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1 Die Reaktionen von sechs ausgewählten Ländern auf die Finanzund Wirtschaftskrise Automatismen oder der Einfluss von innerstaatlichen Akteuren? Referent: Daniel Wolfgang Karl Schamburek Hauptseminar: Theorie und Anwendungsfälle der Internationalen Politischen Ökonomie Lehrstuhl für Internationale Politik Leitung: Dr. Sebastian Krapohl An der Universität Bamberg Bamberg, den 28. September 2010

Die Reaktionen von sechs ausgewählten Ländern auf die ... › 2011 › 01 › ... · auf die Finanz‐ und Wirtschaftskrise Automatismen oder der Einfluss von innerstaatlichen Akteuren?

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Die Reaktionen von sechs ausgewählten Ländern  auf die Finanz‐ und Wirtschaftskrise 

Automatismen oder der Einfluss von innerstaatlichen Akteuren?    

Referent: Daniel Wolfgang Karl Schamburek      

Hauptseminar: Theorie und Anwendungsfälle der Internationalen Politischen Ökonomie Lehrstuhl für Internationale Politik Leitung: Dr. Sebastian Krapohl An der Universität Bamberg 

            

Bamberg, den 28. September 2010         

  

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Die Reaktionen von sechs ausgewählten Ländern  auf die Finanz‐ und Wirtschaftskrise 

Automatismen oder der Einfluss von innerstaatlichen Akteuren?  

 

 

A Einführung 

 

B Theoretischer Ansatz 

B.1 These und Modell 

B.2 Gegenthese 

B.3 Probleme des Designs 

 

C Vorgehensweise 

C.1 Fallauswahl 

C.2 Literatur 

 

D Anwendung 

D.1 Deutschland 

D.2 China 

D.3 Brasilien 

D.4 Indien 

D.5 Großbritannien 

D.6 USA 

 

E Schlussfolgerungen und Probleme der Untersuchung 

 

Literaturverzeichnis 

 

 

 

 

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A Einführung 

 

Man  streitet  sich  nach  wie  vor,  wo  die  Ursprünge  der  derzeitigen  Wirtschafts‐  und 

Finanzkrise  liegen. Einige sehen den Subprime‐Crash als Folge einer Reihe von Fehlern, die 

bereits viel früher ihren Anfang fanden. Zumindest die dramatischen Entwicklungen können 

aber  auf  die  Jahre  2007  bis  2009  eingeschränkt  werden.  Für  die 

Volkswirtschaftswissenschaft  erscheint  es  zu  früh,  den  Verlauf  und  die  Folgen  der  Krise 

sowie die Auswirkungen der darauffolgenden Reaktionsmaßnahmen zu messen. Erst recht 

mag  dies  für  die  Forschung  im  Bereich  der  Internationalen  Politischen Ökonomie  gelten. 

Dort ist man auf Datensätze ‐ als „Rohmaterial“ zur Weiterverarbeitung – angewiesen.  

 

Trotzdem beschäftigt sich die vorliegende Arbeit mit den Reaktionen der einzelnen Staaten 

auf  die  Folgen  der  Krise.  Anhand  eines  Modells  soll  getestet  werden,  ob  die  Krise  in 

ausgewählten  Ländern  bestimmte  (fast  automatische)  Entscheidungsmechanismen 

hervorgerufen  hat,  welche  auf  die  Beschaffenheit  der  Wirtschaftsstruktur  im  Lande 

zurückzuführen  sind.  Dieser  These  wird  eine  Alternative  gegenübergestellt.  Sollten  sich 

nämlich die  Ergebnisse des Modells  als nicht  stimmig erweisen,  kann daraus  geschlossen 

werden,  dass  Entscheidungszwänge  zugunsten  von  bestimmten  Interessengruppen  und 

Einzelakteuren in den Hintergrund treten.  

 

Im Rahmen dieser Arbeit kann keine breit angelegte empirische (Voll‐)Erhebung der Daten 

aller  relevanten Volkswirtschaften  vorgenommen werden. Ausgewählte  Länder  – werden 

zum Zwecke der Einordnung in das Modell – einer wirtschaftlichen Kurzprüfung unterzogen. 

Namentlich sind dies Deutschland, China, Brasilien, Indien, Großbritannien und die USA.  

 

Die große Zahl an Fußnoten ermöglicht es einerseits, die Fülle von Zahlen und Fakten genau 

nachvollziehen  zu  können  und  andererseits  relevante  Bemerkungen  zu  platzieren.  Der 

Hinweis auf gibt dem Leser die Möglichkeit, diese Arbeit im Kontext der ‚großen Autoren‘ zu 

sehen. 

 

 

 

 

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B Theoretischer Ansatz 

 

B.1 These und Modell 

 

Öffnet man die „black‐box“ 1 der innerstaatlichen Entscheidungsfindung nicht, so kann man 

hinsichtlich  der  Reaktionen  auf  die  Krise  seitens  der  Staaten  zwei  Punkte  voraussetzen. 

Erstens ist der Stand einer Volkswirtschaft im internationalen Vergleich immer relativ. Schon 

die addierten Handelsbilanzen aller  Länder ergeben ein Nullsummenspiel. Die Reaktionen 

müssten also darauf ausgerichtet sein, Stärken der einzelnen Volkswirtschaften zu stützen 

und gegenüber anderen Akteuren  in Vorteil zu setzen. Zweitens wird davon ausgegangen, 

dass  die  Reaktionen  bei  ähnlich  aufgestellten  Ländern  ähnlich  umfassend,  ähnlich 

strukturiert  und  ähnlich  intensiv  sind.  Eine  Art  Reaktionsautomatismus würde  einsetzen. 

Entsprechendes gilt umgekehrt bei unterschiedlich strukturierten Staaten.  

 

Die wesentlichste Unterscheidung kann an der Art der Krisenbetroffenheit des Einzelstaates 

festgemacht werden. Auf der einen Seite stehen die (meist hochentwickelten) Staaten mit 

einem  breit  ausgebauten  Finanzsystem;  ihnen  gegenüber  befindet  sich  die  Gruppe  mit 

schwachem/unbedeutendem Finanzsektor. Um das Modell nicht überzustrapazieren, findet 

keine weitere Ausdifferenzierung dieser dichotomen Kategorisierung statt.  

Der  zweite  große  Indikator  ist  die  Außenhandelsbilanz2.    Staaten  werden  ähnlich  oder 

unterschiedlich  handeln,  je  nachdem  ob  die  Volkswirtschaften  einen 

Außenhandelsüberschuss  (Exportabhängigkeit)  oder  eine  ausgeglichene/negative 

Handelsbilanz  aufweisen.  Dabei  muss  vor  allem  die  wegfallende  Nachfrage  bei 

Exportabhängigkeit durch wachstumsfördernde Maßnahmen aufgefangen werden. Oft soll 

die  Binnennachfrage  als  Kompensator  dienen.  Solche  Staaten  neigen  dazu,  den 

Keynesianimus  (Steuerung  der  konjunkturellen  Nachfrage  durch  kostenintensive, 

schuldenlastige  Programme)  dem  Monetarismus  (Steuerung  über  Regulierung  und 

Geldmengenpolitik)  vorzuziehen3.    Außerdem  sehen  sich  jene  Länder  nicht  selten  dazu 

                                                            1 Angespielt ist hier auf Waltz, Kenneth: Theory of International Politics. Reading. 1979. Betont sei in diesem Zusammenhang, dass Waltzs Theorie und das hier behandelte Modell zwar Parallelen aufweisen; dies will aber in keinem Fall heißen, dass dessen Theorie hier Gegenstand einer Prüfung ist. 2 Grundlage ist hier tatsächlich die Außenhandelsbilanz und nicht die Leistungsbilanz, da der Indikator den Untersuchungsschwerpunkt auf der “Real‐“Wirtschaft haben soll. 3 Zum Reaktionsverhalten von Staaten in Hinblick auf den Finanz‐ und Wirtschaftssektor vgl. einführend u.a. Schirm, Stefan: Varieties of Strategies: Britain, Germany and the EU in the Global Economic Crisis. Bochum. 

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genötigt,  alternative  Wettbewerbsvorteile  in  Zeiten  der  knappen  Nachfrage  für  die 

heimische Wirtschaft herauszuschlagen (Protektionismus). 

 

Mit diesen Vorgaben kann nun folgende These aufgestellt werden: 

H1: Die einzelnen Staaten reagieren auf die Wirtschafts‐ und/oder Finanzkrise – (nahezu) 

frei vom Einfluss von innerstaatlichen Akteuren – ähnlich oder unterschiedlich je nach Art 

und Stärke ihrer Betroffenheit. 

 

Sollte diese These gelten, so werden sich die Staaten tendenziell wie folgt verhalten: 

A:  betroffen  von  Finanz‐  und  Wirtschaftskrise  +  Exportabhängigkeit  =  nur  zwingend notwendige  Stützung  des  Bankensektors  +  weitreichende  wachstumsfördernde Maßnahmen B: betroffen von der Finanz‐ und Wirtschaftskrise + negative/ausgeglichene Handelsbilanz = massive Stützung (und Stärkung) des Bankensektors + eingeschränkte wachstumsfördernde Maßnahmen C:  betroffen  von  der  Wirtschaftskrise  +  Exportabhängigkeit  =  weitreichende wachstumsfördernde Maßnahmen D:  betroffen  von  der Wirtschaftskrise  +  negative/ausgeg. Handelsbilanz  =  eingeschränkte wachstumsfördernde Maßnahmen  

Graphik 1: Zur Veranschaulichung des Modells zu H1 

                                                                                                                                                                                          2009. (vorerst Überblick S.2) und Krugman, Paul: Die neue Weltwirtschaftskrise. Frankfurt. 2008. (insb. Kapitel 10) 

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B.2 Gegenthese 

 

Sollte  sich  H1  nicht  bewahrheiten,  könnte  dies  verschiedene  Gründe  haben.  Nicht 

beeinflussbare  Besonderheiten,  die  etwa  der  speziellen  geographischen  Lage  geschuldet 

sind, könnten nicht einkalkuliert worden sein. Diese und ähnliche Einflussfaktoren werden 

von  einer  anderen  Größe  aber  völlig  in  den  Schatten  gestellt:  die  innerstaatliche 

Entscheidungsfindung. Wenn man die „black‐box“ öffnet und sich damit nicht nur mit der 

Staatenebene,  sondern  auch  mit  innerstaatlichen  Akteuren  und  Interessensgruppen 

beschäftigt, ist man schnell beim liberalen Ansatz von Moravcsik4 angelangt. 

