Die Neue Erdbebennorm DIN 4149 1

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Die neue Erdbebennorm DIN 4149Prof. Dr.-Ing. A. tes Lehrstuhl fr Tragkonstruktionen Universitt Dortmund 1. Einleitung Mit der Ausgabe der DIN 4149:2005-04 liegt die neue Erdbebennorm Bauten in deutschen Erdbebengebieten Lastannahmen, Bemessung und Ausfhrung blicher Hochbauten vor [1]. Die Norm wurde in Baden-Wrttemberg bereits Ende 2005 bauaufsichtlich zur Auslegung von Neubauten eingefhrt. Durch Aufnahme in die Musterliste der technischen Baubestimmungen soll die neue Erdbebennorm zum 1.1.2007 in Deutschland bauaufsichtlich verbindlich gemacht werden. Die neue Erdbebennorm ist eine substantielle Weiterentwicklung der DIN 4149 (April 1981) [2] auf der Grundlage von Eurocode 8 [3]. Die in Eurocode 8 europaweit vereinheitlichten Konzepte zur Beschreibung der seismischen Einwirkungen sowie Regeln zur Berechnung, Bemessung und Konstruktion von Hochbauten in Erdbebengebieten wurden bei der Erarbeitung der Norm bercksichtigt. Die wesentlichen inhaltlichen Erneuerungen gegenber der bisherigen Norm bestehen in der neuen Erdbebenzonenkarte sowie Beschreibung der seismischen Einwirkung und in den Bemessungskonzepten und Konstruktionsregeln zur erdbebensicheren Auslegung von Hochbauten. In beiden Bereichen wurden die neueren Entwicklungen in der Erdbebennormung aufgenommen und unter Bercksichtigung der lokalen Gegebenheiten (seismologische Besonderheiten, Erfahrung in deutschen Erdbebengebieten) in die Norm eingearbeitet. Mit der differenzierteren Bercksichtigung der Einflussgren insbesondere mit der Erffnung von Wahlmglichkeiten in der Tragwerksplanung durch die unterschiedliche Bercksichtigung der einzelnen Bauarten (Material) und Wahl der Duktilittsklassen mit ihren jeweiligen konstruktiven Regeln unterscheidet sich die neue Erdbebennorm von der bisherigen inhaltlich und konzeptionell. Fr das bessere Verstndnis der Prinzipien und die sachgeme Anwendung der Regeln ist ein Hintergrundwissen ber die grundlegenden Konzepte des erdbebensicheren Bauens erforderlich bzw. besonders ntzlich. In diesem Beitrag werden solche Hinweise begleitend zu der Vorstellung der wesentlichen Inhalte der Norm gemacht.

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Die neue Erdbebennorm DIN 4149

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2. Anwendungsbereich und Ziel der Auslegung Die DIN 4149 gilt fr die baulichen Anlagen des blichen Hochbaus aus Stahlbeton, Stahl, Holz und Mauerwerk. Das primre Ziel der Norm ist der Schutz von Menschenleben, d.h. die Sicherstellung der Standsicherheit der Bauwerke (Vermeidung des Einsturzes) auch bei starken Beben. Dafr sind die Bauwerke fr das in der Norm spezifizierte Bemessungsbeben so auszulegen, dass sie auch nach dem Beben eine ausreichende Resttragfhigkeit besitzen. Der Nachweis der Gebrauchstauglichkeit wird nicht explizit gefhrt. Diesbezgliche Anforderungen werden durch die Anhebung des erforderlichen Mindesttragwiderstands mit dem so genannten Bedeutungsfaktor nur ansatzweise bercksichtigt. Mit der Auslegung der Bauwerke gem der Norm soll auch ein Widerstand erreicht werden, der sicherstellt, dass schwchere, aber dafr hufigere Beben ohne bzw. mit nur geringem Schaden berstanden werden (Vermeidung von hufigen Schden).

