

A b b . 5. A l t e r n i c r e n d e r T r e m o r i m B i c e p s - T r i c e p s - S y s t e m . D i e I n n e r v a t i o n y o n T r i c e p s l ind D e l t o i d c u s l ~ u f t d e r des B i c e p s v o r a u s , w ~ h r e n d s i ch d c r T r i c e p s z u m B i c e p s a n t a -

g o n i s t i s c h v e r h ~ l t

Deltoideus-Stofl

Trapezius

Deltoideus

Biceps

Triceps

A b b . 6. A b d u k t i o n des O b e r a r m e s . T r a p e z i u s u n d D e l t o i d e u s a r b e i t e n s y n c h r o n ; u n m i t t e l - b a r d a r a n sch l ie l ] t s i c h d e r B i ceps . D e r T r i c e p s v e r h ~ l t s i ch z u d i e s e n d r e i M u s k e l n w i e e in

A n t a g o n i s t

Page 6: Die Koordination benachbarter Muskeln bei einfachen Willkürbewegungen

196 H.C. HOPF und H.-J. HUFSCttMIDT:

Handmuskula tur bei einer einfachen kurzen Willkfiraktivit~tt des Biceps. Allgemein findet man eine Synchronie yon Biceps, Brachioradialis, den Beugern des Handgelenkes und des Thenar, vorziiglich des Opponcns, wenngleich dcr letztere auch reziprok mit der antagonistischen Placierung der Streckenmuskulatur des Handgelenkes auftreten kann. Wesentlich

2r'/ccPmA'or#f~at<h'°r/ ~

fpemo:' ~ 8/'ac'hlb- LT/cep~ ~'sceps~ I f " "- >" r'adidh'~" S/rec,4en

ZV

Bl~'ep~'kuzli'akh~r/

Opponent"

A b b . 7. 2~ble i tung y o n d e r M u s k u l a t u r des U n t c r a r m e s w a h r e n d e ine r B iceps - , T r i c e p s - u n d a l t e r n i e r e n d e n B i c e p s - T r i e e p s - K o n t r a k t i o n . D a s w e s e n t l i c h e M e r k m a l a n e r d re i B e w e g u n g s - f o r m c n i s t d e r A n t a g o n i s m u s y o n H a n d b e u g e r n u n d I t a n d s t r e c k e r n sowie die w e i t g e h e n d e S y n c h r o n i c des Oppone~m u n d des B r a c h i o r a d i a l i s m i t d e r B e u g e m u s k u l a t m , des U n t e r a r m e s

ist, dab diese koordinierte Muskelaktivit/it der Bicepskontraktion nicht vorl~uft (Abb. 7).

2. Kurze Tricepskontraktion in Normalhaltung. Hier l~uft gewShnlich die Innervat ion der Handstrecker voraus und mit geringer Phascnver- schiebung folgen nach 40--60 ms Handbeuger, Brachioradialis und Opponens. Gelegentlich f~llt hier der Letztere aus der Rolle und beginnt synchron mit den Streckern (Abb. 7).

3. Willlciirtremor Biceps-Triceps brachii. Wiederum finder man eine fast vollst~ndige Synchronisation der Aktivit~t im Brachio radialis, in den Beugern des Handgelenkes und des Opponens. Die Muskulatur der Handstrecker setzt im antagonistischen Sinne mit einer Phasenverschie-

Page 7: Die Koordination benachbarter Muskeln bei einfachen Willkürbewegungen

Koordination benachbarter Muskeln bei Willkiirbewegungen 197

bung von 180 o ein. In der Abb. 7 werden die drei vorgenannten Bewe- gungsarten miteinander in einem Blockschema verglichen.

