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Die Patristik in der Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche 3 . Eine Blütenlese Uta Heil Marktgasse 4, A-8010 Graz; Email: [email protected] Vor 100 Jahren, im Jahr 1911, begann die Drucklegung der beiden Regis- terbände 23 und 24 der dritten Auflage der Realencyklopädie für protes- tantische Theologie und Kirche (RE 3 ), die von dem Leipziger Kirchenge- schichtler Albert Hauck (1849-1918) herausgegeben wurde. Damit konnte in relativ kurzer Zeit von nur fünfzehn Jahren die erweiterte Neuauflage der Realencyklopädie fertiggestellt werden, 1 und die Artikel in dieser En- zyklopädie erlauben einen interessanten Einblick in und Rückblick auf die patristische Diskussionslage jener Zeit. 1. Patristik Laut Register ist die RE 3 ein Werk von 413 Autoren; davon haben gut 25 oft mehrere Beiträge verfasst, die den Bereich der Patristik betreffen. Das be- deutet, rein rechnerisch gesehen, einen Anteil von gut 6% der patristischen Autoren an der „protestantischen Theologie und Kirche.“ Diese Zahlen lassen den Eindruck entstehen, als wäre die Patristik nur eine Randerschei- nung und von relativ geringer Bedeutung gewesen. Das sieht jedoch ganz anders aus, wenn man sich sowohl den oft großen Umfang der Artikel als auch die Namen der Autoren vor Augen hält und dadurch in eine Hoch- phase und Blütezeit der patristischen Forschung zurückversetzt wird. Um nur einige der „Vielschreiber“ zu nennen: Hans Achelis (1865-1937, 1907 außerordentlicher, seit 1913 ordentlicher Professor für Kirchengeschichte in Halle, 1918 dann Nachfolger von Hauck in Leipzig); Nathanael Bon- wetsch (1848-1925, seit 1891 ordentlicher Professor für Kirchengeschichte in Göttingen); Ludwig Hennecke (1865-1951, seit 1895 Pastor in Betheln, Hannover); Ferdinand Kattenbusch (1851-1935, seit 1878 ordentlicher Professor für Systematische Theologie in Gießen, seit 1904 in Göttingen und seit 1906 in Halle); Erwin Preuschen (1867-1920, Pfarrer, Lehrer 1 Der erste Band der RE 3 erschien im Jahr 1896, der letzte Band 24 schließlich 1913. ZAC, vol. 15, pp. 99-123 DOI 10.1515/ZAC.2011.005 © Walter de Gruyter 2011 Brought to you by | University of Missouri-Columbia Authenticated | 128.206.9.138 Download Date | 5/8/13 3:20 PM

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Die Patristik in der Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche3. Eine Blütenlese

Uta Heil

Marktgasse 4, A-8010 Graz; Email: [email protected]

Vor 100 Jahren, im Jahr 1911, begann die Drucklegung der beiden Regis-terbände 23 und 24 der dritten Aufl age der Realencyklopädie für protes-tantische Theologie und Kirche (RE3), die von dem Leipziger Kirchenge-schichtler Albert Hauck (1849-1918) herausgegeben wurde. Damit konnte in relativ kurzer Zeit von nur fünfzehn Jahren die erweiterte Neuaufl age der Realencyklopädie fertiggestellt werden,1 und die Artikel in dieser En-zyklopädie erlauben einen interessanten Einblick in und Rückblick auf die patristische Diskussionslage jener Zeit.

1. Patristik

Laut Register ist die RE3 ein Werk von 413 Autoren; davon haben gut 25 oft mehrere Beiträge verfasst, die den Bereich der Patristik betreffen. Das be-deutet, rein rechnerisch gesehen, einen Anteil von gut 6% der patristischen Autoren an der „protestantischen Theologie und Kirche.“ Diese Zahlen lassen den Eindruck entstehen, als wäre die Patristik nur eine Randerschei-nung und von relativ geringer Bedeutung gewesen. Das sieht jedoch ganz anders aus, wenn man sich sowohl den oft großen Umfang der Artikel als auch die Namen der Autoren vor Augen hält und dadurch in eine Hoch-phase und Blütezeit der patristischen Forschung zurückversetzt wird. Um nur einige der „Vielschreiber“ zu nennen: Hans Achelis (1865-1937, 1907 außerordentlicher, seit 1913 ordentlicher Professor für Kirchengeschichte in Halle, 1918 dann Nachfolger von Hauck in Leipzig); Nathanael Bon-wetsch (1848-1925, seit 1891 ordentlicher Professor für Kirchengeschichte in Göttingen); Ludwig Hennecke (1865-1951, seit 1895 Pastor in Betheln, Hannover); Ferdinand Kattenbusch (1851-1935, seit 1878 ordentlicher Professor für Systematische Theologie in Gießen, seit 1904 in Göttingen und seit 1906 in Halle); Erwin Preuschen (1867-1920, Pfarrer, Lehrer

1 Der erste Band der RE3 erschien im Jahr 1896, der letzte Band 24 schließlich 1913.

ZAC, vol. 15, pp. 99-123 DOI 10.1515/ZAC.2011.005© Walter de Gruyter 2011 Brought to you by | University of Missouri-Columbia

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und außerordentlicher Professor für Territorialkirchengeschichte in Gie-ßen, Gründer und Herausgeber der ZNW) und Franz Theodor von Zahn (1838-1933, seit 1892 Professor für Neues Testament in Erlangen) ver-fassten viele patristische Artikel. Vor allem jedoch dominierten Adolf von Harnack (1851-1930, seit 1879 Professor für Kirchengeschichte in Gießen, seit 1886 in Marburg und seit 1889 in Berlin, seit 1890 ordentliches Mit-glied der Königlich-Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, Gründer und Vorsitzender der Kirchenväterkommission zur Herausgabe der GCS, seit 1905 Generaldirektor der königlichen Bibliothek), Friedrich Loofs (1858-1928, seit 1888 Professor für Kirchengeschichte in Halle) und Gustav Krüger (1862-1940, seit 1891 Professor für Kirchengeschichte in Gießen) in der RE3, sofern nicht der Herausgeber selbst, Albert Hauck, die Artikel geschrieben hatte. Die RE3 ist also auf ihre Art ein Spiegel einer Glanzzeit der patristischen Forschung und der Forschergestalten zu Beginn des 20. Jahrhunderts,2 und die Artikel geben das Selbstbewusstsein dieser Generation deutlich zu erkennen.

So berichtet Gustav Krüger in seinem Artikel „Patristik“ (RE3 15 [1904]: 1-13) von einem Aufschwung der wissenschaftlichen Betätigung, die al-les Bisherige zu überragen scheine, begründet besonders durch zahlreiche Funde wie:

– Bruchstücke aus dem Petrusevangelium und der Petrusapokalypse,3 – die Apostel lehre,4

2 Hans Lietzmann hat interessanterweise keinen Beitrag für die RE3 verfasst. Er galt offen-bar eher als Philologe denn als Theologe. Zwischen 1912 und 1930 schrieb er jedoch 36 Artikel für PW (ab Buchstabe H „Hegemo nius“), vgl. Kurt Aland, Glanz und Niedergang der deutschen Universität. 50 Jahre deutsche Wissenschaftsgeschichte in Briefen an u. von Hans Lietzmann (1892-1942) (Berlin, 1979), 57-58. Lietzmann hat überdies für die Theo-logische Rundschau in schneller Folge Forschungsberichte zur „Altchristlichen Literatur“ zusammengestellt (Theologische Rundschau 3 [1900]: 19-28, 56-66; 5 [1902]: 99-112; 6 [1903]: 28-31; 8 [1905]: 345-351; 9 [1906]: 14-25; 12 [1909]: 313-317, 340-354).

3 Zur Verdeutlichung sei in den Fußnoten angemerkt, worauf sich Krüger zu beziehen scheint. Die bis heute maßgeblichen Bruchstücke wurden 1886/1887 in einem Mönchs-grab in Oberägypten gefunden (Papyrus Cair. 10759) und 1893 veröffentlicht von Oscar von Gebhardt, Das Evangelium und die Apokalypse des Petrus (Leipzig, 1893); vgl. Thomas J. Kraus und Tobias Nicklas, Hgg., Das Petrusevangelium und die Petrusapoka-lypse. Die griechischen Fragmente mit deutscher und englischer Übersetzung (Bd. 1 von Neutestamentliche Apokryphen; GCS.NF 11; Berlin, 2004) (darin, Seiten 5-7, auch über eventuelle weitere Fragmente aus P.Oxyr. XLI 2949; P.Oxyr. LX 4009; P.Vindonb.G 2325 für das Petrusevangelium, und Seiten 82-83 über Bodl.Ms.Gr.th.f.4 [P] und P.Vindob.G 39756 für die Petrusapokalypse).

4 1875 wurde der Codex Hierosolymitanus 54 in Konstantinopel gefunden, der einzig neben dem Barnabasbrief und dem Clemensbrief die Didache fast vollständig bezeugt; er wurde von seinem Entdecker Philotheos Bryennios 1883 publiziert (Didac¾ tîn dèdeka ¢postÒlwn [Konstantinopel, 1883]). Die Begeisterung über die Textfunde und die hohe Bedeutung, die man ihnen beimaß, lässt auch der überaus gründliche, zwanzigseitige Beitrag von Adolf von Harnack über die damals seit zwanzig Jahren bekannte Didache erkennen: A. von Harnack, „Apostellehre,“ RE3 1 (Leipzig, 1896): 711-730. Dieser Beitrag deckt sich größtenteils mit seiner Veröffentlichung Die Apostellehre und die jüdischen beiden Wege (Leipzig, 1895; 2. Aufl . Leipzig, 1896). Harnack war es auch, der 1884

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– der vollständige Text der beiden Clemensbriefe,5 – die Apologie des Aristides,6 – die Paulusakten,7 – die gnostischen Literaturstücke,8 – die Akten des Apollonius,9

die große kritische Edition der Didache vorlegte: Die Lehre der zwölf Apostel nebst Un-tersuchungen zur ältesten Geschichte der Kirchenverfassung und des Kirchenrechts (TU 2,1.2; Leipzig, 1884). Vgl. dazu Georg Schöllgen, Hg., Didache. Zwölf-Apostel-Lehre, übersetzt und eingeleitet (FC 1; Freiburg, 1991).

5 Der Codex Hierosolymitanus (s. Anm. 4) enthält auch den vollständigen Text der Cle-mensbriefe. In dem berühmten Codex Alexandrinus (A 02) aus dem 5. Jh. mit den bib-lischen Schriften des AT und NT fehlen 1Clem. 57,7-63,4. 1894 veröffentlichte Germain Morin außerdem eine von ihm entdeckte alte lateinische Übersetzung der Clemensbriefe nach einer Handschrift aus dem 11. Jh. (Germain Morin, Hg., S. Clementis Romani ad Corinthios epistulae versio antiquissima [Anecdota Maredsolana 2; Maredsous, 1894]) und 1899 Robert H. Kenneth eine syrische Übersetzung eines Codex, der die beiden Clemensbriefe zwischen den katholischen und paulinischen Briefen des Neuen Testaments überliefert (Robert H. Kenneth, The Epistles of S. Clement to the Corinthians in Syriac [London, 1899]).

6 Erst im Jahr 1878 wurde von den Mechitaristen in Venedig ein armenisches Fragment („An den Imperator Adrianus Caesar von dem athenischen Philosophen Aristides“) aus der bis dahin unbekannten Apologie des Aristides (Eusebius, Hist. eccl. 6,3,2) publiziert (S. Aristidis philosophi Atheniensis sermones duo [Venedig, 1878]); bereits gut zehn Jahre später wurde von Rendel Harris aus Cambridge 1889 im Katharinenkloster des Sinai eine syrische Übersetzung entdeckt und publiziert, zusammen mit der Entdeckung von Joseph Armitage Robinson, dass Ausschnitte aus dem griechisch überlieferten Leben des Barlaam und Josaphat, Johannes von Damaskus zugeschrieben, eben diese Apologie bieten (J. Rendel Harris, Hg., The Apology of Aristides on Behalf of the Christians from a Syriac Ms. Preserved on Mount Sinai,Wwith an Introduction and Translation, With an Appendix Containing the Main Portion of the Original Greek Text by J. Armitage Robinson [Texts and Studies I, 1; Cambridge 1891; 2. Aufl .: Cambridge, 1893). Vgl. Reinhold Seeberg, Der Apologet Aristides. Der Text seiner uns erhaltenen Schriften nebst einleitenden Untersuchungen über dieselben (Erlangen, 1894). Die verschiedenen Fassungen auf eine ursprüngliche Version zurückzuführen ist bis heute eine Forschungsaufgabe.

