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Die letzten Tage von Atlantis

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Nr. 70Die letzten Tage von AtlantisArkon-Raumer TOSOMA im Endkampf: Die Besatzung verhaftet ihren Admiral! - Dasvierte Atlan-Abenteuer!von K. H. Scheer

Atlan, der uralte, doch körperlich und geistig jung und unverbraucht gebliebene Arkonide, war dabei.Er war dabei, als das unter Perry Rhodans Kommando stehende Superschlachtschiff DRUSUS nach langer undverzweifelter Suche endlich auf Wanderer landete, dem künstlichen Planeten, der zugleich die »Quelle« derUnsterblichkeit enthält.Wanderer war im Halbraum verschollen; aber auch ohne die Hilfe der mysteriösen Gemeinschaftsintelligenz -ES genannt - gelang es den Terranern, die Halle des Physiotrons zu erreichen. Perry Rhodan hatte den Vortrittbei der lebensverlängernden Prozedur!Ihm folgte Reginald Bull, Rhodans ältester Freund und Gefährte - doch tritt nun ein Effekt auf, der Gucky umBullys Leben zittern läßt und der Atlan zu einer zehntausendjährigen Rückblende auf DIE LETZTEN TAGEVON ATLANTIS förmlich zwingt ...

Die Hautpersonen des Romans:Perry Rhodan - Erster Administrator des Solaren Imperiums.Reginald Bull - Er will sich töten, bevor er das Stadium eines lallenden Babys erreicht.Gucky - Der Mausbiber zittert um das Leben seines Freundes.Homunk - Ein Wunderwerk der Robotik.Atlan - Man verhaftet ihn, um ihn zu retten.Tarts, Inkar, Ursaf und Cunor - Die Männer sind seit Jahrtausenden tot aber das photographische Gedächtnis Atlanserweckt sie zu neuem Leben.

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Es war eine Welt ohne Horizont; ein mitunvorstellbaren Mitteln der Technik erbauterHimmelskörper.

Hochintelligente Lebewesen hatten etwaskonstruiert und montiert, was mir in den erstenAugenblicken meines Hierseins Worte derBewunderung abgenötigt hatte.

Weit über mir, nahe dem kaum erkennbarenSchutzschirm, glitt der strahlende Glutball einerkünstlich erzeugten Atomsonne auf seinervorgezeichneten Bahn entlang. Auf »Wanderer«, wiePerry Rhodan diesen künstlichen Planeten genannthatte, regierte die technisch-wissenschaftlichePerfektion. Ich hatte mich in den Räumen derverschiedenen Schaltzentralen umgesehen. DasWissen und Können meines ehrwürdigen Volkeserschien mir danach minderwertig und längstüberholt.

Ein offenbar uraltes galaktisches Volk hatte indieser Kunstwelt all das verewigt, was wir, dieArkoniden, eines Tages noch zu entdecken hofften.

Bei dem Gedanken an Arkon, meine ferne Heimat,überwältigte mich wieder die Wehmut, jedoch stellteich bei genügender Selbstbeobachtung fest, daßmeine Sehnsucht nach den drei Planeten nicht mehrso brennend war.

Knapp einen Kilometer von meinem Standortentfernt ragte der gigantische Stahlrumpf einesRaumschiffes in den blauen, von einer mächtigenEnergieglocke umschlossenen Himmel dersynthetischen Welt. Es war die DRUSUS, einSuperschlachtschiff, das nach den Plänen meinesVolkes entworfen, jedoch auf der Erde erbaut wordenwar.

Nichts hatte mich von dem Aufstieg der ehemalsso barbarischen Spezies Mensch mehr überzeugenkönnen als dieser letzte und moderne Flottenneubauder Terraner. Fünfzehnhundert Meter durchmaß dieKugelhülle ohne den ausladenden Ringwulst in Höheder Äquatorebene.

Wahrscheinlich waren es dieses Raumschiff undandere Vertreter seiner Art, die mein Verlangen nacheiner endlichen Heimkehr weniger drängend hattenwerden lassen. Mein langes Dasein auf dem Planetender Menschen hatte die Eindrücke verwischt. DieErinnerungen an Arkon waren wenigergegenständlich geworden.

Ich blinzelte zu dem künstlichen Zentralgestirnhinauf und überlegte dabei, mit welchen technischenTricks die Atomsonne auf ihrer Umlaufbahn gehaltenwurde. Natürlich befand sie sich noch innerhalb desglockenförmigen Energiefeldes, das Wanderer gegendie Leere des Raumes abschirmte.

Schaudernd dachte ich an die letzten Tage zurück.Wanderer war von einer Überlappungsfront der

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anderen Zeitebene eingefangen worden. DieBeherrscher des fremden Raumes hatten diekünstliche Welt nicht gutwillig entlassen, und so wares geschehen, daß das eigenartigeKollektivlebewesen all seine technischenMachtmittel eingesetzt hatte, die schließlich eintransitionsähnliches Hinausspringen aus derDruufebene bewirkt hatten.

Perry Rhodan und auch ich hatten anschließendvor dem Problem gestanden, die auf normalerPosition nicht mehr auffindbare Welt dennoch zuentdecken. Dabei hatten wir physikalischePhänomene bewältigt, die folgerichtig zu verarbeitenmein Gehirn sich nunmehr sträubte.

Ich fühlte mich innerlich leer und ausgebrannt. Eswar zuviel gewesen, was wir in dem durch und durchinstabilen Gebilde des Halbraumes zwischen denbegreifbaren Dimensionen erlebt hatten. Nur einZufall, von uns weder rechtzeitig erkannt noch direktherbeigeführt, hatte die Auffüllung jenesEnergiegehaltes bewirkt, der schließlich in schwererfaßbarer Realität zur Stabilisierung des Raumesbeigetragen hatte.

Mir schwindelte, wenn ich an die mathematischenProbleme zurückdachte. Nachdem ich aus meinembleischweren Erschöpfungsschlaf erwacht war, hatteOberstleutnant Sikermann die im Einsteinuniversumwartende DRUSUS bereits gelandet.

Ich spähte nochmals zu dem Gebirge ausArkonstahl und Panzerplastik hinüber. DasSuperschlachtschiff war von meinem Standort ausnicht in voller Größe zu übersehen. Mir war, alsstünde ich am Fuße eines Höhenzuges, dessen Gipfelin unerreichbarer Ferne lag. Dennoch flog diesesMonstrum von Raumschiff mit erstaunlicherSicherheit.

Das leichte Pochen auf meiner Brust erinnertemich an meinen eigroßen Zellaktivator, der denbiologischen Alterungsprozeß meines Körpers überdie Jahrtausende hinweg verhindert hatte.

Seitdem ich wußte, daß auch Perry Rhodan undeinige Männer aus seinem Stab eine biochemischeZellkonservierung erhalten hatten, war in mirbrennende Neugierde erwacht. Ich erinnerte michnoch genau an jenen Tag, der mir das unbegreiflicheGeschenk eines Unbekannten gebracht hatte.

Es lag lange zurück; fast zehntausend Jahreirdischer Zeitrechnung. Während meiner Wanderungdurch die verschiedenen Entwicklungsepochen derErde hatte ich es fast vergessen, über die Herkunftdes Zellaktivators nachzudenken. Als ich jedoch mitPerry Rhodan zusammengetroffen war, hatte michdas Problem erneut beschäftigt.

Seltsame Parallelen im Ablauf der Geschehnissehatten einwandfrei darauf hingewiesen, daß meinkleines Gerät nur von jenem eigenartigen Lebewesen

stammen konnte, das auch Rhodan eine gewisseUnsterblichkeit verliehen hatte.

Wie relativ dieses »ewige Leben« aufgefaßtwerden mußte, hatten wir erfahren, als wir wenigeTage zuvor verzweifelt bemüht waren, denKunstplaneten Wanderer zu finden. Nur dort gab esdas sogenannte Physiotron, in dem ein menschlicherKörper die erforderliche Zellaktivierung erhaltenkonnte.

In Rhodans Fall hielt die Zelldusche, wie derkomplizierte Vorgang einfach genannt wurde, etwazweiundsechzig Jahre lang an. Nach Ablauf dieserZeit waren die derart Behandelten gezwungen, dasPhysiotron erneut aufzusuchen, wenn sie nicht einensofortigen Alterungsprozeß erleben wollten.

Rhodan hatte es im letzten Augenblick geschafft.Er und Reginald Bull hatten die Aufladungskammerbetreten, in deren Entstofflichungsfeld etwasgeschah, was ich mit dem besten Willen nichtdefinieren konnte. Jedenfalls war es keinschöpfungsgebundener Vorgang, sondernausschließlich das Produkt einer als vollendetanzusehenden biochemischen Technik, die demGeheimnis des Lebens bis an die Grenze desMöglichen auf die Spur gekommen war.

Seltsam war dabei nur die unleugbare Tatsache,daß ich niemals gezwungen worden war, inregelmäßigen Intervallen auf dem synthetischenPlaneten zu erscheinen, um eine Zelldusche zuerhalten. Trotzdem war ich nicht gealtert, sondern aufjener Daseinsstufe verblieben, die ich bei derÜbergabe des kleinen Gerätes erreicht hatte.

Naturgemäß suchte ich nach einer Erklärung. Ichwar hierher gekommen, in der Erwartung, von demBeherrscher des Planeten Wanderer nähereAuskünfte zu erhalten. Dabei interessierte mich dasrein technische Problem erst in zweiter Hinsicht.Wichtiger erschien mir das Warum!

Weshalb hatte mir das Geistwesen etwasüberreicht, was mich für immer jung und elastischerhielt? Als ich Es danach fragen wollte, war Es zubeschäftigt gewesen. Es war darum gegangen,Wanderer aus dem Halbraum zu befreien.

Nachdem uns das gelungen war, ließ Es nichtsmehr von sich hören. Das Kollektivwesen schwieg,als wäre es niemals daran interessiert gewesen, mitMenschen und Arkoniden zu spielen.

Das Pochen auf meiner Brust verstärkte sich. EinStrom belebender Impulse schien meinen Körper zudurchrieseln. Es gab nur eine logisch klingendeErklärung:

Der Aktivator mußte eine Abart des großenPhysiotrons sein. Auf meine Individualschwingungenabgestimmt, begann er immer dann zu arbeiten, wennZellkernteilung und Stoffwechsel labil wurden. Daich dabei niemals entmaterialisiert wurde, wie es in

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der großen Dusche geschah, konnte es sich nur umsorgsam gesteuerte Reizimpulse handeln, die meinennatürlichen Lebensablauf lenkten und wunschgemäßkorrigierten. Eine andere Erklärung hatte ich nichtgefunden.

Ich blickte auf die vollautomatische Spezialuhr anmeinem Handgelenk. Made in Terra war auf derAußenseite des wasserdicht schließenden Deckelseingraviert worden.

»Made in Terra« - wie das klang! Alles, was icham Leibe trug, war auf der Erde hergestellt worden;sogar die arkonidischen Admirals-Schulterstücke unddas Symbol meiner ehrwürdigen Familie waren inirdischen Fabriken von menschlichen Händen erzeugtworden.

Mein langer Irrweg durch die Frühgeschichte derMenschheit war damit beendet. Rhodan, den ich zweiJahre zuvor als Feind angesehen hatte, war einFreund geworden. Nun kam es nur noch darauf an,diese Bindung zu festigen und ihm zu beweisen, daßich meine Fluchtpläne aufgegeben hatte. Ich wußtenun, daß unser altes Arkonidenreich von einemRobotgehirn beherrscht wurde. Naturgemäß war sichRhodan darüber klar, daß ich in letzter Konsequenzmehr an mein eigenes Volk dachte als an das seine,was aber in unserem Verhältnis keine Mißstimmunghervorrufen konnte.

Ich hatte etwa zehntausend Jahre lang auf Terragelebt. Jetzt war die Zeit gekommen, den Ort meinerGeburt wieder aufzusuchen. Rhodan würde mir dabeibehilflich sein, das war sicher. Also lag es an mir,dem Administrator des Solaren Imperiums nachbestem Wissen und Können unter die Arme zugreifen, vorausgesetzt, er benötigte meine Hilfeüberhaupt noch! Ich konnte der terranischenWissenschaft nicht mehr viel bieten, obwohl mich diefrühen Vorfahren der heutigen Menschen einmal alsgöttliches Wesen verehrt hatten.

Ich lehnte mich mit dem Rücken gegen diefugenlose Mauer und sah zur fernen DRUSUShinüber.

Sie waren groß und mächtig geworden, die kleinenBarbaren vom dritten Sol-Planeten. Ich hatte ihrErwachen miterlebt, ihre Ängste und Freuden,Verirrungen und ihr stilles Heldentum. Sie waren eswert, von einem klarsichtigen Mann auf den rechtenWeg geführt zu werden.

Ein tiefes Donnern riß mich aus meinenrückschauenden Grübeleien. Irgendwo imriesenhaften Rumpf des Superschlachtschiffes hattesich eine Waffenkuppel geöffnet.

Ich sah den gleißenden Energiestrahl gen Himmelrasen. Weit über mir traf die Glut gegen denüberstarken Energieschirm des Kunstplaneten. Ehedie warme Druckwelle bei mir ankam, lag ich bereitsdeckungsuchend auf dem Boden und tastete nach

meinem Mikro-Bildsprechgerät.Ich drückte den Schalter nach unten und wartete

auf das Grünzeichen. Als es aufleuchtete, erschiengleichzeitig Rhodans Gesicht auf dem nurbriefmarkengroßen Bildschirm, ein Zeichen dafür,daß er vor den Aufnahmen saß.

»He, Barbar, was ist los?« sprach ich in dasMikrophon.

Ich bemerkte, daß er flüchtig die Lippen verzog.Etwas schrill klang seine Antwort aus dem winzigenLautsprecher:

»Überhaupt nichts, Arkonide! Es war die einzigeMöglichkeit, dich darauf aufmerksam zu machen,daß es hier auch noch andere Leute gibt.«

Ich war für einen Augenblick verblüfft! Also hattedieser grauäugige Terraner ganz einfach ein schweresEnergiegeschütz der DRUSUS losdonnern lassen, nurum mich darauf aufmerksam zu machen, daß ichmein MBG-Gerät abgeschaltet hatte.

»Das ist eine grobe Methode, um gute Freunde zurufen«, sagte ich vorwurfsvoll.

Sein Lachen ließ den Mikrolautsprecher vibrieren.»Ansichtssache«, entgegnete er gelassen. »Darf

man fragen, wo du dich momentan aufhältst? Ich rufeseit fünfzehn Minuten.«

»Nahe der DRUSUS, hinter dem Hauptsteuerraumdes Kraftwerkturmes. Ich habe mir dieUmlenkschaltungen angesehen. Jemand ist auf dieIdee gekommen, die Glockenfeldprojektoren mit denAuswertungscomputern der Strukturtaster zukoppeln. Ergebnis: Wenn im Halbmesser von zehnLichtjahren eine Phasenerschütterung stattfindet,schalten die Automaten das Feld hoch aufschätzungsweise zehn Milliarden KW.«

»Wie bitte?«Rhodans Gesicht erschien mir etwas fassungslos.»Zehn Milliarden Kilowatt«, wiederholte ich. »Ein

hübscher Stromverbrauch, was? Nein, nein, ich binnicht verrückt geworden. Dieser Planet, der aussiehtwie ein flacher Kuchenteller mit übergestülpterKäseglocke, ist eine Welt der Superlative. Tut mirleid, wenn dein Urmenschenverstand nicht mehrmitmachen sollte.«

Wir grinsten uns gegenseitig an. Kleine Spitzenzwischen Rhodan und mir waren fast zur liebenGewohnheit geworden. Ich konnte es einfach nichtlassen, ihn gelegentlich darauf hinzuweisen, daßseine Vorfahren während der arkonidischen Blütezeitnoch in Höhlen gehaust hatten.

»Bist du zu Fuß gegangen?« fragte er unvermittelt.Der eigenartige Unterton in seiner Stimme machte

mich stutzig. Ich nickte einfach. Rhodan mußte es aufseinem großen Bildschirm sehen.

»Okay, ich schicke dir einen Gleiter aus derDRUSUS. Wenn du damit augenblicklich zurPhysiotronhalle kommen könntest, wäre ich Eurer

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Erhabenheit sehr verbunden.«»Zur Dusche? Warum?« fragte ich atemlos.»Ich schicke den Gleiter«, lenkte er ab. »Bis

gleich, Ende.«Der Bildschirm meines Armbandgerätes wurde

dunkel. Rhodan war verschwunden.Ich blieb für einige Augenblicke flach auf dem

Boden liegen und starrte blicklos zur DRUSUShinüber. Perry hatte sich sehr eigentümlich verhalten.Es war etwas geschehen, ich ahnte es!

Nervosität begann, mich zu quälen. Ich dachte anden Halbraum mit seinen verblüffenden Effekten undanschließend an Perry Rhodan, der während einerinstabilen Achsenverschiebung in denZellduschkonverter gegangen war. Wir hatten keineZeit mehr gehabt, längeren warten. Fraglos wäreRhodan jetzt schon ein hinfälliger und psychischerschöpfter Greis gewesen, wenn wir dieZellaufladung nicht riskiert hätten.

Gespannt wartete ich auf die Landung desscheibenförmigen Antigravgleiters, dessen Pilot mirsicherlich nähere Auskünfte erteilen konnte. In dermächtigen Stahlhülle des Superschlachtschiffesrührte sich aber nichts. Bei der geringen Distanz hätteich den hellen Lichtfleck nahe der Schleusen sehenmüssen. Ich richtete mich langsam auf und begannautomatisch, den Staub von meiner terranischenUniform zu klopfen. Erst Sekunden später fiel mirein, daß es auf Wanderer keinen Staub gab;wenigstens nicht in den Bezirken der wenigen Städte,die Es nach Lust und Laune erbaut hatte. Es war keintechnisches Problem, Staubpartikel elektrischleitfähig zu machen. Waren sie es erst einmal, konnteman sie leicht mit gesteuerten E-Feldern absaugen.

Ich wartete noch einige Sekunden vollerUngeduld, bis ich plötzlich aus den Augenwinkelneine irrlichternde Leuchterscheinung gewahrte.Knapp zehn Meter von mir entfernt war dicht überdem Boden ein kleiner Körper entstanden.

Dem paraphysikalischen Problem derTeleportation stand ich noch immer etwasfassungslos gegenüber. Die Prinzipien derMassentransportation durch die gesteuerten Kräftedes Geistes waren bereits der altarkonidischenWissenschaft bekannt gewesen, nur war es unsniemals gelungen, ähnliche Dinge durchzuführen.

Bei Rhodans Mutanten schien sich diesekomplizierte, mathematisch überdimensionaleParamechanik zu einem Sport entwickelt zu haben.Ich hatte zwei menschliche und einennichtmenschlichen Teleporter kennengelernt; aberalle schienen sie die Freude am sogenannten»Springen« gemeinsam zu haben. Es war einebequeme Art der Fortbewegung, oder derVersetzung, wenn man es verstand, die natürlichenKräfte des Geistes folgerichtig einzusetzen. Ich

würde dazu niemals fähig sein!Betont gleichmütig schaute ich zu dem kleinen,

nur einen Meter großen Geschöpf hinüber, das gleichmir nicht auf der Erde geboren worden war.

»Gucky« hatte Rhodan die Riesenmaus mit demlöffelartigen Biberschwanz wegen ihrer großen,glänzenden Augen genannt. Das Intelligenzwesenstand auf zwei kurzen Beinchen, die in zierlichenSpezialstiefeln steckten.

Überdies trug Gucky wieder die zartgrüneRaumkombination des Solaren Imperiums. Auf derlinken Schulter glänzten die Rangabzeichen einesLeutnants des Geheimen Mutantenkorps.

Der possierliche Bursche hatte es faustdick hinterden abstehenden Ohren. Seitdem ich ihn währendmeiner Flucht auf Venus kennengelernt hatte,verband uns eine etwas eigentümliche Freundschaft,die zumeist in hintergründigen Streitgesprächen ihrenAusdruck fand.

»Hallo, Angeber!« begrüßte ich den Kleinen. »Bistdu etwa der von Perry versprochene Gleiter?«

Die lange Mauseschnauze öffnete sich. Ich blicktefasziniert auf Guckys einzigen, dafür aber um sogrößeren Nagezahn, den er bei jeder Gelegenheit zuzeigen pflegte.

Das schrille Gelächter des Nichtirdischen peinigtemein Gehör. Als es plötzlich verstummte, wurde ichaufmerksam. Seitdem ich Gucky auf der Venus einStück faulendes Holz an den Kopf geworfen hatte,wußte ich, daß er normalerweise länger undausgiebiger zu lachen pflegte. Die Wesen seiner Artbesaßen einen nahezu unersättlichen Hang zum Spiel.Das Lachen und Herumalbern gehörten dazu.

»Ich bin der Gleiter!« behauptete der Mausbibermit großartig wirkender Handbewegung. »Gib mirdeine Hand, Spion!«

Ich runzelte die Brauen und blickte auf denbehäbig näherwatschelnden Kleinen hinunter. Für ihnwar ich immer noch ein Arkonidenspion.

Als er dicht unter mir stand, bückte ich mich undnahm ihn wortlos auf den Arm. Er war leicht, fast zuleicht für seine Größe. Wahrscheinlich besaßen dieIntelligenzen des Planeten Tramp einen sehr feinenKnochenbau. Um so kräftiger war ihr Gehirnentwickelt.

Guckys große Augen hefteten sich auf meinGesicht. Der Nagezahn war irgendwo im spitzenMund verschwunden. Wir musterten uns einigeSekunden lang. Dabei fühlte ich, daß der Kleine vorinnerer Unruhe bebte. Er versuchte nicht erst, mittelsseiner telepathischen Gaben in meinenBewußtseinsinhalt vorzudringen. Ich war seit vielenJahren daran gewohnt, die Impulse meines Hirnsdurch einen Monoschirm unter Kontrolle zu halten.

»Was ist los?« fragte ich. »Du erscheinst mir etwaseigenartig. Seit wann begnügst du dich damit, mich

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lediglich Spion zu nennen? Meistens kommen dochnoch einige bösartige Kommentare hinzu. Also ...?«

Ich sah, daß sich seine zierlichen Händeverkrampften. Plötzlich umfaßten sie meinen Arm.

»Weißt du, wie die Zelldusche funktioniert? Ichmeine - kannst du die Effekte berechnen oder dieMaschine umbauen?«

Guckys Stimme klang schriller als sonst. Er hattesehr hastig und überraschend ernsthaft gesprochen.Der Druck der kleinen Hände steigerte sich. DerMausbiber war zutiefst erregt.

»Die technische Konzeption ist einigermaßenklar«, entgegnete ich vorsichtig. »Das Wissen überdie Funktion eines Auflösungsfeldes bedeutet abernoch lange nicht, daß man auch die nachfolgendenbiochemischen Prozesse begreift. Ich ...«

»Halte mich fest, wir springen zusammen«,unterbrach er mich. »Du mußt zur Duschhalle. Oh,ich kann mich kaum konzentrieren.«

Ich bemerkte, daß er sich außerordentlich bemühenmußte. Ich fragte nochmals nach dem Grund seinerUnruhe.

»Bully, es ist Bully«, sagte der Kleine bebend. »Erwar in der Zelldusche, als die Phasenverschiebungbegann. Er hat etwas mitbekommen. Mit ihm gehtetwas vor. Nein, nicht so intensiv denken. Du strahlstStörimpulse aus. Es ist für einen Teleporter sehrschwierig, dich zu versetzen. Denke an nichts,verstärke deinen Abwehrschirm.« Mir war, als brächeplötzlich das Ende dieser verrückten Welt an. Rhodanließ ein schweres Schiffsgeschütz ins Blaue feuern,und der fraglos fähigste »Mann« des Mutantenkorpszitterte vor Furcht um Reginald Bull.

Ich bezwang meine Nervosität und bemühte mich,meine Hirnstrahlungen abzuschirmen. Augenblickespäter fühlte ich ein kurzes, schmerzhaftes Ziehen.Gucky war mit mir »gesprungen«, wie er denkomplizierten Vorgang über den Aufbau einesindividuellen Manipulationsfeldes auffünfdimensionaler Ebene nannte.

Als ich wieder stofflich wurde, erkannte ich dieUmrisse des säulenförmigen Physiotrons.

Ein hochgewachsener, hagerer Mann kam langsamauf mich zu. Rhodans Augen strahlten eineerschreckende Kühle aus. So hatte ich ihn gesehen,als wir auf einer Wüstenwelt um unser Lebenkämpften.

Er blieb dicht vor mir stehen. Dann trafen sichunsere Blicke.

»Wie gut kannst du rechnen, Admiral?« fragte er.»Meine Kunst ist am Ende.«

Er trat einen Schritt zur Seite und gab mir damitden Blick auf den Zellaktivierungskonverter frei.

Dicht vor dem farbig markierten Ring derSicherheitszone stand ein junger Offizier mitrostroten Borstenhaaren und weichen, faltenlosen

Wangen. Ich mußte genauer hinsehen, bis ich davonüberzeugt war, Reginald Bull vor mir zu haben.

Es würgte in meiner Kehle. Schwankend schritt ichauf die Gefahrenzone zu. Der Mann mit denwasserblauen Augen rührte sich nicht.

Ich suchte nach den scharfen Falten, die sichwährend der letzten Jahre auf Bulls Stirn eingegrabenhatten. Die ersten waren nach der Mondlandungentstanden, die er im Jahr 1971 zusammen mit demExpeditionschef Perry Rhodan ausgeführt hatte. Bullwürde am 14. Mai 2042 sein hundertviertesLebensjahr vollenden. Zur Zeit schrieben wir den 5.Mai des gleichen Jahres. Es fehlten also nur nochwenige Tage bis zu seinem Geburtstag.

Im Jahr 1976 hatte er gleichzeitig mit Rhodan dieerste Dusche auf Wanderer erhalten. Vor fünf Tagenwar er zum zweiten Male in das Physiotrongestiegen, um die unerläßliche Zellaktivierung übersich ergehen zu lassen.

Ich riskierte noch einen Schritt, ehe ichstehenblieb. Dieser junge Mann mit den faltenlosen,nur wenig ausgeprägten Zügen - war das ReginaldBull, Rhodans Stellvertreter?

»Reginald, sind Sie es wirklich?« fragte ichstockend.

Er bewegte kaum die vollen, weichen Lippen. Seinuntersetzter, breitschultriger Körper zeigte nahe denHüften weniger Speck, als ich es gewohnt war.

»So habe ich ungefähr ausgesehen, als ich Mitteder sechziger Jahre von einem gewissen GeneralPounder auf die neue Raumakademie geschicktwurde«, entgegnete er tonlos. »Damals war ichsiebenundzwanzig Jahre alt!«

Ich fühlte Entsetzen in mir aufsteigen. Gleichzeitigmeldete sich mein vor vielen tausend Jahren aufArkon aktiviertes Extragehirn. Der Logiksendermachte es kurz:

»Vorsicht, Panne bei der zweiten Dusche.Regenerierung, Rückwärtsentwicklung. Er wirdjünger!«

Die Erkenntnis war wie ein Schlag ins Gesicht. Ichrang um meine Selbstbeherrschung. Mein Lächelnmußte etwas kläglich wirken. Bully, wie wir ihnallgemein nannten, reagierte nicht darauf. Ich ahnte,daß dieser tatkräftige Mann innerlich mit dem Lebenabgeschlossen hatte.

Ich sah mich aufmerksam um. Außer Rhodanwaren nur die leitenden Wissenschaftler undOffiziere der DRUSUS erschienen. Dr. ArnulfSköldson, Chefmediziner des Schiffes, stand dichtneben Dr. Ali el Jagat, dem Leiter dermathematischen Abteilung.

Jagats schmales Gesicht blieb unbewegt, als er mireinen Diagrammstreifen aus Kunststoff üb erreichte.

Er begann übergangslos mit seiner Erklärung. Ichahnte, daß wir keine Zeit zu verlieren hatten. Es wäre

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sinnlos gewesen, des langen und breiten über BullsSchicksal diskutieren zu wollen. Es entsprach auchJagats Art, die Tatsachen beim Namen zu nennen.

