63
I Grundlagen I.1 Einführende Bemerkungen zur Symboltheorie Nelson Goodmans Wenn immer man etwas darstellt, sich auf etwas bezieht – also beispielsweise ein Bild malt, mit Lauten/Wörtern etwas ausdrückt, einen Text schreibt, (klassi- sche) Musik 1 zur Aufführung bringt oder formal etwas abbildet –, sind Symbole im Spiel. Daher ist die Ausbuchstabierung dieses Begriffes wesentlich und alles anderes als ,unleistbar‘. „»Symbol« wird hier als ein sehr allgemeiner und farbloser Ausdruck gebraucht. Er um- faßt Buchstaben, Wörter, Texte, Bilder, Diagramme, Karten, Modelle und mehr, aber er hat nichts Gewundenes oder Geheimnisvolles an sich.“ 2 Es gibt, so lautet Goodmans grundlegender Ansatz, demnach auch ganz unter- schiedliche Arten, (symbolische) Welten – oder Weltversionen – zu erzeugen, und an diesen erzeugten Welten haben Symbole wesentlichen Anteil: „Wenn man einmal eingesehen hat, daß Arbeit in Künsten und Wissenschaften das Arbei- ten mit […] Symbolsystemen bedeutet,“ 3 so hat man nach Goodman – um das Ergebnis seiner Argumentation in „Spra- chen der Kunst“ vorwegzunehmen – das wesentliche Werkzeug in der Hand, mit dem man zum einen den Zusammenhang der verschiedenen Symbolsysteme miteinander beschreiben, sie anschließend differenzieren und hernach die Spezifika der verschiedenen Disziplinen zwischen Kunst und Wissenschaft – anhand symboltheoretischer Analysen – hinreichend genau fassen kann. Wenn allgemeine Symbolisierungen im oben beschriebenen Sinne also nä- her betrachtet werden, dann ist zwischen Bildern, schematischen Abbildungen, sprachlichen Texten, formalisierten Darstellungsweisen, Tanz, Gesten usw. zu unterscheiden. Alles, was als ein Für-irgendetwas-anderes-Stehendes behandelt || 1 Die Einschränkung auf die klassische Musik erscheint Goodman zweckmäßig, weil nur hier die Umsetzung eines Notentextes in ein Klangereignis als das Werk konstituierend vorausge- setzt werden kann. Das gilt zum Beispiel nicht bei improvisierter Musik oder vielen anderen Formen. Deshalb bildet die Partitur-Aufführung-Beziehung das Paradigma von Goodmans (klassischem) Musikbegriff. 2 SdK, S. 9. 3 SdK, S. 243. Brought to you by | provisional account Authenticated | 132.174.255.116 Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

  • Upload
    ingo

  • View
    214

  • Download
    2

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

I Grundlagen

I.1 Einführende Bemerkungen zur Symboltheorie Nelson Goodmans

Wenn immer man etwas darstellt, sich auf etwas bezieht – also beispielsweise ein Bild malt, mit Lauten/Wörtern etwas ausdrückt, einen Text schreibt, (klassi-sche) Musik1 zur Aufführung bringt oder formal etwas abbildet –, sind Symbole im Spiel. Daher ist die Ausbuchstabierung dieses Begriffes wesentlich und alles anderes als ,unleistbar‘.

„»Symbol« wird hier als ein sehr allgemeiner und farbloser Ausdruck gebraucht. Er um-faßt Buchstaben, Wörter, Texte, Bilder, Diagramme, Karten, Modelle und mehr, aber er hat nichts Gewundenes oder Geheimnisvolles an sich.“2

Es gibt, so lautet Goodmans grundlegender Ansatz, demnach auch ganz unter-schiedliche Arten, (symbolische) Welten – oder Weltversionen – zu erzeugen, und an diesen erzeugten Welten haben Symbole wesentlichen Anteil:

„Wenn man einmal eingesehen hat, daß Arbeit in Künsten und Wissenschaften das Arbei-ten mit […] Symbolsystemen bedeutet,“3

so hat man nach Goodman – um das Ergebnis seiner Argumentation in „Spra-chen der Kunst“ vorwegzunehmen – das wesentliche Werkzeug in der Hand, mit dem man zum einen den Zusammenhang der verschiedenen Symbolsysteme miteinander beschreiben, sie anschließend differenzieren und hernach die Spezifika der verschiedenen Disziplinen zwischen Kunst und Wissenschaft – anhand symboltheoretischer Analysen – hinreichend genau fassen kann.

Wenn allgemeine Symbolisierungen im oben beschriebenen Sinne also nä-her betrachtet werden, dann ist zwischen Bildern, schematischen Abbildungen, sprachlichen Texten, formalisierten Darstellungsweisen, Tanz, Gesten usw. zu unterscheiden. Alles, was als ein Für-irgendetwas-anderes-Stehendes behandelt

|| 1 Die Einschränkung auf die klassische Musik erscheint Goodman zweckmäßig, weil nur hier die Umsetzung eines Notentextes in ein Klangereignis als das Werk konstituierend vorausge-setzt werden kann. Das gilt zum Beispiel nicht bei improvisierter Musik oder vielen anderen Formen. Deshalb bildet die Partitur-Aufführung-Beziehung das Paradigma von Goodmans (klassischem) Musikbegriff. 2 SdK, S. 9. 3 SdK, S. 243.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 2: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

Einführende Bemerkungen zur Symboltheorie Nelson Goodmans | 9

werden kann und in diesem Sinne dann etwas bedeutet, ist Teil dieses symboli-schen Ausgangsmaterials.

Gemälde oder Abbildungen – pikturale Darstellungen – haben dabei offen-kundig symboltheoretisch andere Eigenschaften als sprachliche. Ähnliches gilt erst recht formalisierte oder diagrammatische.4 Gleichwohl gehören sämtliche Bereiche zum alltäglichen Umgang mit Symbolen: Es werden genauso Bilder gemalt oder gezeichnet wie Sprache benutzt oder formalisierte/diagrammati-sche Darstellungen gelesen. Die Eigenschaften eines Symbolsystems – nach Goodman der Verbindung zwischen einem Symbolschema5 und seinen Erfül-lungsgegenständen – sind in ihren jeweils syntaktischen und semantischen Dimensionen zu begreifen.

Diskursive sprachliche Systeme, mit denen sich die vorliegende Untersu-chung zentral beschäftigen wird, sind dabei ganz besondere Symbolsysteme: Sie dienen nicht allein dem Austausch mit anderen ,Sprechern einer Sprache‘, müssen also jeweils mit Bedeutungen verbunden werden, sondern haben auch die Funktion, sich selbst und seinen eigenen Gedanken in der sprachlichen Äußerung zu begegnen: Sprachliche Formen sind aus diesem Grunde als eigen-ständige Art semiologischer Selbstgewahrwerdungsformen des menschlichen Geistes zu verstehen6 – in seinen Worten und Texten begegnet sich der ,menschliche Geist‘ selbst und schafft sich so die Möglichkeit, sich mit seinen eigenen Gedanken (sowie den Gedanken anderer) auseinandersetzen. Damit ist im Grunde nichts weniger als die Grundlage für die komplette (Sprach-)Philoso-phie gelegt.7 Beim Umgang mit der Sprache handelt es sich zudem um eine soziale Praxis sui generis, denn sie liegt unter anderem in zwei medialen8 For-men vor: zum einen in oralsprachlichen Äußerungen und zum anderen in schriftlich fixierten Texten. In beiden Medien werden – wenn auch voneinander zu unterscheidende – Möglichkeiten geschaffen, Gedanken zu vergegenständli-chen. Im Medium der Schrift wird ferner – eine weitere Konsequenz aus diesen besonderen Eigenschaften des Umgangs sprachlichen Systemen – auch die

|| 4 Als „diagrammatisch“ bezeichnet Goodman Darstellungsweisen, die formalen Kriterien mit Blick auf die syntaktische Eindeutigkeit des Darstellens und des semantisch eindeutigen Inter-pretierens folgen müssen (vgl. SdK, S. 163ff.). 5 Vgl. Kap. I.3 und I.4. 6 Vgl. Ludwig Jäger: Die Sprachvergessenheit der Medientheorie. Ein Plädoyer für das Medium Sprache – In: Werner Kallmeyer: Sprache und neue Medien – Sonderdruck, Berlin/New York: de Gruyter 2000. S. 9‒30, hier: S. 12. 7 Auf die Konsequenzen dieser Annahme wird noch ausführlich eingegangen (vgl. Kap. IV). 8 Auf den vorausgesetzten Medienbegriff gehe ich noch näher ein (vgl. Kap. III.1).

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 3: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

10 | Grundlagen

Sprache selbst9 vergegenständlicht. Das geschieht aufgrund eines besonderen technischen Verfahrens, nämlich der Verschriftung einer Sprache in der Alpha-betschrift,10 in einer einzigartigen Art und Weise. In gerade diesem Fall prägen die syntaktischen und semantischen Eigenschaften des Darstellenden ganz offenkundig das Dargestellte, das Sag-, das Versteh- und damit auch das Denk-bare.

Nelson Goodman sucht – so sein Ausgangspunkt in „Sprachen der Kunst“ – nach Kriterien, die im Alltag gebräuchlichen Symbolsysteme hinreichend deut-lich voneinander zu unterscheiden, um eine Art Typologie der Symbolsysteme auf den Weg zu bringen: Auf der einen Seite stehen dabei nach Goodman syn-taktisch wie semantisch eindeutige – differenzierte – Systeme, auf der anderen deren genaues Gegenteil, also sowohl syntaktisch als auch semantisch nicht eindeutige – dichte – Systeme. Dicht ist ein System genau dann, wenn weder syntaktische noch semantische Eindeutigkeit herzustellen ist. Zwischen diesen beiden Extremen von Symbolisierung muss sich folglich jedes andere Symbol-system einordnen lassen. Diese Typologie der allgemeinen Symbolisierung differenziert sich also, sind erst einmal die Extremata definiert, nach innen aus.

Als Beispiel für den ersten Extremwert von Symbolisierung, die sowohl syn-taktisch als auch semantisch durchgängig differenzierten Systeme, begreift Goodman die Partitur eines Musikstückes und deren Aufführungen als Erfül-lungsklasse, als Beispiel für letzteren, die dichten Systeme, die pikturale Dar-stellung von etwas11 und deren mitunter weitläufige Interpretation: Die ‚Kunst‘ eines Kunstwerkes besteht also darin, neuartige und eben nicht typisierte Dar-stellungsweisen für dementsprechend neue Inhalte zu finden und auf diese Weise neue Dinge zum Ausdruck zu bringen – die Partitur eines Musikstückes muss hingegen syntaktisch differenziert und semantisch eindeutig sein, denn sie soll ja eindeutig gelesen und zur Aufführung gebracht werden – also die Identität dieses Musikstücks sicherstellen. Dazu bedarf es gerade keiner neuar-tigen Darstellungsweise, sondern einer, die sich vor allem anderen auf syntakti-sche wie semantische Eindeutigkeit sowie damit auf logische Eigenschaften hin überprüfen lässt und damit ihre Funktion erfüllt.

Somit sind auch von einer wissenschaftlichen Abhandlung – um einmal ei-ne besondere Textform als Beispiel zu nehmen – bzw. von der Art und Weise, wie sie Dinge darzustellen hat, bestimmte Dinge gefordert: Eine solche Abhand-

|| 9 Vgl. Christian Stetter: Über Denken und Sprechen. Wilhelm von Humboldt zwischen Fichte und Herder – In: Hans-Werner Scharf (Hrsg.): Wilhelm von Humboldts Sprachdenken. Sympo-sium zum 150. Todestag – Essen: Hobbing 1989. S. 25‒46, hier: S. 26. 10 Aus Gründen der Übersichtlichkeit beschränke ich mich hier auf Alphabetschriftsysteme. 11 Vgl. SdK, S. 15ff.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 4: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

Einführende Bemerkungen zur Symboltheorie Nelson Goodmans | 11

lung muss – obwohl sie in den meisten Fällen mit der ,natürlichen‘, also kei-neswegs semantisch eindeutigen Sprache operiert – mit kurzen und möglichst eindeutig interpretierbaren Aussagen operieren, die auf für die entsprechende Disziplin geregelten Sprachgebräuchen und im klarsten Fall sogar formalisier-ten oder formalisierbaren Darstellungsweisen basieren. Mit Nachdruck besteht Goodman darauf, dass jedes Symbol, jede Repräsentation, nur in Relation zu diesem, durch das Symbol und einen Gebrauch konstituierten System verstan-den werden kann. Es geht ihm darum, die gebräuchlichen Symbolsysteme ge-geneinander abzugrenzen.

Dazu betrachtet Goodman, wieder ganz analytisch, das alltägliche Ver-ständnis von „Darstellung“ und beginnt seine Argumentation mit Überlegun-gen zum Pikturalen. Im Rahmen seiner Analyse stellt er fest, dass traditionelle Begriffe, dieses Repräsentationsverhältnis zu klären, aus logischen Gründen für eine philosophische Klärung des Verständnisses von Repräsentation nicht aus-reichen: Ähnlichkeit zwischen dem Darstellenden und dem Dargestellten zum Beispiel kann kein tragfähiges Argument sein, denn eine Ähnlichkeitsrelation würde Symmetrie und Reflexivität voraussetzen: Wenn ein Bild also der gegen-wärtigen deutschen Kanzlerin ähnlich sieht, dann müsste die gegenwärtige deutsche Kanzlerin auch dem Bild ähnlich sehen. Das Verhältnis muss sich also umkehren lassen – was aber offensichtlich nicht der Fall ist. Die gegenwärtige deutsche Kanzlerin ist zum Beispiel mitnichten zweidimensional, perspekti-visch dargestellt und vieles mehr. Analog dazu stellt letztlich auch ein Gedicht, ein Diagramm oder die Partitur eines Musikstückes nichts dar, was ihm oder ihr ähnlich wäre, und doch wird durch Bild oder Diagramm (im Grenzfall sogar eindeutig) Bezug auf etwas genommen. Nur dann erfüllt es seine symbolische Funktion: Wenn sich nicht erschließen lässt, worum es in einem Gedicht geht, was ein Diagramm abbilden soll oder ob eine bestimmte Aufführung eines Mu-sikstückes auch die Aufführung einer bestimmten Partitur ist, dann ist die Sym-bolfunktion des Ganzen grundlegend gefährdet.

Im Verlauf seiner Argumentation demontiert Goodman weitere, vermeint-lich etablierte Grundlagen der Unterscheidungen zwischen den einzelnen Arten der Darstellung von etwas.12 Am Endes dieses Prozesses bleibt die Bezugnahme selbst übrig – die Tatsache, dass mit einer Darstellung auf etwas Bezug genom-men wird. Bezugnahme verbindet demnach alle Arten der Darstellung, die ver-schiedenen ,Sprachen‘ der Kunst, als gemeinsame Grundlage. Ihr Wesen ist zu klären.

|| 12 Dazu zählen zum Beispiel Nachahmung und Ähnliches.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 5: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

12 | Grundlagen

Nun kann die Bezugnahme selbst bei jeder Symbolisierung verschiedene Richtungen haben: Die Denotation ist dabei lediglich eine, wenn auch die sicher gängigste Spielart der Repräsentation: Ein Etikett, also zum Beispiel ein Wort, wird in einem Bezugnahmegebiet auf einen Erfüllungsgegenstand appliziert. Den Begriff der Denotation versteht Goodman als „Anwendung eines Wortes oder Bildes oder eines anderen Etiketts auf ein [Ding] oder viele Dinge“13.

Die daran anschließende Überlegung erweitert seinen Ansatz jedoch um ei-ne ebenso wichtige Dimension: Auch wenn man das Verhältnis aus der entge-gengesetzten Perspektive, der Bezugnahmerichtung vom Erfüllungsgegenstand zum Etikett, betrachtet, ist Bezugnahme in vergleichbarer Weise im Spiel.14 Goodman bezeichnet diese ‚Inverse‘15 der Denotation als Exemplifikation: Besitz bestimmter Eigenschaften plus Bezugnahme auf ein Etikett, das den Gegen-stand denotiert.16 Sein Beispiel ist die Stoffprobe eines Schneiders: Sie dient als Muster für bestimmte Eigenschaften des Stoffes. Durch diese Probe wird also auf Etiketten Bezug genommen, die ihrerseits die betreffenden Eigenschaften des Stoffes denotieren. Um das leisten zu können, muss die Probe die in Frage kommenden Eigenschaften, zum Beispiel Farbe oder Muster, offenkundig besit-zen und vorweisen. Sie wird dabei jedoch keinesfalls alle Eigenschaften des Stoffes haben, sondern nur einige. Die Stoffprobe ist zum Beispiel kein Muster für dessen Größe, Gesamtgewicht usw. Jede Exemplifikation verfährt also selek-tiv, nimmt nur auf die Etiketten Bezug, auf die es in einer bestimmten Hinsicht gerade ankommt.

Seine Theorie der Notation, die im Zentrum seiner Symboltheorie steht, fundiert Goodman in Überlegungen zum Werkbegriff: Es gibt einerseits Kunst-werke, die man fälschen kann, andererseits solche, bei denen das per se nicht möglich ist. So existiert nur ein einziges Original eines bestimmten Gemäldes – und eine Menge von Fälschungen. Nur das Original hat beispielsweise die indi-viduelle Entstehungsgeschichte in der Werkstatt eines bestimmten Malers. Nur

|| 13 Nelson Goodman: Vom Denken und anderen Dingen – Übersetzt von Bernd Philippi, 1. Auflage, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1987 [folgend zitiert als MM], S. 86. 14 Vgl. MM, S. 92ff. 15 Streng genommen ist die Exemplifikation eine Subrelation der Inversen der Denotation, „denn die Exemplifikation wählt aus und besteht nur zwischen einem Symbol und einigen, aber nicht den anderen Etiketten, die es denotieren, oder Eigenschaften, die es besitzt. Exem-plifikation ist nicht bloßer Besitz eines Merkmals, sondern erfordert auch die Bezugnahme auf dieses Merkmal, die Bezugnahme unterscheidet die exemplifizierten von bloß besessenen Eigenschaften.“ (MM, S. 92) 16 SdK, S. 60.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 6: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

Einführende Bemerkungen zur Symboltheorie Nelson Goodmans | 13

das Original ist, so Goodman, das autographische Kunstwerk17 – und nur hier funktionieren (potentiell) nahezu alle seiner Eigenschaften symbolisch. Das heißt, dass nur in diesem Fall, also nur durch die individuelle Entstehungsge-schichte, sämtliche Bildelement symbolisch aufgefasst werden können. Nur hier hat also ,jeder Pinselstrich‘ eine potentiell symbolische Funktion. Bei einer Fälschung wäre die Bezugnahme vornehmlich auf das Original zu richten. Als Betrachter eines in diesem Sinne symbolisch dichten Originals kann man zwar nach und nach lernen, möglichst viele dieser symbolisch funktionierenden Bestandteile zu erfassen, aber man wird (vermutlich) niemals zu einer umfas-senden und eindeutigen Interpretation oder Lesart gelangen, weil die Summe der symbolisch funktionierenden Bestandteile – theoretisch – unendlich ist. Diese nach Goodman ästhetische Fülle erreicht nur das Original – und keine seiner Fälschungen.

Ein musikalisches Werk18 existiert hingegen nicht in einem der Malerei ver-gleichbaren Sinne als autographisches Original, sondern besteht aus einer Klas-se von einander hinreichend ähnlichen Aufführungen. Es ist ein Gegenstand, der wiederum aus einer Klasse von Gegenständen besteht. Derartige Kunstwer-ke bezeichnet Goodman als allographisch:19 Das Werk ist kein einzelner physi-scher Gegenstand.

Die sich daran anschließende Frage lautet: Was macht die Aufführungen ei-nander hinreichend ähnlich, hält sie als Klasse zusammen und stellt damit die Identität zweier beliebiger Aufführungen innerhalb dieser Klasse sicher? Was ordnet mit anderen Worten dem Summengegenstand den Produktgegenstand zu? Goodmans Antwort: die Partitur. Nur die Beziehung zwischen Partitur und Auf-führung kann als Probe für die Echtheit einer Aufführung herangezogen werden. Dabei sind – im Normalfall – sogar minimale Abweichungen zugelassen.

Für diesen Zweck muss jede Notationsform, die als Partitur in einem stren-gen Sinne gelten will, bestimmte Eigenschaften haben. Goodman betrachtet eine Partitur im Folgenden als einen zusammengesetzten, eindeutig lesbaren Charakter in einem Symbolschema und erhält damit letztlich ein notationales System, das aufgrund effektiver syntaktischer Differenziertheit auch semantisch eindeutig ist: Jede Partitur denotiert die die Partitur erfüllenden Aufführungen eines Werkes – jedoch keine, welche die Partitur nicht erfüllt. Diese Unterschei-dung ist trennscharf. Die Erfüllungsgegenstände sind mit anderen Worten also disjunkt. Das ist der Kern von Goodmans Theorie der Notation.

|| 17 Vgl. SdK, S. 116ff. 18 Goodman geht wie gesagt stets von einer Partitur und der Klasse ihrer Aufführungen aus. 19 Vgl. SdK, S. 113ff.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 7: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

14 | Grundlagen

An der Untersuchung der syntaktischen Merkmale der Symbolschemata macht Goodman zunächst die aufzustellende Typologie der Symbolsysteme fest: Es sind auf der einen Seite Symbolsysteme in Kunst wie Wissenschaft im Gebrauch, in denen sich die sogenannten Marken (Buchstaben, Wörter, Zahlen, Bilder, Symbole, Töne, Gesten …) als Inskriptionen eines Charakters20 begreifen lassen, somit nach bestimmten Bedingungen typisierbar und damit eindeutig lesbar sind. Durchgängig diskontinuierliche – mithin digitale – Systeme, bei denen jede Marke eindeutig einem Charakter zuzuordnen ist, können zudem semantisch eindeutig sein. Nur wenn sie es auch effektiv sind, kann von einem notationalen System gesprochen werden. Auf der anderen Seite von Symbolisie-rung sind dicht geordnete – mithin analoge – Systeme im Gebrauch, in denen derartige Typisierungen nicht vorgenommen werden können und für die es deswegen keine eindeutige Lesart gibt, weil kein Artikulationsschema zugrunde gelegt werden kann. Sämtliche syntaktischen wie semantischen Bedingungen für Notationalität sind hier nicht erfüllt: „[F]ür das bildliche Darstellen [gibt es also] kein Vokabular wie für das Sagen“21 und – so sollte vielleicht ergänzt wer-den – für das Sagen keinerlei Eindeutigkeit der Erfüllungsgegenstände wie für eine Partitur.

Doch damit ist Goodman noch nicht am Ziel seiner Überlegungen ange-langt: Denotiert werden können selbst Gegenstände (exemplifiziert werden können Etiketten), die nicht buchstäblich, sondern nur in einem ,übertragenen‘ Sinne unter das Etikett fallen und folglich auch nicht buchstäblich denotiert werden. Es handelt sich bei diesen figurativen Spielarten der Symbolisierung, und das genau ist der wesentliche Grundgedanke von Goodmans Argumentati-on, um keine weniger faktische ins Werk gesetzte Bezugnahme: Das Figurative – das Verfahren der Metaphernbildung – ist damit ein fester Bestandteil jedes (!) symbolischen Agierens. So kann Goodmans Symboltheorie mit ihren auf das Wesentliche begrenzten logischen Mitteln klären, auf welche Weise ein Bild eine Eigenschaft, zum Beispiel Traurigkeit, zum Ausdruck bringt, die es doch buchstäblich gar nicht haben kann – und warum ein Mensch in bestimmten Situationen zutreffend auch als „Ferkel“ bezeichnet werden kann.

|| 20 Disjunkte Charaktere sind Mengen von effektiv differenzierbaren Inskriptionen. 21 MM, S. 25.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 8: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

Warum eine Metapherndiskussion in einer allgemeinen Symboltheorie? | 15

I.2 Warum eine Metapherndiskussion in einer allgemeinen Symboltheorie?

Für jede Art von Repräsentation ist die Korrelation von einem Symbolschema und Erfüllungsgegenstand notwendige Bedingung. Die Bezugnahme umfasst dabei „alle Fälle des Stehens für“22 und ist nicht auf eine spezifische Art von Darstellung eingeschränkt. Bei jedem Akt der Symbolisierung werden, unter logischen Gesichtspunkten betrachtet, bestimmte Dinge als Prädikate oder Eti-kette benutzt.

„Und die Etiketten selbst, ob verbal oder piktural, werden ihrerseits wieder unter verbale oder non-verbale Etiketten klassifiziert. Gegenstände werden unter »Pult«, »Tisch« usw. und auch unter Bilder, die sie repräsentieren, klassifiziert. Beschreibungen werden unter »Pult-Beschreibung«, »Kentaur-Beschreibung«, »Cicero-Name« usw. klassifiziert; und Bilder unter »Pult-Bild«, »Pickwick-Bild« usw. Die Etikettierung von Etiketten hängt nicht davon ab, wofür sie Etiketten sind.“23

Es geht bei jeder genaueren Untersuchung der unterschiedlichen Arten von Symbolisierung also darum, Etiketten oder Gruppen von Etiketten nach be-stimmten Kriterien zu klassifizieren, sie somit in eine mehr oder weniger klare, vor allem aber hinreichend ,brauchbare‘ Ordnung zu bringen. Symbolische Welten können dabei nur derart als Weltversionen erzeugt werden, „indem man mittels Wörtern, Zahlen, Bildern, Klängen oder irgendwelchen anderen Symbo-len in irgendeinem Medium solche Versionen erzeugt“24.

