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98 M. Kaiser, Diese wohl etwas unsichere Vorbehandlung diskreditierte das Verfahren leider in der Fachwelt; es darf daher wohl nicht Wunder nehmen, dab es abgelehnt wurde, weil Niemand das Risiko einer allf~illigen Infektion mit irgend welchen pathogenen Keimen iiber- nehmen wollte. So geriet das Verfahren in Vergessenheit, und selbst in einem so ausgezeichneten Buche wie es das Handbuch yon VAN ROOYEN und RHODES (l) ist, vermisst man auf S. 296 die Allergie- probe, und wird in kritischen F~illen auf die Flockungs- und Kom- plementbindungsreaktion vera~desen. Beide beanspruchen aber 12--24 Stunden, der Paulsche Test 48--72 Stunden, die Eikultur d 10 Tage. Der Befund yon Paschenk6rperchen kann zwar in 1/2 Stunde erhoben werden, aber es ist das ein mikroskopischer, der nicht in allen F~illen gentigend sicher und eindeutig ist. Einige F~ille, unter denen sich auch ein sanit~itspolizeilich wich- tiger befand, gaben Veranlassung die Probe neuerlich auf ihre Brauchbarkeit zu priifen. Vorerst war es absolut notwendig, die Verimpfung gefahrlos zu gestalten, nachdem einmal eine hochaller- gische Person ausfindig gemacht worden war, die sich fiir derartige Proben zur Verfiigung stellte. Der heute geiibte Vorgang ist folgender: Das mit einem scharfen L6ffel an einer weniger empfindlichen Stelle entnommene Material des verd~ichtigen Falles wird in einem sterilen kleinen Glasm6rser gewogen, feinst verrieben und d a n n mit der etwa 5--10 fachen Menge yon 70 % Glycerin w e i t e r v e r r i e b e n, his eine m6g- lichst gleichm~issige Aufschwemmung erzielt ist 1). Dann wird eine etwa 2 mm starke Kapillare (bei uns sind es Lymphekapillaren) in einen Gummischlauch gesteckt und die Aufschwemmung in diese Kapillare aufgesaugt, so dab sie in ihrer Mitte eine 1--2 cm lange S~iule der Aufschwemmung enth~ilt. Dann wird die Kapillare an beiden Enden abgeschmolzenund auf 5 Minuten in sie- dendes Wasser eingelegt. Zur I4ontrolle wird auch eine Probe mit normaler Handelsschutzpockenlymphe und eine solche von 70 % Glycerin in gleicher Weise behandelt. Nun erfolgt die Impfung auf der mit Ather oder Alkohol gerei- nigten Beugeseite des Unterarmes und zwar so, dab tnt~glichst gleichm~issig 2--3 Striche yon 5 mm L~inge in einer Entfernung von 1 cm yon einander durch einen Tropfen des zu prtifenden Materials mit einer normalen Impflanzette angelegt ~) Aus Sicherheitsgrunden kann man der Aufschwemmung noch einen Tropfen 2°~g Carbol zusetzen ohne dass die Reaktion leidet.

Die Pockenschnelldiagnose nach Tièche

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Page 1: Die Pockenschnelldiagnose nach Tièche

98 M. Kaiser ,

Diese wohl etwas unsichere Vorbehandlung diskreditierte das Verfahren leider in der Fachwelt; es darf daher wohl nicht Wunder nehmen, dab es abgelehnt wurde, weil Niemand das Risiko einer allf~illigen Infektion mit irgend welchen pathogenen Keimen iiber- nehmen wollte. So geriet das Verfahren in Vergessenheit, und selbst in einem so ausgezeichneten Buche wie es das Handbuch yon VAN ROOYEN und RHODES (l) ist, vermisst man auf S. 296 die Allergie- probe, und wird in kritischen F~illen auf die Flockungs- und Kom- plementbindungsreaktion vera~desen. Beide beanspruchen aber 12--24 Stunden, der Paulsche Test 48--72 Stunden, die Eikul tur d 10 Tage. Der Befund yon Paschenk6rperchen kann zwar in 1/2 Stunde erhoben werden, aber es ist das ein mikroskopischer, der nicht in allen F~illen gentigend sicher und eindeutig ist.