»Die erste Auswertung, Admiral. Bully befindetsich zur Zeit in einem Stadium, das dem seineszweiunddreißigsten Lebensjahres entspricht. DieSpitzzacken zeigen den Beginn des rückläufigenProzesses an. Die Flachkurven beinhalten dieabgelaufene Standardzeit nach der zweitenAktivierung. Das Diagramm sagt aus, daß derVorgang bei kontinuierlicher Weiterentwicklungnach dreimal vierundzwanzig Stunden ein akutesStadium erreicht. Bieten wir der Sache keinenEinhalt, wird er in etwa drei Wochen ein plärrendesBaby sein.«

Die Vorstellung, Bull als strampelndes Kleinkindzu erleben, wäre andernorts und bei wenigertragischer Situation äußerst spaßig gewesen. Hierjedoch gab es niemand, der auch nur eine Mieneverzogen hätte.

Das Diagramm war das Ergebnis eines kleinenRechenexempels. Man benötigte keine höhereMathematik, um ungefähr zu ermitteln, wann dieSache kritisch wurde.

Ich blickte den Mediziner forschend an. Sköldsonbewegte nur hilflos die Hände. Sein strohblondesHaar hing unordentlich in die gerunzelte Stirn hinab.»Sie haben keine Lösung, Doktor?« fragte ich.

»Keine! Was in diesem Gerät geschehen istentzieht sich meinem Begriffsvermögen. Die reinphysikalischen Vorgänge verstehe ich ohnehin nicht.Was die biochemischen Veränderungen betrifft,sehen Sie mich ebenfalls ratlos. Für mich ist esunvorstellbar, einen ausgewachsenen Menschenjünger werden zu sehen. Das geht gegen alleNaturgesetze.«

»Wie alles auf diesem künstlichen Planeten«, warfBull tonlos ein. »Okay, reden wir nicht mehr lange.Ehe ich zum Säugling werde, sterbe ich lieber.«

Sein pausbäckiges Gesicht war verkniffen. Ohnejede Hoffnung sah er uns der Reihe nach an.Schließlich richtete sich seine Aufmerksamkeit aufeine hochgewachsene, schlanke Gestalt ganz imHintergrund der Eingangshalle. Ich spähte hinüber.

Wir hatten den biopositronischen Roboter»Homunk« genannt. Er war das Erzeugnis einer alsabgeschlossen anzusehenden Wissenschaft.Vollendeter konnte nicht mehr gebaut werden, ohneden Versuch zu machen, dem Weltenschöpfer selbstins Handwerk zu pfuschen.

Homunks biosynthetische Gesichtsfolie zeigte einverbindliches Lächeln. Unter dem wirklich lebendenKunstgewebe seiner äußeren Körperverkleidungbewegte sich ein Mechanismus, der nichtsseinesgleichen in der bekannten Galaxis hatte.

Das vollpositronische Mikrogehirn war derart

leistungsfähig, wie ich es bei unseren bestenMaschinen noch nicht erlebt hatte. In diesemkomplizierten Rechengerät waren solcheSchaltelemente in einem Raum von knapp einemKubikzentimeter montiert, zu derenfunktionstüchtiger Unterbringung wir wenigstenseinen Kubikmeter benötigt hätten. Das mechanischeGehirn arbeitete mit einer Impulsgebung von etwaachtzig Millionen Reflexsteuerungen pro Sekunde.Wie groß die Speicherkapazität war, wußten wirnicht. Auf alle Fälle war Homunk das, was man alsperfekt bezeichnen konnte.

Er war von seinem Erbauer äußerlich einemMenschen oder Arkoniden nachgebildet worden. SeinSprechmechanismus war eine biologischeSchablonenarbeit mit einem positronischenVibrationsgeber, der die elektromagnetischenLenkimpulse mit Hilfe der halborganischenStimmbänder in verständliche und einwandfreimodulierte Worte umwandelte. Homunk war einWunderwerk; aber nun schien es kläglich zuversagen, Rhodan winkte den Robot herbei. Ernäherte sich mit ausholenden, elastischen Schritten.Sein stereotypes Lächeln reizte mich zu einerunfreundlichen Bemerkung.

»Mir scheint, dein großer Meister ist ebenfalls amEnde seiner Kunst angelangt. Wo ist jenes Geschöpf,dessen brüllendes Gelächter sonst alle Augenblickezu hören war?«

Homunk blieb stehen. Seine nachgebildeten Augenrichteten sich auf mich. Er nannte mich »Sir«, so wieer jedermann Sir nannte.

»Es hat seit der Flucht aus dem Zwischenraumnichts mehr von sich hören lassen, Sir. Ich binbeunruhigt.«

Ein kosmonautischer Offizier der DRUSUS lachtehumorlos auf. Dann wurde es wieder still in dergroßen Halle.

Ich dagegen wußte in diesem Augenblick, daß diezweite Katastrophe ebenfalls eingetreten war. Es warverschwunden! Das Lebewesen, in dem sich derGeist von Millionen entstofflichter Intelligenzenvereinigt hatte, um eine ungeheure, konzentriertepsychische Kraft zu bilden, schien das Chaos derRückkehr aus dem Halbraum nicht gut überstandenzu haben. Praktisch waren wir augenblicklich dieBeherrscher des Kunstplaneten Wanderer.

Perry Rhodan sah mich nur an. Er schien seineentscheidenden Fragen bereits vor meiner Ankunftgestellt zu haben. Jetzt überließ er mir die Initiative.

Ich begann innerlich zu verzweifeln. Wesenmeines Volkes transpirieren nicht. Dafür fühlte ichmeine Augen feucht werden. Mein Logiksektorschwieg beharrlich. Anscheinend sah auch dasExtrahirn keinen gangbaren Weg.

Als ich beharrlich schwieg, warf Rhodan endlich

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ein:»Homunks Vorschlag geht dahin, das gesamte

Experiment zu wiederholen. Wanderer geriet vorWochen in eine Überlappungszone der Druuf-Ebene.Beim gewaltsamen Ausbruch landete der Planet ineiner instabilen Zwischendimension. Wenn wir nunbewußt in die Zeitmauer eindringen und die Fluchtnoch einmal unter genau gleichartigen Umständenriskieren, müßten wir eigentlich im Zwischenraumlanden. Dort könnte Bully unter Umständennochmals in die Zelldusche steigen.«

Rhodans eigenartiges Lächeln bewies mir, daß erden Plan für nicht erfolgversprechend hielt.

»Unmöglich«, wehrte ich schroff ab. »Wie willstdu die riesige Masse des Himmelskörpers durch dasSpiegelfeld bringen?«

»Wir könnten mit den mächtigen Maschinen dieserWelt eine entsprechend große Linsenöffnungerzeugen.«

Ich winkte ab. Es war sinnlos, darüber zudiskutieren.

»Bis ihr das geschafft hättet, wäre ich erledigt«,warf Bully gefaßt ein. »Atlan, haben Sie eine bessereIdee? Ich erinnere mich gut an Ihre Arbeit währendund vor dem Ausbruch.«

»Noch einmal in den Konverter steigen und aufBiegen oder Brechen versuchen den Prozeßaufzuhalten«, meinte Oberstleutnant Sikermann.

Ich schüttelte den Kopf. Nein, das war auch keinWeg. Das Problem lag in unserer Unkenntnis überdie Funktionsart des Physiotrons. Bull war währendseiner Aufladung für nur kurze Zeit von denVerzerrungskräften einer Phasenverschiebung erfaßtworden. Wir wußten nun, daß die instabile Existenzdes Planeten im Halbraum eine Frage desEnergiegehaltes war. Fraglos war die Zwischenebenemit der Druufzone wesentlich näher verwandt als mitunserem vierdimensionalen Einsteinuniversum.

Ich erfuhr erst später, daß ich länger als eineStunde wie erstarrt vor dem perfekten Robotergestanden hatte. Die Männer der DRUSUSschwiegen auch noch, als ich infolge einerschmerzhaft harten Impulsgebung meinesLogiksektors aus den Grübeleien erwachte. Ich hatteeine vorläufige Lösung gefunden; aber ob sie auch inder Praxis bestand, war eine andere Frage.

»Du hast ein Ergebnis«, stellte Rhodan fest. »Waskönnen wir tun?«

Ich fühlte mich erschöpft. Die mathematischenProbleme wurden auch für ein Arkonidengehirn zugroß. Ich konnte vorerst nur allgemeine Auskünftegeben.

Als ich mich aufmerksam umblickte, bemerkte ich,daß meine Augen mir den Dienst versagten. Rhodantrat naher. Besorgnis zeichnete seine Züge.

»Du bist noch erschöpft von den letzten

Anstrengungen«, sagte er leise. »Kannst du dich nocheinmal konzentrieren? Ich habe von der Sache einegewisse Vorstellung. Warten wir ab, was duausgeknobelt hast. Vielleicht stimmen unsereMeinungen überein.«

Ich lächelte ihn an. Dabei fragte ich mich, warumich diesen Mann einmal für meinen Feind gehaltenhatte. Auf Hellgate hätte ich ihn beinahe getötet. DieMenschen in Rhodans Umgebung erinnerten michmehr und mehr an die alten Arkoniden, die vor vielentausend Jahren unter meinem Kommando imirdischen Sonnensystem gekämpft und gelittenhatten.

Es waren wunderbare Freunde und harte Soldatengewesen; ebenso liebenswert, wie es die Terranerallmählich für mich wurden. Reginald Bull zumBeispiel war die Beherrschung in Person. Vorwenigen Minuten hatte er damit begonnen, demSchicksal zu trotzen. Ich las seinen Augen ab, daß erfest entschlossen war, keine Schwäche zu zeigen.Natürlich wußte er ganz genau, daß er bei einemfortlaufenden Rückentwicklungsprozeß auch seinehohen Geistesgaben verlieren würde. Um eineeinfache Konzentration oder Zusammenballungseiner Zellen und Molekülverbindungen konnte essich nicht handeln. Wäre es so gewesen, hätten wirwahrscheinlich seinen Körper schrumpfen sehen.

So aber wurde er jünger! Es war etwas, was ichweder verstehen noch in mathematische Symbolekleiden konnte. Vom größten Geheimnis desUniversums, dem des Lebens an sich, wußte ich sogut wie nichts. Ich war Hochenergieingenieur undSpezialist für kosmische Kolonisation, die dasWissensgebiet der Kosmos-Psychologie in sicheinschloß. Ich konnte nicht ahnen, was mit BullysZellen geschah. Dennoch hoffte ich auf ein Wunder,das auf Grund einer flüchtigenWahrscheinlichkeitsberechnung herbeiführbarerschien.

Ich betrachtete das relativ kleine Physiotron. Eswar ein säulenförmiges Gerät mit einer dicken,kreisrunden Plattform. Weiter hinten erkannte icheinige Hochleistungsreaktoren, wie sie auf Wandererüberall zu finden waren. Die Energieversorgung derZelldusche geschah drahtlos.

»Bist du in der Lage, das Physiotron folgerichtigzu bedienen?« erkundigte ich mich bei Homunk. Erbestätigte.

»Welche Kraftstationen sind zum einwandfreienBetrieb erforderlich? Welche Spezialschaltungenmüssen mitgenommen werden?«

»Mitgenommen?« wiederholte Rhodan gedehnt.»Arkonide, ich glaube, du bist auf den gleichenGedanken gekommen wie ich. Mache nur so weiter,ich höre!«

Homunk erklärte die technische Funktion. Sie war

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relativ einfach zu verstehen, bis er zu denImpulsumformern kam, die im Sockel des Geräteseingebaut waren. Von da an begann meinBegriffsvermögen zu streiken. So konnte ich mirbeispielsweise nicht exakt vorstellen, wie der vondem Robot erwähnte Stabilisierungseffekt entstand.

Auch ein lebender Organismus besteht ausAtomen, aus denen sich Moleküle zusammensetzen.Das Prinzip des Physiotrons beruhte auf einemkatalysatorischen Kreislauf, durch den dieAtomballungen für etwa zweiundsechzig Jahreunverändert stabil gehalten wurden.

Also war es prinzipiell klar, was mit der Maschineerreicht wurde. Man hatte den Prozeß derZellalterung nicht am Zellkern angegriffen, sondernam Ursprünglichsten überhaupt: dem Atom!

Nachdem Homunk meine zahlreichen Fragenbeantwortet hatte, sah ich etwas klarer. Ich blickteauf die Uhr. Anschließend trat ich näher zu ReginaldBull.

»Bully, bisher habe ich eine nur vage Idee. Wirwerden die Zelldusche mitsamt der Kraftstationmittels Antigravstrahlen aus dem Fundament reißen.Dabei ist es wichtig, die mechanischen Einrichtungennicht zu beschädigen. Das funktionsfähigeGesamtaggregat wird auf einer großenLastenplattform montiert, die wir mit einemverstärkten Vibrationstriebwerk ausrüsten. DieDRUSUS baut ein fünfhundert Meterdurchmessendes Linsenfeld auf, durch das wir denNormalraum verlassen. Wir dringen in dieDruufebene ein, wo wir versuchen werden, deninstabilen Halbraumzustand durch eine energetischeBallung innerhalb eines zu errichtendenSchutzschirmes nachzuahmen. Wir wissen, daß derHalbraum eine instabile Zustandsform der fünftenDimension ist, etwa vergleichbar mit demradioaktiven Isotop eines Elementes. EineAnnäherung dürfte möglich sein, jedoch benötige ichzur Berechnung dieser Effekte sämtlicheComputerkapazität der DRUSUS. Sind Sie damiteinverstanden?«

Bully rührte sich nicht, als er fragte: »Die Sachedauert schätzungsweise vier bis fünf Tage. Wohernehmen Sie im Druufraum die Energie für dieKontinuumsauffüllung ?«

Er hatte vollkommen begriffen, worauf es ankam.Rhodan hatte auch schon eine Lösung gefunden.

»Mit einer zweiten Antigravplattform werden wireinen Großreaktor des Planeten mitnehmen.Homunk, kannst du das besorgen?« fragte er.

Der Roboter rechnete schnell. Nach einer halbenSekunde kam die Antwort:

»In zwölf Stunden und vierzehn Minuten steht einKompritormlader transportfertig bereit!«

»Himmel, was ist ein Kompritormlader?« fragte

Sikermann ärgerlich. Der Robot lächelte nur. Zueiner anderen Mimik schien er nicht fähig zu sein.

»Ein Spezialkonverter zur Überdosierung eines insich gekrümmten und geschlossenenAußenringfeldes, von dem vierdimensionaleEinflüsse reflektiert werden.«

Damit wußten wir es sehr genau! Ich sahallmählich ein, daß die Technik des Kollektivwesensunvergleichlich höher entwickelt war als die unsere.

»Wir können es in fünf Tagen schaffen«, sagteRhodan nach einer kurzen Kopfrechnung. »MajorFörster, Sie kümmern sich um dieTriebwerksverstärkung der Antigravplattform.Sikermann und Sie, Aurin, berechnen dieZugstrahlstärke für die Saugprojektoren. Homunkwird Ihnen sagen, wie die Geräte am besten aus denFundamenten zu lösen sind. Atlan, wir sehen zu, daßwir einwandfreie Schaltungswerte erhalten. Fangenwir an.«

Der schlanke Mann drehte sich einfach um. FürPerry war die Sache einstweilen erledigt.

»Und ich?« rief Bull ihm nach. Der Chef desSolaren Imperiums blieb stehen. Dabei wendete eruns den Rücken zu.

»Ich habe bereits mit Dr. Sköldson gesprochen. Dubleibst bis zur Fertigstellung der Ausrüstung in dermedizinischen Abteilung. Ein biochemischerTiefschlaf setzt die normalen Körperfunktionen umfast achtzig Prozent herab. Es mag sein, daß derVerjüngungsprozeß darauf reagiert. Sköldson wirddas machen. Nun, worauf warten wir noch?«

Ja, worauf warteten wir eigentlich noch! Es gabnicht mehr viel zu bereden. Gucky, das seltsameLebewesen vom Planeten Tramp, heftete sich anmeine Fersen.

»Soll ich dich zur DRUSUS bringen?« fragte derKleine kläglich. Seine großen Augen schienen ineinem Meer von Tränen zu schwimmen. Fast warmir, als kämpfte er mit aufsteigender Übelkeit.

Ich bückte mich und nahm ihn auf die Arme. Soschritten wir ohne zu sprechen auf die großen,gewölbten Tore der Physiotronhalle zu.

Hinter uns entwickelte sich ein hektisches Treiben.Sikermanns laute Stimme war unüberhörbar.Homunk, der perfekte Roboter, stand reglos undaufreizend liebenswürdig lächelnd zwischen denhastenden Besatzungsmitgliedern des irdischenSuperschlachtschiffes.

Als ich den freien Platz vor dem Bauwerkerreichte, öffnete Rhodan soeben die Tür eineskleinen Impulsgleiters. Stumm deutete er auf denRücksitz.

Ich blieb dicht vor ihm stehen und musterte ihneingehend. Nein, bei ihm schien sich nichts geändertzu haben. Er wirkte so jung, kräftig und elastisch wieimmer.

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Sein Lächeln verriet mir, daß er meine Gedankenahnte.

»Glück gehabt«, sagte er abwesend. »MeineZellaktivierung war am 1. Mai, 17:24 Uhr beendet.Ich bin von der Phasenverschiebung nicht betroffenworden. Bully kam erst um 19:30 Uhr aus derMaschine. Die Verformungskräfte müssen ihn nochwährend der totalen Entmaterialisierung angegriffenhaben.«

»Die Tatsachen sind bekannt«, antwortete ichnachdenklich. »Ebenso wichtig erscheint mir aber dieFrage, was mit Ihm geschehen ist! Wo ist dasKollektivwesen geblieben?«

Rhodans Auflachen klang unecht. Guckyschmiegte sich leise wimmernd an meine Schulter.

»Das dürfte unser zweites Problem sein, Atlan. Dumöchtest von ihm einige Auskünfte, wie?«

Ich nickte bedächtig. Natürlich hätte ich gerneerfahren, weshalb man mir vor etwa zehntausendJahren Terrazeit ein seltsames Gerät überreicht hatte.Ich tastete unwillkürlich das Bruststück meinerUniformkombination ab. Der Aktivator hing fest anseiner unzerreißbaren Gliederkette.

»Gehen wir«, meinte Rhodan mit einem Untertonder Hoffnungslosigkeit in der Stimme. »Ich möchtenicht gerne einen Freund verlieren. Dabei wäre eshochinteressant, zu sehen, wie der Prozeß derRückentwicklung abläuft. Wo, oder wie müßte dasenden? In der Keimzelle?«

Mir schwindelte, wenn ich nur andeutungsweise ansolche Möglichkeiten dachte. Eins war sicher: DieNatur hatte der hochentwickelten Biophysik einesüberintelligenten Lebewesens einen Streich gespielt.

2.

Die physikalischen Gesetzmäßigkeiten desDruuf-Universums waren uns jetzt besser bekannt alsMonate zuvor.

Damals hatte Rhodan fassungslos auf äußerlichunversehrten Fremdplaneten gestanden, auf derenOberfläche noch alles vorhanden war bis auf dasorganische Leben. Es hatte lange gedauert, bis mandie Existenz einer zweiten Zeitebene rechnerischerfaßt hatte.

Nunmehr wußten wir, daß das Eindringen in denübergeordneten Raum nur eine Frage desEnergieaufwandes war. Es war eine Parallelebene zuder unseren, nur mit dem Unterschied, daß beideUniversen verschiedene Eigenzeiten besaßen.

Während der letzten Expedition waren fremdartigeLebewesen entdeckt worden, die wir »Druuf«genannt hatten. Noch aber wußten wir nicht, mit wemwir es in Wirklichkeit zu tun hatten. Die Beherrscherder zweiten Zeitebene waren unsichtbar geblieben.Ihre Roboter und Hilfsvölker hatten keine Auskünfte

erteilen können.Ich war davon überzeugt, daß die Ereignisse vor

zehntausend Jahren in einem unmittelbarenZusammenhang mit den jetzigen Geschehnissenstanden. Die differierenden Eigenzeiten ließen solcheRückschlüsse zu.

Augenblicklich war aber für uns nur das neuerrechnete Bezugspunkt-Gesetz wichtig. Daraus ließsich ableiten, daß man bei einem Sprung durch dasaufzubauende Koordinierungsfeld mit99,99prozentiger Wahrscheinlichkeit auf einemPlaneten der Druufebene herauskommen mußte. Dermateriell stabile Masseninhalt der fremden Zonebegann für uns eine entscheidende Rolle zu spielen.

Die große Antigravplattform mit dem sogenanntenKompritormlader war bereits hinter der kreisrundenLeuchterscheinung verschwunden. Wir hatten dreiKraftstationen der riesigen DRUSUS auf dieLinsenfeldgeneratoren geschaltet. Die dabeiaufgewendeten Energien hätten ausgereicht, um dasgesamte Solare System auf zehn Jahre hinaus mitArbeitsstrom zu versorgen.

Dicht über dem Boden des KunstplanetenWanderer war jenes fünfhundert Meterdurchmessende Gebilde entstanden, das wir soeinfach Linsenfeld nannten. Der Ausdruck»Randzonale Überlappungsaufladung undFeldformgleichschaltung« wäre schon genauergewesen, obwohl auch er das Wesentliche nichtgenau getroffen hätte.

Ich stand dicht an der niederen Brüstung unserergrößten Transportplatte, die aus einem vierzig Meterdurchmessenden Leichtstahlblech mit zentrischeingebauter Antigravanlage bestand. Die beiden neumontierten Vibrations-Stahltriebwerke warenschubleistungsmäßig zu schwach, um eineangemessene Fahrtstufe zu erlauben. Es spielte aberauch keine Rolle, ob wir das Koordinierungsfeld nunim Fußgängertempo oder mit Schallgeschwindigkeitdurchflogen.

Auf der Plattform sah es aus, als hättenRiesenkinder dort gespielt. Überall lagen und standenMaschinen umher, deren massive Stein- undPlastiksockel man mit roher Gewalt aus demFundament gerissen hatte.

Es war schon ein kleines Problem gewesen, dievöllig überladene Schwebefläche zu stabilisieren.Masse blieb Masse, auch wenn sie infolge deseingeschalteten Antigravgerätes schwerelos war. Ichhatte im letzten Augenblick noch eine Kreiselanlageherbeischaffen lassen, um wenigstens die Gewißheitzu haben, daß das seltsame Gefährt nicht einfachumschlug.

Im Mittelpunkt der Scheibe hatten wir dasPhysiotron abgesetzt. Dicht nebenan waren diebeiden zur Energieversorgung notwendigen

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Hochleistungsreaktoren aufgestellt worden.Die umfangreichen und auch komplizierten Sender

zur drahtlosen Starkstromübertragung hatten wirnicht auch noch mitnehmen können. DieZellduschhalle sah ohnehin aus, als wären darinBomben explodiert. Rodes Aurin, der Waffenoffizierdes Superschlachtschiffes, war mit starkenTraktorstrahlern ans Werk gegangen, nachdem ihmHomunk aufgezeichnet hatte, wo die entfesseltenKräfte anzusetzen waren.

Wenn ich an die provisorisch installierte Leiter fürdie erforderliche Spannung von drei Millionen Voltdachte, begannen meine Hände zu zittern. Irgendwiemußte die Arbeitsenergie in die Feldprojektoren derZelldusche gelangen. Da wir die drahtloseÜbertragung nun einmal nicht verwenden konnten,hatten wir auf Röhrenfeldisolatoren der DRUSUSzurückgreifen müssen.

Ich hatte in meiner Eigenschaft alsHochenergie-Ingenieur die Aufgabe erhalten, die inaller Eile zusammengeschusterte Versorgungsanlagebetriebsklar zu montieren.

Homunk hatte davon gesprochen, das Physiotronallein benötige bei Vollast etwa sechshundertMegawatt; ein unvorstellbar hoher Verbrauch für einso relativ kleines Gerät.

Ob die hohe Spannung in den unverständlichenGeräten des Sockels transformiert wurde, wußte ichnicht. Homunk hatte mit Begriffen um sich geworfen,daß meine Berechnungen über die erforderlichenAbsicherungen illusorisch wurden.

So war es nicht verwunderlich, daß es auf derAntigravplattform wüst aussah. Reginald Bull hattesich nur umgeblickt und anschließend mit denSchultern gezuckt. Ich hatte nicht mehr als einkümmerliches Lächeln auf meine Lippen zwingenkönnen. Ganz bestimmt hätte ich aber nicht in seinerHaut stecken mögen. Unter solchen Umständen ineine Maschine zu steigen, in der schließlich all dieseKräfte frei gemacht wurden, war mehr als eintollkühnes Wagnis.

Rhodan hatte die Kreiselstabilisatoren anlaufenlassen. Nach zwei Minuten erreichten die aus bestemArkonstahl hergestellten Schwungmassenzweihunderttausend Umdrehungen. Ich wartetefiebernd auf das Auseinanderfliegen, aber es geschahnichts.

»Hahemm!« räusperte sich Crest, der schweigsamneben mir stand. Ich schaute ihn kurz an. Der alteMann sah abgespannt aus. Wir hatten fünf Tagebenötigt, um die erforderlichen Daten zu errechnen.

Rhodan wand sich vorsichtig zwischen den überallaufgestellten Maschinen hindurch. Als er vor unsstand, wischte er sich mit dem Handrücken über dieschweißbedeckte Stirn.

»Bully ist trotz des Tiefschlafs erneut jünger

geworden«, sagte er leise. »Nicht so schnell wievorher, aber immerhin jünger. Es wird Zeit!« SeineZähne gruben sich in die Unterlippe ein. »Atlan, bistdu sicher, daß der Laden hält?«

Er deutete auf die chaotische Geräteansammlung.»Wenn ich an die Stromleiter denke ...!«

antwortete ich kehlig, um sodann mitten im Satzabzubrechen.

Langsam ging er hinüber zu Captain Rodes Aurin,der mit einem kleinen Spezialkommando eventuelleAngriffe auffangen sollte. Vier Beiboote derDRUSUS standen überdies bereit, im Falle einesFalles einzugreifen. Ich hatte Wert darauf gelegt, dieimmerhin bedeutende Masse der Sechzigmeterschiffeso lange wie möglich aus der Druufebenezurückzuhalten. Auch die energetische Strahlung derTriebwerke und Waffenmeiler war unerwünscht. Eshatte sich erwiesen, daß die ohnehin labile Eigenzeitdurch Fremdeinflüsse schnell verändert werdenkonnte. Es genügte schon, wenn wir dieunerläßlichen Reaktoren mitschleppen mußten.

Rhodan winkte mir zu. Ich nickte einfach. Es wäresinnlos gewesen, jetzt noch weitere Bedenkenanzumelden. Die kleinen tollkühnen Wilden der Erdewaren drauf und dran, einem ehemaligen Admiral derarkonidischen Imperiums-Flotte zu beweisen, daß siedoch die besseren Qualitäten besaßen.

Mir war übel, und Crest erging es nicht viel besser.Was sich in unseren Gesichtern abzeichnete, war beiPerry Rhodan überhaupt nicht feststellbar. DieTerraner hatten eben ein jüngeres Nervensystem alsLeute meiner Art. Dafür verfügten wir über andereEigenschaften; wenigstens die geistig gesundgeblichenen Arkoniden.

Ich lauschte auf das Rauschen der beidenVibrationstriebwerke. Alles was sich auf derSchwebeplattform befand, war schwerelos. Dennochmußten die schwachen Aggregate auf vollerSchubleistung gehalten werden, damit wir überhauptvorankamen.

Für meine Begriffe dauerte es Ewigkeiten, bis wirdie lächerliche Geschwindigkeit von 40 Kilometernpro Stunde erreichten. Der damit stärker werdendeLuftwiderstand verhinderte zudem eine weitereErhöhung der Fahrt.

Nervenzermürbend langsam krochen wir auf dieflimmernde Feldlinse zu. Ehe wir sie erreichten, sahich mich nochmals aufmerksam um. Die Mutantendes Spezialkorps waren fast alle mitgekommen.Gucky befand sich bereits »drüben« Er war demRobot Homunk als Wächter zugeteilt worden. Wirwaren uns mittlerweile darüber klar geworden, daßdiese perfekte Maschine weniger an Bullys Lebendachte als an das Fiktivwesen, seinen Herrn. DieDruufebene war mit der Zwischenzone näherverwandt als mit unserem Universum. Vielleicht

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glaubte Homunk, >drüben< eine Möglichkeit zufinden, Es zu entdecken.

Die flimmernde Öffnung im Raum zwischen denUniversen war schon nicht mehr in voller Größeübersehbar. Als wir nur noch zehn Meter entferntwaren, gab Rhodan den Befehl durch, dieDruckhelme der Raumanzüge zu schließen.

