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Die Methodik der lokalisierten Ableitungen hirnbioelektrischer Erscheinungen von der Kopfschwarte des Menschen, ihre Begründung und Begrenzung

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(Aus der Physiologischen Abteilung [Leiter: A. E. Kornmiiller] des Kaiser-Wflhelm- Instituts ffir Hirnforschung [Direktor: Prof. H. Spatz], Berlin-Buch.)

Die Methodik der lokalisierten Ableitungen hirnbioelektrischer Erscheinungen

yon der Kopfschwarte des Menschen, ihre Begriindung und Begrenzung 1.

Von A. E. Kornmiiller und R. Janzen 2.

Mit 8 Textabbildungen.

(Eingegangen am 2. M~irz 1939.)

I. Einleitung. Die Methodik, die hier dargelegt werden soll, hat zwei Ausgangs-

punkte. Der eine ist die von Berger erkannte Tatsache, dab auch am Menschen, und zwar sogar noch dutch die Kopfschwarte, hirnbioelek- trische Erscheinungen feststellbar sind (Elektrenkephalogramm Bergers). Den anderen Ausgangspunkt stellen Tatsachen dar, die hirnbioelek- trische Untersuchungen an Tieren ergeben haben, auf die wir hier erst kurz eingehen wollen.

Wenn man sich bei hirnphysiologischen Untersuchungen stets die Tat- sachen der Hirnmorphologie vor Augen h~lt, so dr~ngt sich die Aufgabe auf, den vielen Strulcturdi//erenzen des Gehirns auch mSglichst gerecht zu werden. Bei den hier in Frage stehenden hirnbioelektrischen Unter- suchungen schien es unerl~Blich, methodisch das bioelektrische Ver- h~lten der einzelnen Teile des Gehirns gesondert zu erfassen (Kornmiiller 1932--1938). Dies geschah zur Hauptsache durch unipolare und ge- legentlich auch dutch enge bipolare Ableitung yon einzelnen, nachtr~g- lich mit dem Mikroskop bestimmten architektonischen Rindenfeldern an Tieren (vornehmlich Kaninchen und Affen, daneben auch an Katzen und tIunden). Durch diese Tierexperimente wurde festgestellt, dab weder yon allen grauen Teilen dasselbe bioelektrische Kurvenbild ge- wonnen werden kann, noch dab die bioelektrischen Potentialschwan- kungen fiber allen Teilen der Hirnrinde synchron sind a. Die Grenze zwischen bioelektrisch unterschiedlichen Gebieten war - - entgegen den

1 Mit Unterstfitzung der Rocke/eller-Foundation. ttamburg-Eppendorf, zur Zeit Berlin-Buch.

a Darin wird ein Gegensatz zu der Anschauung yon Berger gesehen. In der folgenden Mitteilung werden wit uns auf Grund spezieller Untersuchungen be- mfihen, eine Kl~irung der Widersprfiche bzw. eine Synthese bezfiglich der An- schauungen fiber die hirnbioelektrischen Erscheinungen des Menschen vorzu- nehmen.

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Erwartungen auf Grund grob physikalischer Vorstellungen - - au[3er. ordentlich schar/. Eine physikalische Streuung der Potentialschwan- kungen macht sich praktisch kaurn bzw. nicht bemerkbar (Kornmiiller ]932). Diese Tatsache I i s t eine Voraussetzung ffir jeden Versuch, auch noch durch die Kopfschwarte lokalisierte Potentialschwankungen ab- zuleiten.

Es ist Veranlassung dazu gegeben, wieder einmal ausdriicklich festzustellen, dab Kornmiiller nie der Auffassung war, dab bei allen in Frage stehenden Tieren und auch beim Menschen .iedes architektonische Feld oder fiberhaupt jede archi- tektonische Einheit an bioelektrischen ,,Spontanschwankungen" ein au//dllig anderes Bild beziiglich der Frequenzen ergibt. Es wurde im Gegenteil schon frtiher 5fter festgestellt, dab Schwankungen derselben Frequenz fiber verschiedenen Feldern vorkommen. Auch wurde wiederholt darauf hingewiesen, dab sich durch ~zehr. /ache gleichzeitige Registrierunge~ yon verschiedenen Stellen auf Grund der zeit- lichen Beziehungen auch in Gebieten mit Potentialschwankungen gleicher oder /~hnlicher Frequenz eine weitergehende bioelektrische Differenzierung der Hirn- rinde durchfiihren 1/~Bt als lediglich auf Grund der Frequenzunterschiede der Po- ~ntialschwankungen fiber verschiedenen Stellen.

Die tierexperimentell gewonnenen Tatsachen lassen erwarten, dab auch beim Menschen eine bioelektrische Di//erenzierung des Gehirns m6g- lich sein wird. T6nnies (1934) unternahm am hiesigen Inst i tut den ersten Versuch, in Anlehnung an die genannten Tierversuche durch unipo]are Ab- leitungen am Menschen eine solche nachzuweisen. Gibbs und Jasper und deren Mitarbeiter haben gezeigt, dab bestimmte abnorme bioelektrische Erscheinungen an Epileptikern (die Krampfstr6me) 6rtliche Unter- schiede auf der Kopfschwarte aufweisen k6nnen, was tierexperimen- tellen Feststellungen bei Ableitungen yon der bloBliegenden Hirnrinde entsprach. Unterschiede der normalen Spontanschwankungen des Men- schen hat Jasper durch enge bipolare Ableitungen zwischen occipitalen und pr/~zentralen Ableitestellen gefunden. Diese konnten mittels gleicher Elektrodenanordnung best~ttigt werden (Kornmiiller 1937). Wir konnten neuerdings (1938, 1939a und b) fiber weitergehende 6rtliche Unterschiede der verschiedensten hirnbioelektrischen Erscheinungen bei Ableitungen yon der Kopfschwarte des Menschen berichten.

II. l~Iethodik.

A. Die Elektroden und deren Anbringung.

Die lokalisierten Ableitungen stellen hinsichtlich der Anbringung der Elektroden besondere Anforderungen. Es bedurfte langer Erfahrungen, bis wir die folgende auf Abb. l dargestellte Vorrichtung entwickelt hatten, die sich in jeder Weise bew~hrt hatS: Sie besteht aus einem Stirnreifen

1 Neuerdings erfolgte auch dutch Bremer (1938) eine Best/itigung an Hand eines bestimmten Beispieles.

:Eine einfache und praktische Durchfiihrung der gestellten Aufgabe verdanken wir dem Institutsmechaniker, /-[errn Simritzki.

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(S) aus Fiber, auf welchem rundherum Sockel (So) aufmontiert sind, die die einzelnen Elektrodenhalter tragen. Der Stirnrei/en ist mSglichst breit und in seinem Umfang veri~nderbar durch eine Schraube (Sch) in einem Langloch (L). Zweckm/~Big legt man als Unterlage auf die Stirn

Al)b. 1. Vor r i eh tung zur Befest igung de r E lek t roden . Beschreil)ung im Text .

einen Zellstoffstreifen, der breiter ist als der Stirnreifen selbst. Ms ein grol~er Vorteil gegeniiber anderen Elektrodenbefestigungen (z. B. Gummi- hauben u./i.) konnte festgestellt werden, da[~ diese Befestigungsart selbst bei ausgiebigen Bewegungen im Bereiche der Stirn und des Ge- sichts in der Regel keine Verschiebung der Elektroden verursacht. Die Sockel tragen auf einem kurzen Arm eine Kugel (K), die yon zwei Backen (B 1 und B 2) u m f ~ t wird. Letztere haben je eine kleine Gelenkpfanne

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und werden mit Hilfe einer Schraube (Schr) an die Kugel angeprel3t. Die Schraube tr~gt eine durchgKngige Bohrung. In dieser ist der L~nge nach eine Feder (F) verschieblich. Ein Anziehen der Schraube bewirkt gleichzeitig die Fixierung der Backen an die Kugel und das Festhalten der Feder in ihrer Ffihrung. Das eine Ende der Feder (aus Klavier- saitendraht yon etwa 0,7 mm Dicke) endet in einer Spirale (Sp). Diese tr~gt innen eine isolierende Hfilse (H), deren liehter Durchmesser dem Diameter des Elektrodenhalses (Eh) entspricht. Das freie Ende der Feder tr~gt zum Schutz ein Gummihfitchen (G).