Einige F~ille, unter denen sich auch ein sanit~itspolizeilich wich- tiger befand, gaben Veranlassung die Probe neuerlich auf ihre Brauchbarkeit zu priifen. Vorerst war es absolut notwendig, die Verimpfung gefahrlos zu gestalten, nachdem einmal eine hochaller- gische Person ausfindig gemacht worden war, die sich fiir derartige Proben zur Verfiigung stellte.

Der heute geiibte Vorgang ist folgender: Das mit einem scharfen L6ffel an einer weniger empfindlichen Stelle entnommene Material des verd~ichtigen Falles wird in einem sterilen kleinen Glasm6rser gewogen, feinst verrieben und d a n n mit der etwa 5--10 fachen Menge yon 70 % Glycerin w e i t e r v e r r i e b e n, his eine m6g- lichst gleichm~issige Aufschwemmung erzielt ist 1). Dann wird eine etwa 2 mm starke Kapillare (bei uns sind es Lymphekapillaren) in einen Gummischlauch gesteckt und die Aufschwemmung in diese Kapillare aufgesaugt, so dab sie in ihrer Mitte eine 1--2 cm lange S~iule der Aufschwemmung enth~ilt. Dann wird die Kapillare an beiden Enden abgeschmolzenund a u f 5 M i n u t e n i n s i e - d e n d e s W a s s e r eingelegt. Zur I4ontrolle wird auch eine Probe mit normaler Handelsschutzpockenlymphe und eine solche von 70 % Glycerin in gleicher Weise behandelt.

Nun erfolgt die Impfung auf der mit Ather oder Alkohol gerei- nigten Beugeseite des Unterarmes und zwar so, dab tnt~glichst gleichm~issig 2--3 Striche yon 5 mm L~inge in einer Entfernung von 1 cm yon einander d u r c h e i n e n T r o p f e n des zu prtifenden Materials mit einer normalen Impflanzette angelegt

~) Aus Sicherhei tsgrunden kann m a n der Aufschwemmung noch e inen Tropfen 2°~g Carbol zusetzen ohne dass die Reakt ion leidet.

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werden. Proximal erfolgt die Impfung mit der Handelslymphe, 2 cm tiefer (distal) mit Glycerin und am distalsten mit dem sus- pekten Material. Die Impfung hat so zu erfolgen, dab die Epidermis bis zum Stratum reticulare durchtrennt wird, was an dem Auf- scheinen w i n z i g e r Blutpunkte zu erkennen ist. Man l~isst den aufgetragenen Tropfen etwa ftinf Minuten auf die Impfstelle ein- wirken und trocknet ihn dann mit einer Gaze oder mit Filterpa- pier ab.

Nun werden die Impfstellen Stunde fiir Stunde beobachtet. Kennt man seine eigene Allergie gegen Vaccine, so weir3 man es genau, wann die erste R6tung in Form einer Macula yon etwa 4--6 mm aufzutreten beginnt. Etwas sp~iter konfluieren die zwei oder drei Maculae u ~ den Pockenlympheimpfstrich, die Glycerin- kontrolle bleibt nach Abklingen der traumatischen Reaktion un- ver~indert, das zu prtifende Material bleibt entweder negativ oder wird positiv, wenn es yon einer Vaccina, Alastrim oder Variola stammt. In diesem Falle hat man einen Vergleich mit der Impf- stelle, in die man die Schutzpockenlymphe eingeimpft hat, was je nach dem allergischen Zustand der Testperson frfiher oder spiiter m6glich ist.

Ich will hier nur zwei F~ille anftihren, von denen der eine holl~in- discher Herkunft ist. Herrn Direktor Dr J. HEKMAN des Gemeente Ziekenhuis in Rot terdam verdanke ich aus dem Jahre 1929(!) einige Borken eines Pockenfalles. Sie lagen seither im Tiefkiihl- schrank bei - -15 ° C. und wurden wie oben beschrieben behandelt.

