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Die Macht der Sonnen

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Nr. 281

Die Macht der Sonnen

Die Entscheidung naht - der Ursurpator soll getötet werden

von H.G. Francis

Das Große Imperium der Arkoniden kämpft erbittert um seine bloße Existenz, denn es muß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums schwer zu schaffen machen. Die inneren Feinde Arkons sind die Herrschenden selbst, deren Habgier und Korruption praktisch keine Grenzen kennen.

Gegen diese inneren Feinde ist der Kristallprinz Atlan, der rechtmäßige Thronerbe von Arkon, mit seinen inzwischen rund 14.000 Helfern bereits mehrmals erfolgreich vorgegangen. Seine geheime Zentrale, von der die meisten Aktionen gegen Orbana­schol ihren Anfang nehmen, ist Kraumon. Auch auf diesem abgelegenen Planeten ist inzwischen längst bekannt, daß Orbanaschols Position immer unhaltbarer wird. Da­her rechnet sich Atlan eine reelle Chance aus, den Usurpator zu stürzen.

Um dieses Zieles willen hatte Atlan ein Spiel mit höchstem Einsatz begonnen – und verloren, ohne allerdings sein Leben einzubüßen, wie es üblicherweise das Schicksal der Unterlegenen in den Amnestie-KAYMUURTES zu sein pflegt.

Wieder nach Kraumon zurückgekehrt, erwächst dem Kristallprinzen in Klinsanthor, dem Magnortöter, ein unerwarteter Helfer.

In der Person des KAYMUURTES-Siegers, die der Magnortöter übernommen hat, trachtet Klinsanthor Orbanaschol nach dem Leben. Das gleiche Vorhaben verfolgt DIE MACHT DER SONNEN …

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Die Hautpersonen des Romans:Lebo Axton - Ein Terraner im alten Arkon.Gentleman Kelly - Axtons treusorgender Roboter.Orbanaschol III. - Der Usurpator fürchtet um sein Leben.Kethor Frantomor - Der Geheimdienstchef fällt in Ungnade.Mana-Konyr - Der KAYMUURTES-Sieger dient als Mittel zum Zweck.

1.

»Laß mich herunter«, befahl Axton krei­schend. Er hieb dem Roboter ein Metallrohr auf den Kopf und schlug dabei so heftig zu, daß eine der Antennen abbrach. Die Maschi­ne sank auf die Knie, so daß der Mann mit den hervorquellenden Augen und dem schütteren, strohgelben Haar aus dem Halte­bügel steigen konnte. Mit schleifenden Fü­ßen begab sich der Krüppel zu einem Hocker. Er legte eine Hand auf die Kante ei­nes Tisches und versuchte, sich auf den Hocker zu setzen. Es gelang ihm nicht. Die dünnen Arme waren zu schwach, ihn hoch­zustemmen.

Ungefähr siebzig Männer und Frauen in dem Lokal beobachteten ihn. Ihre Gespräche waren verstummt, als er auf dem Rücken des Roboters hereingekommen war. Dieser Mann war gar zu ungewöhnlich, als daß er sich irgendwo unauffällig hätte bewegen können.

»Siehst du nicht, daß ich deine Hilfe be­nötige, du erbärmliches Stück Blech?« schrie der Verwachsene. Seine Stimme über­schlug sich. Er schien außer sich vor Zorn zu sein.

Der Roboter trat an ihn heran, schob ihm behutsam die Hände unter die Achsel und hob ihn hoch. Axton stöhnte laut auf.

»Du bringst mich um, du Bestie«, sagte er. »Laß mich los. Sofort.«

Der Roboter gehorchte, setzte ihn aller­dings vorsichtig ab, so daß der kleine Körper nicht erschüttert wurde. Lebo Axton schien dennoch nicht zufrieden zu sein. Er nahm einen leeren Becher, der auf dem Tisch stand, und schleuderte ihn dem Roboter an den Kopf.

»Wandelnder Schrotthaufen«, bemerkte er verächtlich. »Es wird Zeit, daß du ausge­löscht wirst, ebenso wie es für jemanden an der Zeit ist, der sich großsprecherisch Impe …«

Der Krüppel stockte. Er hustete und hieb dann die flache Hand auf den Tisch.

»Ach, was«, sagte er herablassend, tippte einige Zahlen in die Tastatur auf dem Tisch und wartete, bis ein Becher mit einem Ge­tränk aus der Konsole aufstieg. Er griff da­nach und wollte trinken, doch eine Hand griff nach seinem Arm und hielt ihn fest.

»Sie haben vergessen, einen Trinkspruch auszubringen«, sagte der Arkonide, der ne­ben ihm stand. Er war ein hochgewachsener Mann mit schulterlangem, silbrig glänzen­dem Haar. Drohend blickte er auf Axton herab.

»Einen Trinkspruch?« rief der Verwach­sene höhnisch. »Auf wen denn?«

»Auf den Imperator beispielsweise.« Der Krüppel schüttelte den Kopf. »Alles hat sei­ne Grenzen«, erwiderte er. »Wenn ich trin­ke, dann ist das meine Privatsache. Und wenn ich Trinksprüche von mir gebe, dann bestimmt nicht auf Kriminelle.«

Der Arkonide zuckte zusammen. An eini­gen Tischen standen einige Männer und Frauen auf und verließen fluchtartig das Lo­kal.

»Sind Sie wahnsinnig?« fragte der Arko­nide zornig. »Wie kommen Sie dazu, so et­was zu sagen?« Der Verwachsene legte sich die Hände an den Bauch und rülpste laut­stark.

»Sie sind ja völlig betrunken«, sagte der Arkonide.

»Ist das nicht meine Privatsache?« Sein Gesicht verzerrte sich. »Ich bin hier im Gar­tokan – oder nicht? Hier kann ich meine

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Meinung sagen, ohne fürchten zu müssen, daß mir jemand einen Strick daraus dreht. Was gefällt ihnen daran nicht?«

»Mir gefällt nicht, daß Sie den Imperator beleidigt haben.«

Axton grinste. »Habe ich das?« fragte er und kicherte al­

bern. »Sie haben ihn einen Kriminellen ge­

nannt.« Der Krüppel lehnte sich zurück. Er wäre

vom Hocker gestürzt, wenn Gentleman Kel­ly ihn nicht gehalten hätte. Er lachte aus vol­lem Halse.

»Ich habe Orbanaschol III. als Kriminel­len bezeichnet«, brüllte er und schlug sich vor Vergnügen auf die Schenkel. »Welch ein Kompliment für diesen Lumpen.«

Der Arkonide holte tief aus und versetzte dem Krüppel eine Ohrfeige, die ihn vom Sitz fegte. Axton stürzte zu Boden. Mühsam rappelte er sich auf.

»Das war aber nicht sehr freundlich«, sag­te er mit schwerer Zunge. »Komm, Kelly, wir bleiben nicht länger in diesem miesen Stall. Bücke dich, damit ich auf deinen Rücken steigen kann.«

Der Roboter kniete sich auf den Boden. Axton kletterte mühsam auf seinen Rücken.

»Erbärmliches Arkonidenpack«, rief er lallend. »Nichts anderes verdient habt ihr als diese feiste Kreatur, die im Kristallpalast sitzt. Bei allen Teufeln, dieser feige Bruder­mörder ist genau richtig für euch.«

Gentleman Kelly richtete sich auf. Axton hieb ihm die flache Hand auf den Kopf und wies auf den Ausgang.

»Verlassen wir diese edle Stätte«, sagte er. »Hier ist die Luft genauso verdorben wie im Kristallpalast.«

»Warten Sie«, befahl der Arkonide, der Axton zurechtgewiesen hatte.

Grinsend blickte der Krüppel auf ihn her­ab.

»Was willst du Wicht von mir?« fragte er. »Kelly, gib ihm einen Tritt gegen die Bei-ne.«

Der Roboter rührte sich nicht. Axton hob

H.G. Francis

bedauernd die Hände. »Es tut mir leid. Der Schrotthaufen ge­

horcht nicht. Vielleicht betrinkst du dich or­dentlich, dann kannst du später mit ruhigem Gewissen behaupten, daß du nichts gehört und gesehen hast. Bleibst du nüchtern, dann könnte es sein, daß du im Gefängnis landest. Dort wird man dich solange foltern, bis du gestehst, Orbanaschol III. einen Mörder und Schwindler genannt zu haben.«

Axton warf den Kopf in den Nacken und lachte schallend, während Gentleman Kelly ihn aus dem Lokal trug.

*

Kethor Frantomor schaltete das Videoge­rät ein, als ein Ruflicht aufleuchtete.

»Was gibt es?« fragte der Geheimdienst­chef.

»Sie werden es nicht glauben«, sagte der Arkonide, dessen schmales Gesicht auf dem Bildschirm vor ihm erschien. »Soeben hat sich Lebo Axton selbst das Grab geschau­felt.«

»Was ist passiert? Nun reden Sie schon!« Frantomor fieberte dem Bericht des Agenten förmlich entgegen. Seine Augen füllten sich mit Tränen der Erregung. Dies war eine Meldung, die ihn elektrisierte. Ausgerechnet über den Mann, dessen Erfolge er voller Ei­fersucht und Neid verfolgte.

»Lebo Axton hat den Imperator in übel­ster Weise beschimpft und verleumdet. In dieser Weise hat noch niemand in der Öf­fentlichkeit von dem Imperator gesprochen. Ich habe Ton- und Bildaufnahmen von dem Zwischenfall, da ich zufällig in dem Lokal war, in dem es zu diesem Skandal kam.«

»Wo ist Axton?« »Er ist dabei, das Lokal zu verlassen.« »Er ist erledigt«, stellte Frantomor trium­

phierend fest. »Das wird ihm das Genick brechen.«

»Das Lokal liegt in den freien Bereichen des Gartokan.«

»Das spielt keine Rolle. Im Gartokan kann zwar jeder seine Meinung frei äußern,

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und viele tun das auch in dem Glauben, daß wir so dämlich sind, sie nicht zu beobachten, aber ein Mann wie Axton sollte wissen, daß er auch dort seine Zunge hüten muß.«

»Was werden Sie tun?« »Ich gehe sofort zu Orbanaschol und be­

richte ihm, was vorgefallen ist. Kümmern Sie sich um Axton. Es ist wichtig, daß er nicht zu früh hier im Palast erscheint.«

»Er kann unmöglich vor Ablauf von drei Stunden dort sein.«

»Ich weiß. Dennoch werden Sie ihn auf Schritt und Tritt überwachen.« Frantomor schaltete ab. Er lächelte. Auf diese Stunde hatte er lange gewartet. Er war entschlossen, nunmehr eiskalt zuzuschlagen. Lebo Axton sollte keine Chance haben, seinen Kopf noch aus der Schlinge zu ziehen. Er hatte sein eigenes Todesurteil gesprochen.

Frantomor verließ sein Büro und eilte aus dem Raum. Wenige Minuten später betrat er den privaten Wohnbereich des Imperators. Einer der Bediensteten Orbanaschols trat ihm entgegen.

»Sie können den Imperator nicht spre­chen«, sagte er.

»Ich muß zu ihm«, erklärte der Geheim­dienstchef. »Nichts ist wichtiger als das.«

»Er ist in einer Besprechung.« »Mit wem?« Der Bedienstete lächelte bedauernd. »Hören Sie«, sagte Frantomor. »Ich habe

dem Imperator etwas zu melden, das von schicksalhafter Bedeutung für das ganze Im­perium ist. Jede Verzögerung kann verhäng­nisvoll sein.«

Der Bedienstete überlegte kurz, nickte Frantomor dann zu und ging zu dem Impera­tor. Der Geheimdienstchef wartete voller Ungeduld, bis sich die Tür für ihn wieder öffnete. Dann stürmte er voller Eifer in die Gemächer Orbanaschols. Ein zweiter Be­diensteter bedeutete ihm schweigend, in den Salon zu gehen.

»Imperator«, rief Frantomor, als die Tür zum Salon zur Seite glitt. Er eilte in den Raum. »Stellen Sie sich vor, ich …«

Er blieb wie vom Schlag getroffen stehen.

Seine Augen weiteten sich. Fassungslos blickte er auf Lebo Axton, der neben Orba­naschol III. saß und angeregt mit diesem plauderte.

»Was ist los, Kethor?« fragte der Impera­tor. »Warum stören Sie mich? Was ist so wichtig, daß es nicht bis morgen warten kann?«

»Ich ahnte ja nicht, daß Sie Besuch haben, Imperator«, sagte Frantomor stammelnd. Hilflos blickte er auf den Verwachsenen. Er suchte nach Worten.

Orbanaschol schüttelte unwillig den Kopf. »Was soll der Unsinn?« erkundigte er sich

mit seiner Fistelstimme. »Jako hat Ihnen er­klärt, daß ich in einer Besprechung bin, aber Sie haben sich nicht abweisen lassen. Also, was ist los? Berichten Sie endlich.«

Frantomor deutete auf das Funkgerät an seinem Handgelenk.

»Auf dem Wege hierher zu Ihnen habe ich eine neue Nachricht erhalten, die alles verändert«, log er. »Es tut mir leid, daß ich Sie gestört habe.

Bitte, erlauben Sie mir, daß ich mich zu­rückziehe.«

»Sie bleiben«, befahl Orbanaschol zornig. »Sie sagen mir die Wahrheit.«

»Sie bringen Kethor Frantomor in arge Verlegenheit«, bemerkte Lebo Axton gelas­sen. »Er möchte Ihnen gern sagen, was pas­siert ist, allein – er weiß es selbst noch nicht so genau.«

»Das müssen Sie mir erklären«, forderte Orbanaschol.

»Gern«, erwiderte der Verwachsene. »Es handelt sich um eine bösartige Intrige, die gegen mich gerichtet ist. Ich werde ihnen in kurzen Umrissen beschreiben, wie ich es herausgefunden habe.«

Axton schloß für einen kurzen Moment die Augen. Er erinnerte sich wieder an die Ereignisse der letzten Tage. Er wollte dem Imperator tatsächlich eröffnen, was gesche­hen war, allerdings plante er nicht, ihm alles zu sagen. Er wollte ihn nur über das Wich­tigste informieren, ohne ihm Einblicke dar­über zu gewähren, über welche Möglichkei­

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ten er – Axton verfügte.

*

Es war an der achten der Hara gewesen: »Deine Augen lassen nach, Schätzchen«,

sagte der Roboter. »Ach, wirklich?« fragte Lebo Axton-

Kennon. Er drehte sich mit seinem Sessel herum und blickte zu Gentleman Kelly auf, der sich auf sein Geheiß ein paar Blumen auf den ovalen Schädel gelegt hatte, um sich so ein freundlicheres Aussehen zu verleihen.

»Du hast etwas übersehen.« Der Verwachsene runzelte die Stirn. »Da bin ich aber gespannt«, sagte er,

schwenkte seinen Sessel wieder herum und ließ den Magnetstreifen des Videogeräts zu­rücklaufen. Das Band stammte aus einem versteckten Überwachungsgerät, das irgend-wo in den vielverzweigten Gängen des Kri­stallpalasts von Arkon angebracht war. Das Bildband zeigte ihn selbst, wie er durch eine Tür auf den Gang hinaustrat und auf Gentle­man Kelly wartete, auf dessen Rücken er schließlich stieg, um sich von ihm davontra­gen zu lassen.

Axton ließ das Band zurücklaufen und spielte es erneut ab. Als der Roboter zu einer Bemerkung ansetzte, unterbrach er ihn, in­dem er abwehrend einen Arm hob. Er wollte allein herausfinden, was Kelly gemeint hat­te. Doch auch als er das Band ein weiteres Mal gesehen hatte, wußte er nicht, was falsch daran sein sollte. Er war allein darauf, und an den Wänden und Türen hinter ihm hatte sich nichts geändert.

»Ich glaube, du spinnst, Blechkumpel«, sagte der Kosmokriminalist.

»Du bist also völlig hilflos ohne mich«, stellte Gentleman Kelly fest.

»Überschätze dich nicht, du arkon­stählerne Mißgeburt«, entgegnete Axton. »Richtig ist, daß mein Leben wesentlich leichter und angenehmer wäre, wenn du nicht wärst.«

»Aha.« »Ist das alles, was du zu sagen hast?«

H.G. Francis

»Ich bin beleidigt.« »Welch ein Glück. Ich hätte nicht ge­

dacht, daß es mir gelingen würde, dich zu beleidigen. Mit dieser einen Bemerkung hast du mein Leben erhellt.« Axton schwieg eini­ge Sekunden. Dann drehte er sich langsam herum und brüllte: »Was ist los? Heraus da­mit!«

»Durch Lautsprecher kannst du deine Au­torität nicht erhöhen«, antwortete Kelly. »Geistvolle Argumentationen sind für mich wesentlich eindrucksvoller.«

Axton blieb der Mund offen stehen. »Was hast du da gesagt?« fragte er ver­

blüfft. »Habe ich richtig gehört?« Gentleman Kelly schwieg. »Nun rede schon«, forderte Axton. »Ich ziehe es vor, dir durch mein Schwei­

gen Gelegenheit zum Nachdenken zu ge­ben.«

»Jetzt reicht es«, sagte der Verwachsene wütend. Er hieb mit der Faust auf den Tisch. »Ich will wissen, was du beobachtet hast!«

»Wenn du mich auf diese Weise zwingst, unsere kleine geistvolle Plauderei zu been­den, beuge ich mich«, erwiderte der Robo­ter. »Du hast bei der Kontrolle des Bildstrei­fens nicht bemerkt, daß einige Bilder her­ausgeschnitten worden sind.«

Die Augen Axtons weiteten sich. Unwill­kürlich wandte er sich dem Bildgerät wieder zu. Er ließ es zurücklaufen und sah sich den Streifen dann erneut an. Dieses Mal ließ er ihn aber extrem langsam durch den Betrach­ter gleiten.

»Hier«, rief Gentleman Kelly plötzlich. Axton hatte nichts bemerkt. Mit einem

Fingerzeig veranlaßte er den Roboter, die betreffende Stelle einzustellen. Dann erst fiel ihm auf, daß es im Bildablauf einen win­zigen Sprung gab, der für das menschliche Auge kaum feststellbar war und bei normal schnellem Durchlauf nicht erfaßt werden konnte.

Axton führte die notwendigen Kontrollen durch. Dann gab es für ihn keinen Zweifel mehr.

»Ab und zu bist du tatsächlich zu gebrau­

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chen«, sagte er lobend zu Kelly. Ihm wurde heiß, als er sich dessen bewußt wurde, was es bedeutete, daß jemand Einzelbilder aus dem Streifen herausgeschnitten hatte. In ei­ner Zeit, in der die Technologie so weit fort­geschritten war, daß niemand mehr auf die Idee kam, Bilder mit einer Schere aus einem Bildstreifen herauszutrennen, gab es nur Si­cherheitseinrichtungen gegen elektrische Kopierverfahren. Wer auch immer Einzel­bilder aus dem Streifen herausgelöst hatte, hatte das gewußt.

»Wie viele Bilder fehlen?« fragte Axton, der keine Lust spürte, alle Lücken allein zu suchen.

»Fünf«, antwortete Kelly. Er beugte sich vor und zeigte dem Kosmokriminalisten, wo die Stellen waren. Axton kopierte elektro­nisch die benachbarten Bilder heraus.

»Das verstehe ich nicht«, sagte er dann, als die Bilder gleichzeitig auf dem Video­schirm erschienen. »Jemand wollte Bilder von mir, die mich aus allen Richtungen zei­gen. Wozu? Was soll das?«

»Darauf kann ich dir keine Antwort ge­ben, da mir entsprechende Grundinformatio­nen fehlen«, erwiderte Gentleman Kelly.

»Ich habe nichts anderes erwartet.« Axton erhob sich und ging unruhig im Raum auf und ab. Einige Minuten lang hielt er es aus, dann winkte er Kelly zu sich heran, stieg auf seinen Rücken und sagte: »Wir fliegen zu Avrael Arrkonta. Ich muß mit ihm reden.«

*

Avrael Arrkonta schickte seine beiden Frauen aus dem Salon, als Lebo Axton ein­trat. Er erhob sich vom Frühstückstisch und kam ihm lächelnd entgegen.

»Ich habe nicht damit gerechnet, Sie schon so früh bei mir zu sehen«, sagte er freundlich.

»Ich hatte auch nicht vor, Sie schon so früh zu belästigen, aber es ist etwas vorge­fallen. Ich muß mit Ihnen darüber sprechen, wenn es Ihnen recht ist.«

»Essen Sie eine Kleinigkeit mit mir. Und

dann erzählen Sie, was passiert ist.« Axton setzte sich zu dem arkonidischen

Industriellen an den Tisch und frühstückte mit ihm. Dabei berichtete er, was Gentleman Kelly entdeckt hatte.

»Sie glauben also an eine Intrige?« fragte Arrkonta.

»Ich bin sicher, daß ein Angriff gegen mich unmittelbar bevorsteht. Ich spüre es.«

Der Arkonide blickte den Verwachsenen ernst an.

»Sie mußten damit rechnen«, entgegnete er. »Sie haben bei Orbanaschol nach der Doppelgängeraffäre ungemein an Ansehen gewonnen. Sie haben den Imperator gerettet und den Doppelgänger vernichtet.«

»Allerdings.« »So vorteilhaft ihre Erfolge auf der einen

Seite sind, so gefährlich sind sie aber auch für Sie. Nun haben Sie vom Imperator einen Planeten geschenkt bekommen. Das ist eine absolut ungewöhnliche Auszeichnung, wie sie nur wenigen zuteil wird.«

»Dessen bin ich mir bewußt.« »Ich habe meine Verbindungen«, fuhr

Arrkonta lächelnd fort. »Die Tatsache, daß Sie hoch in Orbanaschols Gunst stehen, hat in den höchsten Adelskreisen Unruhe ausge­löst. Viele einflußreiche Persönlichkeiten des Imperiums hassen Sie. Und nicht nur das. Sie fürchten Sie auch. Und das ist schlimmer. Ihr kometenhafter Aufstieg ist diesen Männern unheimlich geworden. Sie fürchten, im gleichen Maße an Ansehen und an Macht zu verlieren, wie Sie gewinnen. Es ist klar, daß diese Männer irgendwie reagie­ren müssen.«

Axton schluckte ein Stückchen Fleisch herunter. Er nickte.

»Damit habe ich schon lange gerechnet«, erklärte er.

»Ich weiß, daß Sie ein ausgezeichneter Kosmopsychologe sind«, sagte der Arkonide ernst. »Sie sind sich über Ihre Situation klar. Doch der Widerstand, den Sie überwinden müssen, nimmt in kaum vorstellbarer Weise zu, je näher Sie Orbanaschol und damit der tatsächlichen Macht kommen. Bisher haben

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Sie nur Einzelgegner gehabt. Jetzt aber scheinen sich diese Gegner zu einer Macht­gruppe zu vereinigen, die mit geballter Kraft nach ihnen schlagen will.«

»Das sind Spekulationen«, wehrte der Terraner ab. »Ich bin mir dessen bewußt, daß der Pfad, auf dem ich gehe, von Tag zu Tag schmaler wird, zumal ich wahrhaftig kein Freund Orbanaschols bin. Noch aber ist durch nichts erwiesen, daß es tatsächlich ei­ne Machtgruppe gibt, die sich gegen mich stellt.«

»Es gibt sie«, behauptete Avrael Arrkon­ta. »Ich habe zwar keine Beweise dafür, aber ich glaube, aus einigen Indizien darauf schließen zu können, daß es diese Gruppe wirklich gibt. Ich bin froh, daß Sie auf diese Bildaffäre gestoßen sind, denn nun werden Sie mir eher glauben als ohne jeden Anhalt.«

Axton nickte. »Sie haben recht, Avrael«, sagte er. »Was

haben Sie gehört?« »Ich kann Ihnen keine präzisen Angaben

machen, Lebo«, erwiderte der Arkonide be­dauernd. »Ich weiß nur, daß es eine Gruppe gibt, die sich Macht der Sonnen nennt. Und ich habe erfahren, daß zu dieser Gruppe die einflußreichsten Persönlichkeiten des Impe­riums aus dem Bereich der Wirtschaft, des Militärs und der Kultur gehören.«

»Ein ganz feiner Club also.« »Unterschätzen Sie ihn nicht, Lebo«, bat

der Arkonide. »Wenn sich die Macht der Sonnen tatsächlich gegen Sie richten sollte, dann haben Sie es mit dem gefährlichsten Gegner zu tun, dem Sie sich je gegenüberge­sehen haben.«

2.

Lebo Axton ließ den Bildstreifen erneut ablaufen, fügte dann aber die zeitlich darauf folgenden hinzu, bis ein Roboter im Bild er­schien, der direkt auf die Kamera zuging, um die Filmkassette herauszunehmen und eine neue einzulegen.

»Notiert?« fragte er. »Ich habe den Roboter erfaßt«, erwiderte

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Gentleman Kelly. »Es ist alles in Ordnung. Der Automat ist zu dem Wechsel berech­tigt.«

Axton erhob sich, stieg auf den Rücken Kellys und ließ sich zu einem Archivraum tragen. Hier schob er die entnommene Kon­trollkassette wieder in das dafür vorgesehe-ne Fach. Eine Videokamera im Hintergrund des Raumes überwachte jeden Handgriff. Doch das spielte für Axton keine Rolle, da er befugt war, sich hier völlig frei zu bewe­gen, und alles einzusehen, was an Material vorhanden war. So konnte er ungeniert ar­beiten. Er stellte fest, daß der beobachtete Roboter den Film ordnungsgemäß abgelegt hatte. Eine zweifach abgesicherte Licht­brücke zeigte an, daß dieser anschließend von zwei verschiedenen Personen entnom­men worden war. Eine dieser Personen war er selbst. Über die andere lagen keine Infor­mationen vor, die zu einer sofortigen Identi­fizierung ausreichten. Für Axton war klar, daß diese Person es gewesen war, die die Einzelbilder von ihm in einem umständli­chen Verfahren herausgeschnitten hatte.

Axton vermutete, daß der Unbekannte glaubte, sein Eingriff werde nicht bemerkt werden. Tatsächlich war er auch nur durch einen außerordentlichen Zufall entdeckt worden. Axton führte nur selten solche Kon­trollen durch, und er ließ sich keineswegs immer von Kelly helfen.

Darüber hinaus hatte der Unbekannte aber angenommen, daß er sich in der relativ großen Zahl derer verstecken konnte, die die Filmspulen ansehen durften. Doch das war ein Irrtum.