Ein prominentes Beispiel für das Schaffen von Weltversionen ist die Spra-che: Jeder, der eine Sprache spricht, sollte in der Lage sein, von einem Etikett, also im einfachsten Fall von einem Wort, sagen zu können, dass dieses Wort oder diese Äußerung ein potentiell sinnvoller Ausdruck in einer bestimmten Sprache ist,25 bevor es um die inhaltliche Interpretation gehen kann. Das Etikett muss somit einem faktisch verwendeten System zugeordnet werden, denn sei-nen Wert als Symbol hat es nach Goodman immer nur relativ zu einem System.

|| 22 MM, S. 86. 23 SdK, S. 40. 24 Nelson Goodman: Weisen der Welterzeugung – Übersetzt von Max Looser, 1. Auflage, Frankfurt/M.: Suhrkamp (stw 863) 1990 [folgend zitiert als WW], S. 117. 25 Das Wort muss also im Sinne Freges eine Intension haben (vgl. Gottlob Frege: Über Sinn und Bedeutung – In: Gottlob Frege: Funktion, Begriff, Bedeutung. Fünf logische Studien – Herausgegeben und eingeleitet von Günter Patzig, 3., durchgesehene Auflage, Göttingen: Van-denhoeck & Ruprecht 1962. S. 40‒66, hier: S. 42 (Jeder, der einer Sprache mächtig ist, erfasst den Sinn, nicht unbedingt die Bedeutung eines Ausdrucks)).

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 9: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

16 | Grundlagen

Das Sprachsystem braucht nun eine Syntax, um verstehbar bleiben zu können. Dazu ist es nicht notwendig, dass jedes Wort gleich verstanden wird, jedoch muss das Wort bzw. die Äußerung zumindest syntaktisch als solches bzw. als solche erfasst werden. Im oben beschriebenen Sinne muss das Wort also als Etikett einer bestimmten Sprache klassifiziert werden können, bevor inhaltlich interpretiert werden kann. Mit der inhaltlichen Interpretation ist zunächst die Suche nach Erfüllungsgegenständen gemeint.

Bei einer pikturalen Darstellung steht eine solche Syntax, die eine hinrei-chend klare Klassifizierung erlaubte, nicht zur Verfügung. Es gibt aus diesem Grund keine eindeutige Lesart – keine Klassifizierung eines Gemäldes oder eines Teils davon als ‚potentiell sinnvoller Ausdruck‘ –, weil ein Artikulations-schema26 fehlt, gegen welches das Bild als Inskription, also als realisierter Ein-zelfall eines Etiketts, zu prüfen wäre. Das liegt wiederum daran, dass jede Kunst nach mehr oder weniger neuen Darstellungsformen suchen muss, um bei-spielsweise den ,Zeitgeist‘ immer wieder neu treffen zu können. Folglich muss auch jeder (verstehende) Betrachter wissen bzw. nach und nach immer wieder neu und auf bisheriger Erfahrung aufbauend lernen, wie Bilder zu sehen (und dann erst zu verstehen) sind.27 Das geschieht auf eine völlig andere Art und Weise als das Verstehen sprachlicher Ausdrücke, und diese Fähigkeit fußt im (erlernten oder erworbenen) Umgang mit den pikturalen Symbolsystemen, einer ,pikturalen Praxis‘.

Die Frage, ob das Etikett auch einen in der Welt existierenden Erfüllungsge-genstand hat, spielt bei alldem eine untergeordnete Rolle. Diesen Aspekt der Symboltheorie verankert Goodman an seinen Überlegungen zur „Nulldenotati-on“28: Es gibt offenkundig keine Einhörner, keine Zentauren usw., aber trotz-dem kennt jeder Sprecher entsprechende Bilder oder Beschreibungen, die recht eindeutig auch unter die Etikette ‚Einhorn-Bilder‘, ‚Zentauren-Bilder‘ oder ‚Ein-horn-Beschreibungen‘ usw. geordnet werden können. Solche Darstellungen scheinen in einer bestimmten Art und Weise zwar nichts zu repräsentieren,29 aber dennoch ist es möglich und gängige Praxis, sie zumindest als Klassenbe-griffe wie »Tisch« oder »Stuhl«30 innerhalb des Tatsächlichen zu behandeln.

|| 26 Dem Schemabegriff werde ich mich, weil er auch für die folgenden Überlegungen von zentraler Bedeutung ist, ausführlicher zuwenden (vgl. Kap. I.3 und I.4). 27 Nelson Goodman/ Catherine Z. Elgin: Revisionen. Philosophie und andere Künste und Wis-senschaften – Übersetzt von Bernd Philippi, 1. Auflage, Frankfurt/M.: Suhrkamp (stw 1050) 1993 [folgend zitiert als RE], S. 148ff. 28 SdK, S. 31ff. 29 Vgl. SdK, S. 31. 30 Vgl. SdK, S. 31.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 10: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

Warum eine Metapherndiskussion in einer allgemeinen Symboltheorie? | 17

Diese besondere Behandlung von Etiketten steht im engen Zusammenhang mit dem, was Goodman „Repräsentation-als“31 nennt. Das Etikett wird also nicht extensional, sondern intensional definiert. Anders ausgedrückt wird die Klasse der Gegenstände, die unter dieses Etikett fallen, intensional bestimmt. Die Re-präsentation-als ist für daher Goodman „eine Angelegenheit monadischer Klas-sifikation […], [und] unterscheidet […] sich erheblich von dyadischer, denotati-ver Repräsentation“32. Mit anderen Worten spielt nicht so sehr die Zuordnung des Erfüllungsgegenstandes eine Rolle, sondern vielmehr macht die Repräsen-tation-als eine neue Kategorie für die Sortierung in einer bestimmten Absicht auf. Damit macht Goodman insgesamt deutlich, dass jede Repräsentation im-mer nur eine Repräsentation im Rahmen eines Symbolsystems sein kann und nicht einfach eine Bezeichnung der Entitätenwelt ist. Es handelt sich dabei immer um eine Weltversion, eine Version, die wir uns mit den Mitteln, die ein bestimmtes Symbolsystem zur Verfügung stellt, erschaffen. Damit befinden wir uns notwendig auch immer innerhalb einer Welt der Symbole, einem Symbol-system, wenn wir einen Zugang zur ,Welt‘ suchen. Diese erzeugen wir als stets symbolisch Agierende.

Was nun den Ort und die Notwendigkeit der Metaphernthematik in der all-gemeinen Symboltheorie angeht, so zeigt sich, dass Goodman seinen Meta-phernbegriff aus durchaus guten Gründen im engen Zusammenhang mit sei-nem Schemabegriff bzw. als unmittelbare Konsequenz aus diesem entwickelt, denn jedes Schema33 ist zwar mehr oder weniger notwendig mit einer Heimat-sphäre34 verbunden – der Sphäre, mit der es faktisch und ,üblicherweise‘ in Verbindung gebracht wird –, kann aber auf alle möglichen, fremden Sphären übertragen werden. Das geschieht im alltäglichen Sprachgebrauch ständig. Daher muss die figurative Bezugnahme ebenfalls ein wesentliches Moment des allgemeinen Symbolgebrauchs sein und verdient wie die buchstäbliche Beach-tung. Ein Beispiel: Eine pikturale Darstellung exemplifiziert bestimmte Eigen-schaften buchstäblich – sie ist zum Beispiel grau, grün oder blau. Das heißt etwas präziser: Sie hat buchstäblich die Eigenschaft, grau zu sein und exempli-

|| 31 Vgl. SdK, S. 36ff.: „Ein Bild, das einen Mann repräsentiert, denotiert ihn; ein Bild, das einen fiktionalen Mann repräsentiert, ist ein Mann-Bild; und ein Bild, das einen Mann als Mann repräsentiert, ist ein Mann-Bild, das ihn denotiert. Während es also im ersten Fall nur darum geht, was das Bild denotiert, und im zweiten nur darum, welche Art von Bild es ist, geht es im dritten sowohl um Denotation als auch um Klassifikation.“ (SdK, S. 37) 32 SdK, S. 39. 33 Die Vieldeutigkeit dieses Begriffs wird in den folgenden Kapiteln thematisiert. 34 Als Sphäre bezeichnet Goodman zum Beispiel beim Etikett »rot« als Bereich alle roten Dinge, als Sphäre jedoch die Menge aller farbigen Dinge. (SdK, S. 76ff.)

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 11: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

18 | Grundlagen

fiziert das Etikett „grau“ ebenso buchstäblich. Das Bild ist also ein buchstäbli-cher Einzelfall eines Erfüllungsgegenstandes für das Etikett. Das Etikett „grau“ denotiert den Gegenstand nicht nur tatsächlich, sondern auch buchstäblich. Die Frage lautet nun, ob das Bild auch im gleichen Sinne ,traurig‘ sein kann wie es ,grau‘ ist, denn die Aussage „Das ist ein trauriges Bild“ gehört schließlich eben-so zum tatsächlichen, allgemeinen Sprachgebrauch, zum Repertoire, wie „Das ist ein graues Bild“. Wie kommt also mit anderen Worten dieser Ausdruck35 von beispielsweise Trauer bei einem Bild zustande?

An dieser Stelle verspricht die genauere Analyse des Verfahrens der Meta-phernbildung für Goodman einen gangbaren Weg: Das Phänomen des Aus-drucks – das Bild bringt ja offenkundig eher Traurigkeit denn Heiterkeit zum Ausdruck – lässt sich als eines begreifen, an dem die metaphorische Exemplifi-kation wesentlich beteiligt ist:

„Was zum Ausdruck gebracht wird, wird metaphorisch exemplifiziert. Was Traurigkeit ausdrückt, ist metaphorisch traurig. Und was metaphorisch traurig ist, ist tatsächlich, aber nicht buchstäblich traurig, das heißt, es gerät unter die Herrschaft irgendeiner über-tragenen Anwendung eines mit »traurig« koextensiven Etiketts.“36

Diese figurativen Eigenschaften werden jedoch nicht nur metaphorisch beses-sen, sondern gleichsam zum Ausdruck, zum Vorschein, gebracht.37 Darin be-steht das eigentliche Wesen der Metaphernbildung. Ferner gilt dies alles auch für die unterschiedlichsten Arten von Etiketten:

„Nonverbale ebenso wie verbale Etiketten können durch Symbole jeder Art exemplifiziert, die entsprechenden Eigenschaften zum Ausdruck gebracht werden. Ein Bild von Churchill als Bulldogge ist metaphorisch; und er kann als Symbol gelten, das das Bild exemplifiziert und das Bulldoggenhafte zum Ausdruck bringt, das ihm in dieser Weise piktural zuge-schrieben wird.“38

Welche Eigenschaften also exemplifiziert werden, hängt vom System ab, das gerade im Gebrauch ist. Dessen Etiketten müssen wie gesehen – buchstäblich oder figurativ – die betreffende Eigenschaft denotieren, damit Exemplifikation als eine symbolische Funktion manifestiert werden kann. Exemplifikation ist in jedem System möglich, und sprachliche Prädikate sind in diesem Kontext ledig-lich Etikette aus sprachlich organisierten Systemen. Jedoch sind sie, wie sich

|| 35 Als Ausdruck eines Bildes behandelt Goodman das, was das Bild metaphorisch exemplifi-ziert. (vgl. SdK, S. 88ff.) 36 SdK, S. 88. 37 Vgl. SdK, S. 89. 38 SdK, S. 91.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 12: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

Warum eine Metapherndiskussion in einer allgemeinen Symboltheorie? | 19

noch in den Einzelheiten zeigen wird, gerade im Hinblick auf die Metaphern-thematik besondere.

Die sprachliche Art des Ausdrucks ist, wenn man die Tatsache von der sys-tematischen Ebene betrachtet, aber nicht für sich allein zu betrachten. Es zeigt sich vielmehr, dass nicht allein bei in pikturalen Darstellungen, sondern auch allgemein das Figurative eine dem Buchstäblichen nahezu ebenbürtige Rolle spielt:

„Repräsentation und Beschreibung beziehen ein Symbol auf Dinge, auf die es zutrifft. Die Exemplifikation bezieht das Symbol auf ein Etikett, das es denotiert, und damit indirekt auf die Dinge (einschließlich des Symbols selbst) innerhalb des Bereichs dieses Etiketts. Der Ausdruck bezieht das Symbol auf ein Etikett, das es metaphorisch denotiert, und da-mit indirekt nicht nur auf den gegebenen metaphorischen, sondern auch auf den buch-stäblichen Bereich dieses Etiketts. Und von jedem beliebigen Symbol können verschiede-ne längere Ketten aus elementaren bezugnehmenden Beziehungen von Etiketten auf Dinge und andere Etiketten und von Dingen auf Etikette ausgehen.“39

Es ist also zu vermuten, dass das Verfahren der Metaphernbildung ein zentrales Moment jedes Symbolgebrauchs innerhalb eines Systems und als solches in einer allgemeinen Symboltheorie nicht als ,rhetorischer Schmuck‘ zu vernach-lässigen ist.

Aufgrund dieser Überlegungen tritt das zentrale Thema der vorliegenden Unter-suchung – die systematische Positionierung von Goodmans Metapherntheorie in einer allgemeinen Symboltheorie – in den Fokus. Um diese nun durchzubuch-stabieren, wird zunächst Goodmans Schemabegriff, an dem er seine Metaphern-theorie entwickelt hatte, in seinen verschiedenen Lesarten zu rekonstruieren sein: Goodman verwendet den Begriff schließlich keineswegs einheitlich, und an der Rekonstruktion der verschiedenen Lesarten werden sich anschließend Perspektiven für ein symboltheoretisch durchformtes Verständnis der philoso-phischen Metapherndiskussion aufzeigen lassen. Goodman führt dazu im Kon-text seiner Überlegungen zu einem Schemabegriff im englischen Originaltext40 von „Sprachen der Kunst“ eine Unterscheidung ein, die in der deutschen Über-setzung mehr oder weniger vernachlässigt worden ist: Auf der paradigmati-schen Ebene, der Ebene der Menge von Etiketten oder Symbolgestalten und den dadurch sortierten Bezugnahmegebieten, benutzt er den Begriff schema – auf

|| 39 SdK, S. 94. 40 Nelson Goodman: Languages of Art. An Approach to a Theory of Symbols – Second Print-ing, Indianapolis/New York/Kansas City: The Bobbs-Merril Company 1968 [folgend zitiert als LA].

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 13: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

20 | Grundlagen

der syntagmatischen, der Ebene der Symbolgestalten, den Begriff symbol scheme. In der Übersetzung sind diese beiden Begriffe jedoch durchgängig zu „Schema“41 geworden. Dennoch ist hier eine nicht unwesentliche Differenzie-rung der Erfüllungsgegenstände dieses Etiketts zu berücksichtigen: Einmal ist eine Menge von alternativen Etiketten gemeint, das andere Mal eine Menge nach bestimmten Kriterien ordnenbarer Marken/Inskriptionen in einem syntak-tischen Umfeld. Dieser differenzierte Sprachgebrauch ist in Goodmans Original-text konsequent durchgehalten. Die theoretischen Implikationen dieser Unter-scheidung aufzuklären, ist ein Ziel des folgenden Kapitels.42

I.3 Der paradigmatische Schemabegriff: Das Schema als Menge von Etiketten

Zunächst begreift Goodman ein Schema (schema) als eine Menge von Alternati-ven: eine Menge von Etiketten (labels) pikturaler, verbaler, notationaler oder wie auch immer gearteter Natur.43 Diese Alternativen müssen sich weder gegen-seitig auszuschießen44 noch explizit benannt sein. Kein Etikett innerhalb der verschiedenen Arten von Symbolisierung funktioniert jedoch – das ist der we-sentliche Punkt – für sich allein, sondern seinem Wesen nach immer „in Zuge-hörigkeit zu einer Familie“45. Dabei kann es in verschiedenen Systemen durch-aus ebenso verschiedene Funktionen haben. Jede Kategorisierung ist nur anhand einer Menge von zur Verfügung stehender und faktisch gebräuchlicher Alternativen möglich. Diesen Sachverhalt verdeutlicht Goodman am Beispiel des Etiketts „rot“:

„Was als rot gilt, variiert etwas, und zwar abhängig davon, ob Gegenstände als rot oder nicht rot oder als rot oder orange oder gelb oder grün oder blau oder violett klassifiziert werden.“46

Es hängt also von der Beschaffenheit, in diesem Fall dem Etikettenreichtum, des Schemas ab, was wie eindeutig als Erfüllungsgegenstand für ein bestimmtes

|| 41 Vgl. LA, S. 72ff. und 130ff. (vgl. SdK, S. 76ff. und 128ff.) 42 An den entsprechenden Stellen wird die unterschiedliche Verwendung des Begriffs Sche-ma jeweils durch das englische Original in Kursivschrift ergänzt. 43 Diese allgemeine Schemadefinition hält sich bis in Goodmans spätere Werke (vgl. RE, S. 19). 44 RE, S. 20. 45 SdK, S. 76. 46 SdK, S. 76.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 14: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

Der paradigmatische Schemabegriff: Das Schema als Menge von Etiketten | 21

Etikett gelten kann und was nicht: Wird ein differenziertes, etikettenreiches Schema verwendet, das in unserem Beispiel viele Rottöne unterscheidet bzw. benennt, wird es Schwierigkeiten geben, einen Gegenstand trennscharf als (einfach) „rot“ zu klassifizieren, das heißt, als Erfüllungsgegenstand diesem Etikett eindeutig zuzuordnen. Befindet sich hingegen ein wenig ausdifferenzier-tes Symbolschema in Anwendung – eines zum Beispiel, das ausschließlich die Etiketten „rot“ und „nicht-rot“ (sprich, alles andere) zuließe –, können viele Gegenstände noch als „rot“ klassifiziert werden, bei denen im Kontext eines stärker differenzierenden Schemas offenkundig Schwierigkeiten entstehen würden. Damit ist zum Beispiel die Klassifizierung als „rot“, „rosa“, „hellrot“, „dunkelrot“, „weinrot“, „scharlachrot“, „blutrot“ usw. gemeint.

Jedes Etikett erhält also seinen Platz im Symbolschema (schema) in Diffe-renz zu allen anderen Etiketten. Für die Korrelation von Schema und Bezugnah-megebiet ist daher die genannte Menge von Alternativen wesentlich, denn nur sie ermöglicht die Klassifizierung eines Erfüllungsgegenstandes unter einen bestimmten Begriff, der damit erst als Etikett verwendet wird.

Die Symbolisierung wird, das gilt es sehr deutlich festzuhalten, immer in der Performanz erzeugt, nämlich dadurch, dass einem Etikett ein Erfüllungsge-genstand zugeordnet bzw. dass durch ein Schema und dessen Anwendung in einem bestimmten Bezugnahmegebiet eine Ordnung der Erfüllungsgegenstände etabliert wird. Die Klassifizierung ergibt sich jedoch vornehmlich als Möglich-keit, die sich in einem bestimmten Gebrauch, welcher nach Goodman wesent-lich durch Praxis und Gewohnheit bestimmt ist, im Kontext von Akzeptabilität und damit der ‚Richtigkeit‘ der Verwendung bewähren muss.47

Der Gebrauch eines Schemas ist jedoch nicht frei, sondern von verschiede-nen Faktoren abhängig, die diesen bestimmten Gebrauch als angemessen er-scheinen lassen. Dieser symboltheoretische Kontext beispielsweise bestimmt die Menge von in diesem Sinne zulässigen Alternativen. Für Goodman ist die Rede von „Schemata, Kategorien und Begriffssystemen [an dieser Stelle] nichts anderes als die Rede von solchen Mengen von Etiketten“48. Zudem ist festzuhal-ten, dass der Zugang zu Symbolen nur über deren Verwendung bzw. deren Wert in bestimmten gebräuchlichen Systemen, also der Performanz, besteht: Im ge-nannten Beispiel haben wir nur dann einen Begriff von „rot“ zur Verfügung, wenn anhand von Einzelfällen – extensional – hinreichend genau zu entschei-den ist, ob „Dieses ist rot“, „Jenes ist rot“ und „Das ist nicht rot“ je zutreffende Aussagen sind und damit die Marke, der jeweilige Einzelfall, als Einzelfall eines

|| 47 Vgl. Kap. IV.2. 48 SdK, S. 76.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 15: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

22 | Grundlagen

Etikett in einem bestimmten System durch den Gebrauch etabliert wird. Das Etikett muss also, so eine zentrale Forderung für dessen Verwendung als Sym-bol, auf Bezugnahmegebiete angewendet werden. Die Fähigkeit, dieses leisten zu können, basiert wesentlich auf implizitem Wissen, einem Können: Man muss gelernt haben, durch dieses und jenes Symbol (diesen oder jenen Laut, Wort usw.) auf dieses oder jenes hinzuweisen. Nicht umsonst kann das Lallen oder Brabbeln eines Kleinkindes (vermutlich) alles und nichts bedeuten, und das System differenziert sich nach innen aus.49

Auf der Seite der Erfüllungsgegenstände stehen diesem Schema – nunmehr ‚paradigmatisch‘ definiert als Menge von Etiketten (set of labels) – die durch das Schema sortierten Gegenstände ‚gegenüber‘. Die Menge der Erfüllungsgegen-stände wird erst durch die Anwendung der alternativen Etiketten begrenz- und bezeichnenbar. Ohne dieses Faktum der Referenzialisierbarkeit ist keine Art von Symbolisierung möglich. Einige notwendige Begriffe gilt es im Folgenden mit Goodman zu definieren: Die Menge der Gegenstände, die durch ein Schema sortiert werden, bezeichnet Goodman als dessen Sphäre (realm), „[d]ie Gesamt-heit der Extensionsbereiche der Etiketten in einem Schema [Engl.: schema, meine Ergänzung]“50. Bedingung für jedes Sortieren durch ein Schema ist dabei, dass die Gegenstände „von mindestens einem der alternativen Etiketten denotiert werden“51. So umfasst im Beispiel der Bereich des Etiketts „rot“ alle roten Dinge, während die fragliche Sphäre alle farbigen Dinge umfasst. Der Bereich (range) ist alles, was das Etikett als Erfüllungsgegenstand denotieren kann, das Schema die Menge der alternativen Etiketten und die Sphäre die Menge aller Gegenstände, die durch das Schema sortiert werden. Durch die Verwendung eines bestimmten Etiketts werden gleichzeitig diejenigen Dinge aussortiert, die im genannten Beispiel nicht unter „rot“ fallen, sondern zum Bereich eines anderen Etiketts gehören. Diese Zuordnung ist offensichtlich se-

|| 49 Vgl. Roman Jakobson: Kindersprache, Aphasie und allgemeine Lautgesetze – [a.a.O.] Das Sprachsystem bildet sich nach Jakobson nach dem Prinzip des ,maximalen Kontrasts‘ der Sprachlaute aus, nämlich völliger Öffnung und völligem Verschluss des Artikulationsapparats. Daher resultieren die Silben „ma“ und „pa“ im Spracherwerb eines Säuglings nach der „Lall-phase“. Zwischen diesen beiden Extremwerten von „Öffnung“ und „Verschluss“ des komplet-ten Artikulationsappartes differenzieren sich die Laute (und damit auch die verbundenen Bedeutungen) durch Modulation der Verschluss- bzw. Engestelle im Artikulationsappart – also nach „innen“ – aus. Darauf fußen bei Jakobson ferner auch die Fundierungsgesetze, nach denen ein sekundärer Laut stets einen primären voraussetzt. – Das Problem der Schriftlichkeit von Sprache blende ich hier aus. 50 SdK, S. 76 (LA, S. 72). 51 SdK, S. 76.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 16: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

Der paradigmatische Schemabegriff: Das Schema als Menge von Etiketten | 23

mantisch nicht trennscharf, denn es gibt zahlreiche Übergänge bzw. unklare Fälle.

Jede Sphäre hängt also vom Schema ab – und umgekehrt. Inwiefern diese Symbolisierung tatsächlich ins Werk gesetzt wird, ist eine Frage gängiger Pra-xis. Das Faktum der Bezugnahme spielt bei allen Arten von Symbolisierungen jedoch eine zentrale Rolle: Ohne die Korrelation von Etikett und Bezugnahme-gebiet findet keine Symbolisierung statt. Es geht also um die Applizierbarkeit, die symbolische Verwendung eines bestimmten Schemas zur Kategorisierung. Jedes Etikett kann dabei zu einer beliebigen Anzahl von Schemata gehören, und selbst ein Etikett mit nur einem Bereich agiert selten nur in einer einzigen Sphä-re. Das hängt immer wesentlich vom System ab, welches gerade in Gebrauch ist. Alternativen gibt es dabei durchgängig.