3. Erdbebeneinwirkung Die Bestimmung der Erdbebeneinwirkung in DIN 4149 basiert auf folgenden Neuentwicklungen: Probabilistische Erdbebenzonenkarte Bemessungswerte der Bodenbeschleunigungen als Effektivbeschleunigungen Elastisches Antwortspektrum mit Bercksichtigung von Baugrund und geologischem Untergrund Geologische Untergrundklassen

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Die neue Erdbebennorm DIN 4149 Probabilistische Erdbebenzonenkarte

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Bild 1: Erdbebenzonen der DIN 4149 [1]

Die neue Zonenkarte (Bild 1), die auf der probabilistischen Einschtzung der Erdbebengefhrdung beruht, unterscheidet sich grundstzlich von der deterministischen Karte der DIN 4149 (April 1981), die auf einmalig beobachteten Maximalintensitten basiert. Die Grenzbereiche zwischen den Erdbebenzonen 0 1 2 3 entsprechen Isolinien mit einer Wiederkehrperiode von 475 Jahren fr die Intensitten 6,0 6,5 7,0 7,5 der EMS (Europische Makroseismische Skala) [4]. Die Wiederkehrperiode von 475 Jahren, die einer berschreitungswahrscheinlichkeit von 10% in 50 Jahren entspricht, ist die Referenz-Wiederkehrperiode fr die harmonisierten Erdbebengefhrdungskarten gem Eurocode 8. Die Anwendung der Norm beschrnkt sich auf die Zonen 1 bis 3.

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Die neue Erdbebennorm DIN 4149 Bemessungswerte der Bodenbeschleunigungen

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Den Erdbebenzonen sind Bemessungswerte der Bodenbeschleunigung zugeordnet, die fr die jeweilige Referenzintensitt der Zone als Effektivbeschleunigung auf felsigem Untergrund ermittelt worden sind (Bild 2) [5]. Zone 1: ag = 0,4 m/s Zone 2: ag = 0,6 m/s Zone 3: ag = 0,8 m/s

Bild 2: Zuordnung von Intensittsintervallen und Bemessungswerten der Bodenbeschleunigung zu den Erdbebenzonen [1]

Elastisches Antwortspektrum Mit dem elastischen Antwortspektrum wird die Beschleunigung eines linearelastischen Einmassenschwingers mit der Eigenschwingzeit T (s) angegeben. Die Ordinate des elastischen Antwortspektrums Se (T) in DIN 4149 spiegelt verschiedene Einflussgren wider (Bild 3).

Bild 3: Elastisches Antwortspektrum [1]

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Die neue Erdbebennorm DIN 4149 Fr Eigenperioden im Plateaubereich gilt: Se (T) = ag I S 0 (fr TB T TC)

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mit:

ag: 0: : I:

Bemessungswert der Bodenbeschleunigung je nach Erdbebenzone Verstrkungsbeiwert der Spektralbeschleunigung 0 = 2,5 fr 5% Dmpfung Dmpfungsbeiwert ( = 1,0 fr 5% Dmpfung) Bedeutungsbeiwert in Abhngigkeit der Bedeutung des Bauwerks fr den Schutz der Allgemeinheit I = 1,0 I = 1,2 I = 1,4 z.B. Wohngebude z.B. Schulen, groe Wohnanlagen z.B. Krankenhuser

I entspricht im Prinzip einem Sicherheitsfaktor, mit dem die Beschleunigungen ggf. erhht werden. S: Untergrundparameter Dieser Parameter wird in Abhngigkeit des geologischen Untergrunds (R,T,S) und des Baugrunds (A,B,C) bestimmt (vgl. Bild 4). Mit dem Baugrund wird der oberflchenahe Untergrund bis zu einer Tiefe von etwa 20 m, mit dem geologischen Untergrund der Bereich ab einer Tiefe von 20 m bezeichnet.

Baugrundklassen: A: Feste bis mittelfeste Gesteine B: Lockergesteine, grobkrnig C: Lockergesteine, feinkrnig

Geologische Untergrundklassen R: Fels, Festgestein B: Flache Sedimentbecken und bergangszonen C: Tiefe Sedimentbecken

Bild 4: Werte fr den Untergrundparameter S [1]

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In DIN 4149 wird ber den unmittelbaren Baugrund hinaus der Einfluss des geologischen Untergrunds auf den Spektralwert (Ordinate, Frequenzbereich) erfasst. Der Felsuntergrund (R) fhrt zu schmaleren Spektren mit hheren Spektralwerten, whrend die tiefen und mchtigen Sedimentbecken (S) mit ihrer Absorptionswirkung zu niedrigeren Spektralwerten ber einem breiten Frequenzbereich fhren. In Bild 5 sind die Spektren fr die einzelnen Untergrund-Baugrundkombinationen dargestellt.