 

Auf  den  Schultern  seiner  Überlegungen,  wonach  eine  Reihe  von  Einflussfaktoren  zu 

abweichenden  (oder  besser:  unterschiedlichen)  Ergebnissen  führen, wird  die Gegenthese 

getragen: 

H2:  Wenn  H1  nicht  zutrifft,  liegt  dies  an  dem  Einfluss  und  dem  Zusammenspiel 

verschiedener Kräfte innerhalb eines Staates bei der Entscheidungsfindung.   

 

Die  These  wurde  bewusst  so  formuliert,  dass  andere  Erklärungen  außen  vor  gelassen 

werden. Einerseits versperrt  sie damit allen anderen Möglichkeiten eine  reale Chance  zur 

Erklärung  beizutragen  ‐  andererseits  bleibt  das Modell  dadurch  überschaubar;  außerdem 

wird anderen Erklärungsansätze (mit Ausnahme von institutionellen Zwängen, die hier leider 

nicht  in  der  nötigen  Ausführlichkeit  behandelt  werden  können5)  wenig  Relevanz 

beigemessen. 

Trotzdem  soll H2  nicht  bloß  als Auffangbecken  für  „durchgefallene“  Staaten  aus  der H1‐

Prüfung  fungieren.  Vielmehr  muss  es  Anzeichen  für  (durchsetzungs‐)starke  Akteure  auf 

nationaler  Ebene  geben.  Die  genaue  Konfiguration  des  Einflussgebildes  kann  nur 

oberflächlich  angedeutet  werden.  Moravcsik6  unterscheidet  drei  (gleichzeitig)  mögliche 

„Spielarten“:  ideologischer  (soziale  Präferenzen  bezüglich  wichtiger  Allgemeingüter), 

kommerzieller (die Chancen, Vorteile aus staatlichem Handeln bezüglich des internationalen 

                                                            4 Moravcsik, Andrew: Taking Preferences Seriousely – A Liberal Theory of International Politics; In: International Organisation 51:4. 1997. 5 Vgl. dazu u.a. Moravcsik 1997 S.523 Z11‐13: „National leaders musts always think systematically about their position within a structure composed of preferences of other states.” Dabei spielt er nicht primär auf Institutionen an, sondern meint dies – als Kritik an Waltz – wohl eher allgemein. Im Zusammenhang mit den Institutionen vgl. weiterführend u.a. Schirm 2009 (EU) und United Nations: Report of the Commission of Experts of the President of the United Nations General Assembly on Reforms on International Monetary and Fiscal System. New York. 2009. (UN) 6 Moravcsik 1997 S.524, vertiefend dazu ebd. S.525f 

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Handels  zu  ziehen)  und  republikanischer  (Zusammensetzung  der  innerstaatlichen 

Entscheidungsgremien) Liberalismus.  

Mit  hineinspielen  werden  in  der  folgenden  Betrachtung  besondere  Fähigkeiten  oder 

Unfähigkeiten einzelner Personen/Gruppen, die am Entscheidungsprozess beteiligt sind.  

 

B.3 Probleme des Designs 

 

Drei  Probleme  treten  auf.  Erstens  sei  darauf  verwiesen,  dass  an  verschiedenen  Stellen 

pauschalisiert  und  stark  verallgemeinert  werden muss.  Auf  diesen  Punkt  sei  verwiesen, 

obwohl allgemein gilt: regelmäßig erreichen monokausale Feststellungen  im Rahmen einer 

sozialwissenschaftlichen  Untersuchung  nicht  die  100%‐Sicherheit.  Zweitens  können  viele 

Zustände, die als Folgerungen oder Kausalitäten angepriesen werden, als zirkulär oder trivial 

gedeutet  werden.  Ein  wenig  betroffenes  Land  muss  sich  wohl  nicht  vor  schweren 

Auswirkungen  schützen.  Daher  wird  man  wohl  nicht  überrascht  sein,  wenn  größere 

Reaktionsmaßnahmen ausbleiben.  

Der dritte Punkt rüttelt an der Standfestigkeit des Modells. Hier geht es um die Verquickung 

von wirtschaftlicher Struktur und der Stärke von Interessengruppen. So überschneiden sich 

diese beiden Faktoren beispielsweise, wenn ein Wirtschaftszweig einen bedeutenden Anteil 

zum  Wirtschaftswachstum  beiträgt  und  gleichzeitig  mit  einer  einflussreichen  Lobby 

vertreten  ist. Oft  ist schwer zu trennen, ob es sich dann  im Falle einer günstigen Reaktion 

seitens  des  Staats  um  Automatismen  zur  Stützung  der  Wirtschaft  oder  um  eine 

Entscheidung zugunsten einer Interessensgruppe handelt.   

Graphik 2: Zur Problematik der Rückverfolgbarkeit von Entscheidungen7 

                                                             7 Graphische Darstellung eigener Überlegungen 

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Darum  sei  daran  erinnert,  dass  einige  Zusammenhänge  im  Rahmen  dieser  Arbeit  nicht 

entflochten  werden  können.  Der  Einfluss  von  Interessengruppen  kann  meist  nur  dann 

festgestellt werden, wenn  (in H1 beschriebene) Verhaltensweisen abweichen. Wie bereits 

erwähnt, schränken viertens  internationale  Institutionen die Handlungsfreiheit maßgeblich 

ein. Gerade sie sind dazu geschaffen worden, dass Einzelstaaten eben nicht so handeln, wie 

es  insbesondere Waltz  gerne  sähe. Man  denke  in  diesem  Zusammenhang  an  Keohanes8 

Ausführungen.   

 

C Vorgehensweise 

 

C.1 Fallauswahl 

 

Aus  platz‐  und  zeitökonomischen  Gründen  wird  auf  eine  Vollerhebung  verzichtet.  Eine 

Vielzahl  von  nichtrelevanten  Volkswirtschaften  fällt  damit weg. Das macht  die  Erhebung 

angenehmer. Trotzdem  lässt dies die Gefahr einer zufälligen Fehlauswahl von Ausnahmen 

steigen. Denn  es  kann  nur  ein  kleiner  Teil  der wichtigen  Staaten  betrachtet werden.  Zur 

vernünftigen Befüllung der Vier‐Felder‐Tafel wurde deshalb auf sechs  (anstatt mindestens 

drei  nötige)  Länder  zurückgegriffen.  Jedes  Feld  soll mit mindestens  einem  Staat  besetzt 

werden. In diesem Zusammenhang wurden bereits planende Überlegungen angestellt9. An 

alle  Fallbeispiele  wurde  das  Kriterium  angelegt,  dass  sie  für  den  weltwirtschaftlichen 

Kreislauf eine hohe Relevanz aufweisen.  

Zur Untersuchung wurden die  Länder Deutschland, Großbritannien, USA,  Indien, Brasilien 

und China herangezogen.  

 

C.2 Literatur 

 

Die  Länder‐Auswahl  ist  auch  vor  dem  Hintergrund  der  vorhandenen  Literatur  getroffen 

worden.  Über  die  hochentwickelten  Länder  Deutschland,  Großbritannien  (Schirm‐Text10) 

und USA  gibt  es mehr  als  genug Material  –  auch was  aktuelle  Kommentare, Daten  und 

Aufsätze zur  jüngsten Krise betrifft. China  ist ein schnell wachsender Markt, der mit seiner 

Aufholjagd  für  Schlagzeilen  gesorgt und  damit die Aufmerksamkeit  auf  sich  gezogen  hat. 

                                                            8 Zum Einfluss von internationalen Organisationen vgl. insb. Keohane, Robert: After Hegemony – Cooperation and Discord in the World Political Economy. Princeton (New Jersey). 1984.  9 U.a. wurde hierbei auf: Statistisches Bundesamt: Zahlungsbilanzen einzelner Länder 2007; In: Statistisches Bundesamt: Statistisches Jahrbuch 2009. Wiesbaden. 2009a. zurückgegriffen.  10 An dieser Stelle wird darauf verwiesen, dass Schirm 2009 (mit anderer Vorgehensweise) ebenfalls Reaktionsunterschiede zwischen Staaten (insbesondere zwischen Großbritannien und Deutschland) untersucht. 

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Ähnliches gilt für Brasilien und Indien. Obwohl die Literatur für diese „neuen Märkte“ noch 

etwas  spärlich  ist,  sind  wichtige  Grunddaten  (nicht  zuletzt  den  brandaktuellen 

Forschungsergebnissen der   Bertelsmann‐Stiftung dem Statistischen Bundesamt verdankt) 

vorhanden.  

Material  für  die  Bearbeitung  der Gegenthese  ist  genügend  vorhanden.  Zahlreiche Werke 

über  Akteure  auf  dem  innerstaatlichen  Politikspielfeld  der  einzelnen  Länder  können 

Auskunft  geben.  Da  die  Betrachtung  nicht  in  die  Tiefe  gehen  kann, muss  aber  auf  eine 

genaue Analyse der wirkenden Kräfte verzichtet werden.   