Unter Umständen kamen wir auf einer luftleerenWelt heraus, oder gar auf einer mit giftigerAtmosphäre. Wenn Überlappungseffekte entstandenund sauerstoffatmende Lebewesen einfachverschwanden, konnte man sicher sein, auf deranderen Seite ein atembares Gemisch vorzufinden.

Anders war es, wenn man auf gut Glück ins Reichder Druuf vordrang. Das Massengesetz war zwargültig; aber es wirkte sich auch auf unbewohnbareHimmelskörper aus.

Der Übergang geschah völlig lautlos. Der vordereRand der Plattform verschwand einfach, als sei erniemals da gewesen.

Als sich die Energieaufladung meinem Körpernäherte, tastete ich unwillkürlich nach meiner Waffe.Dabei bemerkte ich, daß Rhodan ebenfalls an denKolben des vernichtenden Thermostrahlers griff. Ichlächelte unbewußt. Wie ähnlich waren wir uns doch!

Der Durchgang erfolgte schmerzfrei. Dasvorübergehende Flimmern vor meinen Augen hörteauf. Als ich wieder klar sehen konnte, war dievordere Hälfte der Ladefläche wieder sichtbar. Washinter uns kam, konnten wir noch nicht erkennen. Esbefand sich noch in unserem normalen Universum.Ich gestand mir selbst ein, daß dies die eigenartigsteTransition war, die ich jemals erlebt hatte.

Eine fremde Welt lag vor uns. Mir war, als hätteuns eine unbekannte Macht übergangslos auf einemwüsten Eiland abgesetzt. Es war ein Chlorplanet,dessen giftige Gase von einem heftigen Sturmaufgewirbelt wurden und die sperrigen Aufbauten desAntigravladers angriffen. Die Sprechfunkverbindungwurde sofort schlechter. Wir waren nicht mehr »zuHause«!

Die Plattform begann in beängstigendem Maße zuschwanken. Knapp dreißig Meter vor uns wurde derGleiter sichtbar, mit dem Homunk und einige unsererLeute das Linsenfeld durchdrungen hatten.

Ich sah, daß Rhodan zu den Schaltungen derKreiselanlage sprang. Die Tourenzahl ließ sich nochum bestenfalls fünfzigtausend erhöhen, doch damitwar die maximale Zerreißfestigkeit des verwendetenMaterials erreicht.

Die offen liegenden Schwungmassen schufenseltsam anmutende Wirbel im grünlichschimmernden Dunst. Als ich auf meine Händeblickte, glaubte ich sie verfärbt und krankhaftangeschwollen. Die kleine Sonne dieses Planeten warein grüner, durch Absorptionseffekte asymmetrisch

verzerrter Glutball von nur geringer Leuchtkraft.»Wunderbare Voraussetzungen für eine

Gesundungskur!« hörte ich jemand über Helmfunksagen. Es war Reginald Bull gewesen, der mitgespreizten Beinen um seine Balance kämpfte.

Plötzlich schrie jedermann durcheinander. Mitderart turbulenten Luftbewegungen hatte niemandgerechnet.

Ich kämpfte mich zum Chefingenieur des Schiffesdurch. Gunter Förster war bemüht, die Triebwerkeauf noch höhere Leistung zu bringen.

Ich sah seine geweiteten Augen hinter dem breitenPanzerglas des Raumhelmes, als ich nach demStufenschalter der beiden Axialturbinen griff. Försterhatte es nicht riskiert, die vorhandene Luft alszusätzliches Strahl- und Stützmedium zu verwenden.Wahrscheinlich hatte er an die ätzende Wirkung derChlorgase und nebenbei auch an den Rückfluggedacht.

Mir war es in diesen Augenblicken völliggleichgültig, ob das für eine Chlorerhitzung nichtvorgesehene Material es aushielt oder nicht. EheFörster noch etwas sagen konnte, begannen bereitsdie Ansaugturbinen zu heulen. Ich schaltete denseparaten Kleinstreaktor der beiden Triebwerke involler Leistung auf die Lichtbogenerhitzer und zogden Regelschalter der Komprimierungskammernnach unten.

Sekunden später fauchten hocherhitzte und mitzirka viertausend Meter pro Sekunde expandierendeChlorgaspartikel aus den Zusatzdüsen derVibratoraggregate.

Einige Männer gingen fluchtartig in Deckung,doch der sofort entstehende Schub mit seinem damitverbundenen Vortrieb stabilisierte die schwankendeAntigravplattform sehr schnell aus.

Rhodan winkte zu mir herüber. Aufgrund derlauten Störgeräusche im Helmlautsprecher und desGeheuls der beiden Strahltriebwerke waren seineWorte nicht zu verstehen. Eine grüne Hölle schiengefräßig ihren Schlund zu öffnen.

Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis unserevorher zu geringe Fahrt besorgniserregend hochwurde. Homunks Plattform wurde klarer erkennbar.Als wir nur noch knapp fünfzig Meter entfernt waren,schaltete ich die Zusatztriebwerke ab.

Dennoch reichte unser Geschwindigkeitsüberschußaus, um uns über die bereits gelandeteTransportfläche hinwegzutreiben.

Rhodan machte kurzen Prozeß. Die plötzlichwiederkehrende Schwerkraft zwang mich zu einerKniebeuge. Er ließ den Schweber so rasch fallen, daßich uns bereits zerschmettert am Boden einerfremden, lebensfeindlichen Welt liegen sah. Erstdicht über dem Grund fing er den Sturz auf, doch wardie Landung alles andere als vorbildlich. Ich hörte

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das Kreischen brechenden und zerreißendenMaterials. Die stabilen Hydrauliklandebeine warenteilweise abgeknickt oder wie Streichhölzerzerbrochen worden.

Nachdem wir endlich standen, liefen die Kreiselaus. Nur das Heulen des Sturmwindes peinigte nochmeinen Gehörsinn. Unser Lastenfahrzeug lag etwasschief, aber die darauf installierten Maschinenschienen nicht beschädigt worden zu sein.

»Tut mir leid, wir mußten wegen dererforderlichen Energieversorgung dicht nebenHomunk auf den Boden kommen«, hörte ichRhodans Stimme schwach und von Störgeräuschenüberlagert aus dem Lautsprecher klingen. »Ist jemandverletzt worden?«

Ja, ein Mann der Besatzung schien sich ein Beingebrochen zu haben. Er lag direkt neben mir, und ichkonnte sein schmerzverzogenes Gesicht sehen. Erwar jedoch der erste, der laut und klar antwortete:

»Sergeant Tomenski spricht, Sir. Alles okay,keiner ist angekratzt.«

Er winkte mir beschwörend zu. Da lächelte ich ihnan und half ihm, das verrenkte Bein bequemer zulagern. Ein Gefühl der Zuneigung überkam mich;aber es galt nicht nur dem Sergeanten, sondern derganzen Menschheit. Sie waren in ihrer Artwunderbar, diese kleinen Barbaren!

Das einzige Wesen, das trotz der Chloratmosphärekeinen Raumanzug trug, war der Robot Homunk. Ichräusperte mich unangenehm berührt, als ich seinstereotyp lächelndes Biogesicht sah. In dieserUmgebung, die jeden von uns in die Hülle einesSchutzanzuges zwang, wirkte die somenschenähnliche Maschine plötzlich wie einMonstrum.

Rhodan sprang von unserer Plattform herab. Diehiesige Schwerkraft betrug knapp 0,95 Gravos,wonach wir uns gut bewegen konnten. Ich starrte wiebenommen auf seine deutlich erkennbarenFußabdrücke. Sie hatten sich tief in die moosartigenPflanzen eingegraben. Erst wunderte ich michdarüber, daß in dieser Giftküche überhaupt Lebenentstanden war, doch dann erkannte ich erschrecktden wahren Grund für meine so jählings erwachteAufmerksamkeit.

Wieso konnten sich Rhodans Stiefelsohlen so tiefeingegraben haben? Außerdem : Wieso zogen dievom Sturm bewegten Dunstschwaden so rasch an unsvorbei? Bisher hatten wir doch erfahren, daß auf denWelten der Druufebene alle Vorgänge ums72000fache langsamer abliefen. Danach hätte dieLuft praktisch stillstehen und die Vegetation stahlhartsein müssen.

Die Erkenntnis überfiel mich schockartig. Rhodanschien auch etwas bemerkt zu haben. Er stand wieerstarrt da, so, wie er sich nach dem Sprung

aufgerichtet hatte. Ein gewisser Galgenhumor ließmich sagen:

»Da staunt der Fachmann, Barbar, oder? DieserPlanet unterliegt einer Eigenzeit, die fast identisch istmit der unseren. Alle Vorgänge laufen in annäherndrichtiger Geschwindigkeit ab. Wie stimmt das mitdeinen Theorien überein?«

Seine Antwort bestand aus einem nicht druckreifenAusdruck, wie er von Menschen in kritischenSituationen oftmals gebraucht wurde.

Jemand lachte schrill auf. Es war Bully gewesen.Als ich mich nach ihm umdrehte, öffnete er bereitsdie transparente Schutzschleuse des Physiotrons.

Crest, der alte Mann aus meinem Volk, tippte michbestürzt mit dem Finger an. Ich winkte aufgeregt ab,da mir völlig klar war, was er sagen wollte.

Die Situation war plötzlich noch viel kritischergeworden. Wenn jetzt ein Angriff erfolgte, konntenwir uns nicht in den Schutz einer schnellerenEigenzeit begeben. Wenn der unbekannte Feind nurhalb so flink war wie wir, wurde es gefährlich.

Rhodan verlor kein Wort über den Fall.Mittlerweile hatte man ohnehin bemerkt, welchesPhänomen wir angetroffen hatten. Crest hatte sichbereits zum mitgeführten Elektronenrechnerzurückgezogen. Ich verließ mich auf diesenhochwertigen Wissenschaftler, der wohl zu denletzten, geistig gesund geblichenen Männern meinesVolkes gehörte. Dennoch besaß er kaum nochpersönliche Initiative, die uns vor vielen tausendJahren in so hervorragender Weise ausgezeichnethatte. Wenn ich an meine Kreuzerkommandantendachte ...!

Ich unterband mit hoher Willensanstrengung dieaufkommenden Erinnerungen. Die Blütezeit derArkoniden war vorbei. Ich war ein rätselhaftesÜberbleibsel aus der alten Zeit, und Crest, den ich alsschwach und nur noch beschränkt lebensfähig ansah,stellte den neuen Arkonidentyp dar. Dabei gehörte ernoch zu den fähigsten Vertretern des GroßenImperiums.

Captain Rodes Aurin verschwendete keine einzigeSekunde. Seine lauten Befehle klangen in allenHelmlautsprechern auf. Dreißig schwerbewaffneteMänner seines Spezialkommandos sprangen von derPlattform nach unten, um schemenhaft im grünenDunst zu verschwinden.

Drei andere Leute rannten zum deutlicherkennbaren Linsenfeld zurück. Leuchtend hell, nuran den Rändern durch Lichtbrechungseffekteverzerrt, hing es in der ätzenden Chlorluft. Die dreiSoldaten hatten den Befehl erhalten, im Falle einerGefahr sofort mit leichten Einmann-Fluggerätendurch das Zonenfeld zu springen, um die startklarenKaulquappenkommandanten zu alarmieren.

Wir selbst waren gezwungen, wegen der störenden

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Einflüsse der Linse wenigstens dreihundert Meterentfernt zu operieren.

Die nächsten dreißig Minuten wurden für dieunerläßlichen Vorbereitungen benötigt. Ichkümmerte mich um die Energieversorgung desPhysiotrons, und Rhodan schaute dem perfektenRoboter auf die Finger. Beide Plattformen lagen sodicht nebeneinander, daß sie sich mit den Rändernberührten.

Ich sah beunruhigt zu den beiden kanonenartigenEnergieprojektoren hinüber, mit deren Hilfe unserTransportgleiter in ein Kontinuum-Abschirmungsfeldeingehüllt werden sollte. Die Werte standen fest, nurgalt es aufzupassen, daß der nachzuahmendeHalbraumzustand von der annähernden Totalitätnicht zur hundertprozentigen Wirklichkeit wurde.

Bully stand bereits in dem Zellduschkäfig. Er gabsich ruhig und gefaßt, doch wer ihn genauer kannte,bemerkte die in ihm herrschende Nervosität.

Nach etwa vierzig Minuten hatte ich meineSchaltungsprüfungen beendet. An die miserablenStromleiter durfte ich auch jetzt noch nicht denken.Unter Umständen kam es innerhalb derChloratmosphäre zu chemischen Prozessen, diemeine energetischen Leiter-Isolatoren unwirksammachten. Ich sicherte auf Biegen oder Brechen mitzusätzlich fünfhundert Ampere ab. Wenn dieAutomaten bei Spitzenstoß-Belastungendurchschlugen, würde Bully rettungslos verlorensein. Während seiner völligen Entmaterialisierungkonnte kein noch so kurzfristiger Stromausfallriskiert werden.

»Fertig«, gab ich möglichst gelassen überHelmfunk durch. »Wie weit seid ihr mit euremKompritormlader?«

»In der Hoffnung, daß er funktioniert ebenfallsfertig!« antwortete Perry Rhodan heiser. »Bully,können wir anfangen?«

»Man sollte dem Schöpfer nicht gar zu sehr insHandwerk pfuschen«, entgegnete Reginald Bull leiseund ungewohnt ernst. »Ich bin auf alles gefaßt.Vielen Dank auch für eure Bemühungen. Gucky,Kleiner, du sollst doch nicht weinen.«

Homunk gab mir ein Zeichen. Die beidenReaktoren zeigten Grünwert, dann fuhr ich sie vollaus. Der Anlaufstoß war hart. Wie gebannt sah ich zuden blauweißen Energiebahnen hinüber, die sichinnerhalb der abschirmenden und einengendenIsolationskraftfeldern gebildet hatten. Es warebenfalls eine drahtlose Stromübertragung, nur nichtin einer so vollendeten Form, wie sie von demverschwundenen Kollektivlebewesen beherrschtwurde.

Meine I-Schirme hielten, obwohl die beidenThermalkonverter mit einer Anfangsspannung vondrei Millionen Volt liefen. Was im Sockel des

Physiotrons geschah, lag weit jenseits meinerVorstellungskraft. Ich hatte an den Eingangspolenlediglich einige Drähtchen bemerkt, so, daß ich es beiallem Wohlwollen nicht riskiert hätte, sie mit mehrals tausend Volt bei höchstens achtzig Ampere zubelasten.

Was sie nun aufnahmen und offenbar anstandslosweiterleiteten, waren im Verhältnis zur Größe derApparatur wahre Urkräfte.

Bully, den wir soeben noch klar gesehen hatten,wurde plötzlich zum wesenlosen Gebilde. EineMillisekunde später gewahrten wir nur noch einerötlich leuchtende, pulsierende Energiespirale, die imZentrum der vom Physiotron aufgebautenKraftfeldlinien hing.

Ich sprang als letzter Mann von der Plattformherab. Einige weite Sprünge brachten mich anRhodans Seite. Als ich ankam, schaltete der Robot.

Ein heftiges Dröhnen ließ mich zusammenfahren.Als ich zur Zelldusche hinüberblickte, war sie kaumnoch erkennbar. Ein blasses Glockenfeld hatte denAntigravgleiter völlig eingehüllt.

Wir brauchten fünf Minuten, um die richtigeJustierung zu finden. Als wir den Maximalwert fürdie 4-D-Abschirmung erreicht hatten, mußteinnerhalb des Reflektorfeldes ein fast naturgetreuer,instabiler Halbraumzustand herrschen.

Rhodan sah auf die Uhr. Er schien sehr ruhig zusein.

»Wenn alles klappt, muß eine Phasenverschiebungzu beobachten sein. Wahrscheinlich wird sich wiederalles in die Länge ziehen. Er wird nichts davonbemerken.«

Von da an sprachen wir nicht mehr. Die Männerdes Spezialkommandos lauerten auf plötzlichhereinbrechende Gefahren, und wir waren bemüht,die in uns vorherrschende Nervosität zuunterdrücken.

Bully mußte etwa neunzig Minuten in der Duschebleiben. Es war seine einzige Chance.

Als sich drüben die Konturen verzerrten, hörte ichRhodans Atemzüge lauter und hastiger aus demLautsprecher dringen. Homunk überwachte dieSchaltanlagen des Physiotrons.

Nach dreißig Minuten hatten wir den Eindruck, alsbestünde die massive Zelldusche nur noch aus einempfahldünnen Gewebe. Von der anderen Seite ausbetrachtet schien sich das Gerät ganz erheblichverbreitert zu haben. Das war fraglos derHalbraumzustand, den wir wenige Tage zuvor sooffenkundig am eigenen Leib erfahren hatten.

Crest kam aufgeregt zu uns herüber. Sein schmalesGesicht wirkte abgespannt. Wir vernahmen seineStimme in unseren Druckhelmen, auf derenKlarsichtscheiben sich laufend kristallisierendeDämpfe niederschlugen. Ich betastete besorgt die aus

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Metall gefertigten Stücke meines Raumanzuges. Eswar kein Vergnügen, sich in einer Chloratmosphäreaufzuhalten.

Crest las das Diagramm des transportablenRechners ab. Danach betrug dieEigenzeitverschiebung nur 1 zu 4,26374. Das war einWert, der mich noch besorgter machte. Wir bewegtenuns nur vierfach schneller als der eventuellauftauchende Gegner.

Nachdem die Daten feststanden, ahnten wir auch,welcher Sturm hier in Wirklichkeit herrschte! Diegemessene Windgeschwindigkeit von knappeinundsiebzig Kilometern pro Stunde mußte nacheiner Eigenzeit-Angleichung zirkazweihundertfünfundachtzig km/h betragen.Erfahrungsgemäß neigte unser Organismus zumAusgleich. Weshalb das so war, konnte noch nichtgenau gesagt werden. Noch verblüffender war aberdie unumstößliche Tatsache, daß auf einem Planetender Druufebene nur ein Verhältnis von eins zu vier zufinden war. Das mochte wieder schwerwiegendemathematische Probleme mit sich bringen, die wiraber zur Zeit nicht in Angriff nehmen konnten.

Nachdem auch Rhodan das von Crest angefertigteDiagramm studiert hatte, kam plötzlich der Alarm. Esgeschah genau sechsundfünfzig Minuten, nachdemBully das Physiotron betreten hatte.

Rhodans Haltung versteifte sich. Wir sahen unseinen Augenblick starr in die Augen, bis er fragte:

»Was hältst du davon, Admiral? Bist du jemals indie gleiche Lage gekommen?«

Mein Extrahirn, praktisch identisch mit meinemfotografischen Gedächtnisteil, meldete sich mitschmerzhafter Stärke. In mir kam wieder derkrankhafte, anomale Drang zum Erzählen auf.

Ich unterdrückte die Regung mit aller Willenskraft.Hastig teilte ich mit, was ich zehntausend Jahre zuvorin einer ganz ähnlichen Situation unternommen hatte.

Rodes Aurin meldete sich. Sein Gesicht erschienauf den winzigen Bildschirmen der Armbandgeräte,deren Lautsprecherausgänge wir mit den Helmenverbunden hatten.

»Strukturtaster-Ortung. Sir«, gab der ErsteWaffenoffizier der DRUSUS durch. »FünfSchockwellen auf einmal, jedoch keineveränderlichen Amplituden wie bei einem normalenEintauchmanöver in den Einstein-Raum, sondernziemlich konstant bleibende Restenergie-Einheiten.Sieht so aus, als würde da ununterbrochen jemandaus dem Hyperraum kommen, aber nicht sprunghaft,sondern ganz gemächlich und gleichmäßig. Das istkeine gewöhnliche Strukturerschütterung. Sir.«

Perry Rhodan sah mich hilflos an. Ich dagegenerinnerte mich nur allzu deutlich an einen Vorgang,mit dem damals unser Ende begonnen hatte.

»Angreifen, sofort angreifen«, sagte ich hastig.

»Nur nicht warten. Die Tastermeldungen sind richtig,auch wenn sie seltsam erscheinen. Jene Lebewesen,die ihr Druuf genannt habt, beherrschen dieüberlichtschnelle Raumfahrt in anderer Form. Sietransistieren nicht wie wir durch die fünfteDimension, sondern sie fliegen hindurch. Verstehstdu, wie ich das meine?«

»Nicht ganz! Inwiefern fliegen?«»Weil sie nicht im Sinne des Wortes springen«,

regte ich mich auf. »Für mich war es damals auchrätselhaft, bis es ganz plötzlich knallte. Sieüberwinden den Überraum in einem gestreckten,millionenfach überlichtschnellen Flug, der infolgeder veränderten physikalischen Gesetze im Pararaumund in der dortigen Bezugspunkt-Ebene völligalltäglich erscheint. Bei diesem Überlichtsystembleibt der Zielstern immer sichtbar. Man wird dabeiauch nicht entmaterialisiert, wie bei der von unsangewendeten gewaltsamen Form einerSprungüberwindung. Die Druuf kennen zum Beispieleine bestimmte Entfernung. Danach wird derfünfdimensionale Geschwindigkeitsüberschußberechnet und die so ermittelte Fahrtstufe gewählt Esist ein einfaches Fliegen, aber millionenfachschneller, als es die Gesetze des Einsteinraumeszulassen. In der fünfdimensionalen Ebene liegt dieerreichbare Endfahrt milliardenfach höher als inunserem Universum. Nein, frag mich nicht, wie dieDruuf überhaupt den Hyperraum verlassen. Ichnehme an, daß es mit einem ganz kurzenSprungschock geschieht, der aber nicht vergleichbarist mit unseren Transitionen. Sie gehen lediglichhinein, orientieren sich und brausen los. Die steilenZacken unserer Strukturtaster zeigen eine solcheSchockwelle an. Die stabile Wellenlinie ist identischmit dem Anflugwert. Es wird noch einmal ein kaumbemerkbarer Stoß kommen, aber dann sind sie schonda.«

»Aurin, stimmt das? Haben Sie einen steilenAnfangsausschlag?« erkundigte sich Rhodan überFunk.

»Genau, Sir, genau das« antwortete der Captainerregt. »Mir geht ein Licht auf, denke ich. Befehle,Sir?«

Rhodan sah mich nochmals an. Ich war zutiefstaufgewühlt. Die Erinnerungen überfielen mich mehrund mehr. Mein auf Arkon aktiviertes Extragehirnwar erbarmungslos. Crest klopfte mitleidig auf meineSchulter. Er, der ebenfalls aus einer großen Familiestammte, hatte natürlich auch den zweifelhaftenVorzug einer staatlich genehmigtenGehirnaktivierung genossen. Normale Arkonidenwaren damit niemals in Berührung gekommen. Nurbesonders verdienten und hochstehenden Leuten wardie Erweckung brachliegender Hirnteile genehmigtworden.

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Rhodan zögerte nicht mehr lange. Wenn dieTerraner erst einmal einen Entschluß gefaßt hatten,dann pflegte gemeinhin allerlei zu passieren.

Ehe ich mich noch recht gefangen hatte, schossenbereits bläulich glänzende Ungetüme aus demLinsenfeld hervor. Ich hatte mit den vier startklarenBeibooten gerechnet, aber nun kamen plötzlich allevierzig Einheiten an, die das SuperschlachtschiffDRUSUS an Bord hatte.

Ich bemerkte, daß Rhodan grinste. Anscheinendhatte er auch nicht gewußt, daß sein tüchtigerVertreter, Oberstleutnant Sikermann, vorsorglich alleKaulquappen ausgeschleust hatte.

Hinter den starken Sechzigmeter-Booten kam einRudel lichtschneller Drei-Mann-Zerstörer durch dieFeldöffnung gejagt. Das konnte ja noch heiterwerden!

Die soeben angekommenen Besatzungen besaßennoch den Vorteil der vollen Eigenzeit. Damit warensie vierfach schneller als das modernste Druufschiff.

Ich ging in Deckung, als die anscheinendwahnsinnig gewordenen Piloten mit ungeheurenBeschleunigungswerten auf Zielkurs gingen.Glühendheiße Schockwellen schlugen zu uns herab,und die giftigen Gase des Planeten wurden diesmalvon einem wirklichen Orkan erfaßt.

Es dröhnte und donnerte, als solle diese Weltuntergehen. Immer neue Zerstörer huschten mitlangsamer Fahrt durch die Feldlinse. Es war unserPech, daß wir genau unter der zwangsläufigenAnflugschneise lagen. Die tollkühnen Burschenrissen ausgerechnet in jenem Augenblick ihreMaschinen mit den spitzen Schnauzen nach oben,wenn sie unseren Standort erreicht hatten. Es warenwenigstens zwei Einsatzgeschwader, die Rhodan aufden Weg geschickt hatte. Als die wilde Jagd vorbeiwar, fragte Aurin besorgt an: »Langt das auch, Sir?«Ich holte tief Luft. Rhodans Lachen ging mir auf dieNerven. Er schien die rätselhaften Druuf durchausnicht für unbesiegbar zu halten. Augenblicke späterwendete er sich an mich.

»Okay, Arkonide, wir haben deinen Rat befolgt.Bully benötigt noch neunundzwanzig Minuten. Bisdahin muß die Front gehalten werden. Wie beurteilstdu unsere Chancen?«

Ich suchte mir erst einmal eine Sitzgelegenheit.Wenn diese terranischen Barbaren munter wurden,dann bekamen Leute von meiner Art zumeist einenNervenschock.

Ich schwieg so lange, bis das von drübenangekommene Hyperfunkgerät neben uns aufgestelltwar. Der Bildschirm war in vier Sektoren unterteilt.Gleich darauf erschienen die Gesichter derkommandierenden Einsatzoffiziere. Natürlich warendie Leutnants Stepan Potkin, David Stern und MarcelRous auch dabei. Sie führten anscheinend die

Zerstörerverbände.»Wir haben sie, Sir«, gab Potkin in aller

Gemütsruhe durch. »Die Strukturtaster laufen. Wennsie zu uns wollen, müssen sie ja einmal aus demHyperraum kommen. Wenn sie die Nasen sehenlassen, sollten wir etwas tun.«

»Das möchte ich Ihnen geraten haben«, sagteRhodan unwirsch. »Zwischen uns und den Druufherrscht auf Grund der letzten VorkommnisseKriegszustand. Wir sind von den Fremdeneinwandfrei geortet worden. Anscheinend haben sieeine Methode entwickelt, mit deren Hilfe einentsprechendes Linsenfeld augenblicklichausgemacht werden kann. Wahrscheinlichverursachen wir damit eine ganz gehörigeSchockwelle auf fünfdimensionaler Basis. Stoßen Siein den Raum vor und gehen Sie auf Fächerposition.Die ankommenden Einheiten müssen unter allenUmständen aufgehalten werden. Ich brauche nochgenau fünfundzwanzig Minuten Zeit.«

Ich hatte meine Fassung wiedergefunden. Das wareine Situation, die ich genau kannte. Ruhig warf ichein:

»Hör zu, Barbar! Sage deinen Leuten, sie solltennotfalls dicht aufschließen, damit sie die freienKorpuskelwellen der Triebwerke als Waffenstrahlenverwenden können. Wenn die Schutzschirme derDruuf noch nicht verändert worden sind, werden sieauf harte Impulsströme äußerst labil reagieren.«

Rhodan fragte nicht lange. Ich dagegen hattewieder einmal Gelegenheit, meine vor zehntausendJahren gewonnenen Erfahrungen zur Verfügung zustellen.

Drei Minuten später standen die terranischenEinheiten schon im Gefecht. Im Hyperfunkgerätdröhnte und krachte es, als wären da zwei mächtigeFlotten aneinander geraten. DieAufnahmemikrophone der Beiboote und Zerstörerübertrugen naturgetreu die entstehenden Geräusche,die in den mitschwingenden Raumschiffszellen fastunerträglich sein mußten.

Ich kannte das Hallen und Läuten, das beigeschlossenen Breitseiten und langen Dauerschüssenaufkam. Besonders die Kugelzellen der Kaulquappenwaren unangenehm starke Resonanzkörper.

Wir blickten nach oben, doch war mit den bloßenAugen nichts zu erkennen. Das Gefecht spielte sichtief im Raum ab. Hier und da kamen Meldungen dereinzelnen Kommandanten durch. Demnach warenbisher nur sechs gegnerische Einheiten ausgemachtworden. Vier der langen, dünnen Schiffe konntenbereits abgeschossen werden. Überlebende hatte mankeine gefunden, aber es wurde vermutet, daß dieBesatzungen aus Robotern bestanden. Die beidenTelepathen an Bord der Beiboote K-18 und K-6hatten keine Geistesimpulse aufnehmen können.