Bild 5: Elastische Antwortspektren fr verschiedene Untergrundverhltnisse

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Die neue Erdbebennorm DIN 4149 Geologische Untergrundklassen

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In Bild 6 sind die geologischen Untergrundklassen in den Erdbebenzonen dargestellt.

Bild 6: Geologische Untergrundklassen in den Erdbebenzonen [1]

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Die Erdbebeneinwirkung lsst sich somit fr einen Standort zonen- und untergrundabhngig mit einem Antwortspektrum beschreiben (Bild 7).

Beispiel:Standort: Untergrund: Baugrund: Tbingen Geolog. Untergrund Fels Feinkrniges Lockergestein Erdbebenzone 3: ag = 0,8 m/s Untergrundklasse R Baugrundklasse C

Untergrundparameter fr die Kombination CR: S = 1,50 ag S = 0,8 1,50 = 1,2 m/s

Se [m/s] 3,0 I

1,2 I

T [s] TB = 0,05 TC = 0,30 TD = 2,00

Bild 7: Elastisches Antwortspektrum gem DIN 4149 (Standort Tbingen, feinkrniges Lockergestein auf Fels (CR))

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4. Konstruktion, Berechnung, Bemessung Erdbebengerechtes Konstruieren bildet den Ausgangspunkt der erdbebensicheren Auslegung von Bauwerken. Als Entwurfsgrundstze sind in diesem Zusammenhang insbesondere folgende Konstruktionseigenschaften hervorzuheben: Einfachheit des Tragwerks und Aussteifungssystems berschaubare direkte Lastabtragung der Erdbebenkrfte Regelmiger Aufbau im Vertikalen Symmetrischer Aufbau im Grundriss; Vermeidung von greren Massenexzentrizitten gegenber Steifigkeitsmittelpunkt (Bild 8) Aussteifung mit hnlicher Steifigkeit und Tragfhigkeit in jeder der Hauptrichtungen Ausreichende Torsionssteifigkeit und widerstand Geschossdecken mit Scheibenwirkung Geeignete Grndung zur Sicherstellung einer einheitlichen Bauwerksanregung

Bild 8:

Bild 8: Gnstige und ungnstige Verteilung von Massen und Steifigkeiten im Grundriss [5]

Entsprechend sind diese und weitere ergnzende Konstruktionsmerkmale in DIN 4149, Kapitel 4 als Grundprinzip fr Entwurf und Bemessung explizit angegeben. Sie bilden auch die Basis fr die Anwendung der Regeln der Norm zur Berechnung und Bemessung der Tragwerke.

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So ermglicht zum Beispiel die Einhaltung der Regeln fr die Regelmigkeit (vgl. DIN 4149, Abs. 4.3) die Anwendung des Vereinfachten Antwortspektrenverfahrens, bei dem die Erdbebenkrfte einfach mit der linearisierten Grundschwingungsform des Bauwerks ermittelt werden drfen (Bild 9).