Axton untersuchte nun die Filme der Be­obachtungskamera des Archivs. Dabei kam nur ein kleiner Zeitraum in Frage, der durch­gesehen werden mußte. Auf dem Streifen er­schienen fünf Männer und sieben Frauen. Davon sichtete nur eine der Frauen das in Frage kommende Fach. Und damit war Ax­ton an dem angestrebten Zwischenziel. Er wußte, wer sich für die Bilder von ihm inter­essierte. Er brauchte nun nur noch in das Personalarchiv überzuwechseln und von

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Gentleman Kelly die elektronisch verschlüs­selten Informationen an die Kartei weiterge­ben zu lassen. Sekunden darauf warf der Computer ein Foto aus, auf dessen Rücksei­te die Informationen notiert waren, die der Kosmokriminalist haben wollte.

Die Frau war eine Mitarbeiterin des Inge­nieurs und Biowissenschaftlers Kramat Her­rakton. Dieser Mann war Axton dem Namen nach bekannt. Herrakton galt in vieler Hin­sicht als ungewöhnlich – sowohl was seinen Reichtum, seinen politischen Einfluß und seine Intelligenz betraf.

War Kramat Herrakton das ausführende Organ der Macht der Sonnen?

Axton beschloß, sich näher über Herrak­ton zu informieren.

*

»Ich lehne es ab, dazu Stellung zu neh­men«, sagte Gentleman Kelly mit eigenartig schriller Stimme.

Axton-Kennon wurde aufmerksam. Über­rascht drehte er sich um.

»Habe ich dich richtig verstanden?« frag­te er. »Du willst nicht mit diesem liebens­werten, kleinen Kerlchen zusammenarbei­ten?«

»So kann man es auch formulieren.« Der Verwachsene grinste schief. Er

rutschte von seinem Hocker, eilte mit schlei­fenden Füßen quer durch den Raum und blieb heftig nach Atem ringend vor dem Ro­boter stehen, der ihn weit überragte.

»Du Wicht«, sagte er und trat Kelly gegen die krummen Beine. »Wie kommst du dazu, dich derart unverschämt zu benehmen?«

Gentleman Kelly antwortete nicht. Axton-Kennon holte tief Luft, tippte den Roboter mit der Faust an, drehte sich um und kehrte zu dem Hocker zurück, auf dem er gesessen hatte.

»Du bist eifersüchtig«, stellte er genüßlich fest. »Du klägliches Stück Blech bist eifer­süchtig auf diesen kleinen Kerl.«

Gentleman Kelly schwieg weiterhin. Ax­ton rieb sich die Hände, blickte den winzi­

gen Roboter an, der auf dem Tisch stand, und sagte in plötzlich verändertem Ton: »Ich warne dich ernsthaft davor, Kelly, menschli­che Gefühle zu entwickeln. Es könnte näm­lich sein, daß es für mich unter solchen Um­ständen unerträglich wird, dich in meiner Nähe zu wissen.«

Er fuhr herum. Sein bleiches Gesicht ver­zerrte sich.

»Hast du verstanden?« schrie er. Seine Stimme überschlug sich. »Ich will nicht, daß ein Roboter sich wie ein Mensch benimmt. Du bist kein Mensch, sondern eine An­sammlung von Arkonstahl, Plastik, NE-Metallen und Positronik. Nichts an dir ist menschlich, also versuche nicht, mich mit menschlichen Reaktionen und menschlich­psychischen Verhaltensweisen zu foltern.«

Gentleman Kelly schwieg. Es schien, als bemühte er sich, Lebo Axton zu ignorieren. Der Kosmokriminalist hob den kleinen Ro­boter vom Tisch auf und drehte ihn in den Händen.

»Du wirst mit ihm zusammenarbeiten. Al­les wird so ablaufen, wie ich es will. Hast du mich verstanden?«

»Ich habe verstanden, Liebling.« »Fein«, entgegnete der Terraner. »Ich se­

he, daß sich bei dir alles wieder zu normali­sieren scheint. Also, noch einmal. Wie ge­hen wir vor?«

»Ich werde den Mini-Roboter so lenken, daß er … Woher kommt eigentlich der Aus­druck Mini, Schätzchen?«

Axton war für einige Sekunden sprachlos vor Überraschung. Er schluckte einige Male. Dann entschloß er sich, Kelly zu antworten.

»Das weiß ich auch nicht genau«, sagte er. »Ich glaube, es hat einmal eine Mode ge­geben, bei der die Frauen und Mädchen sehr kurze Röcke getragen haben. Und diese Mo­de nannte man dann Mini.«

Er zeigte bei seinen eigenen Beinen an, wie kurz die Röcke gewesen waren.

»Aber dann hat man ja die krummen Bei-ne gesehen«, sagte Gentleman Kelly. »War das denn hübsch?«

»Nicht alle Terraner haben so krumme

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Beine wie ich«, entgegnete Axton stöhnend. »Haben denn die Frauen, die krumme

Beine hatten, auch Mini getragen?« fragte Kelly beharrlich.

»Das weiß ich nicht, zum Teufel«, schrie der Verwachsene aufbrausend. »Ich habe weder Zeit noch Lust, mit dir über Mini-Röcke zu diskutieren. Hast du mich verstan­den?«

»Ja, ich habe verstanden.« »Also gut«, sagte Axton. »Wir haben fest­

gestellt, daß es so gut wie unmöglich ist, in Kramat Herraktons Büro und seine Arbeits­räume einzudringen. Deshalb habe ich den Mini-Roboter hervorgeholt, damit er die Si­cherheitsschranken durchbricht und die Räu­me Herraktons für uns von innen heraus auf­bricht. Klar?«

»Völlig klar, Schätzchen.« »Deine Aufgabe wird es sein, den Robo­

ter zu überwachen und zu lenken. Herrakton hat sein Büro vor einer halben Stunde als letzter verlassen. Wir können mit der Aktion also beginnen. Hast du noch Fragen?«

»Ja. Wenn ein Mädchen nun krumme Bei-ne hat, wie lang war dann der Mini-Ro …«

»Ruhe«, brüllte Axton und griff drohend nach einem Kombistrahler, der neben dem Mini-Roboter auf dem Tisch lag. Gentleman Kelly verstummte augenblicklich.

»Das Thema ist gestorben« sagte der Ter­raner, nachdem er sich beruhigt hatte. »Ich will nichts mehr davon hören.«

»Ich beuge mich der Gewalt.« Lebo Axtons Zorn verrauchte ebenso

schnell, wie er aufgekommen war. Er blickte Kelly kopfschüttelnd an und erklärte: »Wenn ich mal wieder bei Orbanaschol ein­geladen werde, werde ich mir einen Mini-Rock umhängen. Dein Anblick wird ausrei­chen, die Gesellschaft in eine ausgelassene Stimmung zu versetzen.«

Die Tür sprang auf, nachdem Gentleman Kelly ungefähr zwanzig Sekunden an dem elektronischen Schloß herumhantiert hatte. Der Roboter betrat die dahinter liegende Wohnung und kehrte schon nach wenigen Sekunden auf den Gang zurück. Er hob den

H.G. Francis

rechten Arm und verschwand wieder. Lebo Axton eilte keuchend über den Gang

auf die Tür zu. Jeder Schritt fiel ihm schwer. Die Luft war heiß und stickig in diesem Ge­bäude. Offensichtlich war die Klimaanlage nicht in Ordnung oder einfach nur falsch eingestellt. Keuchend und völlig erschöpft erreichte der Terraner die Wohnung. Die Tür schloß sich hinter ihm.

»Das nächste Mal werde ich mich tragen lassen«, erklärte er hustend. »Ich werde alt. Die Knochen wollen nicht mehr so, wie ich will.«

»Dann gibt es jemanden, der sich deinem Willen widersetzt?« fragte Kelly. Axton blickte ihn verständnislos an. Als er endlich begriff, was der Roboter gemeint hatte, schüttelte er stumm den Kopf und eilte mit schleifenden Füßen weiter. Ächzend kletter­te er in einen Sessel. Er ließ den Kopf auf den Rand der Rückenlehne sinken und atme­te einige Minuten lang tief durch, bis er sich ausreichend erholt hatte. Dabei wurde ihm bewußt, daß er in letzter Zeit auffallend schwach geworden war. Dabei waren immer wieder Perioden aufgetreten, in denen seine Kräfte voll zurückgekehrt schienen. Diesen aber folgten stets Tage, in denen er unmittel­bar vor einem totalen Zusammenbruch zu stehen schien. Doch es war ihm gelungen, immer wieder die Schwäche niederzukämp­fen.

Gentleman Kelly präparierte ein Videoge­rät.

»Es kann losgehen«, sagte er, als er seine Arbeit abgeschlossen hatte.

»Also gut«, stimmte Axton zu. »Schalte LA-1 ein.«

Gentleman Kelly gehorchte wortlos. Auf dem Bildschirm des Videogeräts entstand das Bild eines Gitters. Axton beugte sich un­willkürlich nach vorn.

»Führe ihn jetzt durch den Luftschacht bis zum Punkt R«, befahl er.

Das Bild änderte sich. Die Kamera im Kopf des Mini-Roboters schwenkte herum. Winzige Scheinwerfer erhellten einen schmalen Gang. Einige spinnenähnliche In­

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sekten flüchteten ins Dunkel. Gentleman Kelly lenkte LA-1 durch den Gang, ließ ihn an Abzweigungen mal nach links, mal nach rechts gehen und hielt ihn schließlich an ei­ner Stelle an, die sich durch nichts von ande­ren unterschied. Dennoch zweifelte der Ter­raner nicht daran, daß der Roboter den ange­strebten Punkt R gefunden hatte. Die beiden Hände von LA-1 gerieten in den Bereich der Kamera und wurden damit auf dem Video­schirm sichtbar. Sie hielten ein winziges Schweißgerät. Damit trennte der Mini-Roboter die Seitenwand auf, die aus dünnem Blech bestand. Wenig später schob er sich durch die entstandene Öffnung und verließ damit das Belüftungssystem. Axton wußte, daß sein Mini-Agent dieses nicht noch län­ger benutzen durfte, da es mit raffinierten Sicherheits- und Alarmanlagen versehen war. Doch er dachte gar nicht daran, LA-1 durch das Belüftungssystem in die Wohnung des Ingenieurs zu führen.

Er hatte sich für einen anderen Weg ent­schieden.

Gentleman Kelly veranlaßte den Mini-Roboter, sich um eine Längsachse zu dre­hen, damit er und Axton die neue Umge­bung sehen konnten. Wie vorausgeplant, stand LA-1 zwischen vier Rohren, die unter­schiedlich gefärbt waren. Kelly steuerte ihn zu einem gelben Rohr und ließ es ihn auf­schweißen. Es war aus einem harten Plastik­material, das der heißen Flamme jedoch nicht widerstand. Wenig später konnte der Roboter durch eine Öffnung in das Rohr kriechen. Kelly drehte sich sofort wieder um. LA-1 sprühte einen gelben Nebel auf die Öffnung, und diese schloß sich wieder.

»Er befindet sich im Rohrsystem der Bo­denheizung«, berichtete Gentleman Kelly.

»Weiter«, sagte Axton drängend. »Verliere keine Zeit.«

LA-1 marschierte durch das Rohr. Nichts schien sich verändert zu haben. Doch das täuschte. Axton wußte, daß die Temperatur in der neuen Umgebung wesentlich höher war als in der vorherigen. LA-1 wurde da­durch jedoch nicht beeinträchtigt. Er erreich­

te schon nach wenigen Minuten den ange­strebten Punkt.

»Er befindet sich nun genau unter dem Boden des Büros von Herrakton«, erklärte Kelly.

»Bist du ganz sicher, daß du dich nicht geirrt hast?«

»Irren ist menschlich«, erwiderte der Ro­boter mit näselnder Stimme.

»Okay«, sagte Axton ruhig. »Wenn du dir dessen so sicher bist, dann kann es ja weiter­gehen.«

LA-1 richtete seinen Schweißbrenner nach oben. Er verstellte die Düse, daß ein langer Feuerstrahl daraus hervorschoß. Da­mit brannte er ein genügend großes Loch in das Rohr und in die Decke darüber. Er lenk­te den Feuerstrahl schräg nach oben, damit er von herabtropfender Glut nicht getroffen wurde. Kaum zwei Minuten verstrichen, bis Gentleman Kelly meldete, das LA-1 es ge­schafft hatte.

»Die Öffnung ist groß genug«, sagte er. »Gut. Dann soll er springen.« Auf dem Videoschirm war nicht zu erken­

nen, daß der Mini-Roboter die Knie beugte. Das Bild schwankte nur ein wenig, dann flog die Öffnung im Rohr auf die beiden Be­trachter zu. Danach wurde es dunkler.

»Er ist im Büro von Herrakton«, behaup­tete Kelly. »Wir müssen ein wenig warten, bis sich die Optiken auf die weniger günsti­gen Lichtverhältnisse eingestellt haben.«

Tatsächlich schien sich der Raum, in dem sich LA-1 befand, bereits nach kurzer Zeit zu erhellen. Axton erkannte Bürotische, ei­nige Stühle, Zeichenwände und technische Geräte.

Gentleman Kelly führte LA-1 nun zum Ausgang und schaltete die Meßgeräte ein, die der Mini-Roboter mit sich führte. Im gleichen Moment entstanden auf dem Vi­deoschirm helle Linien. Sie zeigten an, wo sich die Drähte des Alarmsystems unter dem Plastikmantel der Wände befanden. So war es nicht weiter schwierig für Kelly, den Mi­ni-Roboter winzige Elektronikbrücken an­bringen zu lassen, mit denen das Sicher­

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heitssystem ausgeschaltet werden konnte, ohne daß ein Alarm ausgelöst wurde.

»Es ist soweit«, meldete er ein wenig spä­ter.

Axton rutschte aus dem Sessel und klet­terte auf Kellys Rücken. Er ließ sich aus der Wohnung über den Gang tragen. Kurz dar­auf öffnete Kelly eine andere Tür, und dann war der Terraner im Büro von Kramat Her­rakton. Er ließ sich vom Rücken Kellys glei­ten und ging allein weiter. Mühelos konnte er sich in den Räumen orientieren, ohne das Licht anschalten zu müssen. Die erwachten Extrasinne seines Gehirns machten ihn nachtsichtig und infrarotempfindlich, so daß er fast so gut sehen konnte wie bei Tages­licht.

Axton ging zu einer Tür und öffnete sie. Seine Blicke fielen auf eine monströse

Gestalt. Er fuhr entsetzt zurück. »Ich will Licht haben«, sagte er. Kelly be­

rührte den Schalter an der Tür, und der Kos­mokriminalist schloß die Augen bis auf einen kleinen Spalt, um nicht geblendet zu werden. Er legte eine Hand an den Hals. Sein Magen revoltierte, und für einen kurzen Moment schien es, als werde er die Kontrol­le über sich verlieren. Dann aber fing er sich.

»Schön siehst du aus, Liebling«, sagte Gentleman Kelly und ging an Axton vorbei. »Als Mini-Bio bist du nur ein wenig zu kurz geraten.«

»Ich will kein Wort mehr hören«, schrie der Verwachsene schrill. Der tief in ihm ver­wurzelte Robothaß drohte durchzubrechen.

Er ging auf die monströse Gestalt zu und hob die Hände, doch bevor er seinem spon­tanen Impuls nachgeben konnte, setzte sich die Vernunft durch. Er verzichtete darauf, das Gebilde umzustoßen.

»Was hat das zu bedeuten?« erkundigte sich Kelly, der Axton mit diesen nüchternen Worten half, zu sich selbst zu finden.

»Das werde ich bald wissen«, antwortete der Terraner, der durch das Bild, das sich ihm bot, an sein Dasein in einem Robotkör­per erinnert wurde. Er setzte sich in einen

H.G. Francis

Sessel und betrachtete die Gestalt. Sie hatte in ihrem oberen Teil eine ver­

blüffende Ähnlichkeit mit ihm. Der untere Teil zeigte, was sie wirklich war. Ein Robo­ter. Die Maschine war an Kopf, Schultern, Armen, der linken Hand und der rechten Hüfte mit einer Biomasse überzogen wor­den, die einen erstaunlich echten Eindruck machte. Die anderen Bereiche des Robotkör­pers waren noch nicht maskiert worden. Es war jedoch nicht der Kontrast zwischen dem fertigen und dem halbfertigen Teil des Ro­boters, sondern das Symbolhafte, das diese Gestalt für Axton-Kennon in sich barg.

Wieder einmal fragte sich der Terraner, was er eigentlich war. Existierte er wirklich in dieser Welt der Arkoniden? War alles nur ein Traum? War er ein Gehirn, das in einem Robotkörper in Ischtars Traummaschine leb­te? Oder war er ein Mensch? Ein Mensch in einem verkrüppelten Körper, aber immerhin doch ein Mensch?

»Diese Nacht dauert nicht ewig«, sagte Gentleman Kelly.

Lebo Axton schreckte auf. »Was sagtest du?« fragte er, doch dann

streckte er die Hände abwehrend aus, weil er schon begriffen hatte, was der Roboter ge­meint hatte. Er blickte auf sein Chronometer und erschrak, weil er allzu lange in Gedan­ken versunken im Sessel gesessen hatte, an­statt sich auf naheliegende Arbeit zu kon­zentrieren.

Er erhob sich und ging um den Roboter herum. Dabei fiel ihm auf, daß das Biomate­rial am Hinterkopf noch nicht geschlossen war. Er zog die Hautfalten auseinander und blickte in den Schädel hinein. Er war leer. Das Positronenhirn fehlte noch.

Axton drehte sich um und deutete auf zwei andere Türen.

»Sieh nach, was da ist«, befahl er. Der Roboter gehorchte wortlos. Er kehrte schon wenig später zurück und teilte mit, daß er nichts von Wichtigkeit entdeckt hätte.

Axton verließ sich nicht auf die Auskunft Kellys. Er überprüfte die Nebenräume eben­falls kurz, mußte aber dann die Aussage des

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13 Die Macht der Sonnen

Roboters bestätigen. Danach ging er durch die dritte Tür in ein kleines Büro, das offen­bar nur von Kramat Herrakton benutzt wur­de. Ein Schild an der Tür wies darauf hin. Axton ließ das Büro zunächst von Gentle­man Kelly aufnehmen. Der Roboter machte einige Fotos und speicherte die Daten, so daß er später in der Lage war, alles wieder so an seinen Platz zu legen, wie sie es vorge­funden hatten. Danach begann der Verwach­sene mit einer systematischen Untersu­chung.

Sie verlief enttäuschend. Axton fand nichts, was ihm auf Anhieb wichtig erschi­en. Es war kein Hinweis auf die Macht der Sonnen vorhanden. Wäre das monströse Ro­botgebilde nicht gewesen, hätte der Terraner keinerlei Verdachtsmomente gehabt.

Doch nun wußte er, daß etwas da sein mußte.

Die Existenz des ihm ähnlichen Roboters war ein eindeutiger Beweis dafür, daß die Macht der Sonnen zum Angriff auf ihn ge­blasen hatte. Fieberhaft überlegte Axton-Kennon, was er tun sollte. Immer wieder krallten sich seine Hände um den blauen Gürtel, der sich unter seiner Kleidung um seine Hüften schlang. Doch von diesem Ge­bilde konnte er keine Hilfe erwarten.

Axton wußte, daß der Sieger der Amne­stie-KAYMUURTES bald kommen würde. Große Festlichkeiten waren geplant. Die Ze­remonienmeister des Hofes und die Manager der Vergnügungsbranchen bereiteten sich schon seit langer Zeit auf dieses Ereignis vor. Ganz Arkon würde für einige Tage wie im Taumel leben. Ursprünglich hatte Axton geplant, diese Tage für sich zu nutzen und Atlans Weg zur Macht vorzubereiten. Doch nun sah es so aus, als werde er alle Hände damit zu tun haben, sich selbst zu retten.

Als Axton dabei war, das Büro wieder so herzurichten, wie es vorher gewesen war, stieß er auf einen Zettel. Auf diesem war no­tiert, daß an der siebzehnten der Hara nach der Imperiums-Erkanta etwas passieren soll­te. Die Imperiums-Erkanta war die allabend­liche Informationsshow. Der siebzehnte Tag

der Hara war nicht mehr allzu fern. War aber wirklich eine Verbindung zwischen ihm, dem Roboter und der siebzehnten der Hara vorhanden?

Axton hatte einfach zu wenig Anhalts­punkte, um klare Schlüsse ziehen zu können. Dennoch war er mit dem Ergebnis dieses Einsatzes zufrieden.

3.

Orbanaschol blickte Lebo Axton for­schend an.

»Und dann?« fragte er. »Was passierte dann?«

Der Kosmokriminalist hatte ihm nur einen bescheidenen Ausschnitt aus dem mitgeteilt, was sich ereignet hatte, so daß der Imperator gerade wußte, welcher Bedrohung sich Ax­ton ausgesetzt gesehen hatte.

»Nicht mehr viel, Imperator«, antwortete der Verwachsene. »Nachdem ich wußte, daß wir es nicht abermals mit einem Doppelgän­ger zu tun hatten, sondern mit einem raffi­niert maskierten Roboter, der meine Rolle spielen sollte, konnte ich entsprechend an­greifen. Die zahlreichen Verbindungen, die dem Abwehrdienst des Imperiums zur Ver­fügung stehen, machten sich bezahlt. Bald wußte ich, daß tatsächlich eine Intrige gegen mich geplant war, und daß ein Ereignis in dem erwähnten Lokal an der siebzehnten der Hara mich mit einem Schlag erledigen soll­te.«

Axton wandte sich an Kethor Frantomor, den Chef des arkonidischen Geheimdiensts. Er blickte ihn spöttisch an.

»Und mein Vorgesetzter zählte schleu­nigst alle Erfolge zusammen, die ich erzielt hatte, schloß messerscharf aus der Tatsache, daß ich dem Imperator mehrfach das Leben gerettet habe, daß ich ein Todfeind des Im­perators sein müsse, und eilte auf direktem Weg hierher. Dabei verfolgte er das edle Motiv, den Vernichtungsplan meiner Gegner zu vollenden. Er wollte Ihnen mitteilen, was ich getan haben soll. Oder nicht, Franto­mor?«

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»Allerdings wollte er das«, bemerkte Or­banaschol III. zornig. »Er konnte gar nicht schnell genug zu mir kommen.«

Frantomor suchte vergeblich nach Wor­ten, um sein Verhalten zu entschuldigen oder zu rechtfertigen.

»Ich bitte Sie, mir zu verzeihen«, sagte Lebo Axton. »Ich bin mir bewußt, daß es ei­ne Unverfrorenheit war, gerade Sie Impera­tor, als Zeuge meiner Unschuld zu mißbrau­chen. In diesem Fall habe ich jedoch keine andere Lösung gesehen. Was hätte ich sonst tun sollen? Ich ahnte, daß meine Gegner planten, mich in skandalöse Vorfälle zu ver­wickeln. Dagegen mußte ich mich wehren.«

Orbanaschol III. legte den Kopf in den Nacken und lachte schallend. Tränen liefen ihm über die feisten Wangen.

»Sie sind der raffinierteste Kerl, der mir je begegnet ist, Axton«, rief er amüsiert. »Besser hätten Sie Ihre Gegner nicht blamie­ren können. Wie konnte die Macht der Son­nen aber auch so unvorsichtig sein, sie frei herumlaufen zu lassen!«

»Oh, man hatte geplant, mich zu entfüh­ren«, erwiderte der Verwachsene lächelnd. »Ich dachte jedoch nicht daran, meinen Ge­genspielern in die Falle zu gehen. Und ich konnte davon ausgehen, daß Sie nicht versu­chen würden, mich aus Ihren Privaträumen zu holen, Imperator.«

Orbanaschol lachte abermals laut auf, wurde jedoch plötzlich ernst, blickte Franto­mor zornig an und befahl: »Hinaus! Sofort.«

Der Geheimdienstchef setzte zu einer Antwort an, Orbanaschol ließ ihn jedoch nicht zu Wort kommen und trieb ihn mit ei­ner verächtlichen Geste aus dem Raum. Der Geheimdienstchef hatte keine Zukunft mehr. Es war nur noch eine Frage der Zeit, wann er seines Amtes enthoben wurde.

Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, wandte sich der Imperator Lebo Axton wieder zu.

»Mich würde interessieren, was mit Ihrem Double und dem Double Ihres Roboters wird«, sagte er und deutete auf Gentleman Kelly, der regungslos hinter Axton stand.

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»Freunde von mir kümmern sich um die beiden«, antwortete der Kosmokriminalist.

*

»Da ist er«, sagte Ermed Trelgron zu Avrael Arrkonta. Deutlich war zu erkennen, daß ein Roboter mit einer verkrüppelten Ge­stalt auf dem Rücken aus einem Lokal in den Innengarten kam. Die beiden Arkoniden befanden sich in einer Halle, in der ein blü­hender Garten angelegt war. Sie wurde von zahlreichen Vergnügungsstätten begrenzt, in denen ein lebhaftes Treiben herrschte.

Ein Ruflicht am Funkgerät, das Arrkonta am Handgelenk trug, leuchtete auf. Der Ar­konide schaltete das Gerät ein und meldete sich.

»Das Thema kann abgeschlossen wer­den«, ertönte eine Stimme aus dem winzigen Lautsprecher. »Alles ist so verlaufen wie er­wartet.«

Arrkonta schaltete wieder ab. Er nickte Trelgron zu.

»Lebo hat mal wieder recht gehabt«, sagte er. »Der Roboter da drüben hat Orbanaschol beschimpft. Erledigen wir ihn.«

Die beiden Männer lösten sich aus ihrer Deckung. Sie näherten sich den beiden Ro­botern, die sich schnell von dem Lokal ent­fernten, aus dem sie gekommen waren. Da­bei stießen sie rücksichtslos einige Arkoni­den zur Seite, um besser voranzukommen.

Arrkonta war froh darüber, daß so viele Zeugen vorhanden waren.

Er erreichte den Haupteingang der Halle vor den beiden Robotern, die so aussahen wie Axton und Gentleman Kelly. Gelassen zog er seinen Energiestrahler und richtete ihn auf sie. Die Kelly-Kopie blieb stehen.

»So ist es recht«, sagte Ermed Trelgron, der seitlich von dem Roboter-Paar aus den Büschen trat.

Einige Arkoniden wurden aufmerksam. Sie eilten zur Seite, entfernten sich jedoch nicht, weil sie die sich anbahnende Ausein­andersetzung verfolgen wollten.

»Absteigen«, befahl Arrkonta.

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»Ich denke gar nicht daran«, erwiderte der Roboter, der so aussah wie Axton.

Avrael Arrkonta feuerte. Er schoß der Kelly-Kopie die Beine weg. Die beiden Ro­boter stürzten zu Boden. Das Axton-Double sprang auf und wollte flüchten, doch jetzt löste Trelgron seine Waffe aus. Der Energie­strahl streifte die verkrüppelten Beine des Flüchtenden und brannte die Bioschicht weg, so daß die Stahlbeine sichtbar wurden.

