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in der Beck’schen Reihe

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Im Zentrum dieses informativen Überblicks stehen die Ereig-nisse der Reformation vom Thesenanschlag 1517 bis zumAugsburger Religionsfrieden 1555 unter Berücksichtigung derneuesten sozial- und religionsgeschichtlichen Forschungser-gebnisse. Das Buch skizziert ferner die Deutungsmuster derReformation, die je nach Lager – z.B. katholisch, marxistisch,protestantisch, sozialhistorisch – stark differierten.

Luise Schorn-Schütte ist ordentliche Professorin für NeuereGeschichte unter besonderer Berücksichtigung der FrühenNeuzeit an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frank-furt am Main. Ihr spezielles Interesse gilt der Umbruchphasevom 15. zum 16. Jahrhundert sowie der Geschichte des politi-schen Denkens in der Frühen Neuzeit.

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Luise Schorn-Schütte

DIE REFORMATION

Vorgeschichte – Verlauf – Wirkung

Verlag C.H.Beck

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Den Potsdamer Studentenund Mitarbeitern

OriginalausgabeISBN 3 406 41054 5

2. Auflage 2000Umschlagentwurf von Uwe Göbel, München

Verlag C. H. Beck oHG, München 1996Gesamtherstellung: C. H. Beck’sche Buchdruckerei, Nördlingen

Printed in Germany

www.beck.de

Die Deutsche Bibliothek – CIP-Einheitsaufnahme

Schorn-Schütte, Luise:Die Reformation : Vorgeschichte – Verlauf – Wirkung /Luise Schorn-Schütte. – Orig.-Ausg. – 2. Aufl. – München :Beck, 2000

(C. H. Beck Wissen in der Beck’schen Reihe; 2054)ISBN 3 406 41054 5

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Inhalt

I. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7

II. Kontinuität und Umbruch. Religion, Politik, sozialeOrdnung am „Vorabend der Reformation“ . . . . . . . . . 121. Humanismus und Reform von Kirche und Reich. . 132. Ständische Ordnung und sozialer Wandel . . . . . . . . 19

III. Reformatio als renovatio? Die Rahmenbedingungendes reformatorischen Aufbruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261. „Es begann mit Luther“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272. Kaiser, Reich und Reformation . . . . . . . . . . . . . . . . . 363. Der „Zürcher Weg“. Der radikale Flügel

der Reformation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

IV. Resonanz und Rezeption. Reformation und sozialeGruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541. Bauernkrieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542. Stadtreformation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 613. Die Bewegung der Ritterschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 68

V. Spaltung und Verhärtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 721. „Fürstenreformation“ und die Verfestigung

des Protestantismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 722. „Doppelte Staatlichkeit“ in der Frühen Neuzeit?

Reichsständische Freiheit, konfessionelle Differen-zierung und die kaiserliche Universalmonarchie . . 77

3. Religionskompromiß im Reich: Augsburg 1555. . . 88

VI. Aspekte und Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 911. Reformation als geschichtswissenschaftlicher

Epochenbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 912. Die Reformation in der protestantischen kirchen-

geschichtlichen Deutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 943. Die katholische Sicht der Reformation . . . . . . . . . . 98

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4. Marxistische Interpretation: Die Reformationals „frühbürgerliche Revolution“ . . . . . . . . . . . . . . . 100

5. Struktur- und kulturgeschichtliche Deutungenseit den beginnenden achtziger Jahren . . . . . . . . . . . 103

VII.Statt einer Zusammenfassung:Gab es „die“ Reformation? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106

Bibliographische Übersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108

Zeittafel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118

Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120

Namenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124

Register der geographischen Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126

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I. Einleitung

„Es begann mit Hammerschlägen“. So ließe sich das Bild vonder Reformation, das bis heute das historische Selbstver-ständnis der Deutschen prägt, kennzeichnen. Es gilt noch im-mer, selbst wenn deutlich ist, daß die Reformation für dieEntfaltung einer historischen Identität in Deutschland ent-scheidend an Gewicht verloren hat. Gemessen an dem Stel-lenwert, den sie für ein protestantisch-deutsches Selbstver-ständnis seit der Mitte des 19. Jahrhunderts entfaltet hatte, isteine solche Relativierung weder verwunderlich noch zu be-dauern. Die Chance der Gegenwart besteht vielmehr geradedarin, die Deutungsvielfalt, die die Reformation hat über sichergehen lassen müssen, zu entflechten, die einzelnen Angebotein ihrem spezifischen Informationsgehalt zu prüfen und damit– vielleicht – zur Weiterführung historischer Identifikations-muster beizutragen. Denn die Vergangenheit ist kein unabän-derlich feststehender Block eindeutig identifizierbarer Fakten!Sie ist vielmehr eine zeitgebundene Rekonstruktion generatio-nenbezogener Erinnerungen und insofern durch die jeweilsnachfolgenden Generationen neu beschreibbar. Jede Gegen-wart könnte sich eine neue Geschichte schreiben oder, wie esein amerikanischer Historiker jüngst formulierte, „ [...] dieGegenwart [verändert] die Geschichte“ (Brady, Gott, S. 11).

Vor dem Hintergrund dieser Einsichten kann eine Darstel-lung der Reformation selbst für eine so weitgehend säkula-risierte Gesellschaft wie diejenige des wiedervereinigtenDeutschland an Bedeutung gewinnen, in der das Gewicht derchristlichen Konfessionen eher ab- als zugenommen hat. Dennmit der Reformation verbanden sich in den bis 1989 doppel-ten historischen Erinnerungskulturen durchaus gegensätzlicheDeutungsmuster von Vergangenheit. Es ist das Anliegen dieseskleinen Buches, durch deren Skizzierung die Reformation ausihren Zeitbindungen durch vierzig Jahre gegensätzlicher deut-scher Historiographie zu lösen und damit deutlich zu machen,daß bei aller durchaus fruchtbarer Arbeit der vergangenen

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Jahrzehnte die Beschreibung und Deutung des reformatori-schen Geschehens nunmehr wieder neu beginnen könnte!

Das führt zu einer für die frühneuzeitliche Geschichte zen-tralen Verständnisachse: dem Verhältnis von Religion undGesellschaft, von Staat und Kirche. Die Einheit der Christen-heit war das für das vorreformatorische Europa selbstver-ständliche Merkmal; in ihr verbanden sich Kirche und Welt,Religion und Politik miteinander. Daß diese Verzahnung un-heilvolle Wirkungen hatte, sollte bekanntermaßen zum zentra-len Konfliktpunkt für die reformatorische Bewegung werden.Mit der Entfaltung mehrerer konfessioneller Kulturen aberwar die spätmittelalterliche Verzahnung keineswegs beendet,vielmehr in einem sich gegenseitig ausschließenden Wahr-heitsanspruch konfliktverschärfend wirksam. Für den Histo-riker ist diese Tatsache von großer Wichtigkeit, wird darindoch deutlich, daß die Reformation eben nicht, wie von seitender konfessionsbewußten protestantischen Historiographiedes 19. und frühen 20. Jahrhunderts stets betont, den Beginnder Entflechtung von Religion und Politik im Sinne einer Frei-setzung der Individuen markierte. Die Verflechtung von Reli-gion und Gesellschaft im Sinne der Einbindung des Einzelnenin die christliche Gemeinschaft, wodurch die Kontrolle eben-so verstärkt werden konnte wie die Verchristlichung der Le-bensführung, fand stattdessen eine Steigerung – mit allerdingsbegrenztem und konkurrierendem Wirkungsgrad.

Diese den nationalprotestantischen Blick des 19. und be-ginnenden 20. Jahrhunderts korrigierende Sicht macht deut-lich, daß Religion in der Frühneuzeit kein Teil einer wie auchimmer zu definierenden Restmenge „Kultur“ ist. Vielmehrheißt Religion „ebenso Öffentlichkeit und Gemeinschaft“ wie„Einsamkeit und Versenkung“ (Lutz, Einheit, S. 25). „In ei-nem Zeitalter christlicher Einheitskultur mußte“, so schriebder Wiener Historiker Heinrich Lutz (1922–1986) sehr tref-fend, „jedes Ringen um Reform der Kirche [...] unmittelbardie Gesellschaft als Ganzes betreffen.“ (ebd.). Und damitist offensichtlich: Eine Beschreibung der Reformation inDeutschland bedeutet stets Darstellung der wechselseitigen

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Kurfürst Johann Friedrich der Großmütige von Sachsen mit Luther,Spalatin, Brück und Melanchthon. Gemälde von Lucas Cranach d. Ä., um1530. Toledo, Ohio, Museum of Art, Gift of Edward Drummond Libbey.

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Verzahnung von weltlíchen und geistlichen Ursachen, ohnedaß die Dominanz eines einzigen Faktors zu behaupten wäre!Neueren Forschungsansätzen folgend soll vielmehr davon aus-gegangen werden, daß auch für das Zeitalter der Reformationdie Einheit einer zeitgenössischen „Kultur“ als Gesamt vonWerthaltungen, Sinngebungen, Denkformen einerseits und derdaraus resultierenden Formen sozialen, politischen und wirt-schaftlichen Handelns andererseits existierte (Oexle, Kultur,S. 119). Das ist eine klare Absage an eine marxistische Ge-schichtsdeutung und es ist zugleich ein Votum für die Wieder-belebung des Nachdenkens über die Tragfähigkeit einerhistorischen Kulturwissenschaft, wie sie im Deutschland derzwanziger Jahre unseres Jahrhunderts eine gute Traditionhatte.