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»Um so besser«, meinte Rhodan mit einem Blickauf die Uhr. »Noch vier Minuten, dann haben wir esgeschafft.«

Wir warteten ungeduldig. Dabei fragte ich michimmer wieder, was der Mann im Physiotron in diesenAugenblicken empfinden mochte. Wahrscheinlichaber überhaupt nichts.

Als die Zeit um war und Homunk die Zellduscheabstellte, schauten wir atemlos zur benachbartenAntigravplattform hinüber. Das Abschirmungsfeldverschwand. Die Konturen wurden klarer.

Gucky, der dicht vor mir stand und meine linkeHand umklammert hielt, warf plötzlich quiekend diezierlichen Arme nach oben.

»Er lebt«, hörte ich die Riesenmaus hell schreien,»er lebt! Ich empfange seine Gedanken. Er meint, erwäre nur eine Sekunde in dem Gerät gewesen.«

Ich wich vor der flimmernden Leuchterscheinungzurück. Gucky war auf einmal verschwunden, dochschon tauchte er mitten im stillgelegten Physiotronauf, wo er dem breitschultrigen Mann an den Halssprang.

Rhodan blickte mich nur an. Wir verstanden unssehr genau, auch ohne laute Worte. Einen Erfolghatten wir auf alle Fälle erzielt, denn Reginald Bullschien unversehrt zu sein. Wie sich jedoch dieZelldusche auf den seltsamen Verjüngungsprozeßausgewirkt hatte, war noch ungewiß.

Rhodans Augen wurden starr, während er zumPhysiotron hinüberblickte. Nach einigenAugenblicken sagte er leicht fassungslos: »DerMausbiber gibt durch, Bully wäre wiedervollkommen in Ordnung. Das knabenhafte Gesichtsei wieder so geworden, wie es vorher war. Verstehstdu das?«

Mir blieb keine Zeit mehr, mein totalesUnverständnis durch eine Antwort auszudrücken.Weit über uns tauchte ein Ungetüm in die dichteChloratmosphäre des Planeten ein. Im gleichenAugenblick kam die Meldung des Verbandsführersdurch.

Ich sah van Aafens glattes, gepflegtes Gesicht aufdem Bildschirm auftauchen. Der Major war kühl,leicht reserviert und pedantisch wie immer. Er warein vorzüglicher Kosmonaut, und Nerven schien erüberhaupt keine zu besitzen.

»Vorsicht, Sir«, gab er bekannt. »Ein schweresSchiff des Feindes ist durchgebrochen. Ich kommemit acht Kaulquappen hinterher. Sie sollten vielleichtin Deckung gehen.«

Er sagte es so, wie ein anderer Mensch kleinlicheBedenken wegen eines verdorbenenSonntagskuchens ausgedrückt hätte. Wir gingen inDeckung!

Etwa einen Kilometer entfernt zuckte ein gleißendhelles Etwas durch die grünliche Chlorluft. Ein

fürchterliches Donnern erreichte uns zusammen miteiner starken Druckwelle, die mich einige Meter weitüber den glatten Bodenbelag der Plattform wirbelte.

Ein infernalisches Dröhnen wurde hörbar. Gleichdarauf entstand ein neuer Orkan, der mich diesmalheftig nach oben riß. Wir waren vom Vakuumsogeines anscheinend schnellfliegenden Raumschiffesnoch am Rande erfaßt worden.

Es ging schneller, als es das Gehirn erfassenkonnte. Einige nur schemenhaft erkennbare Körperzogen in großer Höhe vorbei. HelleLeuchterscheinungen verdrängten das Halbdunkel,und dann blähte sich weit entfernt eine Atomsonneauf.

Ich schloß geblendet die Augen und wartete aufdas Kommando. Jemand umklammerte haltsuchendmeine Fußgelenke. So lagen wir flach auf derPlattform, als die glühendheiße Druckfront derExplosion ankam. Ein Weltuntergang konnte nichtschlimmer sein. Wie ich das Inferno überstandenhatte, hätte ich Minuten später nicht mehr sagenkönnen.

Ich richtete mich benommen auf und half Rhodanauf die Beine. Unsere Antigravgleiter waren beinaheumgestürzt. Der Atomsturm hatte sie von untenerfaßt und mehr als fünfzig Meter weit über dasflache Gelände gewirbelt.

»Das waren wenigstens hundert Megatonnen«,ächzte Rhodan. Er schien sich das linke Armgelenkempfindlich angeschlagen zu haben. »Ob die Dingernoch fliegen?«

»Um Gottes willen, Sir«, sagte ein Mann derBesatzung, »die Geräte müssen zurück, besondersaber das Physiotron.«

Wir sahen uns nach Bully um. Er winkte von demanderen Gleiter herüber. Also schien dort auch allesin Ordnung zu sein.

Ich kümmerte mich bereits um die Triebwerke, alsendlich die Meldung vom Major einlief. Erst hörteich Rhodan schimpfen, dann vernahm ich van AafensWorte.

»Tut mir sehr leid, Sir, das war anscheinend etwasnahe. Das Robotschiff explodierte dummerweise.Dürfte ich um weitere Anweisungen bitten?«

»Der Teufel soll Sie stückweise holen«, entgegneteRhodan. »Den Druuf hätten Sie ja auch zwei Minutenspäter unter Feuer nehmen können. Da wäre ernämlich um einige tausend Kilometer weiter entferntgewesen. Okay, vergessen Sie es. Warten Sie ab, biswir die beiden Lastenträger in Sicherheit haben.Anschließend folgen Sie mit dem gesamten Verband.Stellen Sie die Zerstörer als Rückendeckung ab. Diekleinen Maschinen kommen notfalls schneller durchdie Linse als Sie mit Ihren großen Kaulquappen.Alles klar?«

»Vollkommen, Sir. Darf ich mir erlauben, zu

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fragen, wie es Mr. Bull geht?«»Sie dürfen«, antwortete Rhodan erheitert. »Er

freut sich kolossal über die von Ihnen erzeugteDruckwelle. Sonst geht es ihm gut. Geben Sie dasden einzelnen Besatzungen bekannt.«

»Ich bitte um die Übermittlung meinesGlückwunsches, Sir«, meinte van Aafen in seinersteifen Art.

Rhodan lachte nur noch. Dagegen stellte ich erneutfest, daß er wunderbare Männer und Freunde an Bordseiner Schiffe hatte. Zehn Minuten später hob unsereLastenplattform vom Boden ab. Ich ließ sie mit vollerFahrt durch das Linsenfeld fliegen und schaltete dieZusatztriebwerke erst dann ab, als dicht vor uns diegewaltige Rundung der DRUSUS aus dem Bodenwuchs.

Kurz darauf kam Rhodan mit den anderen Gleiteran. Sein Funkspruch hatte das Einsatzgeschwadernoch erreicht. Die ersten Kaulquappen kehrten in dasNormaluniversum zurück, als ich bereits aufatmendden Druckhelm auf die Schultern klappte. Es warnicht schön gewesen, auf diesem Chlorplaneten!

3.

Teldje van Aafen hatte sich bei mir in sehrhöflicher Form erkundigt, wie die altenKreuzerkommandanten der Arkonidenflotte ihreErfahrungsstudien abgefaßt hätten.

Erst war ich etwas verblüfft gewesen, doch dannhatte ich die entsprechenden Auskünfte gegeben.Auch Perry Rhodan schien nicht auf den Papierkriegverzichten zu können, obwohl er erfahrungsgemäßalles tat, um dieses leidigste Problem eines jedenStaatsmannes oder Kommandeurs so weit wiemöglich abzuschwächen. Der Zweite Offizier derDRUSUS schien jedenfalls etwas unglücklichgewesen zu sein, seine Gefechtserfahrungen in allenEinzelheiten niederlegen zu müssen.

Wir hatten keine Verluste erlitten, was mir bewies,wie präzise die terranischen Piloten angegriffenhatten. Natürlich war der Vorteil einer besserenEigenzeit auf ihrer Seite gewesen.

Augenblicklich war ich dabei, die von Crestermittelten Daten auszuwerten. Rhodan hatte denHeimflug des Superschlachtschiffes verzögert, da wiruns verpflichtet fühlten, die in der Zellduschhalleangerichteten Schäden wieder in Ordnung zubringen.

Seit unserer Rückkehr aus der Druufebene warennun runde vierundzwanzig Stunden vergangen. EineRoboterarmee war dabei, Physiotron undStromreaktoren wieder an den alten Standorten zumontieren und an die Kraftversorgung anzuschließen.Ein Probelauf sollte noch vor dem Start des Schiffesstattfinden.

Ich ahnte, daß Rhodan von Zweifeln gequältwurde. Er wußte ebensogut wie ich, daß das mit denDruuf aufgetauchte Problem endgültig gelöst werdenmußte.

Einige Hyperfunksprüche des terranischenSicherheitsdienstes lauteten besorgniserregend.Demnach waren auf einigen fernen Welten wiederjene fürchterlichen Dinge geschehen, die wir nichtverhindern konnten. Ganze galaktische Völker warenüber Nacht verschwunden. Große Planeten warenpraktisch entvölkert worden; ein Geschehnis, das wirzwar längst kannten, dessen Sinn wir aber noch nichtbegriffen hatten. Welchen Zweck mochte es haben,viele Millionen, sogar Milliarden denkender Wesenzu entführen?

Ich grübelte seit Wochen darüber nach. EineLösung zeichnete sich ab, jedoch wußte ich nochnicht, ob meine Vermutungen auch stimmten. Die soplötzlich rückläufige Eigenzeit auf einemDruufplaneten schien darauf hinzudeuten, daß sichdrüben eine entscheidende Entwicklung anbahnte.Jemand schien bemüht zu sein, dieVerschiedenartigen Gesetzmäßigkeiten einanderanzugleichen. Wurde etwa dafür organisch lebendeMaterie benötigt? War das der Grund für dieEntführung zahlloser Intelligenzen?

Rhodan hatte laut und falsch gepfiffen, als ich ihmwenige Stunden zuvor meine Überlegungenunterbreitete. Jetzt war ich aber wieder allein imgroßen Rechenzentrum des Superschlachtschiffes.

Reginald Bull schien ja nun wieder gesund zu sein.Wenn man sein Gesicht sehr genau betrachtete, ließsich eine geringfügige Verjüngung noch feststellen.Immerhin hatte der seltsame Prozeß aufgehört. Inseinem mehr oder weniger diffizilen Zellgewebe waretwas vorgegangen, was wir nicht begreifen konnten.Sicherlich aber handelte es sich jetzt um eine echteStabilität, wie sie bei Perry Rhodan ebenfallseingetreten war. Gegen, zwölf Uhr begab ich mich indie große Offiziersmesse der DRUSUS. Der perfekteRoboter Homunk hatte uns mit frischem Gemüseversorgen lassen. Es war alles in bester Ordnung,zumal die Druuf ihrerseits noch keinen Weggefunden hatten, um in unsere Existenzebeneeintauchen zu können. Wahrscheinlich war eineStrukturangleichung durch ein Linsenfeld von deranderen Seite aus ungleich schwieriger erreichbar.Dennoch geschah etwas, was mich mit Besorgniserfüllte. Mir wäre es lieb gewesen, wenn wirWanderer noch in der gleichen Stunde verlassenhätten.

Ich setzte mich auf meinen Stammplatz undwartete die Ankunft der Schiffsoffiziere ab. Siekamen nacheinander, Rhodan und Bully erschienenzuletzt.

Der große hagere Mann nickte mir wortlos zu.

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Sein Essen schlang er gedankenlos und ohne zugenießen hinunter. Als die Nachspeise von derautomatischen Förderanlage aus dem Zentralschachtauf den Tisch geschoben und sternförmig an dieeinzelnen Plätze weitergeleitet wurde, sagte erplötzlich laut:

»Gucky behauptet, vor etwa zwei Stunden sehrschwache telepathische Impulse aufgenommen zuhaben, die nur von dem Kollektivwesen ausgestrahltworden sein könnten. John Marshall hat die Meldungbestätigt!«

Ich ließ langsam mein Besteck sinken. In derMesse war es plötzlich sehr still geworden. Ich sah zudem Mausbiber hinüber, der auf seinemhochbeinigen Spezialstuhl dicht neben Rhodan amTisch saß.

»Stimmt!« bestätigte er mit seiner zwitscherndenStimme. »Es hat sich gemeldet.«

»Und wie lautete die Nachricht?« erkundigte ichmich gedehnt Gucky war ungewohnt ernst, seingroßer Nagezahn wurde nicht für einen Augenblicksichtbar.

»Ihr habt Es nicht hören können. Die telepathischeMitteilung war selbst für mich kaum verständlich. Essagte. Es wolle sich für einige Tage seiner Zeitzurückziehen.«

»Seiner Zeit, guter Gott!« seufzte Bully. »Habt ihreine Ahnung, wie lange das dauern kann? Es lebtlänger als die Sonne, wie uns gesagt wurde. Wenn Esvon einigen Tagen spricht und vorsorglich hinzufügt,es handle sich um seine Zeit, so können wir beruhigtlosfliegen, um in frühestens fünfzig Jahrenwiederzukommen. Dann sind für seine Begriffevielleicht drei Minuten vergangen. Ich beginnelangsam zu verstehen, was der Begriff relativeigentlich bedeutet.«

Ich fühlte mich deprimiert. Meine Neugierdewürde auch diesmal unbefriedigt bleiben. Genaubetrachtet, handelte es sich eigentlich weniger um einunbedingtes Wissenwollen, als vielmehr um einedringende Notwendigkeit zur Beruhigung meinessensiblen Nervensystems.

Guckys große Augen zwangen mich in ihren Bann.Ich lächelte abwesend und gab ihm leise zuverstehen:

»Nicht, Kleiner, versuche es nicht. Ich bin nichtsuggestiv zu beeinflussen. Hat Es dir noch etwasgesagt oder aufgetragen?«

»Nur deshalb schaute ich dich an. Es sagte, dieRückkehr des Planeten aus der Zwischenzone hätteIhm Schwierigkeiten bereitet. Es hätte einen großenTeil seiner psychischen Masse verloren. UnserExperiment mit Bully hätte einen Teil der Kunstweltin die gleiche Dimension versetzt. So wäre Ihm dieRückkehr gelungen, aber er könnte sich vorerst nichtmehr melden. Verstehst du das?«

Ja, ich verstand ungefähr. Mit dem Begriff»psychische Masse« war das Geistesvolumen desKollektivwesens gemeint Wahrscheinlich hatte derschockartige Ausbruch eine Schwächung der hohenWillens- und Geisteskräfte verursacht die letztlich fürdie ungeheure Macht des Rätselhaften verantwortlichwaren.

Ich nickte einfach. Was hätte ich dazu noch sagensollen.

»War das alles?«Der Mausbiber sah unsicher zu John Marshall

hinüber. Er war der Chef des Mutantenkorps.»Sir, wir wissen sehr gut, daß Ihnen an einer

Aufklärung gelegen ist«, meinte der schlanke,blondhaarige Mann. »Soviel ich verstehen konnte,waren in der kurzen und von großer Erschöpfungzeugenden Nachricht keine besonderenInformationen für Sie enthalten, es sei denn, ein fürmich rätselhafter Satz wäre für Sie bestimmtgewesen.«

»Welcher Satz?« fragte ich erregt.Der Telepath verständigte sich wortlos mit dem

Mausbiber. Anschließend hörte ich den genauenWortlaut. Er war typisch für ein Lebewesen, von demwir lediglich wußten, daß es aus der unverständlichenBallung zahlloser Intelligenzen bestand. Marshallerklärte bedächtig:

»Das Geschenk des Robots war nicht ganzselbstlos, da auch meine Existenz vom Widerstandeines Mannes abhing, der die Waffe erfunden hatte.«

Als Marshall schwieg, glaubte ich in den festenBodenbelag der Messe versinken zu müssen.

Es hatte gewußt, daß ich auf eine Informationwartete. Trotz seiner anscheinend großenErschöpfung hatte Es nicht vergessen, einen Hinweisan die Telepathen aus Rhodans Korps zu geben.Perry schaute mich prüfend an. »Kannst du damitetwas anfangen?« Stromstöße schienen mein Gehirnzu martern. Ich fühlte, daß ich gegen die zwingendenImpulse meines Extrahirns nicht mehr längeraufbegehren konnte. Die Erinnerungen wurdenübermächtig. Es war, als befände ich mich plötzlichnicht mehr an Bord des terranischen Schlachtschiffes,sondern auf einem Erdteil, den es längst nicht mehrgab.

Übelkeit würgte in meiner Kehle, und mein Blickumflorte sich. Marshall hatte das Stichwort gegeben,das mein fotografisches Gedächtnis aktiviert hatte.

Ich griff haltsuchend umher, bis ich eine feste,starke Hand auf meinem Arm fühlte.

»Geht es wieder los?« fragte jemand besorgt.»Atlan, was ist? Wenn du berichten mußt, dann tuees. Was ist mit der Nachricht gemeint?«

»Mein Zellaktivator«, stöhnte ich, vonpulsierenden Kopfschmerzen geplagt. »Es hat mir dierelative Unsterblichkeit verliehen, um sich selbst zu

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schützen. Ich sehe nun klar. Ich habe die Erdeverteidigt; verteidigt mit allem, was mir nochgeblieben war. Für mich stand es damals schon fest,daß Terra zu einem Brennpunkt geworden war. Eswar gleichsam identisch mit einer kosmischenKonstellation, die eine vorübergehend stabileÜberlappung der beiden Zeitebenen brachte. Für Esmuß der Zustand enorm wichtig gewesen sein. Icherhielt das ewige Leben durch einen Zufall. Es istbeschämend.«

Rhodans Griff wurde fester. Mein Arm begann zuschmerzen.

»Berichte«, vernahm ich seine Stimme soschwach, als wäre er meilenweit entfernt. »Dich wirdes erlösen, und wir werden lernen können. Berichte,ich schalte um auf alle Abteilungen des Schiffes.«

Als ich den bewußten Widerstand gegen diedrängenden Impulse meines Extrahirns aufgab,vergingen die quälenden Kopfschmerzen sofort. Ichwar wie befreit von einem bedrückenden Bann, undmir war, als weite sich meine Schädeldecke aus.

Rhodans markantes Gesicht verschwamm. Esbildeten sich rötliche Ringe, aus denen sich langsamder weißhaarige Kopf des alten Tarts herausschälte.Er lächelte mir beruhigend zu, und da verging auchdas letzte Schmerzempfinden.

Mein bewußter Verstand war ausgeschaltetworden. Nun dachte und handelte ich nur noch unterdem Zwang meines Erinnerungssektors, in dem alldas aufgezeichnet und festgehalten war, was ichjemals erlebt hatte.

Ich berichtete in englischer Sprache, weshalb ichwieder darauf verzichtete, technische Daten,Offiziersränge sowie kosmonautische Entfernungs-und Zeitangaben in arkonidische Begriffe zu fassen.Sie wären für viele Männer der Besatzungunverständlich gewesen, da nur die führendenTerraner das Arkonidische beherrschten.

Es blieb sich auch gleich, ob ich einenSchiffskommandanten Erster Klasse nun Vereathoroder einfach »Kapitän« nannte.

Rhodans letzte Worte, die ich noch einigermaßenklar verstehen konnte, lauteten:

»Du solltest daran denken, uns zu sagen, wieso duüber die Hyperraumfahrt-Technik der Druuf so gutinformiert bist. Woher weißt du, daß sie nicht einfachtransistieren, sondern im Sinne des Wortes fliegen?Atlan, hörst du noch? Marshall, rufen Sie Dr.Sköldson. Er ist ja leichenblaß. Beeilen Sie sich.Atlan, was ist ...?«

Ich bemühte mich um ein beruhigendes Lächeln.Meine Blässe war ganz natürlich, da derBlutdurchfluß meiner Gesichtshaut bei dererwachenden Aktivität des Logiksektors stark gestörtwurde.

Ich begann zu berichten. Die Gegenwart wurde

nichtig. Für mein Extrahirn galt nur dieVergangenheit. Jemand kam auf mich zu. Es warInkar, Kommandant des Imperium-SchlachtkreuzersPAITO ...

4.

»... und so haben seine Erhabenheit, ImperatorGonozal VII. von Arkon beschlossen, das Systemvon Larsafs Stern als vorgeschobenenFlottenstützpunkt des Großen Imperiums zu erklären.Admiral Atlan, Chef desNebelsektor-Kreuzerverbandes. Kristallprinz ausseiner Erhabenheit Geschlecht der Gonozal, wirdhiermit gehalten und angewiesen, Larsafs Stern mitallen Mitteln zu verteidigen und dafür Sorge zutragen, daß dem nichtarkonidischen Gegner einEindringen in das System verwehrt wird. Fernererhält Admiral Atlan von seiner Erhabenheitpersönlich den Befehl, den Ausbau der jungenKolonie zu fördern und zu unterstützen, sofern diedort lebenden niederen Intelligenzen willig und dieKriegsereignisse nicht vorrangig zu bewerten sind.Gezeichnet Umtar, Chef Kolonisationsplanung desGroßen Rates von Arkon.«

Der blutjunge Kreuzerkommandant, eigentlich vielzu jung für eine solche militärische Rangstellung,ließ die Kunststoffolie sinken. Er hatte die von ihmüberbrachte Nachricht des Rates laut und deutlichvorgelesen.

Draußen, auf dem neuen Raumflughafen vonAtlantis, wurde der schnelle Kurierkreuzer MATONIbereits wieder startklar gemacht. Kapitän Ursaf hatteden Befehl erhalten, sofort nach Überbringung derBotschaft den Heimflug anzutreten.

Ich stand steif aufgerichtet hinter meinemArbeitstisch. Meine Kehle war wie ausgetrocknet.Die sprachlich verschnörkelten Befehle wieseneinwandfrei darauf hin, daß sie in denSchablonenbüros des Kristallplaneten ausgefertigtworden waren. Für mich war der Wortlaut wie einSchlag ins Gesicht.

Raumkapitän Tarts, mein altgewordenerLehrmeister und Kommandant desGeschwaderflaggschiffes TOSOMA, verriet seineMeinung durch ein maliziöses Lächeln.

»... sofern die dort lebenden Intelligenzen willigund die Kriegsereignisse nicht vorrangig zu bewertensind!« wiederholte er spöttisch. »Sonst hat man unsnichts zu sagen? Wo bleibt der längst angeforderteNachschub an kampfkräftigen Schiffen und Material?Was ist aus den Konverterkanonen geworden, derenKonstruktion Admiral Atlan erst durch dieBeschaffung der Pläne ermöglicht hat? Man scheintauf Arkon zu übersehen, daß das berühmteEinsatzgeschwader unter Atlan nur noch aus zwei

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Schiffen besteht und, daß an ein Eindringen dernichtarkonidischen Methans in das Larsafsystemüberhaupt nicht zu denken ist. Wir sind überdreißigtausend Lichtjahre von den Brennpunkten derAbwehrschlachten entfernt. Die Methans habenandere Dinge zu tun, als sich um dieses winzige,völlig unbekannte Sternchen zu kümmern, dessenPlaneten weder einen militärischen nochwirtschaftlichen Rang haben. Die Transportkostenliegen höher als der Wert der zu beförderndenWaren. Strategisch betrachtet ist die Errichtung einesFlottenstützpunktes sinnlos. Hier gibt es nichts zuerobern oder zu verteidigen. Ganz davon abgesehenfehlen uns die Mittel, den dritten Planeten undAtlantis als Reparaturhafen auszurüsten. Wir besitzenkaum genug Material, um die wenigen, nochverbliebenen Kolonisten mit den notwendigstenMaschinen zur Landbestellung versorgen zu können.Wie vereinbaren sich diese Tatsachen mit demschwülstigen Schreiben einiger Ratsmitglieder, dievon den hiesigen Verhältnissen keine Ahnung haben?Es scheint schlecht bestellt zu sein um das GroßeImperium.«

Ich unternahm nichts, um Tarts berechtigtenGrimm zu dämpfen. Es war in der Tat so, daß manuns auf Arkon abgeschrieben hatte. Wenn ich diesenjungen Kapitän Ursaf näher betrachtete, dann wurdemir klar, wie sehr sich die Verhältnisse imSternenreich geändert hatten.

Er gehörte bereits zur Kriegsgeneration. Erverkörperte den Typ des eilig herangezüchtetenKommandanten, von dem man hoffte, er würde dieersten Gefechte heil überstehen, um daraus die nochvöllig fehlenden Erfahrungen sammeln zu können.Laut Statistik kamen knapp acht Prozent dieser Leutedurch den ersten Feuerhagel. Andererseits konnte essich das Imperium nicht mehr leisten, Mannschaftenund Schiffsführer gewissenhaft auszubilden. Dazubenötigte man viel Zeit, und Zeit hatte man nichtmehr. Die ungeheuren Einbußen an Raumschiffenaller Typen konnte man durch die vollrobotisierteMammutproduktion der Vereinten Sonnensystemeschnell ersetzen. Die denkenden Wesen, die dieseFlottenneubauten ins Gefecht führen sollten, mußtenaber erst einmal geboren und nach der körperlichenund psychischen Reife unterrichtet werden.

Unsere Verluste mußten furchtbar sein. Der Krieggegen die nichtarkonidischen Methanatmer,monsterhafte Wesen aus den Tiefen der Milchstraße,hatte das Große Imperium bereits entscheidendgeschwächt.

Noch fünf Jahre zuvor hatte ich mit meinemKreuzerverband aktiv an der Abwehr teilgenommen.Schließlich hatte ich den Befehl erhalten, in einemwinzigen, zweiunddreißigtausend Lichtjahreentfernten Sonnensystem Ordnung zu schaffen. Ein

gewissenloser Verwaltungsbeamter war von mirabgesetzt und zum Zwecke der Aburteilung nachArkon geschickt worden.

Wenig später war ich erneut ins System vonLarsafs Stern beordert worden, da die Kolonisten aufPlanet Nummer II einen Hilferuf ausgesandt hatten.

Als ich ankam und meine kampferprobtenBesatzungen gegen einen unsichtbaren, unwirklichenGegner antreten mußten, hatte man imFlottenhauptquartier schon fast vergessen, daß ichüberhaupt noch existierte.

Früher wäre das nicht geschehen; aber nunmehrhatte man sich um wichtigere Dinge zu kümmern. Ichhatte den zweiten Planeten räumen lassen, als dortunsere Kolonisten einfach verschwanden. Wir hattenden Abwehrkampf aufgenommen und bisherverloren.

Unheimliche Lebewesen, die aber nichts mit denMethans zu tun hatten, nutzten ein gewaltigesNaturereignis für ihre Zwecke aus. Wir hatten imLaufe der Monate ermittelt, daß in diesemRaumsektor ein unwahrscheinlich seltener Vorgangablief. Zwei verschiedenartige Universen, das unsereund ein fremdes, begannen, einander an denRandzonen zu überlappen. Der Unterschied bestandin der Differenz der Zeitebenen; ein derartrelativistischer Vorgang, daß wir ihn rechnerischkaum erfassen konnten.

Ich hatte unsere Siedler nach Hause geschickt.Mein Kreuzerverband war vernichtet worden, undnun warteten wir auf die Entscheidung.

Ich ging langsam zu den großen, einfachenFenstern meines Arbeitszimmers hinüber und sah aufdie Hauptstadt von Atlantis hinunter. MeinLehrmeister Tart hatte den von uns besiedeltenKontinent nach mir benannt.

Ich versuchte, den bitteren Geschmack auf meinerZunge zu beseitigen. Es wollte mir nicht gelingen.Die anwesenden Offiziere meines Geschwadersschwiegen. Sie ahnten, wie es in mir aussah. DerKurier fühlte sich verpflichtet zu sagen:

»Erhabener, das Imperium kämpft um seineExistenz. Du wirst dir nicht vorstellen können, wasauf allen Planeten des Reiches geschieht. Die Flottewird zerschlagen. Wir werden bereits gezwungen,Kolonialvölker an Bord der Schiffe zu nehmen, wasden ohnehin mangelhaften Ausbildungsstand nichtsehr begünstigt. Mir wurde aufgetragen, dir mündlichzu berichten, daß die Abstellung der von dirangeforderten Kreuzer, Schlachtkreuzer undSchlachtschiffe unmöglich ist. Jede Einheit wird imNebelsektor dringend benötigt. Unter Umständenkönnten dir zehn Leichte Kreuzer bewilligt werden,jedoch müßtest du selbst die Besatzungen besorgen.Die geschulten Leute des Überführungskommandosmüßten sofort nach Arkon zurückgeschickt werden.«

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Ich drehte mich langsam um. Tarts faltiges Gesichtwar wie erstarrt. Inkar, der noch junge, hitzköpfigeKommandant des Schlachtkreuzers PAITO, hatteeine scharfe Antwort auf der Zunge. Ich winkte ab.