Durch die beschriebene Vorrichtung wird folgendes erreicht : 1. Durch das Kugelgelenk ( K + B 1 und B 2) und die Federffihrung ist der Elek- trodenhalter in allen Richtungen des Raumes leicht beweglich (Freiheits- grade durch Pfeile markiert) und durch Anziehen einer einzigen Schraube in jeder Stellung gut fixierbar. 2. Durch die elastischen Eigenschaften der Feder (F) wird erreicht, dab die Elektrode nicht nur anliegt, sondern der Kopfschwarte mit san/tern Druck angel)refit wird.

Es erscheint zweckm~flig, einen gleichm~Bigen, aber nicht zu starken Druck zu verwenden. Je nach der Region, yon der abgeleitet werden soll, sind die Federn nach L~nge und Krfimmung auswechselbar. Bei dichtem ttaarwuchs ist bei den fiblichen Methoden eine gute und rasche Elektrodenfixierung sehr oft nicht mSg- lich. Bei unserer Vorrichtung ist dies nicht der Fall. Die Elektroden werden zwischen die I-Iaare geschoben.

Ffir einzelne FragesteUungen, besonders solche, die die Anbringung vieler Ele]ctroden au/ kleiner Fl~iche erfordern, kann man zweckm~Big an den Stirnreifen noeh Querrei/en (Q) mittels Langloch (L') und Schraube (Sch') anbringen, die Sockel und Elektrodenhalter tragen. Die ge- schilderten Vorrichtungen erlauben ein besonders rasches Wechseln der Elektrodenlagen w~hrend eines Versuchs, ja selbst beispielsweise inner- halb eines einzigen Anfalls und gestatten die Erreichung aller Punkte der Sch~delkonvexiti~t, wie dies mit den bisher fiblichen Elektroden- befestigungen nicht mSglich war.

Wir haben diese Vorrichtung zur Elektrodenfixation auch bei Dauer- registrierungen fiber viele Stunden mit Vorteil verwendet. Da nur eine leichte Anspannung des Stirnrei/ens n5tig ist, wird dieser der zu unter- suchenden Person nicht unangenehm. Unsere Vorrichtung wurde selbst bei Ableitungen wdhrend des Nachtschla/es yon den betreffenden Versuchs- personen oder Kranken nicht als stSrend empfunden. Es empfiehlt sich bei so]chen Untersuchungen, einen Stirnreifen zu verwenden, bei dem occipital bzw. reehts oder links keine Sockel oder Schrauben sind, je nach der yon der betreffenden Person bevorzugten Kopflage im Liegen. Als Elektroden (E) wurden Pflzelektroden (T6nnies 1934) verwendet, die aus einer kreisf5rmigen Stahlplatte (P) bestehen und einen zylin- drischen Hals (Eh) tragen. Die Platte ist mit Flanell fiberzogen und dieser mit einer ziemlich konzentrierten KochsalzlSsun$ getr~nkt. Der Durchmesser der Elektroden betrug 7,5 ram. Auf Unpolarisierbarkeit

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hirnbioelektrischer Erscheinungen vonder Kopischwarte des Menschen. 291

der Elektroden konnte in Hinblick auf unsere Verst/~rker (s. unten) ver- zichtet werden. Der Hals der Pilzelektroden wird yon der isolierenden Htilse (H) umfaBt. In diesen wird der Bananenstecker (B) eines Drahtes (D) gesteckt, der zum Schaltbrett fiir die Eing/inge des ersten Verst/irker- satzes fiihrt. Die Verbindung zwischen Elektroden und Eing/ingen der ersten Verst/irkers/~tze soll mSgliehst kurz sein (Vermeidung von StS- rungen, z .B. aus dem Wechselstromnetz u./~.).

Vor der Ableitung ist es zu empfehlen, den Kopf der zu untersuchenden Person gut mit Seife waschen zu lassen oder zumindestens mit Alkohol zur Entfettung ab- zureiben. Bei Lokalisationsversuchen sitzt die zu untersuchende Person bequem in einem Sessel. Anfallskranke werden natiirlich im Liegen untersucht. Im Sitzen wird der Kopf am besten in der Mittellage gehalten, d. h. weder auf die Brust noch in den l~aeken h/~ngen gelassen. Vielfaeh lassen sich Muskelaktionsstr6me dadurch von den Elektroden fernhalten, dall die Versuchsperson mit leicht gefffnetem Munde atmet.

B. Versttirker und Registriervorrichtung.

Zur Vers~rkung der hirnbioelektrischen Erscheinungen dienten drei C-W-gekoppelte Verst/~rkers/itze des von T6nnies (1935) konstruierten Polyneurographen, vor deren Eingangsstufen drei Di//erentialverst~rker nach T6nnies (1938) geschaltet waren. Die Di//erentialverstdrker ermSg- lichen es uns, gleichzeitig Ableitungen vorzunehmen, bei denen nicht eine gemeinsame indifferente (geerdete) Elektrode erforderlich ist, so dab wir also gleichzeitig uni- und bipolare Ableitungen vornehmen k5nnen. Durch die besondere Schaltung des Differentialverst/~rkers, die eine modifizierte Gegentaktsehaltung darstellt, ist es leichter mSglich, St5- rungen in ihrer Wirkung auf den Verst/irker fernzuhalten. Dies gilt besonders ffir solche, die die Eing/mge praktisch gleich treffen, wie z. B. diejenigen, die aus dem Wechselstromnetz stammen. Da die Aus- steuerung der beiden Gitter eines D-Verst/~rkers rein statisch, ohne dab die abgeleiteten Spannungen durch einen Gitterwiderstand belastet wer- den, erfolgen, ist das Fliei~en eines Stromes iln Ableitekreis unmSglich, so dab auch die Auswirkung yon Polarisationsspannungen an den Elek- troden verhindert wird. Dadurch eriibrigt sich die Verwendung von un- polarisierbaren Elektroden. Die D-Verst/~rker, in n/tchste N/ihe der Elektroden gestellt und nur durch kurze Dr/ihte mit diesen verbunden, ermSglichen die Verwendung geringerer Verst/~rkungen in den folgenden Verst/irkers/itzen des Polyneurographen und dementsprechend wirken sich auch eventuelle StSrungen an den Eing/~ngen des Polyneurographen kaum oder nicht aus. Siehe auch Kornmiiller und Schaeder.

Gemeinsam mit T6nnies hat Kornmuller zuerst (1932) Tintenschreiber fiir die Aufzeichnung hirnbioelektrischer Erscheinungen benutzt. Es wurde seitdem im Laufe der Jahre immer wieder darauf hingewiesen, wie zweckm/~Big es ist, solche zu benutzen. Die uns hier interessierenden hirnbioelektrischen Erscheinungen sind im allgemeinen von einer durchschnittlich niedrigen Frequenz, so dab sie mit geeigneten mechanischen Systemen (Tintensehreibern) ausreichend naturgetreu

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wiedergegeben werden. Da die hirnbioelektrischen Erscheinungen in ihrem Ver- lauf nicht schematisch sind, ist zur Erkennung yon Gesetzm~Bigkeiten ein groBes Material nStig, das eine ausschlieBlich optische Registrierung viel zu kostspielig machen wfirde.

C. Die Ableitungsarten und ein Schema des Vorgehens bei lokalisatorischen bioelektrischen Untersuchungen.

Wie bei den Tierexperimenten (Kornmiiller 1937b und Kornmiiller und Schaeder 1938) ha t sich auch bei den Ablei tungen am Menschen ergeben, dab das tats~chliche bioelektrische Verhalten der Hirnrinde am besten durch die gleichzeitige Verwendung yon unipolaren und bipo- laren Ableitungen errant wird.