Bereits diese nur einleitenden Bemerkungen zeigen, vonwelch weitreichender Bedeutung das Nachdenken über dieReformation sein kann: im Blick auf die methodischenGrundfragen historischer Arbeit einerseits, die Relevanz vonGeschichtsschreibung andererseits. Dieser Einsicht folgt dieGliederung der folgenden Ausführungen. Dem beschreibendenTeil schließt sich ein Kapitel an, das den verschiedenen Deu-tungsmustern der Reformation gewidmet ist, die seit der epo-chalen Darstellung der Reformation als „Ursprung der Spal-tung in der Nation“ durch den Berliner Historiker Leopoldv. Ranke (1795–1886) vorgetragen wurden. Das Wissen umdie Verzahnung beider Bereiche muß durchaus betont werden.Die wissenschaftliche Arbeit aber bedarf der analytischenTrennung – das gilt auch für die Geschichtswissenschaft.

Der Charakter einer allgemeinverständlichen Einführungin die Geschichte der Reformation – aus der Perspektive desHistorikers, nicht des Theologen – führte zur Beschränkungauf die Entwicklungen im deutschsprachigen Raum des da-maligen Europa, die mit dem Augsburger Religionsfrieden1555 einen ersten Abschluß fanden. So unbestreitbar dieüberregionale Verzahnung historischer Abläufe auch in derersten Hälfte des 16. Jahrhunderts bereits war, so unbestreit-bar bleibt die Initiatorfunktion der Wittenberger Thesenpu-

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blikation, die ausstrahlende Wirkung ihres theologischen An-liegens. Deren Weiterformung durch den Zürcher ReformatorHuldrych Zwingli (1484–1531) gehört in den politischenRahmen des frühneuzeitlichen Alten Reiches mit hinein, selbstwenn die Autonomie der Schweizerischen Eidgenossenschaftfaktisch seit dem Beginn des Jahrhunderts bestand.

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II. Kontinuität und Umbruch. Religion, Politik,soziale Ordnung am „Vorabend der Reformation“

Es nimmt der historischen Persönlichkeit nichts von ihremCharakter, wenn betont wird, daß sie eingebunden ist indie großen Linien historischen Wandels. Das gilt auch fürMartin Luther (1483–1546). Selbst wenn die protestantischeGeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts seit Leopold v.Ranke die zäsursetzende Bedeutung des Wittenberger Refor-mators besonders hervorgehoben hat, bleibt das Ergebnis derjüngeren Forschung als Relativierung bemerkenswert: Luthersreformatorisches Anliegen war keineswegs so neu wie diesgerne behauptet wurde. Es läßt sich einordnen in eine langeTradition der Kirchenkritik und der Bemühungen um Kir-chenreform seit dem Spätmittelalter.

Äußerlich schienen die weitreichenden Krisen des 14. und15. Jahrhunderts in Gestalt von Schismen und Konzilsbewe-gungen überwunden. Die zahlreichen Reformbewegungen –die älteren v. a. in den Orden und in der Seelsorge (devotiomoderna), die jüngeren in Gestalt der humanistisch geprägtenErneuerungsversuche (eruditio christiana) – waren kirchen-konform; es ging um die „Reinigung“ der Kirche, um ihreRückkehr zu den ursprünglichen Formen. Zu Recht wird diesin der Forschung als „evolutionärer Weg der Erneuerung“ be-schrieben (Lutz, Einheit, S. 96). Nehmen wir hinzu, woraufv.a. der Göttinger Kirchenhistoriker Bernd Moeller unermüd-lich hingewiesen hat, daß nämlich am Vorabend der Refor-mation die Intensität der Frömmigkeit unter den Gläubigen inDeutschland einen Höchststand erreichte (Moeller, Zeitalter,S. 38), so wird die Frage immer brennender: Warum wird ge-rade die Thesenpublikation des Augustinereremiten und Wit-tenberger Theologieprofessors Luther zu einem derart „welt-bewegenden“ Ereignis? Und warum gewann die reformatori-sche Bewegung gerade in Deutschland (von den Zeitgenossenals Altes Reich bezeichnet) und gerade zu diesem Zeitpunkteine so weitreichende Wirkung?

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1. Humanismus und Reform von Kirche und Reich

Wir haben damit die Fragen nach den religiös-kirchlichen, diezugleich diejenigen nach den politisch-verfassungsmäßigenZuständen im Alten Reich am Vorabend der Reformationwaren, gestellt. Offensichtlich hatten gerade in der spätmit-telalterlichen Gesellschaft Deutschlands die allgemeinenSpannungen, Ungleichzeitigkeiten und Widersprüche, die imEuropa der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert überall zubemerken waren, einen Umfang erreicht, der auf Entladungzusteuerte. Die Geschicke des Alten Reiches waren zudem mitdemjenigen des Papsttums auf intensivere Art und Weise ver-bunden als diejenigen der v. a. westeuropäischen, im Werdenbegriffenen nationalen Gesellschaften jener Jahrzehnte. Undschließlich war die Auffassung weit verbreitet, daß es in ho-hem Maße legitim, ja Christenpflicht sei, die Reinigung undReform der Kirche zu betreiben, um das Wachstum derFrömmigkeit und die Entwicklung der Kirche zu befördern.Eben dies war das Besondere der humanistischen Reformbe-wegung! Daß ihr Anliegen stets in die Welt hineinwirkte,selbst wenn zuvörderst die Reform der kirchlichen Institutio-nen gemeint war, wußten auch die Humanisten, insbesonderediejenigen unter den Reformatoren.

Der Humanismus war in erster Linie eine Bildungsbewe-gung, der es unter dem Einfluß der italienischen Renaissanceum die Wiederbelebung der Kultur der klassischen Antikeging, die in Deutschland zur Erforschung der Traditionenauch des deutschen Altertums führte und darin erste Ansätzeeiner nationalen Identität formulierte. Der Humanismus alsBewegung im Interesse tiefergreifender Bildung der Elitenwirkte „im Bewußtsein laikaler Eigenständigkeit und Überle-genheit“ (Moeller, Zeitalter, S. 43) und entfaltete breite Wir-kung für die kirchliche Reformbewegung. In der Person seinesbekanntesten Vertreters Erasmus von Rotterdam (1466/69–1536) fügte sich theologische Grundkritik mit der humanisti-schen Bildungsreform zusammen. Eine humanistische Theo-logie, die sich mit der akademischen Lehre der Scholastik

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auseinandersetzte, gab es schon seit geraumer Zeit. Sie besaßeine spezifische Struktur und „die Frage der christlichen Le-bensführung des Einzelnen, [...] das Ernstnehmen der christli-chen Morallehre“ waren der Grund für die prägende Kraft je-ner Elitenbewegung (Moeller, Zeitalter, S. 44/45). Sie fandihren Platz deshalb vor allem im Umkreis der Universitätenund in den literarischen Zirkeln der um Bildung bemühtenStadtbürger.

Der in diese Richtung wirkende Humanismus begünstigtedie Akzeptanz der Kirchenkritik unter den Zeitgenossen. Die-se war kein Phänomen der Eliten allein. Die tiefe Religiositätder Zeit intensivierte das Empfinden für die Unzulänglichkei-ten der geistlichen Amtsträger einerseits, der Kirche als Insti-tution andererseits. Darin äußerte sich die neue Dimensionder Kirchenkritik: im Unterschied zum Ruf nach einer refor-matio ecclesiae im hohen Mittelalter richtete sich dieser nunerstens gegen die Kirche selbst, insbesondere gegen das Papst-tum; der Ruf nach einer Reform an „Haupt und Gliedern“war kennzeichnend. Zweitens hatte sich eine neue soziale Ba-sis für die Reformforderungen gebildet: nicht mehr frommeKleriker allein wie im Hochmittelalter riefen nach Änderun-gen, nun waren es die Laien selbst in Gestalt des erwähntengebildeten Bürgertums, der städtischen Obrigkeiten, der Lan-desherren.

Am sichtbarsten wurden die Mißstände innerhalb der Prie-sterschaft. Vor allem der Mißbrauch des geistlichen Amtes alsVersorgungsinstitution erregte tiefen Unmut, denn dadurchtraten dessen pastorale Aufgaben in den Hintergrund. Zu-gleich zeigte sich hier die soziale Problematik der alten Kir-che, die in ihrer Struktur als „Adelskirche“ begründet war.Während die hohe Geistlichkeit zumeist dem hohen Adel ent-stammte, rekrutierten sich alle anderen Kleriker aus den übri-gen Gruppen der Gesellschaft, d.h. aus dem Stadtbürgertumund der bäuerlichen Bevölkerung, selbst wenn die viel zitier-ten Bauernsöhne keineswegs das große Potential des Klerusbildeten, von dem häufig noch immer gesprochen wird. DieDistanz zwischen hoher und niederer Geistlichkeit war auch

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eine soziale; sie wurde stabilisiert durch die damit verbunde-nen wirtschaftlichen Unterschiede. Denn während der hoheKlerus durch ausreichende Pfründen versorgt war, fehlte demniederen Klerus (sowohl dem Welt- als auch dem Ordenskle-rus, wobei beide Gruppen in den Gemeinden die pastoralenAufgaben wahrnehmen konnten) recht häufig eine ausreichen-de wirtschaftliche Absicherung. So gab es Kapläne, die mit ei-nem Viertel des Lohns eines Maurergesellen am Anfang des16. Jahrhunderts auszukommen hatten. Die wiederholt geübtePraxis der Pfründenkumulation und Abwesenheit vom Pfarr-ort verschärfte das Problem in seiner Wirkung auf die Gemein-den weiter: die Pfarrverwalter, die stattdessen die pastoralenAufgaben wahrzunehmen hatten (um 1500 waren davon amNiederrhein z. B. die Hälfte aller Pfarreien betroffen), wurdennur unzureichend bezahlt, ihre persönliche oder auch theolo-gische Eignung waren selten Kriterien für ihre Anstellung.