»Soll ich die Steinzeitbarbaren dieser Welt vor dieGeschützkontrollen setzen?« erkundigte ich michmüde und innerlich ausgelaugt. »Ich verfüge nochüber das Geschwaderflaggschiff TOSOMA und denSchlachtkreuzer PAITO! Beide Einheiten sind nurnoch bedingt gefechtsklar, da wir infolge derEreignisse gezwungen waren, einige Triebwerkeauszubauen. Wir haben sie in Waffen verwandelt, daunser Gegner mit normalen Kanonen nicht angreifbarist. Man sollte auf Arkon einsehen, daß es sich hierum ein Ineinandergreifen von zweiverschiedenartigen Zeitebenen handelt. Drüben gibtes auch Intelligenzen. Die von den Methans drohendeGefahr ist wirklichkeitsnahe und mit dem Verstandbegreifbar. Was in Larsafs Sektor geschieht, kannüber kurz oder lang die gesamte Milchstraßeerfassen. Die Naturgewalten sind auf der Seite derUnbekannten. In etwa vier Wochen hiesiger Zeit wirdPlanet Nummer drei in Opposition zu Nummer zweistehen. Dann befinden wir uns im Gebiet dersogenannten Überlappungszone. Ich habe Atlantis ineine Festung verwandeln lassen. Wir haben alleAussicht auf Erfolg, wenn wir Unterstützungerhalten.«

Der Kreuzerkapitän senkte den Kopf. Natürlichkonnte er dazu keine Stellung nehmen. Es warüberhaupt sinnlos, ihm meine Argumente zuunterbreiten. Er konnte bestimmt nichts an denTatsachen ändern.

Ich faßte einen Entschluß. »Du wirst sofort starten,Ursaf. Mein Bericht an den Imperator ist fertig. Duerhältst hiermit den Befehl, die Nachrichtausschließlich seiner Erhabenheit persönlichauszuhändigen. Ich bin nicht daran interessiert, dielebenswichtige Nachricht im Aktenschrank einesuntergeordneten Beamten verschwinden zu sehen.Falls ich in vierzehn Tagen Standardzeit keineAntwort von meinem ehrwürdigen Oheim persönlicherhalten habe, gebe ich die Kolonie Atlantis auf undkehre mit meinen beiden Schiffen ins Arkon-Systemzurück.«

Mein Rang war zu hoch und die Disziplin in derFlotte zu groß, als, daß Ursaf es gewagt hätte, michauf die Befehlsverweigerung hinzuweisen. Ich ahnteaber seine Gedanken.

Tarts rötliche Augen leuchteten düster. Er hattevollkommen verstanden. Natürlich würde ich Atlantisniemals aufgeben, aber hier schien nur noch einemassive Drohung zu helfen. Ursaf neigte den Kopfund legte die rechte Hand auf die Brust.

Von meinem Arbeitszimmer aus konnte ich dasweite Meer überblicken. Captain Fekif, unser

tüchtiger Ingenieur für koloniale Aufbauplanung,hatte meinen Administrationssitz an den Flanken desKüstengebirges erbauen lassen. Weit unter mir liefenrecht beachtliche Segelschiffe in den großen, von unsangelegten Hafen ein. Die Eingeborenen des drittenPlaneten waren dabei, eine eigene Zivilisation zuentwickeln.

Ich winkte den Kurier herbei und deutete mit derHand auf die ferne Szene.

»Es sollte dem Imperator berichtet werden, wieschade es wäre, auf die Früchte unserer Arbeit zuverzichten. Larsa, den zweiten Planeten, haben wirfluchtartig räumen müssen. Einschließlich meinerSchiffsbesatzungen befinden sich etwavierzehntausend Arkoniden auf diesem Kontinent.Ich habe alles getan, um der zu erwartendenKatastrophe begegnen zu können. Schickt mir dieangeforderten Raumschiffe und Waffen. In vierWochen ist der Fall erledigt. Anschließend werde ichdem Imperium mit einem kampfstarken Verband zurVerfügung stehen.«

Ursaf sagte wieder nichts. Trotz seiner Jugendschien er genau zu wissen, was auf dem fernenKristallplaneten gespielt wurde.

»Ich bin sogar bereit, dir deinen werftneuenKreuzer nicht abzunehmen«, fügte ich ironisch hinzu.Der Kurier lächelte unsicher, und der alte Tartsschnaubte überrascht durch die Nase.

»Die Idee!« sagte er begeistert. »Fragt sich nur,wie er zurückkommen soll.«

»Eben«, fiel Inkar unwirsch ein. »Es ist eineSchande! Wir liegen hier mit ausgeleiertenTriebwerken, unzureichenden Werftanlagen undeinem Haufen Schrott aus den Magazinen einergeräumten Kolonialwelt. Als man dort dieVersorgungslager auffüllte, hatte man wohl nichtdaran gedacht, auch die Einheiten der Flotte zuberücksichtigen. Wir sind gezwungen, notwendigeReparaturen unter schwierigsten Verhältnissenauszuführen. Erkläre das seiner Erhabenheit.«

Ursaf breitete ergeben die Hände aus. Es warzwecklos, ihn länger mit Anträgen und Vorwürfen zuüberhäufen.

Tarts üb erreichte ihm die schmale Rolle mit derBotschaft für meinen ehrwürdigen Oheim. Dabeiahnte ich, daß Ursaf wohl der letzte Soldat war, denArkon uns schickte.

Eine knappe Stunde später stand ich zusammenmit meinen Offizieren am Rande des großenRaumhafens und beobachtete den Start dernagelneuen MATONI. Sie gehörte zurHundert-Meter-Klasse und besaß eine Bewaffnung,die früher einem Schlachtkreuzer alle Ehre gemachthätte.

Dröhnend verschwand das Kugelschiff im blauen,wolkenlosen Himmel des dritten Planeten. Auf

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Atlantis würden wieder die Eingeborenen in die Kniesinken und singend die Hände nach oben strecken.Für sie waren wir Götter; aber es war sehr fraglich,ob diese Götter auch fähig sein würden, Atlantis zuverteidigen.

Ich sah mich im Kreise meiner Offiziere um. Alsdie Ankunft des Kuriers bekanntgeworden war, hatteich sie aus allen Teilen der Kolonie rufen lassen.

Ich war über ihre grenzenlose Enttäuschung zu gutinformiert, um sie nach ihrer Meinung fragen zumüssen. Es waren die alten, vertrauten Gesichter,obwohl schon viele meiner Gefährten fehlten.

Kommodore Cerbus, Führer meinesKreuzerverbandes, war bei der erstenAbwehrschlacht vor einem guten Jahr gefallen. Mitihm hatten mehr als vierzig andere Kommandantenund zehntausend hervorragende Spezialisten ihrLeben geopfert.

Welchen Sinn mochte es haben, dieses kleine,nach dem Entdecker Larsaf benannte Sonnensystemgegen einen unheimlichen Gegner zu verteidigen?Wir wußten nicht, mit wem wir es zu tun hatten.

Dann waren da noch andere Dinge, die uns mehrals verblüfft hätten. Kurz nach dem harten Gefechtauf dem zweiten Planeten war mir an Bord einesRobotschiffs ein eigroßes Gerät überreicht worden,das ich laut Anweisung immer auf der Brust undnahe meinem Herzen zu tragen hatte.

Woher das Robotraumschiff gekommen war, hatteich bis heute noch nicht erfahren. Angeblich sollteich durch die rätselhaften Reizimpulse dessogenannten »Zellaktivators« relativ unsterblichwerden. Ich glaubte nicht recht an die Mitteilungeneiner komplizierten Maschine, deren Erbauer sichlediglich in der Form eines lauten Gelächtersbemerkbar gemacht hatte. Dennoch trug ich denmetallischen Hohlbehälter auf der Brust. Ob ermeinen natürlichen Alterungsprozeß tatsächlichhemmte oder ganz aufhielt, hatte ich infolge derbisher vergangenen kurzen Zeitspanne noch nichtfeststellen können. Jedenfalls fühlte ich mich so jung,elastisch und frisch wie zuvor.

Mein rein persönliches Problem erschien mir auchnicht mehr so wichtig. Hier ging es um die Existenzvon vierzehntausend Arkoniden, einigen MillionenEingeborenen und um eine junge, aber wundervolleKolonie.

Atlantis war ein Inselkontinent von etwazweitausend Kilometern Länge. Das tropische Klimaund die reine Luft in den höheren Lagen behagte unssehr. Wir hatten hier im Zeitraum von vier Jahreneine Musterkolonie geschaffen und auch denbraunhäutigen Völkern auf den großen Kontinentenwestlich und östlich von Atlantis einige Fertigkeitenvermittelt. Inkar hatte ich als Chef des Westlandeseingesetzt. Wie er mir erheitert berichtet hatte, war er

von den dortigen Eingeborenen zu einer ArtGottkönig erhoben worden. Man nannte ihn einfachden »Inka« Und das Sonnensymbol meinerehrwürdigen Familie war als göttliches Zeichenerwählt worden.

Mehr als fünfhundert meiner Soldaten und Siedlerhatten während des vergangenen Jahres umHeiratsgenehmigungen nachgesucht. Ich hatte sie allebewilligt, da ich nicht einsah, daß meine Leute aufdiesem verlorenen Posten noch einsamer sein sollten,als es die Situation ohnehin erforderte.

Die Ehen schienen recht glücklich zu sein, obwohlmir Tarts immer wieder zu verstehen gab, daß icheigentlich einen Gesetzesbruch begangen hätte.Intelligenzwesen der Stufe B sollten sich nicht mitArkoniden vermischen. Ich hatte mich auf dieNotstandsgesetze berufen und dieEingeborenenfrauen eindringlich auf dieScheidungsklausel aufmerksam machen lassen. LautBeschluß des Kolonisationsamtes wurden Ehenzwischen Arkoniden und primitiven Kolonialfrauenrechtlich unwirksam, sobald die Gatten gezwungenwaren, den betreffenden Planeten zu verlassen.

Ich hoffte darauf, den unheimlichen Gegner ausden Tiefen einer anderen Zeitebene abwehren unddamit meinen Kolonisten die neue Heimat erhaltenzu können. In diesem Falle war eine Verschmelzungmit den arkonidenähnlichen Eingeborenen erlaubtund auch angebracht. Es wurden sowieso nurVerbindungen zwischen Arkoniden und weiblichenAngehörigen einer fremden Rasse geduldet Es lagdamit an unseren Männern ihre Frauen zu schulenund die eventuellen Nachkommen im Sinne unsererhochstehenden Kultur und Technik zu erziehen. Soentstanden neue Völker. Ich sah nicht ein, warum ichnicht großzügig sein sollte.

Wenn man einem kampferprobten Flottenadmiralschon eine ganze planetarische Verwaltungaufbürdete, so sollte man ihm auch die größtmöglicheEntscheidungsfreiheit zubilligen.

Ein lautes Heulen brachte mich in die Wirklichkeitzurück. Ein Sechzig-Meter-Beiboot desSchlachtschiffes TOSOMA setzte zur Landung an.

»Der ist wohl verrückt geworden!« rief Tartsfassungslos. Im nächsten Augenblick lag ichzusammen mit meinen Stabsoffizierendeckungsuchend auf dem Boden.

Ich wartete, bis die heiße Druckwelle über unshinweggefaucht war.

Als ich den Kopf erhob sah ich, daß das Schiffunsicher und torkelnd nach unten fiel, um schließlichdicht neben der gewaltigen Wandung der TOSOMAauf den Boden zu schlagen. Es war die TO-4, derenKommandant von mir den Befehl erhalten hatte,einen Erkundungsflug nahe der zweiten Planetenbahndurchzuführen.

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Drei der starken Landebeine waren beim Aufprallabgeknickt worden; ein Zeichen dafür, daß dieAntigravitationsanlage des Beibootes nicht mehr inOrdnung war. Es war auf dem eigenen Partikelstrahlnach alter Art gelandet worden, sofern man diesenBeinahe-Absturz überhaupt noch als Landungbezeichnen konnte. Die TO-4 lag knapp einenKilometer entfernt.

Wie benommen sah ich zu dem Ort des Unheilshinüber. Das Triebwerkssingen einesbodengebundenen Prallschirmgleiters machte michwieder munter.

Tarts und Inkar saßen schon in dem offenenFahrzeug. Ich erhob mich wortlos und sprang überdie Türverkleidung hinweg. Unser Fahrer handeltesofort. Noch ehe wir ein Wort sprechen konnten,rasten wir bereits über das flache Hafengeländehinweg.

Tarts Gesicht war verkniffen. Als wir schließlichdas riesige, an den Rändern blasig aufgewellteSchußloch im stabilen Rumpf des Schiffesgewahrten, wußten wir, weshalb die Besatzung eineso verrückte Landung vorgenommen hatte. Aus derunteren Materialschleuse der achthundert Meterdurchmessenden TOSOMA quollen bereits diestählernen Leiber der Bergungsroboter hervor. ImInnern des Beibootes schien es zu brennen. Dieschwarzen, fettigen Qualmwolken deuteten daraufhin.

Als wir hielten, sagte Inkar ausdruckslos:»Ein Thermaltreff er, gar keine Frage! Wer, beim

Großen Imperium, hat das Schiff so zugerichtet?«Ich rannte schon zur schrägliegenden Zelle

hinüber. Flinke Roboter drangen durch diegeöffneten Schleusen ein. Trotzdem dauerte es nocheinige Minuten, bis sie mit den ersten Überlebendenerschienen. Die TO-4 hatte eine Besatzung vonfünfzehn Mann.

Wir warteten schweigend, bis die Maschinen ihreArbeit getan hatten. Die Feuerlöschanlagen derTOSOMA wurden ebenfalls eingesetzt. Der Brandim zweiten Kraftwerksraum des Schiffes wurdeerstickt Von der Besatzung waren nur elf Männergeborgen worden. Drei davon waren tot und dieanderen fast alle verwundet.

Ich wartete, bis mir der Chefarzt der TOSOMA einZeichen gab. Leutnant Kehene, Kommandant desBeibootes, hatte schwere Verbrennungen erlitten,aber nun fühlte er keine Schmerzen mehr. EinPlasmabad würde seine Verbrennungen bald heilen.Ich konnte es riskieren, ihn kurz zu befragen.

Ich kniete neben der Bahre nieder und ließ meinenhinderlichen Schulterumhang zu Boden gleiten. Ichhatte schon oft vor derart zugerichteten Männerngestanden. Im Zeitalter der Energiewaffen gehörtenVerbrennungen aller Art zu den weitaus

überwiegenden Verwundungen.»TO-4 vom Patrouillenflug zurück, Erhabener«,

sagte Kehene schwer atmend. »Über dem zweitenPlaneten lag wieder eine energetische Relativfront.Ich hielt mich im vorgeschriebenenSicherheitsabstand und beobachtete nur. Die andereZeitebene hatte diesmal eine Geschwindigkeit vonfast fünfzig Kilometern pro Sekunde, also wesentlichschneller, als wir es gewohnt waren. Ich maß dieeinzelnen Zonen an, und da kam plötzlich das Lochim freien Raum.«

Ein Arzt verabreichte Kehene eine zweiteschmerzstillende Injektion. Der Kunststoff derUniform hatte sich mit der verbrannten Hautverbunden. Ich war überrascht. Ein Loch im freienRaum ...?

»Es war so, Erhabener«, bekräftigte der jungeKommandant. »Es sah aus wie ein riesiger Trichter,dessen Öffnung sich mehr und mehr erweiterte. Esgeschah mit etwa zehn Prozent der einfachenLichtgeschwindigkeit. Wo die Ausdehnung geschah,verschwanden die Sterne. Sie wurden von einemtiefroten, hier und da indigofarbenen Leuchtenüberdeckt. Unsere Schockwellen-Meßgeräteregistrierten kurze Strukturerschütterungen, und dannwaren sie plötzlich da.«

»Wer?« fragte Tarts laut. Sein Atem ging heftig.»Vier unbekannte Raumschiffe von langer,

walzenförmiger Bauart. Die Energieortung zeichneteImpulstriebwerke auf. Wir bekamen klareHyperechos, was mir bewies, daß es sich diesmalnicht um schattenhafte, körperlose Gebilde handelte.Die vier Einheiten kamen aus jener Trichteröffnunghervor, die wir beobachtet hatten. Ich zog mich sofortmit Vollschub zurück, aber sie hatten den höherenFahrtüberschuß. Sie waren halb lichtschnell, ichstand praktisch fahrtlos auf Beobachtungsposition.Sie eröffneten das Feuer mit Thermokanonen, dieähnlich wie unsere Impulsstrahler wirkten. Ich flogdie Ausweichmanöver nach denTrefferwahrscheinlichkeits-Berechnungen derEnergieortungs-Positronik. Dreimal konnte ich demSalvenfeuer ausweichen, doch dann haben sie michim Winkelverfahren mitten in der Manöverkurveerwischt. Die TO-4 erhielt einen schweren Treffer inder Ringwulstzone. Antigrav und Funkanlage fielenaus, desgleichen Triebwerk drei und eins. Ich wärenicht mehr entkommen, wenn sich die drei restlichenEinheiten nicht plötzlich in die Trichteröffnungzurückgezogen hätten. Als ich abflog, verging dieErscheinung schon wieder. Heimflug und Landungwaren hart. Erhabener. Die Hälfte meiner Besatzungist gefallen.«

Kehene schloß die Augen. Kurz darauf wurde er indie Bordklinik der TOSOMA gebracht. Wir sahenden medizinischen Robots nach, bis sie mit dem

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Verwundeten in der Bodenschleuse desSchlachtschiffes verschwunden waren.

Der technische Stab des Flaggschiffes befand sichbereits in dem Wrack, das das für uns so kostbareBeiboot jetzt darstellte. Die TOSOMA hatte nur vierdavon an Bord gehabt. Die TO-4 war das letzte, nochintakte Schiff gewesen.

Ich erinnerte mich an den genialen Physiker undMathematiker Grün, den ich vor Jahresfrist mit denunerhört wichtigen Unterlagen über eine neuartigeWaffe nach Hause geschickt hatte. Er war bereitsdamals der Meinung gewesen, über kurz oder langmüsse eine zeitweilige Stabilisierung und konstantbleibende Überlappung der randzonalenZeitzonen-Felder erfolgen.

Ich brauchte nicht mehr auf die Techniker zuwarten, da ich mir sehr gut vorstellen konnte, was siein den Meßgeräten des Kleinraumschiffes findenwürden. Es war das eingetreten, was Grün erwartethatte. Eben aus diesem Grunde hatte ich Verstärkungangefordert.

Wenn es dem Gegner von nun an möglich war,ohne besondere technische Hilfsmittel in unserUniversum einzudringen, konnte es recht gut zueinem ganz normalen Gefecht kommen. MeineTOSOMA gehörte zu den älteren Einheiten ihrerKlasse. Sie hatte während der Ereignisse imNebelsektor schon mehr Treffer erhalten, als einRaumschiff eigentlich vertragen konnte.

Inkars Schlachtkreuzer war ein Flottenneubau. Ergehörte zur großen Fünfhundert-Meterklasse aus derFusuf-Serie. Mit den beiden Schiffen hätte ich ganzeVölker besiegen können, vorausgesetzt, sie standennicht oberhalb der Intelligenzstufe G.

Nun aber hatte ich mit den kläglichen Überresteneines ehemals stolzen Geschwaders einen Gegnergefunden, dessen Raumfahrttechnik einigePhänomene aufwies. Ich war Hochenergie-Ingenieur.Demnach konnte ich mir vorstellen, was die vonLeutnant Kehene beobachteten Erscheinungen zubedeuten hatten. Wenn fremde Raumschiffe ohnegewaltige Strukturerschütterungen aus demüberdimensionalen Hyperraum kamen, dannbeherrschten ihre Erbauer eine wesentlich einfachereÜberlichtflugtechnik als wir. Es kam aber noch aufdie Auswertung der TO-4-Daten an.

Tarts baute sich vor mir auf. In seinem alten, faltiggewordenen Gesicht zuckte kein Muskel.

»Besondere Anweisungen, Erhabener?«»Für dich bin ich nach wie vor Atlan, Freund«,

sagte ich abwesend. Anschließend musterte ichmeine Stabsoffiziere. Sie waren alle da, und allehatten sie das gewisse Funkeln in den Augen.

Weiter links stand die mächtige PAITO auf ihrenturmstarken Landebeinen. Es war wie ein Wunder,daß mir ausgerechnet die beiden stärksten Einheiten

meines Einsatzverbandes geblieben waren. VonArkon war keine Hilfe zu erwarten. Also galt es,rechtzeitig etwas zu unternehmen. Meinekampferfahrenen Offiziere warteten auf Befehle.

Mein Blick fiel auf Kosol, den neuen Chef dermathematischen Abteilung. Neben ihm gewahrte ichCaptain Feltif, den Kolonisationsplaner. Er hatte dieacht Abwehrstellungen auf Atlantis geschaffen. Dieaus den abgewrackten Kreuzern TITSINA undVOLOP stammenden Triebwerke waren alsfünfdimensionale Impulswaffen-Strahler stationäreingebaut worden.

Auf den großen Kontinenten östlich und westlichvon Atlantis waren von erfahrenen Spezialistensteinerne Burgen, pyramidenförmige Silos undsonstige Notquartiere erstellt worden. Wir hatten vor,die intelligenten Eingeborenen der äquatorialen Zonebei einem Angriff zu evakuieren.

Luftfahrzeuge standen bereit, um die Besatzungender Geschützstellungen notfalls aus dem erwartetenÜberlappungsgebiet bringen zu können. Für diearkonidischen Siedler auf Atlantis war eineunterseeische Kuppel errichtet worden. Notfallskonnten wir darin zehntausend Kolonisten kurzfristigunterbringen. Auf dem zweiten Planeten von LarsafsStern hatte es sich gezeigt, daß Fische und andereWasserbewohner nicht von der Relativfront erfaßtworden waren, sofern sie sich in größeren Tiefenaufgehalten hatten. Für uns war es eine wertvolleEntdeckung gewesen.

Alle Vorbereitungen waren jedoch für den Falleines normalen Durchgangs der Wellenfrontgetroffen worden. Wenn es dem unbekannten Gegnernunmehr gelingen sollte, einfach in unseren Raumeinzudringen, sah die Situation wesentlich schlechteraus. Dann ging es hart auf hart.

Ich schaute nochmals an der blasig aufgewelltenund teilweise angeschmolzenen Bordwand desBeibootes hinauf. Dann wendete ich mich an dieWartenden.

»Alarmbereitschaft für TOSOMA und PAITO,Kommandanten an Bord. Wir fliegen bewaffneteAufklärung nahe der Larsa-Bahn. Feltif, deineBodenkommandos in die Feuerstellungen schicken,Impulskanonen auf Leerlaufwerte schalten. Tarts,einen Funkspruch an Seine Erhabenheit absetzen.Wortlaut folgt noch. Die Eingeborenen sind zuevakuieren. Die Familien müssen leider getrenntwerden, sofern die arkonidischen Ehegatten zu denSchiffs- oder Geschützbesatzungen gehören.«

Ich musterte Inkar aus den Augenwinkeln. Ersollte glücklich verheiratet sein. Der jungeKommandant sah starr geradeaus. Ich wußte, daßmeine Befehle hart waren. »Die Arkon-Kolonistensind anzuweisen, alle Vorbereitungen für eine Fluchtin abgelegene Landgebiete zu treffen. Das

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Hauptquartier wird ab sofort in die unterseeischeDruckkuppel verlegt, die vom Ingenieurteamklarzumachen ist.«

Ich sah auf die Uhr. Es war kurz nach derMittagsstunde. Über dem weiten Raumhafen standdie gelbweiße Sonne des Systems im Zenit. Es wareine schöne, arkonähnliche Welt mit allen Aussichtenauf eine prächtige Entwicklung. Ich war in diesenAugenblicken entschlossen, den dritten Planeten mitallen Mitteln zu verteidigen.

»Start in einer Stunde«, ordnete ich an. »DieMeßergebnisse von der TO-4 sind mir sofortvorzulegen.«

Ich erhob grüßend die Hand. Die Offiziere neigtenschweigend die Köpfe. Es war alles gesagt worden,was in diesen Augenblicken überhaupt zu sagen war.

Tarts, gleichzeitig Chef des Stabes, schritt nebenmir auf den Wagen zu. Die hohe Gestalt des altenMannes wirkte wie ein Symbol der Festigkeit undStärke. Seitdem er eine biologische Verjüngungskurerhalten hatte, war sein Gang wieder frischer undelastischer geworden.

Als ich das Fahrzeug besteigen wollte, sagte erunvermittelt:

»Unsere Chance liegt in einem sehr schnellen undmit aller Härte geführten Angriff, Atlan! Wenn wirwarten, bis sie aus dem Überlappungstrichterhervorkommen, sind wir verloren. NormalenZeitwellenfronten hätten wir infolge derengeringfügiger Geschwindigkeit leicht ausweichenkönnen.«

»Ich weiß!« bestätigte ich leise. »Deshalb derStartbefehl. Ich befürchte nur, daß beide Effektezusammentreffen. Auf alle Fälle müssen dieunersetzlichen Schiffe tief im Raum stehen, wenn esbei der Opposition zum zweiten Planeten zurÜberlappung kommen sollte. Mich interessierenvorerst die Meßergebnisse vom Beiboot. Warten wirab.«

Als wir losfuhren, wußten wir, daß wir derEntscheidung entgegengingen. Ich war entschlossen,auf Biegen oder Brechen durch denStabilisierungs-Trichter vorzustoßen, um drüben mitvernichtender Wucht anzugreifen.

Vor uns wuchsen die prächtigen Gebäude deratlantischen Hauptstadt Atlopolis auf. Sie warEinkaufs- und Kulturzentrum für unsereweitverstreuten Kolonisten, die praktisch dengesamten Kontinent besiedelt hatten.

Unsere Begleitfahrzeuge schufen mit schrillendenLärmpfeifen freie Bahn. Die in bunte, handgewebteStoffe gekleideten Eingeborenen sankenehrfurchtsvoll in die Knie. Es war mir peinlich, dievon Natur aus intelligenten Leute dieser Welt in einerderart devoten Haltung zu sehen.

Tarts und die Männer des

Kolonisationskommandos hielten jedoch einegewisse Verherrlichung unserer Personen fürerforderlich.

Zu meiner Überraschung meinte der alteKommandant grollend:

»Wir sollten versuchen, die intelligenten Männerdieses Volkes durch schnelle Hypnoseschulungenauszubilden. Es wird sich dabei erweisen, ob ihrGeistesvolumen für eine Erfassung unserer Technikbereits ausreichend ist!«

Ich nickte ihm ironisch zu. Mein alter Eisenfresserschien allmählich friedfertig zu werden. Sonst hatteTarts zu jenen Arkoniden gehört, die bei einerLandung auf fremden Welten erst einmal dieKanonen schußbereit machten, ehe sie Guten Tagsagten.

»Es ist bereits veranlaßt worden«, entgegnete ich.»Ach ...!«

Ich amüsierte mich über Tarts verblüfftes Gesicht.Als wir die breite Serpentinenstraße zu meinemAdministrationspalast hochfuhren, bemerkte ich, daßer die in den Pflanzungen arbeitenden Eingeborenensehr aufmerksam musterte. Die hochgewachsenen,braunhäutigen Wesen waren körperlich stark undflink. Ob ihre Gehirne ebenso vortrefflich entwickeltwaren, würden die ersten Versuche mit den strenggeheimen Hypnose-Schnellschulungsgerätenverraten.

Auf dem bereits fernen Raumflughafen begann eszu donnern. Die Triebwerke der gewaltigenTOSOMA erzeugten einen feurigen Kranzhocherhitzter Luftmassen. Wenn ich zehn Schiffedieser Klasse besessen hätte, wäre mir wohlergewesen.

Vierzig Minuten später wurden mir überBildsprechfunk die von Leutnant Kehene besorgtenMeßdaten übermittelt. Die Bordpositronik desFlaggschiffes hatte schnell und zuverlässiggearbeitet.