Beugung i m Handgelenk

Brachioradialis

Strecker

Beuger

Oppo?~en8

A b b . 8. K u r z e wi l lk t i r l i ehe F l e x i o n des Handge l enkes . Die vorat~slaufende I n n e r v a t i o n t ier S t r e c k e r f i x i e r t d a s H a n d g e l e n k

Streekung i m Handgelenk

Brachioradialis

Strecker

Beuger

Opponens

A b b . 9. K u r z e w iUkf i r l i ehe E x t e n s i o n des H a n d g e l e n k e s . H i e r ersche int die I n n e r v a t i o n d e r S t r e c k e r a ls e r s t e . D e r O p p o n e n s l ~ u f t d e r B e u g e r e a k t i o n v o r a u s u n d s y n e h r o n i s i e r t s i e h

m i t d e m B r a e h i o r a d i a l i s

4. Kurze Flexion des Handgelenl~es. Bei diesem Versuch arbeitet die Beugermuskulatur des Handgelenkes weitgehend mit den Opponens zu- sammen, gelegentlich auch dem Brachio radialis, obgleich seine Beteili- gung bzw. sein zeitlicher Einsatz in weiten Grenzen varfieren kann.

D t s c h . Z. N e r v e n h e f l k . , Bd . 185 1 4

Page 8: Die Koordination benachbarter Muskeln bei einfachen Willkürbewegungen

198 H.C. HorF und H.-J. HUFSCHMIDT:

Die Strecker der Hand, unmittelbar nach der Beugeaktivitiit einfallend, laufen aber derselben auch voraus, beginnen als erste und es ist wahr-

scheinlich, dab bei jeder Beu- Hand/rezTor

3pach/o - r'ad,'al/s - - ~ ~

,,¢tpeckep ~--- ~

Beugap - -

Opponcn,.o - -

A b b . 10. ~Vi l lk t i r t r emor i m H a n d g e l e n k . Die M u s k u l a t u r de r B e u g e r u n d des O p p o n e n s ar- b e i t e n w e i t g e h e n d s y n e h r o n , die S t r e e k e r m u s k u - l a t u r a l t e r n i e r e n d . Der B r a c h i o r a d i a l i s k a n n s ich s o w o h l m i t den S t r e c k e r n als a u c h m i t den

B e u g e r n assoz i ie ren

Oppo~ens-Stofl

gung des Handgelenkes dasselbe zuvor durch die entsprechende Streckermuskulatur fixiert wird (Abb. 8).

5. Kurze Extension des Hand-

gelenkes. Wenn bei der Flexion des Handgelenkes die Strecker als Stabilisatoren des Gelenkes dem bewuBten Willkiirakt der Beuger vorhergehen, so ist das bei einer Streckung des t tand- gelenkes nicht der Fall. Bei einer Streckung rangieren die Beuger nicht vor den Streckern (Abb. 9), sondern treten nur als bremsen- der Rfickschlag in Erscheinung. Der Opponens koordiniert sich wiederum mit der Beugeaktivi- tat , setzt aber deutlich vorher ein als diese.

Brachioradialis

Strecker

Beuger

Opponens

A b b . 11. ~ V i l l k t i r k o n t r a k t i o n des Opponens . Bei e iner r a s chen O p p o s i t i o n des D a u n , ens w e r d e n S t r ecke r wie B e u g e r des U n t e r a r m e s m i t i m m r v i e r t . E i g e n t i i m l i c h e r w e i s e r a n g i e r e n

die S t r ecke r ze i t l i ch v o r den B e u g e r n

6. Willkiirtremor im Handgelenk. Alle beteiligten Muskeln zeigen eine Phasenverschiebung gegeneinander, im Prinzip sind brachio radialis,

Page 9: Die Koordination benachbarter Muskeln bei einfachen Willkürbewegungen

Koordination benachbarter Muskeln bei Willkiirbewegungen 199

Flexoren des Handgelenkes und der Opponens lose miteinander gekoppelt. Die Abb. 10 gibt zwei Beispiele, um die Variabilit~t der Koordination deutlich zu machen.

