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Jacob Burckhardt Die Kultur der Renaissance in Italien Ein Versuch 12. Auflage mit einem Vorwort von Hubert Locher ALFRED KRÖNER VERLAG STUTTGART

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Jacob Burckhardt

Die Kulturder Renaissance

in Italien

Ein Versuch

12. Auflagemit einem Vorwort von Hubert Locher

ALFRED KRÖNER VERLAG STUTTGART

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Burckhardt, JacobDie Kultur der Renaissance in Italien12. Aufl. – Stuttgart: Kröner 2009(Kröners Taschenausgabe Bd. 53)ISBN Druck: 978-3-520-05312-1ISBN E-Book: 978-3-520-05391-6

Unser gesamtes lieferbares Programm sowie viele weitereInformationen finden Sie unter:www.kroener-verlag.de

Zur vorliegenden Edition

Der hier abgedruckte Text basiert auf der durch Walter Goetzbesorgten Auflage (Stuttgart 131922, Leipzig 151926), die denText der 2., das heißt der letzten von Burckhardt selbst durch-gesehenen und ergänzten Auflage (Leipzig 1869), wiederher-stellt, unter Berücksichtigung einiger von Werner Kaegi fürdie J. B.-Gesamtausgabe vorgenommenen Veränderungen.

Die 1.Auflage widmete der Autor Luigi Picchioni zum sie-benundsiebzigsten Geburtstag.

© 2009 by Alfred Kröner Verlag in StuttgartDatenkonvertierung E-Book:Alfred Kröner Verlag,Stuttgart

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX

I. Abschnitt

Der Staat als Kunstwerk

1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Tyrannis des 14. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . 53. Tyrannis des 15. Jahrhunderts . . . . . . . . . . . 124. Die kleineren Tyrannien . . . . . . . . . . . . . 225. Die größeren Herrscherhäuser . . . . . . . . . . 296. Die Gegner der Tyrannis . . . . . . . . . . . . . 467. Die Republiken:Venedig – Florenz . . . . . . . . 518. Auswärtige Politik der italienischen Staaten . . . . 749. Der Krieg als Kunstwerk . . . . . . . . . . . . . 81

10. Das Papsttum und seine Gefahren . . . . . . . . 8411. Schluß:Das Italien der Patrioten . . . . . . . . . 105

II. Abschnitt

Entwicklung des Individuums

1. Der italienische Staat und das Individuum . . . . . 1072. Die Vollendung der Persönlichkeit . . . . . . . . 1113. Der moderne Ruhm . . . . . . . . . . . . . . 1154. Der moderne Spott und Witz . . . . . . . . . . 124

III. Abschnitt

Die Wiedererweckung des Altertums

1. Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . 1372. Die Ruinenstadt Rom . . . . . . . . . . . . . . 141

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3. Die alten Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . 1504. Der Humanismus im 14. Jahrhundert . . . . . . . 1575. Universitäten und Schulen . . . . . . . . . . . . 1626. Die Förderer des Humanismus . . . . . . . . . . 1677. Reproduktion des Altertums.Epistolographie . . . 1788. Die lateinische Rede . . . . . . . . . . . . . . . 1819. Die lateinische Abhandlung –

Die Geschichtschreibung . . . . . . . . . . . . 18810. Allgemeine Latinisierung der Bildung . . . . . . 19411. Die neulateinische Poesie . . . . . . . . . . . . 19912. Sturz der Humanisten im 16. Jahrhundert . . . . . 212

IV. Abschnitt

Die Entdeckung der Welt und des Menschen

1. Reisen der Italiener . . . . . . . . . . . . . . . 2252. Die Naturwissenschaft in Italien . . . . . . . . . 2283. Entdeckung der landschaftlichen Schönheit . . . . 2344. Entdeckung des Menschen. Geistige Schilderung

in der Poesie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2435. Die Biographik . . . . . . . . . . . . . . . . . 2636. Charakteristiken von Völkern und Städten . . . . 2737. Schilderung des äußern Menschen . . . . . . . . 2758. Schilderung des bewegten Lebens . . . . . . . . 280

V. Abschnitt

Die Geselligkeit und die Feste

1. Die Ausgleichung der Stände . . . . . . . . . . . 2872. Äußere Verfeinerung des Lebens . . . . . . . . . 2943. Die Sprache als Basis der Geselligkeit . . . . . . . 3004. Die höhere Form der Geselligkeit . . . . . . . . 305

VI Inhalt

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5. Der vollkommene Gesellschaftsmensch . . . . . . 3096. Stellung der Frau . . . . . . . . . . . . . . . . 3157. Das Hauswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . 3198. Die Feste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322

VI. Abschnitt

Sitte und Religion

1. Die Moralität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3432. Die Religion im täglichen Leben . . . . . . . . . 3683. Die Religion und der Geist der Renaissance . . . 3984. Verflechtung von antikem und neuerm

Aberglauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4135. Erschütterung des Glaubens überhaupt . . . . . . 443

Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563Register . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 569J.Burckhardts Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . 583

Inhalt VII

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Vorwort

Die Kultur der Renaissance in Italien ist das berühmteste undwirkungsreichste Buch des in Basel 1818 geborenen undebenda 1897 verstorbenen Jacob Burckhardt. 1860 erstmalserschienen, prägte das Werk in zahlreichen, teils illustriertenFolgeauflagen nachhaltig die Vorstellung von der italieni-schen Renaissance als Epoche und ihrer besonderen Bedeu-tung für die europäische Kultur.Gelesen wurde Die Kultur derRenaissance in Italien nicht nur von den einschlägig interessier-ten Gelehrten, die das Buch sogleich,wenn auch gelegentlichkritisch, zur Kenntnis nahmen, sondern es fand vor allem inden Jahrzehnten vor und nach 1900 bei einer um Bildung be-mühten bürgerlichen Schicht Anklang.Es ist dies jenes ›allge-meine Publikum‹, das zu bedienen Burckhardt zeitlebens alsehrenvolle und wichtige Aufgabe erachtete. Der Erfolg desBuches ist seither ungebrochen: Es gehört nach allgemeinerAuffassung zu den wichtigsten Werken der europäischen Hi-storiographie und wird in den einschlägigen Kompendien,gleich welcher Sprache und Ausrichtung, regelmäßig promi-nent erwähnt.Die aufgezeigten Wege und methodischen Im-pulse sind von der nachfolgenden Forschung in vielerleiRichtung aufgegriffen, entfaltet und kritisch diskutiert wor-den.Nicht zuletzt hat Die Kultur der Renaissance als literarischeLeistung bleibende Anerkennung gefunden.

Wenn Burckhardt auch eine fachferne Leserschaft anspre-chen wollte, so heißt dies keineswegs,dass er nicht um wissen-schaftliche Erkenntnis auf höchstem Niveau bemüht gewesenwäre. Was avancierte historische Forschung im Verständnisseiner Zeit meinte, hatte er an der Berliner Universität bei ei-nigen der bedeutendsten Historiker der Zeit lernen können:Nachdem Burckhardt zunächst in Basel mit dem Studium derevangelischen Theologie begonnen hatte, hörte er in Berlinab 1839 u. a. bei dem jungen Johann Gustav Droysen (1808–84) und bei Leopold Ranke (1795–1886); aus Rankes Seminar

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ging seine Dissertation über Karl Martell hervor, mit der er1843 in Basel – in Abwesenheit – promoviert wurde. Wäh-rend Burckhardt von Droysen manche Anregung zum ge-schichtsphilosophischen Denken erfuhr, wie er selbst berich-tet, erhielt er bei Ranke eine grundlegende Einführung in diehistorische Methodik, wobei das von diesem vertretene Idealder Geschichtsschreibung in der möglichst objektiven Erin-nerung und Darstellung des historischen Faktums aus denQuellen, das heißt möglichst aus Archivalien, bestand.