Bei der unipolaren Ableitung liegt nur eine, die differente, Elektrode fiber dem Gehirn (auf der Kopischwarte), w~thrend die andere, die sog. ,,indifferente" Elek- trode auf einer Stelle liegt, die selbst mSglichst keine bioelektrischen Erschei- nungen aufweist. Daffir kommen in erster Linie die Ohrl~ppchen und die l~ase in Frage 1. Registriert werden dabei die Potentialdifferenzen, die zwischen dem aktiven und dem inaktiven Ableitepunkt auftreten. Bei bipolarer Ableitung liegen beide Elektroden auf der Kopfschwarte nebeneinander oder konzentrisch. Ober einzelne Vor- und Nachteile dieser beiden Grundableitungen siehe die zuletzt zitierten Arbeiten, die Untersuchungen an Tieren betreffen! Den dortigen Aus- ffihrungen Entsprechendes gilt auch fiir die Ableitungen am Menschen. Auf diese Ableitungsarten kommen wir welter zurfick.

Wie in frfiheren VerSffentlichungen aus unserem Ins t i tu t (seit 1933) dargelegt wurde, ist eine gleichzeitige mehr/ache Registrierung ftir hirn- bioelektrische Untersuchungen yon grol3em Vorteil. Die dreifache gleich- zeitige Ableitung ha t sich als optimal erwiesen. Eine geringere Zahl er laubt nicht die gleichzeitige uni- und bipolare Ablei tung yon zwei Punkten . Eine grS~ere Anzahl ist mit der Betreuung zu vieler Elektroden verknfipft. Eine Anordnung mit mehr als drei Ableitungen kann natfir- lich ffir best immte Fragestellungen nfitzlich sein. I m Laufe der Zeit ha t sich das nachfolgende Schema des Vorgehens bei den hirnbioelelctrischen Untersuchungen von kranken Menschen als besonders geeignet erwiesen. Man erhi~lt dadurch eine grobe Orientierung fiber das bioelektrische Verhalten der verschiedenen Regionen und fibersieht so leicht nichts (s. dazu Abb. 2 !).

1 Wit haben in besonderen Versuchen gepriift, ob Ohrl~ppchen und Nase als ,,inaktive" Stellen ftir unipolare Ableitungen tatsiichlich geeignet sind. Es wurden folgende Ableitungen vorgenommen: Ohrl/ippchen gegen Ohrl~ppchen, Ohrlapp- chen gegen Kinn, Nasenflfigel oder Nacken. Bei normalen Versuchspersonen er- gaben sich Schwankungen, deren AmplitudengrSl]en gegenfiber den hirnbioelek- trischen Potentialschwankungen zu vernachl~ssigen sin& Dies fanden wir in unseren Fhllen immer, Damit sol! nicht gesagt sein, dab dies ausnahmslos grit und deswegen eine Kontrolle des inaktiven Punktes stets fiberflfissig w~re. Besonders eindrucksvoll waren die Prfifungen der ,,Inaktivit~t" yon Ohr|/ippchen und Nase bei Epileptikern. Selbst w~hrend kontinuierlicher Krampfstromanf~lle fiber allen Teilen der Konvexitat waren die gen~nnten Stellen tats~chlich indifferent.

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1. Dreifache gleichzeitige bipolare Ableitungen yon symmetrischen Punkten fiber beiden Hirnh/ilften, und zwar frontal, zentral und occi- pital, wie a der Abb. 2 zeigt.

2. Dreifache gleichzeitige bipolare Ableitungen zentro-occipital links und rechts und bioccipital bzw. bizentral (gestrichelt) (siehe b der Abb. 2 ~).

3. Analoge bipolare Ableitungen zentro-frontal links und rechts (nicht abgebildet).

4. Bifrontal und je unipolar frontal links und rechts gegen ein Ohr (siehe c der Abb. 2 !).

5. Dasselbe fiir die zentralen A bleitepunkte.

6. Dasselbe fiir (lie occipitalen Ableitepunkte.

7. l)reifache unipolare Ablei- tungen frontal, zentral und occi- pital rechts gegen ein Ohr (siehe d der Abb. 2 !).

8. Wie 7. fiir die linke Seite. Es ist erforderlich, diese Reihe

mehrfach zu wiederholen bei Ab- iinderung der Elektrodenlagen so- wohl in medio-lateraler als auch /ronto-occipitaler Richtung. Wir bringen welter unten praktische Bcispiele fiir die Zweckm/~l~igkeit der einzelnen Ableitungen, wie sic auf Abb. 2 dargestellt sind.

Bei verschiedenen physiologi- schen Fragestellungen und in den

a b

c d A b b . 2 a ~ l . S c h e m a d e s V o r g e h e n s bei

l o k a l i s i e r t e n A b l e i t u n g e n .

F/~llen, wo sich bei den Kranken ein abnormer Befund ergibt, sind natfir- lich besondere Elektrodenlagen und Kombinationen yon unipolaren und bipo- laren Elektrodenanordnungen erforderlich, wie man umgekehrt an Kran- ken unter Umst~nden mit weniger Ableitungen auskommen kann, als an Hand von Abb. 2 beschrieben wurden. Die unipolare und die bipolare Ableitung und deren gleichzeitige Kombination stellen die Grundanord- mmgen dar, mit denen die mSgliche Erfassung der hirnbioelektrischen Erscheinungen erschSpft wird, soweit diese yon den Elektrodenanord- mmgen abMngig ist.

D. Begriindung und Begrenzung der Methode.

Zur Begri~ndung des geschilderten methodischen Aufwandes und des Bemiihens, 6rtliche Unterschiede im bioelektrischen Verhalten der Hirn- rinde durch die Kopfschwarte zu erfassen, folgen nun einige praktische

Z. f. d . g . N c u r . u . l~sy( 'h. 166. 20

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Boispiele, die teilweise auch ffir die Begrenzung der Methodik (weiter unten) herangezogen werden. Abb. 3 zeigt Registrierungen von der 10ji~hrigen W. D., die seit 2 Monaten an geh~uften reinen Absencen leidet. Es wurde gleichzeitig dreifach unipolar fiber der Frontal- (1), Zentral- (2) und Occipitalregion (3) der rechten Hemisphere abgeleitet. Auf der Abb. 3 ist das bioelektrische Aquivalent einer Absence vollst~ndig wiedergegeben 1. Naeh kurzen Strecken von etwa normal groBen Po- tentialschwankungen fiber allen drei Ableitungen tritt plStzlich ein kontinuierlicher Kramp/stroman/all, durch besonders grol3e und steile

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Abb. 3 A und B. Hirnbioelektrische R e g i s t r l e ~ e n yon elner Kranken mi t geht~uften A b s e n c e n (W. D.). B e s e h r e i b u n g i m Tex t .

Abl~ufe gekennzeichnet, auf, dem zeitlich der Bewui3tseinsverlust zu- geordnet ist. Man erkennt, dab die Krampfstromabl~ufe frontal be- ginnen. Zur gleichen Zeit sind zwar zentral schon gewisse Ab~nde- rungen der Spontanschwankungen zu sehen, occipital aber noch nicht. Ausgesprochene Krampfstromabl~ufe beginnen zentral und occipital 1 Sek. sparer als frontal. Man erkennt ferner, dal3 die Kurven/ormen der Krampfstr5me tiber den drei Ableitungen verschieden sind. Im An- schlui3 an die letzten KrampfstrSme (auf Streifen B links), die gemein- sam aufhSren, sind auch in den darauffolgenden Potentialschwan- kungen 5rtliche Unterschiede vorhanden. Der Abstand der differenten Elektroden voneinander betrug je 9 cm.

Aus diesen Feststellungen ergibt sich folgendes: 1. Die abnorm starken Erregungen (wie sie dureh die KrampfstrSme angezeigt werden) haben einen 5rtlich verschiedenen' Beginn. 2. Die verschiedenen Kurven- formen fiber den einzelnen Regionen sind Ausdruck unterschiedlicher Erregungsabl~ufe. 3. Daraus ergibt sich auch, dab sich eine grobe ,,physikalische Streuung" der Potentialschwankungen fiber die Kopf-

1 Streifen A und B schliel3en unmittelbar aneinander an.

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schwarte hinweg unter den vorliegenden Versuchsbedingungen nicht be- merkbar macht.

Wenn wir in dieser Arbeit von ,,physikalischer Streuung" der in der Hirnrinde entstehenden Potentialschwankungen durch die Kopfschwarte sprcchen, so soU dies nur eine kurze Bezeichnung fiir die Tatsache sein, dal~ sich mit Elektroden, die auf der Kopfschwarte liegen, also von dem Entstehungsort der hirnbioelektrischen Erscheinungen durch eine Reihe lebender Medien (Liquor, Dura, Knochen, Periost und Kopfschwarte)

0

O/2mV

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- ~ t 1. / N . ^ 0 ,12~v

Sek.