Die Verimpfung dieses vorbehandelten Borken mit 3 Strichen auf den Unterarm meines Assistenten Dr M., zeigte den auf der folgenden Uebersicht vermerkten Befund. Von links nach rechts: Tag der Impfung, Stunde (in Klammer Stunde p. vacc.), Impf- material und Impfstriche, in mm gemessen, Glycerin Kontrolle, suspektes Material (Tabelle I).

Darnach ergab sich, dab bereits nach 5 Stunden die Reaktionen, die mit dem suspekten Material erzeugt wurden, st~trkere waren als die mit der normalen Dermolymphe erzielten. Nach dem Aussehen der Reaktion konnte man bei einiger Kenntnis des Ablaufes der- artiger Reaktionen schon in den ersten Stunden sehen, dab sich diese Reaktion weiter entwicketn werde, was auch der Fall war, denn 28 Stunde p. vacc. war der Unterschied bereits ein sehr deut- licher, die zwei Reaktionen confluierten. Ein nicht gerade sehr gutes Bild (Fig. 1) zeigt diese Verh~ittnisse.

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100 M. Kaiser,

T A B E L L E I.

Allergiereaktion. Name: Dr M., Alter 38 J., geimpft am 5.I. 50 um 9 h, rechter Unterarm,

Alastrim.

ReaktionshSfe in mm

Lymphe Glycerin Material Anm: (oben) (mitre) (unten

5.I. I 14 h (5) 3

1 21h (12) 4.5

6.I. 9 h (24) 4.5 ~3h (28) 5 18 h (33) 4.5 21h (36) 4

7.I. 9h (48) 3 21h (60) 2.5

3.5t21-i2 t2 2 4 t5 4.5 1 1 5.5 4.5 l 1 7 4.5 0 0 8.5

4 0 0 8 2.5 0 0 5

2 0 0 3

3'5 t4865389

stark juckend confluierend

juckend

Ein zweiter Fall s tammt aus Indien, den ich auch mit einem Bild belegen kann. Einige Borken dieses Falles (Munuswamy) s tammten vom 31. Mai 1948 aus dem B. Ward Infectious Disease Hospital Tondrapet in Madras. Sie wurden mir durch den Direktor des King Insti tutes in Saidapat Madras 15 tibermittelt, wie oben beschrieben behandelt, und auf meinen Unterarm verimpft. Nach- dem die Reaktion bereits nach 8 Stunden als positiv erkannt werden konnte, ~a~rde sie 20 Stunden sp~iter als sie besonders sch6n in Erscheinung trat, fotografiert: proximal die Reaktion auf Einimpfung der Vaccine, Mitte die Glycerinkontrolle, unten das Variolaverd~chtige Material (Fig. 2).

Andere iihnliche Reaktionen, die im Mitte! bei meinem d e r- z e i t i g e n allergischen Verhalten (Ende M~irz 1950) l~ingstens in 4 Stunden auftreten, haben wir in der letzten Zeit wiederholt ge- sehen, es waren aber Reaktionen a u f v a c c i n a v e r d ~i c h t i- g e s M a t e r i a l , d a s u n s v o n u n s e r e r H a u t k l i n i k P r o f . A R Z T z u g e w i e s e n w u r d e .

Es fr~igt sich nun welche Fehldiagnosengibt es? TII~CHE hat sich natiirlich auch mit dieser Frage besch~ftigen miissen und hat fest- gestellt, dab mit Varizellenmaterial eine Allergieprobe nicht zu er- zielen ist (Fig. 3).

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Die Pockenschnelldiagnose nach Ti~che. 101

Fig. 1. Oben normale Dermovaccine, ~Iitte Glycerin- kontrolle, Unten Alastrimborken Rotterdam. Die drei Reaktionen rechts stammen yon einer friiheren Prii-

fung eines anderen Material.

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Einen derartigen Fall, von dem Pusteldecken entnommen wur- den, bride ich im Folgenden ab. Er betrifft einen aus Belgien zuge- reisten Schauspieler, der auf der Klinik Prof. ARZT nicht ganz sicher diagnostiziert werden konnte. Die Diagnose schwankte zwischen Variola und Varizellen. Die Verimpfung der vorbehandelten Pustel- decken auf meinem Unterarm ergab (dritte Reihe distal) eine ein- deutig negative Reaktion (Oben Vaccine, Mitte Glycerin). Der Fall erwies sich dann als Varizellen.