Goodman weist bewusst darauf hin, dass es eine Sphäre geben muss, die mit dem Schema in einer ganz besonderen Beziehung steht, und die er daher – übri-gens metaphorisch – als Heimatsphäre (home realm) bezeichnet: Da Menschen allgemein zum Beispiel in einem bestimmten Sprachraum mit einem bestimmten Apparat an Symbolsystemen sozialisiert sind, spielen bestimmte, regelmäßige Verwendungsweisen eines Schemas eine ,fixere‘ Rolle als andere. Diese Heimat-sphäre eines Schemas behandelt Goodman als „das Land seiner Naturalisierung [und] weniger das der Geburt“52. Damit weist er darauf hin, dass es hier um eine Gewöhnung qua Gebrauch und nicht etwa per definitionem geht.53

Von diesem buchstäblichen Gebrauch abweichende – also figurative – An-wendungen eines Schemas auf eine weitere Sphäre sind demnach zunächst einmal „weniger scharf und stabil als die entsprechende buchstäbliche Sortie-rung“54. Dabei bietet diese Unschärfe jedoch die Möglichkeit einer ungewohnten und in diesem Sinne neuartigen Sortierung mit systemimmanenten Mitteln. Gerade dieses Faktum gibt dem Schema in seiner Anwendung Geschmeidigkeit, neben neuen Fällen von Zuordnung auch an andere – wie auch immer geartete – Umstände angepasst werden zu können.55 Diese Beobachtung ergibt sich für Goodman wieder aus der Praxis, in der Schemata auf ein Bezugnahmegebiet angewendet werden: Je mehr die Anwendung eines Etiketts dem allgemeinen Gebrauch entspricht, desto ‚buchstäblicher‘ ist die Zuordnung – je weiter die Verwendung von dieser Praxis abweicht, desto mehr geht die Symbolisierung unter bestimmten Voraussetzungen in den Bereich des Figurativen und sortiert

|| 52 SdK, S. 80. 53 Vgl. Kap. IV.2. 54 SdK, S. 82. 55 Vgl. Kap. IV.2.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 17: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

24 | Grundlagen

dort eine neue Sphäre, freilich immer mit Bezug auf das Vorhandene, in der Praxis qua Gebrauch Etablierte.

In diesem Zusammenhang ist festzuhalten, dass es sich bei einem Schema (schema), im Kontext von Goodmans paradigmatischem Schemabegriff, um eine „lineare oder komplexere Anordnung von Etiketten [handelt]; und die Ordnung – sei sie nun traditionell wie beim Alphabet, syntaktisch wie in einem Wörter-buch oder semantisch wie bei Farbnamen – sowie andere Beziehungen lassen sich übertragen“56. Goodman legt neben dem schematischen Gebrauch von Etiketten hier den Grundstein für seine Metapherntheorie, die er in „Sprachen der Kunst“ jedoch nicht ins Zentrum des Interesses stellt. Sie ist auch nicht sein Thema.

Goodman interessiert fortan vielmehr die syntaktische Beschaffenheit der Schemata (symbol schemes), die in unserem Zusammenhang nun genauer zu behandeln sind. Dennoch gilt es vorerst festzuhalten, dass figurative Anwen-dungen von Etiketten eine ebenso faktische Rolle spielen wie buchstäbliche Bezugnahmen: „Das Metaphorische und das Buchstäbliche müssen innerhalb des Tatsächlichen unterschieden werden.“57 Dabei sind die Symbolsysteme, wie sie in Kunst und Wissenschaft im Gebrauch sind, insgesamt keineswegs aus-schließlich sprachlicher Natur.

I.4 Der syntaktisch fundierte Schemabegriff: symbol schemes

Im Rahmen seiner Überlegungen zur Notationstheorie58 wendet sich Goodman dem Schemabegriff – diesmal spricht er allerdings durchgängig von symbol schemes – von der syntaktisch fundierten und damit eher ‚technischen‘ Seite zu. In der Theorie der Notation formuliert Goodman syntaktische wie semantische Forderungen an ein Symbolsystem, die allesamt erfüllt sein müssen, soll es sich um ein Notationssystem im engen Sinn des Wortes handeln. Aufgrund der je-weiligen Nichtfüllung der Forderungen können die verschiedenen Weisen von Darstellung folglich nach innen ausdifferenziert werden.

Offenkundig steht dabei ein solches Symbolsystem dem notationalen Sys-tem genau gegenüber, welches keine der syntaktischen wie semantischen Be-dingungen für die Notationalität erfüllt. Als Resultat dieser Überlegungen ge-winnt Goodman für eine Typologie von Symbolisierungsprozessen tragfähige,

|| 56 SdK, S. 77. 57 SdK, S. 73. 58 Vgl. LA, S. 127ff. (SdK, S. 125ff.)

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 18: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

Der syntaktisch fundierte Schemabegriff: symbol schemes | 25

den logischen Prozess fokussierende Kriterien, und mit ihnen wird der Prozess der allgemeinen Symbolisierung zur pikturalen wie notationalen Seite hin hin-reichend klar beschreib- und damit differenzierbar. Das ist das übergeordnete Ziel von „Sprachen der Kunst“: Indem jedes im Gebrauch befindliche System aufgrund seiner syntaktischen wie semantischen Eigenschaften zum einen oder anderen Extremwert (piktural bzw. notational) neigt, nimmt es relativ zu diesen beiden Extremen eine mit den vorgelegten Kriterien beschreibbare Position im allgemeinen Prozess der Symbolisierung ein.

Um diese Grundlagen anschließend auf die Metapherntheorie anwenden zu können, werden folgend die Grundzüge der Notationstheorie nach Goodman etwas ausführlicher skizziert.

(1) Goodman hat zunächst die syntaktischen Anforderungen an ein notatio-nales System wie beispielsweise eine Musikpartitur (score) im Blick. Diese hat wie gesehen die vorrangige theoretische Funktion, ein musikalisches Werk als Klasse von Aufführungen eindeutig zu definieren und damit Kriterien für die Entscheidung zu liefern, ob diese oder jene Aufführung eine ,korrekte‘ Auffüh-rung des betreffenden Werks ist. Um diese werkkonstituierende Funktion erfül-len zu können, muss die Partitur als Charakter in einem Notationssystem ent-sprechende syntaktische Merkmale aufweisen: „Das Symbolschema jedes Nota-tionssystems ist notational, aber nicht jedes Symbolsystem mit einem notationalen Schema ist ein Notationssystem.“59 Bereits am Ansatzpunkt seiner Überlegungen zur gesuchten Theorie weist Goodman darauf hin, dass nicht allein die Notationalität des Schemas (symbol scheme) für die des gesamten Systems ausschlaggebend sein kann, sondern dass andere Merkmale hinzutre-ten müssen, und dieses sind die semantischen Aspekte des zur Untersuchung stehenden Systems, die allerdings immer an die Beschaffenheit des Schemas (symbol scheme) zurückgebunden bleiben:

„Jedes Symbolschema [Engl.: symbol scheme, meine Ergänzung] besteht aus Charakteren, gewöhnlich noch aus Kombinationsweisen, um aus ihnen weitere zu bilden. Charaktere sind bestimmte Klassen von Äußerungen oder Inskriptionen oder Marken. (Ich werde »In-skription« so gebrauchen, daß sie Äußerungen einschließt, und »Marke« so, daß sie In-skriptionen einschließt; eine Inskription ist jede Marke – visuell, auditiv etc. –, die zu ei-nem Charakter gehört.)“60

|| 59 SdK, S. 128. Gleichzeitig können wir ein Schema nicht einfach von dem entsprechenden System abkoppeln, es also nicht für sich allein betrachten. Wir müssen immer ein Verständnis des Systems voraussetzen, wenn wir uns die entsprechenden schemes genauer ansehen wol-len. 60 SdK, S. 128 (LA, S. 121).

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 19: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

26 | Grundlagen

Jeder dieser Charaktere, aus denen sich das Schema zusammensetzt, ist also als eine Art ,Abstraktionsklasse‘ zu verstehen, die ihrerseits wieder zusammenge-setzt sein kann oder nicht. Als Beispiel kann hier ein beliebiges, in Alphabet-schrift geschriebenes Wort dienen: Wenn es gelesen wird, wird das Wort inner-halb seiner syntaktischen Grenzen als (zusammengesetzter) Charakter in einem (notationalen) Schema erfasst, und zwar bei einem geübten Leser als ein Gan-zes. Gleichzeitig können jedoch die einzelnen Buchstabenmarken als (atomare) Inskriptionen eines wiederum je zu bestimmenden Buchstabencharakters inter-pretiert werden. Durch die Technik der Verschriftung wird also auch die subse-mantische Betrachtungsebene greifbar. Das ist jedoch allein möglich, wenn man gelernt hat, mit dem Alphabet als Artikulationsschema umzugehen und innerhalb des Alphabetschriftsystems61 literalisiert ist. Mit der Abbildung auf syntaktisch eindeutige Artikulationsschemata wie das Alphabet und Wörterbü-cher sind die geschriebenen Buchstaben nach Goodman als Marken jeweils ein Einzelfall, eine Inskription, des entsprechenden Typs und instatiieren ihn da-mit62 gleichzeitig. Ihr syntaktischer Gebrauch sowie Distributionsregel-mäßigkeiten sind auf dieser Basis nahezu eindeutig beschreibbar, und in die-sem Kontext ist ein Charakter als Klasse von Inskriptionen zu verstehen, zu denen allein über performativ erzeugte Marken Zugang besteht: Nur durch die Tatsache, dass syntaktische Marken als Inskriptionen einem Charakter63 zuge-ordnet werden können, wird ein Text eindeutig lesbar. Im Zweifelsfall ist es damit sogar möglich, sich ein Wort buchstabierend zu ,erlesen‘. Dieser Effekt ist bei Kindern in der Grundschule, aber auch bei erfahrenen Lesern – nämlich dann, wenn sie ein unbekanntes Wort lesen müssen – zu beobachten.

Jede Darstellung ist also an die Inskription, das jeweilige Realisiertsein ei-nes Charakters, gebunden. Wichtig für die Unterscheidung der einzelnen Sche-mata (symbol schemes) ist also die Frage, ob und mit welchem Aufwand die beschriebene Zuordnung zu einem Charakter vorgenommen werden kann. Sind

|| 61 Zum Artikulationsschema des Alphabets kommen für die Alphabetschrift noch andere Schemata, zum Beispiel Wörterbücher u.ä., hinzu. Nur damit können wir die Orthographie der entsprechenden Schreibungen regeln. 62 Somit existiert der Charakter in einem Schema (symbol scheme) nur in seinen Inskriptio-nen. Also kann jede Inskription als Regel zur Erzeugung anderer, gleichartiger Inskriptionen qua Analogie gelten. Genau genommen exemplifiziert jede Inskription gewisse syntaktische signifikante Eigenschaften des entsprechenden Charakters. Ansonsten wäre eine eindeutige Zuordnung und damit eine eindeutige Lesart nicht möglich. Vgl. hierzu Christian Stetter: Sys-tem und Performanz. Symboltheoretische Grundlagen von Medientheorie und Sprach-wissenschaft – 1. Auflage, Weilerswist: Velbrück 2005, S. 100ff. 63 In analoger Weise ließe sich hier von einer Type-token-Relation sprechen.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 20: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

Der syntaktisch fundierte Schemabegriff: symbol schemes | 27

die Marken also in diesem Sinne eindeutig typisierbar oder nicht? Auf diese Grundfrage wird noch zurück zu kommen sein, wenn es um die syntaktische Fundierung auch von Metaphern geht. Mit diesen Überlegungen kommt Good-man zu den syntaktischen Bedingungen für einen Charakter in einem notationalen Schema (symbol scheme):64

„Das wesentliche Merkmal eines Charakters in einer Notation besteht nun darin, daß sei-ne Elemente ohne irgendwelche syntaktischen Auswirkungen frei untereinander ausge-tauscht werden können; oder buchstäblicher – da tatsächliche Marken selten bewegt oder ausgetauscht werden –, daß alle Inskriptionen einer gegebenen Marke syntaktisch äqui-valent sind.“65

Sämtliche Inskriptionen eines Charakters müssen also syntaktisch äquivalent und in diesem Sinne „»echte Kopien« oder Replikas“66 voneinander sein. Somit müssen alle Kopien von Marken, die als Inskriptionen zu einem bestimmten Charakter gehören sollen, jeweils (echte) Kopien einer jeden beliebigen anderen Inskription des entsprechenden Charakters sein: „Und eine echte Kopie einer echten Kopie einer … echten Kopie einer Inskription x muß stets eine echte Ko-pie von x sein“67.

Ist diese Kette unterbrochen, die Relation zwischen den einzelnen Inskrip-tionen also nicht transitiv, ist syntaktische Äquivalenz der Inskriptionen unter-einander und damit die Zugehörigkeit einer Marke als Inskription zu einem Typ innerhalb eines Charakters nicht gegeben. Weil die Relation zwischen den In-skriptionen eines Charakters, wenn sie syntaktisch indifferent sind, „eine typi-sche Äquivalenzrelation“68 sein muss, kommen Reflexivität und Symmetrie als logische Eigenschaften dieser logischen Relation der Inskriptionen zueinander notwendig hinzu. Die Menge der Inskriptionen eines Charakters ist damit zwar (prinzipiell) offen, aber nicht unendlich.69 Sie werden insgesamt per analogiam konstituiert. Die Redeweise, dass eine Menge von Inskriptionen – besagte Ab-straktionsklasse – als Charakter zu fassen sei, ist für Goodman letztlich nur

|| 64 Goodman konstruiert den Begriff des notationalen Schemas (oder auch des notationalen Systems) immer in Abgrenzung zu anderen (eher ‚repräsentationalen‘) gebräuchlichen Syste-men, die die aufgestellten Bedingungen nicht erfüllen. 65 SdK, S. 128 (LA, S. 131). 66 SdK, S. 129. 67 SdK, S. 129. 68 SdK, S. 129. 69 Vgl. hierzu Goodmans Bemerkungen zur endlichen Differenzierung der Inskriptionen (SdK, S. 132f.). Dieses macht, wie Goodman zu Bedenken gibt, auch den Begriff des Typs an sich fragwürdig. In bestimmten Kontexten ließe sich auch ganz auf ihn verzichten (vgl. SdK, S. 129 (Fußnote 3)).

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 21: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

28 | Grundlagen

deshalb hilfreich, weil sie Grundlage für eine übersichtlichere Formulierung der Sachlage sein kann. Ein Typ innerhalb eines Charakters sei allein als Klasse von hinreichend ähnlichen,70 syntaktisch äquivalenten Replikas zu verstehen. Jede Inskription kann somit als Muster für die Erzeugung anderer Inskriptionen ge-nommen werden. Damit erst sind sie charakterindifferent: „Kurz, ein Charakter in einer Notation ist eine Abstraktionsklasse von Charakter-Indifferenz unter Inskriptionen.“71

(a) Die erste Konsequenz aus der Forderung nach syntaktischer Äquivalenz der zum gleichen Charakter gehörenden Inskriptionen ist, dass damit alle ande-ren Marken keine Replikas von Inskriptionen des in Frage kommenden Charak-ters sein und in einem notationalen Schema (symbol scheme) trennscharf nicht zu diesem Charakter gehören dürfen. Das würde die geforderte syntaktische Eindeutigkeit des Systems gefährden. Somit tritt das Verhältnis zweier beliebi-ger Charaktere in einem gegebenen Schema ins Blickfeld: Die Charaktere müs-sen disjunkt sein.72 Die Gewährleistung der Disjunktheit der Charaktere be-zeichnet Goodman als „notwendige[n] Gewaltakt“73, dem ein Schema ‚unter-zogen‘ werden muss. Dass es immer Marken gibt, bei denen sich eben nicht ohne Weiteres entscheiden lässt, ob sie Inskriptionen dieses oder jenes Charak-ters sind, ist als „Erfahrungstatsache“74 kaum zu leugnen.75 Dieses Faktum be-zeichnet Goodman als – systematisch jedoch zentrale – „Unterwanderung an den Grenzen“76, die damit Übergänge und Ineinandergreifen von verschiedenen Arten der Symbolisierung ermöglicht. Übergeordnetes Ziel beim Entwurf einer jeden Notation muss es jedoch sein, derartige „Irrtümer möglichst gering zu halten“77: „Der entscheidende Punkt dabei ist, daß bei einer echten Notation – im Gegensatz zu einer nicht-disjunkten Klassifikation – Marken, die korrekt als gemeinsame Elemente eines Charakters angesehen wurden, stets echte Kopien voneinander sein werden.“78

|| 70 Ähnlichkeit heißt hier nicht exaktes Duplikat. Allein die syntaktische Äquivalenz spielt hier eine Rolle. Ähnlich wie bei der Ähnlichkeit von Bildern mit ihrem abgebildeten Gegen-stand reicht diese nicht als Kriterium für eine Zuordnung hin (vgl. SdK, S. 15ff.). 71 SdK, S. 129f. (LA, S. 132f.). 72 Vgl. SDK, S. 130 (LA, S. 133), vgl. hierzu RE, S. 166ff. 73 SdK, S. 131. 74 SdK, S. 131. 75 Die philologische Regel der „lectio difficilior“ gibt davon Zeugnis: Es wird immer davon ausgegangen, dass die ,schwierigere‘ Lesart die zu bevorzugende sei. Das gilt nicht nur bei der (semantischen) Interpretation, sondern auch bei der syntaktischen ,Erlesung‘ eines Textes. 76 SdK, S. 131 . 77 SdK, S. 131. 78 SdK, S. 131 (LA, S. 134).

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 22: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

Der syntaktisch fundierte Schemabegriff: symbol schemes | 29

(b) Die Differenzierung der Charaktere in einer Notation muss zudem end-lich bzw. effektiv sein.79 Wären die Charaktere nicht in dieser Weise endlich differenziert,80 erschwert dieses Merkmal die effektive Zuordnung der einzelnen Marken als Inskriptionen zu einem Charakter.81 Hieraus entwickelt Goodman die nächste Forderung an ein notationales Schema (symbol scheme): Sie besteht darin,

„daß die Charaktere endlich differenziert oder artikuliert sein müssen. Sie lautet: Für jede zwei Charaktere K und K’ und jede Marke m, die nicht tatsächlich zu beiden gehört, ist die Bestimmung, daß entweder m nicht zu K gehört oder m nicht zu K’ gehört, theoretisch möglich.“82

Damit ist die effektive Differenziertheit des Schemas immer relativ zur gängigen Praxis festgelegt. Dadurch wird das Schema digital.83 Bei der Buchstabenschrift zum Beispiel kann auch der syntaktische Kontext von Marken eine wesentliche Rolle spielen:

„Zwei Marken, die der Gestalt, der Größe, der Farbe und so weiter nach exakt dieselben sind, können so beschaffen sein, daß der eine festgelegt wird, kein »a« zu sein, der ande-re, kein »d« zu sein, nämlich dadurch, daß man die umgebenden Buchstaben-Marken be-rücksichtigt.“84

Einem Schema (symbol scheme) aus solchen, endlich/effektiv differenzierten Marken steht ein (syntaktisch) dichtes gegenüber, welches dadurch bestimmt ist, dass es zwischen zwei beliebigen Charakteren jeweils immer ein verbinden-des Glied gibt: „Ein Schema ist syntaktisch dicht, wenn es unendlich viele Cha-raktere bereitstellt, die so geordnet sind, daß es zwischen jeweils zweien immer ein drittes gibt.“85 Somit lässt sich durch die Nichterfüllung aller bislang ge-nannten syntaktischen Forderungen auch das entgegengesetzte Extrem von

|| 79 Deswegen müsste man streng genommen auch von endlicher Differenziertheit der Inskrip-tionen sprechen. In den „Revisionen“ ersetzen Goodman und Elgin daher den Begriff der end-lichen durch effektive Differenziertheit (vgl. RE, S. 167ff.). 80 Vgl. SdK, S. 132 (LA, S. 135). 81 Vgl. RE, S. 167ff. 82 SdK, S. 132. In den „Revisionen“ haben Goodman und Elgin diese Definition wie folgt überarbeitet: „Zwei Charaktere K und K’ sind effektiv differenziert dann und nur dann, wenn sich für jede Marke m, die nicht zu beiden gehört, festlegen läßt, daß m entweder nicht zu K oder daß m nicht zu K’ gehört.“ (RE, S. 167) 83 Vgl. SdK, S. 154ff. bzw. RE, S. 169ff. 84 RE, S. 168. 85 SdK, S. 133 (LA, S. 136) .

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 23: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

30 | Grundlagen

Symbolschemata definieren: Durchgängig kontinuierlich, mithin analog,86 ist ein Schema (symbol scheme) genau dann, wenn die Inskriptionen syntaktisch so dicht geordnet sind, dass sich keine Eindeutigkeit der Typisierung herstellen lässt. In diesem Fall ist die Notationalität des Schemas für Goodman nicht gege-ben, weil die Bedingung der effektiven Differenzierung nicht aufrechterhalten werden kann. Durchgängig dicht kann das Schema also genau dann genannt werden, „[w]enn keine Einfügung weiterer Charaktere an ihrer normalen Stelle auf diese Weise die Dichte zerstört“87. Vor allem die Forderung der effektiven Differenziertheit ist hier verletzt, denn es lassen sich an jeder Stelle weitere Marken einfügen. Umgekehrt betrachtet garantiert aber die Abwesenheit von Dichte noch keine endliche/effektive Differenzierung der Charaktere. Auch kann ein diskontinuierliches Schemas durchaus „lokal undifferenziert“88 sein. Alphabetische, numerische und musikalische Notationen erfüllen jedoch im Allgemeinen diese syntaktischen Forderungen. Sie erfüllen also hinreichende Bedingungen für notationale Schemata.

Darum ging es Goodman schließlich: Für die Unterscheidungen zwischen pikturalen und notationalen Symbolsystemen ist nunmehr ein (logisches) Vo-kabular etabliert, mit dem im Gesamtkontext der Symboltheorie – die Beschrei-bung der verschiedenen Typen von Symbolschemata – ein grundlegender Fort-schritt markiert wird: Schemata (symbol schemes), welche die genannten Bedingungen der syntaktischen Disjunktivität und der syntaktischen endli-chen/effektiven Differenziertheit allesamt erfüllen, sind fortan als digital zu bestimmen, alle anderen damit als mehr oder weniger analog: „[Diese Kriterien] werden uns demgemäß in die Lage versetzen, gewisse kritische Abgrenzungen zwischen Typen von Symbolschemata vorzunehmen.“89

Den Spielraum, mit einem Schema auch in syntaktischer Hinsicht ökono-misch umgehen zu können, eröffnet Goodman schließlich mit seinen Überle-gungen zur Kombinationsfähigkeit von Inskriptionen. Diese schließt aus, Mar-ken im Kontext einer unüberschaubaren Menge von Charakteren typisieren zu müssen:

„In den meisten Symbolschemata [Engl.: symbol schemes, meine Ergänzung] können In-skriptionen in bestimmter Weise kombiniert werden, um andere Inskriptionen zu bilden. Eine Inskription ist atomar, wenn sie keine andere Inskription enthält; andernfalls ist sie zusammengesetzt. […] [B]ei der üblichen alphabetischen Notation zum Beispiel sieht man

|| 86 Vgl. SdK, S. 154ff. bzw. RE, S. 169ff. 87 SdK, S. 133. 88 SdK, S. 134. 89 SdK, S. 137.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 24: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

Der syntaktisch fundierte Schemabegriff: symbol schemes | 31

Buchstaben-Inskriptionen (einschließlich der Leerräume oder Zwischenräume, die Buch-stabenketten voneinander trennen) am besten als atomar an; und Folgen von ihnen – von Zwei-Buchstaben-Inskriptionen bis zu ganzen Diskursen – als zusammengesetzt.“90

Die Kombinationsregeln, die solchen jeweilig atomaren Inskriptionen zugrunde liegen, fußen letztlich wiederum im Gebrauch, der Performanz, und bilden sich ‚in the long run‘ heraus. Im Beispiel der Buchstabenschrift könnte man, als Kontrast, an Kombinationen von Buchstaben denken, die nie oder zumindest selten im Rahmen des allgemeinen Schriftgebrauchs auftreten:

„In praktisch keinem brauchbaren Schema ist jede Summe von Inskriptionen eine Inskrip-tion. Die Einzelinskriptionen müssen in der Beziehung zueinander stehen, die ihnen von den geltenden Kombinationsregeln vorgeschrieben wird. Deshalb bildet selbst dort, wo eine uneingeschränkte Verkettung erlaubt ist, eine Summe von verstreuten Inskriptionen im allgemeinen keine Inskription.“91

Aus der Beschaffenheit der Inskriptionen als Einzelfälle ergibt sich notwendig auch die Beschaffenheit des Charakters als atomar oder zusammengesetzt, wenn wir einen beliebigen Charakter als eine Menge hinreichend ähnlicher, sich syntaktisch äquivalent verhaltender Inskriptionen verstehen wollen. In diesem Zusammenhang müssen sowohl atomare als auch zusammengesetzte Charaktere die syntaktischen Bedingungen für ein notationales Schema (symbol scheme) erfüllen: Die Forderung der Disjunktheit der Charaktere in einer Notati-on darf an keiner Stelle gefährdet sein. Innerhalb des Schemas müssen die In-skriptionen relativ zu diesem (notationalen) Schema diskret festgelegt und in diesem Sinne artikuliert sein. Es muss sich also effektiv bestimmen lassen, ob dieser Tatbestand der Disjunktivität für die Charaktere anhand der einzelnen Inskriptionen in der Praxis „mit den Mitteln erreicht werden, die zur Verfügung stehen und der gegebenen Verwendung des gegebenen Schemas angemessen sind“92 auch erreicht ist.

|| 90 SdK, S. 137 (vgl. LA, S. 141: „In most symbol schemes, inscriptions may be combined in certain ways to make other inscriptions. An inscription is atomic if it contains no other inscrip-tion; otherwise it is compound. […L] etter-inscriptions (including blanks or spaces separating strings of letters) are best taken as atomic; and sequences of these – ranging from two-letter inscriptions up through entire discourses – as compound.“). Das semantische Gegenstück zu compound lautet bei Goodman composite (vgl. LA, S. 147: „‘Composite’ is the semantic coun-terpart of the syntactic term ‘compound’, but the semantic term ‘prime’ [primitiv, vgl. SdK, S. 142] is only partially parallel to the syntactic term ‘atomic’; for while no proper part of an atomic inscription, parts of a prime inscription may have compliants.“) 91 SdK, S. 138. 92 RE, S. 167.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 25: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

32 | Grundlagen

(2) Auf der semantischen Seite gelten für die als notational zu bestimmen-den Arten von Symbolisierung vergleichbare Bedingungen wie auf der syntakti-schen für die Schemata (symbol schemes). Die semantischen Anforderungen an entsprechende Systeme sind also zu den syntaktischen Anforderungen mehr oder weniger analog, „folgen aber nicht aus ihnen“93. Sie können unabhängig voneinander erfüllt sein oder nicht. Grundsätzlich muss, so die Zielsetzung, sich durch ein entsprechendes System Eindeutigkeit – diesmal im Bezug auf die Er-füllungsgegenstände – herstellen lassen. Auch hier hängt die Erfüllungs-beziehung zwischen Schema (symbol scheme) und Erfüllungsgegenstand wiede-rum an der jeweiligen Inskription,94 also der Performanz. Inskriptionen ohne Er-füllungsgegenstände sind vakant; ihre Vakanz berührt jedoch nur den semantischen Gehalt, nicht ihre syntaktische Position in einem Schema (symbol scheme).95 Daher kann das hier vernachlässigt werden.