Distanz zwischen hohem und niederem Klerus bestand aberschließlich auch aufgrund der verfassungsrechtlichen Sonder-stellung, die die meisten Bischöfe und viele Äbte als Reichs-fürsten im Alten Reich innehatten. Die damit gebotene Ver-bindung zwischen geistlichem Amt und weltlicher Machtbeschleunigte die Verweltlichung der Amts- und Lebensfüh-rung dieser Würdenträger; aus ökonomischen Gründen warsie im übrigen auch zum Problem des niederen Klerus gewor-den. Denn insbesondere die schlecht ausgestattete und zudemunzureichend ausgebildete Landgeistlichkeit war im Rahmendes kirchlichen Abgabensystems gezwungen, alle Gebührenfür kirchliche Amtshandlungen unerbittlich einzutreiben, alsZusatz zum Lebensunterhalt z. B. Gastwirtschaften oder ande-re Handelsgeschäfte zu betreiben. Nimmt man hinzu, daß dasKonkubinat recht weit verbreitet war, so ist das Bild geschlos-sen: dem Zwang zur Verweltlichung konnten sich nur wenigeentziehen, die von den Laien erwartete Vorbildlichkeit derLebensführung verkehrte sich in ihr Gegenteil, die Unglaub-würdigkeit vieler geistlicher Amtsträger war Realität.

Aus dieser Beschreibung folgt nicht, daß die Alte Kircheinsgesamt verrottet gewesen wäre, wie dies im Kirchenkampf-

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klima des Kaiserreichs der achtziger und neunziger Jahre des19. Jahrhunderts beschrieben wurde. Die Gegendarstellungdes katholischen Kirchenhistorikers Johannes Janssen (1829–1891) hat zur Korrektur dieser Analyse zahlreiche Belege ge-sammelt, die für die heutige Forschung weiterhin Gültigkeithaben; der Reformationshistoriker der Weimarer Republik,Paul Joachimsen (1867–1930), wies darauf zu Recht hin.Trotz der beschriebenen Mißstände existierten durchaus in-takte Klöster; verantwortungsbewußte Priester und Bischöfeversuchten ihre pastoralen Pflichten zu erfüllen. Und auch derstets so beklagte niedrige Bildungsstand der Kleriker warnicht durchgängige Realität. Universitätsbildung z. B. warin 30 bis 50 % der Fälle vorhanden, allerdings ohne einenAbschluß. Diese Zustände wurden innerhalb des katholi-schen Klerus durchaus thematisiert; das Wissen um die Rich-tung wirklicher Lösungen, das mit einer allgemeinen Adels-kritik einhergehen konnte, zeigte sich z. B. im Erbauungsbuchdes Franziskanerpredigers Johannes Pauli (veröffentlicht1518/19): „Es war ein Priester, der ward verklagt vor demBischof“, so heißt es dort, „wie er also ungelehrt war. DerBischof schickte nach ihm und sprach zu ihm: ,Man sagt, wieihr so schlecht zu brauchen seid zu der Pfarre, die ihr habt; ihrsollt euch versetzen lassen.‘ ,Gern, Herr‘, sprach der Priester,,laßt mich Bischof sein und nehmt ihr die Pfarre.‘“ (Lutz, Ein-heit, S. 103)

Für die Geistlichen und die Laien unter den Kirchen-kritikern stand eines fest: die Besserung der Verhältnisse inDeutschland war nur möglich im Zusammenhang einerohnehin immer wieder diskutierten Reform der Reichsverfas-sung. Die aber stellte eine bis dahin ungelöste Aufgabedar; der enge Zusammenhang zwischen Reichs- und Kirchen-reform war durch die Unwilligkeit oder Unfähigkeit des nachder Konzilszeit wieder erstarkten Papsttums aufgelöstworden. Deshalb setzten die Zeitgenossen um 1500 auf dieRealisierung zumindest der Reichsreform große Hoffnungen.Und in der Tat wurde sie innerhalb kürzester Zeit am Endedes 15. Jahrhunderts in Angriff genommen; wichtige Ent-

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scheidungen fielen auf den Reichstagen zu Worms und Augs-burg 1495 und 1500. Mit der Verkündung des allgemeinenLandfriedens 1495 in Worms wurde das alte Fehderechtzugunsten allgemeinverbindlicher Rechtsnormen aufgehoben.Dem Wunsch nach einer weltlichen Obrigkeit, die den Frie-den tatkräftig bewahren könne, entsprach diese Regelungdurchaus.

Und Frieden im Innern wie im Äußern erhofften die Zeit-genossen. Die eklatante Schwäche des Reiches an der Jahr-hundertwende war bedrohlich: der Rechtsunsicherheit im In-nern entsprach die Bedrohung von außen in Gestalt dervordringenden Türken. Angesichts solcher Gefahren versuch-ten die Landesherren – als ständische Kraft im Reich vonnicht zu unterschätzender Bedeutung – ihre territoriale Herr-schaft zu konzentrieren, um sie zu intensivieren. Um so dring-licher wurde nunmehr die Stärkung der Reichsgewalt durchNeuordnung. In zähem Ringen zwischen Kaiser und Reichs-ständen (s. Schaubild S. 41) um das politisch Machbare ge-langen Kompromisse, die sich „als ungemein lebensfähig undzukunftsträchtig erwiesen; das spricht dafür, daß sie den Be-dürfnissen und auch den realen politischen Kräfteverhältnis-sen des Zeitalters einigermaßen entsprachen.“ (Rabe, Jahr-hundert, S. 114).

Als zentrales Entscheidungsorgan fungierte seit 1495/1500der Reichstag als oberstes Organ der Gesetzgebung und poli-tischen Beschlußfassung im Reich. Zusammengesetzt war erals Repräsentation der ständischen Machtträger, ein „Hauchvon nationaler Repräsentation“ ist nicht zu bestreiten. DasReichskammergericht als oberstes Organ der Rechtsprechungwurde erneuert, das römische Recht allmählich zur Grundlageder Entscheidungen gemacht, als Richter fungierten mehrheit-lich studierte Juristen. Das Reichsregiment schließlich war dasschwierigste Anliegen der Reform: als überwiegend ständischorganisiertes Regierungsgremium sollte es permanent tagenund dem Kaiser gegenüber weitgehend unabhängig sein. Da-mit trafen zwei Konzeptionen politischer Herrschaft in einerohnehin gespannten Atmosphäre aufeinander, deren Zielset-

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zungen sich nur schwer vereinbaren ließen: „eine monarchi-sche und eine ständisch-genossenschaftliche Konzeption“(Lutz, Einheit, S. 123), verkörpert im Kaiser Maximilian I.(1459–1519) einerseits, dem Mainzer Kurfürsten Berthold v.Henneberg (1491/92–1504) als Vorsitzendem des Kurfürsten-kollegs andererseits. Diesem „ging es um eine im genossen-schaftlichen Sinne von den Ständen bestimmte und – vor al-lem – an den innenpolitischen Zielen von Recht und Friedenorientierte Regierungsbehörde“ (ebd.), während der Kaiserdiese Einrichtung als unangebrachten Versuch betrachtete,seine Kompetenz als Reichsoberhaupt zu beschneiden. Es istbezeichnend für die politische Kultur um die Wende vom 15.zum 16. Jahrhundert, daß der Mainzer Kurfürst sich mit sei-nen Reformansätzen als Bewahrer von guten Traditionen be-trachtete, für die Religion, Recht, Politik und Ethik aufs eng-ste verknüpft waren und die gemeinsame norma normans derReichsreform abgeben sollten. Stärkung weltlicher Obrigkeitwar für diese Vorstellung nicht gleichbedeutend mit derStärkung der kaiserlichen Herrschergewalt, aber gleichbedeu-tend mit der Verpflichtung der weltlichen Gewalt zum Ein-griff auch in die Belange der Kirche, um die Mißstände imSinne innerer Befriedung zu beseitigen. Daß darin auch ein ge-rüttelt Maß Papst- und Romkritik verbunden mit einer be-merkenswerten Konkurrenz zwischen Landesherrschaft undder Alten Kirche um die Anteile am Steuereinkommen ent-halten war, liegt auf der Hand. Selbst wenn B. v. Hennebergden unbekannten Verfasser jener Anonymschrift, die alsOberrheinischer Revolutionär bekannt und viel erforscht ist,nicht auf dem Wormser Reichstag von 1495 dulden wollte, sozeigt sich in dessen Äußerung das Anliegen der Zeitgenossender Jahrhundertwende, das auch dasjenige des Kurfürstenwar: Beseitigung der Mißstände in Kirche und Gesellschaftdurch Rückkehr zu den Maßstäben christlicher Lebens-führung.