Der Roboter blieb stehen. Er griff unter seine Bluse, weil er erkannt hatte, daß er sich wehren mußte. Doch Arrkonta ließ ihn nicht zum Schuß kommen. Er zielte kurz und feuerte. Der Energiestrahl fuhr dem Ro­boter quer durch den Kopf und brannte dar­über hinaus auch am Kopf die Biomasse weg, so daß darunter der Stahlschädel zum Vorschein kam.

Bevor die Zeugen überhaupt begriffen, was geschehen war, eilten Arrkonta und Trelgron davon. Sie stürmten in eine Gast­stätte und verließen diese wieder auf einem vorbereiteten Fluchtweg.

Die Zeugen blieben ratlos vor den beiden scheinbar sinnlos zerstörten Robotern zu­rück. Der Spitzel Frantomors verließ das Lo­kal viel zu spät. Als er endlich bemerkte, wie sehr er getäuscht worden war, da war es bereits zu spät für ihn und den Chef des Ge­heimdiensts. Dieser befand sich bereits bei Orbanaschol.

*

Eine Stunde nach Mitternacht betrat Lebo Axton den Salon des Industriellen Avrael Arrkonta. Ermed Trelgron war bei ihm. Die beiden Männer befanden sich trotz des Er­folgs, den sie erzielt hatten, in einer be­drückten Stimmung.

»Nanu?« sagte Axton, während er vom Rücken Kellys stieg und sich in einen Sessel setzte. »Ich dachte, Sie säßen hier und feier­ten?«

»Hätten wir dazu einen Grund?« fragte Arrkonta.

»Wahrscheinlich nicht«, erwiderte der

Terraner. »Sie haben Recht. Wir haben zwar den Angriff pariert, aber den Gegner nicht unschädlich gemacht.«

»Das wird auch kaum möglich sein«, be­merkte Trelgron pessimistisch. »Wenn es tatsächlich die Macht der Sonnen ist, mit der Sie es zu tun haben, dann sehe ich schwarz für die Zukunft.«

»Allerdings«, fügte Arrkonta hinzu. »Einen oder zwei Gegner kann man be­kämpfen, nicht aber eine Organisation, de­ren Mitglieder aus so vielen verschiedenen Richtungen kommen. Die Macht der Sonnen ist überhaupt nicht zu packen.«

»Meinen Sie?« fragte Axton. »Was sollen wir Ihrer Meinung nach tun?«

»Wir müssen uns arrangieren.« Der Kosmokriminalist schüttelte den

Kopf. Er nahm etwas Obst von einer der bei­den Frauen Arrkontas entgegen. Er hatte ei­ne Schwäche für exotische Obstsorten. Arr­konta wußte das und bot ihm deshalb immer etwas an, obwohl diese Spezialitäten sünd­haft teuer waren.

»Das dürfte unmöglich sein«, erwiderte der Verwachsene. »Übersehen wir nicht, daß sich der Zorn dieser Gruppe in erster Linie auf mich richtet. Mich wollen sie vernichten, und dieses Ziel werden sie nicht aus den Au­gen verlieren.«

»Irgend etwas müssen wir tun«, stellte Trelgron fest. »Wir haben Glück gehabt, daß wir dieser Intrige rechtzeitig auf die Spur gekommen sind. Der nächste Angriff trifft uns vielleicht völlig unvorbereitet.«

»Ich werde mich um Kramat Herrakton kümmern«, sagte Axton. »Bei ihm werde ich den Hebel ansetzen.«

»Das habe ich befürchtet«, entgegnete Arrkonta. »Herrakton bietet sich an. Das ist klar. Aber auch die Gegenseite dürfte er­kannt haben, daß Herrakton die schwache Stelle ist.«

»Abwarten«, sagte Axton gelassen. »Vorläufig weiß Herrakton noch gar nicht, wie wir ihm auf die Schliche gekommen sind. Verlassen Sie sich darauf, die Organi­sation hat jetzt erhebliche Kopfschmerzen,

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falls überhaupt schon allen wichtigen Per­sönlichkeiten bekannt ist, was passiert ist.«

»Davon bin ich überzeugt«, erwiderte Arrkonta.

»Ich eigentlich auch«, gab Axton zu. »Das würde bedeuten, daß die Macht der

Sonnen Verbindungsleute in unmittelbarer Nähe Orbanaschols hat«, bemerkte Trelgron.

»So ist es«, bestätigte der Terraner. »Nur das wäre logisch. Die Gruppe ist verunsi­chert, weil in der letzten Zeit einige bis da­hin recht einflußreiche Männer aus der Nähe Orbanaschols entfernt wurden. Sie geben mir die Schuld. Ich bin überzeugt davon, daß zu der Organisation mehrere Männer und Frauen gehören, die ständig in der un­mittelbaren Umgebung des Imperators le­ben. Diese fürchten, daß sie ihren Posten und das damit verbundene angenehme Le­ben aufgeben müssen, wenn sich nicht etwas an der Machtstruktur im Kristallpalast än­dert. Allerdings glaube ich nicht, daß wir unter Zeitdruck stehen.«

»Ich bin gerade entgegengesetzter Mei­nung«, widersprach Arrkonta.

»Vergessen Sie nicht, mein Freund, daß in den frühen Morgenstunden Mana-Konyr, der Sieger der Amnestie-KAYMUURTES, hier eintreffen wird. Das ist ein Ergebnis, das die arkonidische Gesellschaft für einige Tage mehr beschäftigen wird als alles ande­re. Auch wir erhalten dadurch etwas Auf­schub. Vielleicht reicht dieser gerade für die notwendigen Vorbereitungen aus.«

»Was haben Sie vor?« fragte Trelgron, der ehemalige Kommandant von Karaltron.

»Ich will mir Kramat Herrakton schnap­pen«, erklärte Axton lächelnd. »Der Herr In­genieur soll mir einiges über die Organisati­on der Macht der Sonnen erzählen, und dann wollen wir doch mal sehen, ob die Sonnen nicht auch untergehen – wie andere Sonnen auch.«

Avrael Arrkonta lächelte. »Bleiben Sie hier?« fragte er. »Sie können

hier schlafen. Morgen werden wir dann zu­sammen am 3-D-Schirm erleben, wie Mana-Konyr empfangen wird.«

H.G. Francis

»Das ist eine gute Idee«, erwiderte Axton.

*

Mana-Konyr wurde mit einem Aufwand und einer Begeisterung empfangen, die für Axton-Kennon überraschend war. Er hatte damit gerechnet, daß der Hof des Imperators eine Show aus diesem Ereignis machen wür­de. Die Bemühungen Orbanaschols, den KAYMUURTES-Sieger zu feiern, stellten jedoch alles in den Schatten, was Axton je im Arkon dieser Zeit erlebt hatte.

Ein Fest- und Wohnpavillon von beträcht­lichen Ausmaßen war für Mana-Konyr er­richtet worden. Er lag in einem der schön­sten Parks in der Nähe des Raumhafens, der für Starts und Landungen der Privatflotte des Imperators reserviert war. Hier landete das Raumschiff, das den KAYMUURTES-Sie­ger nach Arkon brachte, jedoch nicht. Es ging auf einem weit entfernten Raumhafen nieder. Vor dem Raumhafengebäude hielt der Innenminister des Imperiums vor einer Menge von fast zweihunderttausend Arkoni­den und vor der Presse des Imperiums eine fast einstündige Rede, die ein einziges Lob­lied über Mana-Konyr darstellte.

Danach begann der Festzug. Mana-Konyr flog zusammen mit zahlreichen Ministern aus dem Kabinett Orbanaschols und mit an­deren hochgestellten Persönlichkeiten in niedrig schwebenden Gleitern zu dem Fest­pavillion. Der KAYMUURTES-Sieger stand in der offenen Maschine und winkte der ju­belnden Menge zu. Hin und wieder beugte er sich aus dem Gleiter, um ein hübsches Mädchen zu küssen.

Avrael Arrkonta sah dem Treiben eine Weile zu, dann wandte er sich kopfschüt­telnd an Axton.

»Was sagt ein Terraner zu einem solchen Spektakel?« fragte er.

»Das Volk braucht so etwas«, erwiderte Axton zurückhaltend.

Er blickte unverwandt auf den 3-D-Schirm und beobachtete Mana-Konyr. Ohne sich dessen bewußt zu werden, schob

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er seine Hand unter die Bluse und legte sie um den blauen Gürtel. Dieses rätselhafte Gebilde schien plötzlich wieder zu einem ei­genen Leben erwacht zu sein. Deutlich spür­te er die von ihm ausgehenden Impulse. Sei­ne Hand begann zu prickeln, als ob sie von einem elektrischen Strom erfaßt werde. Er zuckte zurück.

Es schien, als erwache er aus einem Traum. Er merkte, daß sich seine Hand krampfhaftig um den Gürtel krallte, und daß dieser sich anders verhielt als sonst. Ver­wundert fragte er sich, was geschehen sein mochte. Weder Trelgron noch Arrkonta hat­ten etwas gemerkt. Sie blickten auf das 3-D-Gerät.

Axton-Kennon spürte ein eigenartiges Po­chen in seinem Hinterkopf. Er war sich der besonderen Gefahr bewußt, in der er schwebte, nun aber wurde sie körperlich fühlbar.

Täuschte er sich, oder blickte Mona-Konyr tatsächlich für einige Sekunden starr in die Kamera, als ob er ihn durch das po­sitronische Medium hindurch fixieren woll­te.

Axton senkte den Kopf. Er fuhr sich mit den Händen über das schweißnasse Gesicht. Voller Unruhe fragte er sich, ob er etwas übersehen hatte. Dann schreckte ihn eine Bemerkung Arrkontas aus seinen Gedanken auf.

»Was haben Sie gesagt, Avrael?« fragte er.

Der Arkonide lächelte. »Ich kann Ihnen Ihre Sorgen leider nicht

abnehmen«, erklärte er. »So gern ich es tun würde.«

»Das glaube ich Ihnen«, erwiderte der Verwachsene. »Dennoch können Sie etwas tun.«

Er atmete einige Male tief durch. Dann rutschte er aus seinem Sessel und eilte zu der breiten Fensterfront des Salons. Er blick­te auf die parkähnliche Landschaft hinab, die sich zu dem weit entfernten Kristallpa­last hinzog.

»Wir müssen alles über Herrakton in Er­

fahrung bringen«, sagte er energisch. Dank­bar registrierte er, daß Arrkonta das 3-D-Gerät ausschaltete. »Gut wäre es, wenn wir alte Geschichten über ihn ausgraben könnten. Die Organisation Gonozal muß mobilisiert werden. Wir müssen unsere Freunde sofort darüber informieren, daß wir alles über Kramat Herrakton wissen wollen. Vor allem seine Schwächen interessieren.«

»Das ist kein Problem«, entgegnete Er­med Trelgron, der zum neuen Leiter der Or­ganisation Gonozal VII. aufgestiegen war. »Die Frage ist nur, ob Herrakton Freunde bei uns hat, die ihn eventuell warnen könn­ten.«

»Das müssen wir einkalkulieren«, sagte der Kosmokriminalist. »Dennoch wäre es gut, wenn Sie durchblicken ließen, daß wir in durchaus freundschaftlicher Beziehung zu Herrakton stehen. Tatsächlich kann ich nicht sagen, daß mir dieser Mann unsympathisch ist. Gerade das macht es mir schwer, gegen ihn zu kämpfen.«

»Er hat einen gefährlichen Angriff gegen Sie geführt«, stellte Arrkonta überrascht fest.

»Aus seiner Sicht war dieser Angriff durchaus vertretbar«, erklärte Axton. »Vielleicht hätten Sie und ich ebenso gehan­delt wie er.«

»Sie suchen also keine radikale Lösung«, sagte Arrkonta.

»Wenn Sie damit andeuten wollen, daß ich nicht plane, Herrakton in eine vernich­tende Falle laufen zu lassen, so haben Sie recht«, erwiderte Axton umständlich. Er lä­chelte. »Das Problem ist dieses Mal nicht auf die übliche Methode zu lösen. Wir haben es hier ja nicht mit Persönlichkeiten zu tun, die sich schwerer Verbrechen schuldig ge­macht haben. Alles, was man den Mitglie­dern dieses Clubs vielleicht vorwerfen kann, ist, daß sie sich allzu hemdsärmlig auf die Seite Orbanaschols gestellt haben.«

»Falls die Mitglieder der Macht der Son­nen wirklich aus dem Personenkreis stam­men, von dem wir immer ausgehen«, be­merkte Ermed Trelgron.

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»Sie haben recht«, stimmte der Terraner zu. »Vorläufig haben wir noch keine eindeu­tigen Beweise für unsere Annahme.«

Ermed Trelgron erhob sich und verließ den Salon. Arrkonta und Axton schwiegen. Sie hingen ihren Gedanken nach und such­ten, jeder für sich, nach einer Lösung des Problems.

Gegen Mittag dieses Tages kehrte Trel­gron zurück. Er hatte ein ganzes Bündel von beschrifteten Bögen bei sich.

»Kramat Herrakton ist ein erstaunlich be­kannter Mann«, berichtete er. »Ich brauchte unsere Freunde nur anzutippen, und sofort kam das Echo. Hier. Ein ganzer Berg von Informationen.«

Er legte die Papiere auf den Tisch. »Ist etwas für uns dabei?« fragte Axton,

der sofort nach den Informationen griff und sich die einzelnen Blätter ansah.

»Das kann ich schwer beurteilen«, erwi­derte Trelgron. »Auf jeden Fall bestätigte sich, daß Herrakton ein im Grunde genom­men sympathischer Bursche ist, der sich sei­ner Haut zu wehren weiß. Er ist nicht beson­ders zuverlässig und pflegt seine Fahne nach dem Wind zu hängen. Er hat jedoch nie Ver­brechen begangen. Seine Position verteidigt er, indem er die Ellenbogen kräftig einsetzt, aber das tun andere auch. Er ist ein Erfolgs­mensch, der viele Freunde und viele Feinde hat, so wie es bei diesem Typ völlig normal ist. Wo wir ansetzen können, das werden Sie jedoch viel leichter erkennen als ich.«

»Danke«, sagte Axton lächelnd. »Dann lassen Sie mich in Ruhe arbeiten. Sehen Sie sich inzwischen an, was man mit Mana-Konyr macht. Orbanaschols Krönungsfeier­lichkeiten können nicht aufwendiger und pompöser gewesen sein.«

Er wandte sich an Arrkonta. »Erlauben Sie, daß ich mich für einige

Zeit zurückziehe?« Der Arkonide erhob sich und führte ihn in

einen kleinen Raum, der mit zahlreichen Kommunikationseinrichtungen ausgestattet war. Von hier aus konnte Axton sich sogar an eines der großen Computerzentralen Ar-

H.G. Francis

kons anschließen. An Kosten brauchte er nicht zu denken. Avrael Arrkonta war ein vermögender Mann, der ohne zu zögern für alles aufkam, was Axton bei seinem Kampf für Atlan benötigte.

In der Abgeschiedenheit dieses kleinen Büros arbeitete der Terraner die Informatio­nen durch, die er von Trelgron erhalten hat­te. Er verfügte über weit mehr Erfahrungen als dieser und wußte aus kleinen Andeutun­gen die richtigen Schlüsse zu ziehen.

So fand er es bald heraus, daß Kramat Herrakton durchaus etwas zu verbergen hat­te. Er war angreifbar. Das war das Entschei­dende für Axton, der sich nun bereits damit beschäftigte, wie er gegen den Ingenieur vorgehen konnte.

Er fand verschiedene Möglichkeiten her­aus, doch mußte er bald feststellen, daß Her­rakton überall Sicherungen eingebaut hatte, so daß es schwer war, unbemerkt an ihn her­anzukommen.

Axton rief einige von Trelgrons Infor­manten über Video an und befragte sie noch eingehender, als der ehemalige Komman­dant von Karaltron es getan hatte. Auf diese Weise ermittelte er, daß Herrakton sich der Tatsache offenbar bewußt war, daß frühere Verfehlungen ihm irgendwann einmal zum Fallstrick werden konnten. Deshalb hatte er, wie es Axton schien, seine Vorbereitungen für den Fall getroffen, daß jemand seine Fehler nutzen wollte.

Vor einigen Jahren war beispielsweise durch seine Schuld ein Mann tödlich verun­glückt. Herrakton hatte es geschafft, alle Schadenersatzansprüche abzuweisen. Damit hatte er sich den Haß der Familie des Verun­glückten zugezogen.

Dieser Vorfall hätte durchaus eine Basis für einen intriganten Angriff auf Herrakton sein können. Doch durch einen kleinen, zu­nächst unwichtig erscheinenden Hinweis wurde Axton darauf aufmerksam, daß Her­rakton einen Sicherheitswall errichtet hatte. Wer sich über den Unfall und seine Folgen informieren wollte, mußte sich an einen Versicherungsspezialisten wenden. Nur über

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diesen Mann führte ein Weg zu den anderen Beteiligten und Betroffenen. Aus mehreren Hinweisen von anderen Informationen Trel­grons aber ging hervor, daß dieser Mann von Herrakton abhängig war. Also war klar, daß er sofort Alarm schlagen würde, sobald sich jemand nach dem Unfall und seinen Um­ständen erkundigte.

Ähnlich war es bei allen anderen Ansatz­punkten, die Axton herausarbeitete, so daß die Angriffsmöglichkeiten immer geringer wurden, bis schließlich fast überhaupt nichts mehr übrigblieb, was erfolgversprechend war.

Am Ende griff Axton wieder zu einem Blatt, daß er schon zu Anfang seiner Unter­suchungen zur Seite gelegt hatte. Darauf stand: Eladine Berriskont.

Diese Arkonidin war die Frau des Gou­verneurs von Olviskoynk, eines wirtschaft­lich wichtigen Kolonialplaneten. Herrakton hatte Eladine leidenschaftlich geliebt, als er noch nicht so wohlhabend und einflußreich gewesen war wie jetzt. Eladine hatte ihn ver­lassen, nachdem sie den Gouverneur von Ol­viskoynk kennengelernt hatte. Dieser war zu diesem Zeitpunkt schon ein reicher Mann, der ihr allen Luxus bieten konnte, nach dem sie sich sehnte.

Für Herrakton brach eine Welt zusam­men, als er zusehen mußte, wie der Gouver­neur Arkon mit der Frau verließ, die er lieb­te. Er hatte, wie ein Informant behauptete, seitdem nie wieder etwas von ihr gehört.

Lebo Axton nutzte die Kommunikations­verbindung, die Arrkonta ihm bot. Und er fand bald heraus, daß Eladine Berriskont in diesen Tagen nach Arkon kommen würde, um an den Feierlichkeiten für den Sieger des Amnestie-KAYMUURTES teilzunehmen.

Axton lehnte sich in seinem Sessel zurück und überlegte. Ein Plan reifte in ihm heran.

4.

Der Minister für Kolonialwelten kam Le­bo Axton entgegen, als dieser sein Büro be­trat. Überrascht blickte er auf den Verwach­

senen und den Roboter, der ihm folgte. Er hatte sich den Besucher, der ihm gemeldet worden war, anders vorgestellt. Das spürte Axton deutlich. Das wohlwollende Lächeln verschwand aus dem Gesicht des Arkoniden.

Die rötlich schimmernden Augen verdun­kelten sich, und die Lippen zuckten verächt­lich. Der Minister gab sich keine Mühe, vor Axton zu verbergen, daß er so empfand wie die meisten Arkoniden und Krüppel verach­tete. Die Hand, die der Politiker bereits zur Begrüßung ausgestreckt hatte, sank nach un­ten.

»Bitte, nehmen Sie Platz«, sagte der Mini­ster kühl.

Axton gab Gentleman Kelly einen Wink. »Zu Diensten, mein Herr und Meister«,

entgegnete der Roboter, beugte sich betont langsam vor, schob die Hände unter die Ar­me des Verwachsenen und hob ihn behut­sam hoch, um ihn so in einen Sessel zu set­zen. »Ist es recht so, Meister?«

»Danke«, sagte der Terraner mit einem versteckten Lächeln. Seine Blicke richteten sich auf den Arkoniden. »Vielleicht fragst du einmal den Herrn Minister, ob du ihn auch in den Sessel heben sollst.«

»Das hat doch Orbanaschol III. schon ge­tan«, erwiderte Gentleman Kelly. »Ihm ver­dankt doch dieser Mann, daß er hier sitzt und ein hohes Ansehen genießt. Wir sollten vielleicht überlegen, ob es an der Zeit ist, diesen Mann aus seinem Ministersessel zu entfernen.«

»Was fällt Ihnen ein?« rief der Politiker empört. Er eilte zu seinem Arbeitstisch und drückte eine Taste. »Bringen Sie mir jeman­den, der ungebetene Gäste entfernt.«

»Sind Sie nicht ein wenig leichtfertig?« fragte Axton ruhig. »Bevor Sie solche Be­fehle erteilen, sollten Sie sich erst einmal er­kundigen, wer ich bin.«

Der Arkonide schnaubte verächtlich. »Ein Krüppel. Weiter nichts.« Die Tür öffnete sich. Vier stämmige Män­

ner kamen herein. Ein Wachroboter folgte ihnen.

»Fragen Sie doch einmal den Imperator«,

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schlug Gentleman Kelly vor. »Am Hof ist ein Krüppel recht gut bekannt. Er wird stän­dig von einem außerordentlich wertvollen und schönen Roboter begleitet.«

Der Minister stutzte. Er blickte Axton for­schend an.

»Sollten Sie …?« fragte er, ohne den Satz zu Ende zu bringen.

»Sie haben uns gerufen«, sagte einer der Wachen und bewegte sich auf den Verwach­senen zu. Dieser ignorierte ihn. Der Minister hob nervös eine Hand.

»Warten Sie«, sagte er und wandte sich wieder an Axton. »Sie meinen also, ich soll­te mich bei dem Imperator nach Ihnen er­kundigen.«

»Das könnte ratsam sein«, erklärte Axton belustigt.

Der Minister glaubte ihm nicht. Er drück­te einige Tasten und blickte Axton abwar­tend an. Er wartete darauf, daß dieser nervös wurde und ihn aufhielt. Doch Axton blieb ruhig. Da drückte der Kolonialminister eine weitere Taste.

»Was gibt es?« ertönte die heisere Fistel­stimme Orbanaschols aus den Tischlautspre­chern.

»Ich habe hier jemanden, der mich spre­chen will. Es ist ein … ein Krüppel.« Der Minister tat, als müsse er erst einen erhebli­chen Ekel überwinden, bevor er aussprechen konnte.

»Und was habe ich damit zu tun?« fragte der Imperator scharf.

»Ich wollte genau wissen, ob … ich mei­ne …«, erwiderte der Minister stammelnd, dann richtete er das Objektiv kurzentschlos­sen auf Lebo Axton. Dieser lächelte freund­lich und hob grüßend eine Hand.

»Idiot«, sagte Orbanaschol verächtlich und schaltete aus.

Der Minister blickte Axton bestürzt an. Er wußte scheinbar nicht, wen der Imperator gemeint hatte.

»Haben Sie nicht gehört?« fragte Gentle­man Kelly. »Der Imperator hat Sie Idiot ge­nannt.«

Das Gesicht des Arkoniden verzerrte sich.

H.G. Francis

»Er hat den Krüppel gemeint«, brüllte er. »Fragen Sie ihn doch«, schlug Axton

amüsiert vor. »Oder lassen Sie es besser. Er­kundigen Sie sich bei Frantomor nach mir.«

Er reichte Kelly seine Identifikationskar­te, und der Roboter gab sie an den Minister weiter. Dieser nahm sie entgegen und warf einen prüfenden Blick darauf. Dann er­bleichte er.

»Ich benötige Sie nicht mehr«, sagte er hastig zu den Wachen und wartete, bis diese den Raum verlassen hatten. Dann senkte er den Kopf und trat einen Schritt auf Axton zu.

»Ich möchte mich bei Ihnen entschuldi­gen«, sagte er mit bebender Stimme. »Ich konnte ja nicht ahnen, wer Sie sind. Ent­schuldigen Sie bitte. Ich wollte Sie wirklich nicht beleidigen.«

»Dann haben Sie endlich begriffen«, stell­te der Kosmokriminalist fest.

»Ich hätte es viel früher wissen müssen«, erklärte der Arkonide. »Ich habe schon viel von Ihnen und Ihren ungewöhnlichen Erfol­gen gehört. Man sagt, daß Sie dem Impera­tor mehrfach das Leben gerettet haben.«

»Beruhigen Sie sich«, bat Axton freund­lich. »Ich bin hier, weil ich Sie um einen kleinen Gefallen bitten muß.«

»Es wird mir eine Ehre und eine selbst­verständliche Pflicht sein, Ihnen zu helfen.« Der Minister wirkte nun fast unterwürfig. Axton ließ sich nicht anmerken, was er wirklich für diesen Mann empfand. Er blieb gleichmäßig freundlich.

»Als Kolonialminister sind Sie auch der Vorgesetzte der Gouverneure auf den ver­schiedenen Kolonialplaneten des Imperi­ums?«

»Das bin ich. Sie haben nicht alle den Ti­tel eines Gouverneurs, aber darum geht es ja nicht. Weshalb fragen Sie?«

»Anläßlich der Feierlichkeiten zu Ehren des KAYMUURTES-Siegers kommen zahl­reiche Persönlichkeiten nach Arkon. Ich möchte wissen, ob darunter auch die Frau des Gouverneurs von Olviskoynk ist.«

Der Arkonide eilte zu seinem Arbeit­

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stisch, drückte einige Tasten und schüttelte schon nach wenigen Sekunden den Kopf.

»Nein, sie kommt nicht. Eladine Berris­kont wird ihren Mann nicht nach Arkon be­gleiten. Sie ist erkrankt.«

»Ist das allgemein bekannt?« »Nein. Diese Tatsache wurde äußerst dis­

kret behandelt.« »Gut. Für mich ist es wichtig, daß einige

Feinde Orbanaschols für einige Zeit glau­ben, daß Eladine Berriskont nach Arkon kommt. Läßt sich das einrichten?«

Der Arkonide lächelte. »Selbstverständlich. Sie können sich auf

mich verlassen. Ich werde es erledigen. Eine entsprechende Nachricht geht sofort an die Pressezentrale. Das bedeutet, daß die Medi­en darüber berichten werden. Bitte, sagen Sie mir den Zeitpunkt, an dem sie hier auf Arkon eintreffen soll. Ich werde dafür sor­gen, daß die Presse sogar entsprechendes Bildmaterial erhält. Es wird Eladine Berris­kont selbstverständlich bei einer ganz ande­ren Ankunft zeigen, aber das wird niemand merken, da das Material vorher noch nicht veröffentlicht worden ist.« Der Minister lä­chelte geschmeichelt. »Ich gestehe Ihnen, daß es mir Spaß macht, zusammen mit Ihnen an einer derartigen Verschwörung zu arbei­ten.«

»Wie schön«, sagte Axton ironisch.