Eine Marke, die Inskription eines Charakters ist, kann zudem zu verschie-denen Zeiten oder in verschiedenen Kontexten auch verschiedene Erfüllungsge-genstände haben. Goodman nennt diese Inskriptionen dann „ambig“96. Auch die Charaktere sind folglich semantisch ambig, wenn es eine ihrer Inskriptionen ist, und die gemeinsame Erfüllungsklasse aller Inskriptionen eines Charakters kann als die Erfüllungsklasse des gesamten Charakters angesehen werden:97

„Da die Inskriptionen eines eindeutigen Charakters in dieser Weise sowohl semantisch als auch syntaktisch äquivalent sind, können wir in der Tat normalerweise vom Charakter und seiner Erfüllungsklasse sprechen, ohne uns damit zu plagen, zwischen seinen Einzel-fällen zu unterscheiden.“98

Allein in notationalen Systemen ist semantische Äquivalenz der Inskriptionen eine Implikation der syntaktischen. Nur wenn semantische Ambiguität ausge-schlossen ist, können die Inskriptionen als syntaktisch und semantisch äquiva-lent behandelt werden. Umgekehrt gilt dies nicht: Keine semantische Äquiva-lenz impliziert syntaktische. Das bedeutet, Inskriptionen, die dieselben Erfül-lungsklassen haben, können syntaktisch zu verschiedenen Charakteren gehören: „Syntaktische Differenzierung verschwindet nicht durch semantische

|| 93 SdK, S. 146. 94 SdK, S. 140. 95 Vgl. SdK, S. 141. 96 SdK, S. 142. 97 Vgl. SdK, S. 143. 98 SdK, S. 143.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 26: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

Der syntaktisch fundierte Schemabegriff: symbol schemes | 33

Äquivalenz“99. Synonymie kann dafür als Beispiel angeführt werden. Somit sind für notationale Systeme folgende semantischen Forderungen zu formulieren:

(a) Notationssysteme müssen eindeutig, die Beziehung zwischen einem notationalen Schema (symbol scheme) und seinem Erfüllungsgegenstand muss daher invariant sein. Jede ambige Inskription, jeder ambige Charakter, ist in einem notationalen System auszuschließen:

„Das erste semantische Erfordernis für Notationssysteme besteht darin, daß sie eindeutig sein müssen; denn offensichtlich kann der grundlegenden Zielsetzung eines Notations-systems nur dann entsprochen werden, wenn die Erfüllungsklasse invariant ist.“100

(b) Die Erfüllungsklassen (compliance classes) eines notationalen Systems müssen ebenfalls disjunkt (disjoint) sein. Keine Charaktere in einem Schema (symbol scheme) dürfen einen Erfüllungsgegenstand gemeinsam haben.101 Jeder Erfüllungsgegenstand, der von einem Charakter eindeutig denotiert wird, muss von jedem anderen Extensionsbereich eindeutig unterschieden sein. Damit ist jedoch keine Diskretheit der Erfüllungsgegenstände gefordert. Es geht nur um relative Beziehungen zu einem System. Dennoch werden durch dieses Kriterium die meisten Symbolsysteme wie natürliche, diskursive Sprachen für den Status eines notationalen Systems ausgeschlossen, obwohl sie den größten Anteil an der symbolischen Alltagsaktivität haben.

(c) Auch semantisch muss ein notationales System, so die letzte der fünf Be-dingungen, endlich/effektiv differenziert (semantic finite differentiation)102 sein:

„für jeweils zwei Charaktere K und K’, deren Erfüllungsgegenstände nicht identisch sein dürfen, und jedes Objekt h, das nicht beide erfüllt, muß die Feststellung, entweder daß h K nicht erfüllt oder daß h K’ nicht erfüllt, theoretisch möglich sein.“103

Sämtliche syntaktischen wie semantischen Bedingungen sind nach Goodman wie bereits angedeutet grundsätzlich als unabhängig voneinander zu verstehen. Es gibt also Systeme, die eine oder mehrere dieser semantischen oder syntakti-schen Bedingungen nicht erfüllen.104 Anhand dieser ‚Verletzungen‘ lässt sich das betreffende System nunmehr von anderen hinreichend deutlich unterschei-

|| 99 SdK, S. 144. 100 SdK, S. 144 (LA, S. 148). Zur begrifflichen Klärung: ‚complies with‘ bedeutet bei Goodman ‚is denoted by‘, ‚has as compliant‘ bedeutet ‚denotes‘ und die ‚compliance-class‘ ist äquivalent mit der Extension (vgl. LA, S. 144). 101 SdK, S. 147. 102 Vgl. LA, S. 152. 103 SdK, S. 148, vgl. RE, S. 23. 104 Vgl. SdK, S. 151.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 27: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

34 | Grundlagen

den und somit in das Feld zwischen Systemen, die alle genannten Bedingungen erfüllen (notational systems) und solchen, die keine Bedingungen erfüllen (nonnotational systems), einordnen:

„Kurz, die von einem Notationssystem geforderten Eigenschaften sind Eindeutigkeit, syn-taktische und semantische Disjunktivität und Differenzierung. Dies sind keineswegs bloße Empfehlungen für eine gute und nützliche Notation, sondern es sind Merkmale, die notationale Systeme – gute wie schlechte – von nichtnotationalen Systemen unterschei-den.“105

(3) Das Begriffspaar „analog“ (analogs) und „digital“ (digits),106 das bereits angedeutet wurde, ergibt sich aus den rekonstruierten Überlegungen zu Sym-bolschemata (symbol schemes), auf die sich Goodman und Elgin gerade in „Re-visionen“ konzentrieren.107 Beide Begriffe können als zusammenfassende Be-zeichnungen der vor allem, aber nicht nur, syntaktischen Eigenschaften eines bestimmten Systems verstanden werden: „Ein Symbolschema ist analog, wenn es syntaktisch dicht ist; ein System ist analog, wenn es syntaktisch und seman-tisch dicht ist.“108 Analoge Systeme sind also sowohl syntaktisch als auch se-mantisch undifferenziert. Digitale Systeme sind als das entsprechende Gegen-teil effektiv differenziert, ihre Schemata durchgängig diskontinuierlich geordnet. Sämtliche Inskriptionen müssen sich dafür auf ein zugrunde liegen-des Artikulationsschema abbilden lassen.

„Ein digitales Schema […] ist durchgängig diskontinuierlich; und in einem digitalen Sys-tem stehen die Charaktere eines solchen Schemas in einer Eins-zu-eins-Korrelation mit den Erfüllungsklassen einer ähnlich diskontinuierlichen Menge.“109

Ein Schema ist mithin dann digital, wenn je zwei der Charaktere, aus denen es sich zusammensetzt, disjunkt und die Inskriptionen effektiv differenziert sind. Digital und analog sind Prädikate, die jeweils komplette Schemata (symbol schemes) und – logischerweise – nie einzelne Symbole charakterisieren. Jedes analoge Schema kann digitale Subschemata haben, die „aus einer Operation der Eliminierung“110 aus ihm hervorgehen. Ein digitales System kann also durchaus eines sein, das durch künstliche Erzeugung (Tilgung, Gewichtung

|| 105 SdK, S. 151 (LA, S. 156). 106 LA, S. 159ff. (SdK, S. 154ff.) 107 Vgl. RE, S. 169ff. 108 SdK, S. 154. 109 SdK, S. 155, vgl. hierzu RE, S. 169ff. 110 RE, S. 170.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 28: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

Die Umgebung der klassischen Metapher: Sprachliche Systeme als Skripte | 35

usf.) aus einem analogen System hervorgegangen ist.111 Damit lässt sich aus einem analogen Schema mit den geeigneten Mittel durchaus ein digitales (Sub)Schema extrahieren.112 Die meisten Schemata (symbol schemes) lassen sich mehr oder weniger digitalisieren. Mit anderen Worten müssen alle die Charakte-re verbindenden und damit die Disjunktheit gefährdenden Marken – durch Vor-schrift oder ‚Tradition‘ im Gebrauch – ausgeschlossen werden: „Solange sie effektiv differenziert sind und Charaktere ausgeschlossen sind, die irgendwel-che verbindenden Pfade bilden, ist das Schema digital.“113 Ein analoges Schema kann in diesem Sinne viele digitale Subschemata einschließen.

I.5 Die Umgebung der klassischen Metapher: Sprachliche Systeme als Skripte

Im Zusammenhang mit der Rekonstruktion der Definitionen des Schemabegriffs und von Symbolsystemen verdient ein Charakter in den meisten natürlichen und technischen Sprachen besondere Aufmerksamkeit: das Skript. Bei jeder Partitur im Sinne Goodmans sind syntaktische Notationalität und semantische Eindeutigkeit als notwendige Bedingung für die theoretische Funktion der Kon-stitution eines Werkes zu verstehen:

„Eine Partitur definiert, wie wir gesehen haben, ein Werk, ist aber eine besondere und privilegierte Definition außer Konkurrenz. Eine Klasse wird durch eine Partitur ebenso eindeutig bestimmt wie durch eine gewöhnliche Definition; aber im Gegensatz zu einer gewöhnlichen Definition wird eine Partitur auch durch jedes Element dieser Klasse ein-deutig bestimmt.“114

Dabei behandelt Goodman die Partitur vor allem im Hinblick auf Notenwerte und indizierte Tonhöhen als notationales System. Gleiches gilt offenkundig nicht für die (verbalen) Tempoangaben115 u.Ä., denn durch Abweichung von diesen wird die Klasse der die Partitur erfüllenden Aufführungen allgemein nicht verändert. Es macht also in diesem Sinne keinen werkkonstituierenden

|| 111 Vgl. WW, S. 125ff. 112 In diesem Kontext mag man an das Beispiel einer Digitalkamera denken, die bekannter-maßen so verfährt, dass sie einem analogen Bild ein Raster (nämlich die Pixel) auflegt und so – selbst bei hoher Auflösung – einen Prozess der (noch so geringfügigen) Eliminierung durch-führt. 113 RE, S. 170. 114 SdK, S. 170 (LA, S. 178). 115 Vgl. SdK, S. 176 (LA, S. 185)..

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 29: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

36 | Grundlagen

Unterschied, ob ein bestimmtes Werk nun schneller oder langsamer gespielt wird. Es handelt sich immer noch um das Werk, das durch die Partitur eindeutig definiert wird. Tempoangaben usw. sind also für die eigentliche Konstitution des Werkes keine notwendigen Bedingungen. Für die Malerei, um das komple-mentäre Extrem zu nehmen, kann eine solche syntaktisch notationale Struktur sowie semantische Eindeutigkeit durchgängig ausgeschlossen werden:116 Weder die syntaktischen noch die semantischen Bedingungen werden erfüllt. Deswe-gen hat in der Malerei die Unterscheidung zwischen Original und Fälschung eine ästhetische Dimension.117 Das bedeutet, dass der Unterschied zwischen einem Original und einer Fälschung sich zum einen faktisch konstituieren lässt, zum anderen dass das Original in jedem Fall eine höhere Symboldichte hat als jede seiner Fälschungen. Jede seiner Eigenschaften funktioniert potentiell sym-bolisch. Das heißt, in jede Eigenschaft eines Bildes kann eine symbolische Be-deutung hineingelesen werden. Ferner ist hier keinerlei Schematisierung mög-lich, denn für ein Bild gibt es keine ,Partiturlesart‘ oder eine genaue ,Vorschrift‘, gegen die das Bild als Inskription zu prüfen wäre. In diesem Sinne ,sagt‘ ein Bild tatsächlich wesentlich mehr als die berühmten ,tausend Worte‘. Damit ist die ästhetische Dimension eines Bildes, sein Dasein als Symbol, sowohl seman-tisch als auch syntaktisch wesentlich dichter als die eines Musikstückes (so es denn durch eine Partitur definiert ist).

Das Skript markiert nun in etwa den ‚mittleren‘ Fall zwischen Partitur und pikturaler Darstellung:

„Im Gegensatz zu einer Skizze ist ein Skript ein Charakter in einem notationalen Schema und in einer Sprache, aber im Gegensatz zu einer Partitur nicht in einem Notations-system.“118

Dabei versteht Goodman den Begriff in seiner weitesten Extension, sodass da-runter sämtliche – mündliche wie schriftsprachliche – ‚Texte‘ fallen, die in einer gängigen und den Anforderungen der (syntaktischen) Notationalität entspre-chenden Schrift geschrieben oder entsprechenden Sprache artikuliert sind.119 Die meisten Charaktere in technischen oder natürlichen Sprachen sind nach Goodman demnach also Skripte, denn sie erfüllen die syntaktischen Anforde-rungen für Notationalität des Schemas (symbol scheme), nicht aber die semanti-

|| 116 Vgl. SdK, S. 183ff. 117 Vgl. SdK, S. 112ff. 118 SdK, S. 187 (LA, S. 199: „A script […] is a character in a notational scheme and in a lan-guage, but, unlike a score, is not a notational system“.) 119 Einen Medienbegriff thematisiert Goodman nicht. Das ist auch nicht sein Thema (vgl. Kap. II.5).

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 30: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

Die Umgebung der klassischen Metapher: Sprachliche Systeme als Skripte | 37

schen Bedingungen für das System – die Erfüllungsgegenstände sind nicht disjunkt und nicht effektiv differenziert:

„Ferner wird ein Notationssystem im Gegensatz zu einer diskursiven Sprache demgemäß nicht durch irgendeinen Nobilitätsunterschied zwischen verschiedenen Möglichkeiten, ein Objekt zu klassifizieren, gestört. […] Alle Etikette für ein Objekt haben dieselbe Erfül-lungsklasse.“120

Die Tatsache, dass sich beispielsweise der Text121 dieser Abhandlung im Sinne einer Partiturlesart eindeutig (er)lesen lässt, gibt zwar per se keine Auskunft über ihre Bedeutung, stellt aber – darauf kommt es an – ihre Identität in der Selbigkeit des Buchstabierens sicher. Die Zuordnung von Erfüllungsgegenstän-den ist hingegen immer von Interpretationskontexten abhängig und damit sel-ten eindeutig. Das unterscheidet jede diskursive Sprache also hinreichend deut-lich von einer Notation. Die Zuweisung der Bedeutung, die Anwendung des Schemas auf Erfüllungsgegenstände in einer Sphäre, basiert auf mehr oder weniger routinemäßiger Projektion.122 In der natürlichen, diskursiven Sprache lernt folglich niemand Bedeutungen wie einen Code, weil es aufgrund ihrer symbolsystematischen Anlage nicht möglich ist. Den Wörtern wird ihre Bedeu-tung stets erst im Zusammenhang mit ihrem nach und nach zu entwickelnden und ge- oder misslingenden Gebrauch,123 das heißt der Zuordnung von Erfül-lungsgegenständen, in einer kommunikativen sozialen Praxis, also jede indivi-duellen Sprech- oder Schreibhandlung, gegeben. Dieses Verfahren kann freilich aus diesem Grunde auch zu erheblichen Missverständnissen bzw. dem Misslin-gen von ganzen Sprechakten führen, wie etwa John L. Austin124 ausführlich

|| 120 SdK, S. 191 (LA, S. 200). 121 Genauer gilt das Folgende für die Textur: Textur ist das, was gelesen wird. Der Text hinge-gen ist dasjenige, was lesend erzeugt wird (vgl. Christian Stetter: Schrift und Sprache – 1. Auflage, Frankfurt/M.: Suhrkamp (stw 1415) 1999, S. 294ff). 122 Vgl. SdK, S. 189f. Dabei gilt Projizierbarkeit in zweifacher Hinsicht: Zum einen müssen wir auf der syntaktischen Seite lernen, Marken als Inskriptionen eines Charakters zu betrachten. Zum anderen müssen wir die Inskriptionen auf Erfüllungsgegenstände in einem Bezugnahme-gebiet anwenden und hier aus einer „Auswahl aus zahllosen Alternativen“ (SdK, S. 190) wäh-len. Diese Schwierigkeit der diskursiven Sprachen würde sich in einem notationalen System nicht ergeben (können): „Hier ist nichts eine Probe von mehr als einer Erfüllungsklasse, nichts erfüllt zwei Charaktere, die nicht koextensiv sind“ (SdK, S. 190). 123 In diesem Sinne erwerben wir die Muttersprache. Eine Fremdsprache wird im Gegensatz dazu meist mit den entsprechenden Hilfsverfahren erlernt. 124 Vgl. John L. Austin: Zur Theorie der Sprechakte (How to do things with words) – Deutsche Bearbeitung von Eike von Savigny, 2. Auflage, Stuttgart: Reclam (RUB 9396) 1972, zum Beispiel S. 35ff. Austin selbst hat die figurative Rede jedoch in seiner Theorie vernachlässigt, was bis-

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 31: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

38 | Grundlagen

gezeigt hat: Es muss beispielsweise ein „übliches konventionelles Verfahren“ geben, in dem bestimmte Wörter geäußert werden, die betroffenen Personen müssen in dieses Verfahren passen, das Verfahren muss „korrekt und vollstän-dig“ durchgeführt werden, man muss „Meinungen und Gefühle wirklich ha-ben“, und letztlich müssen sich die Teilnehmer an einem sprachlichen Akt auch „so verhalten“125. Dem vorgeschaltet ist bei Austin die Lokution, die „gesamte Handlung, »etwas zu sagen«“126. An diese ist gleichzeitig die Illokution gebun-den. Diese besteht beispielsweise darin, eine Frage zu stellen oder zu beantwor-ten, ein Urteil zu fällen usw.127 Die ,Reaktion‘ des Gegenüber bezeichnet Austin als Perlokution,128 und auch die ist per se an den Sprechakt gebunden.

Auf der syntaktischen Seite sind dem Buchstabenschema jedoch die Modi der doppelten Artikulation129 im Mündlichen sowie des Alphabets, des Wörter-buchs usw. im Literalen beigeordnet: Jede Marke lässt sich gegen diese Artikula-tionsschemata prüfen. „Der Text eines Gedichts, eines Romans oder einer Bio-graphie ist [jedoch] ein Charakter in einem Notationsschema“130. Da die Textur Arten von Äußerungen als ‚Erfüllungsgegenstände‘ hat, ist sie – weil sie ge-schrieben und damit zumindest hinreichend digital organisiert ist – laut Good-man einem ‚notationaleren‘ System zuzuordnen als eine gesprochene Äuße-rung.131 Die Beziehung zwischen einem geschriebenen Text und einer artikulier-ten, oralen Äußerung ist jedoch keineswegs asymmetrisch, sodass das Verhältnis zwischen den beiden auch umgekehrt betrachtet werden kann: Der (geschriebene) Text wäre auch ein ‚Erfüllungsgegenstand‘ der Äußerung. Die

|| weilen auch kritisiert worden ist (vgl. Ted Cohen: Figurative Rede und figurative Akte – In: Anselm Haverkamp (Hrsg.): Die paradoxe Metapher – 1. Auflage. Frankfurt/M.: Suhrkamp (Edition Suhrkamp 1940) 1998, S. 29‒48). 125 Alle Zitate aus John L. Austin: Zur Theorie der Sprechakte – [a.a.O.] S. 37. 126 Vgl. ebd. S. 112. 127 Vgl. ebd. S. 116. 128 Vgl. ebd. S. 118. 129 Vgl. Christian Stetter: System und Performanz – [a.a.O.], S. 226ff. Für jede semantisch relevante Artikulation muss eine subsemantische Ebene angenommen werden. Es muss also Elemente geben, die an sich keine bedeutungstragenden, sondern allein bedeutungsunter-scheidende Funktion haben (Phoneme). Diese lassen sich über Minimalpaarbildung herausfil-tern. Ein Beispiel wäre die Gegenüberstellung von „Ball“ und „Fall“. Die beiden einleitenden Laute haben an sich keine Bedeutung, differenzieren aber sehr wohl die Bedeutung der beiden Wortlaute. Hier handelt es sich freilich nicht um die Buchstaben, denn die spielen in der Münd-lichkeit keine bzw. nur eine nachgeordnete Rolle. 130 SdK, S. 195. 131 Goodmans Ansatz ist selbstredend kein linguistischer, sondern ein philosophischer. Aus dieser Perspektive ist das Problem von Mündlichkeit und Schriftlichkeit für ihn, wenn über-haupt, dann nur am Rande seiner Argumentation zu thematisieren.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 32: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

Die Umgebung der klassischen Metapher: Sprachliche Systeme als Skripte | 39

Denotationsrichtung ist somit nicht eindeutig zu bestimmen. Der geschriebene Text kann also – das ist der wesentliche Punkt – nicht als eine ‚Partitur‘ der Äußerung verstanden werden und umgekehrt. Vielmehr handelt es sich hier um ein Kohabitationsverhältnis132 von Text und Äußerung – in Kombination mit einem Wechsel des Mediums. Weder der Text noch die Äußerung sind dabei als ‚Resultate‘ anzusehen. Genau an dieser Stelle unterscheiden sich Sprache und Musik klar voneinander, in der die Aufführungen eines bestimmten Stücks auf der Basis einer Partitur tatsächlich den Status des „Endprodukte[s]“133 haben. Nach Goodman ist ein Charakter in einer Sprache letztlich so zu verstehen, dass er (orale) Äußerungen und (schriftliche) Inskriptionen gleichermaßen umfassen kann.134 Vieldeutig bleibt letztlich nur, welche Erfüllungsgegenstände der Text haben soll. Daher behandelt ihn Goodman als Skript und nicht als Partitur.