D Anwendung  

Den  Abschnitten,  in  denen  die  einzelnen  Länder  betrachtet  werden,  sollen  hier  eine 

Übersichtstabelle mit relevanten Daten und eine Graphik vorneangestellt werden:  

Tabelle 1: Gesamtübersicht der wichtigsten Kennzahlen11 

 

                                                            11 Eigene Darstellung. Die Daten wurden entnommen aus: Statistisches Bundesamt 2009a; Statistisches Bundesamt: Deutschland – Informationen aus internationalen Datenquellen; In: Statistisches Bundesamt: Internationale Statistik. Wiesbaden. 2009b. (abrufbar unter: http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/Sites/destatis/Internet/DE/Content/Statistiken/Internationales/InternationaleStatistik/Land/Europa/Deutschland,templateId=renderPrint.psml) – Anmerkung hierzu: auch für Deutschland wurden externe (internationale) Daten verwendet, um eine bessere Vergleichsbasis zu schaffen; Statistisches Bundesamt: Länderprofil Brasilien – Ausgabe 2006. Wiesbaden. 2006.; Statistisches Bundesamt: Länderprofil China – G‐20 Industrie‐ und Schwellenländer – Ausgabe 2008. Wiesbaden. 2008.; Statistisches Bundesamt: Länderprofil Indien – Ausgabe 2006. Wiesbaden. 2006.; Statistisches Bundesamt: Länderprofil – Vereinigte Staaten von Amerika – G‐20 Industrie‐ und Schwellenländer – Ausgabe 2008. Wiesbaden. 2008.; Statistisches Bundesamt: Länderprofil – Vereinigtes Königreich – G‐20 Industrie‐ und Schwellenländer – Ausgabe 2008. Wiesbaden. 2008.; Thalheimer, Frank: Bruttoinlandsprodukt, Bruttowertschöpfung und andere gesamtwirtschaftliche Indikatoren – Betrachtungen zur volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung in drei Folgen; In: Statistisches Landesamt Baden‐Württemberg: Statistisches Monatsheft Baden‐Württemberg 10/2005. Stuttgart. 2005. S.33; International Labour Organization: The Financial and Economic Crisis: A Decent Work Response. Genf. 2009. Insb. S.27/34; OECD: OECD Employment Outlook – Tackling the Jobs Crisis. Paris. 2009. S.25. Für China liegen abweichende, aber detailierte Informationen vor: Hartmann, Jürgen: Politik in China – Eine Einführung. Wiesbaden. 2006. S171 Tabelle 14. U.a. für Brasilien liegen abweichende Informationen vor: Flores, Renato Jr.: Managing the Crisis I: Brazil Country Report; In: Bertelsmann‐Stiftung: Managing the Crisis – A comparative Analysis of Economic Governance in 14 Economies. Gütersloh. 2010. 

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10  Graphik 3: Unterstützung für den Finanz‐ und andere Sektoren12 

  

D.1 Deutschland  

Die  hochentwickelte  Volkswirtschaft  Deutschland  wird  der  Kategorie  A  zugeordnet. Mit 

über  270  Mrd.  US‐Dollar  Außenhandelsüberschuss  (2007)13  sind  die  wirtschaftlichen 

Geschicke  der  Bundesrepublik  stark  exportabhängig.  Bisher  war  die  Bundesrepublik 

Exportweltmeister und muss diesen Platz nun zugunsten der Volksrepublik China  räumen. 

Das Land wird eindeutig der linken Vier‐Felder‐Tafel‐Seite zugeordnet.  

Der  Anteil  des  produzierenden  Gewerbes  in  2008  (ca.  30%14)  hebt  sich  von  den  weit 

niedrigeren Werten  der  anderen  hochentwickelten Wirtschaftsnationen  (USA/GB)  ab.  Es 

unterscheidet sich unwesentlich vom Vorkrisenstand 200415. 

Der  „Bankensektor“  verzeichnete  2005  einen  Anteil  von  ca.  23%  an  der 

Gesamtbruttowertschöpfung.  Darin  sind  inbegriffen:  Vermietungen,  Finanzierung, 

Versicherungen  und  Ähnliches.16  Frankfurt  ist  als  internationaler  Handelsplatz  bekannt. 

                                                            12 Graphik (abgewandelt) aus Langhammer, Rolf / Heilmann, Sebastian: Managing the Crisis – A Comparative Assessment; In: Bertelsmann‐Stiftung: Managing the Crisis – A comparative Analysis of Economic Governance in 14 Economies. Gütersloh. 2010. S.15 13 Wert aus Statistisches Bundesamt 2009a  14 Wert aus Statistisches Bundesamt 2009b  15 Wert aus Thalheimer 2005 S.33 16 Thalheimer 2005 S.33; berücksichtigt muss dabei werden, dass die Definition von „Finanzdienstleistungen“ sehr weit gefasst werden.   

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Käme  es  zu  einem  Absturz  des  Finanzsystems,  dann  wäre  Deutschland  gefährdet.  Eine 

Zuordnung zur oberen Zeile legt Deutschlands Platz in der Vier‐Felder‐Tafel also fest. 

Deutschland  würde  (und  wurde  schließlich)  sowohl  von  der  Finanz‐  als  auch  von  der 

Wirtschaftskrise stark getroffen.   

Der deutsche Aktienhauptindex DAX fiel binnen Wochen von 7500 auf 4500 Punkte17. Der 

Immobilien‐ und Staatsfinanzierer „Hypo Real Estate“ war so stark angeschlagen, dass er  ‐ 

durch  ein  squeeze‐out  ‐  quasi‐verstaatlicht18  und  mit  Garantien  von  ca.  90  Mrd.  Euro 

gestützt werden musste. Die Gesamthöhe  der  genehmigten  Absicherungssumme  für  das 

deutsche Bankensystem betrug (bis zu) ca. 400 Mrd. Euro19.  

Tabelle 2: Chronologischer Ablauf ausgewählter Maßnahmen als Reaktion auf die Finanz‐ und Wirtschaftskrise seitens der Bundesrepublik20   

Datum  Maßnahme  Art der Maßnahme 12. August 2008  Gesetz zur Begrenzung der, mit 

Finanzinvestitionen verbundenen, Risiken Regulierungs‐ maßnahme 

? September 2008  Verbot von Leerverkäufen seitens der BaFin (beschränkt auf 11 Unternehmen bis 31. Dez 2008) 

Regulierungs‐ maßnahme  

8. Oktober 2008  Einlagengarantie  Staatl. Garantie 9. Oktober 2008  Verschiebung des Bahn‐Börsengangs  Fiskale Entscheidung 17. Oktober 2008  Finanzmarktstabilisierungsgesetz  Staatl. Garantien (400 

Mrd.) + staatl. Kredite (80 Mrd.) 

5. November 2008   Maßnahmenpaket: „Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung“ 

Konjunkturelle Maßnahme 

 

Eine  beträchtliche  Summe  (19,8%  am  BIP21)  wurde  zur  Überwindung  der  Finanzkrise 

bereitgestellt22.  Dagegen  wurde  ein  Betrag,  der  sich  auf  2,8%  des  BIP23  beläuft,  für 

wirtschaftswirksame Maßnahmen ausgegeben. Den Zeitpunkt des ersten Konjunkturpakets 

stufen Langhammer/Heilmann als „früh“24 ein. 

                                                            17 Schirm 2009 S.2 18 Ob die Hypo Real Estates verstaatlicht wurde, oder ob es sich nicht um eine Verstaatlichung (sondern um eine Übernahme von 100% der Aktienanteile seitens des Staates) handelte, kann hier nicht diskutiert werden. Schirm 2009 S.10 lehnt es ab, von einer Verstaatlichung zu sprechen und geht damit irr. Vertiefend vgl. u.a. Wieandt, Axel: Aktionärsbrief des Vorstandsvorsitzenden; In: Hypo Real Estate: Zwischenbericht zum 31.März 2009. München. 2009. S.4 19 Schirm 2009 und Glebe, Dirk: Die globale Finanzkrise – Alles über die Finanzkrisen dieser Welt; In: Börse verstehen. Norderstedt. 2008. S.119 20 Daten aus Gelbe 2008 S.119f 21 Wert aus ILO 2009 S.34 Fig.10 22 Achtung: „bereitgestellt“ heißt nicht – wie im nachfolgenden Fall – „ausgegeben“ 23 Wert aus ILO 2009 S.27 Fig.8 und S.34 Fig.10; Langhammer / Heilmann 2010 S.14 geben anstelle einer festen Zahl einen Korridor von 2‐3,5% an; Schirm 2009 gibt einen „saisonbereinigten Wert“ von 3,4% (2008‐2010) an.  24 Langhammer/Heilmann 2010 S.17: Deutschland und USA gegen Großbritannien, dass sich zunächst auf die Stabilisierung des Finanzsektors konzentrierte. Dagegen Schirm 2009 S.11: danach reagierte Deutschland langsamer und vorsichtiger als Großbritannien 

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12  

Wird Deutschland seiner Einstufung (A) gerecht?  

 

Die unbedingte Vermeidung eines Totalabsturzes des Finanzsystems hat die Bundesrepublik 

dazu veranlasst, alle nötigen Maßnahmen zu ergreifen. Zwar spielt der Bankensektor eine 

(mit)tragende Rolle beim  Zustandekommen des Bruttoinlandsprodukts; die Regierung hat 

aber massive Anstrengungen unternommen,  regulierend einzugreifen. Mehr glaubhaft als 

anderorts25  forderten  das  Duo  Merkel/Steinbrück  unter  anderem  eine  strengere 

Überwachung von Hedge Fonds (die sich meist  im anglo‐amerikanischen Raum – und nicht 

in  Deutschland  –  aufhalten)  ,  eine  bessere  Koordination  der  internationalen  Aufsicht, 

strengere Regeln  für Banken, eine Änderung des Bonussystems, eine bessere Aufsicht der 

Steueroasen und eine Stärkung des  Internationalen Währungsfonds  IMF und des Financial 

Stability Forum FSF26.  

Wie erwartet ist also alles Nötige zur Stützung und nicht alles Mögliche getan worden. Ganz 

im Gegenteil: eine stärkere Reglementierung ist angestrebt. 

 

Von einem exportabhängigen Land erwartet das Modell ein überdurchschnittliches Fiskal‐

Engagement  (besonders  in  Form  von  keynesianistischen Maßnahmen). Tatsächlich  ist der 

BIP‐Anteil  von maximal  3,5%  im Vergleich  nicht  niedrig. Als  radikales Mittel  hat  sich  der 

deutsche Staat  für eine „Abwrack“‐Pauschale entschieden und zudem neue Möglichkeiten 

im  Bereich  der  Kurzarbeit  geschaffen.  Dennoch:  es  gab  Kritik  (insbesondere  seitens  der 

USA),  weil  sich  Deutschland  angeblich  im  Umfang  der  ergriffenen  Maßnahmen 

zurückhielt27. Weist  die  Bundesrepublik  deshalb modellatypische    Verhaltensweisen  auf? 

