1
367 © Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Stahlbau 83 (2014), Heft 6 Editorial DOI: 10.1002/stab.201410157 „Kein Haus für Diktatoren! Architektur im Spannungs- feld von Moral und Ökonomie“, so lautet die Überschrift einer Hörfunkdiskussion, die im April diesen Jahres im SWR ausgestrahlt wurde. Im Eingangsstatement wurden die planungsbeteiligten Architekten und Ingenieure kriti- siert, weil auf den Baustellen in Katar, dem Austragungs- ort der Fußballweltmeisterschaft 2022, unmenschliche Arbeitsbedingungen herrschen. Hinzu kommen kritische Stimmen, die sich mit den politischen Protesten in Brasi- lien, der Frage der Nachnutzung von WM-Stadien, dem Energieverbrauch für die Klimatisierung in heißen Län- dern und dem Geschäftsgebaren von FIFA und IOC aus- einandersetzen. Und wir Ingenieure stehen mittendrin. Wir können uns diesen Fragestellungen nicht entzie- hen und uns auf die rein technische Planung berufen. Für all diese Themen müssen wir Antworten finden, die nicht im stillen und meist nutzlosen Protest oder Boykott enden. Nun muss man kein Befürworter der FIFA zu sein, um zu erkennen, dass die kommende Fußballweltmeister- schaft in Brasilien Impulse auslösen wird und auch schon Die Planer von Großsportstätten im Fokus der öffentlichen Meinung ausgelöst hat. Die weltweite Öffentlichkeit wird den An- liegen der friedlichen, jungen Menschen, die das Land ver- ändern wollen, eine Plattform bieten, die der Anfang eines wachsenden politischen Bewusstseins der Gesellschaft sein kann. Hier liegt die große Chance für die Arbeiter auf den Baustellen in Katar. Hat sich in den letzten 10 Jahren niemand ernsthaft für die Arbeitsbedingungen auf den Baustellen in Dubai, Abu Dhabi oder Doha gekümmert, so wirft nun die weltweit hergestellte Öffentlichkeit ein wichtiges Schlaglicht darauf. Aus eigener Erfahrung kann ich bestätigen, wie stark diese Stimmen überall wirken, z. B. bei den Verantwortlichen in Katar, die in ganz beson- derem Maße an einem positiven Medienecho ihrer Akti- vitäten interessiert sind. An dieser Stelle können die Inge- nieure direkt mitwirken, indem sie als Bauleiter dafür sorgen, dass Standards und Menschenrechte auf den Bau- stellen eingehalten werden, dass durch intelligente Klima- und Verkehrskonzepte der Energieverbrauch sinkt, dass durch die Anwendung konstruktiver Logik der Aufwand an Material und Energie minimiert wird, dass funktional durchdachte und nachhaltige Architektur abseits des lee- ren Formalismus entsteht. Die Projekte, die in diesem Heft beschrieben sind, müssen sich an diesen Überlegun- gen messen lassen. Beispielhaft hierfür stehen das Stadion in Al Ain für einen vorbildlichen Umgang mit den Arbeits- kräften auf der Baustelle durch die Verantwortung, die der Generalunternehmer übernommen hat, und die neue Überdachung des berühmten Maracanã-Stadions in Rio de Janeiro für einen sorgsamen Umgang mit der historischen Bausubstanz und dem Einsatz moderner Technologie zum Wohle der Stadt und ihrer Bewohner. Wir alle sollten unsere Verantwortung nicht gering schätzen und uns weiter für vielfältige Verbesserungen im gesamten Spektrum unserer Tätigkeiten und unseres Ein- flusses einsetzen. Stuttgart im Mai 2014 Dipl.-Ing. Knut Göppert schlaich bergermann und partner Dipl.-Ing. Knut Göppert (Foto: Zooey Braun)

Die Planer von Großsportstätten im Fokus der öffentlichen Meinung

  • Upload
    knut

  • View
    215

  • Download
    2

Embed Size (px)