7 1891 edierte Adelbert Lipsius die apokryphen Apostelakten (vgl. Adelbert Lipsius, Hg., Acta Petri, Acta Pauli, Acta Petri et Pauli, Acta Pauli et Theclae, Acta Thaddaei [Bd. 1 von Acta apostolorum apocrypha; hg. von A. Lipsius; Leipzig, 1891]). Ein in Heidel-berg liegender koptischer Papyrus mit großen Teilen der ganzen Schrift aus dem 6. Jh. (PHeid) wurde 1894 gefunden und 1904 von Carl Schmidt publiziert: Acta Pauli. Aus der Heidelberger koptischen Papyrushandschrift Nr. 1 (3 Bde.; Leipzig, 1904-1905).

8 Vor der Entdeckung der Nag Hammadi-Schriften waren im 19. Jh. die Texte des Codex Askewianus, London (Moritz G. Schwartze und Julius H. Petermann, Hgg., Pistis Sophia [Gotha, 1851/1853]; Carl Schmidt, Hg., Die Pistis Sophia. Die beiden Bücher des Jeû. Unbekanntes altgnostisches Werk [Bd. 1 von Die koptisch-gnostischen Schriften, hg. von C. Schmidt; GCS 13; Leipzig, 1905]), des Codex Brucianus, Oxford (Zwei Bücher Jeû und unbekannte Texte: Carl Schmidt, Hg., Gnostische Schriften in koptischer Sprache aus dem Codex Brucianus [TU 8; Leipzig, 1892] und des Berliner Codex 8502 (Evange-lium nach Maria, Geheimschrift des Johannes, Weisheit Jesu Christi, Taten des Petrus; publiziert und übersetzt aber erst 1955: Walter C. Till, Hg., Die gnostischen Schriften des Koptischen Papyrus Berolinensis 8502 [TU 60; Berlin, 1955] bekannt.

9 Eine armenische Fassung: Frederick C. Conybeare, Hg., The Apology and Acts of Apol-lonius and Other Monuments of Early Christianity (London, 1894); eine griechische Fassung: „Sancti Apollonii Romani Acta graeca ex codice Parisino graeco 1219,“ Analecta Bollandiana 14 (1895): 284-294.

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– das Diatessaron Tatians,10 – die Philosophumena und der Danielkommentar Hippolyts,11 – das Carmen Commodians,12 – die sogen. Tractatus Origenis,13 – die Psalmen homilien des Hieronymus,14 – die Traktate Priszillians,15 – endlich die zahlreichen Veröffentlichungen zur byzantinischen und orientalis-chen Litteraturgeschichte. (7)

Ferner verweist Krüger auf die begonnenen Editionsreihen: CSEL der ös-terreichischen Akademie der Wissenschaften (seit 1866), GCS der Kir-chenväterkommission der Preußischen Akademie der Wissenschaften (seit 1897), das französische Unternehmen Patrologia orientalis (1903 gegrün-det, die ersten Bände erschienen jedoch erst ab 1907 nach Erscheinen des Artikels von Krüger) und auf CSCO mit Bänden seit 1903. Außerdem führt er als etwas ganz Neues „eigentümliche Sammelunternehmen für die Herausgabe der Werke einzelner Schriftsteller und ihre monographische Bearbeitung“ an wie Texte und Untersuchungen und Texts and Studies. Schließlich nennt Krüger noch als moderne Errungenschaften die zahlrei-

10 Krüger meint wohl die arabische Übertragung (P. Augustinus Ciasca, Hg., Tatiani Evan-geliorum harmoniae arabice nunc primum ex duplici codice edidit et translatione latine donavit [Rom, 1888]) und den Diatessaron-Kommentar des Syrers Ephräm (James R. Harris, Fragments of the Commentary of Ephrem Syrus upon the Diatessaron [London, 1895]).

11 1859 wurden die Origenes zugeschriebenen Bücher als Philosophumena Hippolyts ge-deutet (Ludwig Duncker und Friedrich Wilhelm Schneidewin, Hgg., S. Hippolyti Episc. et Mart. Refutationis omnium haeresium librorum decem quae supersunt [Göttingen, 1859]); 1897 erschien die Edition des Danielkommentars von Georg Nathanael Bonwetsch (Georg N. Bonwetsch und Hans Achelis, Hgg., Hippolytus. Exegetische und homiletische Schriften [Bd. 1 von Hippolytus Werke; GCS 1; Leipzig, 1897], jetzt in 2. Aufl age von Marcel Richard [Hippolyt. Kommentar zu Daniel; GCS.NF 7; Berlin, 2000]).

12 Das Gedicht Carmen apologeticum wurde 1852 von seinem Entdecker Jean-Baptiste Pitra, Spicilegium solesmense (Bd. 1; Paris 1852), 21-49 erstmals publiziert. Eine Edition in CSEL 15 von B. Dombart erfolgte 1887 (Bernhard Dombart, Hg., Commodiani carmina [CSEL 15; Wien, 1887], 144-188).

13 Die 20 homiletischen Traktate Pseudo-Origenes, Tractatus de libris sanctuarum scriptu-arum, wurden von Pierre Batiffol und André Wilmart erstmals publiziert (Paris, 1900), und Germain Morin („Autour des Tractatus Origenis,“ Revue bénédictine de critique, d’histoire et de littérature religieuses 19 [1902]: 225-245) bestätigte die Zuschreibung an Gregor von Elvira.

14 Commentarioli in Psalmos wurden 1895 von G. Morin erstmals publiziert (Germain Morin, Hg., Sancti Hieronymi presbyteri qui deperditi hactenus putabantur Commen-tarioli in Psalmos [Maredsous, 1895]), jetzt in CChr.SL 72 (Hebraicae quaestiones in libro Geneseos [Bd. 1 von S. Hieronymi Presbyteri Opera I: Opera exegetica; Turnhout, 1959]), 163-245.

15 Georg Schepss griff eine Idee von Ignaz von Döllinger auf, elf Traktate einer Würzburger Handschrift aus dem 5./6. Jh. Priscillian zuzuschreiben (vgl. Martin Schanz und Carl Hosius, Die römische Litteratur von Constantin bis zum Gesetzgebungswerk Justinians. Die Litteratur des vierten Jahrhunderts [Bd. 8, Teil 4,1 von M. Schanz, Geschichte der römischen Litteratur; 2. Aufl .; München, 1914], 376-377 [§ 953]), und edierte den Text (Georg Schepps, Hg., Priscilliani quae supersunt [CSEL 18; Prag, 1889]), was eine Diskussion über die Orthodoxie von Priscillian auslöste.

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chen Spezialzeitschriften und auch die Übersetzungsreihen wie die BKV 77 Bänden, zwischen 1869 und 1888 veröffentlicht, die Anti-Nicene Fathers mit 24 Bänden aus den Jahren 1866-1872 und die seit 1886 erscheinenden A Select Library of the Nicene and post-Nicene (Christian) Fathers. Ohne weiteres sind dies auch hundert Jahre später noch großartige Leistungen und bis heute maßgeblich für das Fach, so dass seine Bemerkungen über „eine so rastlos arbeitende und vorwärtsdrängende Zeit“ (8) und die „günstige Entwicklung unserer Disziplin“ zutreffend sind. Sogar bei den Philologen wie Martin Schanz, Geschichte der römischen Litteratur bis zum Gesetz-gebungswerk des Kaisers Justinian, 4. Teil, 1. Hälfte, Die Litteratur des vierten Jahrhunderts (Handbuch der klassischen Altertumswissenschaft 8; München, 1904), notiert Krüger, werde die christliche Literatur nun nicht mehr in einen Anhang verwiesen (9).16 Wie sehr die Begeisterung über die neuen Textfunde die Patristik befl ügelte, zeigt auch der lange Beitrag von Hans Waitz im Ergänzungsband der RE3 (RE³ 23 [Leipzig, 1913]: 78-103) über die Apokryphen des NT: „Auf keinem Gebiet der altchristlichen Literatur sind in den letzten 2 Jahrzehnten so zahlreiche Entdeckungen und so eingehende Studien gemacht worden, wie auf dem der sogenann-ten neutestamentlichen Apokryphen.“ Neben der Kanon geschichte und der Ketzergeschichte erhellen vor allem diese Texte, welch „eigenartiges Gebilde“ (79) das frühe Christentum war,17 und haben „als Quellen für die alte Kirchengeschichte einen hervorragenden Wert.“

Krüger begrüßt es, dass jetzt endlich eine Geschichte der christlichen Literatur der ersten Jahrhunderte geschrieben werden könne – schon 1895 hatte Krüger selbst eine Geschichte der altchristlichen Literatur in den ersten drei Jahrhunderten (Grundriss der theologischen Wissenschaften,

16 Die vierte Aufl age wurde von Carl Hosius überarbeitet. Er zog Gustav Krüger heran für die altchristliche Literatur (Martin Schanz et al., Geschichte der römischen Litteratur bis zum Gesetzgebungswerk des Kaisers Justinian [4 Bde.; 4. Aufl .; Handbuch der Al-tertumswissenschaften 8; Nachdr. München, 1920-1935]).

17 „. . . wie es sich in jenem Zeitalter des Synkretismus auf dem Boden des Evangeliums und unter dem Einfl uß des Judentums, seiner Ethik und Apokalyptik, des Hellenismus, seiner Philosophie und seines Mysterienkultus, des Orients, ägyptischer, syrischer, persischer und babylonischer Mythologien, sogar des indischen Buddhismus (in den Thomasak-ten), sowie der allgemeinen religiösen und geistigen Anschauungen und Stimmungen der damaligen Kulturwelt, ihres Glaubens an Geisterwesen und magische Kräfte und ihres sinnlich-asketischen Lebensideals entwickelt hat“ (79). Diese Beschreibung der Erkennt-nisgewinne ist doch sehr optimistisch und die genaue Erforschung dieser Texte immer noch ein Desiderat. Die Apokryphen erfahren erst in jüngster Zeit wieder ein stärkeres Interesse in der Forschung (vgl. exemplarisch die Werke von Hans-Josef Klauck wie die Aufsatzsammlung: Hans-Josef Klauck, Die Apokryphe Bibel. Ein anderer Zugang zum frühen Christentum [Tria Corda 4; Tübingen, 2008]; ferner: ders., Apokryphe Evangelien. Ein Einführung [Stuttgart, 2002; 3. Aufl . Stuttgart, 2008]; ders., Apokryphe Apostelak-ten. Eine Einführung [Stuttgart, 2005]; außerdem die neue Ausgabe, deren erster Band Tübingen 2011 erscheinen soll: Christoph Markschies et al., Hgg., Antike christliche Apokryphen in deutscher Übersetzung 1, Evangelien und Verwandtes [7. völlig neue Bearbeitung der von Edgar Hennecke begründeten und von Wilhelm Schneemelcher weitergeführten Sammlung]).