s

Fb

mi

Fi

Fb = S d (T1 ) MBild 9: Vereinfachtes Antwortspektrumverfahren

Fi = Fb

si mi sj mjj

Das Antwortspektrenverfahren ist in DIN 4149 als Referenzverfahren fr die Bestimmung der Erdbebenkrfte angegeben. Mit einem linear-elastischen Tragwerksmodell knnen die Erdbebenkrfte unter Bercksichtigung der Schwingungseigenformen und der Verwendung des Normspektrums bestimmt werden. Wenn die Voraussetzungen fr die vereinfachte Berechnung mit der Grundschwingungsform nicht erfllt sind, sind die Krfte fr eine ausreichende Anzahl der Schwingungsformen zu ermitteln. Die zugehrigen Schnittgren und Verschiebungen werden nach den angegebenen Kombinationsregeln zur Bestimmung der Maximalwerte berlagert. Vor dem Hintergrund, dass die Erdbebenauslegung des Bauwerks fr ein Erdbebenereignis mit der Wiederkehrperiode von 475 Jahren gefhrt wird, ist es ein Gebot der Wirtschaftlichkeit, die nichtlinearen Tragreserven gezielt zu nutzen. Voraussetzung dafr ist jedoch duktiles Verhalten, d.h. plastische Verformbarkeit des Tragwerks ohne einen nennenswerten Rckgang seines Tragwiderstandes. Diese Eigenschaft bietet die Mglichkeit, die bei einem Erdbeben dem Bauwerk zugefhrte Energie durch plastische Formnderungsarbeit in den Schwingungszyklen zu dissipieren. Mit steigender Seismizitt wird die Tragwerksduktilitt neben dem Tragwiderstand zu einem weiteren wesentlichen Element der Planungsstrategie. Die Duktilitt ist nicht nur ein Mittel fr die wirtschaftliche Dimensionierung des Tragwerks; bei starken Erdbeben, deren Gre im Voraus nur schwer quantifizierbar ist, ist sie fr das berleben des Tragwerks dringend erforderlich.

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DIN 4149 erlaubt die Nutzung des nichtlinearen Verhaltens mit Energiedissipation zur Bemessung der Bauwerke fr Krfte, die kleiner als die linear-elastischen Reaktionskrfte sind (vgl. Bild 10).

Se,Sd [-] Elastisches Antwortspektrum He

H

Linear-elastisch

SeS Sd = e q

q=

Bemessungsspektrum T [s] Bild 10a: Antwortspektren nach DIN 4149 [1]

Hu

He Hu

Nichtlinear

d Bild 10b: Kraft-Verschiebungsbeziehung des Tragwerks - Verhaltensbeiwert q

Hierzu wird das elastische Antwortspektrum durch den konstruktions- und bauartspezifischen Verhaltensfaktor q auf das Bemessungsspektrum abgemindert. Im Plateaubereich gilt:

Sd( T ) =

S e( T ) q

Es handelt sich hier um ein praxisbezogenes Nherungsverfahren, bei dem die nichtlinearen, dissipativen Trageigenschaften eines Bauwerks in einer linearen Tragwerksberechnung pauschal mit einem Beiwert bercksichtigt werden. Die Verhaltensfaktoren sind in Abhngigkeit vom Tragsystem und Bauart in den einzelnen Materialabschnitten angegeben. Bild 11 gibt einen berblick ber die einzelnen Bereiche (min /max q).

Bauart Beton Stahl Holz Mauerwerk

Verhaltensbeiwert min q 1,5 1,5 1,5 1,5(unbewehrt)

max q 3.0 8,0 4,0 2,5(bewehrt.)

Bild 11: Verhaltensbeiwerte nach DIN 4149 [1]

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Die in Bild 11 angegebenen Verhaltensbeiwerte drfen jedoch nur dann in Ansatz gebracht werden, wenn die Voraussetzungen fr die entsprechende Energiedissipationsfhigkeit gegeben sind bzw. durch besondere Manahmen im Tragwerk sichergestellt werden. Hhere Werte fr den Verhaltensfaktor erfordern bestimmte Tragwerksarten und die sorgfltige konstruktive Durchbildung der Bauteile, damit das entsprechende Duktilittspotenzial im Tragwerk erreicht werden kann.

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Die neue Erdbebennorm DIN 4149 BeispielBrogebude

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6,75 25 25 A 2,50 2,00 2,50 6,75 25 40/40 25 A 6,75

6,75

6,75

6,75

6,75

6,75

Schnitt A-A:

22 5 4 3 2 1 UG 22 22 22 22 22 3,50 3,50 3,50 3,50 3,50 17,50

Standort siehe oben (Tbingen, Erdbebenzone 3) Bedeutungskategorie II Bedeutungsfaktor I = 1,0 Stahlbetontragwerk mit aussteifenden Wnden Wahlmglichkeiten fr die Bemessung: 1. Duktilittsklasse 1 Verhaltensbeiwert q = 1,5 (qmin) 2. Duktilittsklasse 2 Verhaltensbeiwert q = 3,0 (qmax) unter Beachtung von DIN 4149, Abs. 8.3.3.1 Tragwerkstyp: Wandsystem