*

Einen Tag später erfolgten die verspro­chenen Veröffentlichungen in der Gesell­schaftsstunde im Rahmen der üblichen In­formationssendung im 3-D-Video. Axton verfolgte diese Sendung, und er war über­rascht, wie echt die Aufnahmen wirkten. Es war auch für ihn nicht erkennbar, daß die Aufnahmen von Eladine Berriskont an ei­nem anderen Tag gemacht worden waren als die anderen Aufnahmen. Alles ging nahtlos ineinander über, und selbst die Lichtwerte stimmten überein. Gleichzeitig wurden in ei­nigen anderen Medien weitere Nachrichten über Eladine Berriskont durchgegeben. Da

diese in einer langen Liste anderen Informa­tionen über weit wichtigere Gäste versteckt waren, konnten sie nicht auffallen.

Damit jedoch nicht genug. Axton besorgte sich mit Hilfe der Organisation Gonozal VII. alle Unterlagen, die er über die Frau des Gouverneurs von Olviskoynk bekommen konnte. Darunter waren sogar zwei hand­schriftliche Briefe. Diese speiste er in einem Computer ein und ließ diesen eine hand­schriftliche Bitte formulieren, die den Wort­laut hatte: »Ich muß dich unbedingt sehen. Bitte, Nachricht an Kefkat Tropran.«

*

»Er wird keinen Verdacht schöpfen«, er­klärte Kefkat Tropran, als Axton ihm in ei­nem kleinen Restaurant auf dem Dachgarten eines fünfhundert Meter hohen Trichterbaus gegenübersaß. Er war ein kleiner Mann, kaum größer als Lebo Axton. Er hatte einen völlig kahlen Schädel. Seine Augen lagen hinter Tränensäcken fast verborgen.

»Ich bin Diener Eladines und ihr Vertrau­ter gewesen«, erklärte er und strich sich me­lancholisch über den Schädel. »Damals war ich noch erheblich größer und sah gut aus. Aber ich wurde krank, und das gerade zu ei­ner Zeit, als sie den Gouverneur kennenlern­te und sich entschloß, mit ihm nach Olvis­koynk zu gehen. Als ich wieder gesund war, wollte sie mich nachholen, aber der Gouver­neur lehnte es ab. Er meinte, ich sei zu häß­lich.«

»Machen Sie sich nichts daraus«, sagte Axton lächelnd. »Diese Probleme sind zu bewältigen, und wenn Sie nicht in Selbstmit­leid versinken, können Sie sogar mehr lei­sten als ein Schönling.«

Kefkat Tropran gehörte der Organisation Gonozal VII. an. Von ihm stammten die wichtigsten Informationen über Eladine Ber­riskont, die, wie Tropran behauptete, im Grunde genommen eine Gegnerin des der­zeitigen Imperators war.

»Herrakton weiß, daß ich das volle Ver­trauen von Eladine genoß und auch heute

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noch genieße«, fuhr der Kahlköpfige fort. »Er wird sich bei mir melden, und er wird mir glauben.«

»Hoffen wir es«, entgegnete der Terraner. »Es ist wichtig, daß Sie ihn in diese Woh­nung locken.«

Er schob Tropran einen Zettel mit einer Adresse hin »Ihm wird nichts geschehen. Das ist sicher. Ich muß nur mit ihm reden. Zu meinen Bedingungen. Sagen Sie ihm, daß Sie mit Eladine gesprochen haben, und daß Eladine Sie um diesen Dienst gebeten hat.«

Er erhob sich und ging zu Gentleman Kel­ly, der einige Schritte von ihm entfernt stand und über seine Sicherheit wachte.

*

Die Wohnung, die Lebo Axton Kefkat Tropran angegeben hatte, lag über tausend Kilometer vom Kristallpalast entfernt im Norden in einem Trichterbau, der nur etwa hundert Meter hoch war. Er erhob sich zwi­schen Felsen mitten aus einem See. Von sei­nen Fenstern aus konnten robbenähnliche Tiere beobachtet werden, die durch einen subplanetarischen Kanal aus dem Meer hier­her kamen, um hier ihre Paarungszeit zu ver­bringen. Doch dafür interessierte sich der Kosmokriminalist nicht, als er am Fenster seines Salons saß und versuchte, sich auf die Auseinandersetzung mit dem Ingenieur vor­zubereiten.

Zusammen mit Gentleman Kelly hatte er einige Fallen eingebaut, die er vom Versteck aus betätigen konnte. Dann wartete er, bis der Termin, den er mit Hilfe von Kefkat Tropran festgelegt hatte, näherrückte.

»Ich warne dich vor Eigeninitiative«, sag­te er zu Kelly.

»Ich habe gerade ein paar ausgezeichnete Ideen«, erwiderte der Roboter. »Wie wäre es zum Beispiel, wenn ich …«

»Du würdest Sekunden später einige Dut­zend Kurzschlüsse erleiden«, unterbrach ihn der Kosmokriminalist heftig.

»Aha«, bemerkte der Roboter mit näseln-

H.G. Francis

der Stimme. »Damit willst du sicherlich an­deuten, daß ich nichts ohne ausdrücklichen Befehl tun soll.«

»Du hast es erfaßt«, erwiderte Axton stöhnend. »Du wirst dich absolut still ver­halten und nichts tun, bis ich es dir sage.«

»Ich habe es gespeichert und dem Krän­kungssektor zugefügt.«

»Was ist das nun wieder?« erkundigte sich der Verwachsene.

»Das ist der Speichersektor, in dem ich al­le Kränkungen und Ehrverletzungen festhal­te, die du mir zugefügt hast. Er ist voll aus­gelastet.«

»Wie schön«, antwortete der Terraner. »Dann gibt es bei dir ja tatsächlich Gehirn­abschnitte, die benutzt werden.«

Gentleman Kelly schwieg. Axton blickte ihn grinsend an.

»Das ist zuviel, wie?« fragte er. Er wollte noch mehr sagen, doch in diesem Moment regte sich etwas an der Eingangstür der Wohnung. Axton schloß die Tür des Schranks, in dem er sich versteckte, und rief Kelly, der nur durch eine dünne Kunststoff­wand von ihm getrennt wurde, zu: »Du hast es gehört! Keine Eigeninitiative!«

»Ich habe verstanden.« Die Tür öffnete sich. Lebo Axton blickte

auf den kleinen Videoschirm an der Innen­seite der Tür. Kramat Herrakton trat ein – und er kam allein!

Der Ingenieur ging in die Falle. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloß. »Eladine?« rief er und betrat den Wohnsa­

lon. Axton legte seine Hände auf den Auslöser

des Pfeilnadlers, den er zwischen Bildbän­dern aufgebaut hatte. Ein Fadenkreuz auf dem Bildschirm zeigte ihm an, daß Herrak­ton sich der Stelle näherte, an der er ihn er­reichen konnte. Er drückte einen Knopf, und eine kleine Schachtel, die auf dem Tisch ge­legen hatte, fiel herunter.

Der Arkonide drehte sich erstaunt um. »Eladine?« rief er erneut. »Bist du hier?« Er näherte sich dem Tisch. Als sein

Nacken sich genau im Mittelpunkt des Fa­

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denkreuzes befand, löste Axton die Waffe aus. Leise zischend schoß ein Giftpfeil aus dem Rohr.

Herrakton merkte im allerletzten Moment, daß etwas nicht in Ordnung war. Er warf sich zur Seite. Dennoch entging er dem Gift­pfeil nicht. Doch bohrte sich dieser nicht, wie beabsichtigt, in seinen Nacken, sondern traf ihn an der Hand, die er haltsuchend hochwarf. Der Ingenieur blickte mit gewei­teten Augen auf den winzigen Stift, der zur Hälfte aus seiner Haut ragte. Er riß ihn mit den Zähnen heraus und spuckte ihn aus.

In diesem Augenblick machte Axton eine unbedachte Bewegung. Er stieß gegen die Schranktür, die sich jetzt ein wenig öffnete. Herrakton eilte heran, riß die Tür ganz auf und packte den Verwachsenen. Er zerrte ihn aus dem Schrank und schloß seine großen Hände um Axtons Hals.

Vergeblich trommelte Lebo Axton mit seinen kleinen Fäusten gegen die Arme des Arkoniden. Wirkungslos blieben seine ver­zweifelten Fußtritte gegen Herraktons Bei-ne. Der Ingenieur preßte ihm die Luftröhre zusammen.

Der Kosmokriminalist versuchte, Kelly zu rufen, doch kein Laut kam über seine Lip­pen.

Vor seinen Augen tanzten feurige Kreise. Seine Arme sanken kraftlos nach unten. Ax­ton gab sich bereits auf. Er hatte gewußt, daß eine derartige Situation irgendwann ein­mal kommen würde. Immer wieder hatte er sein Leben eingesetzt, und immer wieder hatte er Glück gehabt. Nun schien das Glück ihn endgültig verlassen zu haben.

Doch es war noch nicht vorbei. Plötzlich lockerte sich der Druck, Kramat

Herrakton stürzte mit ihm zusammen zu Bo­den. Axton sah, daß die großen Hände wie von Krämpfen geschüttelt zuckten. Er wich vor ihnen zurück, weil er wußte, daß es den Tod bedeuten würde, wenn er erneut zwi­schen sie geriet. Dann blieben die Hände flach auf dem Boden liegen und streckten sich.

»Na, mein Schatz?« ertönte eine näselnde

Stimme neben ihm. »Du gehst immer bis an die Grenze dessen, was noch Spaß macht, wie?«

Lebo Axton zuckte zusammen, als habe ihm jemand einen Hieb in die Magengrube versetzt.

»Mußt du dich denn auf solche albernen Prügeleien einlassen?« fragte Gentleman Kelly vorwurfsvoll. »Dazu bist du nicht stark genug. So etwas solltest du mir über­lassen.«

»Du hast gesehen, daß er mich gewürgt hat?« fragte der Terraner röchelnd.

»Natürlich. Glaubst du, so etwas lasse ich mir entgehen.«

»Warum hast du nicht geholfen?« Axton richtete sich auf. Er schüttelte den Kopf und rieb sich den Hals. Allmählich wich die Schwäche. Er konnte wieder klar sehen. Nur der Hals schmerzte noch.

»Du hast mir jegliche Eigeninitiative un­tersagt«, erwiderte Gentleman Kelly würde­voll. »Daher war ich damit beschäftigt, das. Für und Wider abzuwägen. Auf der einen Seite hatte ich den Befehl, nichts zu tun, auf der anderen Seite wollte ich nicht, daß er dich umbringt. Dieser Gewissenskonflikt hat mich sozusagen lahmgelegt.«

Axton wurde weiß vor Wut. Er wußte, daß Kelly nicht die Wahrheit sagte. Er war gar nicht dazu fähig, solche Erwägungen aufzustellen und er konnte auch nicht durch eine so einfache Problemstellung einsatzun­fähig werden.

»Du Satan hast genau gewußt, wie schnell das Gift wirkt. Du hast errechnet, daß Her­rakton bewußtlos sein würde, bevor er mich umbringen konnte, und deshalb hast du dich dafür entschieden, mich leiden zu lassen«, brüllte er. »Das Maß ist voll.«

Er sprang auf und wollte sich gegen den Roboter werfen, doch er wäre wieder zu Bo­den gestürzt, wenn Kelly ihn nicht aufgehal­ten hätte.

»Möchtest du ein Glas Wasser, Lieb­ling?« fragte Kelly.

»Nein«, entgegnete Axton. »Ich möchte einen Schnellroster, um dich zu grillen.«

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»Du kannst meines Mitgefühls wirklich sicher sein«, bemerkte der Roboter mit sorg­fältiger Betonung.

»So etwas gibt es hier nicht. Und wenn es so etwas gäbe, dann würden meine Bewun­derer mehr leiden als ich.«

Der Terraner setzte sich in einen Sessel. Er streckte abwehrend die Hände aus.

»Sei mal für ein paar Minuten still«, bat er. »Du gehst mir auf die Nerven, und ich habe wahrhaftig etwas anderes zu tun, als mir deine dämlichen Redensarten anzuhö­ren.«

»Verzeih, Schatz. Ein Wort noch.« »Also gut. Aber dann hältst du das

Maul!« »Welch ordinäre Formulierung, Lieb­

ling«, erwiderte Kelly vorwurfsvoll. »Doch das soll mich nicht stören. Ich habe nur einen einzigen Wunsch.«

»Bitte.« »Ich möchte lächeln können.« Axton nahm eine Obstschale und schleu­

derte sie Kelly an den Kopf. Eine apfelähnli­che Frucht blieb auf einer Antenne stecken.

Der Terraner kümmerte sich nun nicht mehr um den Roboter, sondern wandte sich dem bewußtlosen Herrakton zu. Er unter­suchte ihn kurz, fand, daß alles in Ordnung war, und verabreichte ihm eine Injektion aus einer vorbereiteten Spritze.

»Auf die Liege mit ihm«, befahl er. Gentleman Kelly streifte den Apfel ab,

hob Herrakton auf und brachte ihn zu der Liege. Er schob Axton wortlos einen Sessel hin und half ihm hinein.

»Das nächste Mal wirst du sofort eingrei­fen, wenn ich in Gefahr bin«, sagte der Ter­raner. Er griff nach dem Arm Herraktons und prüfte den Pulsschlag. Der Ingenieur stöhnte leise.

»Können Sie mich hören?« fragte Axton. »Ich höre Sie«, antwortete Herrakton mit

schwerer Zunge. »Gut. Wenn Sie mich hören und verste­

hen, dann sind Sie auch bereit, mir einige Fragen zu beantworten. Beginnen wir bei Ih­nen. Wer sind Sie? Weshalb sind Sie hier?«

H.G. Francis

Axton ging langsam und geduldig vor, um anfänglich noch vorhandene Widerstände zu überwinden. Doch bald kam er zu den Fra­gen, die ihn wirklich interessierten.

»Was ist die Macht der Sonnen?« forschte er.

Herrakton blieb so entspannt wie vorher. Er wehrte sich nicht.

»Die Macht der Sonnen ist eine Kraft, an der Orbanaschol zerbrechen wird«, erklärte Herrakton.

Axton glaubte, sich verhört zu haben. Bis zu dieser Sekunde war er nicht auf den Ge­danken gekommen, daß sich die Organisati­on, der er auf der Spur war, gegen den Impe­rator wenden könnte. Ihm war von Anfang an klar gewesen, daß es um mehr gehen mußte als nur um ihn, Axton. Doch schien es ihm ohne Sinn zu sein, daß ausgerechnet die Persönlichkeiten, die Orbanaschol Ein­fluß und Reichtum verdankten, sich gegen den Imperator stellen sollten.

»Erzählen Sie«, forderte der Kosmokrimi­nalist Herrakton auf.

Der Ingenieur berichtete. Er schilderte, wie die Organisation entstanden war, und er­läuterte, welche Ziele sie hatte. Er verriet al­les, was er über die Gruppe der Macht der Sonnen wußte.

Voller Sorge hatten die Männer und Frau-en, die dieser Gruppe angehörten, verfolgt, wie Orbanaschol III. an Macht und Ansehen verlor. Sie hatten beobachtet, wie der Impe­rator immer wieder versucht hatte, sein An­sehen zu verbessern, und wie gering sein Er­folg dabei gewesen war. Seit der mißlunge­nen Wahl, die zur totalen Blamage für Orba­naschol geworden war, wollten sich keine Erfolge einstellen.

Auch die schärfsten Säuberungsaktionen hatten nicht dazu geführt, daß die Masse der Arkoniden sich Orbanaschol beugte. Im Ge­genteil. Die Stimmen der Opposition waren immer lauter geworden. Überall zeigte sich Widerstand. Sogar in weiten Bereichen des Militärs brach die Front der Orbanaschol-Freun­de durch.

Die Mitglieder der Macht der Sonnen hat­

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ten einen Großteil der Macht über das Impe­rium in Händen, doch hing ihre Existenz von Orbanaschol III. ab. Sie wußten nur zu gut, daß die Methoden des Imperators unsauber und diktatorisch waren, und daß sie allen Grundlagengesetzen des Imperiums wider­sprachen.

Bisher hatten die Männer und Frauen die­ser Gruppe mit Orbanaschol III. prächtig ge­lebt. Der Imperator hatte sich ihre Treue durch hohe Belohnung erkauft. Er schien zu wissen, daß sie keineswegs aus Bewunde­rung, aus einem Treuebedürfnis heraus oder wegen gleicher politischer Ansichten zu ihm hielten. Orbanaschol schien sich darüber klar zu sein, daß sie noch reicher, noch mächtiger und noch einflußreicher werden wollten. Er hatte sogar zugesagt, daß er ih­nen dabei behilflich sein würde.

Viele Versprechungen Orbanaschols wa­ren bereits realisiert worden. Einige der Männer und Frauen aus der Gruppe der Macht der Sonnen hatten noch vor einigen Jahren außer einem guten, adeligen Namen praktisch nichts. Jetzt herrschten sie über mehrere Planeten und ganze Industrieimpe­rien. Sie hatten mit der Hilfe Orbanaschols eine Reihe von Gesetzen durchgedrückt, die ihre Stellung noch festigte und die Chancen anderer Arkoniden, die nicht zu diesem Kreis gehörten, drastisch verschlechterten.

Diese Gruppe hatte nun gegen ihn, Axton, zugeschlagen – in einer Weise, die ihm fast lächerlich dilettantisch erschien. Dennoch nahm er den Vorfall nicht auf die leichte Schulter. Jetzt hakte er energisch bei Her­rakton nach.

Was er erfuhr, war so sensationell, daß er es zunächst nicht glauben wollte.

Die Macht der Sonnen sah in Orbanaschol III. nicht mehr länger den Mann, den zu un­terstützen sich lohnte. Die Gruppe hatte be­schlossen, gegen ihn zu rebellieren und ihn zu stürzen. Sie wollte handeln, bevor der Kristallprinz Atlan seine Forderungen auf den Thron anmelden konnte. Sie wollte einen Imperator aus einer der angesehensten Familien des Imperiums krönen. Sie war

sich dessen bewußt, daß sie damit alle beste­henden Gesetze mißhandelten und den Fa­milien-Clan, der hinter Orbanaschol stand, gegen sich aufbringen würde, doch sie war davon überzeugt, daß sie ihre eigene Macht nur auf diese Weise auf Dauer sichern konn­te.

Die Macht der Sonnen war fest entschlos­sen, Mana-Konyr, den Sieger der Amnestie-KAYMUURTES, in den Kampf gegen Or­banaschol einzuspannen.

Axton versuchte nun, herauszufinden, was Mana-Konyr tun sollte, und wie er gegen Orbanaschol eingesetzt werden sollte, doch darüber war Herrakton nicht ausreichend in­formiert. Er vermutete, daß der KAYMU­URTES-Sieger Orbanaschol III. töten sollte, doch Genaueres wußte er darüber nicht.

Axton war wie elektrisiert. Er konnte kaum glauben, was er gehört

hatte. Er wußte jedoch, daß Herrakton nicht log. Der Ingenieur war gar nicht in der Lage, die Unwahrheit zu sagen. Das Medikament, das er ihm verabreicht hatte, zwang ihn, das zu verraten, was er für die Wahrheit hielt.

5.

Das Gefühl der Bedrohung stieg völlig unvermutet und so schnell in ihm auf, daß er in den ersten Sekunden nicht wußte, was er tun sollte. Dann aber glitt Axton aus dem Sessel. Er sah sich um und wandte sich dem Fenster zu, doch von dort her näherte sich ihm nichts.

»Es stimmt etwas nicht«, sagte er hastig zu Gentleman Kelly.

»Jemand ist an der Tür«, erklärte der Ro­boter.

»Einer oder mehrere?« Kelly ging auf die Tür zu. Er hob den

rechten Arm und zeigte alle fünf Finger. »Dann müssen wir hier weg«, sagte Ax­

ton. »Schnell. Alles hängt davon ab, daß man uns nicht sieht. Man darf uns nicht er­kennen, sonst ist alles verraten. Nimm Her­rakton auf.«

Kelly eilte zur Liege. Er schob seine Ar­

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me unter den Betäubten und hob ihn hoch. Lebo Axton hatte für einen solchen Fall vor­gesorgt, denn er hatte die Möglichkeit ein­kalkuliert, daß Kramat Herrakton sich abge­sichert hatte. Er lief zu einer Tür, die in eine Nebenwohnung führte. Von dort aus konnte er zu einer versteckten Gleiterparknische fliehen, in der eine Maschine stand. Je näher der Kosmokriminalist kam, desto intensiver wurde das Gefühl der Gefahr. In seinem Kopf pochte das Blut. Das zur Aktivität er­wachte Extrahirn sendete unüberhörbare Im­pulse aus, mit denen es vor einer Gefahr warnte.

Axton blieb stehen. Kelly schloß zu ihm auf.

»Dort hinter der Tür ist ebenfalls je­mand«, flüsterte der Verwachsene. »Kannst du etwas hören?«

Gentleman Kelly verfügte über hochemp­findliche Mikrophone, die extrem weit aus­gesteuert werden konnten und dann auch Geräusche einfingen, die für das menschli­che Ohr nicht mehr wahrnehmbar waren.

»Zwei Männer stehen hinter der Tür«, er­widerte der Roboter leise.

»Verdammt. Dann sitzen wir in der Fal­le«, sagte Axton ratlos. Er blickte auf Her­rakton, der weit umsichtiger gewesen war, als er vorausgesetzt hatte. Die Helfer des In­genieurs hatten die Wohnung offenbar syste­matisch eingekreist.

Nur ein Weg war nun noch offen. »Zurück in den Salon«, befahl der Terra­

ner. »Sie flüstern«, berichtete Kelly, als sie

den Wohnraum erreicht hatten. Dabei zeigte er auf die Tür. »Sie verständigen sich mit­einander.«

Lebo Axton lief bis zu der wandhohen Fensterfront und blickte nach draußen. Seine Befürchtungen, daß die Wohnung durch Gleiter auch nach dieser Seite hin abge­schirmt wurde, bestätigte sich nicht.

»Wir müssen durch das Fenster«, sagte er leise. Er gab Gentleman Kelly einen Wink. Der Roboter kniete nieder, und der Ver­wachsene kletterte keuchend auf seinen

H.G. Francis

Rücken. Er preßte die Hände gegen die Schläfen. Das Gefühl der erdrückenden Ge­fahr wurde fast unerträglich und drohte, ihn zu lähmen.

Buchstäblich im letzten Moment entdeck­te er den winzigen Impulsgeber hinter dem Ohr Herraktons. Das Gerät war ihm vorher entgangen, als er den Biowissenschaftler un­tersucht und ihm das Armbandfunkgerät ab­genommen hatte. Er nahm es vorsichtig an sich, konnte dabei aber nicht verhindern, daß eine blutende Wunde an der Ohrmuschel des Arkoniden entstand. Kelly neigte sich zur Seite, bis Axton den Impulsgeber auf die ge­polsterte Lehne eines Sessels legen konnte. Doch dann sah er, daß sich das Gerät ver­färbte. Die Polster kräuselten sich, und fei­ner Rauch stieg auf.

»Verdammt, es zerstört sich selbst«, sagte der Kosmokriminalist erschrocken. »Los. Weg hier.«

Er krallte sich an den Roboter. Für ihn war vollkommen klar, was nun passieren würde. Der Impulsgeber war von Herrakton mit einer Sondersicherung versehen worden. Das bedeutete, daß er nur einwandfrei funk­tionierte, solange Hautkontakt bestand. Wur­de er vom Körper getrennt, fiel er aus. Das war das Alarmzeichen für die Männer, die die Rückendeckung für Herrakton bildeten.

Gentleman Kelly preßte den Biowissen­schaftler an sich, schaltete sein Antigravge­rät ein, stieg auf und warf die Beine nach vorn, während er das ovale Rumpfteil leicht nach vorn neigte. Die Stahlfüße zerschmet­terten die Scheiben.

Im gleichen Moment platzte die Tür am Wohnungseingang aus dem Rahmen. Noch aber war den Helfern Herraktons die Sicht durch eine zweite Tür versperrt.

Der Roboter flog mit dem Ingenieur und mit Axton durch die Scheibe nach draußen. Er stieg sofort auf und beschleunigte scharf. Axton blickte nach unten. Ein Energiestrahl zuckte an den Füßen Kellys vorbei. Er zeigte an, daß die Männer Herraktons gesehen hat­ten, daß jemand durch das Fenster nach draußen geflüchtet war. Sie konnten jedoch

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nicht erkannt haben, wer oder was da durch das Loch im Glas verschwunden war.

Während Axton auf dem Rücken des Ro­boters an der gläsernen Wand nach oben flog, betätigte er einige Schalter an einem Gerät, das er neben seinem Funkgerät am Handgelenk trug. Dabei startete er drei Anti­gravgleiter, die dicht unter dem Dach in Ni­schen parkten. Eine der drei Maschinen er­reichte Kelly. Er glitt durch die offene Tür auf den Sitz hinter dem Steuer, legte Herrak­ton zur Seite und übernahm das Steuer. Die beiden anderen Maschinen entfernten sich in entgegengesetzter Richtung.

Lebo Axton ließ sich in die Polster sin­ken. Er lächelte zufrieden. Die Verfolger würden größte Mühe haben, ihn zu finden. Sie mußten sich zwischen zwei Maschinen entscheiden, ohne erkennen zu können, wel­che wirklich wichtig für sie war. Axton zweifelte zudem daran, daß sie schnell ge­nug bei ihren Fluggleitern sein würden, um die Verfolgung aufnehmen zu können.

Er wartete einige Minuten ab, dann richte­te er sich auf und blickte zurück. Die Ma­schine flog über bewaldetes Schutzgebiet hinweg, in dem es keine Häuser gab.

»Uns folgt niemand«, sagte Gentleman Kelly. »Die Herren waren nicht schnell ge­nug.«

Er klappte die Rücklehne des Vordersit­zes nach hinten, so daß Herrakton ausge­streckt liegen konnte. Dann injizierte er ihm eine blaue Flüssigkeit in den Arm, wartete etwa zwei Minuten ab und sprach leise und beruhigend auf ihn ein. Der Biowissen­schaftler wachte nicht auf, aber er lag auch nicht mehr in so tiefer Bewußtlosigkeit wie zuvor.

Gentleman Kelly landete mit dem Gleiter am Ufer eines kleinen Sees. Zwischen Fel­sen verborgen stand ein weiterer Gleiter. Axton öffnete die Tür, und der Roboter nahm Herrakton auf, um ihn zu der anderen Maschine zu tragen. Dort setzte er ihn hinter die Steuerelemente. Axton folgte ihm und verabreichte dem Ingenieur eine weitere In­jektion. Dann tippte er einige Zahlen in die

Programmtastatur des Autopiloten und schloß die Tür. Der Gleiter stieg auf und entfernte sich in südöstlicher Richtung.