Kosol, der neue Chefmathematiker, war am Gerät.»Ein natürlicher Vorgang, Erhabener, der sich

vielleicht alle fünf Milliarden Jahre einmalwiederholt. Die beiden Zeitebenen streben nach einergegenseitigen Stabilisierung, was eine energetischeEntladung aus dem höher belastetenDimensionsvolumen bedingt. Die Ausfalltrichter sindidentisch mit labilen Energiefeldern von sehr großerAusdehnung. Durch sie wird eine Angleichung derdifferierenden Feldströme erreicht. Sie dienenpraktisch als Übergangsleiter. Es ist denkbar, daß dieUnbekannten die Tatsachen mathematisch erfaßt undfür ihre Zwecke ausgewertet haben. Das schnelleVorstoßen der vier Raumschiffe beweist, daß manden richtigen Augenblick genau erkannt hatte.Desgleichen scheint man gewußt zu haben, wann esZeit für die Rückkehr war.«

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»Und die weiteren Aussichten?« fragte ichgrimmig.

»Für uns schlecht, Erhabener. In etwa vierzehnTagen wird das Stadium der totalen Auffüllungerreicht sein. Wir können damit rechnen, daß der bisjetzt noch labile Zustand für einige Wochen oder garMonate eine konstante Zustandsform annimmt.«

Mehr hatte Kosol nicht zu berichten. Ich bedanktemich und schaltete ab. Tarts stand grübelnd an dengroßen Aussichtsfenstern meines Arbeitszimmers.Wir waren allein.

»Wir haben zwei Möglichkeiten«, sagte erbedächtig. »Wenn wir sofort fliehen, wird diese Weltvon einem atomaren Inferno verschont bleiben, aberdie hiesigen Lebewesen dürften spurlosverschwinden. Damit ist die natürliche Entwicklungunterbrochen. Wenn wir aber Widerstand leisten,kann es gutgehen! Es kann, wohlgemerkt! UnterUmständen wird sich Nummer drei in einen Glutofenverwandeln.«

Er sah mich nachdenklich an, als ich ruhigentgegnete:

»Das waren meine Überlegungen, Alter! Ich lassees darauf ankommen. Selbst wenn die Hälfte dieserWelt zerstört wird, bleibt noch genug Lebensraum,um die hiesigen Intelligenzen vor dem Untergang zuretten. Wir werden aber versuchen, den Gegnerabzudrängen.«

Tarts sagte nichts mehr. Seine breite Hand knallteauf die linke Brustseite. Steif, den mit denPlanetensymbolen geschmücktenKommandantenfunkhelm unter den Arm geklemmt,schritt er auf die Tür zu.

Zwanzig Minuten später meldete er von Bord derTOSOMA aus die Startbereitschaft desGeschwaderflaggschiffes.

Als ich meinen Regierungssitz verließ, dröhntebereits die PAITO in den strahlend blauen,wolkenlosen Himmel über Atlantis. Unten, im großenNaturhafen des Inselkontinentes, holten dieeingeborenen Fischer und Händler schleunigst diebunten Segel ihrer Holzschiffe ein. Sie wußten austrüben Erfahrungen, wie verheerend die Druckwellenaufsteigender Großraumschiffe wirken konnten.

In der Bodenschleuse der TOSOMA wurde ich mitdem ehrwürdigen Flottenzeremoniell empfangen.Tarts legte großen Wert auf Formen. Drei Minutenspäter wurden die Impulskonverter der fünfzehnResttriebwerke vorsichtig ausgefahren. Wir startetenmit der Geräuschentwicklung ausbrechenderVulkane.

Vor uns öffnete sich der freie Raum. Der drittePlanet fiel zurück und wurde gleich darauf zu einemschimmernden Ball.

Durch den Umbau von drei Triebwerkseinheitenzu überdimensionierten Waffenstrahlern benötigten

wir nunmehr fast dreizehn Minuten zur Erreichungder einfachen Lichtgeschwindigkeit. Damit war diealte TOSOMA nicht mehr das, was man von ihr beieiner modernen Raumkriegsführung erwarten konnte.Wir nahmen direkten Kurs auf Larsa, den zweitenPlaneten des Systems. Die junge Dschungelweltsollte nicht nur von allem menschlichen Leben,sondern auch von einem Großteil des tierischenLebens entblößt sein, war mir berichtet worden. Beiden zahlreichen Durchgängen der Relativfrontenwaren die Wesen in die andere Zeitebene gezerrtworden. Wir waren nicht daran interessiert, aufLarsaf III ähnliche Vorgänge zu erleben.

5.

Es war alles anders gekommen, als ich es mirvorgestellt hatte. Jene energetischenEntladungsgebilde, die der Mathematiker Kosol»Ausfalltrichter« genannt hatte, warenunberechenbar. Wenn eine solche Erscheinungauftrat, wußten wir niemals genau, wie lange sie nunanhalten würde.

Unsere Bordpositronik gehörte zu den besten undmodernsten Recheneinheiten des Großen Imperiums.Trotzdem war es nicht gelungen, bestimmteIntervalle festzustellen, oder auch nurAnnäherungswerte für die Beständigkeit derAusfall-Energiefelder zu ermitteln.

Uns fehlten die Beobachtungsergebnisse übereinen längeren Zeitraum hinweg, aus denen wireinigermaßen genaue Grunddaten hätten ableitenkönnen.

Mit der gewohnten, vierdimensionalenMathematik kamen wir überhaupt nicht weiter. Eineproportionale Steigerung im Quadrat dernäherkommenden Totalüberlappung ließ sich auf derProgrammierungstastatur der Positronik leichtdurchführen, nur stimmten die Resultate mit derWirklichkeit niemals überein.

Dann hatten wir versucht, mit demHyperrechensektor des Computers zum Ziel zukommen. Dabei hatten wir derart verrückteErgebnisse erhalten, daß es sinnlos war, überhauptnochmals darüber zu diskutieren.

Letztlich hatten wir erkannt, daß es sich bei denAusfalltrichtern um eine Art von Blitzentladungenhandelte, die jedoch ganz anders abliefen und völligverschiedenartigen Gesetzen unterlagen.

Wir hatten es nicht mit fünfdimensionalenFeldeinheiten zu tun, sondern mit solchen aufnormaluniverseller Basis. Die schwankendenFaktoren konnten nur identisch sein mit einerrelativistischen, von uns nicht erfaßbarenZeitverschiebung, die im Zuge einerAuffüllungsangleichung mehr und mehr einen labilen

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Charakter annahm.Der unbekannte Gegner kannte sich natürlich mit

den für uns rätselhaften Gesetzen seinerExistenzebene besser aus als wir.

Nachdem wir acht Tage im Raum gestanden undlediglich beobachtet hatten, waren seine Raumschiffeein zweites Mal aus dem seltsamen Entspannungsfeldhervorgebrochen.

Ich hatte im letzten Augenblick aufFeindseligkeiten verzichtet. Wir waren weit genugentfernt gewesen, um uns dem Feuer derUnbekannten nicht aussetzen zu müssen.

Immerhin hatten wir aus diesem Vorgang einebedeutsame Lehre gezogen!

Wenn fremde Schiffe so plötzlich auftauchten,kam es praktisch niemals zu Strukturerschütterungen,wie sie bei unserer Überlichtflugtechnik ganzzwangsläufig auftraten. Meine mathematischeAbteilung hatte errechnet, daß die Unbekannten imSinne des Wortes die fünfte Dimension durchflogen.Das war ein ganz wesentlicher Unterschied zu dervon uns ausgeübten Sprungmethode odersogenannten Transition. Zweitens waren dieerkannten Raumschiffe niemals schneller als fünfzigProzent Licht gewesen, obwohl unsere Energieortungauswies, daß ihre Triebwerke mit Höchstleistunggelaufen waren.

Drittens stand es nun fest, daß die Rätselhaften nurdann kamen, wenn ein Ausfalltrichter für denZeitraum von wenigstens drei Stunden in sich stabilblieb!

Das war wahrscheinlich die wichtigsteEntdeckung, die wir überhaupt gemacht hatten. DerGegner wußte also ganz genau, wann er sich einemsolchen Energiegebilde anvertrauen durfte und wannnicht!

Wir hatten innerhalb von acht Tagen recht guteErfahrungen gewonnen. Der Feind konnteanscheinend in unserem Raum nur die halbeLichtgeschwindigkeit erreichen. Außerdem besaß ereine lineare Hyperflugtechnik, und die Lebensdauerder Trichterkraftfelder konnte er auch berechnen.

Das waren drei Grundwerte, auf denen wiraufbauen konnten. Wenn ich eine arkonidische Flottezur Verfügung gehabt hätte, wäre der Spuk in einigenTagen erledigt gewesen. Ich hätte es riskiert, einigerobotgesteuerte Schlachtschiffe durch den erstbestenEntladungskanal zu schicken. Dann hätte es sich jagezeigt, wie unsere Waffen auf der anderen Seitewirken!

*

Seit dem Alarmstart waren elf Tage Atlantiszeitvergangen. Ich stand mit meinen beiden Einheitennur zehn Millionen Kilometer vom zweiten Planeten

entfernt. Die vorzüglichen Vergrößerungsschaltungenunserer Fernaufnahme erlaubten einen klaren Blickdurch die dichte Wolkendecke der Dschungelwelt.

Da unten gab es fast kein animalisches Lebenmehr.

Das unter meiner Regentschaft fertiggestellteComputersystem auf Larsaf II schien aber in keinerWeise gestört worden zu sein. SeineHyperfunkberichte liefen prompt auf Anruf ein. DieMeßergebnisse sagten uns aber nichts Neues. DieFestungsforts, die ich zum Schutze des großenSystems hatte erbauen lassen, waren noch keineinziges Mal in Tätigkeit getreten.

»Mangels Masse!« hatte Tarts grimmig gesagt, alser davon erfahren hatte.

Bisher war der dritte Planet von den eigenartigenErscheinungen verschont geblieben. Nun abernäherten sich die Welten zwei und drei von Tag zuTag. Die Vollopposition stand bevor. Damit mußtenwir zumindest von Ausläufern der Zeitwand erfaßtwerden.

Ich sah nachdenklich auf die riesigen Bildschirmeder Panoramagalerie. Die PAITO war knapp hundertKilometer entfernt. Wir konnten uns noch gut überNormalfunk verständigen. Unsere Fahrt belief sichauf nur zehntausend Kilometer pro Sekunde, jedochwaren die Manöverstationen desMaschinenleitstandes mit Doppelposten besetzt.

Wir warteten auf das Erscheinen des nächstenAusfalltrichters. Mein Plan stand fest. Wenn wirwieder gegnerische Einheiten orten sollten, würdenwir mit einer schnellen Kurztransition an den Randdes Entladungsfeldes springen und mit einemÜberraschungsvorstoß eindringen. Dabei durften wiruns keinesfalls länger als eine Stunde Standardzeit imNebenraum aufhalten. Unsere Vermutung, daß nachdem Absterben des Trichters eine Rückkehrunmöglich sein würde, war begründet. DieUnbekannten schienen den gleichen Schwierigkeitenzu unterliegen, da auch sie direkt fluchtartig den Kurswechselten, sobald die Zeitgrenze erreicht war.

Sehnsüchtig blickte ich auf jenes ferne, kaumerkennbare Lichtpünktchen, das in Wirklichkeit einenganzen Sternhaufen verkörpert. Dort lag Arkon,unsere Heimat. Dort wurde erbittert um die Existenzdes arkonidischen Volkes und um die des GroßenImperiums gerungen. Wir hatten keine Nachrichtenmehr erhalten. Mein Funkspruch war unbeantwortetgeblieben. Einen Nachschub an Schiffen undReparaturmaterial hatte ich innerlich längstabgeschrieben. Sobald die Sache mit denUnbekannten geklärt war, wollte ich mich demFlottenkommando wieder zur Verfügung stellen.Voraussetzung dafür war, daß ich wenigstens eingroßes Raumschiff behielt. Verluste konnte ich nichtmehr riskieren, oder die Rückkehr war uns für immer

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verwehrt.Ich wollte soeben mit Tarts die einzelnen

Möglichkeiten besprechen, als der diensthabendeFunkoffizier die Zentrale betrat. Er hielt einenFolienstreifen mit entschlüsselten Zahlengruppen inder Hand.

Captain Masal machte schweigend dieEhrenbezeugung.

»Neue Schwierigkeiten, Erhabener«, sagte erstockend. »Nachricht von Feltif. Die Kolonistenweigern sich, ihre Farmen zu verlassen. Siebegründen ihre Befehlsverweigerung mit derTatsache, daß sie der zivilrechtlichen Gesetzgebungdes Kolonisationsamtes unterstehen, nicht aber einemFlottenadmiral. Weiterhin teilt Feltif mit, daß unsereSiedler Vorsorge getroffen haben, um im Falle einesAngriffes die zahlenmäßig schwach besetztenGeschützstände zu verstärken.«

Ich schloß die Augen und holte tief Luft. Das hatteich kommen sehen! Die Leute waren Arkonidenzweiten Grades. Sie stammten vom Planeten ZakrebV, der ehemals von echten Arkoniden besiedeltworden war. Deren Nachkommen hatten erneutauswandern müssen, da die Kolonialwelt schonwieder überbevölkert war.

»Sie weigern sich, die unterseeische Druckkuppelaufzusuchen?« fragte Tarts fassungslos.

- »Jawohl. Sie haben eine tiefe Abscheu vor demWasser und den ungenügenden Platzverhältnissen.«

Ich griff nach dem entzifferten Funkspruch. DerWortlaut war klar. Ich hatte bei der Befehlserteilungübersehen, daß die Siedler von einer trockenen,wenig wasserreichen Welt stammten.Kolonial-psychologisch betrachtet war es falschgewesen, ihnen die Unterseekuppel als Fluchtortzuzuweisen. »Willst du das dulden?« Ich musterteTarts mit gebotener Kühle. Diese Entscheidungmußte er schon mir überlassen.

»Soll ich die Zakreber gewaltsam unter denMeeresspiegel treiben? Wenn ja womit sollte ich estun? Mit den Männern unserer Schiffsbesatzungen,oder durch die dreihundert Soldaten in denBodenstellungen?«

Der Kommandant preßte die Lippen zusammen.Zorn schimmerte in seinen Augen. Für Tarts wardiese Weigerung identisch mit Hochverrat. Erbedachte dabei unseren akuten Personalmangel nicht.

Die alte TOSOMA benötigte infolge einer nochmangelhaften Automatisierung dreitausendBesatzungsmitglieder. Die moderne PAITO kambereits mit sechshundert Spezialisten aus. Der Restmeiner Soldaten befand sich in den atlantischenStellungen. Es war sinnlos, die starrköpfigenKolonisten bezwingen zu wollen.

Ich wandte mich an Captain Masal. »Funkspruchan Feltif, Flottenkode A-13-BQ verwenden,

Raffersendung. Die Siedler sind darauf hinzuweisen,daß im Falle eines Angriffes eine Evakuierung nichtmehr möglich ist. Im Zuge meiner lebenswichtigenAufgaben, die letztlich darin bestehen, eine ganzeWelt vor dem Untergang zu bewahren, kann eineHilfeleistung nicht mehr gewährt werden. Ich stelleden Kolonisten frei, nach Belieben zu handeln,erkläre jedoch, für kommende Ereignisse keineVerantwortung zu übernehmen.«

Minuten später wurde der Rafferimpulsabgestrahlt. Captain Feltif bestätigte. Kurz daraufkam die Mitteilung an, der Vertrauensrat der Farmerhätte meinen Entschluß mit größter Befriedigungakzeptiert.

»Ich übergab den betreffenden Funkspruch demErsten Offizier des Schlachtschiffes. Mein Lächelnmochte den Männern etwas rätselhaft erscheinen,abheften und zusätzlich in der Speicherpositronikverankern. Unter Umständen wird man uns späterfragen, wieso zehntausend zakrebische Siedlerumkommen konnten.«

»Bauern!« sagte Tarts mit aller Verachtung, derener fähig war. »Dummdreiste, tölpelhafte,überhebliche Bauern mit einem geistigen Horizont,der gerade bis zum nächsten Atomtraktor reicht, densie obendrein noch vom Staat haben wollen.«

Damit war für den alten Kapitän der Fallabgeschlossen. Ich war davon überzeugt, daß Tartsnotfalls keinen Finger rühren würde, um den Siedlernzu helfen. Ich dagegen hatte weder Lust noch Zeit,mich mit internen Problemen zu beschäftigen.

Die Eingeborenen von Larsaf III verhielten sich dawesentlich klüger. Es mochte jedoch in ihrerPrimitivität liegen, meine Anweisungen alsunumgängliche Fügung anzusehen. Das konnte vielevon ihnen retten, vielleicht alle. Ich mochte sie gutleiden, diese hohen, kraftvollen Gestalten mit dersamtenen Haut und dem ruhigen, niemalsaufrührerischen Gebaren. Ich konnte mich nichterinnern, mit einem unterentwickelten Kolonialvolkjemals so gut ausgekommen zu sein wie mit denAtlantern. Einmal würden sie groß und bedeutendsein. Es war nicht meine Aufgabe, der natürlichenEntwicklung vorzugreifen; aber es lag wohl an mir,die Heimat dieser Geschöpfe zu schützen.

Ich ließ mir die betreffenden Artikel aus demKolonisationsgesetz vom Ersten Offizier vorlegen.Danach war ich sogar verpflichtet, einem sich willigunterordnenden Volk den Schutz des Imperiums zugewähren.

Im Verlauf dieser Gedankengänge entschloß ichmich noch, die unbekannten Gegner ganz offiziellund getreu nach Vorschrift mit meinem Vorhabenvertraut zu machen.

Masal erschien in der riesigen Zentrale. Ichdiktierte ihm die Kriegserklärung nach dem Wortlaut

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des Artikel XVI, Band zwei derNotstandsgesetzgebung für außerhalb derImperiumsgrenzen operierende Flottenbefehlshaber.

Ich ließ den offenen Spruch in Abständen von zehnMinuten senden. Als der nächste Ausfalltrichter ineiner Entfernung von nur fünf Millionen Kilometernerkennbar wurde, ließ ich die gleiche Mitteilungdurch die Richtstrahler der TOSOMA ins Zentrumder klaffenden Entladungszone eindringen. Mehrkonnte ich nicht tun. Außerdem war der Angriff aufKehenes Beiboot durchaus als kriegerische Handlungzu bewerten.

Das Entladungsfeld verschwand bereits nachvierzehn Minuten. Es gehörte zu den instabilen oderkurzfristigen Phänomenen, deren Lebensdauer wirmit dem besten Willen nicht berechnen konnten.

Ich sah auf die Uhr und überlegte, ob ich die volleGefechtsbereitschaft nicht für eine Stunde aufhebensolle. Meine Leute waren überanstrengt und teilweisevöllig ermattet.

Da geschah das, womit ich nicht gerechnet hatte.Ein zweiter Entladungstrichter wurde knapp fünfMinuten nach dem Verschwinden der erstenErscheinung sichtbar.

Trotz der damit verbundenen Gefahr war ichfasziniert. Das Gebilde entstand mitten im scheinbarleeren Raum, und doch mußte das dünne Ende dortbeginnen, wo die Überlappung durch das andereUniversum stattfand.

Der Trichter war lang und schmal; wenigstens sahes so aus. Unsere sofort anlaufenden Messungenbewiesen, daß der Trichter an seiner stärkstenVerjüngung immerhin noch runde sechs MillionenKilometer durchmaß.

Er wurde deutlicher erkennbar, je mehr er aus deranderen Ebene mit Energie aufgeladen wurde. Obenwölbte er sich auf. Dort durchmaß die Öffnung mehrals dreißig Millionen Kilometer. Durch sein rötlichesLeuchten hob sich der Trichter klar und deutlichgegen die Schwärze des interstellaren Raumes ab.Irgendwie schien er doch stofflich zu sein, da er diefernen Sterne verdeckte und deren Lichtscheinaufsaugte oder reflektierte.

Die Öffnung wies in einem Winkel von 43,7 Gradauf uns.

Schweigend blickten wir auf die schwärzliche,gelegentlich von roten und indigofarbenenLeuchterscheinungen überdeckte Öffnung. Sekundenspäter begannen die Alarmpfeifen zu schrillen, ichfuhr zusammen.

Die mit den Materietastern synchron laufendenBildschirme der zentralen Ortung zeigten siebengrünlich schimmernde Pünktchen. Eineaufleuchtende Diagrammkurve gab gleichzeitigAuskunft über die stoffliche Zusammensetzung derausgemachten Objekte.

Zehn Sekunden später wußten wir, daß wir es mitRaumschiffen des Angreifers zu tun hatten.Nochmals zehn Sekunden danach war unsereBeobachtungsfahrt von den auf Vollschub laufendenTriebwerken aufgehoben worden.

Ich hieb auf den Schalter für den Vollalarm. Alsdie Sirenen zu heulen begannen, wußten diedreitausend Männer an Bord der TOSOMA, daß derlängst besprochene und pausenlos exerzierte Einsatzgekommen war.

Wenn die Unbekannten diesmal gleich siebenEinheiten in unseren Raum schickten, handelte essich garantiert um einen stabilen Entladungstrichter.

Von da an arbeiteten die Automaten. Ich lauschteauf das Dröhnen der Triebwerke, beobachtete dieaufzuckenden Kontrollampen der Waffenschaltungenund überprüfte die Energiewerte der unterHöchstbelastung laufenden Andruckabsorber.

Da wir drei Triebwerkseinheiten nicht mehr zumAntrieb verwenden konnten, ordnete ich für dierestlichen fünfzehn Einheiten Notleistung an. DieTanks für das Stützmassen-Medium waren aufAtlantis aufgefüllt worden. Wir verwendetenWismut, was auf Larsaf III reichlich zu finden war.So erreichten wir trotzdem eine Fahrtbeschleunigungvon 500 km/sec im unterrelativistischenGeschwindigkeitsbereich.

Die Randzone des Trichters war knapp neunzehnMillionen Kilometer entfernt. Zwei Minuten nach derersten Ortung lag die Blitzberechnung derSprungautomatik für eine Kurztransition vor.

Ich gab den Impuls, als wir von den fremdenSchiffen endlich geortet wurden. Wir registrierten dieaufprallenden Hyperwellen, die als Echo in dieEmpfänger zurückkehren mußten.

Offensichtlich arbeitete der Gegner nach einemanderen, sehr unzureichenden Verfahren, oder es lagan einem relativistisch-physikalischen Effekt, den dieVerschiebung der Eigenzeit mit sich brachte. Wirhatten jedenfalls augenblicklich unsere Ortunggehabt. Die Fremden erfuhren jetzt erst, daß es inunmittelbarer Nähe zwei Großkampfschiffe gab,deren Abwehr- und Offensivwaffen in gar keinemVerhältnis zu denen des kleinen Beibootes standen.

»... und danken dem Imperator, was er unsbescheret hat!« hörte ich Tarts die Formel sprechen.In der Flotte war es uralte Tradition, daß dieKommandanten kurz vor Beginn eines Gefechtesdiese Worte in die Eigenverständigung riefen. Manmachte es feierlich und möglichst wohltönend. Eshätte etwas gefehlt, wenn Tarts geschwiegen hätte.

Als die Hyperpositronik den von mir eingeleitetenSprungimpuls gab, hatten wir zweiundachtzigProzent der einfachen Lichtgeschwindigkeit erreicht.Die PAITO hatte infolge ihrer höherenBeschleunigungswerte auf zwanzigtausend Kilometer

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aufgeschlossen.Dann kam der kurze Entmaterialisierungsschmerz

der Transition. Sie war nur sehr kurz. DieBegleiterscheinungen beachteten wir kaum. Ich hörtenoch das eigenartig winselnde Geräusch derStrukturfeld-Generatoren. Dann umflorten sich meineSinne.

6.

An meinem Kommandosessel wurde heftiggerüttelt. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis ichwieder klar bei Sinnen war. Ein Schalterdruckbrachte die automatische Vibrationsanlage zumStillstand.

In der Zentrale der TOSOMA schienen hundertheftige Gewitter auf einmal ausgebrochen zu sein.Die Waffen der Grün-Breitseite feuerten in einematemberaubend schnellen Rhythmus. Natürlich wares die justierte Feuerleitpositronik, die viel schnellerals wir die Ziele aufgefaßt und den Salventakteröffnet hatte.

Als ich wieder klar sehen konnte, bemerkte ich,daß wir mitten in den Haufen hineingesprungenwaren. Die sieben Feindeinheiten waren völligüberrascht worden.

Ehe ich noch meine Anweisungen in dieMikrophone rufen konnte, hatte die Ü-Batterie derGrünseite bereits das Wirkungsschießen eröffnet. Diemeterstarken, sonnenheißen Energiestrahlen konnteich infolge des fehlenden Mediums im luftleerenRaum nicht sehen. Wohl aber hörte ich das Läutender überlichtschnellen Energieortung, die einengewaltigen Ausbruch in nächster Nähe meldete.Sekunden später kam das Licht an.

Auf den Bildschirmen der Panoramagalerieleuchteten gleichzeitig zwei Atomsonnen auf. Ausden Pünktchen wurden handgroße Bälle und aus denBällen blähten sich mammuthafte, blauweißstrahlende Glutkugeln auf.

»Abschuß Ziel eins. Abschuß Ziel 4, Totalverlust«,meldete die blecherne Automatenstimme desFeuerleitrobots.

Ich sah an den leuchtenden Anzeigen, daß dieWaffenkuppeln umgeschwenkt wurden. Wir feuertenmit allem, was wir im Schiff hatten. Unter dermolekülzerstörenden Wirkung derDesintegratorgeschütze löste sich ein weiteresFeindschiff in fluoreszierenden Staub auf. DieseErscheinung war nur auf den Tasterschirmen alsReliefabdruck zu sehen.

Tarts hatte auf Manuellkontrolle umgeschaltet. Esging alles so schnell, daß es der Verstand kaumerfassen konnte.

Wir rasten durch die Formation des Gegnershindurch, und vor uns öffnete sich der Schlund des

rötlich leuchtenden Trichters. Wir kamen gar nichtmehr dazu, noch weitere Schiffe zu bekämpfen.Unsere Kurse waren gegensätzlich, weshalb dasganze Gefecht nur wenige Augenblicke dauernkonnte.

Ich bemerkte noch zwei weitere Explosionen, dieanscheinend von den Geschützen der dichtauffolgenden PAITO erzeugt worden waren. Demnachhatte der Gegner bei einem einzigen, blitzartigenFeuerüberfall fünf Einheiten von insgesamt siebenverloren.

Mir wurde bewußt, daß die Unbekannten derarkonidischen Gefechtserfahrung grenzenlosunterlegen waren. Natürlich würden sie lernen, wiealle unsere Gegner mehr oder weniger schnell gelernthatten.

Die Abschußortung sprach an. Wir vernahmen einkurzes Knallen, das vom tiefen Donnern unserer nachwie vor auf Vollschub laufenden Triebwerke fastübertönt wurde. Die Meßgeräte zeigten an, daßunsere dreifach gestaffelten Schutzschirme voneinem Thermostrahl getroffen worden waren. DasErgebnis war ausgesprochen kläglich. Mit solchenWaffen konnte man gegen ein Großkampfschiff vomRange der TOSOMA nicht ankommen.

»Hoho, hoho!« lachte Tarts dröhnend. »Sie habenmiserable Schutzschirme und noch schlechtereAngriffswaffen. Ich ...!«

Ein fürchterliches Heulen übertönte seinebegeisterten Worte. Wir waren in dashineingeschossen, was Kosol ein Entladungsfeldnannte. In unseren magnetischen,hypergravitorischen und gravomechanischenAbwehrfeldern ringsum der Kugelzelle begann es zuflammen. Wir konnten es deutlich auf denBildschirmen der Normaloptik sehen; ein Zeichendafür, daß es draußen feinstverteilte Materie gab.

Das Kreischen steigerte sich, je näher wir derminimalen Trichterverengung kamen. Die separatenKraftwerke der TOSOMA liefen mit höchsterKapazität. Die Automatik schaltete alle nichtlebenswichtigen Nebenanlagen ab.

Auf den Bildschirmen sah ich nur noch wallendesRot. Es war ein Wagnis ohnegleichen, mit nahezulichtschneller Fahrt in dieses unheimliche Gebildevorzustoßen. Von den beiden restlichenFeindschiffen war längst nichts mehr zu bemerken.Wahrscheinlich befanden sie sich jetzt imBremsmanöver. Den Kommandanten mochte derSchreck noch in den Gliedern sitzen, vorausgesetzt,sie besaßen überhaupt Glieder!

Die Meldungen aus den einzelnen Abteilungenüberstürzten sich. Tarts saß dicht neben mir imKommandantensessel. Seine Lippen bewegten sich,aber ich verstand kein Wort.