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Hier gewhlt: Duktilittsklasse 1 Voraussetzungen nach DIN 4149, Abs. 8.2: Betonfestigkeitsklasse C 16/20 (hier: C30/37) Betonstahl: Hochduktiler Stahl (Typ B) Bemessungswert der bezogenen Normalkraft fr den Aussteifungskern:d = Nd A C fd 0,2

(DIN 4149, Abs. 8.2.(5)c)

Kontrolle: Lasteinzugsflche Kern: Belastung pro m Geschossdecke: Querschnittsflche Kern:

A = 13,513,5 =182 m q = 7,5 + 0,7 = 8,2 kN/m AC = 5,75 m

Nd = 5 (182 m 8,2 kN/m + 5,75 m 3,28 m 25 kN/m) = 9820 kN fd = 0,85 30,0/1,5 = 17,0 MN/md = 9,28 MN = 0,09 5,75 m 2 17,0 MN / m < 0,2

Die Voraussetzungen gem DIN 4149, Abs. 8.2 sind erfllt. Bemessungsspektrum fr horizontale Erdbebeneinwirkung: mit dem Verhaltensfaktor q = 1,5:Sd = Se Se = q 1,5

(im Plateau)

Sd [m/s] 0 3,0Elastisches Antwortspektrum

2,0 1,2Bemessungsspektrum fr q = 1,5

0

T [s] TC = 0,30 TD = 2,00

TB = 0,05

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Berechnungsverfahren: Kontrolle der Voraussetzungen fr das vereinfachte Antwortspektrenverfahren: Konstruktive Regeln fr die Regelmigkeit im Grundriss und Aufriss erfllt Grundschwingzeit in GebudelngsrichtungT1 = 2 h m1 1 h1 EI

mit h = 17,50 m 1 = 1,73 m1 = 750 t h1 = 3,50 m EI = 96300 MNm

(Gebudehhe ber Kellergeschoss) (Schwingzeitbeiwert) (Geschossmasse) (Geschosshhe) (Biegesteifigkeit in Gebudelngsrichtung)

kN s 750 2 17,5 m m T1 = 1,73 3,50 m 96,3 10 6 kN m

T1 = 1,0 s

TC = 0,3 s < TD = 2,0 s Sd (T1) = 2,0 m/s 0,3 s / 1,0 s = 0,6 m/s M = 5 750 = 3750 t = 1,0 (T1 > 2 TC) Fb = 0,6 m/s 3750 t = 2250 kN5 2250 kN 15

Verteilung auf die Geschossdecken:Fi = Fb hi m i hj mj

4 2250 kN 15 3 2250 kN 15 2 2250 kN 15 1 2250 kN 15

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5. Nachweis der Standsicherheit, konstruktive Durchbildung Der Nachweis der Tragfhigkeit ist gem DIN 1055-100 fr die Erdbebenbemessungssituation wie folgt zu fhren: Ed Rd Ed = E [ Gk Pk 1 AEd 2,i Qki ] Rd

mit Rd = R [

fk ] M

Es muss nachgewiesen werden, dass der Bemessungswert der jeweiligen Schnittgre in der Erdbebenbemessungssituation kleiner als die Bemessungstragfhigkeit des Bauteils, ermittelt nach baustoffbezogenen Anforderungen, ist. Hierbei sind die bauart- und tragwerksspezifischen Verhaltensbeiwerte, falls erforderlich auch die Wirkungen nach Theorie II. Ordnung, zu bercksichtigen. Der in DIN 1055-100 genannte Wichtungsfaktor ist fr Einwirkungen aus Erdbeben 1 = 1,0 zu setzen. ber die Tragfhigkeitsbedingung hinaus ist die Duktilittsbedingung zu erfllen, d.h. die fr die Schnittgrenermittlung der tragenden Bauteile und des Gesamttragwerks zugrunde gelegte Duktilitt ist nachzuweisen. Dieser Nachweis gilt als erfllt, wenn die in den Abschnitten Besondere Regeln fr Betonbauten (DIN 4149, Abs. 8) Besondere Regeln fr Stahlbauten (DIN 4149, Abs. 9) Besondere Regeln fr Holzbauten (DIN 4149, Abs. 10) Besondere Regeln fr Mauerwerksbauten (DIN 4149, Abs. 11) Besondere Regeln fr Grndungen und Sttzbauwerke (DIN 4149, Abs. 11)

genannten Festlegungen bercksichtigt sind. Mit der Duktilittsbedingung wird im Prinzip der Ansatz eines Verhaltensfaktors q > 1 verifiziert.