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Reihe 2, Bd. 3; Freiburg i.Br., 1895) vorgelegt. Er verweist auf die beiden Bände seines Lehrers Harnack Geschichte der altchristlichen Literatur bis Eusebius (Leipzig 1893-1904) und zusätzlich auf das Werk des Katholiken Otto Bardenhewer Geschichte der altkirchlichen Literatur (Freiburg i.Br., 1902-1932; die ersten zwei der fünf Bände von 1902 und 1904 decken die Zeit bis zum Beginn des vierten Jahrhunderts ab; eine überarbeitete Aufl age dieser Bände erschien 1913 bzw. 1914), der „bei aller Gegensätz-lichkeit gegen die von den protestantischen Forschern geübte Methode doch die Errungenschaften dieser Methode für den Aufriß seines Buches klug verwertet und selbständig weitergeführt“ habe (8). Für das neue Konzept einer Patristik als Geschichte der altchristlichen Literatur sei die Methode der Geschichtswissenschaft anzuwenden, und entgegen der Bezeichnung „Patristik“ habe sich die Forschung „von der Einmischung dogmatischer Gesichtspunkte freizumachen“ (9), um einer Verengung auf die Lehre (= Pa-tristik) oder die Personen der Kirchenväter (= Patrologie18) vorzubeugen.

Es ist vom litterargeschichtlichen Standpunkt nicht einzusehen, warum ein Gnos-tiker, der das Johannesevangelium kommentiert, schlechter gestellt sein soll als ein Kirchenlehrer, warum dem Arius nicht billig sein soll, was dem Athanasius recht ist. Auch darunter, daß die häretische Literatur . . . dem Untergang an-heimgefallen ist, darf man ihre Urheber nicht leiden lassen. (11)

Diesem Votum kann man natürlich auch heute nur uneingeschränkt zu-stimmen, und hier hat sich die patristische Forschung der letzten hundert Jahre große Verdienste erworben. Mit vielen historisch-kritischen Detail-studien wurde versucht, hinter die „orthodoxe“ Fassade der eklektisch-polemisierenden Darstellung der Häretiker zu schauen, um deren Positionen und Anliegen besser erkennen und würdigen zu können.

Optimistisch und selbstbewusst schließt Krüger seinen Artikel ab:

Jedenfalls scheint die Zeit nicht mehr fern, wo der Grundgedanke der Defi nition, die ich meinem Buche vorangestellt habe, allgemeine Anerkennung gefunden haben wird: „Die Geschichte der altchristlichen Litteratur lehrt die schriftstel-lerischen Erzeugnisse des christlichen Geistes auf dem Boden der alten Welt unter rein litterarischen Gesichtspunkten, ohne Rücksicht auf ihre kirchliche oder theologische Bedeutung . . ., einzeln und im Zusammenhang ihrer Formen, kennen und würdigen.“ (13)

Krüger greift damit Gedanken auf, die seinerzeit schon länger diskutiert wurden. 1883 hieß es noch in dem relativ nüchternen Artikel „Patristik“ von Julius A. Wagenmann in der zweiten Aufl age der RE 11 (Leipzig, 1883: [300-309] 309):

18 Patrologie wurde ein Begriff der protestantischen Theologie durch das Werk von Johann Gerhard, Patrologia sive de primitivae ecclesiae christianae doctorum vita ac lucubrati-onibus, in Jena 1653 nach seinem Tod 1637 posthum erschienen.

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Je massenhafter und je zerstreuter das patristische Material, das in Monogra-phien und Sammelwerken niedergelegt ist und von Tag zu Tag sich mehrt, desto erwünschenswerter wäre eine den Anforderungen der jetzigen Wissenschaft entsprechende Gesamtdarstellung der Patrologie oder altkirchlichen Litera-turgeschichte, die freilich wol noch für lange Zeit zu den pia desideria unserer Theologie gehören wird.

Wagenmann19 verweist auf ein ähnliches Votum von Harnack 1882 (aus TU 1 [Die Überlieferung der griechischen Apologeten des zweiten Jahrhun-derts in der alten Kirche und im Mittelalter; Leipzig, 1882]): „So gewiß ein Handbuch der altchristlichen Litteraturgeschichte zur Zeit das vornehmste Bedürfnis der historisch-theologischen Wissenschaft ist, so gewiß kann dasselbe bei dem jetzigen Stand der kirchengeschichtlichen Forschung noch nicht geschrieben werden.“ (309) Ebenfalls 1882 formuliert z.B. auch Franz Overbeck in seinem berühmt gewordenen Aufsatz „Über die An-fänge der patristischen Literatur“ Grundvoraussetzungen, nach denen eine Geschichte der altchristlichen Literatur geschrieben werden sollte: „Ihre Geschichte hat eine Literatur in ihren Formen, eine Formgeschichte wird also jede wirkliche Literaturgeschichte sein.“20 Er kritisiert entsprechend: „Der Begriff des Kirchenvaters . . . stammt aus der Dogmatik und ist aus den Bedürfnissen des katholischen Traditionsbeweises entstanden.“21 Im Blick ist vor allem die kritische Perspektive gegenüber dogmatischen Werturteilen, nicht zuletzt wohl auch gegenüber Positionen aus dem Neu-luthertum.22 Offensichtlich sieht Krüger gut zwanzig Jahre später die Zeit gekommen, dieses Bedürfnis erfüllen zu können. Die – aus der liberalen Theologie stammende – Annahme eines beschreibbaren „christlichen Geis-tes“ bei Krüger steht jedoch den radikaleren Konsequenzen von Overbeck, eine Literaturgeschichte primär nach formalgeschichtlichen Gattungsge-sichtspunkten zu schreiben, um auf diesem Weg die Schriftstellerpersön-lichkeiten zu entdecken, entgegen.23 Und trotz allen Optimismus, der in Krügers Artikel „Patristik“ zu Tage tritt, ist eine wirkliche Geschichte der

19 Ebenfalls Krüger in seinem Artikel „Patristik,“ RE3 15 (1904): (1-13), 8; nur zieht er 1904 eine andere Schlussfolgerung.

20 Franz Overbeck, „Über die Anfänge der patristischen Literatur,“ Historische Zeitschrift 48 (1882): 417-472, hier 423. Vor allem seine „Vorbemerkungen über den Stand der Frage in der traditionellen Patristik“ sind hier relevant (417-426); Overbeck grenzt dann die „Urliteratur“ inklusive der neutestamentlichen Schriften ab von den Anfängen der patristischen Literatur (Apologeten, Irenäus und vor allem Clemens von Alexandrien). Der Aufsatz ist größtenteils eine kritische Auseinandersetzung mit dem Werk des ka-tholischen Kirchenhistorikers Johann Baptist Alzog, Handbuch der Patrologie oder der älteren christlichen Litterärgeschichte (2. Aufl .; Freiburg i.Br., 1876).

21 Overbeck, „Über die Anfänge“ (wie Anm. 20), 418.22 Auch Otto Bardenhewer verstand sein Werk dezidiert als Geschichte der altkirchlichen

Literatur, also der Literatur, die „auf dem Boden der kirchlichen Lehre steht“. Vom Ausgang des apostolischen Zeitalters bis zum Ende des zweiten Jahrhunderts [(Bd. 1 von ders., Geschichte der altkirchlichen Literatur; Freiburg i.Br., 1902], 19).

23 Vgl. dazu auch Martin Tetz, „Altchristliche Literaturgeschichte – Patrologie,“ Theologi-sche Rundschau 32 (1967): 1-42.

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altchristlichen Literatur in ihren Formen und Stilen, die über listenartige Aufzählungen hinausgeht,24 noch nicht geschrieben, und es ist zweifelhaft, ob das je erreicht werden wird. So listet zum Beispiel auch das 2007 in deutscher Übersetzung erschienene Handbuch der antiken christlichen Li-teratur von Claudio Moreschini und Enrico Norelli25 (Gütersloh, 2007) primär unter chronologischen und geographischen Aspekten christliche Autoren und ihre Werke auf.

2. Protestantisches Profi l

Das von Krüger zu Beginn seines Artikels „Patristik“ angeführte Deside-rat, sich von der Einmischung dogmatischer Werturteile freizumachen, betrifft selbstverständlich nicht das dezidiert protestantische Profi l die-ses Lexikons. Insofern fi ndet das vorsichtige Plädoyer von Preuschen in seinem Artikel über Valentin, die Forschung müsse eigentlich verstärkt religionsgeschichtliche Ansätze aufnehmen,26 nur begrenzten Widerhall in der RE3 – im Unterschied zu dem Konzept des seit 1909 erscheinenden neuen Lexikons Religion in Geschichte und Gegenwart. Dort wird dezidiert im Vorwort des ersten Bandes auf den weiter gespannten Fragehorizont hingewiesen, der neben Kunst, Musik, Pädagogik, Sozialwissenschaften, Kirchenrecht und Kirchenpolitik auch außerchristliche Religionsgeschichte umfasse. Besonders augenfällig wird dagegen das explizit protestantische Profi l27 der RE3 in dem Artikel „Abendmahl II. Kirchenlehre“ von Friedrich Loofs (RE3 1 [Leipzig, 1896]: 38-68). Aus der Perspektive der Differenzen im Verständnis des Abendmahls bzw. der Eucharistielehre zwischen der römisch-katholischen und der protestantischen Position und ebenfalls im Blick auf die innerprotestantischen Debatten, die immer auch mit histori-schen Argumenten und „Belegstellen“ geführt wurden, bemerkt Loofs:

24 Schon Overbeck konstatierte seinerzeit: „Sie will Geschichte sein, ist nichts weiter als ein Katalog,“ zudem ein nach dogmatischen Werturteilen zusammengestellter Katalog: „Noch nie hat es diese Disziplin als Literaturgeschichte . . . zu etwas Anderem gebracht, als zu einer mehr oder weniger vollständigen und brauchbaren Aufzählung der litera-rischen Produkte, welche man unter dem Namen der Kirchenväter zu begreifen pfl egt“ (Overbeck, „Über die Anfänge“ [wie Anm. 20], 419).

25 Zuerst erschienen in Brescia, 1996.26 Vgl. E. Preuschen, „Valentinus, Gnostiker, und seine Schule,“ RE3 20 (Leipzig, 1908):

(395-417) 416-417. Dazu s.u. 108-112.27 Das protestantische Profi l macht sich natürlich auch bemerkbar an der Auswahl und Ge-

wichtung der Stichworte. Während der Beitrag des Juristen Emil Sehling, „Papst, Papsttum, Papstsystem“ (RE3 14 [Leipzig, 1904]: 657-663), nüchtern auf knappen sechs Seiten vor allem die historische Entwicklung darlegt, oder der Artikel zu Leo I ebenfalls nur sechs Seiten füllt (G.N. Bonwetsch [RE3 11 [Leipzig, 1902]: 367-374]), schreibt Theodor Zahn 28 Seiten über den „Kanon des NT“ (RE3 9 [Leipzig, 1901]: 768-796) – wobei eigens noch zehn Seiten zum „Kanon Muratori“ folgen (RE3 9 [Leipzig, 1901]: 796-806) –, Erwin Preuschen mehr als zwanzig Seiten über „Origenes“ (RE3 14 [Leipzig, 1904]: 467-488) oder Adolf von Harnack 34 Seiten über „Monarchianismus“ (RE3 13 [Leipzig, 1903]: 303-336); dazu s.u., S. 111 und 111-112.

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Diese Stumpfheit der geschichtlichen Waffen in den konfessionellen Kämpfen über das Abendmahl kann nicht überraschen. Aus der Geschichte des Abend-mahls ist über den Sinn der ursprünglichen Institution selbst dann sehr wenig zu lernen, wenn man sie aus sich selbst heraus zu verstehen sucht. Zu früh beginnen die Mißbildungen, geradezu entstellend haben außerchristliche Ein-fl üsse und innerkirchlicher Aberglaube sich hier geltend gemacht. Die Geschichte des Abendmahls ist eine Leidensgeschichte, die leichter Unmut und Ärger als Interesse erregt, – einer der unerfreulichsten Abschnitte der Dogmengeschichte. (38)

Gemeint sind der Einfl uss der Mysterienreligionen, die Ausbildung eines kultischen Opferrituals und die parallele Herausbildung eines Priesterbil-des: „Den ersten verhängnisvollen Schritt auf der Bahn dieser Leidens-geschichte muß man m.E. in der Anwendung des Opferbegriffs auf das Abendmahl sehen.“ (44) Besonders Cyprian wird als „Missethäter, der den hohen urchristlichen Opferbegriff umgebogen hat“ (46), kritisiert. Und mit dem Opferbegriff halte dann auch der „Priesterbegriff“ Einzug in die Kirche: „der Opferbegriff zog nach, was zu ihm gehörte“ (46). Die konfessionelle Streitfrage nach einer Real- oder Spiritualpräsenz und dem Verständnis der Messe als Opfer bestimmt also diesen Artikel, wenngleich Loofs reklamiert, „daß es Unrecht ist, die Väter auf das Prokrustesbett moderner Fragen zu spannen, die ihnen fern lagen“ (42), und betont: „Von ihren Voraussetzungen aus, und nicht nach der Fragestellung des 16. Jahrhunderts müssen die Väter gewürdigt werden, die occidentalischen sowohl wie die orientalischen“ (43).28

Diese Äußerungen enthalten für heutige Leser ungewohnt deutliche Einschätzungen aus protestantischer Perspektive, Rücksicht auf die Political Correctness war damals durchaus unüblich.