Die Hoffnungen auf die Reichsreform wurden nur halb er-füllt. Dem Reichsregiment gelang die erstrebte Einbindung derkaiserlichen Gewalt nicht. Schon Kaiser Maximilian war es

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möglich, die wiederbelebten oder neugeschaffenen Reichsin-strumente zu umgehen; bereits zwei Jahre später löste es sichwieder auf. Das Eigeninteresse der Landesherren fand sich inder Ablehnung einer übergeordneten Reichsidee mit demmonarchischen Interesse des Kaisers zusammen und zerstörtedie für das Konzept des Mainzer Kurfürsten notwendigereichsständische Solidarität.

In der älteren Forschung wurde das Reichsregiment kei-neswegs so positiv gesehen wie dies hier mit der neueren For-schung geschieht. Unter dem Blickwinkel des nationalen Ein-heitsgedanken des 19. Jahrhunderts bedeutete die zweifelloszu konstatierende Festigung der territorialen Staatlichkeit ge-genüber dem Anspruch des Reiches eine „Niederlage“; dasReichsregiment war gescheitert. Auch wenn dies heute nichtbestritten wird, so ist die Wertung eine andere. In dem Bemü-hen um Reform von Reich und Kirche äußerte sich das für diedeutsche Geschichte des ausgehenden Mittelalters ebenso wieder beginnenden Neuzeit charakteristische Ringen zwischenmonarchischer Reichsgewalt und reichsständischem Autono-mieanspruch. Die Reichsreform war aus der Sicht der Ständedeshalb stets orientiert an verfassungspolitisch „konservie-renden“ Elementen politischer Ordnung; es ging ihnen nichtum „staatliche Verdichtung“ (Rabe, Jahrhundert, S. 113).Die Etablierung eines Dualismus bei der deutschen „Staats-werdung“ war seitdem der Grundzug deutscher Verfassungs-ordnung. Und es wurde zum Grundzug der Reformation inDeutschland, daß sie einerseits von diesem Dualismus geprägtwurde, ihn andererseits in seiner weiteren Entfaltung mitbe-stimmte!

2. Ständische Ordnung und sozialer Wandel

Eine Gesellschaft ist immer im Wandel – diese Binsenwahrheittrifft auch auf die im Vergleich zu modernen Sozialordnungenaußerordentlich statische Gesellschaft der beginnenden Neu-zeit um 1500 zu, die gemeinhin als Ständegesellschaft be-zeichnet wird. Die „neue Dynamik“ (Moraw, Verfassung,

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S. 389) des ausgehenden 15. Jahrhunderts (seit etwa 1470läßt sich eine Zeitphase aufwärtsweisender Konjunktur beob-achten) hatte soziale Kosten, die sich in Gestalt von sozialenUnruhen insbesondere unter der bäuerlichen Bevölkerung inden südlichen Regionen des Alten Reichs wiederfinden. DieZiele der Bauern waren dabei keineswegs auf grundlegendenWandel gestimmt; vielmehr ging es auch hier (wie schon fürdie Reichsreform beschrieben) um die „Erhaltung oder Wie-derherstellung der herkömmlichen Verhältnisse“ (Rabe, Jahr-hundert, S. 197). Der Kampf galt als Auseinandersetzung umdas „alte Recht“.

Die Feststellung der Kontinuität von den spätmittelalterli-chen Bauernerhebungen seit 1431/32 (Tumulte in der Gegendvon Worms) bis zum Bauernkrieg 1525 besagt nicht, daß essich um eine übergreifende, einheitliche Krise um 1500 ge-handelt habe; dazu waren die Kommunikationsstrukturen inder frühneuzeitlichen Gesellschaft denkbar ungeeignet. Fürunsere Überlegungen bedeutsamer ist, daß offensichtlich auchdie soziale Wirkung der Reformation keinen plötzlichen und„grundstürzenden“ Charakter trug: Die Veränderungen in-nerhalb der Ständegesellschaft, die sie auslöste, waren länger-fristig vorbereitet.

Die ständische Gliederung des ausgehenden 15. und begin-nenden 16. Jahrhunderts war eine mehrschichtige; üblich wardie Unterscheidung zwischen Adel, Bürger und Bauer, alle dreiaber konnten einander auch wieder als weltlicher und geistlicherStand gegenübergestellt werden. Der Klerus galt als ersterStand, der Adel als zweiter, der Bürger als dritter (und ab undan auch die Bauern als vierter Stand). Die von allen anerkann-te Legitimität dieser Ordnung rührte aus der Vorstellung, daßdie Ständegliederung bestimmten unterschiedlichen Funktio-nen entspreche. Deshalb galt jeder Stand als unverzichtbar,ihre Gleichrangigkeit aber war damit nicht behauptet. Die be-sondere Würde des Adels wurde allgemein anerkannt.

Die Realität wich von der Dreigliedrigkeit häufig ab. Ameindeutigsten läßt sie sich noch für die rechtlichen Unterschiedezwischen den Ständen beschreiben: für den Bürger galt

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städtisches, für den Bauern dörfliches Recht, der Adel durfte nurvor ein vom Adel besetztes Gericht gestellt werden und derKlerus wurde nach den Regeln des kanonischen (geistlichen)Rechts verurteilt. Gerade das Bemühen der Städte, das Sonder-recht für die Geistlichen, die in ihren Mauern wohnten, zu be-seitigen zeigt, daß die Trennung zwischen den ständischenGruppen auch hier unscharf wurde. Ihre Bindung aufgrundder Geburt erlebte an der Jahrhundertwende eine Relati-vierung, so daß von einer gewissen sozialen Mobilität ge-sprochen werden kann (z. B. Nobilitierung hoher bürgerlicherBeamter).

Gerade der Adel des ausgehenden 15. Jahrhunderts betonteseine ständische Geschlossenheit aber wieder neu, da poli-tisch-soziale Strukturveränderungen seine traditionelle Stel-lung zu bedrohen begannen. Dies geschah vor allem durch dasVordringen des (vornehmlich juristisch) gebildeten Bürger-tums in die Landesverwaltung und den Einsatz von Söldner-truppen für die Friedenssicherung. Da die Tätigkeit in bürger-lichen Geschäften als nicht standesgemäß galt, vermehrtensich adliger Sinnverlust und sein auch für die Zeitgenossen alsunzeitgemäß empfundenes Eintreten für die traditionellen Tu-genden. Der Fall des Götz v. Berlichingen (ca. 1480–1562) istcharakteristisch: die Spannung zwischen ritterlichem Idealund sozialer Wirklichkeit machte ihn zum Fehde führendenRaubritter, der zwar für sich an wirtschaftlichem Spielraumgewann, insgesamt aber dem Ansehen des Adels durchausschadete. Der Versuch der ganzen Gruppe, sich durch denkorporativen Zusammenschluß zum ritterschaftlichen Ver-band (Reichsritterschaften) eine politische Autonomie zu si-chern, war auf Dauer zum Scheitern verurteilt.

Funktionsverlust zum einen, wirtschaftlicher Umbruch zumanderen prägten die Stellung des Adels um 1500. Der Struk-turwandel der Grundherrschaft, der durch die spätmittelalter-liche Agrardepression ausgelöst wurde, veränderte die adligenund die bäuerlichen Lebensformen gleichermaßen. Der Le-bensstandard des Landadels lag zu diesem Zeitpunkt unter-halb desjenigen wohlhabender Stadtbürger, denn der Verfall

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der Getreidepreise und der Wegfall der Leistungen aus zahl-reichen aufgegebenen Höfen hatte einschneidende Einkom-mensverluste zur Folge. Und obgleich sich die Agrarkonjunk-tur um 1470, wie oben erwähnt, wieder belebte, war dieWirkung für den Adel erst mit einer gewissen Verzögerungpräsent, denn die Wiederbesetzung bäuerlicher Hofstellenbrauchte Zeit. Mit zäher Konsequenz weigerten sich die Bau-ern zudem, die Rücknahme der ihren Vorgängern in derspätmittelalterlichen Wirtschaftsflaute zugestandenen Abga-benminderungen zu akzeptieren: die wirtschaftlich schwierigeLage der adligen Grundherren führte zu sozialen Spannungen,der Frieden im Dorf und in der Grundherrschaft war um dieWende vom 15. zum 16. Jahrhundert bedroht.

In dieser Zeitphase prägten sich die Unterschiede zwischendem östlichen und dem westlichen Deutschland aus: man gingverschiedene Wege bei der Entwicklung der Agrarverfassung.Die mit dem neuen Jahrhundert auch für den Adel wirksamwerdende Agrarkonjunktur versetzte ihn in die Lage, immergrößere Landgebiete in Eigenwirtschaft zu bearbeiten mit derfür die bäuerliche Bevölkerung fatalen Wirkung einer neuerli-chen Erhöhung der Dienstpflichten bis hin zur Wiedereinfüh-rung der Schollenpflicht. Die Gutsuntertanen wurden zumZubehör des Gutes, Grundherrschaft wandelte sich zu Guts-herrschaft. War es da verwunderlich, daß sich, wenn auch miteinem deutlichen Schwerpunkt im Süden des Alten Reiches,bäuerlicher Unmut regte? Die Existenz zahlreicher spätmit-telalterlicher Bauernrevolten ist Beleg für die Konflikthaftig-keit der Jahrzehnte vor der Reformation, wobei die Formendes bäuerlichen Unmuts unterschiedlichster Art sein konnten:von der Beschwerde über die Verweigerung der Abgabenlei-stung bis hin zu gewaltsamen Erhebungen. Rein numerischnahmen die Unruhen zu: bis 1450 zählte man vierzehn, bis1500 weitere sechsundzwanzig! Ein Zusammenhang dieserUnruhen wurde von den Zeitgenossen nicht gesehen. Auchdeshalb ist „die Vorstellung von einer langgestreckten konkre-ten Vorgeschichte des Bauernkrieges fraglich“ (Moraw, Ver-fassung, S. 401).