Auch die Kulturgeschichte der italienischen Renaissance iststreng aus den Quellen erarbeitet. Burckhardt bezog sich al-lerdings weitgehend auf Gedrucktes, seien dies Editionen wieLudovico Antonio Muratoris (1673–1750) Rerum italicarumscriptores (veröffentlicht in 25 Bänden 1723–51), die ab 1843im Archivio storico italiano erscheinenden Chroniken oder lite-rarische Druckerzeugnisse der Zeit.Dieses Material hätte sichmit Studien in den Archiven zweifellos fruchtbar ergänzenlassen; doch es ging Burckhardt nicht um Anhäufung undAuswertung neuer Dokumente, sondern um den Entwurf ei-nes Gesamtbildes der Epoche aus einer bestimmten, nämlichkulturhistorischen Perspektive. Die Kultur der Renaissance inItalien bekundet den Blick eines Forschers, der sich nicht fürdie ›Fakten‹ um ihrer selbst willen interessierte, sondern viel-mehr für die Beschreibung charakteristischer Gestalten, typi-scher Handlungen, Institutionen,Symbolisierungen, in denensich jene Vorstellungen ausprägen, die eine mehr oder weni-ger vielfältig differenzierte Gruppe von Menschen eines um-grenzten Gebietes – Burckhardt spricht gelegentlich von›Race, Volk, Partei, Korporation, Familie‹ – verbinden undorganisieren.

Mit seinem Projekt wähnte sich Burckhardt auf unsiche-rem Terrain, obwohl er nicht zum ersten Mal als Kulturhisto-riker auftrat und sich durchaus auf eine Tradition berufenkonnte: Bereits 1853 hatte er mit Die Zeit Constantins des Gro-ßen eine erste große kulturgeschichtliche Abhandlung ver-öffentlicht. Kulturgeschichtsschreibung war schon seit dem

X Vorwort

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jektivität zwischen Glaubens- und Traditionsverlust und indi-viduellem Freiheitsgewinn historisch zu erklären.

Die Kultur der Renaissance in Italien erschien 1860 zum erstenMal in der Schweighauserschen Verlagsbuchhandlung in Ba-sel. Das Buch erlebte 1869 eine zweite überarbeitete Auflage,die Burckhardt selbst versah; es folgte 1877/78 eine von Lud-wig Geiger bearbeitete Auflage in zwei Bänden im LeipzigerSeemann Verlag,die bis zur 11.Aufl. 1913 im selben Verlag er-schien, 1919 in 12.Auflage dann in dem damals noch in Leip-zig ansässigen Kröner Verlag. Im selben Verlag, nun in Stutt-gart, erschien das Buch 1922 in der 13. Auflage, für die WalterGoetz den Text der 2., d. h. der letzten von Burckhardt selbstdurchgesehenen und ergänzten Auflage wiederherstellte. Fürdie Publikation in der Gesamtausgabe wurde der Text anhandvon Burckhardts Handexemplar und verschiedenen Notizenvon Werner Kaegi bearbeitet (Jacob Burckhardt-Gesamtaus-gabe, Bd. 5, Stuttgart/Berlin/Leipzig 1930, mit Ergänzung inBd. 13, 1934, S. 521). Das Buch erschien alsbald auch in ver-schiedenen weiteren Verlagen, es wurde illustriert (Phaidon,ab 1934) und in vielen tausenden Exemplaren verbreitet.

Diese Ausgabe basiert auf der von Walter Goetz besorgtenEdition. Einige Stellen, an denen Werner Kaegi bei seinenBearbeitungen von Goetz’ Textfassung abwich, wurden be-rücksichtigt, einige in den Anmerkungen beigefügten Zusät-ze Ludwig Geigers beibehalten. Ergänzt bzw. neu bearbeitetwurden die der 11. Auflage des Kröner-Verlags von KonradHoffmann beigegebenen Angaben einiger neuerer Literatur.Für die vorliegende Ausgabe wurden außerdem deutscheÜbersetzungen der fremdsprachigen Zitate vorgenommenund einige Worterklärungen hinzugefügt. Hilfreich war hierder Vergleich mit der Ausgabe von Horst Günther (Frankfurta. M., 1989). Die Übersetzung der lateinischen Zitate über-nahm Angelika Fricke.

Die Textgestalt kann aus technischen Gründen das Originalnicht abbilden, doch ist dessen Anlage durchaus belangvoll:

Vorwort XIX

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Burckhardt hat seinen Text ursprünglich nur durch die Titelder sechs Hauptabschnitte unterbrochen, den Textfluss an-sonsten durch Alinea, Zwischenzeilen – teils mit Zwischen-strichen abgesetzt – und Marginalien gegliedert. Schon derErstausgabe hat er jedoch am Ende des Textes ein dreifach ge-stuftes, detailliertes Inhaltsverzeichnis mit Seitenzahlen bei-gefügt,woraus die dem Gesamttext zugrundeliegende strengeStrukturierung nach Themen und ihrer Entfaltung deutlichwird.Die hier vorliegende Ausgabe ist nach den sechs Haupt-abschnitten und, zur besseren Orientierung und Auffindungder an das Textende versetzten Anmerkungen, nach den vonBurckhardt im Inhaltsverzeichnis ohne Nummerierung an-geführten Unterkapiteln zweiter Ordnung unterteilt. Woeine Zwischenzeile mit Zwischenstrich gesetzt war, wurdeeine einfache Leerzeile gesetzt. Für diese Ausgabe wurde au-ßerdem die bei Goetz veränderte Absatzeinteilung der Ur-ausgabe wiederhergestellt. Die lebenden Kolumnentitel sindin Anlehnung an die ursprünglichen Marginalien formuliert.Im Anhang wird das Inhaltsverzeichnis Burckhardts mit Sei-tenzahlen abgedruckt.

Marburg, im April 2009 Hubert Locher

XX Vorwort

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Freien werden hie und da ganz anmutig geschildert. Aberauch die tiefste Geistesarbeit und das Edelste der Poesie istbisweilen von einem solchen Landaufenthalt datiert.

[Achtens]

Die Feste

Es ist keine bloße Willkür, wenn wir an die Betrachtung desgesellschaftlichen Lebens die der festlichen Aufzüge und Auf-führungen anknüpfen.1 Die kunstvolle Pracht, welche dasItalien der Renaissance dabei an den Tag legt,2 wurde nur er-reicht durch das Zusammenleben aller Stände, welches auchdie Grundlage der italienischen Gesellschaft ausmacht. ImNorden hatten die Klöster, die Höfe und die Bürgerschaftenihre besondern Feste und Aufführungen wie in Italien, alleindort waren dieselben nach Stil und Inhalt getrennt, hier dage-gen durch eine allgemeine Bildung und Kunst zu einer ge-meinsamen Höhe entwickelt. Die dekorierende Architektur,welche diesen Festen zu Hilfe kam, verdient ein eigenes Blattin der Kunstgeschichte, obgleich sie uns nur noch als einPhantasiebild gegenübersteht, das wir aus den Beschreibun-gen zusammenlesen müssen.Hier beschäftigt uns das Fest sel-ber als ein erhöhter Moment im Dasein des Volkes,wobei diereligiösen, sittlichen und poetischen Ideale des letztern einesichtbare Gestalt annehmen.Das italienische Festwesen in sei-ner höhern Form ist ein wahrer Übergang aus dem Leben indie Kunst.