Nein  –  ganz  im  Gegenteil.  Rechnet  man  die  umgesetzte  Summe  aufgrund  des 

Wirksamwerdens von automatischen Stabilisatoren28 (geschaffen durch die Flechtung eines 

dichten  Sozialnetzes)  mit  ein,  wird  der  Wert  von  3,5%  weit  überschritten. 

Gegenmaßnahmen  in  Hinblick  auf  Exporteinbrüche  sind  also  in  Form  eines  Sozialnetzes 

teilweise schon vorinstalliert und treten automatisch bei Krisen in Kraft.  

 

 

                                                            25 Schirm 2009 S.7 weist ausdrücklich auf das Duo Brown/Darling aus GB hin  26 Vgl. Schirm 2009 S.7. Deutschland gilt als strikter Verfechter. Welche Maßnahmen langfristig letztlich ergriffen werden, steht in den Sternen. 27 Vgl. dazu Schirm 2009 S.10: es wurden sowohl Steuersenkungen als auch Ausgabensteigerung unter Inkaufnahme höherer Verschuldung gefordert. 28 Vgl. dazu u.a. Eichel, Hans: Staat und Kreide – Über die Verschuldung der öffentlichen Haushalte; In: Die Zeit – Kursbuch: Wahl und Wählen – Schuld und Schulden. Hamburg. 2005. S.91; oder Schirm 2009 S.10f 

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13  

Führt die Bestätigung von H1 in diesem Fall zur Verwerfung von H2? 

 

Nein. Der Einfluss von H2  ist  zwar nicht völlig verloren;  trotzdem  ist die Relevanz von H2 

nicht  direkt  spürbar,  wenn  der  Staat  der  akkumulierten  Interessenslage  (verstanden  als 

nationales  Gesamtinteresse)  zuvorkommt.  Es  sei  aber  doch  auf  die  starken 

Gewerkschaften29,  mächtige  Automobilkonzerne  und  Unternehmen,  die  mit 

Abwanderungsbereitschaft  drohen,  verwiesen.  Vor  allem  den  Arbeiterverbänden  kann 

Einflussarbeit in der Vorinstallation von automatischen Stabilisatoren zugerechnet werden. 

 

D.2 China 

 

Die Volksrepublik China wird der Kategorie C zugeordnet. Mit einer positiven Handelsbilanz 

von über 315 Mrd. Dollar30 ist der (ehemalig planwirtschaftlich orientierte) Staat ein extrem 

exportabhängiges  Land.  Immerhin  trägt  der  Außenhandel  50%  zur  gesamten 

Wirtschaftsleistung  bei31.  Heilmann/Schmidt merken  an:  „China  as  a  big  country  has  an 

unusually  high  degree  of  trade  openness  …“32.  Trotz  aller  Erfolge  und  einer  rasanten 

Aufholjagd  in  wirtschaftlicher  Hinsicht,  stuft  Heberer33  China  immer  noch  als 

Entwicklungsland ein. Davon unabhängig  ist das „emerging country“34 eindeutig der  linken 

Spalte zuzurechnen.  

Fast  völlig  unberührt  vom  Weltmarkt  ist  hingegen  der  Finanzsektor.  China  war  sehr 

vorsichtig35 in Hinblick auf dessen Öffnung. Der Bankensektor war also „auf Grund der noch 

wenig entwickelten nationalen Verflechtung eher weniger betroffen“36.  

 

                                                            29 Streeck, Wolfgang / Mertens, Daniel: Politik im Defizit – Austerität als fiskalpolitisches Regime; In: MPIfG  Discussion Paper 10/5. Kölln. 2005. S.16 verweisen darauf, dass die Stärke der Gewerkschaften schwächer als anderorts zurückgegangen sei.  30 Wert von 2007 aus Statistisches Bundesamt 2009b 31 Heberer, Thomas: Die Modernisierung Chinas: Analyse eines komplexen Prozesses; In: Heberer, Thomas / Rudolph, Jörg‐M.: China – Politik, Wirtschaft und Gesellschaft – Zwei alternative Sichten. Wiesbaden. 2010. S.122 32 Heilmann, Sebastian / Schmidt, Dirk: Dealing with Economic Crisis in 2008‐09: The Chinese Government’s Crisis Management in Comporative Perspective – China Analysis 77. Trier. 2010a. S.5 Z25f 33 Heberer 2010 S.121f 34 Einstufung auf Seiten Brasiliens und Indiens gegenüber den „advanced economies“ Deutschland, GB und USA in Donner, Sabine / Hartmann, Hauke / Kuhn, Andrea: Introduction: The Centrality of Governance; In: Bertelsmannstiftung: Managing the Crisis – A comparative Analysis of Economic Governance in 14 Economies. Gütersloh. 2010. S.7 35 So drücken es Heilmann/Schmidt 2010a S.5 aus. 36 Heberer 2010 S.122 Z14f; oder auch: Heilmann/Schmidt 2010a S.5 sprechen von ‚minimalen Problemen mit toxischen Papieren‘ 

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14  

In der Tat spürte man wenig von den Auswirkungen der Finanzkrise. Umso stärker traf China 

die darauffolgende Wirtschaftskrise. Während das Land von Januar bis Oktober 2008 noch 

zweistellige  Wachstumsraten  verzeichnen  konnte,  sank  dieser  Wert  in  Folge  des 

Exporteinbruchs  (21,8%)  und  dem  Rückgang  der  Importe  (25,4%)  ab37.  Der 

Handelsbilanzüberschuss sackte in der ersten Hälfte von 2009 auf „nur noch“ 97 Mrd.38 ab – 

das  Wirtschaftswachstum  sank  auf  bis  zu  ca.  +6%39.  Mindestens  25  Millionen 

Wanderarbeiter  wurden  plötzlich  arbeitslos  und  „zehnausende“  Betriebe  brachen 

zusammen40.  

 

China reagierte mit einem 460‐Mrd.‐Euro‐Stimulus‐Paket41. Dies entspricht einem Anteil am 

BIP  von  13,3%  (gemessen  an  2008)  oder  –  je  nach  Bezugsgröße  –  15,3%  (gemessen  an 

2007)42. Man versuchte, die Wachstumsraten stabil zu halten.  

Einschränkend  muss  erwähnt  werden,  dass  von  diesen  Geldern  bereits  Teile  davon  im 

Vorfeld  verplant  waren  (große  Teile  des  11ten  Fünfjahresplans).  Auch  wurden 

außerordentliche  Projekte,  die  nicht  der  gezielten  Krisenbewältigung  dienten,  in  das 

Gesamtpaket  aufgenommen  (Wiederaufbau  in  der  Erdbebenregion  Sichuan).43  Auch 

wurden  nicht  nur  kurzfristig‐ankurbelnde  Maßnahmen  angepackt:  man  ergriff  die 

Gelegenheit und stellte Gelder für eine Gesundheitsreform ein44. 

Nichtsdestotrotz ist das Endprodukt gewaltig: 

 

 

 

 

                                                            37 Werte aus Heilmann, Sebastian / Schmidt, Dirk: China Country Report 2010; In: Bertelsmann‐Stiftung: Managing the Crisis – A comparative Analysis of Economic Governance in 14 Economies. Gütersloh. 2010b. Hinweis: die Heilmann/Schmidt‐Texte von 2010 weisen starke Überschneidungen auf.  38 Ebd. 39 Wert aus Langhammer/Heilmann 2010 S.9; trotz des positiven Vorzeichens ist dies für China ein verheerend niedriger Wert 40 Diese Werte gibt Heberer 2010 S.122 an. Weder diese noch amtliche Daten können als vertrauenswürdig gelten. Deshalb sei vor diesem Hintergrund auf Daten‐Fehlinformationen seitens autoritäre Regime und dadurch bedingte Fehleinschätzung von außen verweisen. Darauf weisen auch u.a. Heilmann/Schmidt 2010a S.25 hin. 41 Diesen Wert geben Heberer 2010 S.122 und Glebe 2008 S.119 an. Heilmann/Schmidt 2010b ermitteln einen Wert von 586 Mrd. Dollar.  42 Werte aus Heilmann/Schmidt 2010b S.9; oder: bei Langhammer/Heilmann 2010 S.14 wird ein Toleranzbereich von 12 bis 13,5% angegeben.  43 Heilmann/Schmidt 2010b S.9 44 Vgl. dazu Langhammer/Heilmann 2010 S.16 

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15  Tabelle 3: Verteilung der Gelder des Stimulus‐Programms45 

  

Wird China seiner Einstufung (C) gerecht?   

Voll  und  ganz.  Die  Graphik  zeigt,  dass  einer  der  größten  Indikatoren  für  fiskalen 

Staatsinterventionismus – die Investition in Infrastruktur – einen Anteil von 45% ausmacht. 

Auch  die  anderen  Investitionsbereiche  zeugen  von  einer  konjunkturbelebenden 

Ausgabenabsicht. Heilmann/Schmidt sprechen von der „großen Rückkehr des Staates“46. 

Im  Gedränge  um  die  vorderen  Ränge  der  Weltwirtschaft47  wurde  nicht  ganz  auf 

protektionistische Maßnahmen  verzichtet. Die Vergünstigung  von Ausfuhrzöllen  (Sommer 

2009)  und  eine  „Buy  Chinese  Clause“  (Mai  2009)48 werden  – mit  dem  Hinweis,  dass  es 

Anklänge  davon  schon  immer  im  Portfolio  der  chinesischen  Wirtschaftspolitik  gab  – 

genannt.  

Lediglich  die  (für  exportabhängige    Staaten)  erwarteten  Arbeitsmarktprogramme  blieben 

schwach ausgeprägt49.  

Die Finanzkrise (für sich gesehen) ging hingegen ohne spürbare Spuren und Reaktionen an 

China vorüber.   

Führt die Bestätigung von H1 in diesem Fall zur Verwerfung von H2?  

Nach wie vor  ist China ein autoritäres Regime mit kommunistischen Funktionären an der 

Spitze  Zentral‐  und  Lokalregierungen.  Die  wirtschaftliche  Öffnung  brachte  zwangsläufig 

einen gewissen Grad an politischen Veränderungen mit sich. Zwar wird von „intellektueller“ 

                                                            45 Graphik unverändert entnommen aus Heilmann/Schmidt 2010b S.12 46 Heilmann/Schmidt 2010b S.29 47 China hat Japan spätestens im August 2010 als zweitgrößte Volkswirtschaft abgelöst. Vgl. dazu die Meldung Hoffmann, Cathrine: Japan steigt ab – China wird zweitgrößte Volkswirtschaft; In: Süddeutsche Zeitung vom 17. August 2010. München. 2010. S.17 (ähnlich S.1) 48 Beide Beispiele aus Heilmann/Schmidt 2010a S.14 49 Ebd. 