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Und was kennzeichnete die Stadt als Sitz des Bürgertumsam „Vorabend der Reformation“? Gewiß war der Unter-schied zum Land um 1500 nicht so gravierend wie er sichJahrhunderte später darstellte; aber auch für die Zeitgenossenwurden die Lebensformen von Bürgern und Bauern bzw. Adelals unterschiedliche wahrgenommen. Am sichtbarsten äußer-ten sie sich in der Existenz einer Stadtmauer und einer Stadt-verfassung: das eine als Zeichen der Wehrhaftigkeit auch undgerade gegenüber dem Land, das andere als Zeichen der spe-zifischen politischen Existenzform des Stadtbürgertums. In-dem der Einzelne sich durch Eid verpflichtete, für das allge-meine Beste der Stadt einzustehen, wurde er zum Bürger.Diesem gewährte die Stadtverfassung ein weitaus höheresMaß an genossenschaftlicher Selbstverwaltung, als dies aufdem Lande je denkbar gewesen wäre. (Rabe, Jahrhundert,S. 86). Das änderte aber nichts daran, daß es parallel dazusehr herrschaftliche Züge in der städtischen Praxis gab. Be-reits die Stadträte im ausgehenden 15. Jahrhundert betrachte-ten die Bürger als Untertanen, sich selbst als Obrigkeit. Dasinsbesondere in den Reichsstädten weit entwickelte stadtbür-gerliche Selbstverständnis (für dessen Entfaltung spieltenWirtschaftskraft und politische Funktion als Tagungsort desReichstages eine wichtige Rolle) wies allerdings solche Cha-rakterisierungen zurück: zuletzt in den Zunftkämpfen des14./15. Jahrhunderts war die Beteiligung des handwerklich-zünftischen Elements am Stadtregiment durchgesetzt worden.Das Prinzip der wechselseitigen Stützung zwischen Herr-schenden und Beherrschten beruhte auf dem spezifisch vor-modernen Grundprinzip, wonach die Stadt eine Konsensge-meinschaft bildete; die genossenschaftliche Vereinbarungzwischen Gleichberechtigten war die Legitimität stiftendeGrundlage der politischen Ordnung.

Selbstverständlich weiß der Historiker, daß dieses Ideal mitder Realität nicht deckungsgleich war; auch innerhalb derStadtbevölkerung existierten starke soziale Differenzierungen.Bemerkenswert aber ist gerade deshalb, daß sich die Konflikt-parteien innerhalb der städtischen Auseinandersetzungen, die

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um 1500 verstärkt auftraten, einhellig auf das genossen-schaftlich definierte Konsensprinzip beriefen; im stadtbürger-lichen Bewußtsein war es also präsent und diente als Korrek-tiv. Insofern stellten diese Stadtkonflikte nicht den Auftaktzur Beseitigung der Ordnung dar; im Rahmen des Bestehen-den sollte vielmehr die Macht dem Grundprinzip entspre-chend neu verteilt werden. Wandel wurde verstanden alsWiederherstellung der als gut charakterisierten Traditionen:eine Sichtweise, die uns an mehreren anderen Stellen als Cha-rakteristikum spätmittelalterlicher Ordnung bereits begegnetist und die wir zweifelsohne als Charakteristikum auch desbeginnenden 16. Jahrhunderts bezeichnen können!

Stadtunruhen finden sich in allen Stadttypen, die die Städte-landschaft des ausgehenden 15. und beginnenden 16. Jahrhun-derts prägten, nämlich Land-, Reichs- und „halbautonome“Städte (Lutz, Einheit, S. 57/58). Überall dort, wo große Ver-mögen entstanden (wie in Augsburg oder Köln), wuchs auchder Abstand zwischen Arm und Reich, die soziale Ordnunggeriet aus dem Gleichgewicht. Aber auch in Städten, in denenz. B. das Einkommen der Handwerkerschaft um 1500 durch-aus noch ausreichend war, gab es soziale Verschiebungen. DieAusbildung des Verlagswesens auf dem Lande brachte dasstädtische Handwerk in eine Konkurrenzsituation, der esnicht lange standhalten konnte. In wirtschaftlichen Krisen-zeiten, die z. B. in Nürnberg für die Jahre 1501 bis 1503 auf-grund rasant steigender Getreidepreise infolge von Mißerntendurchzustehen waren, wurden diese sozialen Gruppen so-gleich an den Rand der Armut geführt. Die städtische Armen-fürsorge erlebte an der Jahrhundertwende ihre Bewährungs-probe; vielfach war die Neuordnung kommunaler Fürsorgegeboten. Die soziale Spannung verschärfte sich schließlichdurch wachsende Steuerlasten, die in allen Städtetypen für dieFinanzierung neuer Verteidigungssysteme entstanden. Wirt-schaftskrisen und Steuererhöhungen waren in den meistenFällen der konkrete Anlaß für Widerstandsaktionen der Bür-gerschaften, die sehr unterschiedliche Verlaufsformen entwik-keln konnten. Ihren zeitlichen Höhepunkt erlebten sie zwi-

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schen 1509 und 1514, und sie betrafen fast das ganze Reichs-gebiet westlich der Elbe, gingen also weit über die von denbäuerlichen Unruhen erfaßten Gebiete hinaus. Besonders hef-tig äußerte sich der konkrete Zorn gegenüber denjenigen, diezur Steuerlast nichts oder sehr wenig beitrugen, insbesonderedem Klerus.

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III. Reformatio als renovatio?Die Rahmenbedingungen des reformatorischen

Aufbruchs

Der Blick auf die politische, religiöse, soziale und geistigeSituation an der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert läßtdeutlicher werden, als dies die konfessionell fixierten Sicht-weisen vergangener Generationen ermöglichten, daß das AlteReich eine Gesellschaft im Wandel war, für die sich mancheProblemlage mit dem neuen Jahrhundert noch verdichtete, fürderen Lösung aber stets der Maßstab der Wiederherstellungder alten Ordnung galt. Es muß betont werden, daß auch die-ser Anspruch tiefgreifende Veränderungen bewirken konnte!Den Zeitgenossen aber war die Berufung auf die alte Ordnungdie zentrale Legitimation, die jede Forderung nach Wandelbrauchte. Und für sie war diese Forderung deshalb fern allerRevolution, verstanden als Ablösung des Bestehenden. Es istu.a. auch aus diesem Grunde fraglich, ob die Charakterisie-rung der hier beschriebenen Zusammenhänge als gesamtge-sellschaftliche Krise zutrifft. Daß es zahlreiche Probleme aufverschiedenen Ebenen gab, die in wechselseitiger Beziehungmiteinander standen, trifft ohne allen Zweifel zu. Aber es istdurchaus offen, ob sie einen explosiveren Charakter ange-nommen hatten als andere Krisensymptome Jahrzehnte vor-her. Statt jener Deutung, die das Krisenbündel auf eine einzigeWurzel zurückzuführen geneigt ist und damit kausale Bezie-hungen zwischen den einzelnen Phänomen auch dort herstellt,wo sie nicht existieren, spricht vieles dafür, die Parallelitätverschiedener Entwicklungsbereiche zu betonen. Die zeitge-nössische Absicht, Veränderungen durch Wiederherstellungder verfälschten Vergangenheit zu erreichen, ist ja nur gemes-sen an den Wertmaßstäben des zwanzigsten Jahrhunderts re-aktionär. „Reformatio als regeneratio“ – so formulierte esErasmus v. Rotterdam, der Zeitgenosse.

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1. „Es begann mit Luther“

Es gibt Persönlichkeiten in der Geschichte, deren Beurteilungsich dem Historiker aufgrund ihrer erdrückenden Bedeutungzu entziehen scheint. Martin Luther nähert sich dieser Kate-gorie – zumindest für deutsche Historiker. Denn nicht nur dieWirkungsgeschichte stellt ein schwer überschaubares Bündelvon Deutungsmustern dar, auch der historische Luther selbstunterliegt immer wieder und immer wieder neu den unter-schiedlichsten Beurteilungen. In den letzten Jahren stand da-bei im Vordergrund die Frage nach der epochalen Zuordnungdes Reformators: war er „ein Mann des Mittelalters oder ,dererste moderne Mensch‘“? (Schilling, Aufbruch, S. 86). Wiesehr gerade diese Fragestellung zeitgebunden ist, wird vordem Hintergrund der Kontinuitäten zwischen ausgehendemMittelalter und beginnender Neuzeit, die skizziert wurden,deutlich. Das „entweder – oder“ muß heute durch ein „so-wohl – als auch“ ersetzt werden; und auch das Nachdenkenüber die Epochengrenzen wird damit wiederbelebt werdenmüssen.