Das Kreischen hielt an. In den Schutzschirmen

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kam es zu ungeheuren Entladungen, die den Rumpfder TOSOMA bis in die letzte Schweißnahterschütterten.

Die Automatik der Raumanzüge kippte dieDruckhelme über unsere Köpfe und ließ diegepolsterten Geräuschdämpfer über die Ohrenklappen. Zugleich schaltete sich dieFunksprechverbindung ein.

Ich dachte bereits, mit diesem Vorstoß ins Nichtszuviel riskiert zu haben, als das Tosen plötzlichaufhörte. Das Lohen in den Schutzschirmenverschwand fast augenblicklich, und vor uns standeine große, tiefrote Sonne im Raum.

Es war, als wären wir nach einer Transition naheeines fremden Systems aus dem Hyperraumgekommen; aber der Eindruck täuschte. Ich vermißtesofort die tiefe Schwärze unseres eigenenUniversums. Hier schien alles in diesenschwärzlichroten Schimmer gehüllt zu sein. DieSternkonstellationen waren vollkommen fremd, undunsere lichtschnelle Fahrt schien in dieser Zeitebeneetwas Ungeheuerliches zu sein.

Wir flogen viel schneller auf die rote Sonne zu, alses eigentlich hätte sein dürfen.

Ich hörte Tarts Befehle. Es war seine Aufgabe, dasSchlachtschiff aus der Gefahrenzone zu bringen.Unsere Materietaster zeigten drei Planeten innächster Nähe an. Die Auswertung geschah soschnell, wie ich es sogar bei unserer vorzüglichenPositronik noch nie erlebt hatte.

Das Arbeitsgeräusch unserer Triebwerke steigertesich ins Maßlose. Ich wußte, daß Tarts die letztenReserven eingesetzt hatte. Wir flogen dasAusweichmanöver mit den Plasmanachbrennern, dienochmals achtzigtausend Tonnen Schub erzielten.

Hinter uns kam die PAITO herangeschossen. Ichsah, daß sie ebenfalls mit Höchstwerten aus demgefährlichen Kurs gerissen wurde. Als wir das roteGestirn passierten, erfolgten wieder die heftigenEntladungen in unseren weitgefächertenAußenschirmen. Dann waren wir vorbei.

Die Hyperfunkverbindung mit der PAITO gelangso schnell, daß ich plötzlich wußte, daß die Theorieüber die verschiedenen Ebenen stimmte. Wir hattendurch unser gewagtes Manöver etwas mitgenommen,was man eigentlich nur als relativistische Meßeinheitbewerten konnte: nämlich unsere stabile Eigenzeit.

Nach unseren Erfahrungen waren wir damit umsDoppelte schneller als alles, was in diesem fremdenUniversum gültig war.

Weit voraus tauchte ein ebenfalls rötlichleuchtender Planet auf. Unsere Fahrt war so hoch,daß ich glaubte, plötzlich mit tausendfacherLichtgeschwindigkeit zu fliegen.

Damit war der Zeitpunkt des Handelns gekommen.Die Auswertung lief. Die Welt mit der dichten

Lufthülle war ein Sauerstoffplanet. Seltsamerweisehandelte es sich um Nummer drei des unbekanntenSystems. Es war wie eine Parallele zu unsereneigenen Verhältnissen.

Ich ließ nochmals die offizielle Kriegserklärungüber Richtstrahler senden. Dann kamen wir schon sonahe am zweiten Planeten vorbei, daß wir erneutAusweichmanöver fliegen mußten.

Die PAITO unter Kapitän Inkar schloß noch weiterauf. Ich konnte ihn klar und deutlich auf denBildschirmen der Funkverbindung sehen. Tartsblickte mich auffordernd an. Sein faltiges Gesichtwar hart und der Mund verkniffen.

Ich ergriff das Mikrophon der Sammelschaltung.»Verbandschef an alle: Energieanmessung des vor

uns liegenden Planeten Nummer drei beweist, daß esdort Raumschiffsstützpunkte, riesige Kraftwerke undandere, impulsstrahlende Einrichtungen geben muß.Ich nehme an, daß es sich bei dieser Welt um einensorgfältig ausgebauten Stützpunkt des Gegnershandelt, der sich somit vorbereitet hat, von günstigerPosition aus seine Angriffe zu fliegen, sobald es zuden von ihm berechenbarenEntladungserscheinungen kommt. Wir greifen annach Plan Nebelsektor, alle Waffen sind einzusetzen.Zweimaliger Zielflug, PAITO von Pol zu Pol,TOSOMA nördlich und südlich der Äquatorlinie.Anschließend mit Höchstbeschleunigung abdrehen,sammeln bei Eintauchsektor und separat denTrichtereingang durchfliegen. Keiner wartet auf denanderen. Wenigstens ein Schiff muß durchkommen.Im Normalraum keine Kampfhandlungen mehr,sondern direkt Larsaf III anfliegen und Verteidigunggegen durchbrechende Feindeinheiten vorbereiten.Mit einer Verfolgung ist zu rechnen. Bestätigung ...«

Die Kommandanten hatten verstanden. Es gabkeine Fragen mehr. Der Plan Nebelsektor sah einenjener verheerenden Blitzangriffe vor, wie wir sieviele Male geführt hatten.

In dieser Hinsicht war die arkonidische Erfahrungbestenfalls von den Methanatmern zu erreichen,niemals aber von Unbekannten, die leichtfertig ganzePlaneten entvölkert und ohne vorherige Warnungunser Beiboot TO-4 zum Wrack geschossen hatten.

Es lag auch nicht in der Mentalität undGesetzgebung meiner ehrwürdigen Zivilisation, insolchen Fällen lange zu zögern. Wir hatten währendeiner fünftausendjährigen galaktischen Politikerkannt, daß der Angriff die beste Verteidigung ist,ein Grundsatz, den viele Völker nach uns selbständigermittelten und auch befolgten. Ich war entschlossen,dieser Gefahr Herr zu werden oder den Fremdenwenigstens die Zähne zu zeigen.

Drei Minuten später schalteten wir um aufBremsbeschleunigung. Wir kamen mit einer Fahrt an,die es sogar uns unmöglich gemacht hätte, ein

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bestimmtes Ziel maßgerecht zu treffen.Für mich als Flottenchef gab es zur persönlichen

Information zahlreiche Kontrollgeräte, die michdirekt und ohne Zutun der jeweiligen Abteilungsleiterüber die getroffenen Maßnahmen orientierten. So sahund hörte ich, daß der Waffenleitoffizier Eseka dieGravowerfer für unsere gefährlichstenAngriffseinheiten ausfahren ließ. Arkonbombenwurden mit selbstlenkenden, lichtschnell werdendenGeschossen ins Ziel gebracht. Der hochenergetischeAbschußimpuls wurde mit einerAnfangsgeschwindigkeit von zehntausendKilometern pro Sekunde gegeben.

Die Ladung hatte die Eigenschaft, einenunlöschbaren Atombrand hervorzurufen, der sich aufElemente über der Ordnungszahl 10 auswirkte. Wirselbst kannten keine ausreichende Methode, einenderart entfachten Brand aufzuhalten.

Die neuartigen Gravitationsbomben wagte ich indiesem instabil erscheinenden Universum nichteinzusetzen, da die Grbs normalerweise alsfünfdimensionale Energiewaffe anzusehen waren.

Als wir uns auf den vorgeschriebenen Bahnen demPlaneten näherten, orteten wir mehr als hundertgrößere Körper, die ganz offensichtlich imAlarmstart in den Raum vorstoßen wollten.

Ich ergriff wieder das Sammelmikrophon.»Verbandschef an alle: Feindliche Einheiten

starten zum Abfangflug. Trotzdem alle verfügbareEnergie auf die Bug-Prallschirme zur Abstoßung derLuftmoleküle richten. Robotgesteuertes Dauerfeuer,Breitfächerung mit Wirkungsentfaltung von fünfKilotonnen TNT pro Quadratkilometer. Fertig ...?Los denn!«

Wir machten nicht sehr viel Worte bei solchenUnternehmen. Meine Männer waren zu sehraufeinander eingespielt, als, daß langfristigeErklärungen notwendig gewesen wären.

Die PAITO verschwand hinter derPlanetenrundung. Wir stießen mit dem riesigenFlaggschiff durch einen kleineren Verband kaumerkennbarer Raumschiffe hindurch, und schonbegann das fürchterliche Heulen der gewaltsamverdrängten Luftmassen.

Wir hielten uns in den obersten Grenzbezirken derAtmosphäre. Aus dem Rechenzentrum kam dieNachricht durch, daß wir mit unserer nur nochgeringfügigen Fahrt immer noch doppelt so schnellseien, als es die Relativ-Höchstgeschwindigkeitdieser Zeitebene überhaupt zuließ.

Die damit verbundenen Effekte waren mir imAugenblick vollkommen gleichgültig. Trotz derdicken Ohrenschützer wurde mein Gehör gepeinigt.Die Zelle der TOSOMA läutete wie eine riesigeGlocke. Dann begannen die Automatwaffenintermittierend zu feuern. Die Vollpositronik

ermittelte an Hand der Eigengeschwindigkeit undEntfernung zum Zielobjekt die Schußintervalle, dieerfahrungsgemäß an den Wirkungsrändern ineinanderverschmolzen.

Wir sahen nicht genau, was unten passierte. Wirhatten genug damit zu tun, das weit oberhalb derFluchtgeschwindigkeit stehende Raumschiff mitgrößter Triebwerksgewalt auf der Angriffskreisbahnzu halten, da die ungeheuren, durch unsere Fahrtentstehenden Zentrifugalkräfte naturgemäß bestrebtwaren, uns gradlinig in den Raum zu reißen.

Tarts ließ die Energiestationen der unbrauchbaren,weil in Feuerlee liegenden Geschütztürme zusätzlichauf den frontalen Abstoßschirm richten. Vor unseremBug flammte die Atmosphäre trotz der extremniedrigen Dichte in heller Weißglut.

Wir umkreisten den Planeten in knapp fünfeinhalbMinuten. Die Korrekturmanöver wurden gefährlich.Lange konnten die überbeanspruchten Maschinendiese Belastung nicht mehr aushalten.

Als wir den Anfangspunkt des ersten Umlaufeswieder erreichten, wobei wir um zehn Grad nachNorden auswichen, bemerkte ich auf denBodenbildschirmen nur noch verglühendeLandschaften und gigantische Atompilze, die vonoffenbar explodierten Spaltungs- oderVerschmelzungsmaterialien erzeugt wurden.Vielleicht waren es auch die langen, dunklenWalzenschiffe des Gegners, die da erfaßt wordenwaren.

Nach dem zweiten taktischen Zielüberflug ließ ichdie TOSOMA abdrehen. Major Eseka hatteinsgesamt zehn Arkonbomben abgeschossen, die alleplanmäßig in verschiedenen Zielgebieteneingeschlagen waren und dort gezündet hatten.

Das fürchterliche Grollen der Impuls- undDesintegratorwaffen verstummte endlich. Dafür kamwieder das laute, gleichmäßige Tosen der Triebwerkeund Stromreaktoren durch. Die Zelle desSchlachtschiffes schwang noch immer nach. Wirkonnten es nicht riskieren, die Geräuschdämpferabzustreifen.

»Wo ist die PAITO?« schrie ich erregt in dieRundfunkanlage.

»Kommt eben hinter der nördlichen Polrundunghervor. Erhabener. Feuert noch einmal auf Distanz,nimmt Fahrt auf, schießt jetzt mit Thermalkanonennach Rotsektor vertikal. Nadlerverteilung,anscheinend sind kleine Einheiten ausgemachtworden. Feuer wird eingestellt, nur nochKorpuskelwellen-Ortung der Triebwerke. Maschinenlaut Abgabe-Auswertung unbeschädigt, Ende.«

Ich atmete auf und sah mich nach Tarts um. DerKommandant meines Flaggschiffes lächelte mich an.Über Funk hörte ich seine tiefe Stimme:

»Die werden nicht noch einmal harmlose Siedler

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entführen und Patrouillenschiffe lahmschießen! BeiArkon: Mit wem haben wir es eigentlich zu tun? Sinddas Geister, Roboter oder was sonst? Weshalbbenutzen sie ein Naturereignis für ihre schmutzigenZwecke? Auch wenn du mir nicht die Erlaubnisgibst, werde ich mit der TOSOMA im Gewaltflugnach Arkon gehen um dort eine Einsatzflotte zubesorgen. Irgendwie werde ich es schaffen.«

»Wenn die Methans nicht wären, ja«, antworteteich müde und von Selbstvorwürfen gequält. Hatte ichrichtig gehandelt? Wer waren die Unbekannten?

Vor uns tauchte wieder der Schlund desAusfalltrichters auf. Wir stießen mit lichtschnellerFahrt hinein, doch kam es diesmal zu unseremgrößten Erstaunen nicht zu den vorher beobachtetenEffekten. Nur war mir, als würden wir vonunsichtbaren Kräften im Vorankommen gehemmtwerden. Es war, als drängen wir in eine weiche, nurwiderwillig nachgebende Masse ein. Schon kam dieMeldung aus dem Maschinenleitstand:

»Fahrt sinkt trotz Vollschub mit 123 km/sec proSekunde, Wert bleibt konstant. Anfrage: SollStützmasse eingespritzt werden?«

Ich ordnete es sofort an, wohl wissend, wie sehrich unsere Maschinen damit strapazierte. Hinter unskam der Schlachtkreuzer PAITO herangeschossen.Inkar hatte sich aber noch nicht gemeldet.

Es schien Ewigkeiten zu dauern, bis wir wiederaus dem Trichter entlassen wurden. Als ich micheben aufatmend an Tarts wenden wollte, gelangte ausdem Ortungsraum die Meldung an:

»Entladungsfeld ist verschwunden. KeineEnergieschwankungen mehr.«

Die nüchterne Mitteilung ließ mich erblassen.Tarts Augen waren weit aufgerissen. Kosols Gesichtglänzte weißlich auf dem Verbindungsschirm. Ichsah, daß er hastig auf die Uhr blickte.

»Laut Eigenzeit waren wir knapp fünfundsechzigMinuten drüben«, sagte er verstört.

»Laut Eigenzeit«! Der Begriff drohte mein Gehirnzu zersprengen. Wieso konnte das Feld schon wiedererloschen sein? Wir wußten, daß es wenigstens fürdrei Stunden stabil blieb. Hatten wir eine derberüchtigten Dilatationen erlebt; eineBezugspunktgebundene Zeitverschiebung? Warenunsere fünfundsechzig Minuten für andereLebewesen vielleicht fünfundsechzig Tage gewesen,oder ebenso viele Wochen?

Ich kletterte langsam aus dem hochlehnigen Sesselund ergriff bebend das Mikrophon.

»Masal, rufe Atlantis an, schnell, rufe Feltif an. Ichmuß wissen, was dort ...«

Ich brauchte nicht weiterzusprechen. Der Notrufunter Flottenkode KRA-Q-Z lief ein. Es war einAutomatenspruch, offen und unverschlüsselt.

»Captain Feltif an Verbandschef. Wir sind

verloren. Fünf Geschützstellungen sind vernichtetworden, dazu kommt eine Überlappungsfront vonhoher Dichte. Die Hälfte der Kolonisten ist bereitsaufgesaugt worden. Wir ziehen uns mit denEingeborenen in die Urwälder und Gebirge zurück.Etwa hundert Feindschiffe greifen laufend an. DieAchsenstabilität des Planeten schwankt. Es sieht soaus, als brächte die Zeitfront sehr starkeGravitationsfelder mit, die Larsaf III in seinerNeigung zur Rotationsachse verändern. Captain Feltifspricht. Wo bleibt ihr? Ich rufe seit neun Tagen.Arkon antwortet nicht Ende der Durchsage, wirwiederholen in drei Minuten, wir wiederholen in dreiMinuten.«

Jedermann hörte die Nachricht. Ich stand da, alshätte man mich mit flüssiger Luft übergossen. TartsGesicht glich dem eines steinernen Standbildes.

»Angreifen, sofort, egal was kommt«, hörte ichmich sagen.

7.

Wir hatten eine Kurztransition riskiert, doch alswir aus dem Hyperraum aufgetaucht waren, hattenwir uns mitten in einem Pulk von etwahundertfünfzig feindlichen Großkampfschiffenbefunden.

Keines davon erreichte die Größe der TOSOMA,und nur zwei waren erkannt worden, die demSchlachtkreuzer PAITO unter Umständen die Stirnbieten konnten.

Trotzdem war unser Kampf vom erstenAugenblick an zum Scheitern verdammt gewesen.Wir waren nicht mehr zu uns gekommen. Nach denersten Durchschlagstreffern hatten die Schutzschirmeder PAITO nachgegeben. Es gehörte zu denkonstruktiven Eigenarten der Schlachtkreuzertypen,daß sie zwar sehr schnell und auch stark bewaffnetwaren, aber diese platzbeanspruchendenEinrichtungen gingen auf Kosten derDefensivschirme. Das vorgeschriebene Rüstgewichtbei einem Gravo Arkonwert konnte nichtüberschritten werden, und wenn die Kugelzelleneinmal mit allen möglichen Geräten und Maschinenvollgestopft waren, dann ging einfach nichts mehrhinein.

Vor einer Sekunde war die stolze PAITO unterKapitän Inkar im Feuerhagel von zirka sechzigfeindlichen Schiffen explodiert. Die Energienentsprachen der einer Miniatursonne. Ich wußte, daßdie Maschinen- und Reaktorladungen in denReaktionsprozeß getreten waren. Es waren etwafünfzig Milliarden Tonnen TNT freigeworden.

Das Unheil war nahe der Mondbahn geschehen.Die sonnenheiße Gaskugel breitete sich so rasch aus,daß noch die obersten Luftschichten des dritten

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Planeten davon erfaßt wurden.Ich stand über der derzeitigen Nachthalbkugel

unserer Kolonialwelt. Der fast ultrablaue Energieballwölbte sich in all seiner Mächtigkeit über demdunklen Planetenhorizont auf und ließ es unvermitteltTag werden.

In unseren Schutzschirmen tobten ungeheuerlicheGewalten. Ich war sicher, daß Inkars Untergangwenigstens fünfzig bis siebzig Schiffe des Feindesmit ins Verderben gerissen hatte. Die Unbekanntenwußten noch nicht, was bei der Detonation einesarkonidischen Großkampfschiffes geschah. Sielernten aber schnell! Die TOSOMA, die eben nochim Kreuzfeuer von etwa achtzig Einheiten gelegenhatte, wurde plötzlich freigegeben. Die anderenhatten eine bittere Lehre erhalten. Sie zogen sichfluchtartig zurück, um aus einer Entfernung von etwadrei Millionen Kilometern das Wirkungsfeuer erneutzu eröffnen.

Sie hatten sich sehr gut eingeschossen, dieseGeheimnisvollen aus der zweiten Zeitebene. MeineAusweichmanöver waren tollkühn. Ich hatte dieAutomatik stillgelegt, um das schwere Schiff durchwillkürliche Handschaltungen aus den Kreuzbahnenzu reißen.

Es war sinnlos! Schon fünf Minuten nach derersten Feindberührung hatten drei Thermoschüsseunsere überlasteten Schutzschirme durchschlagen. ImEnergieraum vier war ein Brand ausgebrochen. Sechsder fünfzehn noch verwendungsfähigen Triebwerkewaren ausgefallen. Die Panzerung der TOSOMAhatte von da an fast schutzlos alles auffangenmüssen, was man uns von drüben schickte.

Jetzt standen wir dicht vor dem Ende. UnsereManöver waren schwerfällig und leicht berechenbargeworden. Unseren Fahrtüberschuß hatten wirverloren, da auch Arkoniden nicht einwandfreischießen können, wenn ihre Schiffe nahezulichtschnell sind.

Der Gegner hatte seine Fahrt beibehalten. Wirbesaßen keinen besonderen Vorteil mehr. DieAtomorkane aus den Geschützkuppeln der TOSOMAhatten laut P-Meldung vierunddreißig Fremdobjektevernichtet. Es waren aber immer noch genug da, umuns den Garaus machen zu können.

Zur Zeit stürzte die schwer angeschossene und invier großen Abteilungen lichterloh brennendeTOSOMA auf die Oberfläche des Planeten zu. Kurzvor der Schnelltransition hatte ich den Befehl erteilt,die normalen Raumanzüge gegen arkonidischeEinsatzkombinationen zu vertauschen. Mit diesenhochwertigen Erzeugnissen unserer Supertechnik warman flugfähig, und ein schwaches Abwehrfeldkonnte auch errichtet werden.

Diese Individualschirme waren nun dringenderforderlich. Die automatischen Feuerlöschanlagen

des Flaggschiffes schrillten schon nicht mehr. Dafürwaren die zahllosen Sicherheitsschleusen längstgeschlossen worden. Die einzelnen Abteilungen -und es waren Hunderte! waren hermetischabgeriegelt.

Die Brandbekämpfung geschah nunmehr durchden Entzug der künstlichen Schiffsatmosphäre. OhneSauerstoff kein molekularer Verbrennungsprozeß!Als ich diese Befehle erteilt hatte waren diePumpsysteme bereits ausgefallen. Die Positronik gabAlarm, aber das nützte nicht mehr viel.

In den Maschinen- und Energieräumen brannte esweiter. Wenn die hochempfindlichenKatalysetreibstoffe erfaßt wurden, würde der Feindeine noch stärkere Explosion erleben. Vorläufighielten aber die Spezialtanks, die Temperaturen biszu fünfzigtausend Grad absorbieren konnten.

Sechzig Prozent der Visifonverbindungen warenebenfalls ausgefallen. Ich konnte mich nur noch überFunk verständigen.

Als die langen, walzenförmigen Raumschiffe desGegners ihren Umfassungsring öffneten, um einenSicherheitsabstand von uns zu gewinnen, kamen wirvorübergehend in Feuerlee. Die Fremden besaßenHecktriebwerke, deren Schubimpulse anscheinenddie automatische Zielortung störten. Wenigstenserhielten wir plötzlich kein Feuer mehr.

Ich hatte die Gelegenheit benutzt, um dieTOSOMA auf die so nahe Lufthülle des drittenPlaneten zurasen zu lassen.

Draußen pfiff und heulte es. Unsere sonst sozuverlässigen Prallschirme waren nunmehr zuschwachen Gebilden geworden, die die Luftmolekülekaum noch ionisieren konnten. Ohne eine elektrischeLeitfähigkeit konnte es aber keine magnetischeAbstoßung geben.

So kam es, daß mein Flaggschiff schon in dendünnen Luftschichten einer rotglühenden Sonneglich. Trotzdem stieß ich mit gerade nochverantwortbarer Höchstfahrt nach unten. UnserArkonitpanzer hielt fünfzigtausend Grad aus, und dieKlimaanlagen liefen noch.

Mir war klar, daß wir keine Chancen mehr hatten.Also tat ich das, was ein verantwortungsbewußterBefehlshaber in solchen Situationen unternehmensoll. Von Helden- und Untergangspathos hielt ichnichts. Nun kam es nur noch darauf an, dieÜberlebenden meiner Besatzung zu bergen, umspäter zu versuchen, aus der Heimat Hilfeanzufordern.

»Kurs liegt an, Atlantis befindet sich in derTragzone«, hörte ich die Stimme des ErstenOffiziers.

Ich hatte vor, die zerschlagene TOSOMA nahe vonAtlopolis zu landen, eine kurze Bodenverteidigungaufzubauen, um in deren Feuerhagel meine Leute in

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die unterseeische Druckkuppel bringen zu können.Wir flogen in nur hundert Kilometern Höhe über

das von Urwäldern bedeckte Ostland hinweg, aufdem schwarzhäutige, äußerst primitive Eingeborenelebten. Kurz darauf kamen die Fluten des Ozeans inSicht und anschließend die hohen Küstenberge vonAtlantis.

*

Ich hörte Tarts Verwünschung. Über dem schnellnäherkommenden Land standen lohende Atompilze.Der Gegner schien genau gewußt zu haben, wo aufdieser Welt die einzigen Verteidigungsanlagen zusuchen waren.

Augenblicke später sprach unsere Ortung an. FünfRaumschiffe waren nahe der Küste gelandet.Anscheinend wurden Truppen ausgeschifft.

»Keine Zellschwingungsortung, es sind Roboter«,gab Captain Masal aus der noch unbeschädigtenFunkzentrale durch.

Meine Befehle erreichten die Waffenoffiziere. Diemächtige TOSOMA holte zum letzten Prankenhiebaus.

»Die bilden sich doch nicht ein, mein Schiff wäreschon lahm?« sagte Tarts in unheimlicher Ruhe überHelmfunk.

Das fürchterliche Dröhnen des Breitseitentaktesunterband eine weitere Verständigung. Die fünfgelandeten Einheiten explodierten in einemGlutorkan.

Ich stöhnte auf, als die Hauptstadt mit demRaumhafen auf die Bildschirme kam. Das weiteGelände war ein einziger Trichter. Von denGebäuden Atlopolis waren nur noch qualmendeRuinen zu sehen. Kilometerbreite Schußbahnen vonThermogeschützen durchzogen die Landschaft.

Dort, wo wir unsere Impulswaffen stationäreingebaut hatten, standen tiefschwarze Atompilzeüber de? Landschaft. Captain Feltif antwortete nichtmehr. Unsere Anrufe brachten überhaupt kein Echoein. Da wußte ich, daß mein Bodenkommando nichtmehr existierte. Was aus den Siedlern geworden war,konnte ich mir vorstellen.

Tief im Raum entstand bereits eine neueÜberlappungsfront. Wir bemerkten es an dereigenartigen Verfärbung der Sterne und am Flimmernder Atmosphäre. Nun griff der Gegner auch noch mitden Naturgewalten an.

Tarts bediente die kaum noch flugfähigeTOSOMA in reiner Manuellschaltung. Dieautomatischen Anlagen waren ausgefallen, dieBefehlsübermittlung zum Maschinenleitstandversagte. In der Zentrale stieg die Temperatur.Draußen mußten fürchterliche Brände toben.

Ich führte das aus, was ich mir vorgenommen

hatte. Das Schlachtschiff mußte unter allenUmständen so lange in der Luft bleiben und alsRückendeckung dienen, bis die von Roboternbesetzten Schleusen der Unterseekuppel geöffnetwaren.

Aus Sicherheitsgründen war eineIndividualimpulskontrolle geschaffen worden. Es gabnur drei Arkoniden, vor denen sich die Tore öffnenwürden. Besucher, die dem Robotgehirn der Kuppelnicht bekannt waren, würden nicht nur hilflos vor denStahlpforten schwimmen, sondern auch noch von denstarken Waffen der Festung beschossen werden.

Die Eintrittsberechtigten waren Captain Feltif,Chef der Bodentruppen und Beauftragter für dieEvakuierungsmaßnahmen. Er war verschollen!

Der Zweite Mann war der neue ChefmathematikerKosol, der sich an Bord meines Flaggschiffes befand.

Ich war die dritte Person, derenIndividualschwingungen von der Robotbesatzunganerkannt wurden.

Ich hatte nun schleunigst dafür zu sorgen, daßKosol mit den bereitliegendenSchirmfeld-Unterwasserfahrzeugen die Tore öffneteund den Einlaß somit freigab. Während er damitbeschäftigt war, hatte ich mit der TOSOMA alleeventuellen Störangriffe abzuwehren, umanschließend nach einer Blitzlandung meine Leute inSicherheit zu bringen. Es war anzunehmen, daß derFeind die Unterseekuppel nicht kannte,währenddessen er die feuernden Geschützstellungenja leicht hatte ausmachen können.

Ich ließ die Restfahrt aufheben. Mit Hilfe der nochwirksamen Antigravfelder blieb das Schlachtschiffüber dem zerstörten Hafengelände in der Luft stehen.Der Helmfunk meines Einsatzanzuges war tadellos inOrdnung. Ich drückte den Sprechknopf nieder.

»Atlan an Chefmathematiker Kosol. Fall Bergungist eingetreten. Verlaß deine Station, lande mit demFluganzug und öffne die Schleusen der Druckkuppel.Kosol, ich rufe Kosol, melden!«

Schon nach einer Sekunde kam die Antwort. Aufdem winzigen, oberhalb meiner Augen angebrachtenHelmbildschirm erschien das Gesicht eines jungenOffiziers.