Die RE3 zählt zu den Fachenzyklopädien, die im 19. Jh. entstanden, als aufgrund der Fülle des Materials Konzepte von Universalenzyklopädien aufgegeben wurden. So war z.B. die überaus angesehene Allgemeine Enzy-klopädie der Wissenschaften und Künste 1818 von Johann Samuel Ersch und Johann Gottfried Gruber begonnen, aber schließlich 1889 mit dem 167. Band abgebrochen worden. Die Fach- oder Realenzyklopädien bieten demgegenüber Sachartikel eines gesonderten Wissenschaftsbereichs, und die RE3 bezieht sich, wie im Titel erkennbar, gezielt auf die „protestantische Theologie und Kirche.“ So kennzeichnet die RE3 ein dezidiert protestan-tisches, aber zugleich auch ein irenisches, ökumenisches Profi l, sofern die Gesamtheit des Protestantismus im Blick ist. Entsprechend schreibt der Herausgeber Hauck 1896 in RE3 1 im Vorwort (S. III): „. . . jetzt wie früher ist die Realencyklo pädie bestimmt, der protestantischen Christenheit zu die-

28 In diesen Ausführungen von Loofs zeigt sich auch die gewachsene Bedeutung der his-torischen Forschung im Allgemeinen sowie der Patristik im Speziellen. In der zweiten Aufl age der RE wurde der entsprechende Artikel „Abendmal“ nur unter den Aspekten „I. lutherische Lehre“ und „II. reformierte Lehre“ ohne patristische Referenzen behandelt (J. J. Herzog [RE2 1 [Leipzig, 1877]: 28-47]).

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nen, nicht einer einzelnen protestantischen Kirche. Das Ziel ist erreichbar, da es trotz aller Zertrennung und aller Gegensätze, die vorhanden sind, eine Einheit der aus der Reformation erwachsenen Kirchen giebt.“29

3. Gnosis

Wie sehr sich die Forschung in Wellen bewegt, wird besonders deutlich in den Beiträgen zur Gnosis. Interessant ist hier der von Gustav Krüger verfasste allgemeine Artikel „Gnosis“ (RE3 6 [Leipzig, 1899]: 728-738), der gleich im ersten Absatz auf die moderne Forschung verweist, welche

die Gesamterscheinung des Gnostizismus weit mehr als früher geschehen im Rahmen der allgemeinen Religionsgeschichte zu erfassen sucht. Wir waren zuerst daran gewöhnt worden, den Gnostizismus nur mit den Augen des Kirchen- und Dogmenhistorikers zu betrachten und demgemäß auf diejenigen Formen unser Hauptaugenmerk zu richten, die in der Geschichte des Christentums von beson-derer Bedeutung geworden sind. . . . Dabei ist aber die Erforschung des vorchrist-lichen und außerchristlichen Gnostizismus vernachlässigt worden. (719)

Er konstatiert aber auch, dass die entsprechende religionsgeschichtliche Erforschung der Gnosis noch in den Anfängen stecke und dass über-dies die Meinungen darüber sehr auseinandergingen, ob die Gnosis mehr vom Hellenismus oder mehr von orientalischen Religionen herzuleiten sei. Noch dominierte damals bei weitem die angesprochene kirchen- und dogmengeschichtliche Perspektive und die Einschätzung, wie sie besonders prominent von Adolf von Harnack vertreten wurde: Die Gnosis sei eine innerchristliche Bewegung und eine christliche Häresie und zu verstehen als eine akute Hellenisierung bzw. Verweltlichung des Christentums.30

Inzwischen wurde die Gnosis mehr aus religionsgeschichtlicher Perspek-tive wahrgenommen; man kann sogar davon reden, dass sich – besonders seit der Veröffentlichung der Texte von Nag Hammadi31 – die Erforschung

29 Genau davon distanziert sich die als Nachfolgeunternehmen zu betrachtende TRE, wie man aus dem Vorwort im ersten Band (TRE 1 [Berlin, 1977]: V-IX) von Carl Heinz Ratschow nachlesen kann, wo immer wieder auf die RE3 Bezug genommen wird.

30 Adolf von Harnack, Die Entstehung des kirchlichen Dogmas (Bd. 1 von ders., Lehrbuch der Dogmengeschichte 1; 4. Aufl .; Tübingen, 1909), 250: „Die Versuche der Gnosti-ker, eine apostolische Glaubenslehre und eine christliche Theologie zu schaffen oder: die acute Verweltlichung der Christentums“ (so die Überschrift des vierten Kapitels im ersten Buch und ersten Teil). Vgl. Christoph Markschies, „Die Krise einer philosophi-schen Bibeltheologie in der Alten Kirche oder: Valentin und die Valentinianische Gnosis zwischen philosophischer Bibelinterpretation und mythologischer Häresie,“ in Gnosis und Manichäismus. Forschungen und Studien zu Texten von Valentin und Mani sowie zu den Bibliotheken von Nag Hammadi und Medinet Madi (hg. von A. Böhlig und C. Markschies; Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft 72; Berlin, 1994), 1-37.

31 James M. Robinson, Hg., The Nag Hammadi Library in English. Translated and Introdu-ced by Members of the Coptic Gnostic Library Project of the Institute for Antiquity and

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der Gnosis inklusive des Manichäismus verselbständigt hat, nicht zuletzt auch aufgrund der erforderlichen Sprachkompetenzen. Damit einher ging bekanntlich die Deutung der Gnosis als außer- wenn nicht sogar vorchrist-liches Phänomen.32 In jüngerer Zeit werden aber wieder Stimmen laut, die dafür plädieren, die Gnosis eher als eine innerchristliche Bewegung zu verstehen, und sozusagen wieder an das 19. Jahrhundert und an das Konzept von Adolf von Harnack anknüpfen.33 Die Diskussion über die grundsätzliche Einschätzung der Gnosis ist auch einhundert Jahre später noch nicht abgeschlossen.

Die damalige Vorsicht in der RE3 gegenüber religionsgeschichtlichen Ansätzen wird auch deutlich in dem Artikel von Erwin Preuschen zu „Va-lentinus, Gnostiker, und seine Schule“ (RE3 20 [Leipzig, 1908]: 395-417).34 Als Faktoren, die zur Herausbildung der Gnosis führten, nennt er den „Synkretismus“ der Zeit. „Wie tief dieser Einfl uß reichte, läßt sich zur Zeit noch nicht überschauen, da die Quellen erst erschlossen werden, manche noch zu erschließen sind.“ (416) Preuschen nennt hier die Ophiten, die ägyptische Religion, die „Volksreligion der Griechen und der Römer,“ und für den Valentinianismus speziell noch „philosophische Spekulation und theosophische Mystik“ und Platonismus neben wissenschaftlichem Denken und wilder Phantastik (399). Diese lange, phantasievolle Auf-listung möglicher Einfl üsse ersetzt quasi eine Antwort auf die Frage, ob die Gnosis innerchristlich oder außerchristlich zu erklären sei. Preuschen betont in seinem Artikel zu Valentin zusammenfassend, dass die Gnostiker „nichts anderes sein wollen als christliche Lehrer, Prediger oder Propheten“ (416). Interessanterweise kommentiert Preuschen in seinem Artikel relativ ausführlich die acht von Valentin überlieferten Fragmente (399-402) und

Christianity, Claremont, California (1977) (San Francisco, 1981; 4. Aufl . Leiden, 1996); Bentley Layton, Hg., The Gnostic Scriptures: A New Translation with Annotations and Introductions (Garden City, NY, 1987); vgl. besonders die Bände der kritischen Edition in der Reihe: The Coptic Gnostic Library (Leiden, 1975-1996); als Paperback: James M. Robinson, Hg., The Coptic Gnostic Library. A Complete Edition of the Nag Hammadi Codices (5 Bde.; Leiden, 2000); in Übersetzung: Nag Hammadi Deutsch 1. Band: NHC I,1-V,1; 2. Band: NHC V,2-XIII,1, BG 1 und 4, eingeleitet und übersetzt von Mitgliedern des Berliner Arbeitskreises für Koptisch-Gnostische Schriften (hg. von H.-M. Schenke et al.; Bd. 1 und Bd. 3 von Koptisch-Gnostische Schriften; GCS.NF 8, GCS.NF 12; Berlin, 2001, 2003 [gekürzte Studienausgabe Berlin, 2007; 2. Aufl . Berlin, 2010]).

32 Vgl. exemplarisch dazu K. Berger, „Gnosis/Gnostizismus I: vor- und außerchristlich,“ TRE 13 (Berlin, 1984): 519-535. Ferner Charles W. Hedrick und Robert Hodgson, Hgg., Nag Hammadi, Gnosticism, and Early Christianity (Peabody, MA, 1986); Birger A. Pearson,

Gnosticism, Judaism, and Egyptian Christianity (Studies in Antiquity and Christianity; Minneapolis, 1990); Gerard P. Luttikhuizen, “Sethianer?,” ZAC 13 (2009): 76-86.

33 Vgl. den Forschungsbericht von Ursula U. Kaiser, „Neuere Gnosisforschung,“ Verkündi-gung und Forschung 48 (2003): 44-64; ferner die Berichte von Birger A. Pearson, „Early Christianity and Gnosticism: A Review Essay,“ Religious Studies Review 13 (1987): 1-8; Kurt Rudolph, „Die Gnosis: Texte und Übersetzungen,“ Theologische Rundschau 55 (1990): 113-152; H.-M. Schenke, „Nag Hammadi,“ TRE 23 (Berlin, 1994): 731-736.

34 In der zweiten Aufl age der RE wurde Valentin nur in dem allgemeinen Artikel „Gnosis“ mitbehandelt (J. L. Jacobi, RE2 5 [Leipzig, 1879]: 204-247).

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betont ausdrücklich, dass jede Darstellung der Lehre Valentins „von einer strengen, durch nichts beeinfl ußten Analyse der noch erhaltenen Worte auszugehen hat“ (403). Nur auf diese Weise komme man zu einer Darstel-lung der Entwicklung der unterschiedlichen Systeme.35 Bei Valentin selbst lasse sich nämlich nur ein Gemenge aus platonischer Philosophie, Worten Jesu und paulinischer Sätze ausfi ndig machen. Spätere Ausgestaltungen valentinianischer Systeme könnten daher nicht so ohne weiteres auf Va-lentin selbst zurückgeführt werden. So müsse man bei der Beschreibung der Weltanschauung Valentins große Vorsicht walten lassen:

Die Weltanschauung eines Mannes zu entwickeln, von dessen eigenen Äußerun-gen wir nur armselige Trümmer besitzen und für dessen Meinung wir nur auf die Berichte übelwollender Gegner angewiesen sind, die sich noch dazu nicht bemüht haben oder nicht in der Lage waren, überall zwischen den Anschau-ungen des Meisters und seiner Schüler reinlich zu scheiden, das gehört zu den unmöglichen Dingen. (398)

Erstaunlicherweise hat erst die Monographie von Christoph Markschies aus dem Jahr 1992 versucht, dieses Programm von Preuschen in die Tat umzusetzen, wie Markschies selbst in seiner Einleitung beschreibt.36 Ein leitender Gedanke bei der Analyse der Fragmente Valentins ist natürlich auch, auf diese Weise eventuell beschreiben zu können, wie es innerhalb des Christentums aufgrund der Lehre Valentins zur Entstehung einer Gnosis in der Form des „Valentinianismus“ kommen konnte.37

4. Individuelle Schwerpunkte

Die RE3 ist deutlich geprägt durch die wissenschaftlichen Schwerpunkte der einzelnen Forscherpersönlichkeiten. Hauck gesteht dies oder fordert es sogar ein, wenn er in seinem Schlusswort zu Beginn des vorletzten Bandes 23 ([Leipzig, 1913]: III) formuliert: „Jedem Mitarbeiter sollte es

35 In der RE2 wurde von Justus Ludwig Jacobi noch ohne Differenzierung das valentiniani-sche System in einem Abschnitt des Artikels „Gnosis“ vorgestellt (Jacobi, „Gnosis“ [wie Anm. 34], 223-229).