Luthers Biographie ist diejenige des „Wanderers zwischenden Welten“: bis zu seinem denkwürdigen Schritt an die aka-demische Öffentlichkeit im Jahre 1517 war er der um Glau-bensgewißheit ringende junge Mönch gewesen, ein treuerSohn seiner Kirche, der in seiner starken religiösen Betroffen-heit die intensivierte Frömmigkeit der Zeitgenossen verkör-perte. Am 10. November 1483, dem Martinstag, wurde er inEisleben in Thüringen als zweiter Sohn des Hans Luder (dieÄnderung des Familiennamens hat erst Luther selbst vorge-nommen) und der Margaretha Lindemann geboren. Die vonihm später gern betonte bäuerliche Herkunft ist eine Stilisie-rung. Zwar war der Vater ein Bauernsohn gewesen, hatte esaber durch seinen Einstieg in das konjunkturbegünstigte Berg-und Hüttenwesen zu respektablem Wohlstand gebracht. DieMutter entstammte ohnehin einer angesehenen Bürgerfamilie,vermutlich aus Eisenach. Viele der später führenden Reforma-toren, Bernd Moeller hat darauf hingewiesen, entstammten

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solchen „Aufsteigerfamilien“. Vermutlich auch deshalb wurdefür den Sohn Martin das Jurastudium vorgesehen – ein Studi-engang, der in der frühneuzeitlichen Gesellschaft sozialenAufstieg zwar nicht garantierte, aber doch erleichterte. Seit1501 studierte Luther in Erfurt, zunächst wie üblich an deruntersten, der Philosophischen Fakultät, und schloß dasStudium 1505 mit dem Magistergrad ab. In dieser Zeitwurde Erfurt beherrscht von der philosophischen Richtungdes Nominalismus (Wilhelm v. Ockham/ca. 1285–1347). Fürdie philosophischen Studien bedeutete dies eine weltoffeneAusrichtung, die den jungen Magister nachhaltig prägte: dieTrennung von Vernunft und Offenbarung, für Luthers spätereTheologie grundlegend, entstammte dem Nominalismus. Undauch seine distanzierte Haltung gegenüber allen Lehrautoritä-ten der Kirche war Ergebnis seiner Studien der Schriften desOckham.

Dem Wunsch des Vaters entsprechend begann er im Mai1505 sein Jurastudium in Erfurt. Schon wenige Wochen spätererfuhr sein Lebensplan jene grundlegende Veränderung, derenDarstellung für die Sozialisation von Generationen von Prote-stanten fast ebenso wichtig war wie der öffentliche Thesen-„anschlag“. Auf dem Rückweg vom Besuch bei den Elterngeriet Luther am 2. Juli 1505 auf freiem Feld in der Nähe desDorfes Stotternheim (bei Mansfeld) in ein schweres Gewitter.Ein neben ihm einschlagender Blitz versetzte ihn in solcheAngst, daß er die heilige Anna, Schutzpatronin der Bergleuteanrufend, gelobte: „Hilf du heilige Anna, ich will ein Mönchwerden.“ Die Biographen sind sich einig, daß dieses Gelübdekeineswegs völlig unerwartet in Luthers Leben einbrach; eswar vielmehr Ausdruck jener zeitgenössischen Frömmigkeit,die immer wieder nach der Würdigkeit des eigenen Lebensfragte. „In einer Grenzsituation hatte er sich gebunden“, so ur-teilte zuletzt der Kirchenhistoriker Martin Brecht (Luther, Bd. I,S. 57). Am 17. Juli trat Luther in den strengen Bettelorden derAugustinereremiten in Erfurt ein, vermutlich im Herbst 1506legte er das Ordensgelübde ab und bereits am 3. April 1507folgte die Priesterweihe. Unmittelbar anschließend begann er,

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ebenfalls in Erfurt, sein Theologiestudium; er schloß es rechtrasch innerhalb von fünf Jahren mit dem theologischen Doktor-grad an der erst 1502 gegründeten Universität Wittenberg ab,um dort sogleich als Nachfolger seines Beichtvaters, des Ge-neralvikars seines Ordens Johann v. Staupitz (1469[?]–1524),den Lehrstuhl für biblische Theologie zu übernehmen, den erbis zu seinem Tode 1546 innehatte. Mit der akademischenAufgabe war zugleich die Pflicht der Predigt und der Seelsorgean der Wittenberger Stadtkirche verbunden, die den „schlecht-hin vorbildlichen Mönch“, so das Urteil des katholischenKirchenhistorikers Peter Manns (1923–1991), nun auch sehrdirekt mit den pastoralen Problemen seiner Zeit konfrontierte.

Die neue Doppelaufgabe förderte Luthers intensive Be-schäftigung mit den biblischen Texten: als akademischer Leh-rer hatte er regelmäßige Vorlesungen zu halten, anhand derenNachschriften und Vorlagen wir recht genau über die theolo-gische Entwicklung des jungen Professors informiert sind. Siegeben zugleich einen Eindruck von der kirchenkritischen Hal-tung, die in diesen Jahren bei Luther entstand. Die Tatsache,daß er als Ordensgeistlicher in die strengen Normen eines Bet-telordens eingebunden war, ließ ihn die Kirchenpraxis und diean ihr geübte Kritik seiner Zeit sehr viel unmittelbarer erfah-ren als manch anderen humanistisch gebildeten Zeitgenossen.Luther hat in diesen Jahren eine sehr tiefgreifende theolo-gisch-religiöse Veränderung durchlebt – eine Veränderung, dievon ihm selbst vor allem auch als seelischer Erfahrungsprozeßdurchlitten wurde. Die plötzliche Gewißheit der ausschließli-chen Kraft der göttlichen Gnade für die Erlösung des Einzel-nen, die an die Stelle der „Werkgerechtigkeit“ trat, hat Lutherspäter als sein „Turmerlebnis“ charakterisiert; es ist zeitlichnicht eindeutig zuzuordnen. Zwischen 1515 und 1518 kamdie Erkenntnis bei der Exegese der Briefe des Apostels Paulusan die Römer, die Luther in der berühmten Römerbriefvorle-sung seinen Studenten vortrug. In der Forschung, aber auch inder protestantischen Tradition ist das grundlegend Neue die-ser Auslegung mit dem Begriff der „sola-fide- und sola-gratia-Erkenntnis“ bezeichnet worden. Die Auslegung der Kernstelle

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des Römerbriefes (Römer 1, V. 17) durch Luther selbst ist amüberzeugendsten: „Denn Gott will uns nicht durch eigene,sondern durch fremde Gerechtigkeit und Weisheit selig ma-chen, durch eine Gerechtigkeit, die nicht aus uns kommt undaus uns wächst, sondern von anderswoher zu uns kommt [...].So muß man sich in all diesen Dingen in Demut verhalten, alsob man bisher nichts habe, und die nackte BarmherzigkeitGottes erwarten, statt sich für gerecht und weise zu halten.“(Lutz, Einheit, S. 177).

Luthers „sola“-Theologie (sola scriptura, sola gratia, solafide – allein durch die Schrift, allein durch Gnade, alleindurch Glauben) hatte weitreichende und kritische Konsequen-zen für Theologie und kirchliches Leben. Es war eine Absagean die Lehre von den guten Werken, an die gängige Auffas-sung von der besonderen Würdigkeit des mönchischen Le-bens; es war aber auch eine Absage an die Sakramente derBuße, des Priesteramtes, an den ganzen geistlichen und verfas-sungsmäßigen Aufbau der Kirche. Die Einleitung zur Römer-briefvorlesung, Heinrich Lutz hat dies überzeugend darge-stellt, ist ein „Programm der Erneuerung des christlichenLebens“ (Lutz, Einheit, S. 180). Ohne das humanistische, op-timistische Menschenbild, vielmehr die sündhafte Bindung desMenschen betonend, knüpfte Luther dort an die Kirchenkritikder Zeitgenossen an, verband sie mit pastoralen Reflexionen.Ein differenziert ausgearbeitetes Reformprogramm aber wardiese Vorlesung nicht: Wege und Mittel der Veränderungblieben unbestimmt. Und dennoch wird gerade durch die Ver-zahnung von Theologie und Zeitkritik die systemsprengendeKraft der Lutherischen Theologie greifbar. Es ist nicht mehrdas Zurückbleiben des sündigen Menschen hinter den Forde-rungen des Wortes Gottes, sondern es ist „die Entdeckung ei-nes neuen theologischen Schlüssels, [um] diese Perversion [deskirchlichen Systems] als zwangsläufige, zusammenhängendeFolge einer falschen, in der Kirche zur Herrschaft gelangtenTheologie zu erklären“ (ebd.).

Auch wenn Luthers Kritik seit etwa 1517 rasch immergrundsätzlicher wurde, so hatte er niemals die Absicht, die

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Kirche selbst oder das Papsttum in Frage zu stellen. DerKonflikt entzündete sich denn auch an einer theologischenMarginalie, einem Einzelproblem, das allerdings von großerpraktischer Bedeutung war: der Frage des Ablaßhandels.