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Die neue Erdbebennorm DIN 4149 Sonderflle des Nachweises der Standsicherheit: Ansatz des linear-elastischen Verhaltens (q = 1)

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In diesem Fall ist der Tragfhigkeitsnachweis mit den Teilsicherheitsbeiwerten fr Baustoffeigenschaften M fr die stndige und vorbergehende Bemessungssituation zu verwenden. Entfallen des Nachweises Zur Vereinfachung des Erdbebennachweises werden die Nachweise als erbracht angesehen, wenn bestimmte Voraussetzungen erfllt sind. Folgende Flle sind denkbar: 1. Gesamterdbebenkraft mit q = 1 und die grundstzlichen Entwurfsregeln sind eingehalten. 2. Bei Wohn- und Brogebuden (Bedeutungskategorie II): Anzahl der Vollgeschosse max nG (Bild 12) < magebende Horizontalkraft aus Wind

Bild 12: Bedeutungskategorie und zulssige Anzahl der Vollgeschosse fr Hochbauten ohne rechnerischen Standsicherheitsnachweis

Ferner mssen die grundstzlichen Anforderungen an erdbebengerechtes Konstruieren erfllt sein. Fr Mauerwerksbauten sind auch zustzliche bauartspezifische Regeln einzuhalten.

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In anderen Fllen ist der Nachweis der Tragfhigkeit explizit zu fhren und die der gewhlten Duktilittsklasse entsprechende konstruktive Durchbildung der Bauteile sicherzustellen. In DIN 4149 sind die In Bild 13 aufgefhrten Duktilittsklassen und zugehrige Verhaltensbeiwerte vorgesehen:

Bauart

DuktilittDuktilittsklasse 1

Verhaltensbeiwert q q = 1,5 q = 1,7 bis 3,0(je nach Tragwerk)

StahlbetonbauDuktilittsklasse 2 Duktilittsklasse 1

q = 1,5 1,5 < q 4,0 4,0 < q 8,0 q = 1,5 q = 2,5 q = 4,0 q = 1,5 q = 2,0 q = 2,5

Stahlbau

Duktilittsklasse 2 Duktilittsklasse 3 Duktilittsklasse 1

Holzbau

Duktilittsklasse 2 Duktilittsklasse 3 Unbewehrtes Mauerwerk

Mauerwerksbau

Eingefasstes Mauerwerk Bewehrtes Mauerwerk

Bild 13: Duktilittsklassen und zugehrige Verhaltensbeiwerte

Betrachtet man die jeweils niedrigste Duktilittsklasse in den einzelnen Bauarten, so betrgt der korrespondierende Verhaltensbeiwert berall q = 1,5 (vgl. Bild 13). Bei diesem relativ niedrigen Wert bleibt die Inanspruchnahme von Duktilitt insbesondere unter Bercksichtigung der blicherweise vorhandenen berfestigkeiten gering. In Stahl-, Holz- und Mauerwerksbauten wird davon ausgegangen, dass mit der Bemessung der Tragwerke gem den blichen Bemessungsnormen und der Einhaltung der Konstruktionsregeln (s.o.) eine Duktilitt dieser Grenordnung zur Verfgung steht [7]. In Stahlbetonbauten werden fr bestimmte Bauteile (Druckglieder, Rahmenriegel) explizite Forderungen gestellt. Die Duktilitt wird durch Begrenzung von bezogener Lngskraft und Bewehrungsgrad der Betonbauteile gesichert [8].