36 „Man könnte nun meinen, diese bestimmte Forderung [von Preuschen] habe die Voraus-setzung geschaffen, Valentin nun endlich aus dem tiefen Dunkel etwas mehr in das Licht der Forschung zu rücken – aber diese Vermutung täuscht. Auch über achtzig Jahre nach ihr fi ndet sich in der reichen Literatur zur valentinianischen Gnosis noch immer keine ausführliche Untersuchung der valentinianischen Fragmente.“ (Christoph Markschies, Valentinus Gnosticus? Untersuchungen zur valentinianischen Gnosis mit einem Kom-mentar zu den Fragmenten Valentins [WUNT 65; Tübingen, 1992], 3).

37 Vgl. Markschies, Valentinus Gnosticus? (wie Anm. 36), 392-402: „Valentin und seine Schule – ein problematisches Verhältnis.“ Markschies beschreibt hier, mit Blick auf ana-loge Entwicklungen in Philosophenschulen, wie seiner Meinung nach, provoziert durch drei „Krisenpunkte,“ Valentins Lehre von „Schülern“ entsprechend weiterentwickelt wurde.

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unverwehrt sein, sich zu geben, wie er ist,“ und betont, dass er allzu starke redaktionelle Eingriffe und Vorgaben abgelehnt habe.

Seinen Forschungen entsprechend hat Theodor Zahn zum Beispiel den überaus langen Artikel „Kanon des Neuen Testaments“ verfasst und zusätzlich im Anschluss daran den Beitrag „Kanon Muratori“ (RE3 9 [Leipzig, 1901]: 769-796; 796-806). Zahn betont hier gleich zu Beginn sein Verständnis, dass die kanonischen Schriften diejenigen sind, die „im Gottesdienst gelesen und der Erbauung und Belehrung der Gemeinden zugrunde gelegt werden“ (772). Hans Achelis war für liturgisch relevante Artikel zuständig wie „Akoluthen“ (RE3 1 [Leipzig, 1896]: 282-283) oder „Neophyten“ (RE3 13 [Leipzig, 1903]: 709). Der Greifswalder Kirchenge-schichtler und Archäologe M. Victor Schultze deckte die Beiträge zu den Kaisern von Claudius bis Valentinian III. ab.

Nathanael Bonwetsch schrieb viele Artikel über Personen, ebenfalls über den Bilderstreit, origenistische Streitigkeiten und auch das Konzil von Nizäa 787. Aus seinem Beitrag „Kirchengeschichte“ (RE3 10 [Leipzig, 1901]: 376-383) spricht noch ganz der Geist des 19. Jahrhunderts:

Die Kirche . . . ist die durch Jesus Christus in seinem Werk und Wirken gegrün-dete, von seinem Geist durchwaltete Gemeinde der Gläubigen. In ihr soll sich die Bestimmung der Menschheit, eine Menschheit Gottes zu werden, verwirklichen. Darzustellen, wie dies geschieht, ist ebenso die Aufgabe der KG, wie die allge-meine Geschichte die Entwicklung des Menschengeschlechts zu Erreichung seines Ziels, der Beherrschung der Welt und Herausgestaltung des Menschheitsideals, zu zeigen hat. (376)

Der damals, vor dem Ersten Weltkrieg, noch ungebrochene Optimismus, sowohl in Bezug auf die Möglichkeit der „objektiven Darstellung,“ „wie es eigentlich war“ (378 mit Verweis auf Leopold von Ranke), als auch in Bezug auf die Entwicklung der Menschheit hin „zu einer Menschheit Gottes“ (377), zeigt sich in diesem Artikel.

Adolf von Harnack schrieb den 34-seitigen Beitrag „Monarchianis-mus“ (wie Anm. 27), der eine überarbeitete Fassung seines entsprechenden Artikels für die zweite Aufl age der RE ist (RE2 10 [Leipzig, 1882]: 178-21338). Überaus gründlich und ausführlich geht er auf die in den Quellen nur dürftig dargestellten Personen und Richtungen des Modalismus und Adoptianismus des 2. und 3. Jahrhunderts von Theodot dem Lederarbeiter bis hin zu Sabellius ein. Er verwendet viel Mühe darauf, die frühen chris-tologischen Entwürfe vor dem allgemeinen Durchbruch der Logostheologie

38 Ein Vergleich der beiden Fassungen zeigt eine Präzisierung und Zuspitzung seiner Positi-on: Aus „. . . so selten führte diese Anerkennung . . . zu Spekulationen über den Begriff Gottes“ (178) wird z.B. „so selten führte diese Anerkennung . . . zu festen Spekulationen über den Sohn Gottes als Logos und über den Begriff Gottes selbst“ (304). Gleich zu Beginn des Artikels gibt Harnack bekannt: „Der Abschnitt in meinem Lehrbuch der Dog-mengeschichte Bd. 13 S. 648-739 deckt sich wesentlich mit dem nachstehenden Artikel“ (303).

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darzustellen, also bevor die „festen Spekulationen über den Sohn Gottes als Logos und über den Begriff Gottes selbst“ (304) die Theologie in Richtung einer hellenisierten Lehre veränderten. „Unsere Sympathie wendet sich hier dem Unterliegenden nicht zu, weil er unterliegt, sondern weil er Richtiges vertreten hat.“ (307) Besondere Sympathie lässt seine Darstellung des Paulus von Samosata erkennen: Nach der Absetzung des Paulus

war es nicht mehr möglich, sich auf dem großen Markte des christlichen Lebens für eine Christologie Gehör zu verschaffen, welche die persönliche selbständige Präexistenz des Erlösers leugnete. Niemand durfte sich mehr damit begnügen, sich das gottmenschliche Leben des Erlösers an seinem Wirken klar zu machen; er mußte an die göttliche Physis des Erlösers glauben. (323)

Immer wieder fügt er Zwischenbemerkungen an wie: „Aber in der Fassung des Gottesbegriffs hatten die Monarchianer die älteste christliche Überlie-ferung im allgemeinen für sich, wenn sie von der allmächtigen Person und nicht von der Substanz ausgingen“ (331). In diesem Sinn betont er, dass „die Modalisten ein uraltes und wertvolles Interesse in der Kirche“ (332) vertraten. Dieser Artikel gibt also unmittelbar sowohl ein persönliches Interesse des Verfassers wieder als auch seine Auffassung von der Entwick-lung der christlichen Dogmen als Hellenisierung und darüber hinaus das massiv gewachsene Interesse an der historischen Erforschung besonders der ersten Jahrhunderte. Die ausführliche Darstellung der Monarchianer speist sich auch aus der gegenüber der heutigen Forschung weitaus op-timistischeren Einschätzung der späteren Quellenzeugnisse, als es heute weithin gesehen wird.39

5. Dogmengeschichte

Durchaus immer noch beeindruckend sind die materialreichen und intensiv aus den Quellen gearbeiteten Beiträge von Friedrich Loofs.40 Sein Schwer-punkt lag hier wie auch in seinem Gesamtœuvre auf der Dogmengeschichte. So schrieb er sowohl den Artikel „Arianismus“ (RE3 2 [Leipzig, 1897]: 7-45) als auch „Christologie. Kirchenlehre“ (RE3 4 [Leipzig, 1898]: 16-57) und deckte zusätzlich viele Personen aus dem arianischen und christolo-

39 Vgl. K-H. Uthemann, „Paulus von Samosata,“ Biographisch-bibliographisches Kirchen-lexikon 7 (Nordhausen, 1994): 66-89, der die Quellenlage über Paulus regelrecht seziert; vgl. ferner z.B. zu Sabellius Wolfgang A. Bienert, „Sabellius und Sabellianismus als his-torisches Problem,“ in Logos. FS L. Abramowski (hg. v. H. C. Brennecke et al.; Beihefte zur Zeitschrift für die neutestamentliche Wissenschaft und die Kunde der älteren Kirche 67; Berlin, 1993), 124-139.

40 Vgl. Jörg Ulrich, Hg., Friedrich Loofs in Halle (AKG 114; Berlin, 2010); darin Uta Heil, „Friedrich Loofs und die Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche,“ 39-61.

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gischen Streit mit Beiträgen ab.41 Interessanterweise schrieb Loofs und nicht Harnack den Artikel „Dogmengeschichte“ (RE3 4 [Leipzig, 1898]: 752-764). Er setzt sich hier nach einer Vorstellung der Geschichte der Dis-ziplin und der verschiedenen Ansätze darüber, was Dogmengeschichte sei, ausdrücklich von Harnack ab.42 Der Artikel steht also mitten in einer heftig geführten Auseinandersetzung über das Verständnis von Dogma und Dog-mengeschichte, die der neue Ansatz von Harnack provoziert hatte.43 Loofs schreibt, dass mit Harnack zwar ein „neue[r] Abschnitt in der Geschichte der Disziplin“ beginne (759), aber Harnack habe seine Vorläufer „eigenar-tig verarbeitet“ (759). Für ihn sei Dogma nämlich nicht ein Genusbegriff, sondern inhaltlich festgelegt als „das bestimmte Dogma, das sich auf dem Boden der antiken Welt gebildet hat“ (760). So rühmt er zwar Harnacks „materielle Erweiterung des dogmengeschichtlichen Wissens“ (759), aber „eine andere Frage ist, ob die Verengung der Aufgabe der DG, der Harnack das Wort geredet hat, Beifall verdient“ (759). Loofs selbst will, auch unter Berufung auf Johann Georg Veit Engelhardt (Dogmengeschichte [Neustadt an der Aisch, 1839]), Johann Karl Ludwig Gieseler (Dogmengeschichte [aus dem Nachlass hg. v. F. R. Redepenning; Bonn, 1855) und Richard Adelbert Lipsius (Lehrbuch der evangelisch-protestantischen Dogmatik [3. Aufl .; Braunschweig,1893]), Dogmengeschichte eher traditionell bzw. „vulgär“ (761) als „historisch-genetische Darstellung des Werdens der Lehrbegriffe der verschiedenen christlichen Kirchen“ auffassen (757) und zitiert seine eigene Defi nition aus seinem Leitfaden zum Studium der Dogmengeschich-te44: „Dogmen sind diejenigen Glaubenssätze, deren Anerkennung eine kirchliche Gemeinschaft von ihren Gliedern, oder wenigstens von ihren Lehrern, ausdrücklich fordert“ (761). Harnacks Auffassung sei dagegen quasi seine Privatmeinung, so dass Loofs ironisierend formuliert: „Da es nun ein Dogma über den Begriff des Dogma nicht giebt, so wird niemand Harnack deshalb Unklarheiten u. dgl. vorwerfen können, weil er seine

41 Acacius von Cäsarea, Athanasius von Alexandrien, Eudoxius, Eunomius, Eusebius von Nikomedien, Eusebius von Samosata, Eusebius von Vercelli, Eustathius von Antiochien, Eustathius von Sebaste, Eutyches, Flavian von Antiochien, Flavian von Konstantinopel, Georg von Laodicaea, Gregorius von Nazianz, Gregor von Nyssa, Hilarius von Poitiers, Hosius von Cordoba, Leontius von Byzanz, Macedonius, Marcellus von Ancyra, Meletius von Antiochien, Nektarius von Konstantinopel, Nestorius, Photin von Sirmium, Theodor von Mopuestia.

