1
D as Autofenster geht auf. Geräuschlos stürzt das amerikanische Wüsten- bussard-Weibchen Francis aus dem Wagen. Sekunden später stürzt es sich auf eine 30 Me- ter von der Landstraße entfernte laut krächzende Krähe und tötet sie mit ih- ren Fängen. Stille kehrt ein. Auf dem Feld in Zell am Harmersbach scheint die Zeit stehen zu bleiben. Nach fünf Minuten versammeln sich die restli- chen Krähen über dem Tatort und be- klagen mit lautem Krächzen den Ver- lust des Artgenossen. »Das war ein idealer Jagd-Flug«, freut sich Falkner Alexander Huber. Seit letztem Jahr sagt der Steinacher Hobbyfalkner mit seiner gefiederten Begleitung den Krähen in der Orte- nau von Oktober bis Mitte März den Kampf an. Während der Mauser, bei der die Bussarde von Mitte März bis Juli das Gefieder wechseln, wird nicht gejagt. Ab August beginnt dann das Training für die nächste Pirsch. Schon von Kindesbeinen an war Huber fasziniert vom Flug der 60 Zen- timeter großen Greifvögel und der Präzision, mit der sie ihre Beute ja- gen. 1995 absolvierte er die Jagdprü- fung. Diese ist Voraussetzung für den Falkner-Schein. Seit 2000 darf er sich Falkner nennen. Falken besitzt er allerdings nicht. Stattdessen hat er sich vor neun Jah- ren auf die Jagd von Rabenkrähen und Kaninchen mit einem ameri- kanischen Wüstenbussard speziali- siert. In der Ortenau besitzt er kein Jagdrevier für Kaninchen. Dazu ist er mit seinen Tieren in ganz Deutsch- land unterwegs. »Bei der Kaninchen- jagd treiben in der Regel ein bis zwei Frettchen die Kaninchen aus dem Bau«, erklärt der Falkner. Dann kommen die Vögel zum Einsatz. Sie kreisen über dem Bau und warten da- rauf, dass sie sich auf die fliehenden Kaninchen stürzen können. D as hast du fein gemacht, Mä- dele«, lobt Huber Francis nach der erfolgreichen Jagd und streichelt das warme Gefieder. Fran- cis schnauft. Sie ist außer Atem, has- tig hebt und senkt sich ihr Brustkorb. Nur im gut trainierten Zustand und mit viel Übung gelinge es ihr, Krä- hen zu fangen. Huber streckt seine Hand aus. Francis versteht die Geste sofort, schließlich sind die beiden ein eingespieltes Team. Mehr noch: Francis ist für den Falkner wie ein Kind. Morgens der erste und abends der letzte Gang füh- ren ihn zur zehn auf zehn Meter gro- ßen Vogelvoliere. Tagsüber werden Trainingsflüge absolviert, bei denen am Berg in der Nähe des Hauses in Steinach eine Jagd simuliert wird. Mittlerweile verstehen sich Francis und Huber ohne Worte. Das Weib- chen breitet nur seine rötlich-brau- nen Schwingen aus, schlägt mit den Flügeln, bis die messergleichen Klau- en die Hand des Falkners umschlie- ßen. Ein dicker, dunkler Handschuh aus Rindsleder schützt den Falkner vor den mächtigen Krallen. Schnell schließt Huber den brau- nen Riemen, der wie eine Hundelei- ne dem Tier ausreichend Bewegungs- freiheit verschafft, aber dennoch verhindert, dass es davoneilt. Fran- cis hat sich langsam von den Jagd- Strapazen erholt. Sie atmet wieder gleichmäßig und wartet auf ihre Be- lohnung – ein Küken. Bekäme das Weibchen die komplette Krähe zu fressen, wäre die Jagd vorbei. Denn auf der Pirsch folgt es seinem biolo- gischen Drang – dem Urinstinkt. Sie will die