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Der Ansatz von hheren Verhaltensfaktoren (q > 1,5) ist bauartabhngig durch die Wahl von hheren Duktilittsklassen mglich. In diesen Fllen steigen naturgem die Anforderungen an die spezielle konstruktive Ausbildung der Bauteile zur Sicherstellung des duktilen Verhaltens. In Abhngigkeit der Tragsysteme und Bauart sind hier besondere Nachweise und konstruktive Sondermanahmen erforderlich. Fr die Duktilittsklasse 2 in Stahlbetonbauten und fr die Duktilittsklassen 2 und 3 in Stahlbauten gelten folgende Prinzipien: Zur Erzielung der erforderlichen globalen Duktilitt sollen die potenziellen Bereiche fr die Bildung plastischer Gelenke eine hohe plastische Rotationsfhigkeit besitzen. Dabei soll duktiles Gesamttragverhalten gesteuert durch den Grenzzustand der Biegetragfhigkeit mit gengend groer Zuverlssigkeit vor sprdem Versagen (Schubversagen) eintreten. Die oben genannten Ziele setzen eine sorgfltige Abstimmung der Grenztragfhigkeiten der Bauteile (Biegung, Schub, in Stahl- und Holzkonstruktionen auch Verbindungen) voraus. Dies wird in DIN 4149 durch die Anwendung der Regeln der Kapazittsbemessung (Capacity Design) erreicht. Hier geht es im Prinzip darum, einen dissipativen Gesamtmechanismus sicherzustellen, bei dem die dissipativen Bereiche ihre plastische Tragfhigkeit voll entwickeln knnen, bevor sprde bzw. weniger duktile Bereiche versagen. Zu diesem Zweck sind die Tragfhigkeiten der Sprdbereiche so zu dimensionieren, dass sie hher als aus der Forderung des Gleichgewichts mit dem benachbarten dissipativen Bereichen unter Bercksichtigung von berfestigkeiten liegen. So wird erreicht, dass die Kapazitt der dissipativen Bauteile die Kapazitt des Tragsystems bestimmt und das damit verbundene gutmtige dissipative Verhalten sicherstellt [9]. Nach der Sicherstellung des duktilen Gesamttragverhaltens (globale Duktilitt) sind die zugehrigen potenziellen plastischen Gelenkbereiche durch entsprechende konstruktive Manahmen so auszubilden, dass sie das erforderliche Ma an lokaler Duktilitt aufweisen.

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In Stahlbetonbauteilen wird dies in der Regel durch eine enge Umschnrung der Stabendbereiche erreicht (Bild 14).

Balken

Sttzen

Wnde

Bild 14: Konstruktive Manahmen im Stahlbetonbau [1]

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Die hohen Verhaltensbeiwerte fr Stahlbauten (Bild 15) machen eine sorgfltige konstruktive Durchbildung des Gesamttragwerks notwendig. Mit der Kapazittsbemessung ist in Abhngigkeit der Konstruktionsart der gewnschte dissipative Grenzmechanismus sicherzustellen. Zur bestmglichen Nutzung des plastischen Formnderungsvermgens des Werkstoffs sind die Bauteile so auszubilden, dass kein frhzeitiges Stabilittsversagen eintritt. Entsprechend sind in druckbeanspruchten Bauteilen Querschnittsklassen 2 bzw. 1 zu verwenden und Schlankheiten zu begrenzen.

Bild 15: Tragwerkstypen und Verhaltensbeiwerte fr Stahlbauten Auszug aus [1]

In Holzbauten sind die Duktilittsklassen mit dem Tragwerkstyp und der Anzahl der dissipativen Bereiche mit stiftfrmigen Verbindungsmitteln verbunden. In Mauerwerksbauten sind hhere Verhaltensbeiwerte bei den Bauweisen Eingefasstes Mauerwerk und Bewehrtes Mauerwerk mglich [9]. In der Norm sind die zugehrigen konstruktiven Anforderungen angegeben.