Abb. 4. Hi rnb ioe lek t r i sehc Able i tungen yon d e m K r a n k e n K:o. I t . V c r d a c h t au f a m a u r o t i s e h c Idiot ic . Bcsehrc ibung ira Text .

getrennt sind, noch Potentialschwankungen der Hirnrinde erfassen lassen. Die elektrische Leitfi~higkeit der besagten Medien hat wohl zur Folge, dab dann, wenn an einer bestimmten Stelle der Hirnrinde Span- nungsschwankungen entstehen, nicht nur an dem unmittelbar dariiber- liegenden Punkt der Kopfschwarte meBbare Potentialschwankungen vorhanden sind, sondern auch in einem mehr oder weniger ausgedehnten Gebiet derselben. Die Gr6Be dieses Areals interessiert in dem vorliegen- den Zusammenhang. Welcher Art die Ieineren physikalischen Vorg/~nge sein mSgen, die die Grundlage fiir diese Ausbreitung der bioelektrischen Potentialschwankungen der ttirnrinde durch die dariiberliegenden Medien abgeben, kann hier nicht erSrtert werden.

Abb. 4 stammt von einem Kranken (Ko. tI.) mit der Wahrscheinlich- keitsdiagnose amaurotische Idiotic 1, der in den Tagen der Ableitung

1 Hirnzylinder histologisch untersucht.

20*

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296 h. E. Kornmfiller und R. Janzen: Die Methodik der lokalisierten Ableitungen

zahlreiche Anfs hatte. Die Registrierung, die die Abb. 4 zeigt, ist 1 Stunde nach einem eigenartigen ,,subcorticalen" Anfall gewonnen worden. Von zwei symmetrischen, 7 cm voneinander entfernten, Punkten fiber der Zentralregion wurde gleichzeitig bipolar (1--2) und unipolar gegen das rechte Ohr (1 und 2) abgeleitet. Auf allen drei Kurven sind einzelne Krampfstromentladungen zu beobachten, die durch ihre Steil- heit gekennzeichnet sind. Sie sind auf der Abbildung durch Sternchen und Kreise markiert. Den Krampfstromeinzelentladungen der beiden unipolaren Ableitungen (1 und 2) entspricht naturgems auch jeweils eine analoge Krampfstromzacke auf der bipolaren Registrierung (1--2). Die Krampfstromentladungen der beiden unipolaren Ableitungen (1 und 2) sind zeitlich nicht miteinander ver]cniip/t. Sie eYfolgen in unregel- m~l~igen Abst~nden, wie sich auf Grund ]iingerdauernder Registrie- rung mit Bestimmtheit sagen l~[~t 1. In der bipolaren Ableitung (1--2) sind die von der linken (1) Elektrode stammenden Krampfstromzacken nach unten gerichtet und die yon der rechten herrfihrenden nach oben.

Diese gleichzeitige uni- und bipolare Ableitung ergibt folgendes: Die abnorm starken, ErregungsstSl~e (durch Krampfstromentladungen an- gezeigt) sind fiber diesen symmetrischen Punkten zeitlich voneinander vSllig unabh~ngig. Eine Beein/lussung der beiden Ableitepunkte unter- einander au/ nerv6sem Wege liegt demnach nicht vor.

Die unipolare Ableitung ffir sich allein, auch mehffach vorgenommen, erlaubt ebenso wie die bipolare fiir sich zur Hauptsaehe Beschreibungen der Kurven/orm fiber verschiedenen Ableitestellen und die Lokalisation bestimmter bioelektrischer Bilder, Die gleichzeitige Verwendung uni- und bipolarer Ableitungen dagegen kann aueh Einblicke in den Mechanis- mus der Erregungsabldu/e ergeben, wie an Hand der folgenden Bei- spiele erstmalig aufgezeigt werden soll. Abb. 5 stammt von derselben Kranken wie Abb. 3 (W. D.). Von zwei symmetrischen Punkten fiber dem Stirnhirn wurden gleichzeitig unipolare Registrierungen (1 und 2) und eine entsprechende, bipolare (1--2) Ableitung vorgenommen. Die beiden Ableitepunkte lagen symmetrisch und je 3,5 em v o n d e r Mittel- linie entfernt. Es handelt sich um einen Ausschnitt aus einem kon- tinuierliehen Krampfstromanfall w~hrend einer Absence. Die Regi- strierung effolgte mit gr6Berer Papiergesehwindigkeit als iiblich. Sie betrug 100mm/sec 2. Alle drei Ableitungen wurden mit der gleichen Registrierempfindlichkeit gewonnen, so dab also der Eichwert auf der unteren Kurve auch Ifir die anderen beiden gilt. Auf eine genaue Koinzi- denz der Schreiber ffir die drei Ableitungen wurde besonders geachtet.

1 In Wirklichkeit haben die Krampfstromzacken der beiden unipolaren Ablci- tungen eine gleichsinnige Verlaufsrichtung (Polarit~t). Sie erscheinen auf der Ab- bildung nur deswegen gegensinnig, weft die unipolaren Ableitungen (1 und 2) am Eingang der ersten Verst~rker gegensinnig gepolt sind.

2 Die Registrierung ist in natfirlicher Gr6~e wiedergegeben.

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Zwischen den einzelnen Krampfstromentladungen lassen sich mehr oder weniger gerade Strecken erkennen, die uns ungef/~hr die isoelek- trische Linie (NuUinie) anzeigen. Die Krampfstr5me der unipolaren Ableitungen verlaufen stets nut nach einer Richtung in bezug zu dieser, w/~hrend die KrampfstrSme der bipolaren Registrierung (yon den diffe- renten Punkten der beiden unipolaren Ableitungen) deutlich nach

Sek.

Abb. 5. Gleichzeitige bi- und unipolare Registrierungen iiber der Frontalregion einer Kranken mit gehhuften Absencen (W. D.). Beschreibllng im Text.

beiden Seiten der Nullinie gehen. Diese Schwankungen auf der bipolaren Ableitung zeigen auBerdem die Besonderheit, dab sie an AmpIituden (Spannungswerten) au/]allend grofl sind.

Es kommt nun im folgenden darauf an, zwei analoge Krampfstrom- gruppen der beiden unipolaren Ableitungen in Einzelheiten miteinander zu vergleichen. Dabei zeigt sich, daf~ die tr/~ge (yon oben nach unten verlaufende) Schlu~schwankung (rechts der gestrichelten Linie) oben (yon der linken) und unten (yon der rechten Hirnh/s zeitlich und in der Richtung untereinander fibereinstimmt, so da6 zwischen diesen beiden Stellen dabei keine Potentialdifferenz besteht. Deshalb erkennen wir auf der bipolaren Ableitung zur gleichen Zeit so gut wie keine

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298.4. E. Kornmiiller und R. Janzen: Die Methodik der lokalisierten Ableitungen

Schwankungen. Es ist daher anzunehmen, dal~ die beiden symmetri- schen Punkte wghrend dieser Zeit synchron und im gleichen MaBe erregt werden (z. B. yon einer dritten Stelle aus). Anders ist dies hin- sichtlich der vorangehenden steilen Ablgufe innerhalb der einzelnen Gruppen. Wghrend beispielsweise fiber der linken Ableitestelle eine

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Schwankung yon der Nullinie weg effolgt, zeigt gleichzeitig die rechte Ableitestelle eine Schwankung zur N u l l linie bin. Sie sind also gegensinnig und addie- ren sich darum in ihrer Wirkung auf die ent- sprechende bipolare Ab- leitung (besonders grol~e Schwankungen dieser). Ohne hier auf Einzel- heiten einzugehen, sei nur bemerkt, dab die- ses Verhalten der Aus- druck dafiir sein dfirfte, dab die beiden symme- trischen Ableitepunkte abwechselnd in Tdtigkeit geraten L Dafiir spricht auch die Tatsache, dai~ die Schwankungen der bipolaren Ableitung nach beiden Seiten yon der Nullinie gehen.

Analoge Ableitun-

Sek.