Krähen erlegen. Ist sie vollge- fressen, hat sie keinen Grund mehr, eine weitere Krähe zu töten und bleibt auf dem körperwarmen Hand- schuh sitzen. Vor jeder Jagd wird das Kampfgewicht des Weibchens ge- prüft. Dazu wird Francis auf eine di- gitale Küchenwaage gestellt. Aktuell liegt ihr Jagdgewicht bei 970 Gramm. Während der Krähenjagd sollte sie Appetit, aber keinen Hunger haben. »Ein Hochleistungssportler bringt mit leerem Magen auch nicht die op- timale Leistung«, sagt Huber. V on der Krähenjagd profitie- ren beide: Francis will et- was zu fressen. Alexander Huber wiederum verfolgt die Krä- hen, da sie Schäden in der Landwirt- schaft anrichten, indem sie das Saat- gut fressen. Mit Schusswaffen auf die Rabenkrähen zu schießen, sei proble- matisch, weil sie sich oft an belebten Plätzen aufhalten. Die Krähenjagd mit dem amerika- nischen Wüstenbussard verläuft da- gegen unauffällig. »Oft merken die Leute um uns herum gar nicht, was wir machen«, sagt Huber. Im Auto ist das Duo relativ unauffällig. Spazier- gänger und Autofahrer halten sie zu- nächst für beliebige Verkehrsteilneh- mer. Dass sie jederzeit am Wegrand halten könnten, um die Rabenkrähen zu jagen, erwartet zunächst niemand. B ei 80 Kilometer pro Stunde pir- schen sie sich an die Krähen ran. Während es sich Huber auf dem Beifahrersitz gemütlich macht, sitzt Francis auf dem Handschuh an seiner Linken. Ungefährlich ist die Fahrt mit dem Vogel ohne weite- ren Schutz nicht. Die Bewegungsfrei- heit des Tieres ist wegen der knapp ein Meter langen Leine zwar einge- schränkt. Aber dennoch könnte der Bussard ins Lenkrad fliegen. »Bei uns ist noch nie etwas passiert«, ver- sichert Huber. Francis ist an die Au- tofahrt gewöhnt. »Man fängt von klein auf mit Fahren bei Tempo 20 an und steigert sich langsam«, so der Falkner. Francis interessiert sich auf der Strecke nur für eines: die Krähen auf dem Feld. Dazu starrt sie mit kri- tischem Blick aus der Frontscheibe. »Meist sieht sie die Rabenkrähen vor mir«, weiß Huber. Er erkennt es an ihrem Verhalten und reagiert sofort. Sobald das Weib- chen eine Krähe erspäht, hebt es sei- ne Flügel und scharrt ein wenig mit den Krallen. Das ist das Zeichen: Er öffnet das Fenster und Francis star- tet die nächste Attacke. Lesen Sie nächste Woche: Hinter den Kulissen der Monster-Truck-Show Offenburg. Die Krähenjäger Wenn sie unterwegs sind, geht es den Ortenauer Rabenkrähen an den Kragen. Falkner Alexander Huber ist mit seinem Wüstenbussard- Weibchen Francis von Oktober bis Mitte März auf der Pirsch. VON K ATHARINA JANSEN (T EXT) UND I RIS ROTHE (FOTOS) Ein Video zu diesem Thema finden Sie ab 12 Uhr unter: www.mibatv.de | Videocode: 15790 Eine Bildergalerie zu diesem Thema finden Sie unter : www.bo.de | Webcode: 40CFD Sie sind ein eingespieltes Team: Falkner Alexander Huber und sein amerikanischer Wüstenbussard Francis. Die Tiere werden nach ihrem ersten Wildfang getauft. Francis wurde nach ihrem belgischen Züchter Franz benannt. Zur Falknerei gehört auch die Pflege von Wildvögeln, wie einem Uhu, der entkräftet in Hausach gefunden wurde (Bild Mitte). MITTELBADISCHE PRESSE www.bo.de Donnerstag, 5. März 2015 ORTENAU-REPORTAGE