Die beiden Hauptformen festlicher Aufführungen sind ur-sprünglich, wie überall im Abendlande, das Mysterium, d. h.die dramatisierte heilige Geschichte oder Legende und dieProzession, d. h. der bei irgendeinem kirchlichen Anlaß ent-stehende Prachtaufzug.

Nun waren in Italien schon die Aufführungen der Myste-rien im ganzen offenbar prachtvoller, zahlreicher und durchdie parallele Entwicklung der bildenden Kunst und der Poe-

322 Fünfter Abschnitt · [Achtens]

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sie geschmackvoller als anderswo.Sodann scheidet sich aus ih-nen nicht bloß wie im übrigen Abendlande zunächst die Pos-se aus und dann das übrige weltliche Drama, sondern früheschon auch eine auf den schönen und reichen Anblick be-rechnete Pantomime mit Gesang und Ballett.

Aus der Prozession aber entwickelt sich in den eben gele-genen italienischen Städten mit ihren breiten, wohlgepfla-sterten Straßen der Trionfo, d. h. der Zug von Kostümiertenzu Wagen und zu Fuß, erst von überwiegend geistlicher, dannmehr und mehr von weltlicher Bedeutung. Fronleichnams-prozession und Karnevalszug berühren sich hier in einem ge-meinsamen Prachtstil, welchem sich dann auch fürstlicheEinzüge anschließen.Auch die übrigen Völker verlangten beisolchen Gelegenheiten bisweilen den größten Aufwand, inItalien allein aber bildete sich eine kunstgerechte Behand-lungsweise, die den Zug als sinnvolles Ganzes komponierteund ausstattete.

Was von diesen Dingen heute noch in Übung ist, kann nurein armer Überrest heißen. Kirchliche sowohl als fürstlicheAufzüge haben sich des dramatischen Elementes, der Kostü-mierung, fast völlig entledigt, weil man den Spott fürchtetund weil die gebildeten Klassen, welche ehemals diesen Din-gen ihre volle Kraft widmeten, aus verschiedenen Gründenkeine Freude mehr daran haben können. Auch am Karnevalsind die großen Maskenzüge außer Übung.Was noch weiter-lebt,wie z. B.die einzelnen geistlichen Masken bei Umzügenvon Bruderschaften, ja selbst das pomphafte Rosalienfest zuPalermo, verrät deutlich, wie weit sich die höhere Bildungvon diesen Dingen zurückgezogen hat.

Die volle Blüte des Festwesens tritt erst mit dem entschiede-nen Siege des Modernen, mit dem 15. Jahrhundert ein,3

wenn nicht etwa Florenz dem übrigen Italien auch hierinvorangegangen war. Wenigstens war man hier schon frühquartierweise organisiert für öffentliche Aufführungen, wel-che einen sehr großen künstlerischen Aufwand voraussetzen.

Die Feste · Ihre Grundformen 323

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So jene Darstellung der Hölle auf einem Gerüst und auf Bar-ken im Arno, 1. Mai 1304, wobei unter den Zuschauern dieBrücke alla Carraja zusammenbrach.4 Auch daß später Flo-rentiner als Festkünstler, festaiuoli, im übrigen Italien reisenkonnten,5 beweist eine frühe Vervollkommnung zu Hause.

Suchen wir nun die wesentlichsten Vorzüge des italieni-schen Festwesens gegenüber dem Auslande vorläufig auszu-mitteln, so steht in erster Linie der Sinn des entwickelten In-dividuums für Darstellung des Individuellen, d. h. die Fähig-keit, eine vollständige Maske zu erfinden, zu tragen und zuagieren. Maler und Bildhauer halfen dann bei weitem nichtbloß zur Dekoration des Ortes, sondern auch zur Ausstattungder Personen mit, und gaben Tracht, Schminke (S. 295f.) undanderweitige Ausstattung an. Das Zweite ist die Allverständ-lichkeit der poetischen Grundlage. Bei den Mysterien wardieselbe im ganzen Abendlande gleich groß, indem die bibli-schen und legendarischen Historien von vornherein jeder-mann bekannt waren, für alles übrige aber war Italien imVorteil. Für die Rezitationen einzelner heiliger oder profan-idealer Gestalten besaß es eine volltönende lyrische Poesie,welche groß und klein gleichmäßig hinreißen konnte.6 So-dann verstand der größte Teil der Zuschauer (in den Städten)die mythologischen Figuren und erriet wenigstens leichter alsirgendwo die allegorischen und geschichtlichen, weil sie ei-nem allverbreiteten Bildungskreis entnommen waren.

Dies bedarf einer nähern Bestimmung. Das ganze Mittelal-ter war die Zeit des Allegorisierens in vorzugsweisem Sinnegewesen; seine Theologie und Philosophie behandelte ihreKategorien dergestalt als selbständige Wesen,7 daß Dichtungund Kunst es scheinbar leicht hatten, dasjenige beizufügen,was noch zur Persönlichkeit fehlte. Hierin stehen alle Länderdes Okzidents auf gleicher Stufe; aus ihrer Gedankenweltkönnen sich überall Gestalten erzeugen, nur daß Ausstattungund Attribut in der Regel rätselhaft und unpopulär ausfallenwerden. Letzteres ist auch in Italien häufig der Fall, und zwarselbst während der ganzen Renaissance und noch über diesel-

324 Fünfter Abschnitt · [Achtens]

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be hinaus. Es genügt dazu, daß irgendein Prädikat der betref-fenden allegorischen Gestalt auf unrichtige Weise durch einAttribut übersetzt werde. Selbst Dante ist durchaus nicht freivon solchen falschen Übertragungen,8 und aus der Dunkel-heit seiner Allegorien hat er sich bekanntlich eine wahre Ehregemacht.9 Petrarca in seinen Trionfi will wenigstens die Ge-stalten des Amor, der Keuschheit, des Todes, der Fama usw.deutlich, wenn auch in Kürze schildern. Andere dagegenüberladen ihre Allegorien mit lauter verfehlten Attributen. Inden Satiren des Antonio Vinciguerra10 z. B. wird der Neidmit »rauhen eisernen Zähnen«, die Gefräßigkeit als sich aufdie Lippen beißend, mit wirrem, struppigem Haar usw. ge-schildert, letzteres wahrscheinlich, um sie als gleichgültig ge-gen alles, was nicht Essen ist, zu bezeichnen. Wie übel sichvollends die bildende Kunst bei solchen Mißverständnissenbefand, können wir hier nicht erörtern. Sie durfte sich wiedie Poesie glücklich schätzen, wenn die Allegorie durch einemythologische Gestalt,d. h.durch eine vom Altertum her vorder Absurdität gesicherte Kunstform ausgedrückt werdenkonnte, wenn statt des Krieges Mars, statt der Jagdlust Diana11

usw. zu gebrauchen war.Nun gab es in Kunst und Bildung auch besser gelungene

Allegorien, und von denjenigen Figuren dieser Art, welchebei italienischen Festzügen auftraten, wird man wenigstensannehmen dürfen, daß das Publikum sie deutlich und spre-chend charakterisiert verlangte, weil es durch seine sonstigeBildung angeleitet war, dergleichen zu verstehen. Auswärts,zumal am burgundischen Hofe, ließ man sich damals nochsehr undeutsame Figuren, auch bloße Symbole, gefallen, weiles noch eine Sache der Vornehmheit war, eingeweiht zu seinoder zu scheinen. Bei dem berühmten Fasanengelübde12 von1453 ist die schöne junge Reiterin, welche als Freudenköni-gin daherzieht, die einzige erfreuliche Allegorie; die kolossa-len Tischaufsätze mit Automaten und lebendigen Personensind entweder bloße Spielereien oder mit einer platten mora-lischen Zwangsauslegung behaftet. In einer nackten weibli-