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Seite  diskutiert,  wie  viel  Demokratie  (und  damit  Interessenpolitik)  möglich  und 

wünschenswert  sei50;  einflussreiche  Interessengruppen mit  Einfluss  auf  die  Kader  gibt  es 

nahezu nicht.  

Auf den ersten Blick erscheint dies  in Hinblick auf die extrem wirtschaftsfreundliche Politik 

anders.  Das  Verhältnis  zwischen  Großunternehmern51  und  Staat  ist  sehr  gut.  Die 

vermögenden  Unternehmer  genießen  hohes  Ansehen  bei  den  Kadern52.  Auch  die  stark 

entgegenkommenden  Konjunkturprogramme  würden  für  die  Durchsetzungskraft  von 

Wirtschaftsinteressen sprechen.  

Hartmann stellt jedoch fest, „dass die Kapitalinteressen alles in allem aber noch wenig Kraft 

zur Verständigung auf gemeinsame politische Ziele und Strategien besitzen“53. Das Bild sei 

von  starken  und  schwachen  Einzelkämpfern  geprägt.  „Davon  abgesehen  sind  sie  keine 

Gesprächspartner bei der Kursbestimmung der Politik.“54 

Dass  dennoch  massiv  Wirtschaftsinteressen  vertreten  wurden,  deutet  auf  einen 

Reaktionsautomatismus  hin,  der  die  ‚unbedingte  Stützung  des  Wirtschaftswachstums‘55 

(gemäß  den  Überlegungen  aus  Graphik  2)  als  wichtigsten  Faktor  zum  Bestehen  im 

internationalen Wettbewerb vorsieht.  

Die  fehlenden  (oder:  verschwindend  geringen56)  Arbeitsmarkt‐  und 

Beschäftigungsprogramme lassen auf eine schwache Repräsentation der Gewerkschaften im 

einst  planwirtschaftlich  organisierten  China  schließen.  In  der  Tat  haben  die 

‚Arbeitnehmervertretungen‘ dort keine Interessenvertreterfunktion, sondern sind Helfer für 

die Zentralregierung zur kommunistischen Erziehung und Lehre57.  

H2 kann – wie die Art der Herrschaft58 vermuten lässt – verworfen werden.  

 

 

 

                                                            50 Heberer 2010 S.101ff 51 Die Großunternehmer (Siying) sind zu unterscheiden von den Geti (kleiner Handel und Gewerbe), die oft unterdrückt werden. Vgl. dazu Hartmann 2006 S.169f 52 Ebd. S.170 53 Ebd. S.172 Z9‐11 54 Ebd. S.174 Z1f. Zu diesem Absatz vgl. Hartmann 2006 S.172f: er beschreibt eine Situation, in die Unternehmen dann erfolgreich (in kürzester Zeit) erfolgreich sein können, wenn die allgemeinen (vorgefertigten) Spielregeln eingehalten werden. Ähnlich Heberer 2010 S.104 55 Langhammer/Heilmann 2010 S.21 56 Tatsächlich gab es Ausstellungsstopps bei Staatsbetrieben 57 Vgl. Hartmann 2006 S.181ff; ebenso wie die Handels‐ und Industriekammern nicht zur Interessenvertretung für Unternehmer, sondern zur Sicherstellung von Steuerpflichtigkeit seitens der Regierung vorhanden sind. (S.172) 58 Langhammer/Heilmann 2010 S.14 sprechen von einem „command economy mechanism“  

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D.3 Brasilien 

 

Brasiliens Außenhandelsbilanz  ist positiv. Auch wenn Export für die Brasilianer (noch) nicht 

alles ist, so erkämpfte sich das Land in jüngster Vergangenheit – vor allem in den Bereichen 

‚Landwirtschaft‘  und  ‚Industriegüter‘59  –  zunehmend  Weltmarktanteile.  Daher  erscheint 

eine Zuordnung zur linken Spalte sinnvoll. 

 

Die Zeilen‐Einordnung gestaltet sich schwieriger60. Trotz eines ausgebauten Bankensektors, 

ist dieser nicht mit denen von USA, Großbritannien oder Deutschland vergleichbar. Das Land 

war  in  der  Vergangenheit  von  verschiedenen  Finanzproblemen  betroffen.  In  den  90ern 

profitierten  die  brasilianischen  Banken  nicht  etwa  von  gewöhnlichen  Kredit‐  und 

Investitionsgeschäften, sondern vielmehr von ausufernden Inflationsraten61.  

Die  Bankenreform  von  1995  (im  Nachgang  des  „Plan  Real“)  veränderte  das  Reglement 

grundsätzlich.  Die  Mindestkapitalerhöhung  und  eine  direkte  Verantwortung  der 

Kontrolleure  von  Bankvorgängen  trugen  zu  einer  stärkeren  Regulierung  bei.  Auch  das 

Kontrollsystem ist sehr umfassend. Ein nationaler Währungsrat (mit dem Finanzminister als 

Vorsitzenden), der Notenbank (mit Kontrollfunktionen), die Wertpapierkommission (erlässt 

Vorschriften und kontrolliert Wertpapiermarkt) und dem Nationalrat/der Generaldirektion 

der  Privatversicherungen  (kontrolliert  u.a.  Versicherungsmarkt/andere 

Finanzdienstleistungen) sind an allen Finanzmarktprozessen beteiligt.62 Im Jahr 2000 wurde 

zwar  die  Genehmigungspflicht  für  Auslandskredite  in  eine  Registrierungspflicht 

umgewandelt; die Pflicht zur Genehmigung von Emissionen bleibt jedoch bestehen.63 Auch 

                                                            59 Flores 2010 S.1/5 sieht hierin die „Key‐Segmente“ des Exports  60 Zumindest ein Versuch soll unternommen werden, die Komplexität des Finanzmarkts und seiner Vorgeschichte nachzuzeichnen. 61 Von Stein, Johann Heinrich: Argentinien, Brasilien und Chile – Länder und Finanzsysteme auf neuen Wegen – eine Einführung; In: von Stein, Heinrich Johann: Die Finanzsysteme in Argentinien, Brasilien und Chile (Schriftenreihe der Stiftung Kreditwirtschaft an der Universität Hohenheim – Band 9). Frankfurt am Main. 2001. S.9 62 Zu diesem Absatz vgl. Cançado, Juarez: Aspekte der wirtschaftlichen Entwicklung Brasiliens und ihre Auswirkungen auf das Finanzsystem; In: von Stein, Heinrich Johann: Die Finanzsysteme in Argentinien, Brasilien und Chile (Schriftenreihe der Stiftung Kreditwirtschaft an der Universität Hohenheim – Band 9). Frankfurt am Main. 2001. S.43f und S.48 63 Vgl. Hierneis, Günter: Das brasilianische Bankensystem: Stand – Entwicklungen – Perspektiven; In: von Stein, Heinrich Johann: Die Finanzsysteme in Argentinien, Brasilien und Chile (Schriftenreihe der Stiftung Kreditwirtschaft an der Universität Hohenheim – Band 9). Frankfurt am Main. 2001. S.185 

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das  komplexe  Regelwerk  aus  Inflationszeiten  schreckt  viele  ausländische  Investoren  von 

einem Engagement in Brasilien ab64.  

Lentz65  bezweifelt  die  Kontrollierbarkeit  und  den  Informationsgehalt  anhand  von 

Jahresabschlüssen, die  in Brasilien bei weitem nicht die Qualität  von deutschen oder US‐

amerikanischen  Meldungen  erreichen.  Das  dicht  gewobene  Netz  an  Kontroll‐  und 

Interventionsmechanismen  und  komplexe  Regelwerke  leisten  jedoch  einen  zentralen 

Beitrag  dafür,  dass  der  brasilianische  Finanzmarkt  mit  weniger  ausländischem 

Investitionseinfluss  auskommt  und  „einer  der  größten  Eigenkapitalmärkte  weltweit“66 

bleibt. Wenn man zudem den Finanzanteil in den Vergleich zur Wirtschaftskraft setzt, stellt 

sich eine Unterentwicklung des Bankensektors heraus67.  

Diese  Argumente  verändern  die  Zuordnung  des  Landes  in  Hinblick  auf  den  Einfluss  der 

Finanzkrise.  Nach  den  gewonnenen  Erkenntnissen  ist  der  Bankensektor  zwar  nicht 

unerheblich  klein;  die  starke  Regulierung68  dürfte  aber  einer  Betroffenheit  von  der  Krise 

entgegenstehen.  

Damit würde Brasilien in die Kategorie C fallen. 

 

Tatsächlich waren die Brasilianer nur  teilweise von der Finanzkrise betroffen. So bewertet 

das Handelsblatt69 die Auswirkungen  auf den Kreditmarkt  in 2008  als  spürbar  aber nicht 

gefährlich.  Anders  verhält  es  sich  mit  der  Wirtschaftskrise:  Brasilien  verzeichnete 

Absatzeinbußen.  

 

Da  man  die  Finanzkrise  als  „anglo‐saxon  problem“70  sah,  hielt  man  zunächst  mit 

unspektakulärer  Geldmengensteuerung  dagegen  (insb.  systematische  Senkung  der 

Leitzinsen71).  Ein  Gesetz  erweitert  ab  Oktober  2008  die  Kompetenzen  der  Notenbank, 

leidende Privatbanken zu unterstützen72. 