Zufrieden kehrte Axton zu seiner Maschi­ne zurück. Er kletterte hinein, wobei er die Hilfe Kellys ablehnte.

»Wir fliegen zu Arrkonta«, befahl er. »Achte darauf, ob wir verfolgt werden. So­bald dir irgend etwas auffällt, sagst du mir Bescheid. Verstanden?«

»Du kannst dich völlig auf mich verlas­sen. Wie immer«, entgegnete Kelly.

Der Terraner verzog das Gesicht. Er streckte sich auf dem Rücksitz aus und sch­lief augenblicklich ein.

*

Avrael Arrkonta war besorgt und voller Unruhe, als er gehört hatte, wie die Aktion abgelaufen war. Erregt eilte er in seinem Sa­lon auf und ab, während Lebo Axton früh­stückte.

»Jetzt weiß Herrakton, daß Sie ihm auf die Spur gekommen sind, und daß Sie über die Organisation informiert sind.« Der Arko­nide blieb stehen. Er ließ die Arme sinken. »Er weiß alles.«

»Warum so pessimistisch, lieber Freund?« fragte Axton und trank einen Schluck Tee. »Herrakton weiß nichts. Er kann nur vermuten. Erinnerungen an die letzten Stunden hat er nicht. Die Stunden fehlen ihm. Sie sind aus seinem Gedächtnis gelöscht worden, und es gibt kein Mittel, mit dem er sich die Erinnerung zurückholen könnte.«

»Seine Leute haben Sie gesehen.« »Das ist nicht richtig. Sie haben gemerkt,

daß etwas durch das Fenster verschwunden ist. Vielleicht haben sie die Füße Kellys ge­sehen, aber daraus können sie keine Schlüs­se ziehen. Wir waren viel zu schnell außer Sichtweite. Spuren haben wir nicht hinter­lassen.«

»Es sind elektronische Einrichtungen zu­rückgeblieben.«

»Das ist richtig. Mit ein bißchen Glück

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kann Herrakton durch einen Spezialisten feststellen lassen, daß er überlistet worden ist. Na und? Was hilft das?«

»Die Macht der Sonnen ist gewarnt.« »Das ist allerdings richtig, Avrael, aber

das war sie auch schon vorher, nachdem das Attentat auf mich gescheitert war. Natürlich weiß unser Gegner, daß ich mich wehre. Aber er wiegt sich in Sicherheit, weil er sich unendlich überlegen fühlt.«

»Das ist er auch.« »Sie haben Recht. Dieser Gegner ist uns

tatsächlich weit überlegen. Ich sehe auch keinen Weg, gegen ihn zu bestehen. Den­noch müssen wir kämpfen.«

»Gibt es keine andere Möglichkeit? Kann man sich nicht arrangieren?«

»Wie denn?« »Könnten wir nicht beispielsweise damit

einverstanden sein, daß Orbanaschol III. von der Macht der Sonnen beseitigt wird und daß an seine Stelle ein anderer tritt – irgend­ein farbenloser Adliger, der wie Wachs in den Händen derer ist, die jetzt Orbanaschol ablösen wollen?«

Ermed Trelgron betrat den Salon. Eine der beiden Frauen Arrkontas führte ihn her­ein. Er begrüßte Axton und den Industriellen und ließ sich von dem Kosmokriminalisten berichten, was geschehen war. Danach schloß er sich der Meinung Arrkontas an.

»Die Macht der Sonnen repräsentiert den Hintergrund, vor dem Orbanaschol agiert«, erklärte er. »Dieser Gegner ist einfach zu stark für uns.«

Axton schüttelte den Kopf. »Haben Sie schon einmal darüber nachge­

dacht, daß wir uns mit dieser Gruppe irgend-wann auf jeden Fall auseinandersetzen müs­sen? Sehen Sie denn nicht, daß dies die Macht ist, auf die sich jeder Imperator stützt, sofern er nicht Atlan heißt?«

Avrael Arrkonta setzte sich. Er griff nach einem Glas mit Saft und trank es zur Hälfte aus. Er nickte.

»So ist es«, stimmte er zu. »Wenn Atlan die Macht über das Imperium übernehmen soll, dann müssen wir uns diesem Feind stel-

H.G. Francis

len. Ganz gleich wie groß oder wie mächtig er ist, dieser Gegner muß bekämpft werden, oder wir können alle Hoffnung und Pläne für Atlan begraben.«

»Ich sehe, Sie haben es erfaßt«, sagte Ax­ton lächelnd und trank seinen Tee aus.

»Sie tun gerade so, als wäre es eine Klei­nigkeit, mit diesen Leuten fertig zu werden«, rief Ermed Trelgron. Er schnippte mit den Fingern. »Ein einziges falsches Wort, und es ist aus mit uns.«

»Ganz hilflos sind wir auch nicht, Er­med«, erwiderte Arrkonta. »Auch wir haben eine starke Organisation, die notfalls eine beachtliche Kampfkraft entwickelt.«

»Lebo ist es gelungen, uns dazu zu brin­gen, Orbanaschol zu befreien und ihm das Leben zu retten. Wir haben seinen Doppel­gänger vertrieben. Das alles klappt aber nur, weil er uns getäuscht hat«, stellte der ehema­lige Kommandant von Karaltron fest. »Jetzt geht es darum, eine Revolte gegen Orbana­schol, unseren Erzfeind, zu verhindern. Wir sollen diesem Verbrecher den Thron erhal­ten. Dabei wünscht sich jedes Mitglied der Organisation Gonozal VII. einen Aufstand, der Orbanaschol hinwegfegt. Glauben Sie wirklich, Lebo, daß Sie unsere Freunde dazu bewegen können, Orbanaschol zu retten?«

»Wir müssen es versuchen.« »Ich sage Ihnen, es ist unmöglich. Gut,

wir drei wissen, daß es darum geht, Atlan den Weg zur Macht offen zu halten, aber das können wir nicht jedem einzelnen erklären. Auch bei uns gibt es einen radikalen Flügel, der den Imperator mit allen Mitteln beseiti­gen will, um diesem Regime ein Ende zu be­reiten. Diesen Männern und Frauen ist es egal, was danach kommt.«

»Auch wir wollen diesen Mann so bald wie möglich aus dem Kristallpalast vertrei­ben«, entgegnete Axton. »Solange Atlan aber noch nicht hier ist, müssen wir Orbana­schol auf dem Thron halten. Wir brauchen ihn einfach als die große negative Figur, ge­gen die sich der Haß der Bevölkerung rich­tet. Wehe uns, wenn es der Macht der Son­nen gelingt, einen Mann an die Stelle Orba­

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naschols zu setzen, der von der Öffentlich­keit positiv aufgenommen wird! Eine erfolg­reiche Revolte der Macht der Sonnen könnte für Atlan das Ende bedeuten. Wenn Sie mei­nen, daß wir unsere Organisation nicht voll in unserem Sinn einsetzen können, dann müssen wir eben den Kampf allein aufneh­men.«

»Sie wollen die Machtgruppe unserer Ge­genspieler schon jetzt zerschlagen?« Ermed Trelgron schüttelte resignierend den Kopf. »Das ist unmöglich? Wie wollen Sie gegen etwa zwanzigtausend der reichsten und mächtigsten Persönlichkeiten des Imperiums bestehen? Nein, wir müssen einen anderen Weg finden. Ihre Methoden können in die­sem Fall nicht erfolgreich sein.«

»Warten wir es ab«, sagte Axton ruhig. »Ich werde erst einmal zu Orbanaschol ge­hen und ihm einen guten Morgen wün­schen.«

*

»Sie können nicht zu ihm«, sagte der Kri­stallmeister, der die Oberaufsicht über die Privaträume des Imperators hatte. »Er hat ausdrücklich darum gebeten, nicht gestört zu werden.«

Axton krauste die Stirn. »Geht es ihm nicht gut?« »Frantomor ist bei ihm.« Axton war alarmiert. Er wußte, daß höch­

ste Gefahr für ihn bestand, wenn der Ge­heimdienstchef bei Orbanaschol weilte.

»Wer hat gesagt, daß er nicht gestört wer­den will? Der Imperator?«

»Nein«, erwiderte der Kristallmeister zö­gernd. »Frantomor.«

Lebo Axton lachte ihm ins Gesicht. »Versuchen Sie so etwas nicht noch ein­

mal mit mir«, sagte er und gab Kelly ein Zeichen. Der Roboter schob den Arkoniden zur Seite. Der Kristallmeister gab seinen Widerstand augenblicklich auf. Er eilte an Kelly und Axton vorbei, um ihnen die Tür zu öffnen. Dann lief er vor ihnen her.

»Ich muß Sie anmelden«, rief er atemlos.

Doch auch dazu ließ ihm der Verwachse­ne nicht viel Zeit. Er folgte ihm direkt in den Salon. Orbanaschol saß in einem Sessel. Sein Gesicht war vor Zorn gerötet, und Trä­nen liefen ihm über die feisten Wangen. Frantomor stand vor ihm. Er war bleich, und auch seine Augen tränten vor Erregung.

»Sie kommen zum richtigen Zeitpunkt«, sagte der Imperator. »Nehmen Sie Platz, Ax­ton.«

Mit einer energischen Geste schickte er den Kristallmeister hinaus. Er wartete, bis der Verwachsene sich neben ihn gesetzt hat­te, dann wandte er sich Frantomor zu.

»Wiederholen Sie den Blödsinn, den sie mir soeben unterbreitet haben«, forderte er ihn auf.

Frantormor blickte Lebo Axton an. Sein Mund bildete eine schmale, harte Linie. Nie zuvor hatte der Kosmokriminalist den Chef des arkonidischen Geheimdiensts in einer solchen Verfassung gesehen. Mühelos er­kannte er, wie es um ihn stand.

Frantomor war am Ende, aber er gab nicht auf. Er kämpfte mit aller Kraft, die im inne­wohnte, gegen den Untergang. Von dem lär­menden, törichten Saufkumpanen war jetzt nichts mehr zu sehen. Frantomor bäumte sich auf. Er war nie gefährlicher gewesen als jetzt. Axton wußte, daß er auf der Hut sein mußte. Seltsamerweise sprach sein Extrahirn jedoch nicht auf Frantomor an. Es signali­sierte Axton keine akute Gefahr.

Frantomor wandte sich an den Mann, dem er den Verlust seiner Macht und seines An­sehens zu verdanken hatte. An Axton.

»Ich habe mir erlaubt, den Imperator dar­auf hinzuweisen, daß er sich in einer unhalt­baren Situation befindet«, begann er. »Ich habe ihm schonungslos eröffnet, daß er ein verhaßter Herrscher ist, der in letzter Zeit katastrophal an Ansehen verloren hat.«

Axton staunte nur. Jetzt lernte er Franto­mor von einer ganz anderen Seite kennen. Bis zu diesem Gespräch war er nicht mehr als ein Speichellecker gewesen. Jetzt setzte er offenbar alles auf eine Karte. Er spielte um alles oder nichts.

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»Die Blamage bei der Wahl war ein Si­gnal, wie es nicht deutlicher hätte sein kön­nen«, fuhr Frantomor furchtlos fort. »Danach wurde alles immer schlimmer.«

»Ich weiß das«, antwortete Orbanaschol mit heiserer Fistelstimme. Sein Gesicht röte­te sich wieder. »Beeilen Sie sich, damit ich mir das alles nicht noch länger anhören muß.«

»Sie übersehen, Imperator, daß es mich überhaupt nicht interessiert, was die Öffent­lichkeit denkt«, sagte Frantomor. »Viel wichtiger ist, wie sich die Männer und Frau-en verhalten, die durch Ihre Gunst und Ihre Großzügigkeit reich geworden sind. Diese Persönlichkeiten, die heute die oberste Ge­sellschaftsschicht des Imperiums bilden, fürchten um Macht und Ansehen. Sie wis­sen, daß es mit ihnen vorbei ist, wenn Sie abdanken müssen.«

»Ich werde nicht abdanken«, brüllte Orba­naschol.

»Dann werden die Reichen des Imperi­ums Sie hinwegfegen und einen anderen Im­perator einsetzen.«

Orbanaschol zitterte vor Wut und Empö­rung. Seine Hände glitten über die Lehnen des Sessels und über die Tischplatte. Axton erkannte, daß er nach einer Waffe suchte, mit der er Frantomor erschlagen konnte.

»Bitte, Imperator«, sagte der Kosmokri­minalist leise und betont ruhig. »Nie zuvor hatte Frantomor Ihnen ehrlichere und wich­tigere Worte gesagt. Sie sollten ihm zuhö­ren, denn er eröffnete Ihnen dies alles nicht, um Sie verächtlich zu machen, sondern um Sie auf eine Gefahr aufmerksam zu machen, der Sie sich stellen müssen.«

Der Imperator fuhr herum, als habe ihn ei­ne Viper gebissen. Seine tränenfeuchten Au­gen weiteten sich.

»Das sagen Sie mir?« fragte er stam­melnd. »Ausgerechnet Sie?«

»Ich bin einer Verschwörung auf die Spur gekommen, die sich gegen Sie richtet, Impe­rator«, erklärte Axton. »Es hat keinen Sinn, vor den Tatsachen die Augen zu verschlie­ßen. Frantomor war etwas ungeschickt und

H.G. Francis

beleidigend in seinen Worten. Tatsache aber ist, daß Repräsentanten aus der obersten Ge­sellschaftsschicht des Imperiums beschlos­sen haben, Sie zu ermorden und einen Nach­folger ihrer Wahl an Ihre Stelle zu setzen.«

Orbanaschol fuhr erbleichend zurück. Sei­ne feisten Wangen zitterten.

»Ist das wahr?« fragte er fassungslos. »Ist das wirklich wahr?«

Lebo Axton war erschüttert. Er haßte Or­banaschol III. wie keinen anderen Men­schen. Orbanaschol III. war ein vielfacher Mörder, der unzählige Verbrechen begangen und enge Freunde Axtons getötet hatte. Or­banaschol war in den Augen des Terraners eine widerwärtige Kreatur, die alles Böse re­präsentierte, das das arkonidische Imperium in sich barg. Er hatte eine Herrschaft des Terrors errichtet, und er kannte keine Gnade, weder nach innen, noch nach außen hin. Auf seinen Befehlen wurden fremde Völker mit grausamen Methoden unterjocht, und wer ihm im Wege war, wurde vernichtet. Axton hatte den Eindruck, daß Orbanaschol schon lange nicht mehr zwischen Gut und Böse unterscheiden konnte.

Und doch tat er ihm in diesen Sekunden fast leid, denn er spürte, wie sehr Orbana­schol seinen vermeintlichen Freunden ver­traut hatte, und daß er jetzt erkannte, wie un­faßbar leer es um ihn herum wirklich war.

»Ich glaube es nicht«, sagte Orbanaschol. »Sie müssen«, beteuerte Axton.

»Akzeptieren Sie die Wahrheit, so schwer es Ihnen auch fallen mag. Nur dann haben Sie eine Chance, sich gegen Ihre Feinde zu be­haupten.«

Er bemerkte, daß Frantomor sichtlich er­leichtert aufatmete. Der Geheimdienstchef erkannte, daß er sich für die richtige Seite entschieden hatte.

Orbanaschol drückte eine Taste auf dem Tisch.

»Gehen Sie dort drüben hin«, befahl er und zeigte zu einer Sesselgruppe, die neben einem beleuchteten Methanarium und einem 3-D-Gerät stand. »Ich muß nachdenken.«

Axton erhob sich und ging schweigend

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hinüber. Frantomor folgte ihm zögernd und unsicher. Gentleman Kelly blieb dicht bei dem Kosmokriminalisten. Er half ihm in den Sessel.

Einige Bedienstete kamen herein und brachten Platten mit Speisen, die Orbana­schol per Tastendruck abgerufen hatte. Da­bei war ein riesiges Stück gegrilltes Fleisch, an dem Lebo Axton eine ganze Woche lang genug zu essen gehabt hätte.

Orbanaschol wartete ungeduldig ab, bis der Bedienstete die Speisen vor ihm aufge­baut und ihn mit Tellern und Besteck verse­hen hatten, dann stürzte er sich förmlich auf das Fleisch, schnitt große Brocken davon ab und schlang sie in sich hinein.

Diese Reaktion war bezeichnend für Or­banaschol. Wenn er Sorgen hatte oder allzu nervös war, dann betäubte er sich, indem er sich den Magen hemmungslos füllte.

Axton beobachtete den Imperator, wäh­rend Frantomor mit gesenktem Kopf neben ihm saß und seinen Gedanken nachhing. Der Geheimdienstchef blickte einige Male auf, als suche er Kontakt zu seinem erfolgreichs­ten Mitarbeiter, doch Axton vermied es, ihn anzusehen. Er wußte, daß Orbanaschol ge­reizt reagieren würde, wenn sie miteinander sprachen.

Etwas mehr als eine Stunde verstrich. In dieser Zeit brachten die Diener den beiden wartenden Männern ein wenig Wasser zu trinken. Sonst wurde ihnen nichts angebo­ten. Orbanaschol aber schlang in dieser Zeit unglaubliche Mengen von Fleisch und Ge­müse in sich hinein, und er ließ schließlich noch Früchte folgen.

Dann endlich schien er sich daran zu erin­nern, daß er nicht allein war.

»Wen haben Sie sich vorgeknöpft, Le­bo?« fragte er.

Der Kosmokriminalist wußte sofort, was Orbanaschol meinte. Er versuchte, keine Ausflüchte, sondern antwortete ruhig: »Kramat Herrakton, einen Ingenieur und Biowissenschaftler.«

»Frantomor. Ich will, daß dieser Mann er­ledigt wird.«

»Er ist schon so gut wie tot.« Frantomor hüstelte. »Oder wollen Sie einen Prozeß?«

Axton erschauerte. Die beiden Arkoniden unterhielten sich in einem Ton über den In­genieur, als sei er keine Person, sondern eine Sache.

»Ich bin der Ansicht, daß es ein Fehler wäre, Herrakton zu diesem Zeitpunkt – hm – verunglücken zu lassen«, sagte Axton. »Wenn ihm jetzt etwas passiert, dann weiß die Gegenseite, daß wir bestens informiert sind. Herrakton soll bezahlen, aber später, wenn wir uns dadurch nicht selbst schaden.«

Orbanaschol blickte den Kosmokriminali­sten an. Seine Augen waren in diesem Mo­ment nur zwei schmale Schlitze.

»Ich will, daß jemand büßt«, erklärte der Imperator zornig. Er ballte die Hände zu Fäusten und schlug sie auf den Tisch. »Ich will, daß meine Feinde erkennen, mit wel­cher Konsequenz und Härte ich mich zu ver­teidigen weiß.«

»Das müssen Sie, Imperator«, antwortete Axton, wobei er Mühe hatte, sich nicht an­merken zu lassen, wie er über die Methoden Orbanaschols dachte. »Gerade deshalb wer­den sie überraschend und mit solcher Gewalt zuschlagen, daß wir keine Chance haben, uns zu wehren. Noch ist es nicht soweit, wenn Sie aber Herrakton töten lassen, dann könnte das der entscheidende Impuls für Ih­re Feinde sein. Sie könnten damit eine Re­bellion auslösen, der wir noch nicht genü­gend entgegenzusetzen haben.«

»Was sagen Sie dazu, Frantomor?« Der Geheimdienstchef zögerte. Orbana­

schol schnaubte verächtlich und wandte sich wieder Axton zu.

»Sie sind ein gefährlicher Taktiker, Le­bo«, sagte er. »Und Sie haben einen kühlen Kopf.«

Seine Augen blitzten auf, und seine Lip­pen zuckten. Eine eigenartige Drohung ging von ihm aus. Axton spürte, wie sein Sonder­hirn plötzlich ansprach. Es signalisierte Ge­fahr.

»Ich möchte Sie nicht zum Feind haben«, fuhr der Imperator fort.

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6.

»Seht euch den Zwerg an«, rief der Arko­nide lachend seinen Freunden zu. »Das dürft ihr euch nicht entgehen lassen.«

Lebo Axton stand in den Haltebügeln auf dem Rücken Gentleman Kellys und blickte auf den jungen Mann hinab, der soviel Wert darauf legte, seine Freunde auf ihn aufmerk­sam zu machen. Auch andere Männer und Frauen drehten sich nun um und machten sich über den Verwachsenen lustig.

Der Kosmokriminalist lächelte. Was die Arkoniden auch sagten, es glitt an ihm ab, als ob es ihn nicht berührte. Er war glück­lich, daß er in diesem Körper leben durfte, nachdem er über Jahrhunderte hinweg in ei­nem perfekten Robotkörper existiert hatte. So nahm er alle Schwächen und Nachteile klaglos in Kauf, und er verspürte nicht die geringste Sehnsucht danach, in den Robot­körper zurückzukehren.

»He, du«, brüllte der junge Arkonide und packte ihn am Bein. »Bleibe hier. Wir möchten uns noch mit dir amüsieren.«

»Freunde, wenn ihr euch allzuviel Zeit laßt, werdet ihr den großen Auftritt von Ma-na-Konyr verpassen«, erwiderte der Kosmo­kriminalist gelassen. Er lächelte. »Einen Krüppel könnt ihr alle Tage sehen, einen KAYMUURTES-Sieger nicht.«

»Wo könnte man eine so häßliche Kreatur wie dich beschaffen?« fragte der Arkonide grinsend. Er zerrte so heftig am Bein Ax­tons, daß dieser vom Rücken Kellys herun­terstürzte. Der Roboter reagierte blitz­schnell, wirbelte herum und packte seinen Arm, so daß der Terraner nicht auf den Bo­den fiel. Dennoch prallte er mit den Füßen hart auf, und er verletzte sich an der rechten Hand, mit der er sich hatte abfangen wollen.

Die Freunde des Jungen drängten sich la­chend und grölend heran.

»Komm, du häßlicher Zwerg«, brüllte ei­ner von ihnen. »Tanze. Laß deine Beine schwingen.«

»Seht euch die riesigen Füße an«, grölte

H.G. Francis

ein anderer, der offensichtlich unter dem Einfluß von Alkohol stand. »Die würden ausreichen für einen Riesen wie Mana-Konyr.«

Einer der Arkoniden stieß seine Hand nach vorn und packte Axton an der Nase. In diesem Moment brach ein hochgewachsener Mann in der Uniform der Raumfahrer durch die Menge. Mit einem einzigen Schlag schmetterte er den Arkoniden zu Boden, der Axtons Nase gefaßt hatte.

»Vater!« rief der Junge stammelnd. »Wieso …? Was soll das?«

Lebo Axton kannte den Mann nicht, aber dieser wußte zu seiner Überraschung genau, wer er war. Er verneigte sich ehrfurchtsvoll vor ihm.

»Ich bitte Sie, meinem Sohn zu verzeihen, Axton«, sagte er mit belegter Stimme. »Er hat getrunken.«

»Nicht doch, Vater«, sagte der Junge, der sich rasch erhob. »Du wirst dich doch nicht vor diesem Kretin erniedrigen.«

Axton sah, daß der Mann ein Dreifacher Sonnenträger war. Er lächelte ihm begüti­gend zu, stieg auf den Rücken seines Robo­ters und sagte: »Machen Sie sich keine Sor­gen. Ich nehme Ihrem Sohn nichts übel. Wo­her sollte er wissen, wer ich bin?«

»Er wollte sicherlich nicht …«, begann der Offizier, doch der. Verwachsene unter­brach ihn mit einer abwehrenden Geste.

»Es ist alles vergessen«, beteuerte er. »Glauben Sie mir, ich bin derbere Scherze gewohnt. Weiter, Kelly. Wir wollen nicht stören.«

Er nickte dem Sonnenträger freundlich zu. Gentleman Kelly ging weiter. Eine Gasse bildete sich. Schweigend starrten ihn die Ar­koniden an. Axton bemühte sich, ein gleich­gültiges Gesicht zu zeigen. Tatsächlich be­hagte ihm überhaupt nicht, daß er soviel Aufsehen erregt hatte. Er hörte noch, daß der Sonnenträger ihn als Freund und Ver­trauter des Imperators bezeichnete. Dann wurde es wieder lauter um ihn herum, und er konnte die einzelnen Stimmen nicht mehr auseinander halten.

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Er hatte die Wahrheit gesagt. Der Vorfall hatte ihm zwar mißfallen, aber er nahm dem jungen Arkoniden wirklich nichts übel. Er wußte, daß er von ihm und seinen Freunden nicht mehr belästigt werden würde, und das genügte ihm.

Er betrat die Arena, in der Mana-Konyr auftreten würde. Etwa einhunderttausend Arkoniden waren bereits im Oval versam­melt. Der Sieger des Amnestie-KAYMUURTES sollte im Rahmen einer großen Show der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Dieses Schauspiel wollte Axton sich nicht entgehen lassen.

Als sich Axton der Kabine näherte, die für ihn reserviert war, überfiel ihn plötzlich das intensive Gefühl einer Gefahr. Es kam so überraschend, daß er Gentleman Kelly un­willkürlich stoppte. Der Roboter blieb ste­hen, und einige Arkoniden prallten gegen ihn. Augenblicklich erhoben sich unwillige Stimmen.

»Weiter«, sagte der Verwachsene und blickte sich suchend um. »Schnell.«

Gentleman Kelly drängte sich durch die Menge, während Axton sich an ihn krallte. Das Gefühl der Bedrohung wurde immer stärker, aber er konnte nicht erkennen, aus welcher Richtung es kam. Ihm wurde be­wußt, daß es ein Fehler gewesen war, sich ohne entsprechende Schutzmaßnahmen mit­ten in diese Menge zu wagen. Wenn ihm ir­gendwo ein Attentäter auflauerte, dann blieb ihm keine Chance.

Axton verspürte keine Angst. Er machte sich lediglich Vorwürfe wegen seiner Leichtfertigkeit. Seine Hand schob sich halt­suchend zu dem blauen Gürtel, der sich um seine Hüften schlang. Das kristallin erschei­nende Gebilde fühlte sich wärmer an als sonst. Ein seltsames Prickeln strich am Arm Axtons bis zur Schulter hoch. Der Terraner hatte das Gefühl, daß sich der blaue Gürtel ihm in irgendeiner Weise mitteilen wollte.

Der Gürtel war ihm aus einer anderen Di­mension zugeflogen, und es war ihm bis heute nicht gelungen, herauszufinden, was dieses Gebilde eigentlich war. Nur eines

konnte er mit absoluter Sicherheit sagen – es war völlig unberechenbar.

Gentleman Kelly öffnete die Tür der Ka­bine und trat ein. Die Tür schloß sich wie­der, und im gleichen Moment verringerte sich das Gefühl, einer tödlichen Gefahr aus­gesetzt zu sein, bis zur Bedeutungslosigkeit.