Die Allegorie bei den Festen 325

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chen Statue am Büfett, die ein lebendiger Löwe hütete, sollteman Konstantinopel und seinen künftigen Retter, den Her-zog von Burgund, ahnen. Der Rest, außer einer Pantomime(Jason in Kolchis), erscheint entweder sehr tiefsinnig oderganz sinnlos;der Beschreiber des Festes,Olivier selbst, kam als»Kirche« kostümiert in dem Turme auf dem Rücken einesElefanten, den ein Riese führte, und sang eine lange Klageüber den Sieg der Ungläubigen.13

Wenn aber auch die Allegorien der italienischen Dichtun-gen, Kunstwerke und Feste an Geschmack und Zusammen-hang im ganzen höher stehen, so bilden sie doch nicht diestarke Seite. Der entscheidende Vorteil [ein Vorteil für sehrgroße Dichter und Künstler, die etwas damit anzufangenwußten] lag vielmehr darin, daß man hier außer den Per-sonifikationen des Allgemeinen auch historische Repräsen-tanten desselben Allgemeinen in Menge kannte, daß man andie dichterische Aufzählung wie an die künstlerische Darstel-lung zahlreicher berühmter Individuen gewöhnt war. Diegöttliche Komödie, die Trionfi des Petrarca, die Visione amo-rosa des Boccaccio – lauter Werke, welche hierauf gegründetsind – außerdem die ganze große Ausweitung der Bildungdurch das Altertum hatten die Nation mit diesem histori-schen Elemente vertraut gemacht. Und nun erschienen dieseGestalten auch bei Festzügen entweder individualisiert alsbestimmte Masken oder wenigstens als Gruppen, als cha-rakteristisches Geleite einer allegorischen Hauptfigur oderHauptsache.Man lernte dabei überhaupt gruppenweise kom-ponieren, zu einer Zeit, da die prachtvollsten Aufführungenim Norden zwischen unergründliche Symbolik und buntessinnloses Spiel geteilt waren.

Wir beginnen mit der vielleicht ältesten Gattung, den My-sterien.14 Sie gleichen im ganzen denjenigen des übrigenEuropa;auch hier werden auf öffentlichen Plätzen,in Kirchen,in Klosterkreuzgängen große Gerüste errichtet, welche obenein verschließbares Paradies, ganz unten bisweilen eine Hölleenthalten und dazwischen die eigentliche Scena,welche sämt-

326 Fünfter Abschnitt · [Achtens]

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liche irdische Lokalitäten des Dramas nebeneinander darstellt;auch hier beginnt das biblische oder legendarische Dramanicht selten mit einem theologischen Vordialog von Apo-steln, Kirchenvätern,Propheten, Sibyllen und Tugenden, undschließt je nach Umständen mit einem Tanz.Daß die halbko-mischen Intermezzi von Nebenpersonen in Italien ebenfallsnicht fehlen, scheint sich von selbst zu verstehen, doch trittdies Element nicht so derb hervor wie im Norden. Freilichschloß ein Mysterium vom bethlehemitischen Kindermord ineiner Kirche von Siena damit, daß die unglücklichen Müttereinander bei den Haaren nehmen mußten.15 Für das Auf- undNiederschweben auf künstlichen Maschinen,einen Hauptreizaller Schaulust, war in Italien wahrscheinlich die Übung vielgrößer als anderswo,und bei den Florentinern gab es schon im14. Jahrhundert spöttische Reden, wenn die Sache nicht ganzgeschickt ging.16 Bald darauf erfand Brunellesco für das An-nunziatenfest auf Piazza S.Felice jenen unbeschreiblich kunst-reichen Apparat einer von zwei Engelkreisen umschwebtenHimmelskugel,von welcher Gabriel in einer mandelförmigenMaschine niederflog,und Cecca gab Ideen und Mechanik fürähnliche Feste an.17 Die geistlichen Bruderschaften, oder dieQuartiere, welche die Besorgung und zum Teil die Auffüh-rung selbst übernahmen, verlangten je nach Maßgabe ihresReichtums wenigstens in den größern Städten den Aufwandaller erreichbaren Mittel der Kunst. Ebendasselbe darf manvoraussetzen, wenn bei großen fürstlichen Festen neben demweltlichen Drama oder der Pantomime auch noch Mysterienaufgeführt werden.Der Hof des Pietro Riario (S. 88), der vonFerrara usw. ließen es dabei gewiß nicht an der ersinnlichstenPracht fehlen.18 Vergegenwärtigt man sich das szenische Ta-lent und die reichen Trachten der Schauspieler, die Darstel-lung der Örtlichkeiten durch ideale Dekorationen des damali-gen Baustils, durch Laubwerk und Teppiche, endlich als Hin-tergrund die Prachtbauten der Piazza einer großen Stadt oderdie lichten Säulenhallen eines Palasthofes, eines großen Klo-sterhofes, so ergibt sich ein überaus reiches Bild. Wie aber das

Die Mysterien 327

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weltliche Drama eben durch eine solche Ausstattung zu Scha-den kam, so ist auch wohl die höhere poetische Entwicklungdes Mysteriums selber durch dieses unmäßige Vordrängen derSchaulust gehemmt worden. In den erhaltenen Texten findetman ein meist sehr dürftiges dramatisches Gewebe mit einzel-nen schönen lyrisch-rhetorischen Stellen, aber nichts von je-nem großartigen symbolischen Schwung, der die »Autos sa-gramentalos« eines Calderon auszeichnet.

Bisweilen mag in kleinern Städten, bei ärmerer Ausstat-tung, die Wirkung dieser geistlichen Dramen auf das Gemüteine stärkere gewesen sein. Es kommt vor,19 daß einer jenergroßen Bußprediger, von welchem im letzten Abschnitt dieRede sein wird, Roberto da Lecce, den Kreis seiner Fasten-predigten während der Pestzeit 1448 in Perugia mit einerKarfreitagsaufführung der Passion beschließt;nur wenige Per-sonen traten auf, aber das ganze Volk weinte laut. Freilich ka-men bei solchen Anlässen Rührungsmittel zur Anwendung,welche dem Gebiet des herbsten Naturalismus entnommenwaren.Es bildet eine Parallele zu den Gemälden eines Matteoda Siena,zu den Tongruppen eines Guido Mazzoni,wenn derden Christus vorstellende Autor mit Striemen bedeckt undscheinbar Blut schwitzend, ja aus der Seitenwunde blutend,auftreten mußte.20

Die besonderen Anlässe zur Aufführung von Mysterien,abgesehen von gewissen großen Kirchenfesten, fürstlichenVermählungen usw., sind sehr verschieden. Als z. B. Bernar-dino von Siena durch den Papst heilig gesprochen wurde(1450),gab es,wahrscheinlich auf dem großen Platz seiner Va-terstadt, eine Art von dramatischen Nachahmungen (rappre-sentazione) seiner Kanonisation,21 nebst Speise und Trank fürjedermann.Oder ein gelehrter Mönch feiert seine Promotionzum Doktor der Theologie durch Aufführung der Legendedes Stadtpatrons.22 König Karl VIII. war kaum nach Italienhinabgestiegen, als ihn die Herzogin-Witwe Blanca von Sa-voyen in Turin mit einer Art von halbgeistlicher Pantomimeempfing,23 wobei zuerst eine Hirtenszene »das Gesetz der

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Natur«, dann ein Zug der Erzväter »das Gesetz der Gnade«vorzustellen zensiert war; darauf folgten die Geschichten desLancelot vom See und die von »Athen«.Und sowie der Könignur in Chieri anlangte, wartete man ihm wieder mit einerPantomime auf, die ein Wochenbett mit vornehmem Besuchdarstellte.