                                                            64 Lentz, Johann: Der Aktienmarkt in Brasilien – Struktur, Probleme und Perspektiven; In: von Stein, Heinrich Johann: Die Finanzsysteme in Argentinien, Brasilien und Chile (Schriftenreihe der Stiftung Kreditwirtschaft an der Universität Hohenheim – Band 9). Frankfurt am Main. 2001. S.449 65 Ebd. S.448f 66 Ebd. S.431 Z3 – S.432 Z1 67 Ebd. S.432; Flores 2010 S.1 gibt einen Korridor von 5‐7% des Finanzsektors an der Gesamtbruttowertschöpfung des Landes an. 68 Auch Langhammer/Heilmann 2010 S.12 stellen einen starken Regulierungsgrad fest. 69 Vgl. Busch, Alexander: Finanzkrise streift Brasilien – Wachstum gerettet; In: Handelsblatt vom 20.08.2008. 2008. (abrufbar unter: http://www.handelsblatt.com/unternehmen/banken‐versicherungen/finanzkrise‐streift‐brasilien;2025013 ). Dort führt man die geringen Auswirkungen ebenfalls auf gemäßigtere Verquickungen mit den internationalen Finanzmärkten zurück. 70 Langhammer/Heilmann 2010 S.14 Z1 71 Vgl. Flores 2010 S.8 72 Ebd. 

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Stimulus‐Programme halten sich mit 0,2% am BIP73 (im Verhältnis zu anderen Ländern) eher 

in  Grenzen  und  konzentrieren  sich  auf  die  Belebung  der  Binnennachfrage74  (als 

Kompensation zu wegfallenden Exporten). 

 

Wird Brasilien seiner Einstufung (C) gerecht?  

 

Die  geringen  Auswirkungen  der  Finanzkrise  waren  zu  erwarten.  Dasselbe  gilt  für  die 

Reaktionen  darauf:  Brasilien  hatte  Angst,  sie  würden  erneut  eine  zu  nachlässige 

Finanzpolitik betreiben75.  

Gegenteilig  würde  man  sich  dafür  konjunkturbelebende  Maßnahmen  erwarten.  Diese 

halten sich aber in Grenzen. Langhammer/Heilmann76 sprechen lediglich in Hinblick auf die 

Qualität  der  Maßnahmen–  und  nicht  auf  den  Umfang  –  von  gut  fundierter 

makroökonomischer Politik.  

So  könnte es der  sensiblen  Inflations‐ und Verschuldungsangst  geschuldet  sein, dass hier 

vom  Zusammenhang  ‚Export  –  Ausgabenausweitung‘  wenig  zu  spüren  war.  In  dieser 

Hinsicht  wird  also  Brasilien  zwar  den  Modellansprüchen,  nicht  aber  den  erwarteten 

Folgerungen gerecht. 

 

Führt die Verwerfung von H1 in diesem Fall zur Bestätigung von H2? 

 

Umso attraktiver erscheint es da, die Abweichung vom erwarteten Reaktionsautomatismus 

durch Interessengruppen zu erklären.  

Ausdrücklich betonen Langhammer/Heilmann die Rolle des Präsidenten Lula da Silva  (und 

dessen  Umfeld)  im  Kampf  gegen  die  Auswirkungen  der  Krise.  So  sei  es  (allein)  dem 

scharfsinnigen/charismatischen77  Präsidenten  geschuldet,  dass  das  Land  heute  gestärkt78 

aus der Krise hervorgeht.  

                                                            73 Wert aus ILO 2009 S.25; Langhammer/Heilmann 2010 S.21 bewerten diesen Wert als ‚sehr niedrig‘ und geben einen Korridor zwischen 0 und1,5% an (S.14) 74 Flores 2010 S.11 75 Langhammer/Heilmann 2010 S.21 76 Ebd. S.12 77 Ebd.; jene bezeichnen auch die Führungsform des Landes als „personalized leadership“ (S.14) 78 Tatsächlich beurteilt Flores 2010 S.23 die Lage des Landes als hervorragend: er verwendet sogar die Umschreibung  „Weltmacht mit mittlerer Wichtigkeit“ 

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Es scheint, als fälle der Präsident (als innerstaatlicher Akteur?) die Entscheidungen also nicht 

in  Folge  nationaler  Zwangsläufigkeiten.  Folglich  könnten  in  diese  abweichenden 

Entscheidungen innerstaatliche Interessenlagen hineininterpretiert werden.  

Wenn man  aber  ‐  anstelle  von  innerstaatlichen  Interessengruppen  ‐  die  brasilianischen 

Besonderheiten  (insb.  Inflationsangst  und  ähnliche  Umstände)  zur  Erklärung  heranzieht, 

spräche dies für Reaktionsautomatismus unter veränderten Umständen.  

Gerade weil der Präsident  (anscheinend  fast alleine)  ‐ die besondere  Lage des  Landes  im 

Hinterkopf  ‐  die  Zügel  in  der  Hand  hatte,  kommt  man  früh  von  der  Idee  ab, 

Interessengruppen hätten die entscheidende Hand im Spiel gehabt.  

 

So  kann  H2  abgelehnt  werden.  Zudem  muss  berücksichtigt  werden,  dass  Brasilien  von 

Chinas Importdurst79 (angefacht durch dortige Konjunkturprogramme) ohne eigenes Zutun 

profitiert  haben  könnte.  Verallgemeinert  man  die  Dann‐Aussage  der  These  unter 

Berücksichtigung dieser ‚besonderen Umstände‘ erscheint H1 nicht mehr abwegig.  

 

D.4 Indien 

 

Der indische Finanzsektor spielt eine untergeordnete Rolle80. Hinzu kommt, dass öffentliche 

Banken  dominieren  das  dortige Bild  dominieren81.  Eine  besondere Betroffenheit  von der 

Finanzkrise wäre daher nicht zu erwarten. Der zweite Indikator – die Außenhandelsbilanz – 

ist mit  ‐7,8% am BIP82 negativ. Alles spricht  für eine Einordnung die Kategorie D. Erwartet 

wird deshalb  (erstens) eine Reaktion  auf die  Finanzkrise, die nicht mehr  als das Nötigste 

umfasst, und (zweitens) verschwindend geringe Wirtschaftsbelebungskonzepte. 

 

Indien war  (wenn auch nur mittelbar) von der Finanzkrise betroffen. Unternehmen hatten 

sich  im  großen  Stil  auf  kurzfristige  Finanzierungen  über  Fremdwährung  eingelassen. Dies 

führte nach Umschuldungsversuchen auf die Eigenwährung zu Kreditknappheit. Hier musste 

Indien mit Geldern  an Unternehmen  aushelfen. Große Banken waren  hier  also  nicht  das 

Problem.  

                                                            79 Langhammer/Heilmann 2010 S.28 80 Diese Aussage ist im Zusammenhang mit entsprechenden Referenzwerten aus anderen (untersuchten) Ländern zu betrachten.  81 Debroy, Bibek: India Country Report; In: Bertelsmann‐Stiftung: Managing the Crisis – A comparative Analysis of Economic Governance in 14 Economies. Gütersloh. 2010. S.4 82 Dieser Wert ist Debroy 2010 entnommen: 14,1% am BIP Export gegen 21,9% am BIP Import für das Wirtschaftsjahr 2007/08. Als Wert: ca. ‐43 Mrd. Dollar (aus: Statistisches Bundesamt 2009a) 

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Die Notenbank senkte den Leitzins in kleinen Schritten83.  

Auf die Wirtschaftskrise  reagierte man sehr spät und  in sehr geringem Umfang. Man ging 

davon  aus, nahezu nicht  von der Krise betroffen  zu  sein.84 Mit 0,3%  am BIP85  liegen die 

Inder  nur  knapp  über  dem  Wert  von  Brasiliens  Konjunkturengagement.  Drei  „fiscal 

packages“ (mit der Senkung von indirekten Steuern und sektorenspezifischen Maßnahmen) 

wurden  zwischen Oktober  2008  und  Februar  2009  geschnürt.  Schon  vor  der  Krise  hatte 

Indien  –  in  Erwartung  eines  leichten  Abflauens86  der Wachstumsraten  –  gegenzyklische 

Maßnahmen ergriffen.  

 

Wird Indien seiner Einstufung (C) gerecht?  

 

Ja. Wie erwartet sprang Indien den Unternehmern zur Überbrückung nur so weit wie nötig 

bei.  Die  Konjunkturpakete  hielten  sich  in  Grenzen.  Schon  die  Bemerkung  von 

Langhammer/Heilmann, für Indien hätten sich zu dieser Zeit mit den Terroranschlägen von 

Mumbai und anderen Vorkommnissen größere Probleme ergeben,  lässt Schlüsse zu. So  ist 

es nicht verwunderlich, dass es zu keinen „remarkable changes  in  financial regulation and 

supervision“87  kam.  Lediglich  von  den  Plänen,  den  Finanzmarkt weiter  zu  öffnen, wurde 

Abstand genommen.  

 

Führt die Bestätigung von H1 in diesem Fall zur Verwerfung von H2? 

 

Im India Country Report widmet Debroy den Interessengruppen nicht sehr viel Platz. Es  ist 

lediglich  davon  die  Rede,  dass  die  Exportlobby  steigende  Arbeitslosenzahlen  in  diesem 

Sektor immer wieder betonte, was von den Medien regelmäßig aufgegriffen wurde.88  

Die Anmerkung, dass Indiens Politiker erst spät das Ausmaß der Krise erkannt hätten89, trägt 

nicht zur Sache bei – es sei denn, man wolle prozessbedingte Reaktionsverzögerungen als 

innerstaatliche Entscheidungsabweichung werten.  

Von  gezielter  und  messbarer  Interessendurchsetzung  kann  hier  (nach  vorliegendem 

Wissensstand) nicht die Rede sein.  

                                                            83 Vgl. Langhammer/Heilmann 2010 S.13 84 Vgl. ebd. S.21 85 ILO 2009 S.25; Langhammer/Heilmann 2010 S.14 geben einen Korridor von 0‐4% an. 86 Dagegen behauptet Debroy 2010 an verschiedenen Stellen, das Indien nie mit einem Abflauen der Wirtschaft gerechnet hätte. 87 Debroy 2010 S.29 Z15f 88 Ebd. 2010 S.15 89 Langhammer/Heilmann 2010 S.13 

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D.5 Großbritannien 

 

Das Vereinigte Königreich wird der Kategorie B zugeordnet. Mit ‐178 Mrd. Dollar90 weist die 

Handelsbilanz einen deutlich negativen Betrag auf. Auch die Zeilen‐Zugehörigkeit  ist  leicht 

zu ermitteln. Die City of  London  ist das größte  Finanzzentrum der Welt mit dem größten 

Versicherungs‐ und Eurobondmarkt sowie dem zweitgrößten Devisenmarkt91. 3% des BIP92 

im Jahr wurden 2004 nur von der City erwirtschaftet. Der Finanzsektor trägt insgesamt 8,8% 

(2008)93 bei. Allein  in den  letzten 9  Jahren hat die Finanzwelt „massively“94 Gelder  in den 

Steuersäckel gespült: 250 Mrd. Pfund95. Großbritannien hat sich ausländischen  Investoren 

weit geöffnet96.  