Verwirrt und beunruhigt stieg Axton vom Rücken des Roboters und setzte sich in einen der vier Sessel. Die Kabine war für hochgestellte Persönlichkeiten des Hofes re­serviert. Orbanaschol selbst hatte ihm die Erlaubnis gegeben, sie zu benutzen.

Sie lag günstig vor dem ovalen Kampf­platz. Die transparenten Wände bestanden aus einem Material, das einem Beschuß gut standhielt. Bedeutete das Nachlassen des Gefühls einer drohenden Gefahr, daß irgend jemand versuchen wollte, ihn zu töten?

»Sieh dich um«, befahl Axton. »Ich will wissen, ob da jemand ist, der auf mich schie­ßen will.«

Eine halbe Stunde verstrich, bis das Pro­gramm begann. Axton nutzte die Zeit, um sich mit Hilfe des Video in der Kabine mit verschiedenen Männern zu beraten, um In­formationen einzuholen und Anweisungen zu geben. Danach wandte er sich Kelly wie­der zu.

»Hast du jemanden entdeckt?« fragte er. »Du mußt dich geirrt haben«, erwiderte

der Roboter. »Ich sehe niemanden, Schätz­chen, der dir gefährlich werden könnte.«

»Da ist aber jemand. Ich weiß es.« Axton-Kennon spürte, wie das Gefühl der

Bedrohung wieder intensiver wurde. Es schien, als nähere sich ihm jemand in der Absicht, ihn zu töten. Er beobachtete seine Umgebung, aber wohin er auch blickte, er sah nur Männer und Frauen, deren Aufmerk­samkeit sich auf das Geschehen in der Arena richtete. Dort war eine farbenprächtig ge­kleidete Gruppe von Mädchen erschienen, der ein hochgewachsener Mann in einem Gleiter folgte. Gleichzeitig kündigte ein Sprecher an, daß Mana-Konyr das Oval be­treten würde.

Lebo Axton kam sich vor wie in einer

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Falle, in der er hilflos darauf warten mußte, daß etwas geschah. Er wurde immer unruhi­ger. Schließlich steigerte sich das Gefühl der Bedrohung bis ins Unerträgliche. Er preßte die Hände gegen den Kopf. Er spürte, wie das Blut in den Gefäßen pochte, und er glaubte, der Schädel müsse ihm zerspringen.

Er stand auf. »Kelly – da muß etwas sein«, sagte er

ächzend. »Du irrst dich«, erwiderte der Roboter. Er

stellte sich direkt hinter den Verwachsenen, um ihn mit seinem Körper zu schützen. »Da ist nichts.«

Mana-Konyr schwebte in einem offenen, mit Blumen geschmückten Gleiter in die Arena. Er winkte mit beiden Armen ins Pu­blikum. Die Zuschauer erhoben sich von ih­ren Plätzen und jubelten dem KAYMUUR­TES-Sieger zu.

Die Augen des Kosmokriminalisten wei­teten sich. Er begann am ganzen Körper zu zittern.

»Bringe mich nach draußen«, befahl er, mühsam jede Silbe formulierend. »Schnell. Wir müssen das Stadion verlassen.«

Gentleman Kelly griff mit beiden Armen zu und hob ihn geschickt über sich hinweg, so daß der Terraner sich in die Haltebügel auf dem Rücken stellen und sich an ihn klammern konnte. Dann öffnete der Roboter die Tür und eilte durch die nun freien Gänge zwischen den Sitzreihen. Niemand achtete auf ihn und Axton. Die Arkoniden feierten Mana-Konyr, der den Gleiter verlassen hatte und mit ausgebreiteten Armen um das Oval schritt. Ein wahrer Blumenregen ging auf ihn nieder.

Kelly stürmte durch einen Tunnel aus dem Stadion heraus. Draußen schaltete er sein Antigravgerät ein und stieg steil auf. Je weiter er sich vom Stadion entfernte, desto freier fühlte Axton sich. Das erdrückende Gefühl einer tödlichen Gefahr wich von ihm.

Er blickte zurück zum Stadion. »Warte«, sagte er. »Nicht weiter.« Nachdem er einige Minuten lang nachge-

H.G. Francis

dacht hatte, beschloß er, in die Kabine zu­rückzukehren. Er wollte herausfinden, was im Stadion passiert war. Er wollte sich nicht vor einer Gefahr zurückgezogen haben, ohne erkannt zu haben, woher sie eigentlich kam, und wer sie repräsentierte.

»Zurück«, befahl er. »In die Kabine. Dieses Mal fliegen wir direkt dorthin.« Der Roboter gehorchte wortlos. Er be­

schleunigte scharf, und kaum drei Minuten später landete er vor der Kabinentür. Einige Arkoniden beschwerten sich über die Stö­rung, aber Axton beachtete sie nicht und ließ sich in die Kabine tragen. Dabei kämpfte er bereits wieder gegen das Gefühl einer tödli­chen Bedrohung.

Mana-Konyr hatte offenbar einen Teil sei­ner Show abgeschlossen. Die Zuschauer spendeten ihm jubelnd Beifall. Axton wußte nicht, was der KAYMUURTES-Sieger ge­macht hatte. Es interessierte ihn auch nicht. Er versuchte, die von seinem Extrahirn aus­gehenden Impulse zu dämpfen und unwirk­sam zu machen, doch ganz gelang es ihm nicht.

Er blickte zu Mana-Konyr hinüber, und plötzlich schien es, als bestehe eine pseudo­telepathische Verbindung zwischen ihnen. Der Sieger der KAYMUURTES fuhr wie auf ein geheimes Signal plötzlich herum und wandte sich Axton zu.

Dieser lehnte sich stöhnend in seinem Sessel zurück. Er fühlte, daß etwas von Ma-na-Konyr kam, ohne es identifizieren zu können. Er war wie gelähmt. Die Kehle schnürte sich ihm zu. Er konnte plötzlich nicht mehr atmen. Seine Hände krallten sich um den blauen Gürtel.

Dann war alles ebenso überraschend vor­bei, wie es gekommen war. »Mona-Konyr wird uns nun zeigen, wie er kämpfen kann«, verkündete der Stadionsprecher. »Er selbst hat diesen Kampf und seine Bedingungen vorgeschlagen.«

Ein Arkon-Rind trabte in die Arena, und ein erstauntes Raunen erfüllte das Stadion. Niemand wußte offenbar, was dieses Tier hier sollte. Arkon-Rinder waren absolut

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friedfertig und waren nicht mehr als Schlachtvieh.

Dem Rind folgten jedoch zwei Männer, die ebenso groß und ebenso muskulös wie Mana-Konyr waren. Sie trugen kurze rote Stäbe in den Händen.

»Die beiden Star-Kämpfer Traktra und Howopon tragen vergiftete Pfeile in den Händen«, erklärte der Stadionsprecher. »Das Gift wirkt sofort und ist absolut tödlich. Ho­wopon, zeigen Sie uns, wie das Gift wirkt!«

Einer der beiden Männer ging zu dem Ar­kon-Rind und stieß ihm den Pfeil in den Nacken. Das Tier brach zusammen und ver­endete, nachdem er einige Male krampfartig mit den Beinen um sich geschlagen hatte.

»Mana-Konyr hat darauf bestanden, uns seine Kampfstärke auf diese Weise zu de­monstrieren«, rief der Stadionsprecher. »Er selbst hat nur seine Hände und Füße als Waffen. Er tritt gegen die besten Kämpfer von Arkon und gegen die Giftpfeile an.«

Lebo Axton hörte diese Worte wie durch einen dämpfenden Nebel. Ihn schwindelte. Er konnte nur mühsam atmen, und er hatte fast unerträgliche Kopfschmerzen. Sein Zu­stand besserte sich erst, als der scheinbar so ungleiche Kampf in der Arena begann.

Axton machte sich keine Gedanken dar­über, ob die Giftpfeile wirklich tödliche Waffen waren oder nicht. Sie interessierten ihn nicht. Je freier er sich fühlte, desto mehr konzentrierte er sich auf Mana-Konyr.

Er wollte zurück, als sich plötzlich etwas in ihm und um ihn herum änderte. Er sah, daß seine Hände von einem bläulichen Leuchten umgeben waren, das von dem Gürtel ausging. Er spürte eine fremde Kraft in sich.

Dann trübten sich seine Blicke. Er hatte das Gefühl, in eine unwirkliche Welt zu ver­sinken und schwerelos zu werden. Irgendwo in ihm mahnte ihn eine Stimme, sich gegen die Veränderung aufzulehnen, sich zu weh­ren, aber er brachte nicht die Energie auf, et­was zu tun. Willenlos gab er sich der frem­den Macht hin.

Es schien, als rücke er in kleinen Schüben

immer näher an Mana-Konyr heran, bis er ihn ganz dicht vor sich sah, als ob er unmit­telbar vor ihm stünde. Die Augen schienen ihn zu fixieren, aber das täuschte. Axton wußte es, und dennoch wurde er das Gefühl nicht los, daß der KAYMUURTES-Sieger ihn ständig beobachtete. Dabei verfolgte er wie durch einen farbigen Nebel, daß Mana-Konyr mit seinen beiden Gegnern kämpfte.

Dennoch rückte Mana-Konyr scheinbar immer näher an ihn heran, bis ein Teil von ihm mit seinem. Ich verschmolz.

Axton fühlte die stählernen Hände Gent­leman Kellys auf seinen Schultern. Sie zeig­ten ihm an, daß er sich in dem Sessel heftig bewegt hatte. Gleichzeitig stellten sie eine für ihn kaum noch wahrnehmbare Brücke zur Realität dar.

Axton glaubte, in das Innerste des KAY­MUURTES-Sieger sehen zu können, und er erkannte, daß ihm zwei Persönlichkeiten ge­genüberstanden.

Diese Entdeckung rüttelte ihn auf und lockerte die geistigen Fesseln ein wenig. Er begriff, daß diese beiden Persönlichkeiten in Mana-Konyr in einen Kampf gegeneinander verwickelt waren und beide die Vorherr­schaft zu erringen suchten.

Axton sah, daß der KAYMUURTES-Sie­ger seine beiden Gegner nacheinander mit blitzschnellen Schlägen zu Boden streckte, aber er nahm diese Tatsache nicht bewußt auf, denn in diesem Moment konnte Mana-Konyr sich allein auf ihn konzentrieren.

Lebo Axton fühlte sich überrollt. Er bäumte sich auf. Sein ganzer Körper

verkrampfte sich, während er erfaßte, daß da unten in der Arena Klinsanthor, der Magnor­töter, stand!

Von ihm ging eine so intensive Ausstrah­lung aus, daß der Terraner die Kontrolle über sich vollends verlor. Die Welt Arkons verwischte sich. Axton glaubte, wieder in der Traummaschine Ischtars zu sein, er glaubte, eine Umwelt zu erkennen, die zu dieser Traummaschine gehörte.

Doch er wollte noch nicht zurückkehren. Er wollte sein Abenteuer Arkon und das Le­

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ben in seinem eigenen Körper noch nicht be­enden. Mit dem letzten Rest der Energie, die noch in ihm steckte, bäumte er sich gegen die Macht des Magnortöters auf, sträubte er sich gegen die von seinem Extrahirn ausge­henden Impulse.

Seine Augen waren weit geöffnet. Doch Lebo Axton-Kennon sah nicht, was um ihn herum vorging. Seine Hände krallten sich um den blauen Gürtel, als biete dieser ihm den einzigen und letzten Halt. Er wähnte sich irgendwo zwischen den Dimensionen und fürchtete, sich im Nichts zu verlieren.

Axton merkte, daß ihn jemand aufnahm, aber er wußte nicht, wer es war, und wohin man ihn brachte. Es war auch unwesentlich für ihn, da es für ihn nicht mehr darum ging, ob er auf Arkon im Stadion oder woanders war, sondern ob es ihm gelang, auf der Exi­stenzebene Alt-Arkon zu bleiben oder sich zwischen den Dimensionen zu verlieren.

*

Als Lebo Axton wieder zu sich kam, lag er im Gras. Er sah die Zweige einiger Bäu­me über sich. Sie schwankten leicht im Wind. Einige Vögel zankten sich um Bee­ren, die an den Zweigen wuchsen.

Der Terraner wollte den Kopf wenden, doch es gelang ihm nicht. Voller Entsetzen stellte er fest, daß er vollkommen gelähmt war. Er konnte noch nicht einmal einen Fin­ger rühren oder sprechen. Er konnte jedoch atmen. Sein Brustkorb bewegte sich, als werde er von einer fremden Kraft dazu ge­zwungen.

Wenn Axton nicht die Bäume und den Himmel über sich gesehen hätte, dann hätte er glauben müssen, in einer Klinik in einer eisernen Lunge zu stecken.

Er war vollkommen hilflos. Angst kam in ihm auf. Er wußte nicht,

wie er hierhergekommen war. Er konnte noch nicht einmal sagen, ob er sich noch auf Arkon befand oder ob ihn eine fremde Kraft auf eine andere Welt in eine andere Zeit ge­schleudert hatte.

H.G. Francis

Die Zeit schien stillzustehen. Nichts ge­schah. Er lag auf dem Rücken und wartete. Angespannt horchte er auf alles, was sich in seiner Nähe bewegte, weil er sich dadurch wertvolle Hinweise auf seinen Aufenthalts­ort versprach.

Schließlich begann er zu fürchten, ein wildes Tier könne sich ihm nähern und ihn zerreißen, ohne daß er sich wehren konnte.

Er versuchte sich zu bewegen, weil er hoffte, daß die Lähmung nachlassen würde, doch immer wieder wurde er enttäuscht.

So verstrichen die Stunden, und die Ver­zweiflung Axtons wuchs. Er wagte nicht, daran zu denken, was geschehen würde, wenn sich nichts an seinem Zustand änderte. Würde er hier liegenbleiben, bis er verhun­gert oder verdurstet war?

Es dunkelte. Bald konnte Axton das Meer der Sterne über sich sehen, das über Arkon unglaublich dicht war. Anhand der Sternbil­der fand er heraus, daß er sich noch immer auf Arkon I befand. Doch diese Feststellung beruhigte ihn nicht, da er noch immer nicht wußte, ob er sich im Zeitstrom bewegt hatte.

Er versuchte zu rekonstruieren, was ge­schehen war. Er erinnerte sich daran, daß sich Klinsanthor in Mana-Konyr verbarg und daß es zu einer seltsamen halbtelepathi­schen Verbindung zwischen ihnen gekom­men war. Dieser parapsychische Kontakt mußte es gewesen sein, der zu seinem Zu­sammenbruch geführt hatte.

Der Magnortöter auf Arkon I. War er gekommen, um die Rache an Or­

banaschol III. zu vollziehen? Zahllose Gedanken gingen Axton durch

den Kopf, und irgendwann in dieser Nacht schlief er ein. Er wurde wach, als der Mor­gen dämmerte. Nebel umgab ihn. Ihm war klar. Er konnte sich noch immer nicht bewe­gen, und er lag noch immer an der gleichen Stelle.

Doch etwas hatte sich verändert. Axton hörte, wie sich ihm Schritte näher­

ten. Alles in ihm spannte sich an. Er fühlte, daß der Boden unter ihm erzitterte. Er ver­suchte zu rufen, aber kein Laut kam über

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seine Lippen. Und dann erschien der Kopf eines Robo­

ters über ihm. Er blickte in die matt glänzen­den Linsen Gentleman Kellys.

»Na, mein Schatz?« fragte der Automat. »Hast du endlich ausgeschlafen?«

Der Roboter legte eine Decke über ihn, betastete ihn vorsichtig und massierte seine Arm- und Beinmuskeln.

»Das ist etwas ganz Neues, Herzchen«, sagte Kelly.

»Wieso liegst du hier faul herum und nimmst eine Mütze voll Schlaf nach der an­deren?«

Er wartete, daß Axton etwas antworten würde. Als jedoch kein Laut über die blas­sen Lippen des Verwachsenen kam, schüt­telte er vorwurfsvoll den Kopf und hob Ax­ton auf.

»Ich werde dich jetzt in einen Gleiter le­gen. Da ist es nicht so kalt wie hier draußen, und außerdem kannst du dort angenehmer schlafen.«

Axton sank in warme, weiche Polster. Er fühlte sich sofort wohler.

»Nun, wie fühlst du dich, Liebster?« er­kundigte sich Kelly. »Ich hoffe es geht dir nicht so schlecht, daß du aus lauter Wut kein Wort sagst. Oder?«

Wieder beugte sich der Roboter über ihn und musterte ihn eingehend.

»Du siehst eigentlich nicht so aus, als wä­rest du eingeschnappt«, bemerkte er dann. »Aber wenn es doch so sein sollte, dann wä­re es mir lieber, du würdest mir faules Obst an die Antenne schmettern, als mich mit Schweigen zu bestrafen.«

Als der Verwachsene auch darauf nichts erwiderte, widmete Kelly sich der Bordapo­theke und begann, Axton eingehend zu un­tersuchen. Danach schüttelte er seinen Kopf.

»Es sieht nicht gut aus mit dir, Schatzi­lein«, sagte er. »Ich hätte nicht gedacht, daß du so störrisch sein würdest.«

Wieder versuchte Axton, sich verständ­lich zu machen, aber er war nach wie vor am ganzen Körper gelähmt. Er war dankbar, daß der Roboter sich so intensiv mit ihm be­

schäftigte. Hoffnung kam in ihm auf, als er sah, daß Kelly eine Spritze in den Händen hielt. Er vertraute dem Automaten, da er wußte, daß dieser niemals etwas unterneh­men würde, was ihm schaden konnte. Aller­dings zweifelte er ein wenig daran, daß Kel­ly die richtige Diagnose stellen konnte.

Gentleman Kelly tippte ihn mit den Fin­gerspitzen an.

»Nun wird es ein bißchen pieksen«, kün­dete er an. »Hoffentlich fällst du nicht in Ohnmacht. Dies ist ein Präparat, das deinen Kreislauf in Schwung bringt. Wenn alles stimmt, was auf dem Begleitzettel steht, dann wirst du gleich in der Lage sein, den halben Planeten im Dauerlauf zu umrunden, ohne dich dabei sonderlich anzustrengen. Alles klar, Schatz?«

Kelly wartete immer noch darauf, daß Axton endlich etwas sagen würde. Als die­ser jedoch weiterhin schwieg, verabreichte er ihm das Präparat.

Axton hatte das Gefühl, als ergösse sich flüssige Glut zunächst in seinen Arm und davon ausgehend in seinen Brustraum. Er bäumte sich auf, schüttelte sich und schrie. Gentleman Kelly hielt ihn mit beiden Hän­den fest.

»Was denn, Schätzchen«, rief er. »So weh kann das doch gar nicht getan haben.«

Wie von Sinnen warf sich der Terraner hin und her. Lebo Axton verlor jegliche Kontrolle über seinen Körper. Seine Arme und Beine zuckten wild, und immer wieder kamen gräßliche Schreie über seine Lippen.

Minutenlang dauerte dieser Kampf, dann endlich erschlaffte der Verwachsene. Völlig ausgepumpt blieb er in den stählernen Ar­men des Roboters liegen. Er atmete keu­chend.

»Endlich wirst du vernünftig, Kleiner«, sagte Kelly. »Warum nicht gleich so?«

»Stell deine Lautsprecher ab«, entgegnete der Kosmokriminalist. »Ich kann dein dum­mes Gerede nicht mehr hören.«

»Glücksgefühle durchströmen mich, Mei­ster«, behauptete Kelly. »Du hast deine Sprache wiedergefunden, und bewegen

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kannst du dich auch wieder.«

7.

»Was war los?« fragte Lebo Axton, nach­dem er sich von dem Schock, den er erlitten hatte, wieder etwas erholt hatte.

»Du bist zusammengebrochen«, erklärte Kelly. »Da habe ich dich genommen und bin mit dir aus dem Stadion geflüchtet. Du warst wie tot. Ich habe dich hierhergebracht und gewartet, daß etwas passiert. Ich habe dich mit Medikamenten behandelt und dich mas­siert, aber es hat sich nichts geändert. Bis jetzt.«

Der Terraner schloß die Augen. »Du hättest mich nicht allein lassen dür­

fen«, sagte er. »Fliege jetzt zu meiner Woh­nung.«

Der Gleiter stieg auf und nahm Fahrt auf. Lebo Axton war vollkommen erschöpft. Er hatte das Gefühl, völlig ausgelaugt zu sein. Und es beunruhigte ihn, daß er gegen Mana-Konyr und den in ihm wohnenden Magnor­töter machtlos war.

Er zweifelte nicht daran, daß die Macht der Sonnen versuchen würde, Mana-Konyr für sich zu gewinnen. Und er fragte sich, was er tun konnte, falls er gegen diesen Mann kämpfen mußte, um das Leben Orba­naschols zu retten. Nach dieser eindeutigen Niederlage war er ratlos.

Als er seine Wohnung erreicht hatte, duschte er sich in der Hygienekabine und legte sich anschließend ins Bett. Er schlief augenblicklich ein. Nach einigen Stunden fühlte er sich erholt. Er stand auf. Der Tag war vorüber.

Axton sprach per Video mit Avrael Arr­konta, der äußerst beunruhigt war, weil er verschwunden gewesen war. Axton hatte Mühe, ihn zu besänftigen, zumal er ihm nicht die Wahrheit sagte. Erleichtert reagier­te er, daß sich die politische Lage inzwi­schen nicht geändert hatte.

»Orbanaschol schirmte sich extrem ab«, teilte der Arkonide ihm schließlich mit. »Nur noch seine engsten Freunde und Ver-

H.G. Francis

trauten durften zu ihm, und auch die nur, nachdem sie nach Waffen untersucht wor­den sind. Orbanaschol verkriecht sich förm­lich. Er ist ständig von Wachrobotern umge­ben. Ich habe auf Umwegen von Frantomor erfahren, daß Orbanaschol in einer fast hy­sterischen Furcht vor einem Anschlag lebt und daß er fast entschlossen ist, den Kristall­palast nicht zu verlassen.«

»Das würde bedeuten, daß die Macht der Sonnen zunächst niemanden an ihn heran­bringen kann, der das Attentat verübt.«

»Außer Mana-Konyr«, wandte Arrkonta ein und gab damit zu erkennen, daß er zu dem gleichen Schluß gekommen war wie Axton. »Orbanaschol muß den KAYMU­URTES-Sieger in diesen Tagen empfangen. Das Protokoll verlangte es so, und der Impe­rator kann sich dieser Pflicht nicht entzie­hen, ohne in der Öffentlichkeit entscheidend an Ansehen zu verlieren. Mana-Konyr ist ein Held, der gefeiert wird, wohin er auch kommt. Wenn Orbanaschol ihn nicht emp­fängt, bringt er damit die Öffentlichkeit ge­gen sich auf. Eine bessere Ausgangsposition für eine Revolte könnte die Macht der Son­nen gar nicht für sich gewinnen.«

»Das ist klar«, erwiderte Axton niederge­schlagen. Zum ersten Mal in seinem langen Leben fühlte er sich einem Gegner so unter­legen, daß er keinen Ausweg wußte. Er be­endete das Gespräch mit dem Freund und schaltete das Gerät ab. Er legte sich wieder auf das Bett, um in Ruhe nachzudenken.

Nach den Vorfällen im Stadion war für ihn klar, daß Mana-Konyr und mit ihm Klinsanthor sein Feind war, gegen den er sich behaupten mußte. Die Konstellation war so eindeutig, daß Axton gar nicht auf den Gedanken kam, der Magnortöter könne sich auf seine Seite schlagen und sich nicht gegen Orbanaschol stellen. Der Imperator hatte Klinsanthor betrogen, und dieser hatte ihm dafür Rache geschworen. Seitdem lebte Orbanaschol in panischer Angst vor dem Magnortöter.

Axtons Hände legten sich um den blauen Gürtel.

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Er hatte insgeheim gehofft, daß ihm die­ses Gebilde helfen würde, aber das war nicht der Fall gewesen. Oder täuschte er sich? Wäre vielleicht alles noch viel schlimmer gekommen, wenn der Gürtel nicht gewesen wäre?

So sehr er auch darüber nachdachte, er fand die richtige Antwort nicht.

Schließlich erhob er sich wieder. Es hielt ihn nicht im Bett. Die Unruhe trieb ihn hoch. Er wollte sich erneut in die Nähe Mana-Konyrs wagen, dieses Mal aber so weit von ihm entfernt bleiben, daß er beim ersten An­zeichen einer Gefahr fliehen konnte.

Er stieg zusammen mit Gentleman Kelly in seinen Gleiter und startete. Flüchtig kam ihm der Gedanke, Orbanaschol über seine Schritte und über das zu informieren, was er erfahren hatte. Doch dann verzichtete er dar­auf, weil er Orbanaschol nicht noch mehr in Panik versetzen wollte.

Mit einem Anruf bei der zentralen Presse­stelle informierte er sich darüber, wo sich Mana-Konyr aufhielt. Er erfuhr, daß der Sie­ger der Amnestie-KAYMUURTES Gast bei einer sportlichen Veranstaltung war, die in einem Saal des Kriegspalasts stattfand. Bis dahin war es nicht weit. Axton erreichte den fünfhundert Meter hohen Bau schon nach wenigen Minuten. Er landete mit seinem Gleiter in der Tiefgarage unter dem trichter­förmigen Gebäude und schwebte in einer Antigravliftröhre nach oben.

In dem Palast, der von der Raumflotte Ar­kons verwaltet wurde, herrschte ein lebhaf­tes Treiben. In mehreren Sälen lief ein um­fangreiches Festprogramm ab. Axton begeg­nete mehreren Freunden und Bekannten. Er ließ sich Zeit zu kleinen Gesprächen und Diskussionen und versuchte, auf sich auf­merksam zu machen. Er wollte sich nicht an Mana-Konyr heranschleichen, sondern sich so natürlich und unauffällig verhalten wie nur eben möglich.

Niemand stutzte, als er sich nach Mana-Konyr erkundigte und sich den Mann schil­dern ließ. Man empfand es als selbstver­ständlich, daß der KAYMUURTES-Sieger

im Mittelpunkt des Interesses stand. Axton erfuhr jedoch nichts, was ihm weiterhalf. So näherte er sich Mana-Konyr schließlich di­rekt, ohne ihm wirklich nahe zu kommen.

Der gefeierte Mann befand sich unter den Zuschauern eines Kampfspiels, das eine Art Mischung zwischen Eishockey und Tennis war. Axton konnte diesem Spiel nichts abge­winnen. Es ließ ihn völlig kalt. Viele Arko­niden aber konnten sich für den oft brutalen Kampf der Männer um den Ball begeistern. Auch Mana-Konyr gehörte offenbar zu den Freunden dieses Spiels.

Axton hielt sich in der Nähe des Saalein­gangs auf. Mana-Konyr saß ihm gegenüber auf der anderen Seite des Spielfelds und war damit über einhundert Meter von ihm ent­fernt. Das genügte offenbar, von seinem gei­stigen Einfluß unberührt zu bleiben.