Citation preview

Page 1: Die Planer von Großsportstätten im Fokus der öffentlichen Meinung

367© Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Stahlbau 83 (2014), Heft 6

Editorial

DOI: 10.1002/stab.201410157

„Kein Haus für Diktatoren! Architektur im Spannungs-feld von Moral und Ökonomie“, so lautet die Überschrift einer Hörfunkdiskussion, die im April diesen Jahres im SWR ausgestrahlt wurde. Im Eingangsstatement wurden die planungsbeteiligten Architekten und Ingenieure kriti-siert, weil auf den Baustellen in Katar, dem Austragungs-ort der Fußballweltmeisterschaft 2022, unmenschliche Arbeitsbedingungen herrschen. Hinzu kommen kritische Stimmen, die sich mit den politischen Protesten in Brasi-lien, der Frage der Nachnutzung von WM-Stadien, dem Energieverbrauch für die Klimatisierung in heißen Län-dern und dem Geschäftsgebaren von FIFA und IOC aus-einandersetzen. Und wir Ingenieure stehen mittendrin.

Wir können uns diesen Fragestellungen nicht entzie-hen und uns auf die rein technische Planung berufen. Für all diese Themen müssen wir Antworten finden, die nicht im stillen und meist nutzlosen Protest oder Boykott enden.

Nun muss man kein Befürworter der FIFA zu sein, um zu erkennen, dass die kommende Fußballweltmeister-schaft in Brasilien Impulse auslösen wird und auch schon

Die Planer von Großsportstätten im Fokus der öffentlichen Meinung

ausgelöst hat. Die weltweite Öffentlichkeit wird den An-liegen der friedlichen, jungen Menschen, die das Land ver-ändern wollen, eine Plattform bieten, die der Anfang eines wachsenden politischen Bewusstseins der Gesellschaft sein kann. Hier liegt die große Chance für die Arbeiter auf den Baustellen in Katar. Hat sich in den letzten 10 Jahren niemand ernsthaft für die Arbeitsbedingungen auf den Baustellen in Dubai, Abu Dhabi oder Doha gekümmert, so wirft nun die weltweit hergestellte Öffentlichkeit ein wichtiges Schlaglicht darauf. Aus eigener Erfahrung kann ich bestätigen, wie stark diese Stimmen überall wirken, z. B. bei den Verantwortlichen in Katar, die in ganz beson-derem Maße an einem positiven Medienecho ihrer Akti-vitäten interessiert sind. An dieser Stelle können die Inge-nieure direkt mitwirken, indem sie als Bauleiter dafür sorgen, dass Standards und Menschenrechte auf den Bau-stellen eingehalten werden, dass durch intelligente Klima- und Verkehrskonzepte der Energieverbrauch sinkt, dass durch die Anwendung konstruktiver Logik der Aufwand an Material und Energie minimiert wird, dass funktional durchdachte und nachhaltige Architektur abseits des lee-ren Formalismus entsteht. Die Projekte, die in diesem Heft beschrieben sind, müssen sich an diesen Überlegun-gen messen lassen. Beispielhaft hierfür stehen das Stadion in Al Ain für einen vorbildlichen Umgang mit den Arbeits-kräften auf der Baustelle durch die Verantwortung, die der Generalunternehmer übernommen hat, und die neue Überdachung des berühmten Maracanã-Stadions in Rio de Janeiro für einen sorgsamen Umgang mit der historischen Bausubstanz und dem Einsatz moderner Technologie zum Wohle der Stadt und ihrer Bewohner.

Wir alle sollten unsere Verantwortung nicht gering schätzen und uns weiter für vielfältige Verbesserungen im gesamten Spektrum unserer Tätigkeiten und unseres Ein-flusses einsetzen.

Stuttgart im Mai 2014

Dipl.-Ing. Knut Göppertschlaich bergermann und partner

Dipl.-Ing. Knut Göppert (Foto: Zooey Braun)