Abb. 62~undB. Gleichzeitigeuni- und bipolareAbleitungen uber der Frontal- (A) und der Zentralregion (B) yon e i n e m Kranken mit petit-real (H. K.). Besch~eibung im Text.

gen yon einem Kranken (H. K.) 2 mit Anfgllen yon petit-real zeigt Abb. 6A. Es handelt sich wiederum um einen Ausschnitt aus kontinuierlichen Krampfstroment- ladungen wghrend eines Anfalls von Bewufltlosig]ceit, bei dem unter den gleichen physikalischen Voraussetzungen registriert wurde wie im vorhergehenden Fa]]e a. Innerhalb einer Krampfstromgruppe finden wit

1 Beispielsweise durch Hin- und Herpendeln der Erregungen. Auf unserer Abteflung mit anderer Fragestellung bereits yon Jung unter-

sucht. Der Genannte hat auch den Bananenstecker zur T6nniesschen Pilzelek- trode empfohlen.

a Eh~ Unterschied besteht nur darin, dab die Polung am Eingang der Diffe- rentialverstgrker fiir die unipolaren Ableitungen hier gegensinnig ist. Spiegelbi|d- liche Ablaufe dieser unipolaren Registrierungen (obere und untere Kurve) sind also in ihrer Polaritgt in Wirklichkeit gleichsinnig.

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bei unipolarer Ableitung wiederum das Bild der Aufeinanderfolge von spitzen und tr/~gen Schwankungen (,,spikes" und ,,waves" nach Gibbs). Die Potentialschwankungen v o n d e r linken und der reehten unipolaren Ableitung der beiden Punkte fiber dem Frontalhirn sind weitgehend synchron, von gleicher Richtung und GrSBe. Es besteht deshalb zwischen ihnen jeweils fast keine Spannungsdifferenz, so dab die bipolare Ableitung yon dem Krampfstromablauf nur sehr wenig erkennen ls In diesem FaUe muB also weitgehend eine gleichzeitige und gleichsinnige Erregung der beiden Frontalstellen vorliegen. Bei einem Hin- und Herpendeln der Erregungen zwischen den beiden Stellen kSnnte ein solches Verhalten nicht erwartet werden.

Die gleichzeitige uni- und bipolare Ableitung fiber symmetrisehen Punkten der Zentralregion (Abb. 6B) an demselben Kranken ergibt ein teflweise anderes Verhalten. Die steilen Abls wirken sigh auf der bipolaren Ableitung zwar aus, sind aber an Amplitude (Spannungs- werten) geringer als die entspreehenden der unipolaren Ableitungen. Das Verhalten der rasehen Abl~ufe erinnert etwas an das an Hand yon Abb. 5 ausffihrlich Besprochene, zeigt abet demgegenfiber doch Unter- schiede (Fehlen der Summierung). Daraus muB man in gewisser Hinsicht auf andere Verh/~ltnisse des Erregungsmechanismus schlieBen. Wenn man noch beriicksichtigt, dab bei demselben Kranken fiber versehie- denen Regionen unterschiedliche Verh/~ltnisse des Erregungsmechanis- mus angenommen werden mfissen (vgl. A und B der Abb. 6), so erkennt man den Vorteil der Analyse eines so einfachen und h/~ufigen Bildes (,,spikes" und ,,waves") mit Hilfe besonderer Ableitungen.

Der folgende Befund erscheint uns besonders einer eingehenden Mitteflung wert, da er sowohl die Methodik der lokalisierten Hirnab- leitungen durch die Kopfschwarte um ein bisher nur yon Tierversuehen bekanntes Kriterium der Lokalisation erweitert, als auch im besonderen MaBe gestattet, entscheidend die Frage des Entstehungsortes der yon der Kopfschwarte abzuleitenden bioelektrischen Erseheinungen des Men- schen zu beleuchten. Die Ableitungen der Abb. 7 stammen von einer Kranken (J. G.) mit genuiner Epilepsie, die wir mehrere Wochen lang immer wieder fiber Stunden bioelektrisch untersucht haben. Zeitweilig herrschten bei ihr Absencen vor, die besonders leicht durch Hyper- ventilation auszul6sen waren. W~hrend dieser wurden als Ausdruck einer abnorm gesteigerten Rindent/~tigkeit kontinuierliche Kramp/strom. an/iille fiber der Kopfschwarte registriert. Diese wurden fiber allen ab- geleiteten Gebieten der Konvexit~t festgestellt. Wir haben uns schlieB- lich die Aufgabe gestellt, zu priifen, welche zeitlichen Beziehungen zwischen den Kramp/stromentladungen verschiedener Gegenden bestehen. Zun/~chst wurde gefunden, dab analoge Krampfstromgruppen der versehiedenen Regionen (frontal, zentral und occipital) eindeutige Latenzzeiten unter- einander aufwiesen als Zeiehen daffir, dab die durch die KrampfstrSme aufgezeigten Erregungen eine gerichtete Ausbreitung (natfirlieh auf

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300 A. E. Kornmiiller und R. Janzen: Die Methodik der lokalisierten Ableitungen

nervSsem Wege, nicht fiber die Kopfschwarte physikalisch ,,gestreut") erkennen lassen. Andersartige Aufschlfisse gab uns das Studium der zeit- lichen Beziehungen der Krampfstromschwankungen fiber dem Stirn- him. Aus dieser Versuchsreihe stammt Abb. 7.

Die auf der Skizze oben angegebenen Ableitestellen 1--5 liegen je 2 cm yon der Mittellinie und je 2 cm voneinander entfernt. Von je drei benachbarten Punkten wurden jeweils (auf A, B, C und D) folgende

~'3'2'

V~ o/8~v t

�9 o, O G ~ V

C

3-4

4 - ~----1 ~ek.

Abb .7A--D, Hirnbioelekt r i sche Differenzierung innerha lb de r r eeh ten F r o n t a l r e g i o n v o n e i n e r K r a n k e n m i t genuiner Epilepsie (J. G.). I n de r Skizze oben ist die i~neaRoland ica (L. R.) ges~richelt nnd v o r dieser eine bioelektr ische Grenze eingezeiehnet . Bescbre ibung im Text .

drei Ableitungen vorgenommen: 1. bipolar zwischen den zwei vorderen (obere Kurve), 2. bipolar zwischen den zwei hinteren Ableitestellen (untere Kurve) und 3. eine unipolare Ableitung yon der gemeinsamen mittleren Ableiteste]le der beiden bipolaren Registrierungen (mittlere Kurve). Die unipolaren Ableitungen ergaben yon allen abgeleiteten Punkten das Bfld der Aufeinanderfolge von trt~gen und spitzen Schwan- kungen (,,waves" und ,,spikes"). Siehe die abgebildeten Beispiele 2, 3', 3 und 4! Das aufftilhgste Ergebnis dieser Untersuchungsreihe ist, dab zwischen bestimmten Ableitestellen die trtigen Wellen auf der bipolaren Ableitung (1--2 und 2--3) fehlen, wtihrend unipolar jeder einzelne Ableitepunkt (s. A2 und B3!) der bipolaren Registrierung diese, wie gesagt, deut]ich aufwies. Dies gilt ausschliei~lich ffir bipolare Ableitungen zwischen 1~-2 und 2--3. Das Verhalten tindert sich sprung-

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hirnbioelektrischer Erseheinungen vonder Kopfschwarte des Menschen. 301

halt, wenn man von Punkt 3 um 2 cm occipital nach Punkt 4 fort- schreitet. Wie B der Abb. 7 zeigt, hat die bipolare Ableitung 2- -3 keine tr~gen Schwankungen, w/~hrend 3- -4 deutlich solche aufweist und dem Bild der unipolaren Ableitungen weitgehend g]eicht. Ein abermaliges Verschieben der Elektrode um 2 cm nach caudal gibt den Befund von D. Die beiden bipolaren Abteitungen ( 3 ~ 4 und 4--5) zeigen hier ebenso wie die unipolare (4) die tr~gen Schwankungen neben den raschen. Dieser auffallige Unterschied des Verhaltens der bipolaren Registrierungen ist an eine deutliche Grenze gebunden. Alle bipolaren Ableitungen vor dem Punkt 3 (mit diesem einschlieBlich) ergaben, dab sich die tr/~gen Schwan- kungen, die unter den einzelnen Punkten tats~tchlich vorhanden sind, wie die unipolaren Ableitungen zeigen, auf die bipolaren Ableitungen nicht auswirken, w/~hrend fiir alle Punkte caudalw~rts dieser Grenze dies nicht gilt. Vor der angegebenen Grenze sind also die tr~tgen Schwan- kungen unter den einzelnen Ableitepunkten synchron, richtungs- und grSBengleich, hinter dieser Grenze abet nicht. Besonders eindrucksvoll kann die Sch~rfe der Grenze an Hand des Befundes yon C gekenn- zeichnet werden. Es handelt sich um die bipolaren Ableitungen yon den Punkten 2', 3' und 4', die je 1 cm hinter 2, 3 und 4 liegen. Dabei zeigt die bipolare Ableitung 2 ' - -3 ' bezfiglich der tr~gen Schwankungen eine Zwischenstellung zwischen den bipolaren Ableitungen davor (2--3) und dahinter (3 'l). Tr~ge Schwankungen sind nur mit einer mittelgroBen Amplitude vorhanden.