Axton beobachtete ihn mit Hilfe eines elektronischen Fernglases. Gentleman Kelly hielt die Optik so hoch, daß er über die Köp­fe der anderen Besucher hinwegsehen konn­te. Der Terraner hielt den kleinen Video­schirm in den Händen, auf dem er das ver­folgen konnte, was Kelly mit der Optik ein­fing.

Jetzt war nichts Dämonisches oder Ge­heimnisvolles mehr an Mana-Konyr. Er sah aus wie ein normaler Mann. Nichts von dem war mehr da, was Axton vorher so er­schreckt und in seiner Existenz gefährdet hatte.

Darüber war der Kosmokriminalist so überrascht, daß er seine Zurückhaltung auf­gab und vorsichtig Kontakt mit Klinsanthor suchte. Er stieß ins Nichts. Sein Extrahirn sprach nicht an. Es war, als ob der Magnor­töter überhaupt nicht da sei.

Axton merkte, daß er von Minute zu Mi­nute ruhiger war. Eine gewisse Erregung, die anfänglich dagewesen war, schlug um in Enttäuschung.

Axton begann, sich mehr für die Männer und Frauen um Mana-Konyr herum zu inter­essieren, als für diesen selbst. Dabei beob­achtete er etwas Seltsames. Einer der Arko­niden bei Mana-Konyr hielt sich ständig im

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Hintergrund. Dennoch schienen alle Fäden von ihm auszugehen. Immer wieder blickte sich der KAYMUURTES-Sieger nach ihm um, als wolle er feststellen, ob er seine Zu­stimmung fände.

Axton kam dieser Mann bekannt vor. Er wußte ihn zunächst jedoch nicht unterzu­bringen. Dann aber tauchte ein Bekannter neben ihm auf, der zur Organisation Gono­zal VII. gehörte.

»Das ist Vaygoke Prokasta«, sagte der Mann, nachdem Axton ihn gefragt hatte. »Prokasta ist ein Industrieller, der so ziem­lich alles, was er hat, Orbanaschol ver­dankt.«

Der Terraner erinnerte sich wieder an den Mann. Plötzlich war alles wieder da, was er über ihn wußte. Er bedankte sich bei dem Freund und verließ den Saal.

Für ihn gab es keine Zweifel daran, daß Prokasta Mitglied der Macht der Sonnen war. Daher war für ihn auch klar, weshalb er sich in der Nähe von Mana-Konyr aufhielt und weshalb dieses eigenartige Einverständ­nis zwischen den beiden Männern herrschte.

Axton überlegte nicht lange. Er hatte kei­ne Zeit für sorgfältige Recherchen und Vor­bereitungen. Die Situation hatte sich für Or­banaschol innerhalb weniger Tage so ver­schlechtert, daß er schnell reagieren und da­bei auch ein hohes Risiko eingehen mußte.

Axton beschloß, in die Wohn- und Ar­beitsräume von Vaygoke Prokasta einzubre­chen und dort nach Informationen zu su­chen. Die Aktion konnte ein totaler Fehl­schlag, aber auch ein totaler Erfolg werden. Er trieb Gentleman Kelly an und kehrte zu­sammen mit ihm zum Gleiter zurück. Kaum war er gestartet, als er sich auch schon über Video alle greifbaren Informationen über Prokasta geben ließ.

Die Zeit drängte. Er wußte nicht, wann Prokasta die Sportveranstaltung verlassen würde und wann der Schlag gegen Orbana­schol geführt werden sollte.

Prokasta hatte eine riesige Wohnung in ei­nem etwa vierhundert Meter hohen Trichter­bau, der dicht unterhalb des Gipfels eines

H.G. Francis

steil aufragenden Berges errichtet war. Von hier aus reichte die Sicht bei klarem Wetter über zweihundert Kilometer weit zu den Bergen, die nördlich des Kristallpalasts einen breiten Gürtel über den Hauptkonti­nent zogen.

Die erste unerwartete Schwierigkeit ergab sich, als Axton sich dem gewaltigen Gebäu­de bis auf etwa dreihundert Meter genähert hatte. Plötzlich flammte ein Signallicht auf dem Amaturenbrett auf. Eine nur selten be­nutzte positronische Einrichtung verlangte einen Identifizierungskode.

»Umkehren. Schnell«, befahl der Terra­ner.

Gentleman Kelly riß die Maschine herum und verließ den Sicherheitsbereich des Ge­bäudes. Axton wies ihn an, den Gleiter in ei­ner Entfernung von etwa drei Kilometern zwischen den Felsen einer Geröllhalde zu landen und dann alle Aggregate abzuschal­ten.

Nachdenklich blickte er zu dem Haus hin­über. Die Identifizierungsschranke stellte ei­ne ungewöhnliche Sicherheitsmaßnahme dar, die sich in der Vergangenheit nicht voll bewährt hatte, weil sie mit allzu großen Schwierigkeiten für die Besucher der Häuser verbunden war. Die Identifizierungsschran­ke ließ nur die Gleiter durch, die auf das Rufsignal mit dem richtigen Kode antworten konnten. Dieser war für die Bewohner des Hauses in vielen Fällen schon für Jahre hin­aus einprogrammiert worden, so daß sich niemand darum zu kümmern brauchte, da die Positronik die täglichen Änderungen selbsttätig vornahm. So konnte jeder Besu­cher ungehindert ein- und ausfliegen. Kehrte er jedoch einmal nicht mehr mit dem eige­nen Gleiter, sondern mit einem Taxi zurück, dann funktionierte die Anlage ebenfalls im Sinn der Sicherheitseinrichtungen. Das Taxi wurde funktechnisch abgefangen und ver­harrte etwa einhundertfünfzig Meter vor dem Turm – solange, bis irgend jemand den richtigen Kode ausfindig machte. Ähnlich erging es Gästen, Zulieferern und Boten. Diese Nachteile waren nur dadurch zu um­

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gehen, daß der Hausverwalter die Anlage zu bestimmten Zeiten abschaltete. Das wieder­um bedeutete, daß auch diejenigen ins Haus eindringen konnten, die man davon fernhal­ten wollte.

»Es hilft alles nichts«, sagte Axton nach einer Weile. »Wir müssen zu Fuß gehen.«

Kelly stieg aus. Axton kletterte auf seinen Rücken, und der Roboter trug ihn durch das unwegsame Gelände bis an den Fuß des Trichterbaus heran. Den Antigrav durfte er nicht benutzen, weil dieser durch die Sicher­heitspositronik abgeblockt werden konnte. Der Kosmokriminalist dachte jedoch nicht daran, Prokasta in dieser Weise in die Falle zu gehen.

Vergeblich suchte er nach einer Einstiegs­möglichkeit. Dabei ließ er sich von Kelly halb um den Trichterbau tragen.

»Es hilft alles nichts, wir müssen es mit einem Desintegrator machen«, beschloß Ax­ton schließlich. Er schickte den Roboter zum Gleiter zurück und wartete ungeduldig, bis Kelly mit einem schweren Desintegratorge­wehr zu ihm zurückkehrte.

An einer Stelle, die durch Geröll und Buschwerk geschützt war, setzte der Robo­ter die Waffe an. Der grüne, materievernich­tende Strahl bohrte sich in das Gemisch aus Stahl, Beton und Kunststoff. Gentleman Kelly schnitt ein Stück aus der Wand heraus, das einen Durchmesser von etwas mehr als einem halben Meter hatte. Er versuchte es herauszuziehen, doch es gelang ihm erst, nachdem er die Schnittiefe noch einmal um einen halben Meter verstellt hatte. Danach wuchtete er einen säulenförmigen Block heraus, das fast zwei Meter lang war.

Axton kroch als erster durch die entstan­dene Öffnung in das Gebäude hinein. Als er das Ende der Röhre erreichte, stellte er fest, daß sie ungewöhnliches Glück gehabt hat­ten. Sie hatten das Haus an einer Stelle an­gebohrt, die genau zwischen zwei etwa vier Meter dickeren Stützpfeilern lag. Der Terra­ner pfiff leise durch die Zähne. Er war sich darüber klar, daß sie es nie geschafft hätten, durch die Wand zu kommen, wenn sie weni­

ger Glück gehabt hätten. Axton befand sich in einem mit schweren

Maschinen ausgestatteten Versorgungsraum, der unbeleuchtet war. Das behinderte ihn je­doch nicht, da er in der Dunkelheit fast ebenso gut sehen konnte wie im Licht.

Als Kelly ihm durch die Röhre folgte, hat­te er schon eine stählerne Tür erreicht und geöffnet. Dahinter lag ein Gang, der zum Mittelbereich des Sockels führte. Axton wartete, bis der Roboter bei ihm war, klet­terte auf seinen Rücken und ließ sich von ihm bis zum nächsten Antigravschacht tra­gen. Darin stiegen sie ungehindert auf.

Die Wohnung des Arkoniden Prokasta lag im obersten Bereich des Trichters. Nach den Informationen, die Axton erhalten hatte, war sie annähernd fünfhundert Quadratmeter groß.

Über der Wohnung befand sich ein Frei­zeitpark mit allerlei Vergnügungsstätten und Automatenrestaurants, die zu dieser Zeit je­doch schon geschlossen waren. Der Zugang war nicht verriegelt, so daß Axton hier ein­dringen konnte, ohne Gewalt anwenden zu müssen. An einem künstlichen See blieb er stehen und sah sich in der matt erleuchteten Halle um. Er hatte das Gefühl, im Freien zu sein. Über ihm schimmerten die Sterne eines an die Decke projizierten Himmels. Ein lau-er Wind wehte ihm ins Gesicht. Er brachte die Düfte der exotischen Gewächse mit sich, die in den Parks angepflanzt worden waren. Auf einem mit Gras bewachsenen Gelände ästen geflügelte Steppenhunde, die aus dem benachbarten Sonnensystem stammten.

Lebo Axton interessierte sich jedoch nur für eine Felsengruppe, die in der Mitte der Halle mächtige Säulen bildete. Er wußte, daß sich in diesen Felsen die Versorgungs­leitungen verbargen, die das ganze Gebäude vom Unterbau bis hinauf zu den Dachanla­gen durchzogen.

Er ließ sich von Kelly zu den Felsen tra­gen und zeigte ihm die Stelle, an der er das Desintegratorgewehr ansetzen sollte. Ihm selbst kam die Art, wie er sich an sein Ziel heranarbeitete, geradezu brutal vor. Doch

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unter den gegebenen Umständen blieb ihm keine andere Wahl. Er hatte keine Zeit für raffinierte Tricks.

Gentleman Kelly zerstrahlte eine Fels­wand, bis er die dahinter aufsteigenden Ver­sorgungsleitungen sehen konnte. Zwischen ihnen war genügend Platz für ihn und Ax­ton. Er schob sich mit den Füßen zuerst in den Schacht und wartete, bis der Verwach­sene auf seine Schultern geklettert war. Dann ließ er sich mit Hilfe seines Antigravs absinken.

»Hier muß es sein«, sagte Axton wenig später. »Los. Anfangen.«

Kelly, dessen positronisches Hirn die Räumlichkeiten millimetergenau abgrenzen konnte, ließ sich noch einige Zentimeter weiter absacken, bevor er den Desintegrator einsetzte. Mühelos schnitt er ein Segment heraus, das fast so hoch und breit war wie er selbst. Er hielt es fest, damit es nicht in die Wohnung Prokastas kippte und Lärm verur­sachte. Vorsichtig zog er es in den Schacht und senkte es ab, bis es auf einer Stütze Halt fand. Axton kletterte ungeduldig über seinen Kopf hinweg in die Wohnung, die nun offen vor ihm lag.

Er wußte, daß sich wenigstens zwanzig Männer und Frauen vom Dienstpersonal Prokastas in der Wohnung befanden. Es galt, sich so leise zu bewegen, daß niemand ge­weckt wurde.

Wie erwartet, war er auf einem Flur her­ausgekommen, von dem mehrere Türen ab­zweigten. Auch hier war es dunkel, aber die infrarotempfindlichen Augen Axtons sahen genau. Er horchte in sich hinein. Von sei­nem Extrahirn gingen nur schwache Warnsi­gnale aus.

Er wartete, bis Kelly ihn eingeholt hatte, dann öffnete er die Tür, die nach seinen In­formationen zum Salon führte. Erleichtert stellte er fest, daß die Angaben, die er erhal­ten hatte, richtig waren. Im Salon hielt sich niemand auf. Axton durchquerte den Raum, der etwa zwanzig Meter breit und vierzig Meter lang war, und blieb vor einer Tür ste­hen.

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»Dahinter sind seine Arbeitsräume, von denen aus er sein Imperium verwaltet«, er­klärte er leise. »Die Tür dürfte gesichert sein. Sieh nach, ob du etwas findest.«

Kelly konnte bereits nach einigen Sekun­den angeben, wo die Alarmanlagen versteckt waren.

»Positronenkette«, sagte er und fuhr mit einem Finger an den Linien entlang, die die Sicherungsanlagen in der Wand bildeten.

Lebo Axton fluchte leise. Auch die Po­sitronenkette war für ihn nicht unüberwind­lich. Sie war zu brechen, ohne daß ein Alarm ausgelöst wurde, aber nur bei ent­sprechend sorgfältigen Vorbereitungen.

»Wir haben keine andere Wahl«, sagte er. »Schneide ein Loch in das Türblatt. Das ist zwar eine unübersehbare Spur für Prokasta, aber es geht nun einmal nicht anders.«

Gentleman Kelly setzte den Desintegra­torstrahler erneut ein. Er zerstörte die Tür und löste ein Stück aus ihr heraus, das nicht abgesichert war. Dann hob er den Verwach­senen vorsichtig hindurch und folgte ihm nach. Sie befanden sich auf einem kurzen Flur, von dem vier Türen abzweigten. Auch jetzt kamen sie nur weiter, indem sie eine Tür zerstörten. Danach aber befanden sie sich in einem luxuriös eingerichteten Büro, das doppelt so groß war wie Axtons ganze Wohnung.

Zielbewußt eilte der Terraner zum Kom­munikationstisch Prokastas. Er untersuchte ihn, während Kelly zwei große Tresore orte­te und von tarnendem Kunstwerk befreite. Die installierten Sicherheitseinrichtungen gaben dem Roboter durch ihre Eigenstrah­lung deutliche Hinweise darauf, wo die Tre­sore waren.

Innerhalb weniger Sekunden stellte der Kosmokriminalist fest, daß Prokasta seinen Kommunikations- und Arbeitstisch mit tech­nisch aufwendigen Alarmeinrichtungen aus­gestattet hatte, so daß es unmöglich war, ihn unbemerkt aufzubrechen. Allerdings gab es auch hier eine Einschränkung: die Tischplat­te. Sie war ein Kunstwerk ganz besonderer Art. In ihr mischte sich handwerkliche

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Schnitzkunst mit hochentwickelter Kommu­nikationstechnik. Sie war sicherlich ein Ver­mögen wert. Daher fiel es Axton nicht leicht, sie zerstören zu lassen.

»Aufschneiden«, befahl er dennoch. Gentleman Kelly beugte sich über den

Tisch, justierte den Desintegrator neu und schnitt die Platte dann vorsichtig auf, so daß er schließlich ein großes Stück zusammen mit einigen Geräten herausheben konnte.

Nun lagen mehrere Fächer mit Papieren und Fotografien offen vor Axton. Er durch­suchte sie sorgfältig. Dazu benötigte er fast drei Stunden. Dann endlich hielt er ein Blatt in der Hand, das Notizen enthielt, die ihm wichtig erschienen. Sie waren verschlüsselt. Er überreichte Kelly das Blatt und befahl ihm, es auszuwerten. Das Positronenhirn brauchte erstaunlich lange dafür, so daß Ax­ton schon ungeduldig wurde. Dann aber er­öffnete der Roboter ihm: »Es sind die Unter­lagen, die du gesucht hast, Schätzchen. Mor­gen in den Vormittagsstunden soll ein Atten­tat auf Orbanaschol verübt werden.«

»Steht da auch, wie es geschehen soll?« »Orbanaschol wird eine Festveranstaltung

mit Mana-Konyr besuchen. Man rechnet da­mit, daß er sich ungewöhnlich scharf von Leibwachen und von Robotern abschirmen lassen wird, so daß ein Attentäter kaum eine Chance hat. Deshalb will man in einem Baum eine Waffe installieren, die Pfeile mit einem tödlichen Gift verschießt.«

»Ist das alles?« fragte Axton, als der Ro­boter schwieg.

»Das ist alles«, erwiderte Kelly. Axton blickte Kelly verwirrt an. Er fragte

sich, wie die Macht der Sonnen es schaffen wollte, den Imperator zu einer ganz be­stimmten Zeit an eine bestimmte Position zu bringen und ihn so zu postieren, daß die Giftpfeile ihn auch wirklich treffen konnten.

Gentleman Kelly legte das Blatt in den Schreibtisch zurück, drehte sich um und be­rührte den Sessel, der vor dem Tisch stand. Im gleichen Moment ertönte ein bedrohli­ches Sirren. Axton schrie auf. Sein Sonder­hirn signalisierte höchste Gefahr.

8.

»Feuerfliegen«, rief Gentleman Kelly alarmierend.

Für Axton-Kennons infrarotempfindliche Augen war der Raum plötzlich mit winzi­gen, leuchtenden Punkten erfüllt. Das an­fängliche Sirren wurde zu einem enervieren-den Brausen.

Der Kosmokriminalist stand vor Schreck erstarrt auf der Stelle und konnte kein Glied rühren. Mit allem hatte er gerechnet, nur nicht damit, daß der Industrielle sein Büro mit Hilfe von Insekten absicherte, deren Biß absolut tödlich war. Er stand auf der Stelle und akzeptierte nicht, was er sah. Er fragte sich, wie so etwas möglich sein konnte, da es ausgeschlossen zu sein schien, daß man die Insekten nach einem solchen Einsatz wieder einsperren konnte.

Gentleman Kelly kannte derartige menschliche Fehlleistungen nicht. Er packte Lebo Axton, nachdem er zwei Feuerfliegen blitzschnell zur Seite geschlagen hatte, riß ihn herum, warf ihn zu Boden und schleu­derte einen Teppich über ihn. Er wickelte ihn darin ein und legte die Enden so ge­schickt um, daß kein Insekt eindringen konnte.

Als Axton in Sicherheit war, kribbelte sei­ne Haut am ganzen Körper, und ständig glaubte er, einen Stich zu fühlen. Aber er täuschte sich. Die Rettungsaktion Kellys war gerade noch rechtzeitig gekommen.

Er vernahm Stimmen, und im gleichen Moment wußte er, daß er gründlich geschei­tert war. Erschütterungen des Bodens unter ihm zeigten ihm an, daß Kelly floh.

»Nimm mich mit«, brüllte der Verwach­sene mit ganzer Stimmenkraft, doch der dicke Teppich schluckte seine Worte. Er vernahm ein lautes Krachen und Splittern. Dann wurde es still.

Lebo Axton schloß aus den Geräuschen, daß der Roboter wieder einmal durch die Fensterscheiben geflüchtet war.

Als ihm das klar geworden war, erfaßte er

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auch, daß Kelly richtig gehandelt hatte. Er hatte eine winzige Chance errechnet und hatte sie genutzt. Und dabei hatte er noch das Risiko der Selbstzerstörung auf sich ge­nommen. Die Identifikationskontrolle war mit größter Wahrscheinlichkeit noch einge­schaltet. Das bedeutete, daß der Antigrav ausfallen konnte, sobald Kelly ins Freie kam. Ein Sturz in die Tiefe konnte die Folge sein. Kelly konnte diesen mit ein wenig Glück heil überstehen, aber nur wenn er al­lein war.

Axton stutzte plötzlich. Ein eigenartig ste­chender Geruch stieg ihm in die Nase, und dann begriff er, wie Prokasta das Problem Feuerfliegen löste. Er vergiftete die Insek­ten.

Der Terraner preßte sich ein Tuch vor Mund und Nase, das er hastig aus einer Brusttasche hervorgeholt hatte. Doch damit konnte er sich nur in beschränktem Maße schützen. Er spürte, wie das Gift seine Schleimhäute austrocknete. Seine Augen be­gannen zu tränen. Und dann stellte sich ein süßlich-saurer Geschmack ein, der Axton eindeutig anzeigte, daß Prokasta ein auch für Menschen tödliches Gift einsetzte.

Dem Kosmokriminalist blieb keine andere Wahl. Er rollte sich aus dem Teppich und ging dabei das Risiko ein, in letzter Sekunde von einer Fliege gebissen zu werden. Mit weit aufgerissenen Augen sah er sich im Bü­ro um. Einige Feuerfliegen kreisten tau­melnd um ihn herum, griffen ihn jedoch nicht an.

Keuchend schleppte Axton sich bis zu dem großen Loch in der Fensterfront, das Kelly bei seiner Flucht hinterlassen hatte. Hier strömte frische Luft ein.

Er klammerte sich an die Bruchkanten und achtete nicht darauf, daß er sich verletz­te. Tief atmete er die frische Luft ein.

Direkt vor seinem Gesicht tanzten zwei Feuerfliegen. Sie schienen schon stark be­täubt zu sein, denn sie sackten immer wieder ab.

Nach und nach gesellten sich fünf weitere dieser giftigen Insekten hinzu. Sie flogen

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dicht an Axtons Kopf vorbei, griffen ihn je­doch nicht an, so daß er bereits triumphierte. Die Schwäche in seinen Beinen ließ nach. Er konnte wieder besser atmen, und seine Au­gen tränten nicht mehr. Er wußte, daß damit sein Problem noch nicht gelöst war, denn früher oder später würden Prokastas Männer hinter ihm erscheinen, ohne daß er fliehen konnte.

Er blickte über die Schulter zurück in den Raum, um sich davon zu überzeugen, daß dort noch niemand war, als sich eine Feuer­fliege auf seine Wange setzte. Er fühlte, wie sich die winzigen Krallen dicht unter seinem zuckenden linken Lid in die Haut bohrten.

Er erstarrte, und es gelang ihm, das Lid so unter Kontrolle zu bekommen, daß es nicht mehr zuckte. Doch er konnte nicht verhin­dern, daß ihm Tränen über die Wangen roll­ten.

Bange Sekunden verstrichen, in denen er fürchtete, doch noch gebissen zu werden. Dann vertrieb die Tränenflüssigkeit das In­sekt von der Wange. Es flog zu dem Schwarm der anderen Fliegen hinüber, er­reichte ihn jedoch nicht, sondern stürzte sterbend in die Tiefe. Nun folgte ein Insekt dem anderen, bis Axton keine einzige leben­de Feuerfliege mehr sah.

Sekunden später öffnete sich eine Tür hin­ter ihm. Vier bewaffnete Arkoniden kamen auf ihn zu. Sie trugen Atemmasken, legten sie jedoch ab, bevor sie ihn erreichten. Er blickte in unbekannte Gesichter.

»Lebo Axton«, sagte einer der vier Be­diensteten Prokastas. »Wir haben bereits mit Ihrem Erscheinen gerechnet, aber nicht da­mit, daß Sie derart brutal zerstören würden.«

Lebo Axton deutete spöttisch eine Ver­beugung an.

»Ich verstehe stets, mich dem Niveau meiner Gegner anzupassen«, erklärte er.

»Schieß doch die widerliche Kreatur über den Haufen«, forderte einer der Diener.

Der Arkonide, der zuerst mit Axton ge­sprochen hatte, hob abwehrend die Hand.

»Wir werden ihn leben lassen. Es gibt je­manden, der sich das Vergnügen nicht neh­

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men lassen will, ihn selbst zu erledigen«, sagte er. Forschend beugte er sich zu Axton herab. »Wissen Sie auch, wer das ist?«

»Allerdings«, erwiderte der Verwachsene furchtlos. »Was meinen Sie wohl, weshalb ich ausgerechnet diese Wohnung aufgesucht habe?«

*

»Auch noch die Bluse«, forderte der Ar­konide, nachdem Lebo Axton alle Waffen abgelegt hatte, die er bei sich hatte.

»Mein Körper bietet Ihnen nicht gerade einen ästhetischen Anblick«, erwiderte der Terraner und verschränkte die Arme vor der Brust. »Außerdem ist es kühl hier.«

»Sie werden nie mehr frieren, wenn Sie nicht gehorchen.«

Axton seufzte und streifte die Bluse ab. Überrascht blickten die vier Bediensteten Prokastas auf den blauen Gürtel, der sich wie ein lebendes Etwas um die Hüften des Verwachsenen gelegt hatte und in fließender Bewegung zu sein schien.

»Was ist das?« fragte der Arkonide, der unter den vier Männern offenbar den höch­sten Rang bekleidete. »Heraus damit. Was ist das?«

Lebo Axton wurde sich seiner Überlegen­heit bewußt.

»Ich weiß es nicht«, entgegnete er sanft. »Und wenn Sie mich zu Tode folterten, ich weiß es wirklich nicht.«

Einer der Arkoniden setzte ihm den Ab­strahltrichter seines Energiestrahlers an die Schläfe.

»Könnte es sein, daß es dir einfällt, wenn ich es dir ein bißchen heiß mache?« fragte er.

Axton lachte laut auf. »Sprechen Sie nicht wie ein Straßendieb«,

bat er erheitert. »Das paßt weder zu Ihnen noch zu mir. Außerdem wäre Ihr Herr si­cherlich nicht damit einverstanden, wenn er Sie so reden hörte.«

Der Arkonide nahm fluchend den Ener­giestrahler zur Seite und schlug mit der lin­

ken Faust zu. Er traf Axton an der Schulter und schleuderte ihn in die Ecke des Raumes. Vor Schmerzen ächzend, versuchte der Ver­wachsene, wieder auf die Beine zu kommen. Es gelang ihm nicht, und er gab seine Bemü­hungen auf. Er blieb auf dem Boden sitzen und wartete, bis die Schmerzen abgeklungen waren. Dann schüttelte er den Kopf. Sein linkes Lid zuckte heftig, und seine Lippen verzogen sich zu einem verächtlichen Grin­sen.

»Sie sehen, ich bewundere Sie so sehr we­gen Ihrer körperlichen Kraft, daß ich es nicht schaffe, aufzustehen. Die Hochachtung lähmt meine Glieder.« Er beugte sich nach vorn, kniete sich hin, stützte sich dann an der Wand ab und stand endlich auf. Seine Hände legten sich um den blauen Gürtel, der plötzlich in seine Hände kroch.

Lebo Axton erkannte die einmalige Chan­ce, die er hatte. Er lief auf die verblüfften Arkoniden zu, wirbelte den blauen Gürtel um den Kopf und schlug zu. Zwei Diener streckten ihm intensiv die Hände entgegen, um das blaue Gebilde abzuwehren. Er traf sie, und plötzlich ging eine seltsame Verän­derung mit den Arkoniden vor.