Die  typische  Verflechtung  von  Finanz‐  und  Industriekapital  entstand  auf  der  Insel  nicht. 

Vielmehr kam es in der Geschichte zu einer Abgrenzung der jeweiligen Interessen. Während 

die  (in manchen Bereichen unfreiwillige) Deindustrialisierung  ihren Lauf nahm, konnte nur 

die  City  seit  den  80ern  mit  Wachstumsraten  glänzen.  Zur  Zahlungsbilanz  trägt  man 

immerhin jedes Jahr über 20 Mrd. Pfund bei.97 

 

Die Finanzkrise traf Großbritannien wie erwartet: „the United Kingdom is one of the hardest 

hit countries  in the Western World“98. Die Bank ‚Northern Rock‘ musste nach vergeblicher 

Einlagengarantieversprechen verstaatlicht werden99.  

Man  reagierte  in  der  Folgezeit  sehr  schnell mit  der Unterstützung  und  Stabilisierung  des 

Finanzsystems. Angesetzt wurde  in dreierlei Hinsicht: erstens erlaubte der Banking Act von 

2009 Verstaatlichungen von Banken und  reorganisierte die Financial Security Authority100; 

                                                            90 Wert aus Statistisches Bundesamt 2009a 91 Vgl. dazu Busch, Andreas: Großbritannien in der Weltwirtschaft; In: Kastendiek, Hans / Sturm, Roland (Hrsg.): Länderbericht Großbritannien – Geschichte – Politik – Wirtschaft – Gesellschaft – Kultur. Opladen. 2007. S.422f. In Busch, Andreas: United Kingdom Country Report; In: Bertelsmann‐Stiftung: Managing the Crisis – A comparative Analysis of Economic Governance in 14 Economies. Gütersloh. 2010. S.2 spricht Busch nur noch von „einem der führenden Finanzzentren mit New York“.  92 Wert aus Busch 2007 S.423 93 Langhammer/Heilmann 2010 S.30 und Busch 2010 S.2 94 Dieser Ausdruck bei Busch 2010 S.2 Z31 verdeutlicht die Wichtigkeit des Finanzsektors für den britischen Staat. 95 Busch 2010 S.2 96 Ebd. S.4 97 Zu diesem Abschnitt vgl. Busch 2007 S.413ff 98 Busch 2010 S.6 Z16f 99 Vgl. Glebe 2008 S.126; Schirm 2009 S.2 spricht von einer Rettung und großen Geldinjektionen, an späterer Stelle von Verstaatlichung im Herbst 2008 (S.11) 100 Langhammer/Heilmann 2010 S.30 

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zweitens wurde der Leitzins (u.a.  im November 2008 von 4,5% auf 3%101) gesenkt; drittens 

waren  die  Rettungspakete mit  663 Mrd.  Euro  (davon  50 Mrd.  Euro  direktes  Kapital  für 

Banken)102  sehr  umfangreich  ausgestaltet. Graphik  3  zeigt,  dass  sich  Großbritannien mit 

großen Summen auf die Stabilisierung des Finanzsektors gestürzt hat. 

 

Die  Reaktionen  auf  die  Wirtschaftskrise  sieht  Schirm  ebenfalls  sehr  umfangreich.  Den 

Aussagen des deutschen  Finanzministers Peer  Steinbrück und einiger Regierungsvertreter 

Großbritanniens  folgend,  glaubt  er  „krassen  Keynesianismus“103  zu  erkennen.  In 

Wirklichkeit wurden vor allem die Steuern gesenkt104, um die Wirtschaft wieder in Schwung 

zu bringen. Mit 1,4% am BIP  (incl. Steuersenkungen)105 sind die Konjunkturprogramme  im 

internationalen Vergleich eher gering. Busch bezeichnet die Stärkung der Realwirtschaft als 

„bescheiden“106. 

 

Wird Großbritannien seiner Einstufung (B) gerecht?  

 

Ohne Einschränkung: ja. Großbritannien hat sich modellgetreu verhalten. Auch die Warnung 

der  Briten  (vor  allem  in  Richtung  der  europäischen  Großstaaten  gerichtet)  vor 

protektionistischen Maßnahmen, Schmälerung der Markteffizienz und  ‚Überregulierung‘107 

passt in dieses Bild. 

 

Führt die Bestätigung von H1 in diesem Fall zur Verwerfung von H2? 

 

An dieser Stelle gäbe es Diskussionsbedarf, wenn Schirm nicht in der Annahme irr gelaufen 

wäre, die Briten hätten (im  internationalen Vergleich) umfangreiche Konjunkturprojekte  in 

Angriff  genommen. Trotz der  Steuersenkungen erreichen die Maßnahmen  (vom heutigen 

Wissensstand aus gesehen) nicht das nötige Gewicht zur Einstufung als ‚umfangreich‘. 

                                                            101 Vgl. Glebe 2008 S.126 102 Ebd. S.126 103 Schirm 2009 S.11 Z7; so greift Schirm 2009 S.11 u.a. einen Ausspruch Browns („extraordinary times require extraordinary action“) und einen Kommentar Steinbrücks zum ‚deficit spending‘ der Briten auf.   104 Busch 2010 S.10 und Schirm 2009 S.11 mit der Ergänzung, dass die Verschuldung Großbritanniens deswegen massiv vorangetrieben wurde 105 Wert aus Busch 2010 S.10; ILO 2009 S.25 gibt 1,3% an; Langhammer/Heilmann 2010 S.14 schreiben von  1 bis 2% 106 Busch 2010 S.24; ähnliches deuten Langhammer/Heilmann 2010 S.16 an 107 Schirm 2009 S.8f 

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Schirms Folgerungen, wonach die Regierungen von Deutschland und Großbritannien stark 

von  innerstaatlichen  Interessen  und  Ideologien  beeinflusst  würden108, wird  dadurch  die 

Grundlage entzogen. Zwar  ist nicht abzustreiten, dass es  starke,  informelle und etablierte 

Netzwerke109  zwischen  Regierung  und  Finanzsektor  gibt;  man  hätte  aber  auch  völlig 

unabhängig  von  einem  (wahrscheinlich  wirklich  existierenden)  Einfluss  der  Finanzlobby 

entsprechend  reagiert.  Denn:  „the  interests  of  the  government  and  the  financial  sector 

pulled  in  the  same  direction”110.  Natürlich  würden  starke  Regulierungsversuche  und 

Restriktionen  für Banker zu massiver Gegenwehr111  führen. Aber gerade weil H1 gilt, wird 

dieser  Fall – dem nationalen  Interesse  geschuldet –  gar nicht erst eintreten. Busch dazu: 

„the Labour government was fully aware of the power and economic importance of the City 

of London to the United Kingdom’s economy“112. 

 

Während man mit H1  fest  im Sattel sitzt, kann die Geltung von H2 höchstens als Vorwurf 

gegen die britische Regierung,  sich  zu  sehr von Finanzinteressen  leiten  zu  lassen, genutzt 

werden. 

 

D.6 USA 

 

Die Vereinigten  Staaten werden  –  trotz des  enormen Außenhandelsdefizits  von mehr  als 

815 Mrd. Dollar113 – der Kategorie A zugeordnet.  

Zunächst fällt die Einordnung in die Zeile ‚betroffen von der Finanzkrise‘ leicht. Der Großteil 

der  faulen  Papiere  kommt  aus  den  USA114.  Die Wichtigkeit  der  Finanzwirtschaft  für  die 

Amerikaner  lässt  sich  auch  aus  der  Ernennung  des  Ex‐CEO  der  Investmentbank Goldman 

Sucks, Henry Paulson, zum Treasury Secretary115 erschließen. Personen aus diesem Umfeld 

sorgen naturgemäß  für Finanzmarktliberalisierung. Falke drückt es so aus:„The temptation 

for  politicians  to  acquiesce  to  financial  liberalization  and  lax  regulation  was  strong,  as 

financial sector strength promised prosperity and rising tax revenues …“116. 

                                                            108 Ebd. S.13 109 Busch 2010 S.7 110 Ebd. S.16 Z6f 111 Ebd. S.24 112 Ebd. S.2 Z24‐26 113 Wert aus Statistisiches Bundesamt 2009a 114 Stellt Falke, Andreas: USA Country‐Report; In: Bertelsmann‐Stiftung: Managing the Crisis – A comparative Analysis of Economic Governance in 14 Economies. Gütersloh. 2010. S.4 fest. 115 Ebd. S.3; Falke weist darauf hin, dass sowohl die Demokraten, als auch die Republikaner ihre Finanzminister von Goldman Sucks rekrutieren. (S.6) 116 Falke 2010 S.6 Z6‐9 

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Die  Zuordnung  der  USA  zur  Spalte  ‘Exportabhängigkeit’  lässt  sich  nicht  durch  die 

Außenhandelsbilanz erklären. Trotz des immensen Defizits sind die Vereinigten Staaten aber 

als exportabhängig einzustufen. Völlig in den Weltmarkt integriert, wäre ein totaler Wegfall 

von  Ausfuhrumsätzen  nicht  verkraftbar117.  Die  Zahl  der  Arbeitsplätze,  die  mit  der 

Exportindustrie verbunden sind, ist beträchtlich.  

Erklären  lässt  sich  die  Exportabhängigkeit  bei  gleichzeitigem  Negativ‐Vorzeichen  der 

Handelsbilanz nur durch den enormen Gesamtaußenhandelsumsatz der USA. 

 

Die  Vereinigten  Staaten  wurden  (als  Ursprungsland)  mit  der  ganzen  Härte  der  Krise 

getroffen.  Der  Dow  Jones  Index  viel  von  über  11000  Punkten  auf  unter  7000118.  Das 

Bankhaus Lehman Brothers verschwand von der Bildfläche. Die Realwirtschaft hatte in allen 

Bereichen und besonders in der Automobilbranche119 zu kämpfen.  