Wenn aber irgendein Kirchenfest einen allgemeinen An-spruch auf die höchste Anstrengung hatte, so war es Fron-leichnam, an dessen Feier sich ja in Spanien jene besondereGattung von Poesie anschloß. Für Italien besitzen wir wenig-stens die pomphafte Schilderung des Corpus Domini, wel-ches Pius II. 1462 in Viterbo abhielt.24 Der Zug selber, wel-cher sich von einem kolossalen Prachtzelt vor S. Francescodurch die Hauptstraße nach dem Domplatz bewegte, war daswenigste dabei; die Kardinäle und reichern Prälaten hattenden Weg stückweise unter sich verteilt und nicht nur für fort-laufende Schattentücher, Mauerteppiche,25 Kränze u. dgl. ge-sorgt, sondern lauter eigene Schaubühnen errichtet,wo wäh-rend des Zuges kurze historische und allegorische Szenenaufgeführt wurden. Man ersieht aus dem Bericht nicht ganzklar,ob alles von Menschen oder einiges von drapierten Figu-ren dargestellt wurde;26 jedenfalls war der Aufwand sehr groß.Da sah man einen leidenden Christus zwischen singendenEngelknaben; ein Abendmahl in Verbindung mit der Gestaltdes S. Thomas von Aquino; den Kampf des Erzengels Micha-el mit den Dämonen; Brunnen mit Wein und Orchester vonEngeln; ein Grab des Herrn mit der ganzen Szene der Auf-erstehung; endlich auf dem Domplatz das Grab der Maria,welches sich nach dem Hochamt und dem Segen eröffnete;von Engeln getragen schwebte die Mutter Gottes singendnach dem Paradies, wo Christus sie krönte und dem ewigenVater zuführte.

In der Reihe jener Szenen an der Hauptstraße sticht die-jenige des Kardinal Vizekanzlers Roderigo Borgia – des spä-tern Alexander VI. – besonders hervor durch Pomp unddunkle Allegorie.27 Außerdem tritt dabei die damals begin-

Anlässe zu den Mysterien 329

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nende Vorliebe für festlichen Kanonendonner28 zutage, wel-che dem Haus Borgia noch ganz besonders eigen war.

Kürzer geht Pius II. hinweg über die in demselben Jahr zuRom abgehaltene Prozession mit dem aus Griechenland er-worbenen Schädel des hl. Andreas. Auch dabei zeichnete sichRoderigo Borgia durch besondere Pracht aus, sonst aber hattedas Fest etwas Profanes, indem sich außer den nie fehlendenMusikengeln auch noch andere Masken zeigten, auch »starkeMänner«, d. h. Herkulesse, welche allerlei Turnkünste mögenvorgebracht haben.

Die rein oder überwiegend weltlichen Aufführungen warenbesonders an den größern Fürstenhöfen ganz wesentlich aufdie geschmackvolle Pracht des Anblicks berechnet, desseneinzelne Elemente in einem mythologischen und allegori-schen Zusammenhang standen, soweit ein solcher sich gerneund angenehm erraten ließ. Das Barocke fehlte nicht: riesigeTierfiguren, aus welchen plötzlich Scharen von Masken her-auskamen, wie z. B. bei einem fürstlichen Empfang (1465) zuSiena29 aus einer goldenen Wölfin ein ganzes Ballett vonzwölf Personen hervorstieg; belebte Tafelaufsätze, wenn auchnicht in der sinnlosen Dimension wie beim Herzog von Bur-gund (S. 325f.); das meiste aber hatte einen künstlerischenund poetischen Zug. Die Vermischung des Dramas mit derPantomime am Hofe von Ferrara wurde bereits bei Anlaß derPoesie (S. 254f.) geschildert. Weltberühmt waren dann dieFestlichkeiten, welche Kardinal Pietro Riario 1473 in Romgab, bei der Durchreise der zur Braut des Prinzen Ercole vonFerrara bestimmten Lianora von Aragon.30 Die eigentlichenDramen sind hier noch lauter Mysterien kirchlichen Inhalts,die Pantomimen dagegen mythologisch; man sah Orpheusmit den Tieren,Perseus und Andromeda,Ceres von Drachen,Bacchus und Ariadne von Panthern gezogen, dann die Er-ziehung des Achill; hierauf ein Ballett der berühmten Liebes-paare der Urzeit und einer Schar Nymphen;dieses wurde un-terbrochen durch einen Überfall räuberischer Zentauren,

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welche dann Herkules besiegte und von dannen jagte. EineKleinigkeit, aber für den damaligen Formensinn bezeich-nend, ist folgende: Wenn bei allen Festen lebende Figuren alsStatuen in Nischen, auf und an Pfeilern und Triumphbogenvorkamen und sich dann doch mit Gesang und Deklamationals lebend erwiesen, so waren sie dazu durch natürliche Farbeund Gewandung berechtigt; in den Sälen des Riario aber fandsich unter andern ein lebendes und doch völlig vergoldetesKind, welches aus einem Brunnen Wasser um sich spritzte.31

Andere glänzende Pantomimen dieser Art gab es in Bolo-gna bei der Hochzeit des Annibale Bentivoglio mit Lucreziavon Este;32 statt des Orchesters wurden Chöre gesungen,während die Schönste aus Dianens Nymphenschar zur JunoPronuba hinüberfloh,während Venus mit einem Löwen,d. h.hier nur einem täuschend verkappten Menschen, sich untereinem Ballett wilder Männer bewegte; dabei stellte die De-koration ganz naturwahr einen Hain vor. In Venedig feierteman 1491 die Anwesenheit der Fürstinnen Lianora und Bea-trice von Este durch Einholung mit dem Bucintoro, Wettru-dern und einer prächtigen Pantomime (»Meleager«) im Hofdes Dogenpalastes.33 In Mailand leitete Lionardo da Vinci34

die Feste des Herzogs und auch diejenigen anderer Großen;eine seiner Maschinen, welche wohl mit derjenigen des Bru-nellesco (S. 327) wetteifern mochte, stellte in kolossaler Grö-ße das Himmelssystem in voller Bewegung dar; jedesmal,wenn sich ein Planet der Braut des jüngern Herzogs, Isabella,näherte, trat der betreffende Gott aus der Kugel hervor35 undsang die vom Hofdichter Bellincioni gedichteten Verse36

(1489). Bei einem andern Feste (1493) paradierte unter an-dern schon das Modell zur Reiterstatue des Francesco Sforza,und zwar unter einem Triumphbogen auf dem Kastellplatz.Aus Vasari ist weiter bekannt, mit welch sinnreichen Auto-maten Lionardo in der Folge die französischen Könige alsHerren von Mailand bewillkommnen half.Aber auch in klei-nern Städten strengte man sich bisweilen sehr an. Als HerzogBorso (S. 42ff.) 1453 zur Huldigung nach Reggio kam,37