„Ein Skript unterscheidet sich also von einer Partitur nicht darin, daß es verbal, deklarativ oder denotational ist oder ein spezielles Verstehen erfordert, sondern einfach darin, daß es ein Charakter in einer Sprache ist, die entweder ambig ist oder der die semantische Disjunktivität oder Differenzierung fehlt.“135

Weil der Text selbst als Inskription auch Charakter in einem Notationsschema ist, lassen sich einige Dinge für die folgenden Überlegungen festhalten: Ein literarisches Werk ist nicht die Erfüllungsklasse eines Textes, sondern die Tex-tur selber. Unter einer Textur ist dasjenige zu verstehen, was auf Papier ge-schrieben steht und sich in „standardisierte Elemente“136 zerlegt wird. Diese besteht aus artikulierten Inskriptionen, die zu syntaktisch disjunkten und end-lich differenzierbaren Charakteren gehören.137 Damit sind sowohl „Identität der Sprache als auch syntaktische Identität innerhalb der Sprache“138 notwendige Bedingungen für die ästhetische Identität zweier Werke.139 Das heißt nicht, dass die Textur nicht größer beziehungsweise kleiner gedruckt, mit der Hand ge-schrieben oder sonstwie ins Werk gesetzt sein könnte. Dieses sind hier – anders als im Pikturalen – keine signifikant symbolischen Eigenschaften des Schemas. Besonders im Bereich der Alltagssprache (technisch-notational oder natürlich-diskursiv) erhalten diese syntaktischen Eigenschaften des Schemas eine bemer-

|| 132 Vgl. Christian Stetter: Schrift und Sprache – [a.a.O.] S. 9ff. 133 Zumindest gilt dies für Nelson Goodman (vgl. SdK, S. 195). 134 Vgl. hierzu SdK, S. 222. 135 SdK, S. 189 (LA, S. 201). 136 Vgl. Christian Stetter: Schrift und Sprache – [a.a.O.] S. 186. 137 Vgl. SdK, S. 196. 138 SdK, S. 196. 139 Das theoretische Problem von Übersetzungen blende ich hier aus.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 33: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

40 | Grundlagen

kenswerte Stellung, die ebenfalls eine wesentliche Grundlage für die weiteren Überlegungen bezüglich der systematischen Bedeutung von Goodmans Meta-pherntheorie liefert.

„Wir haben gesehen, daß eine Musikpartitur in einer Notation festgehalten wird und ein Werk definiert; daß eine Skizze oder ein Bild nicht in einer Notation festgehalten, sondern selbst ein Werk ist; und daß ein literarisches Skript sowohl in einer Notation festgehalten als auch selbst ein Werk ist. Also wird in den verschiedenen Künsten ein Werk unter-schiedlich lokalisiert.“140

Abbildungen, so lautet Goodmans zu Beginn von „Sprachen der Kunst“ formu-lierte Problemstellung, unterscheiden sich demnach nicht dadurch von Be-schreibungen, dass sie dem Abgebildeten ähnlich usw. sind, sondern allein dadurch, dass als Charaktere sie zu Schemata (symbol schemes) gehören, deren Marken dicht geordnet sind und die nicht typisiert, also nicht als Inskriptionen diesen bestimmten Charakteren zugeordnet werden können: „Wörter sind nur dann konventioneller als Bilder, wenn Konventionalität mit Hilfe von Differenz und nicht so sehr mit Hilfe von Artifizialität konstruiert wird“141. Kunst und Wissenschaft sind einander merklich, aber deswegen nicht völlig fremd:

„Der Unterschied zwischen Kunst und Wissenschaft ist nicht der zwischen Gefühl und Tatsache, Eingebung und Folgerung, Freude und Überlegung, Synthese und Analyse, Empfindung und Reflexion, Konkretheit und Abstraktheit, Passio und Actio, Mittelbarkeit und Unmittelbarkeit oder Wahrheit und Schönheit, sondern eher ein Unterschied in der Dominanz bestimmter spezifischer Charakteristika von Symbolen.“142

Goodman fehlte allerdings bis zu diesem Punkt – den Überlegungen zur Nota-tionstheorie – das von der Syntax ausgehende Vokabular, solche Systeme mit Hilfe von trennscharfen Unterscheidungen hinreichend genau beschreiben zu können.

Die Frage, die es nun zu beantworten gilt, lautet, wie eine sprachliche Äu-ßerung zu ihrer (buchstäblichen) Bedeutung kommt. Da das Erwerben jeder Sprache mit einer sozialen Praxis verbunden ist, kann – zumindest für das hier

|| 140 SdK, S. 197 (LA, S. 210) Einen besonderen Fall markiert der Text eines Dramas, dessen Er-füllungsklasse tatsächlich – wie in der Musik – eine Klasse von Aufführungen ist. Allerdings gilt das nur für den Text, den die Schauspieler zu sprechen haben, die Bühnenanweisungen sind weiterhin als Skripte zu verstehen. Auf Tanz und Architektur möchte ich an dieser Stelle nicht eingehen (vgl. hierzu: SdK, S. 198‒207). 141 SdK, S. 214. 142 SdK, S. 243 (LA, S. 264). Wer Kunst und Wissenschaft in Gegensatz zueinander stelle, der verkenne und vergewaltige beide, sagt Goodman an anderer Stelle (vgl. MM, S. 18).

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 34: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

Goodmans Metapherntheorie | 41

verfolgte Ziel – zunächst davon ausgegangen werden, dass die buchstäbliche Dimension der Sprache, die routinemäßige Projektion auf Erfüllungsgegenstän-de, einem Muttersprachler durch seinen individuellen Spracherwerb mehr oder weniger ohne Schwierigkeiten – und daher eben eher selten reflektiert – zur Verfügung steht: Er ,weiß‘, was ein Wort oder eine Äußerung ‚bedeuten‘. Das macht seine Sprachkompetenz143 aus, ohne dass er diese genauer beschreiben könnte und müsste. „Bei diskursiven Sprachen müssen weitere und größere projektive Entscheidungen getroffen werden“144 als allein die, zu welchen Cha-rakteren die Marken als Inskriptionsproben gehören. Jedoch sind ist ein Mutter-sprachler im Zweifelsfall mit der Heimatsphäre eines Schemas so vertraut, dass er weiß, wovon die Rede ist. Das ist Basis unseres symbolischen Agierens in der Alltagspraxis und damit eine Weise seiner Welterzeugung.

I.6 Goodmans Metapherntheorie

Die Überlegungen zum Schemabegriff (schema) und dessen Differenzierungen haben Goodman auf direktem Wege zur Metaphernthematik geführt.145 Aus (sprach)philosophischer Perspektive ist diesbezüglich zu fragen, warum ein Etikett sehr wohl dieses oder jenes bezeichnen kann, das buchstäblich kein Er-füllungsgegenstand des Etiketts ist. Das alles klingt zunächst nach einer klassi-schen Fehlzuordnung, einer falschen Etikettierung, die sich aber – wie sich noch im Detail noch zeigen wird146 – durchgängig durch das System der Sprache zieht. Dementsprechend führt, insbesondere für die Sprachphilosophie und Er-kenntnistheorie, offenkundig kein Weg daran vorbei, sich mit dem Phänomen der Metaphernbildung grundlegend auseinanderzusetzen: Ziel des im Rahmen dieser Arbeit zu entwickelnden Gedankengangs ist es, zu zeigen, dass gerade das Verfahren der Metaphernbildung ein besonderes Verfahren bezeichnet, wenn es um die Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis147 geht.

Wenn Symbolisierung allgemein als etwas Faktisches verstanden wird, dann ist im Rahmen des Faktischen ebenso davon auszugehen, dass es buch-

|| 143 Dem Begriff der Sprachkompetenz werde ich mich noch ausführlicher zuwenden (vgl. Kap. III). 144 Vgl. SdK, S. 190. 145 Im Bezug auf symbol schemes diskutiert Goodman die Metaphernproblematik nicht, da er von einem Begriffsschema ausgeht, das übertragen wird. 146 Vgl. Kap. II.3. 147 Dass die Metapher dabei eine besondere Rolle spielt, wird später noch ausführlicher zu thematisieren sein (vgl. Kap. IV).

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 35: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

42 | Grundlagen

stäbliche und ,übertragene‘ Zuordnungen von Symbolschemata und entspre-chenden Erfüllungsgegenständen gibt, denn beides findet sich im alltäglichen Umgang mit einem Symbolsystem ,gleichberechtigt‘ nebeneinander statt. Good-mans Beispiel lautet folgendermaßen:

„Ein Bild traurig zu nennen und es grau zu nennen stellen einfach verschiedene Weisen dar, es zu klassifizieren. Das heißt, auch wenn ein Prädikat, das auf einen Gegenstand me-taphorisch zutrifft, nicht buchstäblich zutrifft, so trifft es doch nichtsdestoweniger zu.“148

Im hier zu entwickelnden Zusammenhang wird der figurative Gebrauch von Etiketten sogar im systematischen Kern einer allgemeinen Symboltheorie zu sehen sein: Gerade die Metapher wird sich als ein wesentliches Verfahren im flexiblen und geschmeidigen Umgang mit sprachlichen Systemen begreifen lassen. Dafür muss das Symbolsystem, dessen Etiketten für eine metaphorische Verwendungsweise in Frage kommen, zunächst einmal bestimmte syntaktische Eigenschaften aufweisen, die sich wesentlich an denen des im Gebrauch befind-lichen Schemas (symbol scheme) festmachen. Diese syntaktischen Merkmale des Schemas werden die wesentliche Grundlage für jede aussagekräftige Meta-pherndiskussion liefern müssen.149 Diese symboltheoretischen Überlegungen rücken insbesondere sprachliche Systeme als Ort für Metaphern in den Fokus, denn hier sind die Bedeutungen in ihrem Gebrauch gerade noch so differen-ziert, dass sie sich auf Basis einer sozialen Praxis kommunizieren lassen – aber keineswegs so, dass sie eine Bedeutung im Sinne einer eindeutigen Definition liefern würden. Diskursive sprachliche Systeme sind stets mehr oder weniger ambig.

Zunächst sind dazu Goodmans Überlegungen zum Figurativen zu rekon-struieren: In seiner Annäherung an das Metaphernthema geht Goodman wiede-rum von einer pikturalen Darstellung aus, also einem weder syntaktisch noch semantisch eindeutigen System: Sein Beispiel ist ein „in Grautönen gemaltes Bild mit Bäumen“. Es erscheint unmittelbar einsichtig, was das Bild darstellt bzw., genauer ausgedrückt, denotiert150 – nämlich Bäume. Selbst wenn man den

|| 148 SdK, S. 73 (LA, S. 69). 149 Vgl. Anselm Haverkamp u.a. (Hrsg.): Die Theorie der Metapher, Darmstadt: Wissenschaft-liche Buchgesellschaft 1983, S. 19ff. 150 Dieser Ansatz reicht allerdings nur für die jetzigen, grundsätzlichen Überlegungen. Frei-lich sind auch gegen diesen Ansatz Bedenken geäußert worden (vgl. Jens Kulenkampff: Sind Bilder Zeichen? – In: Jakob Steinbrenner (u.a.): Symbole, Systeme, Welten. Studien zur Philo-sophie Nelson Goodmans – Reihe: Philosophische Impulse. Herausgegeben von Felix Mühl-hölzer (u.a.). Heidelberg: Synchron 2005, S. 185‒202).

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 36: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

Goodmans Metapherntheorie | 43

problematischen Begriff der Ähnlichkeit151 des Darstellenden mit dem Darge-stellten nicht bemühen möchte, kann man doch nicht umhin festzustellen, dass sich dieser ‚Inhalt‘ des Bildes jedem Betrachter ohne größere Schwierigkeiten erschließt. Diese Unvermitteltheit des Pikturalen wird treffend als eine „seman-tische Anomalie des Bildes“152 beschrieben, eine Art von Unmittelbarkeit, die jede pikturale Darstellung vor allen anderen Arten der Darstellung auszeichnet.

Zudem hat das Bild153 aus dem oben genannten Beispiel weitere Eigenschaf-ten, etwa die des Grauseins – und weist diese ebenfalls vor. Das Bild exemplifi-ziert also auf diese Weise bestimmte Etiketten, und zwar buchstäblich. Gleich-zeitig kann jedoch mit der nahezu gleichen Selbstverständlichkeit behauptet werden, dass das Bild ,traurig‘ ist bzw. dass es eine Art von Trauer oder Melan-cholie zum Ausdruck bringt. Welcher Art ist aber die logische Beziehung zu dem, was das Bild ausdrückt und was damit offenkundig einen ebenso wesent-lichen Teil seiner Symbolfunktion ausmacht?154

Was ein Bild zum Ausdruck bringt, hat, so Goodmans Erklärung, mit dessen figurativem und nicht buchstäblichem Besitz zu tun, denn das genannte Bild besitzt sicher nicht in gleicher Weise die Eigenschaften, die es zum Ausdruck bringt (Traurigkeit, Melancholie usw.) wie die, die es buchstäblich exemplifi-ziert (als Einzelfall zum Beispiel bestimmter Grautöne). Und dennoch ‚exempli-fiziert‘ es diese Eigenschaften ohne Zweifel, bringt sie für den Betrachter, im Einzelfall mehr oder weniger deutlich, zum Ausdruck. Mit diesem figurativen Vorweisen ist das Verfahren der Metaphernbildung unmittelbar angesprochen. Vor allem die exemplifizierende Richtung der Bezugnahme spielt also eine wichtige Rolle. Das genau ist die Dimension, die Goodman der traditionellen Sichtweise der Metapherndiskussion hinzufügt: Die metaphorische Denotation – vornehmlich traditionelle Grundlage jeder klassischen Metapherntheorie155 – handelt er relativ zügig ab.156 Vielmehr muss der Ausdruck eines Bildes etwas mit der exemplifizierenden Richtung dieser Bezugnahme zu tun haben. Damit kehrt Goodman die traditionelle Sichtweise der Metaphernbildung um und ergänzt so eine notwendige Sichtweise auf das eigentliche Problem. Denn nicht

|| 151 Zur Diskussion des Ähnlichkeitsbegriffs und dessen Rehabilitation vgl. Klaus Sachs-Hombach: Über Sinn und Reichweite der Ähnlichkeitstheorie – In: Jakob Steinbrenner u.a.: Symbole, Systeme, Welten [a.a.O.] S. 203‒225. 152 Vgl. ebd. S. 210. 153 Dies gilt natürlich nicht für den Rahmen usw. Diese Diskussion möchte ich hier aus Grün-den der Übersichtlichkeit ausblenden. 154 Vgl. SdK, S. 56ff. 155 Vgl. Kap. II.7. 156 Vgl. SdK, S. 74ff.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 37: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

44 | Grundlagen

allein das Etikett muss auf den Erfüllungsgegenstand – wenn auch im übertra-genen Sinne – zutreffen, der Erfüllungsgegenstand muss auch gewisse Eigen-schaften haben, die das Etikett buchstäblich denotiert. Nur so kommt eine Meta-pher zu ihrer ,Schlagkraft‘. Exemplifikation ist nach Goodman als „Besitz plus Bezugnahme“157 charakterisiert, und „[w]ährend alles denotiert werden kann, können nur Etiketten exemplifiziert werden“158. Was als Etikett behandelt wird, hängt davon ab, welches Symbolsystem gerade im Gebrauch ist.

„[Ein] Bild exemplifiziert »traurig« metaphorisch, wenn das Bild auf »traurig« Bezug nimmt und »traurig« das Bild metaphorisch denotiert. Und das Bild exemplifiziert Trau-rigkeit metaphorisch, wenn das Bild auf ein Etikett Bezug nimmt, das mit »traurig« koextensiv ist und das Bild metaphorisch denotiert.“159

In symboltheoretischer Hinsicht sind die Merkmale, die den Bereich des Buch-stäblichen von dem des Metaphorischen unterscheiden, zunächst einmal „flüchtig“160. Sie sind noch weniger eindeutig als die buchstäbliche Dimension und damit mehr als ein Wertesystem zu verstehen, innerhalb dessen die buch-stäbliche Dimension nur deswegen gefestigt ist, weil sie in unserem Symbolge-brauch besser verankert, häufiger tatsächlich fortgesetzt, ist als andere.161

Der wesentliche Aspekt, auf den es im Rahmen der Überlegungen zum sys-tematischen Stellenwert der Metapherndiskussion in einer allgemeinen Symbol-theorie ankommt, wird die Untersuchung der syntaktischen Fundierung der übertragenen Wortbedeutung im Verfahren der Metaphernbildung auf der Basis des im Gebrauch befindlichen Schemas (symbol scheme) sein. Jede metaphori-sche Verwendung eines Etiketts exemplifiziert nach Goodman „erworbenes Eigentum“162, und erworben wird dieses Eigentum in Anlehnung an die buch-stäbliche Extension eines Schemas in seiner Heimatsphäre. Solche Eigenschaf-ten sind also „metaphorische Importe“163. Die Frage ist, wie diese ‚Anlehnung‘ des metaphorischen an den buchstäblichen Gebrauch zu verstehen ist. Vieles

|| 157 SdK, S. 60 (LA, S. 53). 158 SdK, S. 63. 159 SdK, S. 88. 160 SdK, S. 88. 161 Diesen Sachverhalt diskutiert Goodman im Rahmen seiner Überlegungen zu einer Neufas-sung des Induktionsproblems (vgl. Nelson Goodman: Tatsache, Fiktion, Voraussage – Aus dem Englischen von Hermann Vetter, 1. Auflage, Frankfurt/M.: Suhrkamp 1975, S. 81ff. [folgend zitiert als FFF]). Auf diesen Sachverhalt werde ich später zurückkommen (vgl. Kap. IV.1 und IV.2). 162 SdK, S. 89. 163 SdK, S. 89.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 38: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

Goodmans Metapherntheorie | 45

kann metaphorisch denotiert werden, aber „ein Ding [kann] nur ausdrücken, was zu ihm gehört, aber nicht ursprünglich zu ihm gehörte“164. Diese Funktion hat den Sinn des Zeigens und Vorweisens auf eine bestimmte Weise, in einer bestimmten Hinsicht. Damit wird eine bestimmte Gewichtung vorgenommen – und die gehört bekanntlich zu den Weisen der Welterzeugung.165 Zur Erinne-rung: Jedes „Erschaffen ist ein Umschaffen“166, und dieses Umschaffen ge-schieht jeweils in der Etablierung von Klassen, die „jedoch unterschiedlich in relevante und irrelevante Arten eingeteilt werden“167. Es geht bei der Gewich-tung nicht allein um die Etablierung von Klassen, sondern vielmehr um „den Akzent, der auf verschiedene Aspekte gelegt wird“168.

Viele der bereits rekonstruierten Überlegungen werden die symboltheore-tisch so zentrale Funktion von Metaphern verdeutlichen, die bislang deswegen nur aus einer eingeschränkten Sicht in den Fokus der Überlegungen treten konnten, weil ein entsprechendes Vokabular fehlte. Einige Gründe für das bis-herige Fehlen eines solchen Vokabulars liefern

„erstens die extremen Mehrdeutigkeiten und Unbeständigkeiten des normalen Gebrauchs; zweitens die große Vielfalt von Etiketten, die auf jeden beliebigen Gegenstand zutreffen; drittens, daß die Anwendung eines Etiketts mit der Menge der in Frage kommenden Alter-nativen variiert; viertens die verschiedenen Bezugsobjekte, die demselben Schema unter verschiedenen symbolischen Systemen zugewiesen werden; fünftens die Vielfalt meta-phorischer Anwendungen, die ein Schema mit einer einzigen buchstäblichen Anwendung auf eine einzige Sphäre unter verschiedenen Typen und Wegen des Transfers haben kann; und schließlich ebenjene Neuheit und Instabilität, die die Metapher ausmacht.“169

Für all dieses muss mit Goodman grundsätzlich der extensionale Kern aller Symbolisierung betrachtet werden – die Bezugnahme. Das gilt sowohl für buch-stäbliche Verwendungen von Etiketten als auch figurative. Auf dieser Basis bekommt das figurative Denken neben dem buchstäblichen seinen festen – weil ebenso im Faktischen verankerten – Platz. Die Metapher erscheint folglich als eine „ökonomische, praktische und kreative Möglichkeit des Sprachgebrauchs. Bei der Metapher gehen die Symbole einer Nebenbeschäftigung nach“170.

|| 164 SdK, S. 92. 165 Vgl. WW, S. 23ff. Weitere ,Weisen‘, Welten zu erzeugen sind Komposition, Dekomposition, Ordnung, Tilgung und Ergänzung und Deformation. 166 WW, S. 19. 167 WW, S. 23. 168 WW, S. 24. 169 SdK, S. 96. 170 MM, S. 115.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 39: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

46 | Grundlagen

Im Folgenden wird dem Verfahren der Metaphernbildung in sprachlichen Systemen nachgegangen, und dabei stellt sich auch die Frage, warum die Meta-phernproblematik gerade im Zusammenhang mit diesen, wie gesehen, in eini-gen Hinsichten besonderen Systemen abgehandelt wird. Bei der Beantwortung dieser Frage ist herauszuarbeiten werden, worin die ‚Nebenbeschäftigung‘ der Symbole eigentlich besteht. Dazu muss zunächst untersucht werden, was den buchstäblichen vom metaphorischen Gebrauch eines sprachlichen Etiketts unterscheidet.

Ein erstes und recht naheliegendes Unterscheidungskriterium zwischen dem buchstäblichen und metaphorischen Gebrauch des Etiketts ist die Neuheit des Zutreffens auf einen Gegenstand in einem an sich fremden Bezugnahmege-biet. Die metaphorische Verwendung eines Etiketts bleibt im buchstäblichen Gebrauch fundiert, ist sich aber von einer einfach neuen Anwendung zu unter-scheiden:

„Bloße Neuheit macht jedoch nicht den ganzen Unterschied aus. Jedes Zutreffen eines Prädikats auf ein neues Ereignis oder einen neu gefundenen Gegenstand ist neu; aber eine derartige routinemäßige Projektion begründet noch keine Metapher.“171

Mit einer Metapher werden nicht allein neue, sondern fremde Bezugnahmege-biete – und das jeweils auch in einer ganz bestimmten Perspektive – erschlos-sen und das Etikett nicht einfach auf einen nicht entschiedenen Fall angewen-det. Zu unterscheiden ist die Metapher daher von Katachrese172, Synekdoche173 und vergleichbaren Tropen der rhetorischen Tradition, die zwar eine Nähe zur Metapher haben, aber nunmehr strikt von der hier vorgestellten und noch de-tailliert vorzustellenden Metapherndefinition unterschieden werden müssen.174

Die nächste Frage lautet: Was macht die Bezeichnung eines Gegenstands in einer ‚fremden‘ Sphäre durch ein bereits in einem anderen Kontext etabliertes

|| 171 SdK, S. 74 (LA, S. 69). Auf den Begriff der „routinemäßigen Projektion“ ist natürlich noch ausführlich zurückzukommen (vgl. Kap. IV.1 und IV.2) . 172 Vgl. hierzu die Unterscheidungskriterien in Patricia Parker: Metapher und Katachrese – In: Anselm Haverkamp (Hrsg.): Die paradoxe Metapher – 1. Auflage, Frankfurt/M.: Suhrkamp (Edition Suhrkamp 1940) 1998, S. 312‒331, hier: S. 314: „[…D]enn um Katachrese [abusio] han-delt es sich da, wo eine Benennung fehlte, um Metapher [translatio], wo sie eine andere war“. 173 Unter Synekdoche ist die Bezeichnung eines Ganzen durch einen Teil oder umgekehrt zu verstehen. Dass es sich hier nicht um eine Metapher handelt, zeigt sich darin, dass Goodmans Kategorieren des Widerstands und der Neuzuordnung hier nicht gegeben sind. 174 Wenn die These, dass die Metapher ein zentrales Verfahren des Sprachsystems ist, stimmt, dann muss der Begriff der Metapher anderen klassischen Tropen übergeordnet sein.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 40: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

Goodmans Metapherntheorie | 47

Etikett, mit anderen Worten dessen „Anwendung auf neuartige Weise“175 neben der Neuheit des Zutreffens zusätzlich aus? Zunächst weist Goodman zwar da-rauf hin, dass jede Metapher ein neues ,Kunststück‘ eines bereits etablierten Wort ist („Eine Metapher […] muß einem alten Wort neue Tricks beibringen – muß ein altes Etikett auf eine neue Weise anwenden können.“176). Aber im Ge-gensatz zur routinemäßigen Projektion, also der Anwendung auf einen jeweils „nicht entschiedenen Fall“177, setzt die metaphorische Anwendung auf das je betroffene Objekt auch eine Art von expliziter oder impliziter Ablehnung voraus („Aber die metaphorische Anwendung eines Etiketts auf einen Gegenstand setzt sich über eine explizite oder stillschweigende frühere Ablehnung dieses Etiketts für diesen Gegenstand hinweg.“178). Diese Ablehnung ist also der zweite wesent-liche Aspekt für eine metaphorische Verwendung eines Schemas (schema), denn eigentlich ‚passt‘ dieses Etikett nicht auf die Sphäre.