Es konnten also zwei Gebiete voneinander abgetrennt werden, die bioelektrisch eindeutige Unterschiede aufwiesen. Das Kriterium dafiir war die Tatsache, dab bestimmte Wellen diesseits der gefundenen Grenze synchron und jenseits nicht synchron verliefen. Die Feststellung you Syn- und Dyschronismen in den hirnbioelelctrischen Potentialschwankungen gibt also auch am ~lenschen ein bei diesem noch nicht er]canntes wertvottes Kriterium zur Ermittlung 5rtlicher Unterschiede.

Kornmidler (1937) hat auf Grund von Befunden an Tieren mitgeteilt, daI~ ,,konstante zeitliche Beziehungen (Isochronismen), wie sic auf Grund mehrfachcr gleichzeitiger Registrierungen festzustellen sind, zur Hauptsache Signale [iir enge /aseranatomische Verbivulungen'" darstellen. Es wurden damals auch Beziehungen zwischen intraarealen Synchronismen der Potentialschwankungen und myelo- architektonischem Bautypus mitgeteilt. Dementsprechend wurde auch in dem vorliegenden Fall daran gedacht, dal~ das ebcn geschlldertc Verhalten mit myelo- architektonischen Besonderheiten zusammenh~ngen konnte, derart, dal~ in dem durch synchrone Schwankungen gekennzeichneten Cebiet in tangentialer Richtung enge Verkniipfungen bestehen, so dab eine mehr oder weniger gleichzeitige Ent- ladung der Ganglienzellen uber grSl~eren Strecken mSglich ist, wahrend in dem Gebiet ohne Synchronismen der Potentialschwankungen Tangentialfasern fehlen bzw. sehr sparlich sind. Bemevkenswert ist nun, dal] yore Stirnhirn in der Gegend dcr von uns bestimmten Grenze (Abb. 7) tatsachlich eine markante architektomsche Grenze besteht, sowohl in cyto- als auch in myeloarchitektonischer Hinsicht, die eine gleiche (mediolaterale) Verlaufsrichtung hat. Es handelt sich dabei um die Grenze zwischen dem agranuliiren und dem granularen Gebiet des Stirnhirns. Dem Auftreten der IV-Schicht entsprechend geht bekanntlich auch das Verhalten

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~02 A. E. Kornmfil]er und R. Janzen: Die Methodik der lokalisierten Ableitungen

der Tangentialfaserung des myeloarchitektonischen Brides parallel. Der agranuliire (pr~zentrale) Abschnitt des Stirnhirns ist astri~r, ihm fehlt also die typische Tan- gentialfaserung 1. Wir hatten der obigen Auffassung entsprechend demnach im caudalen Abschnitt des Stirnhirns gegenfiber dem oralen weniger oder keine aus- gepragten Synchronismen der Potentialschwankungen zu erwarten, vorausgesetzt, dab die ErregungsstSl3e, die sie uns anzeigen, durch transcorticale Ausbreitung ent- standen sind ~. Bemerkenswert ist, dal3 der mitgeteilte Befund dieser Auffassung entsprechen wfirde.

Die Begrenzung der Methodik umfaBt verschiedene Punkte, yon denen wit die wichtigsten kurz behandeln wollen. Direkte Ableitungen yon der weir bloBliegenden Hirnrinde des Menschen wiiren weniger proble- matisch als indirekte Ableitungen yon der Kopfschwarte. Ffir sie wfirde wohl das gleiche wie ffir die direkten Hirnableitungen an Tieren gelten.

Bei den hirnbioelektrischen Ableitungen durch die Kop/schwarte er- hebt sich die Frage, was die Medien zwischen der spannungsprodu- zierenden Hirnrinde (Liquor, Dura, Knochen, Periost und Kopfschwarte) und den Ableiteelektroden ffir die Ermitt lung des tats(ichlichen bioelek- trischen Verhaltens der Hirnrinde ausmachen.

So ist z. B. Berger der Auffassung, dab auf der Kopfschwarte ebenso wie auf der ttirnrinde die Potentialschwankungen weitgehend synchron sind. Adrian hat mit Matthews und Yamagiwa dagegen die Auffassung vertreten, dal~ die normalen u- und fl-Wellen (Berger) nur den Ausdruck der bioelektrischen Tiitigkeit des Occi- pitallappens darstellen, die sich durch Gehirn und Kopfschwarte (nicht auf nerv6sem Wege) physikalisch ausbreiten. In der folgenden Mitteilung werden wit zu diesen und anderen Auffassungen fiber die aufgeworfene Frage Stellung nehmen.

Hier sei auf diese Frage nur so weit eingegangen, als dies praktisch yon Interesse ist. Tierexperimente (Kornmiiller und T6nnies 1932. T6nnies 1933 und Kornmiiller 1933) haben ergeben, dal~ die bioelektri- schen Erscheinungen der Hirnrinde bei Ableitung yore Knochen oder Periost mit der Entfernung der Elektroden yon der Hirnrinde sehr stark an Amplitude, d .h . also in ihren Spannungswerten, verlieren. Wit mfissen darum mit Sicherheit annehmen, dab sowohl bei unipolarer als auch bei bipolarer Ableitung yon der Kopfschwarte des Menschen Spannungswerte registriert werden, die nur einen Bruchteil derjenigen betragen, die direkte Ableitungen yon der HirrLrinde ergeben wfirden. Da aul3erdem die Medien fiber der Hirnrinde weder gleich dick noch iiberall homogen sind, scheint es, abgesehen yon anderen Grfinden, auch darum wenig zweckm~I3ig, absolute Werte der Spannungsproduktion ermitteln zu wollen.

Die Tatsache, dab man auch noch yon der Oberfli~che der Kopf- schwarte hirnbioelektrische Potentialschwankungen registrieren kann, hat zur Voraussetzung, da[3 die besagten Medien eine elektrisehe Leit-

z Siehe fiber den cytoarchitektonischen Bau des Stirnhirns v. Economo und Koskinas und Rose und die myeloarchitektonische Gliederung yon O. Vogt/

2 Bei Erregungen beispielsweise yon I-[irnrindenarealen yon einem subcorti- c~len Kern aus kann eine synchrone T~tigkeit hervorgerufen werden, auch ohne enge intracorticale Verknfipfungen in tangentialer Richtung (z. B. bei Aktions- str6men auf Sinnesreize).

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]iihigkeit haben. Eine solche mul~ aber nach allen Richtungen hin be- stehen, d .h . also, es ist damit zu rechnen, dab der Befund einer be- stimmten Stelle der Kopfschwarte nicht einfach auf die senkrecht darunter- liegende Hirnrinde bezogen werden darf (s. o.). Da aber andererseits, wie oben gesagt, die fa6baren Spannungswerte mit der Entfernung der Elektroden vom Entstehungsort (der Hirnrinde) sehr rasch abnehmen, wird sich wohl eine seitliche ,,Streuung" bei den fiblichen Registrier- empfindlichkeiten nicht auf weite Strecken bemerkbar machen, zumal allzu kleine Amplituden, die sich nicht wesentlich yon denen des St6r- spiegels der gebrauchten Verst~rker unterscheiden, keine Auswertung erfahren dfirfen. Jeder Punkt der Hirnrinde wirkt sich also nicht punkt- ]6rmig, sondern in einem Areal der Kopfschwarte bioelektrisch aus, in- dem in diesem Areal alle Punkte synchron die Spannungsproduktion der angenommenen Hirnstelle aufweisen. Bei sehr enger bipolarer Ab- leitung innerhalb dieses Areals mfissen sich also diese Potentialschwan- kungen weitgehend wieder aufheben. Tats~chlich ergeben bei Ablei- tung durch die Kopfschwarte solche sehr engen bipolaren Registrie- rungen im Verh~ltnis zu den unipolaren wesentlich kleinere Spannungs- werte als bei direkten Hirnableitungen. Bei direkten Hirnablei tungen ist man immer wieder fiberrascht, wie gro~ die Spannungswerte der Schwankungen sind, die enge bipolare Ableitungen (stets verglichen mit unipolaren) ergeben.