Auch pyogenes Material gibt andere und s p ~ t e r auftretende papulSse Reaktionen, und auch die normale menschliche Haut ver- mag derartige Reaktionen nicht hervorzurufen. Es kommt somit nut die Differentialdiagnose zwischen Vaccina und Variola in Be~ tracht, die beide positiv ausfallen mfissen. Bei Vaccina wfirde es einer der seltenen F~lle von Vaccina generalisata sein, der klinisch Schwierigkeiten machen kSnnte, aber es wird wohl meist gelingen mit Hilfe klinischer und anamnestischer Hilfsmittel weitere An- haltspunkte zu gewinnen, um die zwei Krankheitsbilder ausein- ander halten zu kSnnen.

Gewisse Schwierigkeiten bereitet die Beschaffung von hochaller- gischen Personen. Nicht Jeder ist dazu geeignet. Manche Personen erwerben eine ftir die erw~hnten praktischen Zwecke, ausreichende Allergie schon nach relativ wenigen Impfungen, andere erst nach vielen. Es darf das bei einer biologischen Reaktion nicht Wunder nehmen. Sie ist ebenso eine F~higkeit, eine kSrperliche Eignung, wie etwa die Tauglichkeit zum Athleten, zum L~ufer, Schwimrfier u. dgl. mehr. Als ich meine eigene Allergie zu p~fen begann, war ich mit mindestens 200 Impfstrichen geimpft. Ich reagierte nach etwa 6 Stunden. Das war ffir praktische Zwecke zu sp~it. Ich impfte mich daher im Laufe yon 11~--2 Monaten mit noch weiteren 100 Impfstrichen mit einer durchschnitthchen Lymphe vom Titer 10--20.000. Daraufhin reagierte ich bereits nach 4 Stunden. Diese Reaktionsf~higkeit h~lt sich seither (seit September 1949) auf dieser H6he, doch babe ich den Eindruck, dab sie noch besser wird.

Es gibt Individuen, die ,,Pseudoreaktionen" liefern, papul6se Efflorescenzen, die ich bereits erw~hnt babe und zweifellos auch Indi- viduen, die in gewissen Verh~ltnissen anergisch sind. So konnte ich das bei meinem eigenen Sohn (22 Jahre) beobachten, der mit Tuberkulin getestet wurde, positiv war und 2 mal hinter einander in Interval- len von 8 Tagen gegen die bei mehreren Personen vorgenommene positive Vaccine-Allergieprfifung vollkommen refractor blieb.

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104 M. Kaiser .

Fiir praktische Zwecke mSchte ich eine Empfehlung, die bereits yon TI~CHE ausgegangen ist, weitergeben.

In Infektionsspit~ilern, in Gesundheits~imtern, sollte immer eine entsprechend allergische Person vorr~itig sein, die im Falle ver- d:ichtiger Erkrankungen durch Kutan~mpfung zu Rate gezogen werden kann. Ich m6chte noch empfehlen, auch Schiffs~irzte, die in die Tropen fahren, zu allergisieren, sie k6nnten gelegentlich sani- t~tspolizeilich wertvolle Dienste leisten.

Zusammenfassend darf ich sagen: l) Die Allergieprobe nach TI]kCHE ist ein wertvolles Mittel ffir eine

rasche Diagnosestellung in Variolaverd:ichtigen F:illen. 2) Die empfohlene Technik macht sie vollkommen gefahrlos. 3) Ftir diese Zwecke geeignete Personen mtissen durch entspre-

chende Priifungen ausfindig gemacht werden. 4) Es empfiehlt sich, derartige hoch reaktive Personen tiberall dort

vorr~itig zu halten, wo man an einer raschen Variola-Diagnose interessiert ist.

L i t e r a t u r .

1. C. E. VAN ROO:'EN a n d A. J. RHODES, Virus Diseases of Man. T h o m a s Ne l son a n d Sons, New Y o r k 1948. - 2. A. TIIkCHE, Corresp. B l a t t f. Schweizer A r z t e 1918 u. folg.