 

Die  Amerikaner  reagierten  widerwillig  auf  den  drohenden  Zusammenbruch  des 

Finanzsystems. Man äußerte im Vorfeld des TARP‐Programms zur Bankenrettung Bedenken, 

weil  auch  einfache Hausbesitzer  und  kleine  Investoren  große  Verluste  erleiden mussten, 

während  aber Großbanken  geholfen werden  sollte120. Hier  diskutierte man  nicht,  beiden 

Gruppen  zu  helfen,  sondern  ‐  wenn  möglich  ‐  keiner.  Die  Abfolge  der  ergriffenen 

Maßnahmen  in nachfolgender Tabelle deutet auf ein  ‚nicht‐mehr‐als‐nötig‘‐Vorgehen hin. 

Schon  die  Nicht‐Rettung  der  Lehman‐Bank  zeigt,  dass  man  sich  nach 

Geldmengensteuerungsversuchen  eher  widerwillig  den  nötigen  Bankenrettungen 

verschrieb. 

 

 

 

 

 

 

 

                                                            117 Vgl. ebd. S.4 118 Siehe dazu Schirm 2009 S.2 119 Darauf weist Falke 2010 S.6 hin. Genau so für Deutschland, ist auch in den USA nicht zu sagen, ob eine Automobilkrise auch ohne eine vorherige Finanzkrise zu erwarten gewesen wäre.  120 Falke S.6f; das TARP‐Programme umfasst ca. 700 Mrd. Dollar 

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26  Tabelle 4: Wichtige Maßnahmen der US‐Regierung im Finanzsektor121  

Datum  Maßnahme  Art der Maßnahme 22. Januar 2008  Leitzinssenkung von 4,25% auf 3,5%  Geldmengensteuerung 30. Januar 2008  Leitzinssenkung von 3,5% auf 2,0%  Geldmengensteuerung 18. Februar 2008  Leitzinssenkung von 2,0% auf 2,25%  Geldmengensteuerung 30. Juli 2008  Verschärfung der staatlichen Aufsicht 

der Immobilienmärkte angekündigt  Regulierung 

7. September 2008  Federal Housing Agency übernimmt als zuständige Behörde die Kontrolle über Fannie Mae und Freddie Mac 

Regulierung  (de facto aber Bankenrettung) 

15. September 2008  Bankhaus Lehman Brothers wird nicht gerettet und geht unter 

 

16. September  Großer Versicherer American International Group (AIG) wird mit 79,9% verstaatlicht 

Bankenrettung 

19. September 2008  Vorübergehendes Verbot von Leerverkäufen 

Regulierung 

8. Oktober 2008  Erneute Finanzspritze für die AIG  Bankenrettung 21. Oktober 2008  Rettungsfonds (Geldmarktfonds) wird 

mit 540 Mrd. Dollar gestützt Bankenrettung 

 

Sowohl zur Bankenrettung, als auch für die Realwirtschaft wurden nach  ILO‐Angaben über 

5% am BIP122 ausgegeben oder bereitgestellt. Als zentrale wirtschaftliche Maßnahme kann 

der Paulson‐Plan gesehen werden, der in Form eines „Emergency Economic Stabilization Act 

of 2008“ im Oktober 2008123 verabschiedet wurde. Obama startete ein weiteres Programm 

von 787 Mrd. Euro (noch einmal 5,8% am BIP124). Geplant ist ein weiteres Paket von 50 Mrd. 

Dollar für Infrastruktur und Fördergelder und ca. 100 Mrd. Steuererleichterungen125. 

 

Zwangsläufigkeiten oder Einfluss aus der black‐box? 

 

Schon  die  vorübergehende  Ablehnung  des  Paulson‐Plans  durch  den  Kongress  Ende 

September 2008126 oder die Verteufelung von Bankenrettungen als ‚Zitronensozialismus‘ 127 

deuten auf eine ablehnende Haltung der amerikanischen Gesellschaft gegenüber staatlicher 

                                                            121 Daten aus Glebe 2008 S.127f 122 ILO 2009 S.25; Schirm 2009 S.11 spricht von 4,8% über einen Zeitraum von 2008‐2010; Langhammer/Heilmann 2010 S.14 geben einen Wert bei knapp 6% an.  123 Dazu Glebe 2008 S.129 124 Vgl. Falke 2010 S.9 oder auch Seith, Anne: Obamas Angst vor dem S‐Wort – US‐Konjunkturprogramm; In: Spiegel 07.09.2010. Hamburg. 2010. (abrufbar unter: http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/0,1518,716141,00.html ) 125 Vgl. Seith 2010  126 Vgl. Glebe 2009 S.129 127 Gemeint ist die Erhaltung von nicht wettbewerbsfährigen Banken bei: Krugman, Paul: Banking on the Brink; In: New York Times vom 3. Dezember 2009. New York. 2009. (abrufbar unter: http://www.nytimes.com/2009/02/23/opinion/23iht‐edkrugman.1.20368898.html?_r=1 ) 

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Intervention128  hin.  Sind  die  zögerlichen  Bankenrettungen  Ausfluss  einer 

gesamtgesellschaftlichen Denkweise? 

Auch  Interessengruppen  scheinen  ihren  Einfluss  geltend  zu machen.  Falke129  spricht  von 

Lobbying  seitens  des  Bankensektors,  den  großen  Automobilfirmen  und  deren 

Gewerkschaften.  

 

Die Antwort: mag sein ‐ es geht aber auch ohne innerstaatliche Einflüsse. Fakt ist, dass der 

Paulson‐Plan  ohne  gravierende  Änderungen  wenige  Tage  später  (mit  dem 

Notwendigkeitsargument) vom Kongress gebilligt wurde.  

Einzig  Krugmans  Aussagen,  welche  die  Meinung  eines  Großteils  der  amerikanischen 

Wissenschaft  und  Gesellschaft  widerspiegeln,  könnten  sich  in  der  Zögerlichkeit  bei  der 

Bankenrettung ausgewirkt haben.  

Trotzdem stellt Falke (auch in Hinblick auf das Lobbying seitens der Automobilbranche) fest: 

„Indeed, policy makers had little choice but to offer support.“130 

 

Erklären kann man die Reaktion der Vereinigten Staaten auch ohne H2. Trotzdem muss der 

(im  amerikanischen  Volk  verwurzelten)  ideologischen  Einstellung  und  gewisser 

Lobbytätigkeit (in Hinblick auf Entscheidungsfindungsprozesse im Kongress) – bei vertiefter 

Betrachtung – Raum gegeben werden.  

 

 

 

E Schlussfolgerungen und Probleme der Untersuchung 

 

Die gute Nachricht: es gibt ‐ trotz der (nahezu131) zufällig gewählten Großökonomien ‐ keine 

groben Ausreißer. Die H1‐These, wonach die einzelnen  Staaten  auf die Wirtschafts‐ oder 

Finanzkrise  –  (nahezu)  frei  vom  Einfluss  von  innerstaatlichen  Akteuren  –  ähnlich  oder 

unterschiedlich je nach Art und Stärke ihrer Betroffenheit reagieren, kann mit nur wenigen 

Abstrichen als Regel gelten. 

 

                                                             128 Stellt auch Seith 2010 fest 129 Vgl. Falke 2010 S.8 130 Falke 2010 S.8 Z23 131 Ergebnisoffen wurde aber darauf geachtet, dass jede Kategorie befüllt werden konnte.  

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28  Tabelle 5: Überblicksdarstellung zur Anwendbarkeit von H1 und H2 

  

Während  die  Zeilenunterschiede  (Finanz‐  oder  Finanz‐und Wirtschaftskrise)  des Modells 

qualitativ bequem ermittelt werden konnten, bereitete der  Indikator  ‚Außenhandelsbilanz‘ 

im Fall der USA Probleme. Erst eine qualitative Betrachtung vermochte Klarheit zu schaffen. 

Deshalb  ist  zu  überlegen,  ob  dieser  Indikator  durch  zwei  oder  drei  ähnliche  (aber 

detailliertere) Kennzahlenvergleiche ersetzt werden  könnte.  Im Brasilien‐Fall ergaben  sich 

mit der Dann‐Aussage Probleme. Erst das Abweichen von der (quantitativen) Messung der 

Stimulus‐Paket‐Größe  ‐ hin  zu einer Betrachtung von nationalen Besonderheiten  ‐ konnte 

scheinbare Unregelmäßigkeiten aufklären. 

 

Eine  andere  Überlegung  bleibt  hängen:  Deutschland  und  Brasilien  könnten  unter 

Ausnutzung der Konjunkturprogramme anderer Länder (besonders China für die Brasilianer) 

und  eben  nicht  durch  eigene  Stimuluspakete  im  Bereich  ‚Export‘  profitieren  /  profitiert 

haben. Besonders in Hinblick auf die Vorwürfe der USA gen Deutschland, diese gäben nicht 

genug Gelder  für eine Wirtschaftsbelebung aus, und dem niedrigen Konjunkturprogramm‐

am‐BIP‐Anteil  Brasiliens  lassen  sich  Vermutungen  in  diese  Richtung  anstellen.  Bewusstes 

Trittbrettfahren als taktisches Kalkül soll an dieser Stelle aber nur erwähnt werden. Weitere 

30 Seiten könnten hierzu gefüllt werden. 

 

Für H2 kann in abschließender Betrachtung die (fast zwingend logische) Tendenz aufgezeigt 

werden, dass finanzwirtschaftliche Liberalisierung mit einem liberalen Interessengefüge auf 

innerstaatlicher Ebene einhergeht (Extremfall USA).  

Insgesamt betrachtet, bleibt der Einfluss von Interessengruppen weit hinter den – vor allem 

von  Schirm  vorgezeichneten  –  Erwartungen  zurück.  Der  Grad  des  Einflusses  kann  nicht 

immer klar  festgestellt werden. Der Eindruck  ist, als ob es  sich  im Zweifel dann doch um 

nationale  Interessen  (insb. Wirtschaftswachstum) handelt. Meist eilen  im besten Falle die 

Regierenden mit  ihren Entscheidungen den  (noch nicht einmal artikulierten) Forderungen 

von Lobbygruppen voraus.  

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