Die Verdinglichung des Ablaßhandels war nicht erst durchLuther kritisiert worden; der ganz konkrete Mißbrauch derAblaßbriefe aber, dem Luther als Seelsorger im Herbst 1517begegnete, hatte einen hochpolitischen Hintergrund, der öf-fentliche Kritik nicht wohl ertragen wollte. Albrecht vonBrandenburg (1490–1545), der jüngere Bruder des KurfürstenJoachim, wollte zum Erzbischof von Mainz, damit Primas derdeutschen Kirche und Erzkanzler des Heiligen RömischenReichs Deutscher Nation gewählt werden. Dies war keines-wegs nur eine private Ambition, vielmehr Teil des Konkur-renzkampfes zwischen den beiden Kurfürstenhäusern Sachsenund Brandenburg: die Wahl Albrechts hätte die Machtpositi-on Brandenburgs im Reich deutlich verbessert. Die Wahl einesErzbischofs durch das Domkapitel (das Wahlgremium warzumeist aus hohen Adligen und geistlichen Würdenträgern zu-sammengesetzt) bedurfte der päpstlichen Bestätigung – diesgeschah nur gegen Geldzahlungen, in diesem Falle 14 000Gulden, eine auch für die Zeitgenossen beträchtliche Summe.Da das Mainzer Domkapitel in den letzten Jahren wiederholtsolche „Wahlbestätigungsgelder“ aufzubringen hatte, wurdeAlbrecht verpflichtet, die Zahlungen an den Papst selbst zuübernehmen. Da er zugleich bereits Erzbischof von Magde-burg und Administrator von Halberstadt war, benötigte erzur Legitimierung dieser Ämterhäufung einen päpstlichenDispens, und auch dieser (in Höhe von weiteren 10 000 Gul-den) war zu bezahlen. Albrecht konnte diese Summen nichtohne weiteres aufbringen. Das Angebot aus Rom, den soge-nannten Petersablaß über acht Jahre lang in seinen Territorienverkündigen zu lassen, so daß er die Hälfte der Gelder für sichselbst behalten könne, kam ihm deshalb sehr gelegen. DieZwischenfinanzierung in Gestalt eines Kredits übernahm dasHandelshaus der Fugger, so daß zusammen mit den Ablaß-predigern dessen Beauftragte im Lande umherzogen und von

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den täglich eingehenden Geldern sogleich die Hälfte als Til-gung und Zins für den Kredit einbehielten!

Luther erfuhr von dieser auch für viele seiner Zeitgenossenals ungeheuerlicher Skandal empfundenen Vermischung vonGeld, Politik und Frömmigkeit durch die Berichte seinerBeichtkinder. Der berüchtigte Spruch des AblaßpredigersJohann Tetzel, eines Dominikanermönches, dürfte auch ihmbegegnet sein: „Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele ausdem Fegefeuer springt“. Als Seelsorger wie als akademischerLehrer fühlte er sich zum Handeln verpflichtet; in einemSchreiben, das am 31. 10. 1517 an den Erzbischof Albrechtvon Mainz abgeschickt wurde, bat er um die Korrektur derPraxis und regte eine akademische Disputation an. Als derenGrundlage verfaßte er jene berühmten 95 Thesen, aus derenöffentlichkeitswirksamer Bekanntmachung am Portal derWittenberger Schloßkirche sich die protestantische Identitätüber Jahrhunderte ableitete. Selbst wenn der Thesenanschlagin dieser Form nicht sicher ist: die ursprünglich für eineakademische Auseinandersetzung verfaßten Artikel verbreite-ten sich wie ein Lauffeuer in ganz Deutschland. Innerhalbweniger Wochen waren sie in zahllosen Drucken verviel-fältigt, auch deutsche Übersetzungen lagen vor. Luther selbsthatte dies am wenigsten kalkuliert. Mit einer in deutscherSprache verfaßten knappen Predigt, dem Sermon von Ablaßund Gnade schickte er im Frühjahr 1518 eine Erläuterunghinterher, die den Bekanntheitsgrad der 95 Thesen nochübertraf. Die Zustimmung war außergewöhnlich breit. Selbstviele der späteren Gegner Luthers empfanden die Ablaßkritikals die lang ersehnte Diskussion über innerkirchliche Refor-men.

Die 95 Thesen kritisierten im Rahmen der kirchlichen Ord-nung; die päpstliche Autorität wurde nicht in Frage gestellt.Aber schon in den im Spätsommer 1518 veröffentlichten aus-führlichen Kommentierungen ging Luther weiter: „Es ging umdie fundamentale Frage, was die Kirche und wo die Kirchesei.“ (Lutz, Einheit, S. 186) Immer deutlicher rückte auch dieFrage nach der kirchlichen Autorität in das Zentrum seiner

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Schriften. In der Begegnung Luthers mit dem Kardinal Ca-jetan in Augsburg (Oktober 1518), der dort als päpstlicherLegat am Reichstag teilnahm, verschärften sich die Positio-nen. Die Schriftauslegungskompetenz des Papstes war für denKardinal unverzichtbar; Luther dagegen vertrat sein sola-scriptura-Prinzip nun auch gegenüber dem Lehr- und Lei-tungsanspruch der kirchlichen Amtsträger. Wer dem Sinn derheiligen Schrift auch als Amtsinhaber widerspreche, habe kei-nen Anspruch auf Gehorsam. Zusammen mit Luthers Recht-fertigungslehre sola fide, sola gratia war der unüberbrückbareGegensatz formuliert. Cajetan notierte: „Das bedeutet eineneue Kirche bauen.“

Das Gespräch in Augsburg, eigentlich ein Verhör, wardurch die Vermittlung des Kurfürsten Friedrich des Weisenvon Sachsen (1463–1525), den Landesherren Luthers, zu-stande gekommen. Im Juni 1518 war die förmliche Eröffnungeines Ketzerprozesses gegen Luther in Rom erfolgt, intensivbetrieben durch den Orden der Dominikaner, der zu denschärfsten Gegnern Luthers gehörte; im August hatte eben je-ner Cajetan Luther die Vorladung nach Rom zugestellt. DerKurfürst wollte eine Auslieferung keineswegs problemlos ak-zeptieren, von einem persönlichen Gespräch versprach er sichdurchaus Verständigung. Das ungewöhnliche Verfahren wur-de akzeptiert, weil Kurfürst Friedrich für die Kurie in Rom ei-ne wichtige Persönlichkeit bei der bevorstehenden Kaiserwahlzu werden begann. Denn da man den jungen Enkel des Kai-sers Maximilian, den spanischen König Karl, nicht gerne ak-zeptieren wollte, wurden gute Beziehungen zu den deutschenKurfürsten (als denjenigen, die zu wählen hatten) immer be-deutsamer. Sie waren zu diesem Zeitpunkt sehr viel wichtigerals der Ketzerprozeß gegen Luther.

Die Tatsache, daß der Prozeß für fast zwei Jahre ruhte, hatder reformatorischen Bewegung den Spielraum verschafft, densie zur Etablierung brauchte. Nach seiner Rückkehr ausAugsburg bekannte Luther öffentlich, daß er die päpstlicheAutorität in Glaubensfragen derjenigen eines Konzils unter-ordne und in der im Juli 1519 mit dem Ingolstädter Theolo-

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gieprofessor Johann Eck (1486–1543) in Leipzig geführtenDisputation ging Luther den letzten Schritt: er betonte, daßauch Konzilien irren könnten. Damit hatte er die höchstenkirchlichen Autoritäten einschließlich der für die Glaubensaus-sagen wichtigen Kirchentradition relativiert: in den Augen derKurie war Luther ein Ketzer, in den Augen mancher Zeitge-nossen wurde die Tragweite der lutherischen Positionenerahnbar. Denn wer, wenn nicht die im Konzil versammelteKirche, konnte darüber entscheiden, welche Glaubensaus-sagen der Schrift entsprechen und welche nicht?

Nachdem der spanische König trotz der Interventionen derKurie am 28.6.1519 zum Kaiser gewählt worden war, lebteder Ketzerprozeß gegen Luther wieder auf. Am 15. Juni 1520erging die Bannandrohungsbulle; seit Juli 1520 wurde sie imReich verkündet. Nur der Widerruf hätte die Verurteilungnoch aufhalten können, aber Luther dachte nicht daran. Indrei großen Reformschriften, die er im Laufe des Jahres 1520veröffentlichte, entfaltete er vielmehr seine Positionen. Am3. Januar 1521 wurde die Exkommunikation des Wittenber-gers ausgesprochen; der Kaiser erhielt die Mitteilung am17. Januar auf seiner Reise nach Worms. Der päpstlicheNuntius in Deutschland Alexander berichtete wenig späternach Rom: „Ganz Deutschland ist in hellem Aufruhr. NeunZehntel schreien ,Luther‘, die übrigen, wenn ihnen Luthergleichgültig ist, schreien zumindest ,Tod der römischen Ku-rie‘; jedermann verlangt und schreit nach einem Konzil.“(Lutz, Einheit, S. 194).