Die Krähenjäger - bo · 2015. 3. 4. · Schnell schließt Huber den brau-nen Riemen, der wie eine Hundelei-ne dem Tier ausreichend Bewegungs-freiheit verschafft, aber dennoch verhindert,

  • Upload
    others

  • View
    0

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Die Krähenjäger - bo · 2015. 3. 4. · Schnell schließt Huber den brau-nen Riemen, der wie eine Hundelei-ne dem Tier ausreichend Bewegungs-freiheit verschafft, aber dennoch verhindert,

Das Autofenster geht auf. Geräuschlos stürzt das amerikanische Wüsten-bussard-Weibchen Francis aus dem Wagen. Sekunden

später stürzt es sich auf eine 30 Me-ter von der Landstraße entfernte laut krächzende Krähe und tötet sie mit ih-ren Fängen. Stille kehrt ein. Auf dem Feld in Zell am Harmersbach scheint die Zeit stehen zu bleiben. Nach fünf Minuten versammeln sich die restli-chen Krähen über dem Tatort und be-klagen mit lautem Krächzen den Ver-lust des Artgenossen.

»Das war ein idealer Jagd-Flug«, freut sich Falkner Alexander Huber. Seit letztem Jahr sagt der Steinacher Hobbyfalkner mit seiner gefiederten Begleitung den Krähen in der Orte-nau von Oktober bis Mitte März den Kampf an. Während der Mauser, bei der die Bussarde von Mitte März bis Juli das Gefieder wechseln, wird nicht gejagt. Ab August beginnt dann das Training für die nächste Pirsch.

Schon von Kindesbeinen an war Huber fasziniert vom Flug der 60 Zen-timeter großen Greifvögel und der Präzision, mit der sie ihre Beute ja-gen. 1995 absolvierte er die Jagdprü-fung. Diese ist Voraussetzung für den Falkner-Schein. Seit 2000 darf er sich Falkner nennen.

Falken besitzt er allerdings nicht. Stattdessen hat er sich vor neun Jah-ren auf die Jagd von Rabenkrähen und Kaninchen mit einem ameri-kanischen Wüstenbussard speziali-siert. In der Ortenau besitzt er kein Jagdrevier für Kaninchen. Dazu ist er mit seinen Tieren in ganz Deutsch-land unterwegs. »Bei der Kaninchen-jagd treiben in der Regel ein bis zwei Frettchen die Kaninchen aus dem Bau«, erklärt der Falkner. Dann

kommen die Vögel zum Einsatz. Sie kreisen über dem Bau und warten da-rauf, dass sie sich auf die fliehenden Kaninchen stürzen können.

Das hast du fein gemacht, Mä-dele«, lobt Huber Francis nach der erfolgreichen Jagd und

streichelt das warme Gefieder. Fran-cis schnauft. Sie ist außer Atem, has-tig hebt und senkt sich ihr Brustkorb. Nur im gut trainierten Zustand und mit viel Übung gelinge es ihr, Krä-hen zu fangen. Huber streckt seine Hand aus. Francis versteht die Geste sofort, schließlich sind die beiden ein eingespieltes Team.

Mehr noch: Francis ist für den Falkner wie ein Kind. Morgens der erste und abends der letzte Gang füh-ren ihn zur zehn auf zehn Meter gro-ßen Vogelvoliere. Tagsüber werden Trainingsflüge absolviert, bei denen am Berg in der Nähe des Hauses in Steinach eine Jagd simuliert wird. Mittlerweile verstehen sich Francis und Huber ohne Worte. Das Weib-chen breitet nur seine rötlich-brau-

nen Schwingen aus, schlägt mit den Flügeln, bis die messergleichen Klau-en die Hand des Falkners umschlie-ßen. Ein dicker, dunkler Handschuh aus Rindsleder schützt den Falkner vor den mächtigen Krallen.