Sie schrien gepeinigt auf. Blaue Blitze umzuckten ihre Köpfe, während ihre Hände sich rot färbten und für Sekunden durchsich­tig wurden. Die beiden anderen Arkoniden standen still auf der Stelle und blickten fas­sungslos auf die anderen, die mit zuckenden Gliedern zusammenbrachen und wie tot auf dem Boden liegen blieben.

Als Axton sie jedoch angreifen wollte, reagierten sie in ihrer kreatürlichen Angst viel schneller als erwartet. Sie rissen ihre Energiestrahler hoch und zielten auf Axton.

Er hätte den tödlichen Strahlen nicht ent­gehen können, doch in diesem entscheiden­den Moment brach die Wand hinter den Ar­koniden wie unter einem mächtigen Ham­merschlag auf. Plastikbetonfetzen wirbelten durch den Raum.

Gentleman Kelly stürmte durch die ent­standene Öffnung. Seine Stahlhände zuckten vor und schleuderten die Arkoniden von Ax­

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ton weg. Die Diener lösten ihre Energie­strahler in panischem Schrecken blind aus. Die Blitze zuckten gegen die Decke, und ei­ne unerträgliche Hitze breitete sich in dem engen Raum aus, der für Axton zum Ge­fängnis hatte werden sollen. Glutflüssiges Material regnete von oben herab.

Gentleman Kelly beugte sich schützend über Axton, packte dann den Kosmokrimi­nalisten und flüchtete mit ihm durch die Öff­nung in der Wand.

Er hetzte quer durch den Wohnsalon, wo­bei er sich aufrichtete. Axton bemerkte, daß flüssige Glut von seinem Rücken auf den kostbaren Fußbodenbelag herabtropfte und Brandstellen verursachte.

Gentleman Kelly schleuderte zwei Män­ner zu Boden, die sich ihm in den Weg stell­ten. Dann brach er durch eine geschlossene Tür, indem er sich dagegen warf, erreichte einen Gang und flog mit Hilfe seines Anti­gravs davon.

Schon nach wenigen Sekunden erreichte er eine Tür, die sich wie von Geisterhand bewegte, vor ihm öffnete. Er flog hindurch und schloß sie hinter sich. Dann setzte er Axton vorsichtig ab.

»Wo sind wir hier?« fragte der Terraner atemlos.

»In einer anderen Wohnung«, antwortete der Roboter. »Ich habe alles vorbereitet. Man wird annehmen, daß wir aus dem Haus geflüchtet sind. Hier sucht man uns wahr­scheinlich nicht.«

»Ansichtssache«, entgegnete Axton und blickte sich um. Die Wohnung war ebenso luxuriös eingerichtet wie die von Prokasta, doch schien hier keine Dienerschaft vorhan­den zu sein, denn alles blieb ruhig, während draußen auf dem Gang erheblicher Lärm entstand. Axton vernahm die Stimmen von aufgeregten Männern und Frauen.

»Weiter«, sagte er. »Wir müssen sehen, daß wir hier herauskommen. Hast du ent­sprechende Vorbereitungen getroffen?«

»Dazu war die Zeit zu kurz, Liebes«, er­widerte Kelly. »Alle meine Gedanken waren bei dir, und weitere Positroneneinheiten hat-

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te ich leider nicht mehr frei.« »Rede nicht so einen Blödsinn«, sagte

Axton ärgerlich. Er musterte Kelly und stell­te erst jetzt fest, daß dieser noch krummere Beine hatte als zuvor. Er fragte nicht, denn er konnte sich auch so denken, wie es zu den Verformungen gekommen war.

»Also gut«, fuhr er fort. »Ich mache dir keine Vorwürfe. Du hast deine Sache gut ge­macht.«

»Danke.« Gentleman Kelly öffnete eine Tür. »Hier ist der Salon. Ich habe die Alarm­anlagen ausgeschaltet. Sie sind nicht so auf­wendig wie bei Prokasta. Zerstört habe ich überhaupt nichts.«

»Das will ich auch hoffen«, sagte eine dunkle Stimme hinter Axton. Der Terraner fuhr bestürzt herum. Er hatte nicht gehört, daß jemand die Wohnung betreten hatte, und auch sein Extrasinn hatte keine Gefahr ange­zeigt.

Vor ihm stand ein alter Arkonide. Er hatte ein von zahllosen Falten zerfurchtes Gesicht. Doch er hielt sich aufrecht und überragte Axton um mehr als einen Meter. Das schloh­weiße Haar reichte ihm bis auf die Hüften herab. Seine rötlichen Augen waren groß und voll jugendlichem Feuer.

Schweigend blickten Axton und der Ar­konide sich an.

»Ich habe keine Ahnung«, begann der Al­te schließlich. »Wollen Sie mir nicht endlich sagen, was hier eigentlich vorgeht?«

»Sie haben recht«, erwiderte der Ver­wachsene leichthin. »Es wäre nur fair, Sie zu informieren.«

Der Arkonide lächelte plötzlich. »Sie sind häßlich wie die Nacht«, erklärte

er. »Sie sind ein Krüppel. Aber Sie scheinen nicht dumm zu sein. Irgendwie gefallen Sie mir.«

»Mein Name ist Lebo Axton«, sagte der Terraner. »Ich habe Aufgaben zu erfüllen, die nicht immer ganz angenehm sind.«

»Ich verstehe schon«, erwiderte der Alte und ging an dem Verwachsenen vorbei in den Salon, wo er Licht anschaltete und von einem Servomaten Getränke zusammenstel­

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len ließ. »Ich will Ihnen nicht verhehlen, daß mir die Art, wie Sie bei meinem Nachbarn vorgegangen sind, nicht gefällt.«

»Mir auch nicht«, gab Axton zu und nahm ein Glas mit einem braunen, perlenden Ge­tränk entgegen. Ein Roboter kam aus einem Nebenraum und brachte ihm ein Hemd. »Leider blieb mir in diesem Fall kein ande­rer Weg als brutale Gewalt. Es geht um sehr viel.«

»Ich will es nicht wissen«, gestand der Arkonide. »Da es jedoch gegen Prokasta, diesen Lumpen, geht, bin ich damit einver­standen.«

Lebo Axton lächelte. Er hatte es von der ersten Sekunde an gewußt. Der Arkonide half ihm nur, weil er seinen Nachbarn nicht ausstehen konnte. Er trank das Glas aus.

»Niemand wird es wagen, diese Wohnung zu betreten«, sagte der Arkonide. Er deutete über seine Schulter zurück. »Da draußen ist der Teufel los. Prokastas Privatarmee hat das ganze Haus besetzt. Sie kontrolliert je-den, der das Haus verlassen will.«

»Ich muß weg«, gestand Axton. »Die Zeit drängt.«

»Warum?« »Es geht um ein Attentat.« In den Augen des Arkoniden blitzte es

auf. Dieser ungemein kluge Mann hatte ver­standen. Axton nahm sich vor, ihn bei ande­rer Gelegenheit aufzusuchen, um sich mit ihm zu unterhalten. Wieder blickten sich die beiden Männer lange Sekunden schweigend an. Axton überlegte. Dieser Mann gehörte zu einer Generation, die gonozalfreundlich war. Der Ausdruck im Gesicht des Alten verriet ihm, daß er durchaus erraten hatte, wem das bevorstehende Attentat galt, und daß er nicht ganz verstand, weshalb er es verhindern wollte.

»Leute wie Prokasta wollen an die Macht«, erklärte Axton. »Das ist alles.«

Der Arkonide spitzte die Lippen. Er blin­zelte Axton zu und sagte: »Die da draußen wissen nicht, daß ich einen Transmitter ha­be. Vertrauen Sie mir?«

»Sie werden in einem Handelskontor von

mir herauskommen«, erklärte der Alte. »Ich werde Sie ankündigen. Von dort aus können Sie ungesehen verschwinden.«

Er lachte leise. »Prokastas Leute werden nie begreifen, wie Sie ihnen entwischen konnten.«

Er führte Axton und Kelly in einen ver­steckt liegenden Raum seiner Wohnung. Durch eine Geheimtür ging es weiter zu ei­ner kleinen Kabine, in der ein Transmitter stand. Der Arkonide führte ein kurzes Vi­deogespräch, in dem er Freunde ankündigte. Dann schaltete er den Materiesender ein. Der Terraner blickte kurz zu Gentleman Kelly hinüber. Dieser gab ihm mit einer Handbewegung zu verstehen, daß er die Pro­grammierung des Geräts überwacht und nichts zu beanstanden hatte.

Axton verabschiedete sich. »Grüßen Sie Gonozals Sohn von mir«, bat

der Alte. Der Kosmokriminalist zuckte überrascht

zusammen. Er wollte etwas sagen, suchte je­doch vergeblich nach Worten. Der Arkonide lachte.

»Glauben Sie wirklich, ich hätte nicht be­griffen?« fragte er und schob Axton in den Transmitter.

Sekundenbruch teile darauf verließ der Terraner ein anderes Gerät, das in einer ähn­lichen kleinen Kabine stand. Zwei Arkoni­den erwarteten ihn. Sie grüßten ihn respekt­voll und führten ihn zu einem Gleiter, nach­dem auch Kelly durch den Transmitter nach­gekommen war.

»Wenn Sie Ihr Ziel erreicht haben, drücken Sie die Rückholtaste«, bat einer der beiden Männer. »Der Gleiter wird dann alles Weitere erledigen.«

Axton übernahm selbst das Steuer des Gleiters und raste zusammen mit dem Robo­ter davon.

Er war bis ins Innerste aufgewühlt. Vor­her hatte er eigentlich nie wirklich darüber nachgedacht, wie die Arkoniden die macht­politische Situation sahen – abgesehen da­von, daß eine erdrückende Mehrheit Orbana­schol III. ablehnte oder gar haßte. Zum er­

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sten Mal hatte ihm ein bis dahin unbekann­ter Arkonide offen gesagt, daß die Zeit für Atlan gekommen war, und daß er darauf wartete, daß der Sohn Gonozals seinen An­spruch auf den Thron des Imperiums erhe­ben würde.

*

Je näher Axton seiner Wohnung kam, de­sto intensiver wurde das Gefühl der Gefahr. Die von seinem Extrahirn ausgehenden Im­pulse erzeugten Schmerzen.

Der Terraner stoppte den Gleiter, löschte die Lichter und blickte in die Nacht hinaus.

»Kannst du etwas erkennen, Kelly?« frag­te er.

»Nichts«, antwortete der Roboter knapp. »Wir müssen näher heran.«

Das war ausgeschlossen. Axton war nur noch etwa zwei Kilometer von seiner Woh­nung entfernt. Der Morgen dämmerte. Bald würde es hell sein. Dann war er von seiner Wohnung aus deutlich zu sehen, wenn er zu­rückkehrte. Noch aber konnte niemand, der dort wartete, wissen, daß er in dieser Ma­schine saß.

»Wir fliegen in den Kristallpalast«, ent­schied der Kosmokriminalist und wendete den Gleiter. Er beschloß, die nächsten Stun­den bis zum Beginn der Festlichkeiten in seinem Büro zu verbringen. Dort war er in Sicherheit.

*

Axton schreckte einige Stunden später aus dem Schlaf auf. Er blickte auf sein Chrono­meter und stellte verärgert fest, daß er länger geschlafen hatte als geplant. Das Fest hatte bereits begonnen.

Er verzichtete darauf, Kelly mit Vorwür­fen zu überschütten, da diese nichts an der Situation geändert hätten. In aller Eile er­frischte er sich in der Hygienekabine, die seinem Arbeitsraum angeschlossen war. Dann trieb er Kelly an.

Er verließ seinen Arbeitsraum und hastete

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zur Ausrüstungskammer hinüber, wo er sich mit technischem Gerät und Waffen versehen lief. Er versuchte, Orbanaschol per Video zu erreichen und erfuhr, daß der Imperator den Kristallpalast verlassen hatte und sich be­reits auf dem Fest befand.

Axton dankte und schaltete ab. Er hatte sich bereits gedacht, daß Orbanaschol es nicht länger im Palast aushielt. Der Impera­tor hatte lange auf Mana-Konyr gewartet. Er wollte den KAYMUURTES-Sieger für eine große Propagandashow nutzen. Die Zwi­schenfälle der letzten Tage hatten ihn davon abgehalten. Nun aber glaubte er vermutlich, genügend Sicherheitsvorbereitungen getrof­fen zu haben.

Eine halbe Stunde später näherte sich der Terraner einem fünfhundert Meter hohen Gebäude, das im Mittelpunkt eines weiten Tales stand. Schon von weitem konnte er se­hen, daß zahlreiche Gleiter darauf warteten, endlich in den Parknischen und auf dem Dach landen zu können. Die Maschinen bil­deten lange Schlangen.

Und wieder begann es in seinem Kopf zu pochen. Das Gefühl der heraufziehenden Gefahr wuchs. Dieses Mal erinnerte es ihn stark an seine erste Begegnung mit Mana-Konyr.

Der Trichterbau schien sich für einige Se­kundenbruchteile zu verdunkeln. Axton glaubte, eine schwärzliche Wolke aus ihm aufsteigen zu sehen, aber dann merkte er, daß er sich getäuscht hatte. Er wurde unsi­cher.

Durfte er weiterfliegen? Konnte er das Ri­siko eingehen, sich einer Gefahr auszuset­zen, der er aller Wahrscheinlichkeit nach nicht gewachsen war?

Er preßte die Zähne zusammen und flog weiter. Er wollte diesem vielleicht letzten und entscheidenden Kampf nicht auswei­chen. Prokasta und seine Leute durften nicht triumphieren.

»Paß gut auf mich auf, Kelly«, befahl er mit heiserer Stimme. »Übernimm den Glei­ter. Es könnte sein, daß ich bald nicht mehr dazu in der Lage bin, ihn zu fliegen.«

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Er rutschte auf dem Sitz zur Seite. Kelly schwang sich über die Rückenlehne nach vorn und setzte sich hinter die Steuerele­mente. Da kam Axton plötzlich ein Gedan­ke.

»Halt«, sagte er. »Wir müssen uns von diesem Gleiter trennen. Es wäre möglich, daß unsere Gegenspieler die Maschine iden­tifizieren können. Das wäre nicht nur für uns schlecht, sondern auch für den Nachbarn von Prokasta.«

Gentleman Kelly wendete den Gleiter wortlos und flog etwa fünf Kilometer weit zurück. Dann landete er in unwegsamem Gelände. Axton und er stiegen aus. Ein Taxi, das der Roboter per Funk gerufen hatte, lan­dete neben ihnen, und sie starteten erneut. Die Maschine, die sie zurückgelassen hatten, stieg wenig später ebenfalls auf und entfern­te sich in der entgegengesetzten Richtung.

Als sich Axton nun dem Turm erneut nä­herte, war das warnende Pochen in seinem Kopf noch da, aber es war bei weitem nicht mehr so intensiv wie zuvor. Erleichtert lehn­te er sich zurück und entspannte sich.

Eine Entscheidung mußte fallen. So oder so. Prokastas Leute hatten ihn gesehen. Wahrscheinlich war er auch noch von Ka­meras erfaßt worden, so daß Prokasta nun Filmstreifen als Beweis besaß.

Es ging um alles oder nichts. Prokasta oder er. Einer konnte nur überleben. Gelang es Prokasta, Orbanaschol zu ermorden, dann genügte ein einziger Befehl, auch ihn – Ax­ton – zu töten.

Der Gleiter reihte sich in die Schlange der wartenden Maschinen ein. Langsam rückte er vor, bis Kelly endlich eine Parklücke aus­machte, in der sie landen konnten. Sie ver­ließen die Maschine, und Axton kletterte so­fort auf den Rücken des Roboters.

»Nach unten«, befahl er. Das Gefühl einer heraufziehenden Gefahr

wurde intensiver. Suchend blickte der Terra­ner sich um, bis er schließlich drei Arkoni­den entdeckte, die sich hinter einer Baum­und Buschgruppe versteckt hielten. Die Männer bemühten sich, einen möglichst ge­

langweilten und unbeteiligten Eindruck zu machen. Gerade dadurch verrieten sie sich.

»Siehst du die drei Männer dort bei den Bäumen?« fragte Axton wispernd. Er beugte sich leicht nach vorn.

»Allerdings«, antwortete Kelly. »Sie sind müde und können nicht ein­

schlafen«, fuhr er fort. »Wie wäre es, wenn du ihnen mit einem Paralysatorstoß hilfst, zu einer kleinen Pause zu kommen?«

Am Ovalkörper Kellys öffnete sich ein kleines Schott. Im gleichen Moment brachen die drei Arkoniden zusammen, und das Ge­fühl der Bedrohung wurde geringer. Einige andere Besucher, die auf die Paralysierten aufmerksam wurden, riefen nach einem Me­doroboter. Axton kümmerte sich nicht um sie. Er ließ sich zum nächsten Antigravlift tragen und schwebte auf dem Rücken Kellys nach unten.

Er war sich dessen sicher, daß ihm hier nichts passieren würde, weil dann allzu viele Unschuldige in Mitleidenschaft gezogen wurden. Sein Extrahirn gab nur gedämpfte Warnungen ab, doch das änderte sich schlagartig, als Axton das Stockwerk er­reichte, in dem das Fest stattfand.

Gentleman Kelly verließ den Antigrav­schacht in einer Menge anderer Männer und Frauen. Er schob sich vorsichtig in die Fest­halle hinein, die von dem Lärm von Dutzen­den von Robotbands erfüllt war. Inmitten ei­ner künstlich angelegten Parklandschaft ver­gnügten sich die oberen Zehntausend des Imperiums.

Axton passierte die Kontrolle am Eingang der Halle, ohne seine Identifikationskarte zeigen zu müssen. Ein Geheimdienstoffizier sorgte dafür, daß er nicht aufgehalten wurde. Axton dankte ihm aufatmend. Er schwitzte. Sein Kopf schmerzte, und eine seltsame Schwäche überfiel ihn, während sein Extra­hirn plötzlich schmerzhaft intensive Warn­impulse abgab.

Lebo Axton entdeckte Orbanaschol III. Der Imperator hatte seine Angst vor ei­

nem Anschlag offenbar überwunden. Er be­fand sich auf einer blühenden Lichtung.

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Zahlreiche Sicherheitsbeamte schirmten ihn nach allen Seiten ab. Axton kannte sie alle, doch ihre Anwesenheit beruhigte ihn nicht.

Ein geradezu unerträglicher parapsychi­scher Impuls traf ihn, als er Mana-Konyr be­merkte, der in der Nähe des Imperators stand und mit einigen Frauen plauderte. Doch da­nach trat Ruhe ein, und der Kosmokrimina­list erholte sich wieder. Es schien, als habe sich die Persönlichkeit Klinsanthors zurück­gezogen, um nun Mana-Konyr das Feld zu überlassen.

Dennoch war Axton nicht so gelassen und so konzentriert wie sonst. Er sah, daß Proka­sta und einige seiner Freunde bei Orbana­schol waren.

Der Imperator unterhielt sich lachend mit Prokasta und den anderen Männern in seiner Umgebung. Ihm schien nicht aufzufallen, daß sich die Frauen aus seiner Nähe zurück­zogen. Seine Sinne waren durch allzu reich­lichen Alkoholgenuß getrübt. Doch Axton bemerkte diese Anzeichen deutlich. Sie wie­sen ihn darauf hin, daß irgend etwas passie­ren würde.

»Schneller«, sagte er nervös. »Verdammt, Kelly, beeile dich.«

Der Roboter drängte sich energischer durch die Menge. Axton kümmerte sich nicht um die empörten Proteste einiger Män­ner. Er klammerte sich an Kelly, um nicht von seinem Rücken gerissen zu werden.

Sorgfältig beobachtete er, was um ihn herum geschah, und er bemerkte, daß sich ihm von zwei Seiten her besonders hochge­wachsene und athletische Männer näherten. Sie drängten sich nicht weniger energisch durch die Reihen der Gäste wie er selbst. Gleichzeitig hämmerten die Gefahrenimpul­se durch seinen Kopf und verursachten boh­rende Schmerzen. Seine Augen weiteten sich. Er riß den Mund auf, weil er das Ge­fühl hatte, ersticken zu müssen.

»Schneller, Kelly«, rief er keuchend. »Sie dürfen mich nicht aufhalten.«

Er versuchte zu erkennen, wo der Schuß­apparat in den Bäumen versteckt war, aber er entdeckte nichts. Dafür fiel ihm auf, daß

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Prokasta erregt auf Mana-Konyr einredete, und daß dieser sich nun neben Orbanaschol stellte. Der Imperator wandte sich dem Sie­ger der Amnestie-KAYMUURTES zu. Pro­kasta gesellte sich zu ihnen. Er machte of­fenbar eine witzige Bemerkung, denn Orba­naschol und Mana-Konyr lachten schallend auf.

In diesem Moment erreichten die hochge­wachsenen Männer Axton. Sie versperrten ihm den Weg.

»Verschwinden Sie von hier«, rief ihm ei­ner der beiden zu. »Kehren Sie um, ehe es zu spät für Sie ist.«

Axton beugte sich vor und versuchte zu lächeln, doch sein Gesicht verzerrte sich zu einer Grimasse.

»Aus dem Weg«, forderte er mühsam. »Schert euch fort.«

Einer der beiden Männer griff unter seine Bluse und zog seinen Energiestrahler soweit darunter hervor, daß Axton den Kolben der Waffe sehen konnte. Drohend blickte er ihn an.

»Genügt das?« fragte er. »Es genügt«, antwortete der Verwachse­

ne. »Na schön. Wenn es so ist, bleibt mir wohl nichts anderes übrig.«

Die beiden Wächter Prokastas ließen sich täuschen. Sie nickten zufrieden. Lebo Axton aber richtete sich in den Haltebügel Kellys so hoch auf, wie er eben konnte.

»Imperator«, rief er mit schriller Stimme. »Orbanaschol!«

Fluchend griff ihm einer der beiden Wächter nach dem Arm, doch Axton wie­derholte seinen Ruf mit aller Stimmenge­walt. Und Orbanaschol III. wurde aufmerk­sam. Er wandte sich dem Verwachsenen zu.

»Axton«, brüllte er lachend. »Verdammter Krüppel, kommen Sie her zu mir. Sofort!«

Der Imperator durchschaute die Situation nicht. Er erkannte die Gefahr nicht, in der er schwebte. Er suchte Axtons Gesellschaft le­diglich, um sich noch besser zu amüsieren.

Prokasta aber begriff, daß ihm nur noch Sekunden blieben, das Attentat auszuführen.

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Er stieß Mana-Konyr an und rief ihm etwas zu, was der Kosmokriminalist nicht ver­stand. Axton befahl Kelly, weiterzugehen. Die beiden Wächter Prokastas wagten es un­ter den gegebenen Umständen nicht, ihn auf­zuhalten. Sie traten zur Seite. Viele Gäste in der Umgebung des Imperators und Axtons waren aufmerksam geworden. Sie blickten neugierig zu der verwachsenen Gestalt auf dem Rücken des Roboters hinüber.

»Zeigen Sie doch einmal, wie stark Sie wirklich sind, Mana-Konyr«, rief Prokasta dem KAYMUURTES-Sieger zu. »Nun los doch. Zieren Sie sich nicht.«

In diesem Moment wurde Lebo Axton von einer parapsychischen Schockwelle er­faßt, die so heftig war, daß sie ihn fast vom Rücken Gentleman Kellys heruntergeworfen hätte. Sie ging vom Magnortöter aus. Das spürte er deutlich. Verzweifelt stemmte er sich ihr entgegen. Seine Blicke trübten sich. Plötzlich sah er alles nur wie durch einen Schleier. Er hörte sich schreien. Gentleman Kelly blieb stehen.

Lebo Axton kroch über seinen Kopf hin­weg, sprang einem Arkoniden auf den Rücken und hastete stöhnend und ächzend weiter, nachdem er zu Boden gestürzt war.

Mana-Konyr griff lachend nach Orbana­schol.

»Lassen Sie sich hochheben, Imperator«, sagte er.

Axton erreichte Orbanaschol. Er stieß ihn zur Seite.

»Das ist eines Imperators unwürdig«, schrie er kreischend. Seine Stimme schien sich selbständig zu machen, und er selbst wußte kaum noch, was er tat. Mit äußerster Kraftanstrengung wehrte er sich gegen die Impulswellenfront, die seine Extrasinne traf.

Er zeigte auf Prokasta und konzentrierte sich zugleich mit letzter Kraft auf Klinsan­thor. Er fühlte, daß die Impulse weniger hart kamen, daß sie vor ihm zurückwichen. Ihm war, als stürze er ins Nichts. Gleichzeitig schien die Persönlichkeit des Magnortöters

umzuschlagen. Er spürte keine Feindselig­keit mehr, keine Absicht, ihn zu töten.

»Nehmen Sie ihn«, befahl Lebo Axton und zeigte erneut auf Prokasta. »Heben Sie ihn hoch. Heben Sie Prokasta hoch.«

Die Persönlichkeit Klinsanthors beugte sich zu ihm!

Mana-Konyr packte Prokasta bei den Ar­men und hob ihn hoch. Prokasta schrie gel­lend auf. Mit aller Kraft wehrte er sich ge­gen den KAYMUURTES-Sieger, doch er war zu schwach. Gegen diesen Mann konnte er sich nicht behaupten. Mana-Konyr hob ihn weit über die Köpfe der anderen Gäste hinaus.

Prokasta warf sich brüllend in seinen Händen hin und her, zuckte dann plötzlich zusammen und erschlaffte. Mana-Konyr ließ ihn langsam sinken. In Prokastas Nacken zeichnete sich ein grüner Fleck ab.

Orbanaschol begriff augenblicklich. Seine Leibwachen stürzten sich von allen Seiten auf ihn und schirmten ihn ab. Er blickte zu Lebo Axton hinüber, lächelte verzerrt und nickte ihm zu. Dann flüchtete er im Kreis seiner Männer quer durch den Saal zum Ausgang hinüber.

Es war still geworden. Überraschender­weise hatten die meisten Gäste mitbekom­men, was geschehen war. Eine breite Gasse bildete sich für den Imperator.

Lebo Axton kletterte auf den Rücken Kel­lys und schloß sich dem Imperator an. Nie­mand hinderte ihn daran, den Saal ebenfalls zu verlassen.

Was aus dem Fest wurde, interessierte ihn nicht mehr. Als er den Ausgang erreichte, blickte er noch einmal zurück. Er sah, daß Mana-Konyr noch immer an der gleichen Stelle stand. Der KAYMUURTES-Sieger machte einen absolut selbstsicheren Ein­druck. Axton war davon überzeugt, daß er sich selbst helfen konnte.

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52 H.G. Francis

Lesen Sie nächste Woche ATLAN Nr. 282:Das Ende des Magnortötersvon H. G. FrancisRebellion gegen den Imperator – Freunde werden zu Feinden