Erst in diesem Zusammenhang zeigt sich die Metapher als „Affäre“ – Good-mans berühmte Metapher für die Metapher – zwischen einem Prädikat mit einer Vergangenheit und einem sich nur unter Protest hingebendem Objekt („Affäre zwischen einem Prädikat mit Vergangenheit und einem Gegenstand, der sich unter Protest hingibt“179). Der inhaltliche Schwerpunkt dieser folgenreichen Formulierung liegt demnach auf dem Protest, unter dem sich der Gegenstand unter das Etikett ordnet. So metaphorisch die zitierte Beschreibung selbst auch ist, sie gibt deutlich – und zwar selbst auf eine exemplifizierende Art – Aspekte des zu Untersuchenden zu erkennen: In dieser Formulierung macht die meta-phorische Verwendung des Etiketts „Affäre“, an welcher die Metaphorizität der Aussage offenkundig verankert ist, das Verfahren selbst deutlich: Durch diese neue, dem üblichen Gebrauch widersprechende Verwendung entsteht eine Art von Verwandtschaft über die Sphären hinweg, die etwas auf eine neuartige Weise greifbar werden lässt: „Nun zieht eine Metapher typischerweise nicht nur einen Wechsel des Bereichs, sondern auch der Sphäre nach sich.“180 Da jedes syntaktisch als Schema (symbol scheme) fundierte Etikett nur in einem Schema (schema) aus Alternativen seine Bedeutung hat, werden implizit Etikette des gebrauchten Schemas mit einem neuen, sich nur unter Protest hingebenden Be-zugnahmegebiet verbunden:

|| 175 SdK, S. 74. 176 SdK, S. 74 (LA, S. 69). 177 SdK, S. 74. 178 SdK, S. 74 (LA, S. 69). 179 SdK, S. 74 (LA, S. 69). 180 SdK, S. 76 (LA, S. 72). Unter dem Bereich des Etiketts »rot« versteht Goodman die Menge der roten Gegenstände, unter der Sphäre die Menge der farbigen Dinge.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 41: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

48 | Grundlagen

„Eher wird eine Menge von Ausdrücken, von alternativen Etiketten, transportiert; und die Organisation, die sie in der fremden Sphäre bewirken, steht unter der Leitung ihres ge-wohnheitsmäßigen Gebrauchs in der heimatlichen Sphäre.“181

Mit der Verwendung dieser Metapher kann also die Beziehung zwischen einem „Prädikat mit Vergangenheit“ und dem „Gegenstand, der sich unter Protest hingibt“ auch im strengen Sinn des Wortes als Bild beschrieben werden, ohne sie genauer buchstäblich bestimmen zu können. Man sucht mit bekannten, syn-taktisch differenzierten und damit handhabbaren Mitteln nach einer neuartigen Darstellungs- und Sichtweise, nicht aber nach einer neuen Darstellung. Die Bezeichnungen treffen ja nicht buchstäblich, sondern figurativ zu. Somit kann – paradigmatisch hier vorgeführt – mit der Ins-Werk-Setzung einer Analogie et-was Bestimmtes exemplifizierend zum Ausdruck gebracht werden. Dieser Zug Goodmans wirft also ein erstes Licht in die Richtung weiterer Überlegungen zum hier zu untersuchenden Thema: Eine Metapher ist also keineswegs

„bloß eine Sache der Verzierung, [der metaphorische Gebrauch] hat voll und ganz am Fortschritt der Erkenntnis teil: Er ersetzt einige verbrauchte, »natürliche« Arten durch neue aufschlußreiche Kategorien, er entwickelt Fakten, revidiert Theorien und beschert uns neue Welten.“182

In der Philosophiegeschichte sind es oftmals die Metaphern, die eine Überle-gung bzw. ein gesamtes, verwobenes Gedankenkonstrukt ,griffig‘ machen. In diesem Zusammenhang kann man an Kategorien wie Kants „Ding an sich“, Hegels „Idee“ oder Hobbes’ „Leviathan“ und vieles andere denken. Gleichsam weist das oben Beschriebene auf Schwierigkeiten hin, denn die Verwendung einer Metapher wird aufgrund ihrer verkürzenden und per se konfliktprovozie-renden Form niemals unstrittig oder trennscharf sein. In dieser Unschärfe der Metapher liegt neben ihrer ‚erkenntnisdestillierenden‘ Funktion gleichzeitig eine ihrer Schwächen: „Wo es Metaphern gibt, gibt es Konflikte.“183

Somit tritt der dritte das Figurative charakterisierende Aspekt neben Neu-heit und (stillschweigender) vorangegangener Ablehnung für dieses oder jenes Objekt ins Blickfeld: Eine Metapher ist keine Fehlzuweisung, sondern eine mit einer gewissen Absicht – einer Intention – ins Werk gesetzte Neuzuweisung eines bereits etablierten Etiketts mit einer durch Gebrauch gefestigten Extension auf einen Erfüllungsgegenstand in einem neuen Bezugnahmegebiet, der sich

|| 181 SdK, S. 78 (LA, S. 74) Was dabei unter „gewohnheitsmäßigem Gebrauch“ zu verstehen ist, wird uns noch ausführlicher beschäftigen (vgl. Kap. IV). 182 MM, S. 108 (vgl. Kap. IV). 183 SdK, S. 74 (LA, S. 69).

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 42: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

Goodmans Metapherntheorie | 49

nur ‚unter Protest‘ hingibt – eine kalkulierte Kategorieverwechslung im Sinne Ryles.184 Damit bleibt die metaphorische an die buchstäbliche Verwendung eines Etiketts gebunden bzw., umgekehrt betrachtet, diese Vorraussetzung für die figurative Anwendung:

„Die bei der Metapher vorkommenden Verschiebungen im Bereich laufen also gewöhnlich nicht auf eine bloße Verteilung des Familienbesitzes, sondern auf eine Expedition in fremde Länder hinaus. Eine ganze Menge alternativer Etiketten, ein ganzer Organisations-apparat übernimmt ein neues Territorium. Hier vollzieht sich ein Transfer eines Schemas [Engl.: schema, meine Ergänzung], eine Migration von Begriffen, eine Entfremdung von Kategorien. In der Tat könnte man eine Metapher als eine kalkulierte Kategorienver-wechslung ansehen – oder vielmehr als eine glückliche und belebende, wenn auch biga-mistische zweite Ehe.“185

Jede metaphorische Verwendung eines Etiketts lässt sich mit Hilfe der oben benannten Merkmale also von einfacher Ambiguität unterscheiden, denn ambige Verwendungsweisen eines sprachlichen Etiketts auf verschiedene Erfül-lungsgegenstände lassen sich nicht, zumindest nicht in gleicher Weise, in Be-ziehung zueinander setzen: Keine Verwendungsweise ergibt sich aus der ande-ren oder lässt sich auf die andere zurückführen. Es gibt also mit anderen Worten kein bezugnehmendes, kein Fundierungs- und damit erst recht kein kontraindi-ziertes Verhältnis der beiden Ausdrücke zueinander. Genau dieses Verhältnis haben wir mit Goodman jedoch gerade als zentrale Bedingung für jede Meta-pher herausgearbeitet: „[E]in Ausdruck mit einer durch Gewohnheit etablierten Extension [wird] anderswo unter dem Einfluß dieser Gewohnheit angewandt“186. Das hat offenkundig Auswirkungen auf das Verhältnis der beiden Ausdrücke zueinander. Es ist ein gerichtetes: Es muss sich eine gewohnheitsmäßige Exten-sion des Etiketts also bereits im Sprachgebrauch etabliert haben, bevor das Etikett unter Berücksichtigung der Ordnung, die dieses Etikett schafft, meta-phorisch auf eine andere Sphäre angewendet werden kann. Jede Metapher setzt diesen ‚bewährten Sprachgebrauch‘ also notwendig voraus bzw. bleibt an die-sen zurückgebunden. Damit ist ein weiterer Aspekt für die folgenden Überle-

|| 184 Vgl. Gilbert Ryle: Der Begriff des Geistes – Aus dem Englischen übersetzt von Kurt Baier, Stuttgart: Reclam (RUB 8331) 1969, S. 13ff. Ryle argumentiert, dass es durchaus einen guten Sinn haben kann, an bestimmten Stellen bewusst Kategorien zu ,verwechseln‘, um Klarheit herzustellen über eine Sache, die wir grundsätzlich nicht begreifen oder nachvollziehen kön-nen. Also bleibt uns nur der Umweg über andere Kategorien, um die Erkenntnis in diese Rich-tung zu befördern: „Wir können die Körper anderer Leute sehen, hören und anstoßen, aber für die geistigen Vorgänge im anderen sind wir unheilbar blind und taub […]“ (ebd. S. 10). 185 SdK, S. 77 (LA, S. 73). 186 SdK, S. 74.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 43: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

50 | Grundlagen

gungen gewonnen: Es muss nicht nur eine Bezugnahme auf einen Gegenstand (der sich unter Protest hingibt) geleistet werden, sondern vielmehr zusätzlich auf die buchstäbliche Verwendungsweise, auf einen allgemein bewährten Sprachgebrauch und damit auf den schematischen Zusammenhang, in dem das Etikett ‚normalerweise’ steht.

Aus den genannten Gründen kann sich aus der zunächst metaphorischen Verwendungsweise eines Ausdrucks nach und nach eine Art von fast „buch-stäbliche[r] Gebrauchsweise“187 entwickeln. Goodman argumentiert aber kei-neswegs dafür, dass eine metaphorische Gebrauchsweise eines Etiketts zu ir-gendeinem Zeitpunkt ins Buchstäbliche übergehe, sondern dafür, dass sich die beiden Gebrauchsweisen mit der Zeit lediglich ähnlicher werden (können). Um in Goodmans eigener Metapher zu bleiben, mag der Protest nach und nach nur etwas ‚verhaltener‘ werden. Das hat allerdings lediglich etwas mit der Anzahl der Fortsetzungen im allgemeinen Sprachgebrauch zu tun. Die anfängliche Me-tapher wird dann unter Umständen zu einem ‚geflügelten Wort‘188. Jedoch bleibt diese Verwendung – besser oder schlechter rekonstruierbar – von der anderen abhängig. Das genau hatte Goodman für jeden Prozess der Metaphernbildung vorausgesetzt. Forscht man weit genug in die Sprachgeschichte zurück, wird sich dieses Verhältnis zwischen den beiden Verwendungsweisen auch potenti-ell wiederherstellen lassen. Damit hätte die betreffende Metapher lediglich nach und nach ihre anfänglich maßgebliche Schlagkraft – ihre Kühnheit – eingebüßt und wäre dann also zu einer „bloße[n] Ambiguität“189 verblasst.

Diese Überlegungen bringen den bereits rekonstruierten Begriff des Sche-mas (schema)190 ins Spiel, denn solche figurative Kategorisierung funktioniert – wie die buchstäbliche – nicht an einem einzelnen, isolierten Etikett, sondern ebenfalls immer nur im Zusammenhang, einer Menge von möglichen Alternati-ven. Zudem, so muss jedoch jetzt jedoch zwingend ergänzt werden, sind auch an das Schema (symbol scheme) bestimmte syntaktische Anforderungen zu stellen, um diese Funktion überhaupt ‚eindeutig‘ in einem materiellen Substrat erzeugen zu können. Zu Goodmans (paradigmatischem) Schemabegriff muss

|| 187 SdK, S. 75. 188 Unter einem ,geflügelten Wort‘ – übrigens selbst eine ,ehemalige‘ Metapher – ist eine Me-tapher zu verstehen, die nicht mehr neu und in diesem Sinne frisch ist. Sie ist also bereits in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen, weist allerdings immer noch die Spuren ihrer ursprünglichen Neuzuordnung auf bzw. darauf hin, dass sie im Grunde nicht wörtlich zu stehen ist. 189 SdK, S. 75. 190 Vgl. Kap. I.3.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 44: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

Goodmans Metapherntheorie | 51

also die Dimension des syntaktisch fundierten Schemabegriffs hinzukommen, denn beide spielen in sprachlichen Systemen ineinander.

Gleichzeitig mit der kontraindizierten Neuzuweisung von gebräuchlichen Etiketten auf eine neue Sphäre wird bezeichnenderweise auch die Ordnung des Schemas übertragen, in der das betreffende Etikett in seinem Verhältnis zu anderen Etiketten des in Frage kommenden Schemas steht. Es sind nun im Falle der Sprache immer mehr oder weniger syntaktisch klar strukturierte Mengen von hinreichend deutlich identifizierbaren, sprich les- oder verstehbaren, Mar-ken gegeben, die in einer solchen neuen Anwendung übertragen werden.191 Nur in solchen typisierbaren Arten von Darstellung lässt sich die wörtliche Bedeu-tung überhaupt an einem immer wieder neu und dabei eindeutig identifizierba-ren Etikett festmachen. Die Organisation der fremden Sphäre, auf die das Etikett nun metaphorisch angewendet wird, ergibt sich dabei immer aus dem gewohn-heitsmäßigen Gebrauch dieser syntaktisch typisierbaren Etikette. Die fremde Sphäre wird als zum einen erschlossen, zum anderen uno actu auf eine be-stimmte, neuartige und in diesem Sinne ‚kühne‘ Weise per analogiam sortiert. Wäre das nicht der Fall, hätte die entsprechende Metapher keine Durchschlag-kraft. Und genau auf die kommt es ja in rhetorischer Hinsicht an. Davon abge-sehen ergibt sich dadurch auch der Rang als ,Innovation‘ in der Erkenntnis- bzw. Wissenschaftstheorie, denn nur die kühn gewählte Metapher macht einen Sachverhalt auf ihre je individuelle Weise und in einer individuellen Kürze greifbar und damit aussagekräftig.

Trotz aller grundsätzlichen Freiheiten ist das Verfahren der Metaphern-bildung in einigen Hinsichten eingeschränkt, und nur theoretisch lässt sich ein Schema (schema) auf nahezu jedes Gebiet anwenden. Somit kann ein Netzwerk von Etiketten zwar prinzipiell auf fast jedes Gebiet angewendet werden, doch „das Operieren“192 in diesem Gebiet ist seinerseits nicht ohne Führung der Ver-gangenheit des Schemas möglich. Dessen Eindeutigkeit bleibt dabei nicht allein an die syntagmatische Dimension des Schemas (symbol scheme) zurückgebun-den, sondern auch dessen qua Performanz gefestigten Gebrauch. Eine Metapher ist also keinesfalls die ‚Erfindung‘ eines neuen Etiketts oder dessen Anwendung auf einen noch unentschiedenen Fall, sondern die Anwendung eines gegebe-nen, syntaktisch effektiv differenzierbaren Begriffsschemas auf ein fremdes Be-zugnahmegebiet unter Berücksichtigung der vorangegangenen Anwendungs-praxis. Auch hier steht also die Bezugnahme selbst wieder im Zentrum der Über-

|| 191 Die Metapher macht sich natürlich meist an einem einzigen Ausdruck fest. Dieser funktio-niert aber nicht ohne sein syntagmatisches Umfeld (vgl. Kap. I.7). 192 SdK, S. 78.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 45: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

52 | Grundlagen

legungen. Selbiges gilt im Grenzwert sogar für den Fall, dass ein Etikett keine feste Bedeutung im allgemeinen Sprachgebrauch hat.193 Das allerdings ist nur ein Sonderfall, bei dem es mehr darauf ankommt, wie die Wörter selbst katego-risiert worden sind, und nicht so sehr darauf, was sie kategorisieren. Auch hier handelt es sich um eine Repräsentation-als, welche die Intension und nicht die Extension klärt.

Die traditionelle Interpretation dieser Lesart, von einem „in Grautönen ge-malten Bild“ (s.o.) folgerichtig sagen zu können, es sei „traurig“, ist, diese Meta-pher als eine verkürzende Form des Vergleichs (simile) zu begreifen: Statt zu sagen, das Bild und ein trauriger Mensch seien sich – irgendwie – ähnlich, kann verkürzend behauptet werden, das Bild selbst sei traurig. In einer buchstäbli-chen Lesart ist dies unmöglich. In der (astrophysikalischen) Wissenschaft wäre die Bezeichnung „schwarzes Loch“ als (mittlerweile jedoch fast buchstäblich zu verstehende) Metapher ein Beispiel für eine verkürzende Bezeichnung eines Phänomens, das ohne Anwendung der Metapher nur umständlich und umfang-reich zu beschreiben wäre. Klar ist damit aber auch, dass das schwarze Loch weder buchstäblich „schwarz“ noch buchstäblich ein „Loch“ ist.194 Grundle-gend ist für Goodman nun die Tatsache, dass die Metapher letztlich nicht Be-zeichnung einer wie auch immer bestehenden Ähnlichkeit ist, sondern dass sie auch zur Konstruktion dieser Ähnlichkeit beiträgt: „Die Metapher wird nicht zum Vergleich, vielmehr wird der Vergleich Metapher; oder besser, der Unter-schied zwischen Vergleich und Metapher ist unerheblich.“195 Die Metapher wird nicht dazu gebraucht, eine Ähnlichkeitsbeziehung zu beschreiben, sondern sie bringt diese erst zum Vorschein, indem sie einen sprachlichen Ausdruck, ein nunmehr auf eine fremde Sphäre anzuwendendes Etikett, in einer besonderen Art und Weise appliziert. Diese Anwendung mag nun etwas ‚treffen‘, sich durchsetzen oder nicht – das Hervorbringen einer und Hinweisen auf die damit hervorgebrachte Ähnlichkeit ist das eigentliche Kerngeschäft dieser ‚Nebentä-tigkeit der Symbole‘, des metaphorischen Sprachgebrauchs.

So ist natürlich die grundsätzliche Frage nach der Wahrheit einer Metapher zu stellen. Goodmans Antwort lautet, dass es im Grunde eine falsch gestellte

|| 193 Dies diskutiert Goodman anhand von ,Unsinnssilben‘ wie „ping“ oder „pong“ (vgl. SdK, S. 79ff.). 194 John Wheeler prägte den Ausdruck 1969, „um einen anschaulichen Begriff von einer Idee zu liefern, die mindestens zweihundert Jahre zurückreicht“ (Stephen Hawking: Eine kurze Ge-schichte der Zeit – Reinbeck bei Hamburg: Rowohlt Taschenbuch Verlag 1991, S. 109). Ähnli-ches gilt für Bezeichnungen wie „Zeitpfeile“ und „Wurmlöcher“. 195 SdK, S. 81 (LA, S. 77f.) vgl. hierzu Max Black: Models and Metaphors. Studies in language and philosophy – Ithaca/New York: Cornell University Press 1962, S. 37ff.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 46: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

Goodmans Metapherntheorie | 53

Frage sei. Ähnliches müsste schließlich auch für buchstäbliche Verwendungs-weisen von Etiketten in Frage stellen lassen.196 Allein die als Metakategorie von Wahrheit gedachte Richtigkeit und das Passen garantieren jedoch noch nicht das Treffen einer Metapher und damit deren Wirkung, denn „Wahrheitsstan-dards sind so ziemlich dieselben, ob das verwendete Schema [Engl.: schema, meine Ergänzung] nun übertragen ist oder nicht.“197 Das Zusammenspiel von Neuheit und Kontraindizierung kann sich nun gerade nicht mehr an einer in-duktiven Praxis messen lassen, sondern muss sich in einem gewissen Sinne ‚frei‘ entfalten können.

„Die Wahrheit einer Metapher ist natürlich keine Garantie für ihre Wirksamkeit. Wie es ir-relevante, durchschnittliche und triviale buchstäbliche Wahrheiten gibt, so gibt es weit hergeholte, matte und moribunde Metaphern. Eine kraftvolle Metapher erfordert eine Kombination aus Neuheit und Passen, eine Kombination des Seltsamen und mit dem Selbstverständlichen. Eine gute Metapher birgt Überraschungen, und dadurch befriedigt sie. Eine Metapher ist dann am durchschlagendsten, wenn das transferierte Schema [Engl.: schema, meine Ergänzung] eine neue und bemerkenswerte Organisation und nicht bloße Neuetikettierung einer alten bewirkt.“198

Damit wird also auch die ‚Lebenserwartung‘ einer jeden Metapher merklich eingeschränkt, denn den belebenden Geist hat – um einmal in Goodmans Meta-pher zu bleiben – auch die beste bigamistische Ehe sicher nur für einen einge-schränkten Zeitraum. Die Neuheit und damit die ‚interessante‘ Neusortierung, welche die Metapher zum Zeitpunkt ihrer Entstehung bewirkt hatte, schwindet mit der Zeit – je öfter sie gebraucht wird. Nach und nach wird also jede treffende Metapher potentiell in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegliedert. ‚Meta-phern‘ wie „Stuhlbein“, „Fuchsschwanz“ oder „Hosenträger“ mögen hinrei-chende Beispiele sein. In der Wissenschaft ließe sich auch hier das oben ge-nannte Beispiel des „schwarzen Lochs“ bemühen, das mittlerweile so sehr in den allgemeinen Sprachgebrauch eingegangen ist, dass es sein ursprüngliches Wesen als Metapher kaum noch zur Schau stellt.

Somit wird zumindest näherungsweise deutlich, wie systematisch durchzo-gen gerade die Sprache als Symbolsystem vom figurativen Gebrauch von Etiket-ten ist, um ein semantisch offenes und damit inhaltlich – und zwar mit den systemeigenen Mitteln – geschmeidiges Funktionieren sicherstellen zu können.

|| 196 An dieser Stelle hatte Goodman dafür plädiert, die Wahrheit und Falschheit nicht als absolute und schon gar nicht als die einzig möglichen Kategorien zu verstehen. Das Referenz-feld ist hier viel weiter zu fassen (vgl. WW, S. 168ff.; vgl. RE, S. 205ff., vgl. Kap. IV). 197 SdK, S. 82 (LA, S. 79). 198 SdK, S. 83 (LA, S. 79f.).

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 47: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

54 | Grundlagen

Diese Funktion des Symbolsystems Sprache entspringt keinesfalls nur aus „der Liebe zur literarischen Farbigkeit, sondern auch dem dringenden Bedürfnis nach Ökonomie.“199 Und diese ist bei sprachlichen Äußerungen notwendig in der syntaktischen Dimension des Schemas (symbol scheme) fundiert. Welche theoretischen Auswirkungen diese Beobachtung hat, wird noch ausführlich zu formulieren sein.200

Systemtheoretisch interessant ist diese Möglichkeit der Metaphernbildung aufgrund der Tatsache, dass dadurch ein nach dem Prinzip eines auf die neue Erschließung von Bezugnahmegebieten ausgerichteter Umgang mit Symbolsys-temen erst auf der Basis eines gefestigten Gebrauchs ermöglicht wird:

„Wären wir nicht in der Lage, Schemata ohne weiteres zu übertragen, um neue Sortierun-gen und Ordnungen hervorzubringen, dann müßten wir uns mit unhandlich vielen ver-schiedenen Schemata belasten, und zwar entweder durch Übernahme eines ungeheuer großen Vokabulars elementarer oder durch Erarbeitung außerordentlich vieler zusam-mengesetzter Ausdrücke.“201

Das ist der Schnittpunkt, der die Metapherntheorie Goodmans in die zentrale Position innerhalb der allgemeinen Symboltheorie stellt und damit im hier zu untersuchenden Zusammenhang wesentlich werden lässt: Die metaphorische Denotation und deren ‚Inverse‘, die Exemplifikation, sind die zentralen Mög-lichkeiten, mit den Mitteln, die eine entsprechende Art der Darstellung als Sys-tem zur Verfügung stellt, flexibel umgehen zu können, und ermöglicht gleich-sam, dass jede Art der Darstellung – insbesondere aber die sprachlichen Systeme – mit einer überschaubaren Menge von Etiketten auskommt. Das muss sie um so mehr tun, je klarer sie syntaktisch eindeutig bleiben möchte. Das gilt nun im Wesentlichen für die Sprache, grenzwertig mitunter auch für pikturale Darstellungen und Notationen. Damit beginnt das Verfahren der Metaphern-bildung, in den Kernbereich einer allgemeinen Symboltheorie vorzurücken.

Mit diesen Überlegungen wird, nebenbei bemerkt, der Bereich dessen, was Metapher genannt werden muss, insgesamt merklich ausgeweitet,202 die Meta-pher – systematisch – zur ‚Trope der Tropen‘. Festzuhalten ist dabei, dass die Sphäre des Schemas „bei dem Transfer konstant“203 bleibt und dass sich allein die Erfüllungsobjekte in einem bestimmten Bezugnahmegebiet verändern – wenn auch, wie gesehen, unter ‚Protest‘. Das Ergebnis einer solchen im Sinne

|| 199 SdK, S. 84 (LA, S. 80). 200 Vgl. Kap. IV.2. 201 SdK, S. 84. 202 Vgl. hierzu SdK, S. 84ff. 203 SdK, S. 86.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 48: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

Goodmans Metapherntheorie | 55

der oben genannten ‚Nebenbeschäftigung‘ sekundären Extension eines Sche-mas ist keine Neusortierung, sondern ergibt eine gewollte, mit Absicht ins Werk gesetzte, „Neuorientierung“204. Das bedeutet, dass durch die metaphorische Anwendung eines Schemas auf ein Bezugnahmegebiet dieses nicht buchstäb-lich neu sortiert wird, sondern bestimmte neuartige Aspekte, neue inhaltliche Schwerpunkte, dadurch mit einer bestimmten Absicht ins Blickfeld gebracht werden, die ohne eine derartige Übertragung eines Schemas unbemerkt geblie-ben wären. Insofern ähnelt die Metapher tatsächlich einem Bild, wobei sich eine pikturale Darstellung wie gesehen anderer Darstellungsmittel bedient.