Schnell schließt Huber den brau-nen Riemen, der wie eine Hundelei-ne dem Tier ausreichend Bewegungs-freiheit verschafft, aber dennoch verhindert, dass es davoneilt. Fran-cis hat sich langsam von den Jagd-Strapazen erholt. Sie atmet wieder gleichmäßig und wartet auf ihre Be-lohnung – ein Küken. Bekäme das Weibchen die komplette Krähe zu fressen, wäre die Jagd vorbei. Denn auf der Pirsch folgt es seinem biolo-gischen Drang – dem Urinstinkt. Sie will die Krähen erlegen. Ist sie vollge-fressen, hat sie keinen Grund mehr, eine weitere Krähe zu töten und bleibt auf dem körperwarmen Hand-

schuh sitzen. Vor jeder Jagd wird das Kampfgewicht des Weibchens ge-prüft. Dazu wird Francis auf eine di-gitale Küchenwaage gestellt. Aktuell liegt ihr Jagdgewicht bei 970 Gramm. Während der Krähenjagd sollte sie Appetit, aber keinen Hunger haben. »Ein Hochleistungssportler bringt mit leerem Magen auch nicht die op-timale Leistung«, sagt Huber.

Von der Krähenjagd profitie-ren beide: Francis will et-was zu fressen. Alexander

Huber wiederum verfolgt die Krä-hen, da sie Schäden in der Landwirt-schaft anrichten, indem sie das Saat-gut fressen. Mit Schusswaffen auf die Rabenkrähen zu schießen, sei proble-matisch, weil sie sich oft an belebten Plätzen aufhalten.

Die Krähenjagd mit dem amerika-nischen Wüstenbussard verläuft da-gegen unauffällig. »Oft merken die Leute um uns herum gar nicht, was wir machen«, sagt Huber. Im Auto ist das Duo relativ unauffällig. Spazier-gänger und Autofahrer halten sie zu-

nächst für beliebige Verkehrsteilneh-mer. Dass sie jederzeit am Wegrand halten könnten, um die Rabenkrähen zu jagen, erwartet zunächst niemand.

Bei 80 Kilometer pro Stunde pir-schen sie sich an die Krähen ran. Während es sich Huber auf

dem Beifahrersitz gemütlich macht, sitzt Francis auf dem Handschuh an seiner Linken. Ungefährlich ist die Fahrt mit dem Vogel ohne weite-ren Schutz nicht. Die Bewegungsfrei-heit des Tieres ist wegen der knapp ein Meter langen Leine zwar einge-schränkt. Aber dennoch könnte der Bussard ins Lenkrad fliegen. »Bei uns ist noch nie etwas passiert«, ver-sichert Huber. Francis ist an die Au-tofahrt gewöhnt. »Man fängt von klein auf mit Fahren bei Tempo 20 an und steigert sich langsam«, so der Falkner. Francis interessiert sich auf der Strecke nur für eines: die Krähen auf dem Feld. Dazu starrt sie mit kri-tischem Blick aus der Frontscheibe. »Meist sieht sie die Rabenkrähen vor mir«, weiß Huber.

Er erkennt es an ihrem Verhalten und reagiert sofort. Sobald das Weib-chen eine Krähe erspäht, hebt es sei-ne Flügel und scharrt ein wenig mit den Krallen. Das ist das Zeichen: Er öffnet das Fenster und Francis star-tet die nächste Attacke.

◼ Lesen Sie nächste Woche: Hinter denKulissen der Monster-Truck-Show Offenburg.

Die KrähenjägerWenn sie unterwegs sind, geht es den Ortenauer Rabenkrähen

an den Kragen. Falkner Alexander Huber ist mit seinem Wüstenbussard- Weibchen Francis von Oktober bis Mitte März auf der Pirsch.

Von Katharina Jansen (text) und iris rothe (Fotos)

Ein Video zu diesem Thema finden Sie ab 12 Uhr unter:

www.mibatv.de | Videocode: 15790

Eine Bildergalerie zu diesem Thema finden Sie unter:

w w w. b o . d e | We b c o d e : 4 0 C F D

Sie sind ein eingespieltes Team: Falkner Alexander Huber und sein amerikanischer Wüstenbussard Francis. Die Tiere werden nach ihrem ersten Wildfang getauft. Francis wurde nach ihrem belgischen Züchter Franz benannt. Zur Falknerei gehört auch die Pflege von Wildvögeln, wie einem Uhu, der entkräftet in Hausach gefunden wurde (Bild Mitte).

MITTELBADISCHE PRESSE www.bo.de Donnerstag, 5. März 2015

ORTENAU-REPORTAGE