7. Die Willlciirkontraktion des Opponens. Die Muskulatur des Dau- mens ist in ihrer zentralen Repr/isentation sicherlich die diffcrenzierteste bei Pr imat und Mensch. Es ist yon groi~er Bedeutung, dal~ auch die Innervat ion dieses Muskelgebietes mit der Tittigkeit aller Unterarm- muskeln koordinativ verbunden sein kann, sofern eine akzentuierte und kri~ftige Bewegung durchgefiihrt wird. Selbst der Braehioradialis ist gelegentlich mit im Spiel. Betrachtet man die Zeitachse, dann startet gew6hnlich der Opponens als erster, doch kommt es auch gelegentlich zu einer vorlaufenden Innervat ion der Handbeuger und der Strecker. Wesentlich ist, da[3 im weiteren Innervationsverlauf des Opponens die Beuger wie die Strecker mitinnerviert werden. Offenbar sind sie ffir eine Fixation des Handgelenkes verantwortlich, w£hrenddessen der Opponens seine differenzierte Tiitigkeit ausfiben kann. Es ist auffallend, dab auch hier die Strecker meist frfiher akt iv sind als die Beuger (Abb. 11).

Diskussion Das Problem der zentralen Koordination wirft die grunds~tzliche

Frage auf; welche Faktoren best immen die Wahl der einzelnen Muskeln ? Die Frage ffihrt bereits in eine Kontroverse. Wenn auch einerseits eine mosaik~hnliche Struktur der Muskelrepr~sentation im Cortex zu be- stehen scheint (WooLsEY 1952, HI~ES 1949), so sprechen doch eine Anzahl yon Experimenten f/ir eine koordinative Ordnung, entsprechend der Ansicht yon JACKSON: "the motor cortex think in movements, not in muscles". Wir m6chten auch auf die Arbeit yon GLEES U. COLE (1949) hinweisen, die mit ttilfe der Degenerationsmethode Faserzfige nachweisen konnten, welche yon der Hand-Area bis ins Lumbalmark reichten. Weiterhin zeigten die Experimente yon LIDDELL U. PHILLIeS (1952) eine weitverbreitete corticale Repr/isentation einzelner motorischer Ein- heiten. Und schlieBlich land GV, LLHORN (1950) bei corticaler Reizung eine funktionelle Interrelat ion einzelner Muske]n. Dal3 bei einer gewollten Kontrakt ion eines best immten Muskels andere Muskelgruppen mit- aktiviert werden, wird zmn Teil mit der corticalen Funktionsstruktur zusammenhitngen. Nur zum Teil, well eine Reizung der Pyramidenbahn (LANDAU 1952) auf spinaler Ebene zu einem abgestuften Muster der Erregung in einzelnen Muskeln ffihren kann. Selbst nach einer Pyra- midenbahndurchschneidung zeigen sich zeitlich differenzierte Synergien (TowE~ 1949), so dab auch an extrapyramidale Einfliisse gedacht werden mul3. Doch kann man immerhin behaupten, die differenzierte Muskel- t~tigkeit sei an die In takthei t des motorischen Cortex gebunden. PAIL- LARD (1960) sieht hierffir einen Beleg in den Untersuchungen yon BERN-

14"

Page 10: Die Koordination benachbarter Muskeln bei einfachen Willkürbewegungen

200 H.C. HOPF und H.-J. HUFSCHMIDT:

HARD, BOHM U. PETERSEN (1953), ngmlich den Nachweis einer mono- synaptischen Pyramidenverbindung. Alle diese genannten Unter- suchungen haben bisher die Frage nicht 15sen kSnnen, welche Faktoren die Wahl der einzelnen Muskeln bei einer aktiven Bewegung bestimmt.

Eine knappe Analyse unserer Ergebnisse zeigt, dab 1. Die Variabilitgt der Koordination wesentlich yon dem gewollten

Programm abhgngt, 2. bei einer bestimmten Bewegung unter verschiedenen Ausgangs-

bedingungen das Koordinationsschema nur wenig vergndert wird. Vergleichen wir das Zusammenspiel von Oberarm- und Schulter-

muskulatur, dann finden wir sowohl eine synchrone Koppelung von Trapezius und Deltoideus (Abb. 6) als auch einen Antagonismus zwischen diesen beiden Muskeln (Abb. 4). Der Sinn dieser wachsenden Koordina- tion liegt in dem Stabilisierungseffekt der einzelnen Muskeln als Voraus- setzung fiir die gewollte Innervation. So ist wohl das wichtigste Ergebnis unserer Untersuchungen die vorlaufende Aktivation von Muskeln, die an der Bewegung nicht unmittelbar beteiligt sind (Abb. 2, 3 u. 8).