42 Vgl. dazu auch die ausführlichen Analysen mit einer Gegenüberstellung Loofs mit Har-nack von Ekkehard Mühlenberg, „Friedrich Loofs und die Dogmengeschichte,“ in Ulrich, Friedrich Loofs in Halle (wie Anm. 40), 21-37.

43 Vergleichsweise knapp setzt sich Loofs mit „konfessionell-lutherischen“ Ansätzen der Dog-mengeschichte von Kliefoth bis Seeberg auseinander (758); in seinen Bemerkungen zum „Endpunkt“ der Dogmengeschichte spricht er sich dagegen aus, „die Dogmengeschichte bei der Fixierung der lutherischen und reformierten Kirchenlehre ab[zu]brechen“ – auch wenn sie momentan die Fortführung der Arbeit der „Geschichte der protestantischen Theologie“ überlassen muss (763).

44 Friedrich Loofs, Leitfaden zum Studium der Dogmengeschichte (2. Aufl .; Halle, 1890; 3. Aufl .; Halle, 1893; eine 4. Aufl age erschien in Halle 1906, eine 5., von Kurt Aland durchgesehene Aufl age in Halle 1951 [Zitat dort, 9]).

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Geschichte des altkirchlichen Dogmas unter dem Titel ‚Dogmengeschichte‘ publiziert hat.“ (760)

Neben dieser Frage, ob das Dogma, so Harnack, ein Ergebnis speziell der verfremdenden Hellenisierung des ursprünglichen und undogmatischen Christentums sei, oder ob „jede Kirche“ einer „den subjektiven Meinungs-verschiedenheiten entnommene[n] forma confessionis et doctrinae“ bedürfe (761), so Loofs, der daher auch keinen „Endpunkt“ in der Entwicklung der Dogmen fi xieren möchte (763), thematisiert Loofs ebenfalls die He-rausforderung durch die religionsgeschichtliche Betrachtung des Stoffs (762). Gegenüber dem Vorwurf an die Dogmenhistoriker, „auf die Höhe wahrhaft historischer Behandlung des Stoffes würden sie erst gelangen bei ‚religionsgeschichtlicher Betrachtung,‘“ betont Loofs kritisch: „Geschichte schreibt man stets von einem ‚Standpunkt‘ aus,“ und stellt infrage, ob angebliche „religionsgeschichtliche Indifferenz“ dem besonderen Objekt der Dogmengeschichte gerecht werden könne.45 Er gibt damit im Prinzip persönlich das Konzept der RE3 wieder; Vertreter der Religionsgeschicht-lichen Schule verfassten, wenn überhaupt, vergleichsweise wenige Artikel für die RE3.46

Rückblickend hat sich eher der Ansatz von Loofs durchgesetzt als Har-nacks Verständnis von Dogma und Dogmengeschichte47; beispielsweise deckt sich die Beschreibung der Aufgaben des Fachs von Wolf-Dieter Hau-schild in dem Nachfolgeunternehmen TRE beinahe mit der von Loofs: „Dogmengeschichte kann . . . nur sinnvoll betrieben werden, wenn sie als Geschichte der Wahrheitserkenntnis, konzentriert auf den Sektor norma-tiver, defi nierter, kirchlich rezipierter Bekenntnisse und Lehren, dargestellt wird.“48

45 Loofs bezieht hier Position in einer Auseinandersetzung, wie sie immer wiederzukehren scheint, sei es damals durch die Herausforderung der aufkommenden Religionsgeschichte, sei es gegenwärtig durch solche der postmodernen Hermeneutik.

46 Wilhelm Bousset schrieb z.B. „Apokalyptik“ (RE3 1 [Leipzig, 1896]: 612-615); „Aris-tobul“ (RE3 2 [Leipzig, 1897]: 48-49) und „Sibyllen u. Sibyllinische Bücher“ (RE3 18 [Leipzig, 1906]: 265-280); Johannes Weiß „Dämonen“ (RE3 4 [Leipzig, 1898]: 408-410); „Ethnarch“ (RE3 5 [Leipzig, 1898]: 558-560); „Griechenland in der apostolischen Zeit“ (RE3 7 [Leipzig, 1899]: 160-168); „Kleinasien“ (RE3 10 [Leipzig, 1901]: 535-563); „Kre-ta“ (RE3 11 [Leipzig, 1902]: 88-89); „Macedonien“ (RE3 12 [Leipzig, 1903]: 38-41) und „Welt“ (RE3 21 [Leipzig, 1908]: 84-92); Adolf Deißmann „Hellenistisches Griechisch“ (RE3 7 [Leipzig, 1899]: 627-639) und „Papyrus und Papyri“ (RE3 14 [Leipzig, 1904]: 667-675).

47 Vgl. auch Hanns Christof Brennecke, „Friedrich Loofs. Ein protestantischer Dogmenge-schichtler,“ in Ulrich, Friedrich Loofs in Halle (wie Anm. 40), 1-20, bes. 12-15.

48 W.-D. Hauschild, „Dogmengeschichtsschreibung,“ TRE 9 (Berlin, 1982): (116-125) 123. Vgl. auch C. H. Ratschow, „Dogma II,“ TRE 9 (Berlin, 1982): (34-40) 39: „Dogmen sind also kirchlich rezipierte und autorisierte Urteile über die christlichen Glaubensinhalte“; ähnlich Karlmann Beyschlag, Gott und Mensch 1: Das christologische Dogma (Bd. 2 von ders., Grundriss der Dogmengeschichte; Grundrisse 3,1; Darmstadt, 1982), 1, der von objektiven kirchlichen Glaubensnormen spricht.

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Sehr kritisch setzt sich Loofs auch mit einer 40-seitigen Broschüre von Gustav Krüger, Das Dogma vom Neuen Testament,49 auseinander im Zu-sammenhang seiner Überlegungen zum Ausgangspunkt einer Dogmenge-schichte (763): Gehört die neutestamentliche Zeit oder gar die Lehre bzw. die Predigt Jesu mit in die Dogmengeschichte? Zwei Argumente sprechen für Loofs dagegen:

Da erstens noch keine „Geschichte der urchristlichen Theologie bis ca. 180“ geschrieben werden könne, die eventuell als ein erster Teil der Dog-mengeschichte zu behandeln wäre, möchte er den wissenschaftlichen Streit darüber lieber der neutestamentlichen Theologie überlassen: „Das Richtige für die DG scheint mir daher zu sein, daß sie bei dem Gemeindeglauben des nachapostolischen Zeitalters in einer Weise einsetzt, die den kontroversen Fragen der Neutestamentlichen Theologie möglichst ausweicht.“ (763) Das stimmt in etwa mit seinem Leitfaden zum Studium der Dogmengeschichte überein, in dem er die apostolische Zeit als „Voraussetzung der kirchlichen Lehrbildung“ überschreibt und in § 10 „Die Person Jesu“ auf nur einer Seite abhandelt.50 Dennoch hat man bei der Lektüre des RE-Artikels eher den Eindruck, als ob es sich um ein zeitweiliges Problem der Forschung handele; in einigen Jahren, wenn die neutestamentliche Forschung gesi-chertere Ergebnisse vorlegen könne, werde es möglich sein, diesen Bereich in die Dogmengeschichte mit einzubeziehen. Im Leitfaden formuliert er methodisch schärfer, dass sich die Frage, „was Jesus gelehrt hat, einer rein geschichtlichen Beantwortung“ entziehe, da nur nachösterliche Quellen zur Verfügung stehen. Aber nicht nur die Lehre Jesu, sondern auch Jesu persönliche Stellung zu seinem Leiden könne den Quellen nicht entnommen werden; gerade da knüpfe jedoch die Dogmengeschichte an.51 In der RE3 folgert er daraus: „Trotzdem allein Jesu Predigt als Maßstab des Urteilens hinstellen (Krüger), heißt die eigene Dogmatik zum Kriterium der DG machen.“ (763) Dies ist gewiss eine wichtige Problemanzeige von Loofs. Wenn das Leben und die Lehre des historischen Jesus nicht erschlossen werden können, wird das konstruierte Bild von ihm unweigerlich davon geprägt, was als Kern oder Grundwahrheit des Christentums verstanden wird. Ein paar Jahre später wird z.B. Von Reimarus zu Wrede: Eine Ge-schichte der Leben-Jesu-Forschung (Tübingen, 1906) von Albert Schweitzer zeigen, wie sehr in der Forschungsgeschichte die persönliche „Dogmatik“ die jeweilige Darstellung des Lebens und Wirkens Jesu beeinfl usst hat. In dieser methodischen Vorsicht unterscheidet sich Loofs grundsätzlich von Harnack, der noch 1922 in seiner Kurzfassung der Dogmengeschichte in § 4 „Das Evangelium Jesu Christi nach seinem Selbstzeugnis“ aus den

49 Gustav Krüger, Das Dogma vom Neuen Testament, Programm Sr. königl. Hoheit dem Großherzoge von Hessen und bei Rhein Ernst Ludwig zum 25. August 1896 gewidmet (Gießen, 1896).

50 Loofs, Leitfaden (wie Anm. 44), 52.51 Loofs, Leitfaden (wie Anm. 44), 52.

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„sichersten Sprüchen Jesu“ – in Abgrenzung auch zu Schweitzers Inte-rimsethik – dessen Predigt vom Reich Gottes darstellt:

In der Predigt Christi sind die ruhende Elemente,52 wie sie in vollkommenster Weise im ‚Vater Unser‘ und in einigen Teilen der ‚Bergpredigt‘ (keine bloße ‚Interims-Ethik‘) zusammengefaßt sind und ihren kürzesten Ausdruck in der Erkenntnis Gottes als des Vaters haben, eingebettet in die Verkündigung vom Rei che Gottes (das Evangelium ist als eine apokalyptische-eschatologische Bot-schaft und Bewegung in die Welt eingegangen). Diese Verkündigung umschloß ein impulsives, zündendes, die Welt preisgebendes Element. . . . Die Dogmenge-schichte ist hauptsächlich auf dem ruhenden Element begründet.53

Für Harnack sind also die „sichersten Sprüche Jesu“ erstens rekonstruier-bar54 und zweitens letztendlich die Basis der Dogmengeschichte.

Neben diesem methodischen Problem der Rekonstruktion der Lehre des historischen Jesus gehört ebendieser für Loofs aber auch noch aus einem weitere Grund nicht in die Dogmengeschichte: Da auch der mit geschichtli-chen Mitteln nicht ableitbare apostolische Glaube an Jesu Erhöhung ebenso wichtig für die Dogmengeschichte sei, könne man nicht beim historischen Jesus einsetzen. In logischer Konsequenz ist für Loofs also, anders als für Harnack, nicht Jesu Predigt vom Reich Gottes, sondern der Osterglaube die Keimzelle der Dogmengeschichte.

Es ist jedoch die Frage, ob die Dogmengeschichte tatsächlich den his-torischen Jesus einfach so außen vor lassen kann.55 Genau das wurde z.B. durch die in den 50er Jahren neu formulierte Rückfrage nach dem histo-rischen Jesus – besonders durch den Aufsatz von Ernst Käsemann56 und

52 Den Begriff „ruhende Elemente“ entwickelt Harnack in der vierten der Vorlesungen von 1899 über das Wesen des Christentums: „Unmittelbar und deutlich läßt sich für unser heutiges Vorstellen und Empfi nden die Predigt Christi in dem Kreise der Gedanken erfassen, der durch Gott den Vater und durch die Verkündigung vom unendlichen Wert der Menschenseele bezeichnet ist. Hier kommen die Elemente zum Ausdruck, die ich als die ruhenden und die Ruhe gebenden in der Verkündigung Jesu bezeichnen möchte, und die zusammengehalten sind durch den Gedanken der Gotteskindschaft. Ich nenne sie die ruhenden im Unterschied von den impulsiven und zündenden Elementen, obgleich gerade ihnen eine besonders mächtige Kraft innewohnt“ (Adolf von Harnack, Das Wesen des Christentums [hg. und kommentiert von Trutz Rendtorff; Gütersloh 1999], 95-96). Mit dem Adjektiv „ruhend“ will Harnack beschreiben, dass die Verkündigung Jesu nichts anderes als „die Religion selbst“ sei (96).