»Leutnant Einkai, Erhabener,Feuerlöschkommando achtzehn. ChefmathematikerKosol ist gefallen, die Rechenabteilung brennt. AlleSchotte abgeriegelt. Die Nebenräume brennenebenfalls aus. Es kommt laufend frische Luft durchdie großen Schußöffnungen ins Schiff, Ende.«

Ich hörte mich laut aufschreien. Dicht neben mirwar Tarts mitsamt dem Kommandantensesselherumgefahren. Er hatte schneller verstanden als ich.

»Raus aus dem Schiff, Admiral«, schrie er mir zu.»Raus, schleunigst raus. Ich übernehme dieRückzugsdeckung. Öffne die Kuppel und gib mir

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anschließend über Helmfunk dieLandungsanweisung. Nun gehe schon, woraufwartest du noch!«

»Ich ... ich verlasse mein Flaggschiff nicht vor derBesatzung«, sagte ich rauh.

Tarts lachte humorlos. Er besaß eine unglaublicheRuhe.

»Ich werde dich hinauswerfen lassen. Du bistverpflichtet, deine Männer zu retten, so gut es ebengeht. Ich brauche dich nicht zur Schiffsführung,zumal es keine taktischen Entschlüsse mehr zutreffen gilt. Öffne die Kuppel, Atlan! Kosol istgefallen und Feltif verschollen. In einer halbenStunde ist die Wellenfront da, und dann verschwindetalles Leben in der anderen Dimension. Mit denWalzenschiffen werde ich schon fertig. Ich habeeinige Erfahrungen mit atmosphärischenInnenraumgefechten. Du sollst jetzt gehen!«

Die letzten Worte brüllte er. Zwei schwereKampfroboter stapften auf mich zu. Sie wurden vonLeutnant Cunor befehligt. Ich wurde aus meinem Sitzgerissen und gewaltsam zur Zentrale-Rohrschleusegeschleppt. Tarts brachte es fertig, bei meinemZornausbruch schallend zu lachen.

»Wir warten auf dein Funksignal. Dreimal Atlan,in Wort oder Impuls, und ich riskiere die Landung.Vorher werde ich noch etwas tun. Geh, Freund, unddenke daran, daß ich dich und deine Familieverehre.«

Vor mir öffnete sich die runde Klappe derTransportanlage. Es war ein meterstarkes, gradlinigverlaufendes Rohr, das vierhundert Meter entfernt ineiner vollautomatischen Schleusenkammer endete.Mit Hilfe dieser Einrichtung konnte dieZentralbesatzung sehr schnell aus dem Mittelpunktdes Schiffes gebracht werden. Es war einNotausstieg.

Ich schrie noch wütend, als sich die Klappe bereitsschloß.

Der Preßluftstrom verwandelte meinen Körper inein Geschoß. Diese Notausstiege waren nichtbesonders bequem, dafür aber praktisch. Ich landeteim komprimierten Luftbett der Auffangkammer, woich Mühe hatte, rechtzeitig mit den Füßen auf denBoden zu kommen.

Im nächsten Augenblick ging ich in Deckung, daein anderer Körper herangeschossen kam. Es warLeutnant Cunor, dessen Robots mich kurzerhand indie Röhre gesteckt hatten.

»Ich lasse dich vor ein Bordgericht stellen«, schrieich außer mir und faßte ihn an den Schultern.

Ich kam natürlich nicht mehr dazu, meine Drohungzu verwirklichen. Die mächtigen Panzerklappenglitten auf, und wir wurden von einem zweitenPreßluftstoß hinausgewirbelt in die freie Luft. Ichdrückte auf den Knopf des Flugaggregates. Im

Rückentornister des Anzuges summte längst derMikromeiler mit der damit gekoppeltenMiniaturstrombank.

Die Antigravautomatik stabilisierte meinen Flug,und dann hatte ich nur noch darauf zu achten, daßmein kleines Pulsatortriebwerk auch zu laufenbegann. Hinter mir war Leutnant Cunor. Er gehörtezu den verwegensten Offizieren des Flaggschiffes.Natürlich war ihm von Tarts befohlen worden, michauf meinem schweren Weg zu begleiten.

»Viel Glück!« dröhnte es in meinem Schutzhelm.Tarts Gesicht erschien auf dem winzigen Bildschirm.»Kann ich losfliegen? Wir bekommen neue Ortungenherein.«

»Wir sprechen uns noch«, sagte ich, schon etwasbesänftigt. »Das war eine glatte Befehlsverweigerungmit Nötigung. Mach dich auf etwas gefaßt, Alter.«

Der Kommandant lachte nur. Anschließend hattenwir unsere liebe Mühe und Not, aus dem Sog desvorsichtig anrückenden Riesenschiffes zu kommen.In sicherer Entfernung nahm Tarts Fahrt auf. DieTOSOMA raste flammenspeiend in den von düsterenAtomwolken verhangenen Himmel.

Als sie verschwunden und das tiefe Grollen der indas entstandene Vakuum eindringenden Luftmassenverstummt war, sagte Cunor sehr bedächtig:

»Hohe Gammaradioaktivität, Erhabener! DieFremden arbeiten mit altmodischen Sprengkörpern.«

Als er ausgesprochen hatte, begann es irgendwo zurumoren. Ein leuchtendes Phantom raste weit überuns hinweg, doch dabei öffnete es seineGeschütztürme.

Ich wurde von einer harten Druckwelle aus derFlugbahn gerissen. Ein Feuersturm brauste über dasgequälte Land. Mein Amtssitz war vernichtetworden. Ich bemerkte nur noch rauchende Trümmer.Weit und breit war kein Lebewesen zu erblicken. Dawurde mir klar, daß der von Feltif gemeldeteDurchgang einer Relativzone alles aufgesogen hatte,was nur einigermaßen nach Organismus ausgesehenhatte. Allein die Pflanzen waren geblieben, aber diewaren von den entfesselten Atomgewalten vernichtetworden.

Wir schwebten dicht über dem verbrannten Bodenhin, umflogen die Trümmer von Atlopolis undrichteten unseren Flug auf die freie See.

Da erst bemerkte ich, daß der Ozean von einemOrkan aufgewühlt wurde; das heißt, ich glaubte esnur einen Augenblick lang! Als die Druckwelle desangreifenden Schiffes vorüber war, wurde es relativwindstill. Trotzdem türmten sich die Fluten zuschäumenden Brechern auf. Die dem Hafenvorgelagerte Halbinsel war überhaupt nicht mehr zusehen. Weiter östlich trat das Meer über die Ufer undverschlang große Landstriche.

Westlich unseres Standortes hatte sich der Boden

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gespalten. Die alten Vulkane, die wir längsterloschen glaubten, hatten ihre Schlünde geöffnet,um daraus Tod und Verderben zu speien.

Das Donnern und Grollen stammte nicht voneinem Gefecht, sondern von den Naturgewalten.

»Das Land versinkt«, schrie Cunor entsetzt.Da erst bemerkte ich in aller Deutlichkeit, daß der

Boden schwankte. Es war das heftigste Beben, dasich jemals erlebt hatte. In der Ferne braute sich einWirbelsturm zusammen, dessen erste Böen über dieversinkende Insel heulten.

Das innere Hafenbecken war bereits überspült.Von draußen rollten die Brecher heran, als gälte es,ganz Atlantis innerhalb weniger Minuten zuverschlingen.

Wir landeten dicht neben den in die hohenUferfelsen eingeschmolzenen Bootsbunkern. DasGelände sank ab. Als ich die Türen öffnete, umspültedas Wasser meine Füße. Sonst hatten wir dieSchirmfeldfahrzeuge mehr als dreißig Meter weitnach unten bringen müssen. Cunor machte dasSpezialfahrzeug startklar. Es war eine Konstruktionder Flotte, bestimmt für Landeunternehmen aufunwegsamen Wasser- und Sumpfplaneten.

Währenddessen versuchte ich, die TOSOMAanzurufen. Es gelang auf Anhieb. Die schwachenImpulse meines Helmsenders konnten von denhochwertigen Spezialgeräten des Flaggschiffes nochempfangen und millionenfach verstärkt werden.

»An Bord alles wohl«, kam Tarts vonStörgeräuschen unterbrochene Antwort aus demHelmlautsprecher. »Ich fliege nur Ausweichkurvenund schlage gelegentlich zu. Wie weit bist du?«

»Wir steigen eben ein. Vorsicht, die Insel scheintabzusinken. Wir registrieren heftige Beben.«

»Der ganze Planet spielt verrückt. Im GroßenWestozean steigt ein neues Land aus den Fluten. DieAchsenstellung dieser Welt verändert sich. Es wirdzu großräumigen Überschwemmungen kommen,Ende.«

Als ich die druckfeste Kuppel des flachen Gleitersschloß, wurden wir von den gischtenden Wellen ausdem Bunker gespült. Für einige Augenblicke tanzteder Gleiter auf dem von heftigen Bebenaufgewühlten Element. Dabei deutete Cunorschweigend nach Osten.

Ich unterdrückte einen Ruf des Entsetzens, als ichdie mächtige Relativfront sah. Sie mochte eineGeschwindigkeit von mehr als zehntausendKilometern pro Stunde haben. Erkenntlich wurde siedurch das eigenartige Flimmern in der Luft und daserlöschende Sonnenlicht. Da erst fiel mir ein, daß wirdurch eine rätselhafte Zeitverschiebung neun Tageverloren hatten. Es mußte mittlerweile zu derbefürchteten Vollopposition der Planeten zwei unddrei gekommen sein.

Das Unheil kam lautlos auf uns zu. Das war einetypische Überlappungszone, die kein Lebenverschonte.

Cunor zog den Stufenschalter desgravomechanischen Schirmfeldes nach unten. DasWasser wurde sofort vom Bootskörperzurückgedrängt. Es entstand eine freie, luftleereZone, die wie ein Schutzpolster zwischen demdünnen Material des Bootes und dem pressendenWasser wirkte.

Die Fluttanks liefen voll. Wir sanken ab wie einStein. Erst fünfzig Meter unterhalb derWasseroberfläche wurde das Wüten etwasgemäßigter. Dennoch kamen so starkeUnterwasserdruckwellen durch, daß ich um dieStabilität unseres Schirmes bangte.

Die Infra-Scheinwerfer leuchteten auf. Wir suchtendie von Feltifs Spezialisten errichtete Grundkuppel,die etwa hundert Meter unter der Oberfläche liegenmußte. Ich war nur einmal dort gewesen, wobeimeine Körperschwingungen vom Impulsdetektor dessteuernden Robotgehirns aufgenommen wordenwaren.

Ich wußte, daß in dieser Tiefe ein großes,unterirdisches Plateau begann, dessen massiver Felsbis zum Grund des Ozeans reichte. Darin hatten wirdie Fundamente verankert. Die Kuppel hielt jedennur denkbaren Wasserdruck aus, da sie notfalls vonAbstoßschirmen verstärkt werden konnte.

Das Plateau war aber nicht mehr zu finden! CunorsGesicht verfärbte sich so rasch, daß ich seineGedanken deutlich erraten konnte. Die Grundbebenhatten auch unsere Zufluchtsstätte mit in die Tiefegerissen.

»Runter«, befahl ich rauh, »noch tiefer gehen. Siekann nicht zerstört werden. Die Verankerungen sindmit Arkonstahl im Thermal-Spritzgußverfahrengebaut worden. Ich möchte die Naturgewalt sehen,die damit fertig wird!«

Cunor nickte ergeben. Dabei dachte ichverzweifelt an die Männer der TOSOMA, dienunmehr in einer schrecklichen Lage sein mußten.Ich gab meinen letzten inneren Widerstand auf undrief über Unterwasserfunk die Robotstation an. DieSteuermaschine meldete sich sofort.

Wir wurden von der Fernlenkkontrolle erfaßt undin sausender Fahrt nach unten gerissen. Als endlichdie Konturen des bläulich schimmernden, am Grundeinhundertzwanzig Meter durchmessendenStützpunktes auftauchten, waren wir schon elfhundertMeter tief. Der Meeresboden sank und sank.

Die Identifizierungskontrolle durch das kleineRobotsystem erfolgte durch den vorgeschriebenenHirnfrequenz-Test. Ich legte die Taster über denSchädel und schaltete den Sender ein.

»Eintritt erlaubt, Erhabener«, kam Sekunden später

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die blecherne Automatenstimme über Funk.Wir wurden von einem Traktorstrahl erfaßt und

mit atemberaubender Geschwindigkeit in dieaufgleitende Hochdruckschleuse gezerrt. Ungeduldiglauschte ich auf das hohe Summen der Pumpen. Alsdie Kammer leer war und die Luft einströmte, wiesich Cunor hastig an:

»Warte hier. Ich gebe denProgrammierungsimpuls, damit sich die Tore aufjeden normalen Kodespruch öffnen. Wir müssendann nochmals nach oben um die TOSOMAanzurufen. Aus dieser Tiefe ist es nicht mehrmöglich. Die Kuppel besitzt keinen Hypersender.«

Ein arkonidenähnlicher, plastikverkleideterRoboter tauchte in der Schleusenpforte auf. Ichstürmte einfach an ihm vorbei und sprang die engenWendeltreppen zum Programmierungsraum hoch.

Draußen polterte und rumorte es. Das lauteArbeitsgeräusch der mächtigen Energiestation bewiesmir, daß das zentrale Kontrollsystem denentstehenden Druck durch Schutzschirme ausglich. Inden Fundamenten knirschte es beängstigend. DiePreßwirkung der von den Beben bewegtenGesteinsmassen mußte unvorstellbar groß sein.

Ein heftiger Stoß schleuderte mich zu Boden. Ichwartete ab, bis die Erschütterungswelle vorüber warund taumelte dann keuchend in den Schaltraum. DasHauptrelais des kleinen, aber hochwertigenComputers war in einer mannshohen Stahlglockeuntergebracht. Ich wurde von dem stereotypen»willkommen. Erhabener« empfangen.

Wortlos setzte ich die Individualsperre außerBetrieb und zog den Hebel für normaleFunk-Öffnungsimpulse nach unten. Das Anrufwortwar identisch mit meinem Namen.

Ohne den Computer zu befragen, rannte ich zurSchleuse zurück. Cunor wartete ungeduldig.

»Schon zweitausend Meter Tiefe«, meldete ererstaunlich gelassen.

Ich achtete nicht mehr darauf. Augenblicke späterbefanden wir uns wieder im Wasser, das hier und davon ausbrechenden Grundvulkanen zu gefährlichen,stahlhart erscheinenden Wirbeln aufgewühlt wurde.Überall war das rote Lohen der unterseeischenEruptionen zu sehen. Diese Welt ging unter!Wenigstens wurden nun die Kontinente verändertund neue Länder geboren.

Wir brauchten zehn Minuten, um dieSicherheitstiefe zu erreichen. Weiter durften wireigentlich nicht mehr auftauchen, da wir nichtwußten, ob die Relativfront schon durchgegangenwar, oder ob noch Ausläufer nachfolgten.

»Die Geschwindigkeit der Wand war hoch.Erhabener«, meinte Cunor. »Sie müßte eigentlichschon abgewandert sein.«

Ich setzte alles auf eine Karte. In den Tiefen des

Meeres waren wir sicherer gewesen.Die Zeitfront war wirklich schon weg, nur wurden

wir von einer derartigen Sturmflut empfangen, daßunser Fahrzeug zum hilflosen Spielball der Wellenwurde.

Von Atlantis waren nur noch die höchstenBerggipfel sichtbar. Ich erblickte Wasser, wohin ichauch sah. Von der TOSOMA entdeckten wir keineSpur.

Auch die Feindschiffe griffen nicht mehr an. Wennderen Kommandanten nur eine Spur von Verstandhatten, mußten sie ja auch wissen, daß es hier nichtsmehr zu zerstören gab. Das besorgten schon dieBeben und die fürchterlichen Flutwellen.

Wir ließen uns zwei Stunden lang durchschütteln.Währenddessen rief ich mit dem starken Sender desBootes ohne Unterbrechung. Hoch über den dunklenOrkanwolken war eine sehr helle und ausgedehnteLeuchterscheinung zu bemerken. Die Sonne war esnicht, denn sie stand um diese Jahreszeit nicht imNorden.

Ich wußte, wie die verwehende Atomglut einesexplodierten Raumschiffes aussah. Trotzdem wollteich nicht daran glauben. Dann kam die nächsteÜberlappungsfront auf uns zu.

Innerlich gebrochen gab ich den Befehl zumWegtauchen. Meine Freunde lebten nicht mehr.

8.

In zehn Minuten würde ich medizinisch tot sein.Ich lag locker und weisungsgemäß entspannt auf demweichen Konturlager und lauschte auf dieeinschmeichelnde Hypnomusik. Über meinemSchädel hing die Impulshaube des Pulsators. Meinnormaler Lebensrhythmus wurde ganz allmählichverlangsamt.

Anschließend würden die Automatinjektionen mitdem Konservierungsserum kommen, eine Technik,die mein ehrwürdiges Volk schon lange beherrschte.

Gesunde Individuen konnten einenbiomedizinischen Tiefschlaf über etwa fünfhundertJahre hinweg einwandfrei überstehen. DieLebensfunktionen wurden fast auf Nullwertherabgesetzt.

Meine Druckkuppel war mit den entsprechendenAnlagen ausgerüstet worden. Ehemals hatten sie sichauf einem Lazarettschiff meines Geschwadersbefunden. Wir hatten sie ausgebaut.

Ich öffnete meinen Willensblock weit, um demSchmeicheln der Musik voll nachgeben zu können.Es wurde Zeit, daß ich mich in die absolute Ruhe desTiefschlafs zurückzog, wenn ich nicht wahnsinnigwerden wollte. Ich war zum einsamsten Lebewesenauf diesem Planeten geworden.

Es hatte fast vier Monate gedauert, bis sich die

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Elemente so weit beruhigt hatten, daß wir an einAuftauchen hatten denken können. Dann hatten wirmit unserer langen Suche begonnen.

Ich hatte weder einen Arkoniden noch einenatlantischen Eingeborenen entdeckt. Die von Feltifangelegten Schutzburgen und Pyramidensilos hattennoch existiert, aber die Leute waren verschwundengewesen.

Cunors und meine Verzweiflung hatte uns insinnloser Hast von Ort zu Ort getrieben. Hier und dahatten wir schließlich Leben gefunden, aber dieseDaseinsformen waren so erschreckend primitivgewesen, daß wir auf einen Kontakt verzichtet hatten.

Die Barbaren im eisigen Norden waren verschontgeblieben. Nur unsere wahrhaft intelligenten Atlanterund die Kolonisten in Ost und West waren nichtmehr da.

Entweder waren sie von den berghohenSpringfluten getötet oder von den zahlreichenRelativfronten entführt worden.

Wir hatten sechs Monate lang gesucht gefunkt,wieder gesucht und erneut gefunkt. Auf Arkon schienman uns völlig vergessen zu haben. Dieunersetzlichen Funkstationen auf Atlantis und denbeiden Südkontinenten waren durch Feindeinwirkungvernichtet worden. In der Kuppel gab es nurschwache Sendeanlagen, mit denen wir dieEntfernung bis zu unserer Heimat niemalsüberbrücken konnten. Jetzt bedauerte ich es, einender leistungsfähigen Großsender nicht in denUnterwasserstützpunkt eingebaut zu haben. Damalswar es uns aber sinnlos erschienen, daHyperwellenanlagen nun einmal unterhalb derWasseroberfläche nichts zu suchen haben. DieKuppel sollte eine Fluchtstätte sein; einAufenthaltsort für kurze Zeit. Wozu hätten wir alsodie großen, platzbeanspruchenden Geräte einbauensollen, wo wir sowieso jeden Winkel mit denwirklich erforderlichen Anlagen vollgestopft hatten.

So hatten wir mit dem Gleiter jeden Kontinentüberflogen. Das Gesicht des dritten Planeten hattesich verändert. Es waren neue Meere entstanden undgroße Inseln versunken. Zu ihnen gehörte auchAtlantis, von dem nur noch einige Bergspitzen in derForm kleiner Eilande zu sehen waren.

Unser Stützpunkt war in einer Tiefe von 2852Metern endlich zur Ruhe gekommen.

Dann, kurz vor dem endgültigen Resignieren, warLeutnant Cunor von einem stupiden Höhlenbarbarendes Nordlandes mit einem Faustkeil erschlagenworden. Ich hatte tränenlos vor dem Grab meinesletzten Gefährten gestanden, bis ich unsagbar müdeund erschöpft abgeflogen war.

Meine letzte Maßnahme war überhaupt nurdeshalb möglich gewesen, weil es in meinem tiefstenInnern immer noch ein schwaches Fünkchen

Hoffnung gab. Irgendwann mußte man doch einmalnachsehen, was aus Admiral Atlan geworden war!Irgendwann mußte man auf die Funksprücheaufmerksam werden, die ich kurz vor der Explosionder PAITO abgestrahlt hatte. Arkon war doch nochnicht tot, und ich war immerhin ein Angehöriger desHerrscherhauses.

Aus diesen Erwägungen heraus hatte ich auf demhöchsten Gipfel der Inselberge ein kleines,hochempfindliches Gerät montiert, das auf dieStrukturerschütterungen transistierender Raumschiffeansprach.

Ein Relaissender mußte in einem solchen Falle dasRobotgehirn meiner Kuppel benachrichtigen, wasmeine sofortige Erweckung aus dem Tiefschlafbedeutete.

Immerhin hatte ich die Schlafgrenzevorsichtshalber auf fünfhundert Jahre festgesetzt.Ganz bestimmt aber würden meine Kameradenvorher kommen, und wenn es nur ein armseligerKurierkreuzer war.

So hatte ich mich einigermaßen beruhigt auf dasLager begeben. Es wäre sinnlos und für dieGesundheit meines Geistes gefährlich gewesen, wennich Tag für Tag und Nacht für Nacht gewartet hätte.Im Tiefschlaf wurde die Zeit nichtig, und meinDetektor war zuverlässig.

Ich wurde schläfrig. Neben mir stand meinpersönlicher Dienstroboter. Es war eineSpezialkonstruktion, mit der ich mich unterhaltenkonnte.

»Wie lange noch, Rico?« fragte ich flüsternd.»Gleich, Erhabener, gleich wirst du deine Ruhe

finden«, sagte die Medo-Maschine mit demhöchstwertigen P-Gehirn. Diesmal störte mich nochnicht einmal der metallische Klang der mechanischenStimmbänder.

»Ruhe finden«, wiederholte ich stockend, »Ruhe!Vor wem? Vor meinem Gewissen?«

»Entspanne dich, Erhabener«, knarrte es aus derMundöffnung des Robots.

Vor meinen Augen begannen Feuerräder zukreisen. Plötzlich sah ich Tarts faltiges Gesicht. Erlächelte mir aufmunternd zu. Dann kamen Inkar,Cunor, Kosol, Cerbus und all die vielen Freunde, dieich in den Tod getrieben hatte.

Ich wollte schreien, aber ich konnte es nicht mehr.Warum hatte ich diese Welt verteidigt? Warum

nur?»Rico, ob aus diesen Barbaren einmal ein

intelligentes Volk entsteht?«»Entspanne dich. Erhabener. Die Zeit läuft!«Die Zeit! Ich hatte sie unterschätzt. Ich war an den

Tatsachen vorbeigegangen. Die, die nach mir kamen,sollten nicht noch einmal den gleichen Fehlerbegehen. Ich schwor es vor mir selbst, bei dem

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Großen Imperium und meiner ehrwürdigen Familie.

9.

Jemand sang. Er hatte eine schöne wohltönendeStimme. Ich lauschte mit erwachenderAufmerksamkeit und vergaß dabei meine quälendenKopfschmerzen. Lange, sehr lange nahm ich diesenWohlklang mit vollen Sinnen auf.Als ich die Augen öffnete, saß dicht neben mir einjunger Mann von dunkler Hautfarbe.»Home, home on the range«, sang er mit seinemwundervollen Bariton. Weiter vorn stand eindunkeläugiger Offizier mit den Rangabzeichen einesAdministrators. Der Junge mit dem dunklen Gesichtsang immer noch. Dann wußte ich, wer er war.Leutnant Fron Wroman gehörte zum Offiziersstabdes terranischen Superschlachtschiffes DRUSUS.Plötzlich sagte jemand: »Ich habe mich daranerinnert, daß Musik oder Gesang wohltuend auf dasNervensystem von Leuten deiner Art wirkt.«Ich richtete mich langsam in dem zurückgeklapptenGliedersessel auf. Da erinnerte ich mich wieder, daßich unter dem Zwang meines Extrahirns erzählt hatte.Perry Rhodan lächelte mich an. Reginald Bull reichtemir ein erfrischendes Getränk. Dabei meinte erungewohnt leise und nachdenklich:»Sie sind doch noch gekommen, Admiral, nur etwasspät. Die Barbaren aber, jene von Larsaf III, diehaben sich entwickelt. Sie haben die Erde nichtumsonst verteidigt, Atlan. Auch werden jene, dienach Ihnen kamen, nicht noch einmal den gleichenFehler machen.«Ich nickte stumm. Es war mühevoll, plötzlich wiederin anderen, gegenwärtigen Bahnen zu denken. Manließ mir Zeit, bis Rhodan fragte: »Dein Alarmgerätscheint damals versagt zu haben?« Ich schüttelte denKopf. »Nein, es war in bester Ordnung, nur tauchtenkeine Raumschiffe auf. Ich erwachte in Abständenvon fünfhundert Jahren. Dann sah ich mich um, aberdie Terraner waren noch lange nicht so weit. Um derEinsamkeit zu entgehen, bin ich immer wieder inmeine Kuppel hinabgestiegen. Als ich zumeinundzwanzigsten Male aufgeweckt wurde, gab esauf der Erde ein großes Reich, das man römischesImperium nannte. Ich erwachte leider etwas zu spät.

Von da an bin ich oben geblieben, aber noch gab eskeine Möglichkeit, ein Raumschiff herzustellen. Ichmußte lange warten, Perry!«Die Maschinen der DRUSUS liefen an. Ich hobhorchend den Kopf.»Ein wundervolles Geräusch, fast so schön wieWromans Stimme«, sagte ich leise. »Es war ein guterGedanke, ihn singen zu lassen. Ich liebe dieses uralteLied, das man damals in den Vereinigten Staatensang. Es ist lange her.«Die DRUSUS startete. Der Kunstplanet Wandererfiel zurück. Dabei nahm ich mir fest vor, dieMenschen über all meine Fehler genauestensaufzuklären. Vielleicht konnten sie daraus lernen.Außerdem wußte ich jetzt, gegen wen ich vorzehntausend Jahren gekämpft hatte.Druuf nannte man die Unheimlichen aus der anderenZeitebene. Ich sah zu Rhodan hinüber. Er saß ruhigim Kommandosessel vor den zahllosen Kontrollendes Schiffsgiganten.Diesmal würde ich nicht auf den Nachschub anSchiffen und Material warten müssen, ganz sichernicht! Dieser Mann da, dessen frühe Vorfahrenmeinen letzten Gefährten erschlagen hatten, würdeRevanche fordern; Revanche für den beinaheerfolgten Untergang einer Welt, die er Terra nannte.Ich zog mich still zurück. Fron Wroman winkte mirlachend zu.»Transition in zehn Minuten, Sir«, rief er laut. »Dannsind wir wieder zu Hause.«»Zu Hause«, wie das klang. Ich lauschte dem Begriffnach. Die Panzerschleusen der Zentrale öffneten sichautomatisch. Auf meiner Brust pochte derZellaktivator. Er hatte gehalten, was ein Unbekannterversprochen hatte.Ich ließ sie allein, diese kleinen, so liebenswertenBarbaren. Es hatte sich also doch gelohnt, Larsaf IIIzu verteidigen, denn einen großen Teil derÜberlappungsfronten hatten wir mit denImpulsgeschützen abdrängen und auch aufreißenkönnen. Es hatte sich tatsächlich gelohnt!

E N D E

Wieder ist - in der Form von Atlans lebendiger, gegenwartsnaher Erzählkunst - ein Kapitel der frühenErdgeschichte aus dem Dunkel der Mythologie ans Licht gebracht worden: die letzten Tage von Atlantis!Der nächste Roman befaßt sich hingegen mit einem völlig anderen Problem, das jedoch ebenso brennend istwie ein Angriff aus einer anderen Dimension: Kann der Robot-Regent von Arkon bereits die galaktischenPositionsdaten der Erde ermitteln oder nicht ...?Major Clyde Ostal und 32 Männer des Solaren Sicherheitsdienstes werden ausgeschickt, um das festzustellen -

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und dabei kommt es zum FEHLSPRUNG DER TIGRIS!

FEHLSPRUNG DER TIGRIS

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