Weltliche Aufführungen 331

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empfing man ihn am Tor mit einer großen Maschine, aufwelcher S. Prospero, der Stadtpatron, zu schweben schien,überschattet durch einen von Engeln gehaltenen Baldachin,unter ihm eine sich drehende Scheibe mit acht Musikengeln,deren zwei sich hierauf von dem Heiligen die Stadtschlüsselund das Zepter erbaten, um beides dem Herzog zu überrei-chen. Dann folgte ein durch verdeckte Pferde bewegbaresGerüst, welches einen leeren Thron enthielt, hinten eine ste-hende Justitia mit einem Genius als Diener, an den Ecken viergreise Gesetzgeber, umgeben von sechs Engeln mit Fahnen;zu beiden Seiten geharnischte Reiter, ebenfalls mit Fahnen;es versteht sich, daß der Genius und die Göttin den Herzognicht ohne Anrede ziehen ließen. Ein zweiter Wagen, wie esscheint von einem Einhorn gezogen, trug eine Caritas mitbrennender Fackel; dazwischen aber hatte man sich das antikeVergnügen eines von verborgenen Menschen vorwärts ge-triebenen Schiffwagens nicht versagen mögen. Dieser unddie beiden Allegorien zogen nun dem Herzog voran; aberschon vor S. Pietro wurde wieder stille gehalten; ein heil. Pe-trus schwebte mit zwei Engeln in einer runden Glorie vonder Fassade hernieder bis zum Herzog, setzte ihm einen Lor-beerkranz auf und schwebte wieder empor.38 Auch noch füreine andere rein kirchliche Allegorie hatte der Klerus hiergesorgt; auf zwei hohen Säulen standen der »Götzendienst«und die »Fides«; nachdem letztere, ein schönes Mädchen, ih-ren Gruß hergesagt, stürzte die andere Säule samt ihrer Puppezusammen. Weiterhin begegnete man einem »Cäsar« mit sie-ben schönen Weibern, welche er dem Borso als die Tugen-den präsentierte, welche derselbe zu erstreben habe. Endlichgelangte man zum Dom, nach dem Gottesdienst aber nahmBorso wieder draußen auf einem hohen goldenen ThronePlatz, wo ein Teil der schon genannten Masken ihn noch ein-mal bekomplimentierten. Den Schluß machten drei von ei-nem nahen Gebäude niederschwebende Engel, welche ihmunter holdem Gesange Palmzweige als Sinnbilder des Frie-dens überreichten.

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Betrachten wir nun diejenigen Festlichkeiten, wobei der be-wegte Zug selber die Hauptsache ist.

Ohne Zweifel gewährten die kirchlichen Prozessionen seitdem frühen Mittelalter einen Anlaß zur Maskierung, moch-ten nun Engelkinder das Sakrament, die herumgetragenenheiligen Bilder und Reliquien begleiten, oder Personen derPassion im Zuge mitgehen, etwa Christus mit dem Kreuz, dieSchächer und Kriegsknechte, die heiligen Frauen. Allein mitgroßen Kirchenfesten verbindet sich schon frühe die Idee ei-nes städtischen Aufzuges, der nach der naiven Art des Mittel-alters eine Menge profaner Bestandteile verträgt. Merkwür-dig ist besonders der aus dem Heidentum herübergenomme-ne39 Schiffwagen, carrus navalis, der, wie schon an einemBeispiel bemerkt wurde, bei Festen sehr verschiedener Artmitgeführt werden mochte, dessen Name aber vorzugsweiseauf dem »Karneval« haften blieb. Ein solches Schiff konntefreilich als heiter ausgestattetes Prachtstück die Beschauervergnügen, ohne daß man sich irgend noch der frühern Be-deutung bewußt war, und als z. B. Isabella von England mitihrem Bräutigam Kaiser Friedrich II. in Köln zusammenkam,fuhren ihr eine ganze Anzahl von Schiffwagen mit musi-zierenden Geistlichen, von verdeckten Pferden gezogen, ent-gegen.

Aber die kirchliche Prozession konnte nicht nur durch Zu-taten aller Art verherrlicht, sondern auch durch einen Zuggeistlicher Masken geradezu ersetzt werden.Einen Anlaß hie-zu gewährte vielleicht schon der Zug der zu einem Mysteri-um gehenden Schauspieler durch die Hauptstraßen einerStadt, frühe aber möchte sich eine Gattung geistlicher Festzü-ge auch unabhängig hievon gebildet haben. Dante schildert40

den »trionfo« der Beatrice mit den vierundzwanzig Ältestender Offenbarung,den vier mystischen Tieren,den drei christ-lichen und den vier Kardinaltugenden, S. Lukas, S. Paulusund den andern Aposteln in einer solchen Weise, daß manbeinahe genötigt ist, das wirkliche frühe Vorkommen solcherZüge vorauszusetzen. Dies verrät sich hauptsächlich durch

Die Prozession 333

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den Wagen, auf welchem Beatrice fährt, und welcher in demvisionären Wunderwald nicht nötig wäre, ja auffallend heißendarf. Oder hat Dante etwa den Wagen nur als wesentlichesSymbol des Triumphierens betrachtet, und ist vollends erstsein Gedicht die Anregung zu solchen Zügen geworden, de-ren Form von dem Triumph römischer Imperatoren entlehntwar? Wie dem nun auch sei, jedenfalls haben Poesie undTheologie an dem Sinnbilde mit Vorliebe festgehalten. Sa-vonarola in seinem »Triumph des Kreuzes«41 stellt Christusauf einem Triumphwagen vor, über ihm die leuchtende Ku-gel der Dreifaltigkeit, in seiner Linken das Kreuz, in seinerRechten die beiden Testamente; tiefer hinab die JungfrauMaria; vor dem Wagen Patriarchen, Propheten, Apostel undPrediger; zu beiden Seiten die Märtyrer und die Doktorenmit den aufgeschlagenen Büchern; hinter ihm alles Volk derBekehrten; in weiterer Entfernung die unzähligen Haufender Feinde, Kaiser, Mächtige, Philosophen, Ketzer, alle be-siegt, ihre Götzenbilder zerstört, ihre Bücher verbrannt. (Eineals Holzschnitt bekannte große Komposition Tizians kommtdieser Schilderung ziemlich nahe.) Von Sabellicos (S. 53ff.)dreizehn Elegien auf die Mutter Gottes enthalten die neunteund die zehnte einen umständlichen Triumphzug der Ge-nannten, reich mit Allegorien ausgestattet und hauptsächlichinteressant durch denselben antivisionären, räumlich wirkli-chen Charakter, den die realistische Malerei des 15. Jahrhun-derts solchen Szenen mitteilt.

Weit häufiger aber als diese geistlichen Trionfi waren je-denfalls die weltlichen,nach dem unmittelbaren Vorbild einesrömischen Imperatorenzuges, wie man es aus antiken Reliefskannte und aus den Schriftstellern ergänzte. Die Geschichts-anschauung der damaligen Italiener, womit dies zusammen-hing, ist oben (S. 115ff.) geschildert worden.