53 Adolf von Harnack, Dogmengeschichte (6. Aufl ; Tübingen, 1922; Nachdr. Tübingen, 1991), 16-17.

54 Dementsprechend rekonstruiert und analysiert Harnack die sogenannte Spruchquelle Q und weist ihr im Vorwort (S. IV) eine hohe Bedeutung für die Erkenntnis der Geschich-te Jesu zu: Adolf Harnack, Sprüche und Reden Jesu. Die zweite Quelle des Matthäus und Lukas (Bd. 2 von ders., Beiträge zur Einleitung in das Neue Testament; Leipzig, 1907).

55 Insbesondere wenn es ein durchgehendes Anliegen der Dogmengeschichte ist, Doketismus auszuschließen und die volle Menschheit Jesu Christi zu bewahren.

56 Ernst Käsemann, „Das Problem des historischen Jesus (Vortrag in Jugenheim 1953),“ in ders., Exegetische Versuche und Besinnungen 1 (Göttingen, 1960): 187-214. Besonders

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auch Beiträge wie die von Gerhard Ebeling57 – infrage gestellt. Dennoch begann z.B. Carl Andresen im Jahr 1982 seinen Abschnitt „Die Anfänge christlicher Lehrentwicklung“ im Handbuch der Dogmen- und Theolo-giegeschichte 158 mit folgenden Worten:

Das sog. Osterzeugnis ist theologisch nicht aus der historischen Existenz Jesu von Nazareth abzuleiten, da diese mit der Kreuzigung ein Ende fand. . . . [So] muß unterstrichen werden, daß ein sog. Leben Jesu für die theologie- und dog-mengeschichtliche Darstellung keine Ausgangsbasis bietet. Es verschließt den Zugang zum Kerygma der Urgemeinde.59

Demgegenüber schrieb im selben Jahr Wolf-Dieter Hauschild, dass der historische Jesus nicht „Voraussetzung, sondern Beginn der Dogmenge-schichte ist.“60 Die Frage bleibt kontrovers, und es ist sicher ein Deside-rat, dass hier die beiden theologischen Disziplinen Neues Testament und Kirchengeschichte in ein neues Gespräch eintreten.

Der Verweis von Loofs in seinem RE3-Beitrag auf und die Kritik an Krüger ist in diesem Zusammenhang jedoch etwas irritierend, da Krü-ger in der angesprochenen Schrift gar nicht prinzipiell darauf eingeht, was Dogmengeschichte sei und womit sie beginne, sondern primär die Zuständigkeiten der theologischen Fächer und die Vorlesungspraxis im Universitätsbetrieb behandelt. Er beschreibt die übliche Fächeraufteilung als unbefriedigend, da besonders in der neutestamentlichen Exegese die Um-welt und die zeitgleich entstandenen Apostolischen Väter und Apokryphen kaum berücksichtigt – daher die Bezeichnung „Dogma vom NT“ – und zusammengehörige Texte auseinandergerissen würden:

Die Existenz einer „neutestamentlichen“ Wissenschaft oder einer „Wissenschaft vom Neuen Testament“ als einer besonderen theologisch-geschichtlichen Diszi-plin ist ein Haupthindernis 1) einer fruchtbaren, zu gesicherten und allgemein anerkannten Ergebnissen führenden Erforschung der Urchristentums, also auch des Neuen Testaments selbst und 2) eines gesunden theologisch-wissenschaftli-chen Unterrichtsbetriebs.61

mit Hilfe des „Unableitbarkeitskriteriums“ bzw. des „Differenzkriteriums“ sei es doch möglich, Aussagen über die Lehre des historischen Jesus zu machen.

57 Gerhard Ebeling, „Die Frage nach dem historischen Jesus und das Problem der Chris-tologie,“ Zeitschrift für Theologie und Kirche 56, Beiheft 1 (1959): 14-30, wieder in: ders., Wort und Glaube (3. Aufl .; Tübingen, 1967), 300-318.

58 Göttingen, 1982, 1-98, hier 1.59 Auch Bernhard Lohse setzt (nachdem er kurz auf Seite 16 auf das Petrusbekenntnis „Du

bist Christus“ aus Mt 16,16 anspielt) mit nachösterlichen Entwicklungen ein, nämlich der Kanonbildung und der Bekenntnisbildung (Bernhard Lohse, Epochen der Dogmen-geschichte [8. Aufl .; Hamburger theologische Studien 8; Münster, 1994]).

60 Hauschild, „Dogmengeschichtsschreibung“ (wie Anm. 48), 124.61 Krüger, Das Dogma vom Neuen Testament (wie Anm. 49), 4. Krüger nimmt dann Bezug

auf Heinrich J. Holtzmann, Lehrbuch der historisch-kritischen Einleitung in das Neue Testament (Sammlung theologischer Lehrbücher; Freiburg i.Br., 1885; 3. verbesserte und vermehrte Aufl .; Freiburg i.Br., 1892); Reinhold Seeberg, Lehrbuch der Dogmengeschichte (Erlangen, 1895). Später, S. 29-32, wird in dieser Hinsicht vor allem Albrecht Ritschl,

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Die neutestamentliche Wissenschaft müsse ihre Schriften behandeln ohne eine vorweggenommene theologische Wertung als kanonische Schriften: „Ich bestreite, dass man berechtigt ist, mit dem Begriff ‚Neues Testament‘ in irgend einer Form bei der geschichtlichen Betrachtung einer Zeit zu operieren, die noch kein Neues Testament kennt.“62 Entsprechend schlägt Krüger auch einen anders strukturierten Vorlesungsbetrieb vor:

Man setze an die Stelle der „neutestamentlichen Zeitgeschichte“ und der ‚Ge-schichte des apostolischen Zeitalters“, welch’ letztere man mit Vorliebe, aber ohne jede Berechtigung dem Kirchenhistoriker überlässt, eine allgemeine Ge-schichte des Urchristentums, an die Stelle der „Einleitung“ eine Geschichte der urchristlichen Litteratur; an die Stelle der „neutestamentlichen“ eine Geschichte der urchristlichen Theologie.63

Werde derart gearbeitet, so könne der Kirchen- und Dogmenhistoriker „beruhigt an die Resultate seines neutestamtlichen Kollegen anknüpfen, denen zu misstrauen er jetzt aus den angegebenen Gründen oft genug Ursache hat.“64

War damals also Gegenstand und Umfang der Dogmengeschichte um-stritten, fi nden heute an theologischen Fakultäten oft gar keine gesonderten dogmengeschichtlichen Vorlesungen mehr statt, sondern aufgrund der Mo-dularisierung des Studiums allgemein gehaltene Überblicksvorlesungen.65 Loofs dagegen hat sich besonders in der RE3 in dogmengeschichtlichen Themen engagiert und sein Leitfaden zum Studium der Dogmengeschichte bündelt dieses Interesse. Seine Beiträge in der RE3 zum trinitarischen und

Entstehung der altkatholischen Kirche. Eine kirchen- und dogmengeschichtliche Mono-graphie (Bonn, 1857), kritisiert.

62 Krüger, Das Dogma vom Neuen Testament (wie Anm. 49), 10. Vielleicht reagierte Loofs in seinem RE3-Beitrag so einseitig, da Krüger kritisiert hatte: „Kann man Loofs davon ganz frei sprechen? Keineswegs!“ (Krüger, Das Dogma vom Neuen Testament [wie Anm. 49), 16). Auf Seite 17-18 hält Krüger auch Harnack vor, sich nicht gänzlich vom „Dogma vom Kanon“ freigemacht zu haben.

63 Krüger, Das Dogma vom Neuen Testament (wie Anm. 49), 37; und zu den Gepfl ogenheiten seiner Zeit auf Seite 36: „Der Neutestamentler exegesirt die Synoptiker in 5, wenn nicht in 6 Stunden, den Johannes in 4, Römer und Galater in 4 und mehr, ebenso die Korin-therbriefe, und mindestens dreistündig die kleinen Paulinen, 3stündig die Offenbarung, 3stündig die katholischen Briefe; er braucht 5 Stunden für seine ‚Einleitung‘, ebensoviel für seine ‚Theologie‘, 2 oder mehr für seine ‚Zeitgeschichte‘.“ Krüger fragt, ob sich die ungeheure Stundenzahl und Spezialisierung noch rechtfertigen lasse. Aus heutiger Pers-pektive erscheinen die Stundenzahlen jedoch erst recht „ungeheuer.“

64 Krüger, Das Dogma vom Neuen Testament (wie Anm. 49), 40.65 Überdies wurde jüngst generell der Sinn einer Dogmengeschichte als gesonderte theolo-

gische Disziplin infrage gestellt: Wolfram Kinzig, „Brauchen wir Dogmengeschichte als theologische Disziplin?,“ in Historiographie und Theologie. Kirchen- und Theologiege-schichte im Spannungsfeld von geschichtswissenschaftlicher Methode und theologischem Anspruch (hg. von ders. et al.; AKG 15; Leipzig, 2004), 181-202. Kinzig kritisiert gerade ein unklares Verständnis von „Dogma,“ worüber vor hundert Jahren intensiv gerungen wurde, und darüber hinaus die immer wieder gegebene Versuchung, wie im 19. Jahr-hundert einen Entwicklungsgedanken zu verfolgen, der viele Details und disparate Ent-wicklungsstränge vernachlässige.

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christologischen Streit wurden bereits erwähnt; hingewiesen sei auch noch auf seine gründlichen und intensiv an den Quellen erarbeiteten Übersichten zu Augustinus (RE3 2 [Leipzig, 1897]: 257-285) und zum pelagianischen (RE3 15 [Leipzig, 1904]: 747-774) und semipelagianischen (RE3 18 [Leip-zig, 1906]: 192-203) Streit. Seine Darstellung der Chronologie und Ent-wicklung dieser Auseinandersetzungen und der damit zusammenhängenden Briefe Augustins sind beispielhaft und noch immer lesenswert.

6. Apostolikum

Ein zentrales, in der patristischen Forschung umstrittenes und damals sehr intensiv diskutiertes Thema war die Entstehung des Taufsymbols und des Apostolischen Glaubensbekenntnisses.66 Das erkennt man natürlich auch an den entsprechenden Beiträgen der RE3. Adolf von Harnack benutzt den Artikel „Apostolisches Symbolum“ (RE3 1 [Leipzig, 1896]: 741-755), um pointiert seine Sicht zur Zeit der 90er Jahre des 19. Jahrhunderts unter Bezugnahme auf Ferdinand Kattenbusch und in Abgrenzung zu Theodor Zahn und auch zu Carl Paul Caspari darzulegen. Kattenbusch hat in RE3 19 (Leipzig, 1907) konsequenterweise den Artikel „Symbol, Symbolik“ (196-207) verfaßt. Wirft man zusätzlich noch einen Blick in den Artikel „Glaubensregel“ von Theodor Zahn (RE3 6 [Leipzig, 1899]: 682-688), so bekommt man einen direkten Einblick in die damalige Kontroverse. Detailliert werden von Harnack die zentralen Argumente für die Grund-hypothese jener Zeit, das Apostolische Glaubensbekenntnis gehe auf ein frühes, spätestens in der Mitte des 2. Jahrhunderts vorliegendes römisches Taufsymbol (das Romanum) zurück, dargelegt:

Es ist seit Ushers Untersuchungen (De Romanae eccl. symbolo apostl. vet. etc. 1660) bekannt, nun aber namentlich durch Casparis Forschungen völlig deutlich geworden, daß die römische Kirche in den Jahren 250-260 (und z.T. noch darüber hinaus, s. Gregor d.Gr.) im gottesdienstlichen Gebrauch ein Symbol benutzte, welches sie in höchsten Ehren hielt, zu dem sie keine Zusätze duldete, welches sie – spätestens im 4. Jahrh. – direkt von den zwölf Aposteln in der Fassung, in welcher sie es besaß, ableitete, von dem sie annahmen, Petrus habe es nach Rom gebracht. (743)

Kronzeuge ist der Brief des Markell von Ancyra an Julius von Rom aus dem Jahr 340 n.Chr.: „Der Brief des Marcellus an Julius zeigt uns, daß zwischen 330 und 340 das Symbol in Rom das offi zielle gewesen ist.“ (745) Unter Hinweis auf Novatian und Dionys von Rom käme man aber „mit hinreichender Sicherheit bis in die Mitte des 3. Jahrh.“ Aber da die

66 Vgl. dazu die ausführliche Forschungsgeschichte von Markus Vinzent, Der Ursprung des Apostolikums im Urteil der kritischen Forschung (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 89; Göttingen, 2006).