Das koordinative Muster ist sicherlieh eine zentrale Einstellung. Auf Grund unserer Ergebnisse mug man auch den corticalen Hemmungs- impulsen eine gr6Bere Rolle als bisher einrgumen (HuFscnMIDT U, HUF- SCHMIDT 1954 sowie HUFSCttMIDT 1962), wobei die zentralen Hemmungs- mechanismen zeitlieh die ersten sind (Abb. 4). Da eine monosynaptische Hemmung fiber die Pyramidenbahn nicht nachgewiesen wurde, glauben wir nach wie vor, dab die polysynaptischen Pyramidenverbindungen (LLOYD 1941) ffir die Differenzierung der Motorik eine weit grSBere Rolle spielen. ])as ist auch aus rein theoretischen {~berlegungen zu folgern; denn im Bereich der spinalen Interneuronen mfissen sich die zentralen mit den propriozeptiven Impulsen verrechnen, wghrend der mono- synaptische Impuls dieses notwendige Integrationszentrum fiberspringt.

Inwieweit der motorische Cortex eine reine Relaisstation ist, wissen wir noch night. Um das spgter klgren zu kSnnen, wurde mit diesen Ergebnissen eine Grundlage geschaffen. Die Vergnderungen dieses Er- regungsmusters sollen an corticalen und cerebell/tren StSrungen studiert werden. Wir hofften, einige Schemata aufzustellen, deren Vergnderung bei den verschiedenen zentralnervSsen Ausfgllen uns schlieBlich den Schliissel gibt, wo und wie die Koordination durehgeffihrt wird. I m Hinblick auf die Ergebnisse von LASttLEY (1950) und PENFIELD (1938) nehmen wir an, dab es sich bei diesem Vorgang der Programmierung nicht um einen von einem Zentrum ausgehenden starren Vorgang han- delt, sondern um eine stgndige Interakt ion corticaler und subcorticaler Bezirke. Mit Sicherheit lgBt sich sagen : Wenn es auch eine experimentelle Isolierung einzelner Muskeln im Cortex gibt, so kommt es willkfirlich doch nie zu einer isolierten Aktion, sondern immer zu einem welt-

Page 11: Die Koordination benachbarter Muskeln bei einfachen Willkürbewegungen

Koordination benachbarter Muskeln bei Willkiirbewegungen 201

verzweigten Zusammenwirken vieler Muskeln, zentral nach der gewollten Bewegung eingestellt und so variabel, dal~ das strenge Gesetz der Rezi- proziti~t keine Gfiltigkeit zu haben scheint. Wir nehmen an, da[3 das Zentrum nicht nur die Koordination auf corticaler Ebene einstellt, sondern auch den Innervationsmechanismus auf spinaler Ebene ver- £ndern kann. Dafiir liegen bereits eine l~eihe yon experimentellen Daten vor (HvFsCHMIDT 1959, 1960, 1961; ASAI, HUFSCHMIDT U. SCI~ALTEN- BRAND 1960, I-IuFscHMIDT, WAPPENSCHMIDT U. SPULER 1961, GERLACH u. HUFSCHMIDT 1961).

Zusammenfassung W~hrend einer kurzen stol~artigen Willkfiraktivit/~t eines Muskels

werden gleichzeitig einige Synergisten und Antagonisten mitregistriert. Es ergeben sich folgende Resultate:

1. Je nach der programmierten Aufgabe kSnnen die einzelnen betei- ligten Muskeln synergistisch oder antagonistisch miteinander arbeiten.

2. Der Sinn dieser verschiedenen Koordinationen liegt in der Stabili- sierung der beanspruchten Gelenke.

3. Der Stabflisierungseffekt zeigt sich eindeutig in einer vorlaufenden Innervation der der Fixation dienenden Muskeln. Es handelt sich um eine zentrale Voreinstellung.