Zunächst gab es hie und da wirkliche Einzüge siegreicherEroberer, welche man möglichst jenem Vorbilde zu nähernsuchte, auch gegen den Geschmack des Triumphators selbst.Francesco Sforza hatte (1450) die Kraft, bei seinem Einzug in

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Mailand den bereitgehaltenen Triumphwagen auszuschlagen,indem dergleichen ein Aberglaube der Könige sei.42 Alfonsoder Große enthielt sich bei seinem Einzug43 in Neapel (1443)wenigstens des Lorbeerkranzes, welchen bekanntlich Na-poleon bei seiner Krönung in Notre Dame nicht verschmäh-te. Im übrigen war Alfonsos Zug (durch eine Mauerbrescheund dann durch die Stadt bis zum Dom) ein wundersamesGemisch von antiken, allegorischen und rein possierlichenBestandteilen.Der von vier weißen Pferden gezogene Wagen,auf welchem er thronend saß, war gewaltig hoch und ganzvergoldet; zwanzig Patrizier trugen die Stangen des Balda-chins von Goldstoff, in dessen Schatten er einherfuhr. DerTeil des Zuges, den die anwesenden Florentiner übernom-men hatten, bestand zunächst aus eleganten jungen Reitern,welche kunstreich ihre Speere schwangen, aus einem Wagenmit der Fortuna und aus sieben Tugenden zu Pferde. DieGlücksgöttin44 war nach derselben unerbittlichen Allegorik,welcher sich damals auch die Künstler bisweilen fügten, nuram Vorderhaupt behaart, hinten kahl, und der auf einem un-tern Absatz des Wagens befindliche Genius, welcher dasleichte Zerrinnen des Glücks vorstellte, mußte deshalb dieFüße in einem Wasserbecken stehen (?) haben. Dann folgte,von derselben Nation ausgestattet, eine Schar von Reitern inden Trachten verschiedener Völker, auch als fremde Fürstenund Große kostümiert, und nun auf hohem Wagen, über ei-ner drehenden Weltkugel ein lorbeergekrönter Julius Cäsar,45

welcher dem König in italienischen Versen alle bisherigen Al-legorien erklärte und sich dann dem Zuge einordnete. Sech-zig Florentiner, alle in Purpur und Scharlach, machten denBeschluß dieser prächtigen Exhibition der festkundigen Hei-mat. Dann aber kam eine Schar von Katalanen zu Fuß, mitvorn und hinten angebundenen Scheinpferdchen, und führ-ten gegen eine Türkenschar ein Scheingefecht auf, ganz alssollte das florentinische Pathos verspottet werden.Darauf fuhrein gewaltiger Turm einher, dessen Tür von einem Engel miteinem Schwert bewacht wurde; oben standen wiederum vier

Der weltliche Trionfo 335

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Tugenden, welche den König, jede besonders, ansangen. Derübrige Pomp des Zuges war nicht besonders charakteristisch.

Beim Einzug46 Ludwigs XII. in Mailand 1507 gab es außerdem üblichen Wagen mit Tugenden auch ein lebendiges Bild:Jupiter, Mars, die von einem großen Netz umgebene Italia,ein Bild für das ganz dem Willen des Königs sich ergebendeLand; hernach kam ein mit Trophäen beladener Wagen usw.

Wo aber in Wirklichkeit keine Siegeszüge zu feiern waren,da hielt die Poesie sich und die Fürsten schadlos. Petrarca undBoccaccio hatten (S. 326) die Repräsentanten jeder Art vonRuhm als Begleiter und Umgebung einer allegorischen Ge-stalt aufgezählt; jetzt werden die Zelebritäten der ganzen Vor-zeit zum Gefolge des Fürsten. Die Dichterin Cleofe Gabriellivon Gubbio besang47 in diesem Sinne den Borso von Ferrara.Sie gab ihm zum Geleit sieben Königinnen (die freien Künstenämlich), mit welchen er einen Wagen besteigt, ferner ganzeScharen von Helden, welche zu leichterer Unterscheidungihre Namen an der Stirn geschrieben tragen; hernach folgenalle berühmten Dichter; die Götter aber kommen auf Wagenmitgefahren. Um diese Zeit ist überhaupt des mythologi-schen und allegorischen Herumkutschierens kein Ende, undauch das wichtigste erhaltene Kunstwerk aus Borsos Zeiten,der Freskenzyklus im Palast Schifanoja, weist einen ganzenFries dieses Inhalts auf. [Auch Tafelbilder ähnlichen Inhaltskommen nicht selten vor, gewiß oft als Erinnerung an wirk-liche Maskeraden. Die Großen gewöhnen sich bald bei jederFeierlichkeit ans Fahren. Annibale Bentivoglio, der ältesteSohn des Stadtherrn von Bologna, fährt als Kampfrichter voneinem ordinären Waffenspiel nach dem Palast cum triumphomore romano.48] Raffael, als er die Camera della Segnaturaauszumalen hatte, bekam überhaupt diesen ganzen Gedan-kenkreis schon in recht ausgelebter, entweihter Gestalt in sei-ne Hände. Wie er ihm eine neue und letzte Weihe gab, wirddenn auch ein Gegenstand ewiger Bewunderung bleiben.

Die eigentlichen triumphalen Einzüge von Eroberern wa-ren nur Ausnahmen. Jeder festliche Zug aber, mochte er ir-

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gendein Ereignis verherrlichen oder nur um seiner selber wil-len vorhanden sein, nahm mehr oder weniger den Charakterund oft den Namen eines Trionfo an. Es ist ein Wunder, daßman nicht auch die Leichenbegängnisse in diesen Kreis hin-einzog.49

Fürs erste führte man am Karneval und bei andern AnlässenTriumphe bestimmter altrömischer Feldherren auf.So in Flo-renz den des Paulus Aemilius (unter Lorenzo Magnifico), dendes Camillus (beim Besuche Leos X.), beide unter der Lei-tung des Malers Francesco Granacci.50 In Rom war das erstevollständig ausgestattete Fest dieser Art der Triumph des Au-gustus nach dem Siege über Kleopatra,51 unter Paul II.,wobeiaußer heitern und mythologischen Masken (die ja auch denantiken Triumphen nicht fehlten) auch alle andern Requisi-ten vorkamen: gefesselte Könige, seidene Schrifttafeln mitVolks- und Senatsbeschlüssen, ein antik kostümierter Schein-senat nebst Ädilen, Quästoren, Prätoren usw., vier Wagen vollsingender Masken und ohne Zweifel auch Trophäenwagen.Andere Aufzüge versinnlichten mehr im allgemeinen die alteWeltherrschaft Roms,und gegenüber der wirklich vorhande-nen Türkengefahr prahlte man etwa mit einer Kavalkade ge-fangener Türken auf Kamelen. Später, im Karneval 1500, ließCesare Borgia, mit kecker Beziehung auf seine Person, denTriumph Julius Cäsars, elf prächtige Wagen stark, aufführen,52

gewiß zum Ärgernis der Jubiläumspilger. – Sehr schöne undgeschmackvolle Trionfi von allgemeiner Bedeutung warendie von zwei wetteifernden Gesellschaften in Florenz 1513zur Feier der Wahl Leos X. aufgeführten:53 der eine stellte diedrei Lebensalter der Menschen dar, der andere die Weltaltar,sinnvoll eingekleidet in fünf Bilder aus der Geschichte Romsund in zwei Allegorien, welche das goldene Zeitalter Saturnsund dessen endliche Wiederbringung schilderten. Die phan-tasiereiche Verzierung der Wagen, wenn große florentinischeKünstler sich dazu hergaben, machten einen solchen Ein-druck, daß man eine bleibende, periodische Wiederholungsolcher Schauspiele wünschbar fand.Bisher hatten die Unter-

Trionfi im weiteren Sinn 337

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tanenstädte am alljährlichen Huldigungstag ihre symboli-schen Geschenke (kostbare Stoffe und Wachskerzen) einfachüberreicht; jetzt54 ließ die Kaufmannsgilde einstweilen zehnWagen bauen (wozu in der Folge noch mehrere kommensollten), nicht sowohl, um die Tribute zu tragen, als um sie zusymbolisieren, und Andrea del Sarto, der einige davon aus-schmückte, gab denselben ohne Zweifel die herrlichste Ge-stalt. Solche Tribut- und Trophäenwagen gehörten bereits zujeder festlichen Gelegenheit, auch wenn man nicht viel auf-zuwenden hatte. Die Sienesen proklamierten 1477 das Bünd-nis zwischen Ferrante und Sixtus IV.,wozu auch sie gehörten,durch das Herumführen eines Wagens, in welchem »einer alsFriedensgöttin gekleidet auf einem Harnisch und andernWaffen stand«.55