Es ist ferner in Rechnung zu ziehen, dal3 durch den Musculus tem- poralis die Zwischenmedien eine Verdickung erfahren, so dal~ man fiber ihm in der Regel nur relativ kleine Potentialschwankungen ableiten kann, abgesehen davon, da6 die hirnbioelektrischen Ableitungen durch Aktionsstr6me des Muskels gest6rt werden k6nnen, die aber an ihrer Frequenz zu erkennen sind. Um solche m6glichst zu vermeiden, emp- fiehlt es sich, die zu untersuchenden Personen aufzufordern, den Mund leicht ge6ffnet zu halten. Bei Ableitungen vom Stirnhirn sind neben den Muskeln der Stirn St6rungen durch Augenbewegungen 1 zu berfick- sichtigen. Elektroden fiber der Stirnh6hle werden wohl nur wenig yon hirnbioelektrischen Potentialschwankungen getroffen und k6nnten dies- bezfiglich fast als ,,inaktive" Elektroden bezeichnet werden.

Eine grobe Eingrenzung der Methodik ist natfirlich dadurch ge- geben, da{~ dutch die Kopfschwarte direkte Zeichen der bioelektrischen Spannungsproduktion nur yon der Rinde der ffeien Konvexits zu er- halten sind. Bei der schlechten Leitf~higkeit, die die Hirnsubstanz flit die Gr61~enordnung der in Frage stehenden Potentialschwankungen selbst aufweist ~, ist sicher, dab sich die Hirnrinde der Konvexit~t, soweit sie sich in den Furchen befindet, nicht mehr direkt auf die Elek- troden, die der Kopfschwarte anliegen, auswirken kann. Dasselbe gilt ffir alle tie~erliegenden Hirnabsehnitte (die basale Rinde und den

1 Siehe Berger (1929) und Jasper und Andrews/ - - 2 Siehe dazu Kornm~dler (1932--1938) und Kornmiiller und Schaeder (1938)!

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304 A. E. Kornmiiller und R. Janzen: Die Methodik der lokalisierten Ableitungen

gesamten Subcortex). Auf Grund der Tierexperimente aber, die dem Studium der Beziehungen verschiedener grauer Teile des Gehirns mittels bioelektrischer Kriterien galten 1, war zu erwarten, da6 unter Um- st/inden auch T/~tigkeitsab/inderungen tiefergelegener Hirnabschnitte sich im Bereiche der dutch die Kopfschwarte bioelektrisch fa[~baren Hirnrinde auswirken. Siehe dazu Befunde, die die Auswirkung ,,sub- corticaler" epileptischer Anf/ille auf die Hirnrinde betreffen, bei Janzen und Kornmiiller 2 !

Im folgenden wollen wir uns eingehender mit dem Grade der Streu- ung der Rindenpotentiale durch die Kopfschwarte bzw. mit der Scha'r/e der Abgrenzbarkeit yon Arealen der Kopfschwarte mit unterschiedlichen hirnbioelektrischen Potentialschwankungen befassen. Zu dieser Frage haben wir jetzt die erw/~hnten tierexperimentellen Untersuchungen yon Kornmiiller und TSnnies (1. c.) erweitert. W/ihrend diese fast ausschliel~- lich der physikalischen Streuung durch die Medien fiber der Hirnrinde bis einschliel~lich dem Periost galten, haben wir uns besonders den Ver- h/~ltnissen bei Ableitung yon der Oberfl/~che der Kopfschwarte zugewendet.

An Kaninchen wurde fiber einer Hemisph/ire yon der enthaarten . Hautoberfl/~che und gleichzeitig yon der anderen Seite, je nachdem yon dem freigelegten Gehirn, der Dura oder dem periostfreien Knochen abgeleitet. Es wurden jewefls symmetrische Punkte in ihrem bioelek- trischen Verhalten (beziiglich der Eigenstr6me verschiedener Felder und die AktionsstrSme auf Augenbelichtung fiber der Area striata) ver- glichen. Dabei wurde besonders darauf geachtet, ob sich auch auf der Hautoberfl/~che noch deutliche, dem Verhalten der Ableitungen yon tieferen Medien entsprechende und eng begrenzbare Areale mit unter- schiedlichem hirnbioelektrischen Verhalten finden lassen. Es ergab sich:

1. Die Spannungswerte der Schwankungen, die yon der Kopfschwarte abgeleitet werden, betragen nur einen Bruchteil derjenigen, die man durch direkte Hirnableitung (nach weitem Zuriickschlagen der dar/iber- liegenden Medien) erh/~lt. Es handelt sich dabei um Verhiiltnisse yon etwa 1:5. Dabei betriigt die Dicke der Medien zwischen spannungs- produzierender Hirnrinde und Ableiteelektroden am Kaninchen durch- schnittlich 4- -5 ram. Bei Berficksichtigung der Gesamtdicke dieser Medien am Menschen muf3 erwartet werden, da6 bei Ableitung dutch die Kopfschwarte des Menschen ein noch kleinerer Bruchteil der auf der Hirnrinde direkt fa6baren Spannungswerte registriert wird.

2. Selbst durch die Kopfschwarte gelang es, einige Typen von Feld- eigenstr6men (Kornmiiller), z.B. der Areae praecentralis granularis, striata und retrosplenialis granularis dorsalis des Kaninchens eindeutig zu erkennen. Was aber die Einzelheiten der Kurven betraf, mug her- vorgehoben werden, dal~ das von der Kopfschwarte erfal~bare bioe]ek- trische Bi]d in den Feinheiten den Kurven, die durch direkte Hirn-

1 Siehe Kornmi~ller (1933, 1935a und b, 1936 und 1937)! - - 2 Janzen u. Kornmi~ller: Dtsch. Z. Nervenheilk. (ira Druck).

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ableitung gewonnen werden, nachsteht. Man erh~lt also v o n d e r Kopf- schwarte nur ein vergrbbertes Bild der bioelektrischen Spannungspro- duktion einzelner Areale. Bei der Dicke der Medien des Menschen ist das eben Gesagte in noch h6herem MaBe zu erwarten. Man darf dem- naeh nicht hoffen, durch die Kopfschwarte alle die Feinheiten der bio- elektrischen T~tigkeit erfassen zu kSnnen, die auf der Hirnrinde tat- s~ichlich vorhanden sein dfirften. Ableitungen aus Knochenliicken mit Nadelelektroden, die der Hirnoberfl~che angen~hert sind, dfirfen aus physikalischen Grfinden nicht einer direkten Hirnableitung bei weir entfernten Medien (Knochen und Kopfschwarte) gleichgesetzt werden.

3. Auch bei Ableitung durch die Kopfschwarte des Kaninchens er- gaben sich Gebiete, die bioelektrisch eindeutige Unterschiede unter- einander aufwiesen. Die Grenzen zwischen solchen wurden in ihrer Lage weitgehend denen entsprechend gefunden, die Ableitungeu vom Knochen und der Dura ergaben. Es 1/~I~t sich also auch noch auf der Kopfschwarte eine bioelektrische Differenzierung der Hirnrinde erkennen. Es mu6 aber unter Hinweis auf das weiter oben unter 1. und 2. Ausgeftihrte hervorgehoben werden, da6 die MSglichkeit einer bioelektrischen Diffe- renzierung bezfig]ich Einzelheiten auf der Kopfschwarte nicht so voll- st/indig sein kann als die mit Hilfe direkter Hirnableitungen. Diese tierexperimentellen Befunde sind einerseits geeignet, das Bemfihen, durch die Kopfschwarte 5rtliche Untersehiede zu erfassen, zu begrfinden, lassen aber andererseits auch notwendige Einschr/inkungen klar er- kennen.