Die komplette Organisation in dem neuen Territorium, auf das ein sprachli-cher Ausdruck angewendet wird, muss unter ‚neuen‘ Vorzeichen ausgerichtet werden. Damit lassen sich insgesamt mit bereits organisierten Mitteln Dinge zum Ausdruck bringen, für die Etiketten nicht eigens geschaffen werden müs-sen (was jedoch, zum Beispiel bei Onomatopoetika oder Neologismen, ebenfalls möglich ist). In diesem Sinne spielen die Hinsichten, in denen eine Metapher oder eine Kombination aus mehreren metaphorischen Verwendungen eines Schemas zur Anwendung kommt, eine zentrale Rolle. „Verwandtschaften über die Sphären hinweg zu erkennen“205 ist in diesem Zusammenhang die primäre, aber eben nicht die einzige, Funktion der metaphorischen Verwendung eines Etiketts, denn „[d]ie Metapher versetzt uns in die Lage, uns der organisierenden Kräfte eines Systems zu bedienen und gleichzeitig die Grenzen des Systems zu überschreiten.“206

Damit ist die Dimension der pragmatischen Funktion von Metaphern oder des metaphorischen Gebrauchs von Symbolschemata berührt: Dieser metapho-rische Gebrauch macht zum einen eine – wenn auch subjektive – bestimmte Absicht kommunizierbar, zum anderen macht er, systematisch betrachtet, den Prozess der Symbolisierung auf einer festen syntaktischen Grundlage an einer Art Gelenkstelle im allgemeinen Gebrauch von Symbolen flexibel: Das Verfah-ren der Metaphernbildung eröffnet Möglichkeiten, bestimmte Schemata zum Erschließen fremder Sphären zu verwenden und auf diese Weise Verwandt-schaften dieser Sphären zu konstruieren. Basis für diese metaphorische Ver-wendung eines Etiketts sind dabei immer etablierte Denkgewohnheiten und somit letztendlich entsprechende Sprachgebräuche207 im Sinne des buchstäbli-chen Gebrauchs eines Schemas. Die Übertragung zielt zwar ins Ungewisse, aber

|| 204 SdK, S. 86. 205 RE, S. 31 (vgl. Kap. IV). 206 RE, S. 32. 207 RE, S. 32.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 49: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

56 | Grundlagen

dabei nie ‚ins Blaue‘, denn sie beginnt keineswegs im leeren Raum. ‚Richtigkeit‘ und Durchschlagkraft solcher Kategorisierungen hängen nun mehr oder weni-ger davon ab, ob die „erzielte Ordnung brauchbar, aufschlussreich und infor-mativ ist; und ob die von ihr herausgehobenen Verwandtschaften zwischen den metaphorischen und buchstäblichen Bezugsobjekten interessant, bedeutsam oder auf andere Weise treffend sind“208.

I.7 Goodman und die Strömungen der Metapherntheorie

Während Goodmans eigene Metapherntheorie nun in den wesentlichen Zügen skizziert ist, bleibt die Lokalisierung seines Ansatzes im Kontext der klassischen und gegenwärtigen philosophischen Metapherndiskussion zu leisten: Aristote-les hatte der Metapher in seiner „Poetik“ bekanntlich bereits zentrale Bedeu-tung beigemessen und definiert die Stilfigur als Übertragung (metaphérein) eines Namens. Er positioniert sie sowohl in der technē der Rhetorik als auch der Poetik209 und schafft damit das klassische Paradigma der Metapherndefinition.

Die möglichen Spielarten dieser Übertragung legt Aristoteles dabei genau fest.210 Es gibt vier Arten der Übertragung: (a) von der Gattung auf die Art, (b) von der Art auf die Gattung, (c) von der Art auf die Art oder (d) per analogiam.211 Diesen letzten Typ der Übertragung hält Aristoteles für den wesentlichen. Grundlegend steht jede Analogiebildung bei Aristoteles im Kontext einer beste-henden Ähnlichkeit, einer Proportionalität zwischen den zu bezeichnenden Dingen: Wenn sich B zu A verhält wie D zu C, dann kann ,der Dichter‘ B anstelle von D und A anstelle von C sagen. Sein Beispiel: Der Abend verhält sich zum Tag wie das Alter zum Leben. Auf dieser Grundlage haben die Metaphern für das Alter als „Abend des Lebens“ und für den Abend das „Alter des Tages“ nach Aristoteles ihre Berechtigung. Die Möglichkeit der Umkehrung ist der bestehen-den Proportionalität geschuldet. Diese Ähnlichkeit ‚sehen‘ zu können, ist bei Aristoteles Leistung des poetischen Genius (ingenium). Wenn man Proportiona-lität konstatiert, kommt Symmetrie als notwendige logische Eigenschaft hinzu.

|| 208 RE, S. 32. Ein Analogon zum semantischen Prozess der Metaphernbildung besteht meines Erachtens nach im syntaktischen Prozess der Variation. Das bedürfte allerdings einer genaue-ren Untersuchung, die hier nicht geleistet werden kann. 209 Vgl. Paul Ricœur: Die lebendige Metapher – Aus dem Französischen von Rainer Rochlitz. München: Fink 1986, S. 19. 210 Vgl. Aristoteles: Poetik – Griechisch/Deutsch, herausgegeben und übersetzt von Manfred Fuhrmann, Stuttgart: Reclam (RUB 7828) 1982, S. 77. 211 Vgl. ebd. S. 77.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 50: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

Goodman und die Strömungen der Metapherntheorie | 57

Aristoteles setzt (zumindest implizit) also eine ‚buchstäbliche‘ Verwendung eines Namens voraus, die seiner Ansicht nach wesentlich auf Seeleneindrü-cken212 beim Sprechen basiert. In diesen Seeleneindrücken fußt – ganz plato-nisch – der ‚richtige‘ , „gemäß einer Übereinkunft“213 bedeutungsvolle Ursprung der Wörter. In seinen Bemerkungen zur Metapher macht Aristoteles drei Aspek-te deutlich, die in unseren Zusammenhang wesentlich sind: Eine Metapher ist per se Abweichung vom gewöhnlichen Sprachgebrauch. Sprachliche Ausdrücke werden aus einem ‚Ursprungsbereich‘ entlehnt. Die Metapher funktioniert als ein proportionales Verhältnis – man erkennt Ähnlichkeiten.

Keine Metapher kann also für sich allein als übertragener Wortsinn gesehen werden, sondern sie hat diese Funktion immer auch in Relation zu einem all-gemeinen Sprachgebrauch. Ähnliches wurde auch für den allgemeinen Sym-bolgebrauch bei Goodman herausgearbeitet, denn kein Symbol funktioniert per se, sondern stets nur im Verhältnis zu einem System. Die Metapher ist die Mar-kierung dieser Ähnlichkeiten der Dinge untereinander mit den zur Verfügung stehenden Mitteln der Sprache. Das wiederum steht im Gegensatz zur Theorie Goodmans, der allein buchstäbliche oder figurative Sprachgebräuche, die Ver-wendung von Etiketten in Akten der Bezugnahme, extensional beschreiben will und die Beschaffenheit der Dinge sowie deren potentielle ‚Ähnlichkeit‘ zuei-nander damit notwendig ausblendet. Das Metaphorische kann man nicht bei anderen lernen, sondern es „ist Zeichen von Begabung. Denn gut zu übertragen bedeutet das Ähnliche sehen“214, so hatte u.a. Ricœur im Bezug auf Aristoteles festgehalten.

Gerade diese Einschätzung hat Widerspruch hervorgerufen:215 Insbesondere Richards äußert diesbezüglich Bedenken, denn derartige Überlegungen verstel-len seiner Meinung nach sogar systematisch den Blick auf das eigentliche Ver-fahren der Metaphernbildung. Der Blick für Ähnlichkeiten, der laut Richards keineswegs in einem poetischen Genius begründet sein muss, sondern vielmehr ganz allgemein zu den Grundfähigkeiten des Menschen gehört, ist zwar mögli-cherweise nicht lernbar, aber auf der anderen Seite kann der Umgang mit Meta-phern im System einer Sprache gelernt werden, „die uns gar nichts nützen wür-de, wenn in ihr nicht die Fähigkeit zum Umgang mit Metaphern angelegt

|| 212 Aristoteles: Peri Hermeneias – Werke in deutscher Übersetzung / Aristoteles. Begründet von Ernst Grumbach. Herausgegeben von Hellmuth Flashar. Band 1 Teil II, übers. und erl. von Hermann Weidemann. Berlin: Akademie Verlag 1995, S. 3 (16a). 213 Ebd. S. 4 (16a). 214 Paul Ricœur: Die lebendige Metapher – [a.a.O.] S. 30. 215 Vgl. Anselm Haverkamp (Hrsg.): Die Theorie der Metapher, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1983, S. 19f.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 51: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

58 | Grundlagen

wäre“216. Ziel der Metapher ist es für Richards – hierin stimmt er mit Aristoteles überein –, etwas auf eine neuartige Weise vor Augen zu führen. Darunter lässt sich ein allgemeines Prinzip verstehen, welches „anhand bloßer Beobach-tung“217 nachgewiesen werden kann. In eine vergleichbare Richtung argumen-tiert auch Goodman, der ebenfalls ganz analytisch den tatsächlichen Gebrauch von Etiketten untersucht und innerhalb dieses Bereichs des Faktischen zwi-schen buchstäblichen und figurativen Bedeutungen unterscheidet. Der er-kenntnistheoretische Sinn einer Metapher ist nach Aristoteles folgender: „In manchen Fällen fehlt eine der Bezeichnungen, auf denen die Analogie beruht; nichtsdestoweniger verwendet man den analogen Ausdruck.“218 Somit hat die Metapher die Aufgabe, entsprechend der Ähnlichkeit von Dingen und Sachver-halten einen sprachlichen Terminus in dieser speziellen Bedeutung zumindest ,provisorisch‘ zur Verfügung zu stellen, aus einem gefestigten Sprachgebrauch zu entleihen. Dafür muss nach Aristoteles allerdings die Ähnlichkeit zwischen den zu bezeichnenden Dingen gesehen werden. Auf diese Weise werden, so würde Goodman vermutlich sagen – und damit blendet er die Ähnlichkeitsdis-kussion aus seiner Metapherntheorie aus –, grundsätzlich nur neue Bezugnah-megebiete erschlossen, für die eine bestimmte Ähnlichkeit oder deren Erkennen keineswegs notwendige Voraussetzung ist. Es kommt ihm allein auf das Faktum der Übertragung an.

In der Rhetorik, deren Zweck bekanntermaßen das Überzeugen ist, dürfen Metaphern nach Aristoteles zwar verwendet werden, allerdings nicht allzu häu-fig.219 Er hält sie in diesem Kontext insgesamt für ,obskur‘. In dieser Tradition lehnen von Augustinus bis Diderot und Voltaire Philosophen Metaphern als ungenau und dem eigentlichen Denken mitunter sogar feindlich ab:220 Vielen Denkern gilt der Gebrauch von Metaphern als schlicht zu ungenau und zu vage, um einer wirklichen Argumentation und damit wirklicher Erkenntnis vonnutzen sein zu können. Entweder ist er ,uneigentlich‘, sodass er nicht als Prädikation im üblichen Sinne gelten kann, oder aber er ist eine Übertragung einer passen-

|| 216 Ivor Armstrong Richards: Die Metapher – In: Anselm Haverkamp (Hrsg.): Die Theorie der Metapher – [a.a.O.] S. 31‒54, hier: S. 32. 217 Ivor Armstrong Richards: Die Metapher – [a.a.O.] S. 33. 218 Vgl. Aristoteles: Poetik – [a.a.O.] S. 69. 219 Vgl. Aristoteles: Rhetorik – Übersetzt und herausgegeben von Gernot Krapinger, Stuttgart: Reclam (RUB 18006) 1999, S. 160ff. 220 Vgl. Harald Weinrich: Metapher (Artikel) – In: Joachim Ritter/ Karlfried Gründer: Histori-sches Wörterbuch der Philosophie – Völlig neu bearbeitete Ausgabe des »Wörterbuches der philosophischen Begriffe« von Rudolf Eisler, Bd. 5, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesell-schaft 1992. Sp. 1179‒1186, hier: Sp. 1180ff.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 52: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

Goodman und die Strömungen der Metapherntheorie | 59

den Sache auf eine schlichtweg nicht-passende.221 Dementsprechend gilt es im Anschluss an Thomas von Aquin, der eine Metapher für eine Beweisführung ebenfalls als nicht tragfähig hält, Metaphern tunlichst zu vermeiden. Noch Max Black kommentiert bei aller grundsätzlichen Wertschätzung von Metaphern als lebendige Momente des Sprachgebrauchs zumindest ironisch: „Thou shalt not commit metaphor“222, „one can speak only metaphorically, thereof one ought not to speak at all“223 oder „metaphor is incompatible with serious thought“224.

Auf der anderen Seite der Argumentationen herrscht eine ausgesprochene Wertschätzung der Metapher, welche auf Quintilian zurückgeht. Dieser hält alles, was wir reden, für mehr oder weniger metaphorisch225 – die Menschen gebrauchen Metaphern oft, ohne es überhaupt zu merken – bzw. wertet die Me-tapher als Mittel, direkte und kurze Vergleiche, „die für die Sache selbst steh[en]“226 ins Werk zu setzen, als ein zentrales Moment des sprachlichen Ver-fahrens. Ziel der gesamten Unternehmung ist bei Quintilian die rhetorische Schönheit.227 Die Metapher steht mitunter als Relikt einer mythischen Urspra-che, die wiederum im Gegensatz zu den wissenschaftlichen und nüchternen Sprache steht. Herder versteht die Metapher als Drang und Bedürfnis des Men-schen, Ideen und Begriffe sinnlich zu benennen – das ist der Zustand von „Be-sonnenheit“228, in dem er die Sprache erfunden hat. Für Jean Paul ist die kom-plette Sprache ein Wörterbuch verblasster Metaphern.229 Nietzsche rückt das Metaphorische ebenfalls in das Zentrum des Sprachprozesses230 und damit letzt-

|| 221 Vgl. H. Weinrich: Metapher (Artikel) – [a.a.O.] Sp. 1180. 222 Vgl. H. Weinrich: Metapher (Artikel) – [a.a.O.] Sp. 1181, vgl. hierzu Max Black: Models and Metaphors – [a.a.O.] S. 25. 223 Max Black: Models and Metaphors – [a.a.O.] S. 25. 224 Ebd. S. 25. 225 Vgl. Quintilianus, Marcus Fabius: Ausbildung des Redners (Institutionis Oratoriae) – [a.a.O.] S. 319 (IX, 3,1); XIII 6, 8f. 226 Ebd. S. 221 (VIII 6, 8). 227 Um diese rhetorische Schönheit aufrecht zu erhalten, soll es aber mit den Metaphern auch nicht übertrieben werden: „Wie aber maßvoller und passender Gebrauch der Metapher der Rede Glanz und Helle verleiht, so macht ihr häufiger Gebrauch sie dunkel und erfüllt uns mit Überdruß, ihr dauernder Gerbauch läuft schließlich auf Allegorie und Rätsel hinaus.“ (ebd. S. 223 (VIII 6, 14). 228 Johann Gottfried Herder: Abhandlung über den Ursprung der Sprache – Herausgegeben von Hans Dietrich Irmscher, Stuttgart: Reclam (RUB 8729) 1997, S. 31. 229 Jean Paul: Vorschule der Ästhetik, § 50 (zitiert nach H. Weinrich: Metapher (Artikel). – [a.a.O.] Sp. 1182). 230 Nietzsche, Friedrich: Über Wahrheit und Lüge im außermoralische Sinn – In: Werke in drei Bänden, 3. Band, herausgegeben von Karl Schlechta, München: Hanser 1954, S. 309‒323.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 53: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

60 | Grundlagen

lich auch in den hier erarbeiteten Kontext. Wahrheit ist für Nietzsche letztlich nicht viel anderes als

„[e]in bewegliches Heer von Metaphern, Metonymien, Anthropomorphismen, kurz eine Summe von menschlichen Relationen, die, poetisch und rhetorisch gesteigert, übertragen, geschmückt werden, und die nach langem Gebrauch einem Volke fest, kanonisch und verbindlich dünken: die Wahrheiten sind Illusionen, von denen man vergessen hat, daß sie welche sind, Metaphern, die abgenutzt und sinnlich kraftlos geworden sind.“231

Auch für Nietzsche gehören Metaphern folglich genauso zum allgemeinen Wortschatz einer Sprachgemeinschaft wie die buchstäblich verwendeten Wör-ter. Sie sind sogar in einem bestimmten Sinn Grundlage desselben: Ein Wort – zum Begriff und damit zur „Begräbnisstätte der Anschauungen“232 gesteigert – versteht Nietzsche nicht als Bezeichnung für eine wie auch immer geartete ‚Ur-situation‘, sondern als Bezeichnung „zugleich für zahllose, mehr oder weniger ähnliche, das heißt streng genommen nie gleiche, also auf lauter ungleiche Fälle“233. Damit steht Nietzsche in der Tradition derjenigen, die behauptet hat-ten, dass nahezu alles, was sprachlich artikuliert werden kann, in einem be-stimmten Sinne auch einen bildlichen Charakter habe,234 und begreift den Trieb zur Metaphernbildung somit als einen Urtrieb des Menschen – freilich aus Un-fähigkeit, ,tatsächliche‘ Erkenntnis zu haben. Rousseau hatte Metaphern als ein Zeichen ursprünglicher Sprachen verstanden: Letztlich habe das gesamte sprachliche Repertoire auch stets metaphorische Züge. Die Metaphern als aus-gesprochen kreative Momente des menschlichen Sprachvermögens werden nach und nach zum – bei Nietzsche wie gesehen nicht unbedingt positiv konno-tierten – Begriff aufgelöst, indem sie zu einem Schema ‚zementiert‘ werden.235 Hans Blumenberg versteht die Metaphern als genuine Denkmodelle, welche die Erkenntnis auf eine besondere Art und Weise befördern können – in diesem Zusammenhang ist Metaphorik bei ihm Rudiment auf dem Weg vom Mythos zum Logos.236

|| 231 Ebd. S. 314. 232 Ebd. S. 319. 233 Ebd. S. 313. 234 Vgl. H. Weinrich: Metapher (Artikel) – [a.a.O.] Sp. 1180. 235 Vgl. Friedrich Nietzsche: Über Wahrheit und Lüge im außermoralischen Sinne. –[a.a.O.] S. 314. 236 Vgl. Hans Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie – In: Anselm Haverkamp (Hrsg.): Die Theorie der Metapher – Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1983, S. 285‒315, hier: S. 287.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 54: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

Goodman und die Strömungen der Metapherntheorie | 61

Bis in die gegenwärtige Metapherndiskussion, deren Hauptströmungen im Folgenden etwas ausführlicher dargestellt und mit der Theorie Nelson Good-mans abgeglichen werden sollen, hält sich dieser Status: Metaphern gelten als sprachlich artikulierte Denkmodelle sui generis, die Erkenntnis aufgrund von Kürze wie Kühnheit auf eine ganz besondere Weise artikulieren und damit letzt-lich weiter befördern können. Für manchen Denker sind Metaphern die viel-leicht ‚letzten Reste von Metaphysik‘.

Den zwei großen Antipoden der zeitgenössischen Metapherndiskussion, Max Black und Donald Davidson, muss besondere Beachtung gelten: In „Mo-dels and Metaphors“ führt Black die These vor, dass sich eine Metapher in der Sprache wie ein Modell in der Wissenschaft verhalte: Die Metapher führt ihrer-seits einen Sachverhalt unmittelbar und mit aller situativ bedingten Schärfe vor Augen, den es mit buchstäblich verwendeten Begriffen, wenn überhaupt nur höchst umständlich – und damit weniger unmittelbar ‚treffend‘ –, zu formulie-ren gilt. Ansatzpunkt seiner Überlegungen ist die grammatische und damit die syntaktische Dimension einer jeweiligen Sprache, die auch für Goodman im Zusammenhang mit der Metapherndiskussion wesentlich ist. Als Basis seiner Argumentation nimmt Black eine „meaning formula“237: S meint x, wenn er y sagt. Jedwede Äußerung, die im Grunde eine Bezugnahme ins Werk setzt, bleibt also auch hier an einen individuellen Sprecher und eine ebenso bestimmte Situation gebunden, denn der Sprecher meint „x“ genau dann, wenn er „y“ sagt. Diese situative Bindung in der parole macht einen wesentlichen Teil der Bedeutung aus. In diesem Zusammenhang würde Goodman ihm zustimmen, denn auch er untersucht die Funktionsweise des Metaphernverfahrens im Kon-text des Faktischen, der Performanz. Im deutlichsten Fall besteht nun eine Me-tapher für Black dann, wenn ein Satz oder eine Äußerung bis auf eines aus Ele-menten besteht, die buchstäblich verwendet werden. Wenn dieses eine Element auf der buchstäblichen Basis nicht zu den anderen passt, handelt es sich um eine Metapher, und damit manifestiert gerade dieses Wort den „metaphorical focus“238: Uno actu ist der Rest der Äußerung als für die Metaphorizität der Aus-sage ebenso wichtiger Rahmen derselben bestimmt. Damit ist für Black jede Untersuchung einer Metapher letztlich auch eine Aussage über die Bedeutung einer Äußerung – nicht allein über deren syntaktische Struktur, die selbst von aller Metaphorizität notwendig unangetastet bleibt.

Die damit eingeführte Unterscheidung zwischen Rahmen und Fokus wird bei Goodman selbst eher vernachlässigt, denn er betrachtet vornehmlich die

|| 237 Max Black: Models and Metaphors – [a.a.O.] S. 17. 238 Ebd. S. 28.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 55: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

62 | Grundlagen

Bezugnahme von Etikettenschemata auf Bezugnahmegebiete – und ferner bil-det die Metapherntheorie bei ihm ohnehin nicht das Zentrum seiner Argumenta-tion. Daher stellt sich das Problem für ihn nicht in diesem Umfang. Auf der syn-taktischen Basis etabliert Black nun die semantischen Substitutionstheorie einer Metapher als „[j]ede Auffassung, die davon ausgeht, daß ein metaphori-scher Ausdruck anstelle eines äquivalenten wörtlichen Ausdrucks gebraucht wird“239. In diesem Zusammenhang hat Henle die Begriffe des unmittelbaren und mittelbaren Zeichens für eine Bedeutung x eingeführt, welche durch die (mittelbaren) Zeichen als Metapher ikonisch zum Ausdruck gebracht wird.240 Auch Black sieht in der Analogie die Grundlage für eine Metapher. Resultat ist die sogenannte Vergleichstheorie der Metapher, die dann vorliegt, „[b]ehauptet ein Autor, daß eine Metapher in der Darstellung der zugrundeliegenden Analo-gie oder Ähnlichkeit besteht“241. Hier bezieht sich Black offenkundig auf Aristo-teles, geht aber auch über diesen Ansatz hinaus: Die Vergleichstheorie behan-delt Black nämlich als einen Sonderfall der übergeordneten Substitutionstheo-rie, der im Allgemeinen zu vage ist. Ergänzend bringt Black deswegen den ‚interaction view‘ ins Spiel:

„Auf die einfachste Form gebracht, bringen wir beim Gebrauch der Metapher zwei unter-schiedliche Vorstellungen in einen gegenseitig aktiven Zusammenhang, unterstützt von einem einzelnen Wort oder einer einzelnen Wendung, deren Bedeutung das Ergebnis der Interaktion beider ist.“242

Alle Dimensionen müssen in einer bestimmten Art und Weise zusammenspie-len, soll die Metapher verständlich sein und somit rhetorisch überzeugen, also etwas kurz und unmittelbar ‚vor Augen führen‘. Genau diese Interaktion hatte Beardsley als Konflikt im Kontext der „metaphorischen Verdrehung“ interpre-tiert:

„Wenn ein Wort mit anderen derart kombiniert wird, daß zwischen seiner Hauptbedeu-tung und den anderen Wörtern ein logischer Gegensatz entsteht, tritt […] jene Verschie-

|| 239 Max Black: Die Metapher – In: Anselm Haverkamp (Hrsg.): Die Theorie der Metapher – [a.a.O.] S. 61. 240 Vgl. Paul Henle: Die Metapher – In: Anselm Haverkamp (Hrsg.): Die Theorie der Metapher – [a.a.O.] S. 80‒105, hier: S. 83. 241 Max Black: Die Metapher – In: Anselm Haverkamp (Hrsg.): Die Theorie der Metapher – [a.a.O.] S. 66. 242 Ebd. S. 69.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 56: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

Goodman und die Strömungen der Metapherntheorie | 63

bung von der Hauptbedeutung zur Nebenbedeutung ein, die uns anzeigt, daß wir das Wort metaphorisch verstehen sollen.“243

Eine Ähnlichkeit zwischen den bezeichneten Dingen ist also nicht mehr gefor-dert, die Bedeutungsverschiebung wird im Wesentlichen syntaktisch fundiert: „Das Vehikel kontrolliert fortlaufend die Art und Weise, wie der Tenor Gestalt annimmt“244, hatte Richards bekanntlich formuliert. Tenor ist hierbei als über-tragene Bedeutung, Vehikel als das gebrauchte Etikett, an dem die übertragene Bedeutung verankert wird, zu verstehen. Richards‘ Beispiel an dieser Stelle lau-tet: „Fluss“ (= Vehikel) als Metapher für „poetische Einbildungskraft“ (= Tenor).