Bei den venezianischen Festen entwickelte statt der Wagendie Wasserfahrt eine wundersame, phantastische Herrlichkeit.Eine Ausfahrt des Bucintoro zum Empfang der Fürstinnenvon Ferrara 1491 (S. 331) wird uns als ein ganz märchenhaftesSchauspiel geschildert;56 ihm zogen voran zahllose Schiffe mitTeppichen und Girlanden, besetzt mit prächtig kostümierterJugend; auf Schwebemaschinen bewegten sich ringsum Ge-nien mit Attributen der Götter;weiter unten waren andere inGestalt von Tritonen und Nymphen gruppiert; überall Ge-sang, Wohlgerüche und das Flattern goldgestickter Fahnen.Auf den Bucintoro folgte dann ein solcher Schwarm von Bar-ken aller Art, daß man wohl eine Miglie weit das Wasser nichtmehr sah. Von den übrigen Festlichkeiten ist außer der schonoben genannten Pantomime besonders eine Regatta vonfünfzig starken Mädchen erwähnenswert als etwas Neues. Im16. Jahrhundert57 war der Adel in besondere Korporationenzur Abhaltung von Festlichkeiten geteilt, deren Hauptstückirgendeine ungeheure Maschine auf einem Schiff ausmachte.So bewegte sich z. B. 1541 bei einem Fest der Sempiternidurch den großen Kanal ein rundes »Weltall«, in dessen offe-nem Innern ein prächtiger Ball gehalten wurde. Auch derKarneval war hier berühmt durch Bälle,Aufzüge und Auffüh-

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rungen aller Art. Bisweilen fand man selbst den Markusplatzgroß genug, um nicht nur Turniere, sondern auch Trionfinach festländischer Art darauf abzuhalten. Bei einem Frie-densfest58 übernahmen die frommen Brüderschaften (scuole)jede ihr Stück eines solchen Zuges.Da sah man zwischen gol-denen Kandelabern mit roten Wachskerzen, zwischen Scha-ren von Musikern und von Flügelknaben mit goldenen Scha-len und Füllhörnern einen Wagen, auf welchem Noah undDavid beisammen thronten; dann kam Abigail, ein mit Schät-zen beladenes Kamel führend, und ein zweiter Wagen miteiner Gruppe politischen Inhalts: Italia zwischen Venezia undLiguria, und auf einer erhöhten Stufe drei weibliche Genienmit den Wappen der verbündeten Fürsten (des Papstes Alex-ander VI., des Kaisers Maximilian und des Königs von Spa-nien).Es folgte unter andern eine Weltkugel mit Sternbildernringsum, wie es scheint. Auf andern Wagen fuhren jene Für-sten in leibhaftiger Darstellung mit, samt Dienern und Wap-pen, wenn wir die Aussage richtig deuten.

Der eigentliche Karneval, abgesehen von den großen Auf-zügen, hatte vielleicht im 15. Jahrhundert nirgends eine sovielartige Physiognomie als in Rom.59 Hier waren zunächstdie Wettrennen am reichsten abgestuft; es gab solche vonPferden, Büffeln, Eseln, dann von Alten, von Burschen, vonJuden usw. Paul II. speiste auch wohl das Volk in Massen vordem Palazzo di Venezia, wo er wohnte. Sodann hatten dieSpiele auf Piazza Navona, welche vielleicht seit der antikenZeit nie ganz ausgestorben waren, einen kriegerisch prächti-gen Charakter; es war ein Scheingefecht von Reitern undeine Parade der bewaffneten Bürgerschaft. Ferner war dieMaskenfreiheit sehr groß und dehnte sich bisweilen übermehrere Monate aus.60 Sixtus IV. scheute sich nicht, in denvolkreichsten Gegenden der Stadt, auf Campo Fiore und beiden Banchi, durch Schwärme von Masken hindurch zu pas-sieren,nur einem beabsichtigten Besuch von Masken im Vati-kan wich er aus. Unter Innocenz VIII. erreichte eine schonfrüher vorkommende Unsitte der Kardinäle ihre Vollendung;

Festzüge zu Wasser · Politisches Fest 339

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im Karneval 1491 sandten sie einander Wagen voll prächtigkostümierter Masken, Buffonen und Sängern zu, welcheskandalöse Verse hersagten; sie waren freilich von Reitern be-gleitet. – Außer dem Karneval scheinen die Römer zuerstden Wert eines großen Fackelzuges erkannt zu haben. AlsPius II. 1459 vom Kongreß von Mantua zurückkam,61 warte-te ihm das ganze Volk mit einem Fackelritt auf, welcher sichvor dem Palast in einem leuchtenden Kreise herum bewegte.Sixtus IV. fand indes einmal für gut, eine solche nächtlicheAufwartung des Volkes, das mit Fackeln und Ölzweigenkommen wollte, nicht anzunehmen.62

Der florentinische Karneval aber übertraf den römischendurch eine bestimmte Art von Aufzügen, welche auch in derLiteratur ihr Denkmal hinterlassen hat.63 Zwischen einemSchwarme von Masken zu Fuß und zu Roß erscheint ein ge-waltiger Wagen in irgendeiner Phantasieform,und auf diesementweder eine herrschende allegorische Gestalt oder Gruppesamt den ihr zukommenden Gefährten, z. B. die Eifersuchtmit vier bebrillten Gesichtern an einem Kopfe, die vier Tem-peramente (S. 244) mit den ihnen zukommenden Planeten,die drei Parzen, die Klugheit thronend über Hoffnung undFurcht, die gefesselt vor ihr liegen,die vier Elemente, Lebens-alter,Winde, Jahreszeiten usw.; auch der berühmte Wagen desTodes mit den Särgen, die sich dann öffneten. Oder es fuhreinher eine prächtige mythologische Szene,Bacchus und Ari-adne, Paris und Helena usw. Oder endlich ein Chor von Leu-ten, welche zusammen einen Stand, eine Kategorie ausmach-ten, z. B. die Bettler, Jäger mit Nymphen, die armen Seelen,welche im Leben unbarmherzige Weiber gewesen, die Ere-miten, die Landstreicher, die Astrologen, die Teufel, die Ver-käufer bestimmter Waren, ja sogar einmal il popolo, die Leuteals solche, die sich dann in ihrem Gesang als schlechte Sorteüberhaupt anklagen müssen. Die Gesänge nämlich, welchegesammelt und erhalten sind, geben bald in pathetischer, baldin launiger, bald in höchst unzüchtiger Weise die Erklärungdes Zuges. Auch dem Lorenzo Magnifico werden einige der

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schlimmsten zugeschrieben, wahrscheinlich, weil sich derwahre Autor nicht zu nennen wagte; gewiß aber ist von ihmder sehr schöne Gesang zur Szene mit Bacchus und Ariadne,dessen Refrain aus dem 15. Jahrhundert zu uns herübertöntwie eine wehmütige Ahnung der kurzen Herrlichkeit derRenaissance selbst:

Quanto è bella giovinezzaChe si fugge tuttavia!Chi vuol esser lieto, sia:Di doman non c’è certezza.a

Karneval in Florenz 341

a (ital.) Oh wie schön ist die Jugend, / die doch stets entflieht! / Werfröhlich sein will, sei es [jetzt]: / Was der Morgen bringt ist ungewiß.