Ffir die Ableitungen am Menschen haben wir (1938, 1939a und b) be- reits Befunde mitgeteilt, die erkennen lassen, dab 5rtliche Unterschiede des hirnbioelektrischen Verhaltens auf der Kopfschwarte innerhalb kurzer Strecken nachweisbar sein kSnnen. Dies gilt sowohl fiir Areale mit nor- malen Potentialschwankungen gegen Gebiete mit abnorm reduzierter Spannungsproduktion als auch ftir Gebiete mit abnorm gesteigerter Span- nungsproduktion (in Form yon Krampfstr6men). Hier wollen wit ge- naue Zahlenwerte dazu mitteilen. Zur Ermittlung solcher sind nur be- stimmte F~lle geeignet. Eingehend wurden yon uns hinsichtlich dieser Frage wiederholt drei Kranke untersucht, bei denen bioptisch eine Er- krankung einer Hemisphere sichergestellt war. Es handelt sich bei A .E . um eine Sturge-Webersche Erkrankung, bei W. O. um einen Zu- stand nach Exstirpation yon Teilen des rechten Temporallappens bei der Operation eines Keilbeinmeningioms und bei dem Kranken K . K . um einen Zustand nach totaler Resektion des rechten Temporallappens bei einem Oligodendrogliom. Bei diesen Patienten findet sich fiber der kranken Hirnh/~lfte eine eindeutige Reduktion der Spannungsproduktion, deren Abgrenzung gegen die gesunde Seite hin eingehend gepriift wurde. In allen 3 F/illen ergab sich innerhalb einer Strecke yon 2 cm der voll. sffindige Ubergang von dem Gebiet mit reduzierter Spannungsproduktion zu dem mit dem Normalbild. Die besagte Strecke von 2 cm reiehte

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0 - ~

A o

0 - 2

2

C 1

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I

3 ! $ek.

A b b , 8 . B ioe l ek t r i s che k b g r e n m m g vines Area l s m i t a b n o r m r e d u z i e r t e r S p a n n u n g s p r o d u k t i o n a n e i n e m K r a n k e n (~V. O.) n a c h E x s t i r p a t i o n vines T u m o r s . T r T r e p a n a t i o n .

jeweils genau yon der Mittellinie des Sch~dels gegen die in ihrer bio- elektrischen T/~tigkeit abnorm herabgesetzte Hirnhalfte hin. Ffir den

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hirnbioelektrischer Erscheinungen von der Kopfschwarte des Menschen. 307

Kranken A. E. wurde dies bereits frfiher durch eine Abbildung belegt 1 Ffir W. O. wird dies hier beschrieben.

Abb. 8 bringt auf A eine gleichzeitige dreifache Registrierung, und zwar oben und unten Ableitungen fiber symmetrischen Strecken 0--2 ' (2' liegt 3,2 cm yon der Mittellinie 0 nach links) und 0--2 (naeh rechts). Die mittlere Kurve stellt die unipolare Ableitung des Punktes 0 auf der Mittellinie gegen das linke Ohr dar. Die linke bipo|are Ableitung (0--2') zeigt ein normales Bfld mit kontinuierlich vorhandenen Schwankungen einer Frequenz von 10/Sek. Die unipolare Ableitung von der Mittellinie (0) zeigt nur streckenweise solche Sehwankungen. Die reehte bipolare Ableitung (0--2) zeigt im Gegensatz zur linken eine wesentlich geringere Spannungsproduktion und Schwankungen einer Frequenz yon 10/Sek. nur dann, wenn solche auch auf 0 unipolar registriert wurden.

B d e r Abb. 8 stellt dreifaehe unipolare Ableitungen der Punkte 2', 0 und 2 dar. Die unipolare Ableitung yon 2' zeigt eindeutig mehr von den besagten Schwankungen (10/Sek.) als die beiden anderen Registrie- rungen. Die Schwankungen dieser beiden Ableitungen sind auffMlig synchron, woraus sieh das reduzierte Bfld von 0--2 auf A erkl~rt.

C der Abb. 8 bringt folgende Ableitungen: Die Ableitestellen der bipolar registrierten oberen Kurve 1'--1 liegen je 1,5 em links (1') und rechts (1) vonder Mittellinie (0). Die mittlere Kurve zeigt die uni- polare Ableitung von 1 und die untere Kurve die bipolare von 1--3 (3 liegt 1,5 cm reehts von 2, also fiber der kranken Hemisphere). Man erkennt deutlich die geringere Spannungsproduktion yon 1--3 (voll- 8tiindig im kranken Gebiet) gegenfiber 1'--1. Hier sind die Schwankungen einer Frequenz von 10/Sek. zu erkennen (1' tiegt 1,5 cm yon der Mittel- linie entfernt tiber gesundem Gebiet).

D der Abb. 8 zeigt die gleiehzeitigen unipolaren Ableitungen von 1" (oben), 1 (Mitre) und 3 (unten). W~hrend die Ableitung 1' (1,5 c m v o n der Mittellinie im Gesunden) das normale Bild erkennen ls sind die beiden anderen Kurven demgegenfiber reduziert. Sie sind auBerdem untereinander weitgehend synchron in ihren Schwankungen. Daraus ergibt sich die Reduktion auf der bipolaren Ableitung 1--3 auf C. Es findet sieh also ein (Jbergang zwischen Gebieten untersehiedliehen bio- elektrischen Verhaltens innerhalb einer Strecke, die kleiner ist als 2 cm. Die hier angegebenen Werte bezogen sich stets auf Abst~nde zwischen den Elektrodenmitten. Bei Berficksichtigung des Durehmessers der Elektrodenauflagefl~che, der 0,75 cm betrug, stellen sieh die angegebenen Grenzen vielleicht noeh etwas enger dar.

In diesem Zusammenhang mfissen wit noch einmal kurz auf die Ableitungen der Abb. 4 zurfiekkommen, an Hand weleher eine sehr ein- dringliehe Grenze innerhalb eines Gebietes mit abnorm gesteigerter Span- nungsproduktion in Form von Krampfstr6men bei einer Kranken mit

1 Janzen u. Kornmidler (1939b).

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genuiner Epilepsie aufgezeigt wurde. Auch dort voUzog sich der (~ber- gang auf einer Strecke von 2 cm. Auch fiir andere Frageste l lungen sind die beiden zuletzt genann ten F/ille von Wert , worauf aber in diesem Zusammenhang nicht n/~her eingegangen werden kann .

Un te r den fiblichen Registr ierbedingungen (vor allem beziiglich der Verst/~rkungen) zeigt sich also, dab die fallbare Auswirkung einer physi - kalischen Streuung der hirnbioelektr ischen Erscheinungen auch durch die Kop/schwarte des Menschen gering ist. Die tierexperimentellen Be/unde, die un te r klareren Bedingungen gewonnen wurden, stiitzen diese am Menschen gemachten Feststellungen.

I lL Kurze Z u s a m m e n h s s u n g .

Hauptzie l dieser Arbei t war die Darstel lung der hirnbioelektrischen Lokalisationsmethodik bei Ableitung von der Kop/schwarte des Menschen. Physikal ische und physiologische Grundlagen der Methodik wurden dar- gestellt und ihre Grenzen aufgezeigt. Die hier mitgeteil ten, for die hirn- bioelektrischen Unte rsuchungen am Menschen neuar t igen Ergebnisse waren nu r un te r den in dieser Arbei t entwickel ten methodischen Voraus- setzungen mSglich. Diese werden der Mannigfal t igkeit der Physiologie und Pathophysiologie des Gehirns mehr gerecht als hirnbioelektrische Untersuchungen, die auf die Lokal isat ionsmethodik teilweise oder ganz verzichten. (~ber die Lokal isat ion hinaus wurden Ansiitze zur Ermit t - lung des Mechanismus der Erregungsabliiu/e auf Grund bes t immter gleichzeitiger Mehrfachregistr ierungen mitgeteilt .

Schrifttum. Adrian, E. D. and B. H. M'atthews: J. of Physiol. 80, 1 (1933). - - Adrian, E. D.

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