Es geht also um die syntaktisch Fundierung des metaphorischen Gebrauchs und darum, wie sich an dieser syntaktischen Fundierung die Metaphorizität einer Aussage nachweisen lässt. Vorausgesetzt bleiben das Vehikel und dessen grammatische Eigenschaften, an denen sich die übertragene Bedeutung, der Tenor, fixieren lässt. Die Frage, die Black nun ebenfalls zu beantworten sucht, ist, worauf die Schlagkraft, das Treffen, kurz die ‚Richtigkeit‘ einer Metapher beruht, wenn vornehmlich die Substitutions- und Interaktionstheorie als Grundlage für jede Metaphernbildung angesehen werden können – und nicht die ‚Ähnlichkeit‘ von Tenor und Vehikel. Blacks Antwort führt zu einem System von Gemeinplätzen („system of associated commonplaces“245). Entscheidend für das Gelingen einer Metapher ist jedoch keineswegs allein die Richtigkeit dieser Gemeinplätze, sondern vornehmlich die Tatsache, dass sie ohne größere Schwierigkeiten unmittelbar zur Verfügung stehen. Somit funktionieren Meta-phern wie ein ‚Filter‘, durch den bestimmte Aspekte in den Vordergrund ge-bracht werden können. Nach Goodman wäre dieses System von Gemeinplätzen nichts mehr als das (nach der ‚paradigmatischen‘ Definition verstandene) Schema (schema) von alternativen Etiketten, die im alltäglichen Sprachge-brauch verankert sind. Dieses Begriffsschema ist nach Black die Basis für den beschriebenen „metaphorical shift“246, in dem die figurative die buchstäbliche

|| 243 Monroe C. Beardsley: Die metaphorische Verdrehung – In: Anselm Haverkamp (Hrsg.): Die Theorie der Metapher – [a.a.O.] S. 120‒141, hier: S. 129. 244 Ivor Armstrong Richards: Die Metapher – In: Anselm Haverkamp (Hrsg.): Die Theorie der Metapher – [a.a.O.] S. 46. 245 Max Black: Models and Metaphors – [a.a.O.] S. 40. Allerdings schränkt Black auch dieses System von Gemeinplätzen ein, denn auch hier findet durchgängig eine Selektion statt. Sein Beispiel ist die Aussage „Der Mann ist ein Wolf“. In diesem Fall werden dem Mann Prädikate zugeschrieben, die buchstäblich auf einen Wolf zutreffen. Daraus folgt laut Black ein „wolf-system of related commonplaces“ (S. 41). Dieses Verfahren entspricht dann dem „metaphorical shift“ (S. 42). 246 Max Black: Models and Metaphors – [a.a.O.] S. 42.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 57: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

64 | Grundlagen

Bedeutung substituiert. Dieser Sprung scheint eine besondere Möglichkeit zu sein, etwas zu bezeichnen, das im gefestigten Sprachgebrauch bislang – buch-stäblich – nicht ohne Weiteres bezeichnenbar ist. So ist der Zweck einer Meta-pher, welche Black jedoch bestenfalls für einen „unscharfen Begriff“247 hält und der er – vor allem in der Philosophie – durchaus eine gewisse ,Gefährlichkeit‘ zuschreibt,248 folgendermaßen bestimmt:

„A memorable metaphor has the power to bring two separate domains into cognitive and emotional relation by using language directly appropriate to the one as a lens for seeing the other; the implications, suggestions, and supporting values entwined with the literal use of the metaphorical expression enable us to see a new subject matter in a new way. […B]ut the metaphor itself neither needs nor invites explanation or paraphrase.“249

Die erwähnte Gefährlichkeit von Metaphern besteht zudem darin, dass sie na-türlich keine Begriffe sind, sondern immer ,nur‘ eine Art von Konstrukt – da sie ja an einen buchstäblichen Gebrauch zurückgebunden bleiben. Besonders für die Philosophie besteht darin natürlich eine Gefahr, denn auf eine gewisse Art und Weise lässt sich der Gehalt einer Metapher gerade nicht paraphrasieren und explizieren.

Gerade an diesen Überlegungen zu möglichen oder unmöglichen Paraphra-sierung von Metaphern setzt die Argumentation von Ricœur, die hier als ergän-zende Theorie eingeführt werden soll, an. Ricœur macht in diesem Zusammen-hang geltend, dass sich keine Metapher ohne den Rekurs auf Metaphern definieren lässt. Das, was die Metapher in ihrer ‚Minimallänge‘ (minimal eben der eines Wortes)250 zum Ausdruck bringt, ist – zumindest mit der gleichen Wir-kung – gerade nicht übersetz- oder paraphrasierbar. Auch in Goodmans Meta-pher der „Affäre“, die er zur Klärung seines eigenen Metaphernbegriffs bemüht hatte, ist dieses Moment deutlich enthalten, denn die Metapher exemplifiziert in bestimmter Hinsicht Eigenschaften dessen, was zum Ausdruck gebracht werden soll.251 Auch im Bezug auf das In-Bewegung-Setzen eines ganzen Netzwerks von Etiketten argumentiert Ricœur durchaus in die gleiche Richtung wie Goodman und begreift die Metapher in erster Linie als ein diskursives Phänomen, das

|| 247 Max Black: Die Metapher – In: Anselm Haverkamp (Hrsg.): Die Theorie der Metapher – [a.a.O.] S. 55‒79, hier: S. 59. 248 Vgl. Max Black: Models and Metaphors – [a.a.O.] S. 47. 249 Ebd. S. 237. 250 Vgl. Paul Ricœur: Die Metapher und das Hauptproblem der Hermeneutik – In: Anselm Haverkamp (Hrsg.): Die Theorie der Metapher – [a.a.O.] S. 356‒378, hier: S. 357. 251 Vgl. Catherine Z. Elgin: Eine Neubestimmung der Ästhetik. Goodmans epistemische Wen-de – In: Jakob Steinbrenner (u.a.): Symbole, Systeme, Welten – [a.a.O.] S. 43‒60, hier S. 46.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 58: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

Goodman und die Strömungen der Metapherntheorie | 65

„durch eine aus der Art schlagende Zuschreibung ein ganzes Netz von Bezie-hungen durcheinanderbring[t]“252. In der Terminologie Goodmans hätte man hier sicher nicht von Durcheinanderbringen, sondern eher von der Übernahme und Neuorganisation der fremden Sphäre durch ein etabliertes Schema (sche-ma) von Etiketten sprechen können. Ricœur führt die Grundfunktion einer Me-tapher wiederum wesentlich auf Aristoteles und dessen paradigmatische Defini-tion zurück:

„Die aristotelische Idee des allotrios bringt also tendenziell drei verschiedene Ideen zu-sammen: die der Abweichung im Verhältnis zu einem gewöhnlichen Sprachgebrauch; die der Entlehnung aus einem Ursprungsbereich; und die der Substitution im Verhältnis zu einem abwesenden, doch zur Verfügung stehenden gewöhnlichen Wort.“253

Ziel der Metapher ist es auch nach Ricœur, die Wirklichkeit auf eine neue Weise zu beschreiben, einen Sachverhalt unmittelbar vor Augen zu führen. Es gibt, wie auch Blumenberg geltend gemacht hat,254 auch bei Ricœur keine ‚Überein-stimmung‘ zwischen Logos und Kosmos, keine Philosophie, die vollkommen klar und begrifflich eindeutig wäre. Genau in dieser ‚Verlegenheit‘ springt die Metapher ein – nun aber mehr und mehr systematisch an den Punkten, an de-nen keine Kategorien zur Verfügung stehen. Ob man nun so weit gehen muss, manchen Metaphern (etwa dem Bild der „Höhle“ bei Platon)255 einen ,absoluten‘ Charakter – als Restbestände auf dem Weg vom Mythos zum Logos – zuzu-schreiben, wäre ohne Zweifel ausführlicher zu diskutieren. Das soll aber hier nicht das Thema sein.

In diesem Sinne ist die Metaphernbildung jedoch, und das gilt es festzuhal-ten, immer auch eine Art von ‚Kunst‘: Jede gute Metapher ist im Sinne von Ha-rald Weinrich deswegen kühn,256 weil sie etwas auf eine neuartige Art und Wei-se in anders nicht zu bewerkstelligender Kürze zum Ausdruck bringt. Nur dann wird die Metapher ‚zünden‘. Nun bezieht auch die aristotelische Tradition die Metapher ähnlich wie Goodman im Wesentlichen auf das Wort als solches. Die

|| 252 Paul Ricœur : Die lebendige Metapher – [a.a.O.] S. 27. 253 Ebd. S. 25. 254 Vgl. Hans Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie – In: Anselm Haverkamp (Hrsg.): Die Theorie der Metapher – [a.a.O.] S. 285‒315, hier: S. 287ff. 255 Ziel des Höhlengleichnisses bei Platon ist es ja gerade, eine Metapher für die Nicht-Erkennbarkeit von ,absoluten‘ Ideen zu finden. Die Erkenntnis funktioniert maximal über das Abbild, die Erscheinung, der Idee. Dieses Gleichnis hat die Funktion, einen sehr komplexen Sachverhalt griffig und somit zugänglich zu machen. 256 Vgl. Harald Weinrich: Semantik der kühnen Metapher – In: Anselm Haverkamp (Hrsg.): Die Theorie der Metapher – [a.a.O.] S. 316‒339.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 59: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

66 | Grundlagen

sprachliche Umgebung einer Metapher, den Satz oder die Phrase, betrachtet Weinrich nicht ausführlich. Das hatte Black wie oben gesehen kritisiert und stattdessen die Einführung der Begriffe „Fokus“ und „Rahmen“ vorgeschlagen. Ricœur gibt diesbezüglich zu bedenken, dass die auf das Wort aufgebaute Meta-pherntheorie jedoch nicht falsch, sondern lediglich unvollständig sei.257 Die Diskussion müsse lediglich erweitert werden.

Goodman geht auf diesen Teil der Analyse nicht weiter ein, aber dennoch sind diese Implikationen in seiner Theorie angelegt, denn er spricht davon, dass lediglich das Bezugnahmegebiet verändert bzw. neu erschlossen werden muss. Da jedes Etikett nur in einem mehr oder weniger bestimmbaren Begriffsschema (schema) seine Bedeutung hat und dieses wiederum auf einem syntaktisch or-ganisierten Schema (symbol scheme) fußt, bleibt die Frage, ob die Metaphorizität einer Aussage nun an einem einzelnen Wort oder an der ganzen Aussage hängt, bei Goodman notwendig unterbelichtet. Ricœur wie Black ar-gumentieren jedoch dafür, jeweils die komplette Aussage als metaphorisch zu interpretieren. Dieser Auffassung ist sich aus den bislang referierten Gründen anzuschließen. Die Dimension, die bei Ricœur über diejenige Blacks hinaus-geht, liegt in der Bemerkung, dass die Metaphorizität einer Metapher in einem „Aufbau des Netzes von Wechselwirkungen [besteht …], das einen bestimmten Kontext zu einem aktuellen und einzigartigen macht“258. Somit hat auch die Me-tapher – wie auch buchstäblich verwendete Etikette – einen stets kontextge-bundenen Wortsinn. Der Fokus der Metapher – das Wort, dessen buchstäbliche Bedeutung in diesem Kontext ‚nicht passt‘ – wird lediglich zu einer Art Erken-nungsmerkmal einer an sich komplett metaphorischen Aussage.259 An diesem Wort bzw. der Tatsache seines (buchstäblichen) Nichtpassen zeigt sich, dass die komplette Aussage metaphorisch zu verstehen ist. Übersetzt man diese Dinge nun in die üblichen Termini von Referenz und Prädikation, so zeigt sich, dass es die Metapher vor allem mit der Dimension der Referenz zu tun hat. Dabei gehe es, so Ricœur, immer nur um sprachliche Elemente mit Satzstatus. Zeichen auf Wortebene beziehen sich lediglich auf andere Zeichen innerhalb des Systems, nur die Rede in Satzform bezieht sich auf Dinge und macht Aussagen über die-selben. Die Metapher behandelt Ricœur nun als eine Verdopplung der Referenz, als doppeltes Sehen:

|| 257 Paul Ricœur: Die lebendige Metapher – [a.a.O.] S. 57. 258 Ebd. S. 165. 259 Vgl. ebd. S. 194.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 60: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

Goodman und die Strömungen der Metapherntheorie | 67

„Denn die früheren Klassifizierung, die mit dem früheren Wortgebrauch zusammenhängt, leistet Widerstand und bewirkt eine Art stereoskopen Sehens, wobei der neue Zustand nur in der Tiefe des durch den Kategorienfehler zerrütteten Zustands wahrnehmbar wird.“260

Die Nähe dieser Aussage zur Goodman’schen Metapher der „Affäre“ liegt auf der Hand. Festzuhalten ist ferner, dass metaphorisches Sehen auch in diesem Zusammenhang immer ein Sehen-als ist: In diesem Sehen-als, das sich an ei-nem metaphorischen Ausdruck syntagmatisch festmachen lässt, besteht nun die epistemologische Funktion der Metapher:

„[L]ebendig ist die Metapher nicht nur insofern, als sie eine bestimmte Sprache belebt. Lebendig ist sie auch, indem sie den Schwung der Einbildungskraft auf ein »mehr den-ken« auf die Ebene des Begriffs überträgt.“261

Damit ist darauf hingewiesen, dass eine lebendige, das bedeutet eine gut ge-wählte, Metapher einen ,Erkenntnisgewinn‘ mit sich bringt, der ohne die Ver-wendung dieser Metapher nicht in dieser Kürze und Durchschlagkraft möglich wäre. Das gerade ist die lebendige Dimension der Metapher, die vor allem Ricœur in die Diskussion einbringt, und die auch Goodman unterstreichen würde. Goodman würde vermutlich geltend machen, dass letztlich der Unter-schied zwischen Metapher und ‚Begriff‘ kaum Bedeutung hat, wenn es um die Verwendung von Ausdrücken in der Alltagssprache geht. Beide sind und blei-ben tatsächlich – ob metaphorisch oder nicht.

Diesem Argumentationsstrang, der sich mit leichten Abwandlungen von Aristoteles bis hin zu Goodman fortsetzen lässt, steht der Ansatz Donald David-sons entgegen: Seine Kritik setzt vor allem am neuralgischen Punkt von Good-mans Argumentation an, dem Begriff der Bezugnahme262 selbst, den er im Grundsatz für schlichtweg nicht erforschbar hält. Ziel jeder Interpretation ist nach Davidson also nicht das Verhältnis von Schema und Erfüllungsgegen-stand, sondern das Verstehen263 selbst. Die Frage, die Davidson sich stellt, ist also nicht, wie Bezugnahme funktioniert, sondern warum wir uns überhaupt verstehen. Im Zusammenhang mit der Metapherntheorie bekommt diese Frage-stellung besondere Brisanz.

|| 260 Ebd. S. 227. 261 Ebd. S. 285. 262 Vgl. Kap. V. 263 Vgl. Donald Davidson: Wahrheit und Interpretation – Übersetzt von Achim Schulte, 1. Auflage, Frankfurt/M.: Suhrkamp (stw 896) 1990 (1984), S. 9ff.; vgl. Kap. V.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 61: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

68 | Grundlagen

Grundsätzlich fragt sich Davidson, wie bestimmte Begriffsschemata über-haupt entstehen können:264 Die Begriffsschemata stehen für Davidson über den verschiedenen Sprachen und sind nur dann identisch, wenn sich die Sprachen ineinander übersetzen lassen. Damit stellt sich die Frage, welche Grundlage für solche Begriffsschemata bestehen kann: Verständigung und damit das Generie-ren von Begriffsschemata besteht nach Davidson zum Beispiel in der Vergröße-rung der ineinander übersetzbaren Anteile der Sprache eines jeden einzelnen Sprechers – eine „neutrale Grundlage oder ein gemeinsames Koordinatensys-tem“265 gibt es nicht. Hier würde ihm Goodman – auch wenn er, was den Stel-lenwert der Bezugnahme angeht, zweifelsohne widersprechen wollte – sicher Recht geben. Es ist jeweils, so würde er vermutlich formulieren, eine individuel-le Bezugnahme zu leisten, und je mehr diese zu leistende Bezugnahme eine induktiv etablierte Praxis abbildet oder sich an dieselbe anlehnt, desto ‚buch-stäblicher‘ sind die Verwendungen der Etikette. Je mehr sie sich unter bestimm-ten Bedingungen davon abhebt, desto metaphorischer ist sie. Davidson ist der Meinung, dass sich durch die Gemeinsamkeit einer Sprache zu einem großen Teil auch die Gemeinsamkeit eines Weltbildes ergibt, „das in großen Zügen wahr sein muß“266. Nun ist dieses Weltbild allerdings nach Davidson in wesent-lichen Zügen nicht durch Bezugnahme, sondern durch kommunikative Ver-ständigung geprägt. Daher schlägt Davidson vor, auch den Begriff der Bezug-nahme als Grundbegriff der Sprach- und damit der Symboltheorie ganz fallen zu lassen. An dieser Stelle widersprechen sich Goodman und Davidson also sehr deutlich. Davidson räumt dem Metaphernbegriff daher keine zentrale Position ein – eine Erweiterung dieser Wortbedeutung kommt bei einer Metapher für ihn nicht ins Spiel. Allein die Art und Weise der Verwendung mag sich verändern:267

„Jegliche Verständigung durch die lebendige Sprache setzt das Wechselspiel schöpferi-scher Konstruktion und schöpferischer Deutung voraus. Was die Metapher dem Gewöhn-lichen hinzufügt, ist eine Leistung, die keine semantischen Mittel verwendet, die über die-jenigen hinausgehen, auf die das Gewöhnliche angewiesen ist.“268

Wenn dem so ist, bleibt natürlich die Frage, was Metaphern überhaupt bedeu-ten, unbeantwortet. Davidson sucht eine Lösung in seiner gleichnamigen Ab-handlung und kommt dabei zu folgendem Schluss: Metaphern bedeuten das,

|| 264 Vgl. ebd. S. 261ff. 265 Ebd. S. 281. 266 Ebd. S. 283. 267 Vgl. Donald Davidson: Was Metaphern bedeuten – In: Anselm Haverkamp (Hrsg.): Die paradoxe Metapher – [a.a.O.] S. 49‒75, hier: S. 51. 268 Donald Davidson: Wahrheit und Interpretation – [a.a.O.] S. 343.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 62: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

Goodman und die Strömungen der Metapherntheorie | 69

was die betreffenden Wörter auch in der buchstäblichen Interpretation bedeu-ten – „und sonst nichts“269. Trotz dieser ,Bankrotterklärung der Metaphern-theorie‘ versteht sich Davidson nicht unbedingt im Gegensatz zu Black, Henle, Goodman oder Beardsley. Er versucht vielmehr, die Frage zu beantworten, auf welche Art und Weise die Metapher ihre besondere Rolle ausfüllt. Genau diese Frage hatte Goodman aus seiner Argumentation ausgeblendet und lediglich zur Kenntnis genommen, dass wir neben buchstäblichen auch figurative Bezug-nahmen faktisch ins Werk setzen. Nach Davidson besteht Goodmans grundle-gender Irrtum also in der „Vorstellung, daß die beiden »Verwendungen« bei der Metapher irgendwie in ähnlicher Weise ins Spiel kommen wie bei der Mehrdeu-tigkeit“270. Diese Mehrdeutigkeit existiert für Davidson nicht. Ein Etikett hat nur die Bedeutung, die es eben hat. Denn

„[w]äre bei der Metapher – wie bei der Mehrdeutigkeit – eine zweite Bedeutung im Spiel, könnten wir damit rechnen, imstande zu sein, die spezielle Bedeutung eines Wortes in metaphorischer Umgebung anzugeben, wenn wir warten, bis die Metapher stirbt.“271

Das ist aber nicht der Fall. Vielmehr wird ein Satz nur dann für metaphorisch gehalten, wenn er buchstäblich falsch ist. Was unterscheidet aber dann diese metaphorische Bedeutung von buchstäblicher Falschheit? In dieser Hinsicht hat Davidson eine Gebrauchsanalyse der Sprache im Blick. Also kann es auch bei einer tragfähigen Metapherntheorie nur darum gehen, nicht die Bedeutung (die ist bei den Wörtern ohnehin nie trennscharf, sondern immer „ausgefranst“272), sondern den Gebrauch bestimmter Etiketten zu analysieren. Eine Bedeutungs-analyse ist für Davidson nicht möglich, denn was Metaphern bedeuten, hat an sich nichts Proportionales, sondern stößt ein unendliches Feld an – nichts we-niger eine „radikale Herausforderung für die Philosophie“273.

Dieser Meinung schließt sich auch Richard Rorty an, der ebenfalls eine an-dere als die wörtliche Bedeutung bei Metaphern für ausgeschlossen hält.274 Des-halb geht Rorty sogar einen Schritt weiter als Davidson und gibt die Möglich-keit, das Funktionieren von Metaphern jemals zu erklären, nahezu ganz auf:

|| 269 Donald Davidson: Was Metaphern bedeuten – In: Anselm Haverkamp (Hrsg.): Die para-doxe Metapher – Frankfurt/M.: Suhrkamp (Edition Suhrkamp 1940) 1998, S. 49‒75, hier S. 49. 270 Ebd. S. 55 (Fußnote). 271 Ebd. S. 59. 272 Ebd. S. 69. 273 Vgl. Richard Rorty: Ungewohnte Geräusche. Hesse und Davidson über Metaphern – In: Anselm Haverkamp (Hrsg.): Die paradoxe Metapher – [a.a.O.] S. 107‒122, hier S. 107. 274 Vgl. ebd. S. 108.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM

Page 63: Die Metapher im Kontext einer allgemeinen Symboltheorie (Systemtheoretische Überlegungen im Ausgang von Nelson Goodman und deren Konsequenzen für die Philosophie) || I. Grundlagen

70 | Grundlagen

„Wenn wir wüßten, wie Metaphern funktionieren, wären sie wie Zaubertricks: Anlaß zur Erheiterung und nicht […] unverzichtbare Mittel des moralischen und intellektuellen Fort-schritts.“275

Wenn Metaphern unkontrollierbare, aber unverzichtbare Mittel des ,morali-schen‘ und ,intellektuellen‘ Fortschritts sind, dann muss den Metaphern auch eine zentrale Stellung innerhalb jeder Sprach- und damit auch jeder allgemei-nen Symboltheorie zugesprochen werden. Insofern führen Davidsons (selbst mit den Ergänzungen, die Wheeler vorgenommen hat)276 und Rortys Überlegun-gen wohl nicht zu einem zufriedenstellenden Ergebnis.

In diesem Spannungsfeld bietet die extensional verfahrende Theorie Nelson Goodmans einen sicher gangbareren Weg – vor allem, wenn man sich die sys-tematische Position des Metaphernproblems innerhalb der allgemeinen Sym-boltheorie vor Augen führt.

Unter Berufung auf Autoren wie Haverkamp, der in Goodmans Theorie das Argument der tatsächlichen Verwendung von Etiketten in einem wie auch im-mer übertragenen Sinn „auf den neuesten Stand gebracht“277 sieht, werden sich im Folgenden einige interessante Ansatzpunkte formulieren lassen. Eine Mög-lichkeit, den zentralen Rang metaphorischer Verwendungsweisen von Etiketten als ‚Trope der Tropen‘ nachzuspüren, wird es sein, sie in Goodman Duktus nun ausdrücklich in einen systematischen Zusammenhang mit pikturaler Darstel-lung und Notation zu stellen und ihre Position innerhalb einer allgemeinen Symboltheorie als zentral herzuleiten. Diese wird vor allem auf dem syntakti-schen Fundament aufruhen. Darauf hatten Black wie Ricœur hingewiesen. Zunächst soll jedoch kurz der Blick auf die Grundlagen und die Möglichkeiten des ‚freien‘ oder, besser, kreativen Umgangs mit Symbolsystemen gelenkt wer-den.

|| 275 Ebd. S. 122. 276 Vgl. Samuel E. Wheeler: Metaphern nach Davidson und de Man – In: Anselm Haverkamp (Hrsg.): Die paradoxe Metapher – [a.a.O.] S. 123‒160, hier: S. 160. Wheeler hat zum Beispiel darauf hingewiesen, dass keine Prädikation wirklich frei von Figurativem ist, da die Sprache weder ein Code noch ein Algorithmus ist. Die „allerelementarsten Prädikationen“ (S. 160) möchte Wheeler als „sehr tote Metaphern“ (S. 160) verstanden wissen: „Ein Kontinuum ver-bindet die exotischste Metapher mit der grundlegendsten sprachlichen Operation“ (S. 160). 277 Anselm Haverkamp (Hrsg.): Paradigma Metapher/ Metapher Paradigma – In: Anselm Haverkamp (Hrsg.): Die paradoxe Metapher – [a.a.O.] S. 268‒288, hier: S. 281.

Brought to you by | provisional accountAuthenticated | 132.174.255.116Download Date | 7/12/14 4:45 PM