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Die neue Erdbebennorm DIN 4149 Bemerkungen zur Anwendung in der Praxis:

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Angesichts der Tatsache, dass es sich in deutschen Erdbebengebieten um eine im Prinzip niedrige Seismizitt (vgl. Eurocode 8) handelt, kann davon ausgegangen werden, dass der Ansatz von groen Verhaltensbeiwerten und hohen Duktilittsklassen in den meisten Fllen nicht notwendig ist. Die Bemessung der Bauwerke mit einem Verhaltensbeiwert q = 1,5 wird in der Praxis den blichen Fall darstellen. Das Wissen um die Mglichkeiten zur Erhhung der Duktilitt kann jedoch auch in einzelnen Fllen dazu genutzt werden, durch sinnvolle Konstruktionsmanahmen das Duktilittspotenzial des Tragwerks zur Erhhung der Erdbebensicherheit anzuheben.

6. Zusammenfassung Die neue Erdbebennorm DIN 4149:2005-04 wurde auf der Grundlage von Eurocode 8 unter Bercksichtigung der neueren Entwicklungen in der Beschreibung der seismischen Einwirkungen und in der Erdbebenauslegung von Hochbauten erarbeitet. Sie dient damit auch als Grundlage fr Regelungen in einem Nationalen Anhang zu einer zuknftigen EN 1998-1. Mit der Neufassung der deutschen Erdbebenzonenkarte auf probabilistischer Grundlage und der Entwicklung von untergrundabhngigen Beschleunigungsspektren fhrt die Norm ein neues weiterentwickeltes Konzept fr Erdbebeneinwirkungen ein. Die Auslegung der Bauwerke gegen Erdbeben wird unter Bercksichtigung der Nutzung, Konstruktion und Bauart differenziert vorgenommen. Duktile Trageigenschaften und Energiedissipationsfhigkeit knnen bei der Bemessung durch den so genannten Verhaltensbeiwert erdbebenlastmindernd bercksichtigt werden. Zustzlich zu den allgemeinen Konstruktionsregeln fr Bauten in Erdbebengebieten sind die vorgeschriebenen Nachweiskonzepte fr den Nachweis der Tragfhigkeit und Duktilitt bauart- und konstruktionsabhngig anzuwenden.

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Die neue Erdbebennorm DIN 4149 Literatur[1]

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DIN 4149: 2005-04: Bauten in deutschen Erdbebengebieten. Lastannahmen, Bemessung und Ausfhrung blicher Hochbauten Normenausschuss im Bauwesen (NABau) im DIN April 2005, Berlin DIN 4149-1: 1981-04: Bauten in deutschen Erdbebengebieten. Lastannahmen, Bemessung und Ausfhrung blicher Hochbauten, April 1981, Berlin EN 1998-1: 2004. Eurocode 8. Auslegung von Bauwerken gegen Erdbeben. Grundlagen, Erdbebeneinwirkungen und Regeln fr Hochbauten. Grnthal, G., Bosse, C..: Probabilistische Karte der Erdbebengefhrdung der Bundesrepublik Deutschland Erdbebenzonenkarte fr das Nationale Anwendungsdokument zum Eurocode 8. Forschungsbericht, Geo Forschungszentrum Potsdam 1996 . Schwarz, J., Grnthal, G.: Bauten in deutschen Erdbebengebieten zur Einfhrung der DIN 4149:2005. Bautechnik 82 (2005) H. 8, S. 486 499. Erdbebensicher Bauen. Planungshilfe fr Bauherren, Architekten und Ingenieure Innenministerium Baden Wrttemberg Erdbebensicher Bauen. Planungshilfe fr Bauherren, Architekten und Ingenieure Innenministerium Baden Wrttemberg tes, A., Lring, S.: Zum Tragverhalten von Mauerwerksbauten unter Erdbebenbelastung. Bautechnik 83 (2006) H. 2, S. 125 138. Keintzel, E.: Entwicklung der Erdbebenauslegung von Stahlbetonbauten in Deutschland. Beton- und Stahlbetonbau 93 (1998), S. 245 251 Paulay, T., Bachmann, H., Moser, K.: Erdbebenbemessung von Stahlbetonhochbauten, Birkhuser Verlag, 1990 tes, A., Elsche, B.: Erhhung der Tragfhigkeit von KS-Wnden unter Erdbebenlasten durch Bewehrung. Universitt Dortmund Schriftenreihe Tragkonstruktionen, Heft 2, 2005

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