4. Die Voreinstellung kann sowohl bahnender als auch hemmender Natur sein.

5. Eine Veriinderung der mechanischen Ausgangslage der Peripherie kann in engen Grenzen das zeitliche Geffige des Innervationsmusters beeinflussen.

6. Die Koordination muB weitgehend auf zentraler Ebene erfolgen; sie wird als Grundlage aufgestellt, um zentralnervSse BewegungsstSrun- gen sparer analysieren zu kSnnen.

Literatur AsAI, K., H.-J. HUFSCttMIDT an(:]. G. SCHALTENBRAND: The passive muscle re-

laxation in parkinsonism: myographic studies of tile pathophysiology of the rigor. J. nerv. ment. Dis. 130, 449--455 (1960).

GELLHORN, E. : The validity of the concept of multipliticty of representation ill the motor cortex under conditions of threskold stimulation. Brain 73, 267--274 (1950).

GERLACI~, J., u. H.-J. HUI~SGHMIDT: Myographische Analyse nach einseitiger Ex- stirpation des Lobus anterior cerebelli (Astrocytom). Dtsch. Z. Nervenheilk. 182, 303--312 (1961).

GLEES, P., and J. COLE: Recovery of skilled motor functions after small repeated lesions of motor cortex in macaque. J. Neurophysiol. 13, 137--148 (1950).

HINES, M.: In: The precentral motor cortex. 2nd Ed. Edited by P. C. BuoY. Ur- baua (Ill.): Univ. Illinois Press 1949.

Page 12: Die Koordination benachbarter Muskeln bei einfachen Willkürbewegungen

202 HOPF i1. HUFSCHMIDT: Koordinat ion benachbar ter Muskeln

HUFSCHI~IIDT, H.-J . : [~ber die reflektorische Grundlage des Parkinsontremors. Dtsch. Z. Nervenheilk. 179, 298--308 (1959).

- - l~ber die Willki irkontraktion des Parkinsonisten. Dtsch. Z. Nervenheilk. 181, 37--45 (1960).

- - Bausteine motorischer Regelung. Schweiz. Arch. Neurol. Neurochir. Psychiat. 87, 260---280 (1961).

- - and T. HUFSCHMIDT: Antagonist inhib i t ion as the Earliest Sign of a Sensory- Motor Reaction. Nature (Lond.) 174, 607--609 (1954).

- - W. WAt'PENSCHMIDT tl. H. S1)ULER: Interneurone und Spastik. Dtsch. Z. Nervenheilk. 182, 278--287 (1961).

LANDAU, W. M. : Pa t te rns of movement elicited by medullary pyramidal stimulation in the cat. Electroenceph. clin. Neurophysiol. 4, 527--546 (1952).

LASHLEY, K. S. : In search of the Engram. Symph. Soc. exp. Biol. 4, 454--482 (1950). LIDDELL, E. G. T., and C. G. PHILLIPS : The cortical representation of motor units.

Brain 75, 510--525 (1952). LLOYD, D. P. C. : The spinal mechanism of the pyramidal system in cats. J . Neuro-

physiol. 4, 525--546 (1941). PAILLAaD, J. : The pat terning of skilled movements. Chapter L X V I I in: Handbook

of Physiology, Section 1: Neurophysiology, Vol. III . Ed by JOHN FIELD. Washington D. C. : American Physiological Society 1960.

PENFIELD, W.: zit. n. J . PAILLARD (1938). TOWER, S. S.: In : The precentral motor cortex. 2nd Ed. Edi ted by P. C. BuoY.

Urbana (Ill.): Univ. Illinois Press 1949. WAC~HOLDER, K. : Willkiirliche Hal tung und Bewegung insbesondere im Liehte

elektrophysiologischer Untersuchungen. Miinchen: Bergmann 1928. WOOLSEY, C. N. : In : The biology of mental heal th and disease. (Milbank Memorial

Fund.) New York: Hoeber 1952.

Dr. H.-J. HUFSCHMIDT und Dr. H. C. HOPF, 87 Wfirzburg, Neurologische Klinik der Universit~t, Lnitpoldkrankenhaus