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großen Provinzialkirchen des Abendlandes unterschiedliche Typen des Ro-manums ausgeprägt haben, müsse man mindestens bis zur Zeit um 200 zurückgehen (746-747). Eigentlich sei das Romanum sogar noch früher anzusetzen, und zwar in die Mitte des zweiten Jahrhunderts, da es von der Diskussion um die Gnosis und Markion noch unberührt sei (752). Noch weiter zurückzugehen sei aber nicht ratsam, so Harnack, da es z.B. bei Justin noch nicht erkennbar sei. Hierin liegt ein Unterschied zwischen Adolf von Harnack und Theodor Zahn, der im Prinzip die Entstehung des Apostolikums als Romanum ganz früh in der apostolischen Zeit selbst ansetzen will.67 Harnack jedoch bleibt dabei, dass das Romanum oder altrömische Glaubensbekenntnis deutlich in die nachneutestamentliche Zeit gehört und dementsprechend auch „aus der Theologie des späteren apostolischen und des nachapostolischen Zeitalters zu erklären“ sei und „nicht einfach ‚nach dem Neuen Testament‘, wie viele wollen.“ (754) Diese Betonung ist insofern von Bedeutung, als der Apostolikumsstreit unmittel-bar der Abfassung des Artikels vorausging. Harnack geht in seinem Beitrag nicht direkt auf diese Auseinandersetzung ein; lediglich in den einleitenden Literaturangaben bemerkt er: „In den periodisch auftauchenden Streitig-keiten über das apostolische Symbolum erscheinen regelmäßig eine große Anzahl von Broschüren, die hier nicht zu verzeichnen sind.“ (741) In sei-nem Schlussabschnitt plädiert Harnack jedoch eindeutig für eine historisch ausgerichtete Auslegung des Apostolikums: „Die theologische Explizierung des Symbols im Lauf der Geschichte hält selbstverständlich im ganzen und großen Schritt mit der Entwicklung der Dogmatik und Theologie überhaupt.“ Er verweist darauf, dass dies im Abendland eigentlich immer präsent gewesen ist: „Aber der Unterschied zwischen theologischer Glau-bensregel und einem der christlichen Unterweisung dienenden Bekenntnis bleibt für das Bewußtsein des Abendlandes bestehen, und spiegelt sich in den Explanationes symboli charakteristisch ab.“ (755) Entsprechend sei auch bei den Aussagen des Apostolikums, welche zum altrömischen Be-kenntnis hinzukamen, zu berücksichtigen, „wann, wo und unter welchen Verhältnissen dieselben zuerst auftauchen.“ (755)

Ein weiterer Unterschied zu Zahn und auch zu Caspari liegt in der Einschätzung der Symbolbildung des Ostens, da sich Harnack in dieser Frage Kattenbusch angeschlossen und hier seine Meinung – auch gegenüber seinem entsprechenden Artikel in der zweiten Aufl age der RE – geändert hatte: Einen „allgemeinen selbständigen orientalischen Typus des Tauf-symbols giebt es nicht, wie Kattenbusch nachgewiesen hat, und wie ich bereits vor ihm in meiner ‚Antwort‘ auf Cremers Streitschrift, Leipzig 1892,

67 Vgl. auch den Artikel von T. Zahn, „Glaubensregel“ (RE3 6 [Leipzig, 1899]: 682-688); Zahn setzt die Identifi zierung zwischen Glaubensregel und Taufbekenntnis voraus, so dass die Glaubensregel wie die Taufe sehr früh zu datieren sei.

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S. 9ff. behauptet habe“ (747).68 „Das ist die Meinung Casparis, Zahns, Loofs und vieler anderer, und das war auch früher meine Meinung. Man glaubt, ein orientalisches resp. genauer kleinasiatisches Symbol annehmen zu müssen, zu dem sich das alte römische als Tochter oder als Schwester verhält.“ (749) Die Begründung für seine Meinungsänderung fällt ent-sprechend ausführlich aus, und er setzt sich ausdrücklich mit der „Argu-mentation der Gegner“ (749) auseinander, die vornehmlich auf der Basis von Justin, Irenäus, Clemens von Alexandrien und den Ignatianen einen feststehenden eigenständigen Symboltypus spätestens im zweiten Jahrhun-dert konstruieren.

Interessant sind seine kritischen Überlegungen und Beobachtungen:

Einzelne, an das Symbol anklingende oder mit ihm zusammenhängende Sätze bieten keine Gewähr, daß sie selbst aus einem Symbol stammen – bevor es ein Symbol gab, ist Gott pantwkr£twr, Jesus Christus der eingeborene Sohn, unser Herr genannt worden, verkündete man, daß er aus (h. Geist und) Maria der Jungfrau geboren, unter Pontius Pilatus gekreuzigt sei, und daß er die Lebendigen und die Toten richten werde. (750)

. . . so wird man bei Schlußfolgerungen von formelhaften Glaubenssätzen auf ein formuliertes dreigliedriges Taufbekenntnis sehr behutsam verfahren müs-sen – diese Behutsamkeit wird freilich überall zur Zeit vermißt, wie z.B. die Abhandlung Zahns über das apostolische Symbol (1893) und ihre Aufnahme bei den angesehensten Fachgenossen beweist. (751)

Vergleicht man diese vorsichtige Vorgehensweise, die Harnack hier ein-fordert, mit den doch kühnen Hypothesen, auf welche die Annahme der Existenz eines Romanums im zweiten Jahrhundert baut, fragt man sich natürlich unweigerlich, warum mit so ungleichen Maßstäben geurteilt wird. Hier setzt entsprechend auch die Kritik ein, um die Existenz eines frühen Romanums weit vor dem vierten Jahrhundert radikal infrage zu stellen69; aber es hat doch einige Jahrzehnte gedauert, die Anfragen Harnacks an ein frühes östliches Bekenntnis auch auf das Romanum zu übertragen. Erst in jüngerer Zeit wird eigentlich die damals intensive Diskussion um das Romanum und Apostolikum wieder fortgeführt.

68 Vgl. zu diesem „Wettstreit“ Vinzent, Ursprung des Apostolikums (wie Anm. 66), 155-156.

69 Beispielsweise Hans Freiherr von Campenhausen, „Das Bekenntnis im Urchristentum,“ ZNW 63 (1972): 210-253; ders., „Das Bekenntnis Eusebs von Cäsarea (Nicaea 325),“ ZNW 67 (1976): 123-130 (Wiederabdruck der beiden Aufsätze in: ders., Urchristliches und Altkirchliches. Vorträge und Aufsätze [Tübingen, 1979], 217-272; 278-299); dann vor allem Markus Vinzent, „Die Entstehung des ‚Römischen Glaubensbekenntnisses,‘“ in Tauffragen und Bekenntnis. Studien zur sogenannten „Traditio Apostolica,“ zu den „Interrogationes de fi de“ und zum „Römischen Glaubensbekenntnis“ (hg. von W. Kinzig et al.; AKG 74; Berlin, 1999), 185-409; vgl. zu der Kontroverse auch Uta Heil, „Markell von Ancyra und das Romanum,“ in Von Arius zum Athanasianum. Studien zur Edition der „Athanasius Werke“ (hg. von A. von Stockhausen und H. C. Brennecke; TU 164; Berlin, 2010), 85-103.

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7. Origenes

Es wurde mehrfach deutlich, dass viele Artikel weitaus ungeschminkter ausfallen, als es heutzutage üblich ist, was oft zum Lesevergnügen beiträgt. Erwin Preuschen listet beispielsweise in seinem Artikel „Origenes“ (RE3 14 [1904]: 467-488) nicht nur Literatur auf, sondern kommentiert diese auch (469: „brauchbar,“ „gewissenhaft und langweilig,“ „gehört zu dem Besten, was wir über Origenes wissen“). Aber auch die Quellen werden beurteilt: „Von Euseb abhängig und oberfl ächlich, wie immer, Hieronymus de vir.inl. 54. Voll fanatischen Hasses und kleinlicher Borniertheit Epiphanius haer. 64“ (469). Lobenswerterweise macht er, der selbst den Johanneskom-mentar herausgegeben hat (Der Johanneskommentar [Bd. 4 von Origenes Werke; GCS; Leipzig, 1903]), zu Beginn auch einige Bemerkungen zu der handschriftlichen Überlieferung. Eine gewisse Verehrung des Origenes wird bei Preuschen besonders deutlich in seiner drastischen Schlussbemerkung zur Verurteilung des Origenes:

Noch war Origenes nicht tot, da fi ngen schon die kleinen Geister an, den Bau, den er gebaut hatte, mit den schwachen Pfeilen ihrer kurzsichtigen Vernunft zu beschießen. . . . Dreihundert Jahre später hat es pfäffi sche Dummheit fertig gebracht, den größten Sohn der Kirche noch nachträglich aus ihren Büchern zu streichen. Zur Strafe hat die griechische Theologie Mücken seigen und Kamele verschlucken müssen. Was noch lebendig blieb von ihrer Arbeit, das kam aus den Klöstern, und der geistige Vater dieses Mönchtums war Origenes, der Origenes, bei dessen Namen die Mönche schauderten. (488)

Derartige Bemerkungen wären heute nicht mehr möglich, einerseits auf-grund größerer Sensibilität in ökumenischen Fragen und andererseits wegen einer gewachsenen Vorsicht gegenüber anachronistischen Urteilen über eine ferne Zeit.

8. Schluss

Die patristischen Artikel aus der RE3 sind in der Regel noch heute lesens-wert. Vielfach werden Personen weitaus ausführlicher dargestellt als in späteren Lexika. Besonders bei Personen, die nicht im Zentrum des Inte-resses der Forschung stehen, lohnt ein Blick in die RE3 wie zum Beispiel im Fall von Vigilius von Thapsus (RE3 20 [Leipzig, 1908]: 640-644 von G. Ficker). Die Begeisterung über das Studium der Quellen prägt auch den Stil der Präsentation: Im Unterschied zur zweiten Aufl age der RE werden gleich zu Beginn die relevanten Quellen genannt, und der Text ist gespickt mit Quellenbelegen, die in Klammern eingefügt werden, wie es gegenwärtig im Reallexikon für Antike und Christentum (RAC) üblich ist. In kontroversen Fragen wird durchaus pointiert Stellung bezogen. So ist die RE3 eine interessante Fundgrube, und die Beiträge sind gewiss noch immer ein lohnender Ausgangspunkt für gegenwärtige Forschungen.

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Die Patristik in der RE3. Eine Blütenlese 123

ABSTRACT

This article offers a fl orilegium of patristic items presented in the third edition of the Realencyklopädie für protestantische Theologie und Kirche. Prominent Protestant theo-logians and patristic scholars like Adolf von Harnack, Friedrich Loofs, Erwin Preuschen, Gustav Krüger and Theodor von Zahn published many articles in this encyclopedia, and the variety of themes and the predominant role of patristics during those times can be detected here. The author deals with the self-defi nition of patristics as history of Christian literature by Gustav Krüger and with the scope of Dogmengeschichte in the article by Friedrich Loofs. Several other items are picked up like Gnosis, the Apostles’ Creed, Monarchianism and Origen. The RE3 is evaluated as still worth reading espe-cially because of the detailed presentation of the relevant primary sources and the often unadorned presentation of the authors’ own (Protestant) position.

Brought to you by | University of Missouri-ColumbiaAuthenticated | 128.206.9.138

Download Date | 5/8/13 3:20 PM