Die drei Reformschriften von 1520 (An den christlichenAdel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung;Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche; Von derFreiheit eines Christenmenschen) hatten jeweils unterschiedli-che Adressaten. Waren dies in der ersten Schrift neben demdeutschen Adel auch der soeben gewählte junge Kaiser, aufdem die ungebrochene Hoffnung nicht nur Luthers ruhte, sowaren es in der zweiten Schrift die Theologen, in der drittenSchrift die Christenheit als Ganze. Insbesondere die Babylo-nica verschärfte die Trennung; denn die hier für gelehrte

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Theologen formulierte Unmittelbarkeit des Gotteswortes alsHeilsmittel relativierte die Bedeutung der Sakramente. Lutherbeschränkte ihre Zahl auf drei, und dies wirkte auf die Zeit-genossen provokativ. Der englische König verfaßte eine Ge-genschrift, die Universität Paris erhob öffentlichen Protest,selbst Johann v. Staupitz hielt sich nunmehr zurück. Bei wei-tem aber überwogen die Anhänger Luthers. Sie trugen denschärfer werdenden Antikurialismus mit; sie trugen die immerweiter reichende Kritik an der Verweltlichung des Papsttumsmit, die in dem Satz vom Papst als dem Antichristen gipfelte(Schilling, Aufbruch, S. 104). Für sie war die Forderung nachAufhebung des Zölibats, nach allgemeiner Einrichtung einerkommunalen Armenfürsorge und nach Beseitigung des Zins-kaufs Ausdruck ernstgemeinter Reform von Kirche und Welt.Die in der dritten Reformschrift skizzierte Freiheit eines Chri-stenmenschen gab eine Neubegründung christlicher Ethik.Dem aufmerksamen Leser konnte nicht verborgen bleiben,daß Luther damit eine sehr ernstgemeinte Verbindlichkeit derim Glauben neu gefundenen Freiheit meinte: nicht die Ab-sicht, sich durch christliche Nächstenliebe vor Gott Verdienstezu erwerben, war der Inhalt der Freiheit, sondern die Näch-stenliebe aus wirklichem Gehorsam, wie Luther schrieb: „frei,willig, fröhlich, umsonst.“ Diese immer wieder mißverstande-ne Dialektik des lutherischen Freiheitsbegriffes war keine Auf-forderung zu sittlicher Unverbindlichkeit. Die Gebote Gottesgalten weiter mit der Konsequenz des Gehorsams z.B. auchgegenüber weltlicher Obrigkeit. Die konsequente Formulie-rung der Eröffnungsthese der Schrift lautete: „Eyn Christenmensch ist eyn freyer herr über alle ding und niemandt un-terthan. Eyn Christen mensch ist eyn dienstpar knecht allerding und jederman unterthan.“ Das Ernstnehmen der Weltgeschah durch die Beseitigung der sakramentalen Überord-nung des Klerus: der wirkliche Dienst an Gott vollzog sich imErnstnehmen der alltäglichen Aufgaben durch den Einzelnenin seinem „Stand“ und „Beruf“.

Die Inhalte der Reformschriften machten trotz aller Pole-mik in der Formulierung deutlich, daß es Luther nicht um

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„Revolution“ ging: der Aufruf zur Beseitigung der antichrist-lichen Struktur der Kirche war ein Aufruf zur Rückkehr zuden eigentlichen Formen christlichen Lebens. Und insofernblieb Luther dem spätmittelalterlichen Verständnis von refor-matio verbunden, das wir eingangs für fast alle Lebensberei-che beschrieben haben. Offensichtlich aber gingen die Vorstel-lungen darüber, wie diese ,eigentlichen Formen‘ auszusehenhatten, rasch auseinander; als Richtschnur anerkannte Lutherund mit ihm seine Anhänger nur mehr das Gotteswort. Unddarin lag das Neue, das Neue auch in seiner sozialen und po-litischen Dimension.

2. Kaiser, Reich und Reformation

1519 war der Kaiser in der Reichsstadt Frankfurt gewähltworden, erst nach Jahresfrist – am 23. 10. 1520 – wurde er inAachen gekrönt. Gleich zu Beginn seiner Regierungszeit wirddamit das Dauerproblem zwischen Kaiser und Reich deutlich,das im übertragenen Sinne auch als „Kaiserferne“ der FrühenNeuzeit bezeichnet werden könnte. Karl V. war als Kaiserzugleich König von Spanien und deshalb einerseits vorrangigimmer auch mit den Problemen dieser Region befaßt. Zumanderen aber verstand er sein Kaisertum in erster Linie alsmachtpolitisch orientierte Aufgabe, außenpolitische Zielestanden im Vordergrund seines Interesses. Das heißt nicht,daß er die großen innenpolitischen Spannungen im Reichnicht zur Kenntnis genommen hätte. Aber in seiner Vorstel-lung sollten sich diese relativ rasch lösen lassen, wenn dieStellung des Reichsoberhauptes durch außenpolitische Erfolgeauch im Innern gesichert sein würde. Letztlich kannte derKaiser die Probleme des Reiches nicht, er lernte sie auch nieausreichend kennen. Auf dem sogleich nach der Krönung fürJanuar 1521 nach Worms einberufenen Reichstag solltenmöglichst alle deutschen Fragen leidlich gelöst werden: Es istbezeichnend, daß trotz dieser Absicht die Frage nach Lutherund seines Verhältnisses zu Kaiser und Reich zunächst nichtzu den Beratungsgegenständen gehörten.

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Da es gängigem Reichsrecht entsprach, einer päpstlichenBannbulle sogleich die Reichsacht folgen zu lassen, stand dasReich angesichts der Verkündigung der Bannandrohungsbulleim Sommer 1520 im Zugzwang. Zudem drängte die Kurie zuentschiedenem Vorgehen gegen den Wittenberger Professor;man erwartete die Verbrennung seiner Schriften, Festnahmeund Auslieferung nach Rom. Eine Reihe von Reichsständenunter Führung von Luthers Landesherrn Kurfürst Friedrichdem Weisen widersetzte sich allerdings diesem Verfahren: sorasch wollte man die Chance der Kirchenreform, die sich inLuther zu verkörpern schien, nicht aufgeben. Stattdessen ziel-ten die Stände auf ein selbständiges Verfahren im Reich, daszur Urteilsfindung beitragen sollte; der um Rat befragteErasmus v. Rotterdam schlug ein nochmaliges Verhör Luthersdurch einen Kreis neutraler und frommer Gelehrter vor. Indiesem Sinne verhandelte der sächsische Kurfürst im Novem-ber 1520 mit dem Kaiser. Dieser sagte dem seinerzeit angese-hensten Fürsten des Reiches zu, Luther durch „gelerte undhochverstendige personen“ auf dem Wormser Reichstag ver-hören zu lassen.

Das ganz und gar ungewöhnliche Verfahren wirft ein be-zeichnendes Licht auf das Verhältnis zwischen römischer Ku-rie und Reich einerseits, zwischen dem Kaiser und den Reichs-ständen zum anderen, zwischen Papst und Kaiser zum dritten.Der Anspruch der Reichsstände, ein eigenes Rechtsfindungs-verfahren durchzuführen, war Ausdruck eines tiefen Mißtrau-ens gegenüber der Kurie. Daraus entstand ein Unabhängig-keitsanspruch des Reiches gegenüber der Kirche, der demtraditionellen Verständnis des Verhältnisses zwischen beidenKräften widersprach. Die „Luthersache“ zeigte erstmals, vonden Zeitgenossen in der ganzen Tragweite kaum bemerkt,ihre „verfassungspolitische Sprengkraft“ (Rabe, Jahrhundert,S. 234). Daß der Kaiser diesem Verfahren keinen ernsthaftenWiderstand entgegensetzte, lag gewiß nicht daran, daß er be-sondere Sympathie dem Wittenberger gegenüber empfundenhätte. Für ihn war Luther ein Ketzer, der dementsprechendrasch verurteilt werden mußte. Aber einerseits konnte und

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wollte er die deutliche Parteinahme zahlreicher Reichsständefür Luther nicht einfach unbeachtet lassen, selbst auf die Ge-fahr hin, daß seine kaiserliche Autorität in Frage gestellt wer-den könnte. Denn andererseits war die öffentliche Meinung inDeutschland auch für den Kaiser sichtbar in Bewegung gera-ten; jede Form von Aufständen wie im heimischen Spanienmußte vermieden werden. Und schließlich konnte er mit Hilfeder reichsständischen Forderungen den Papst unter Druck set-zen. Die causa Lutheri erwies sich zu diesem Zeitpunkt untermachtpolitischen Aspekten als ein „kostbares politischesHandelsobjekt“ (Jedin, Konzil, Bd. I, S. 161).

Die Interessengegensätze, die auf dem Reichstag aufeinan-derstießen, waren allerdings so groß, daß gleich nach seinerEröffnung im Februar 1521 weitere Verhandlungen über dasAuftreten Luthers in Worms notwendig wurden. Denn derDruck der Kurie und die Wünsche der Luthergegner unter denReichsständen konnten nicht einfach ausgeblendet werden,andererseits wollte die reichsständische Mehrheit der Lu-theranhänger sich ihr Mitwirkungsrecht in dieser zentralenFrage nicht beschneiden lassen. Und auch der Versuch desKaisers, zumindest den Ausgang des Verfahrens vorher festzu-legen, scheiterte am Widerstand der Mehrheit. Man einigtesich, das eigentlich zugesagte „gehör“ nicht in Gestalt einergelehrten Diskussion, sondern in der Form einer Befragungdurchzuführen. Im Gegenzug mußte der Kaiser Luther freiesGeleit zusichern und die Entscheidung in der „Luthersache“bis zum Ende des Verhörs offen lassen.

Am 17. April 1521 fand die erste Begegnung mit Lutherstatt – nicht vor dem Reichstag, sondern im Bischofssitz, demAufenthaltsort des Kaisers während des Reichstages. DemKaiser war es damit gelungen, den reichsrechtlichen Statusdieser Sitzung offen zu halten. Zusammen mit der Vorlageseiner Bücher wurden Luther zwei knappe Fragen gestellt, dieer ebenso knapp zu beantworten hatte: ob er der Verfasserdieser Bücher sei zum ersten, ob er bereit sei zu widerrufenzum zweiten. Die Verfasserfrage beantwortete Luther so-gleich, für die Beantwortung der zweiten Frage erbat er sich

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Bedenkzeit bis zum nächsten Tag. In seiner wohl bedachtenAntwort vom 18. April (wiederum nicht vor dem Reichstag!)wiederholte er seine Kritik am Papsttum, betonte aber, daß erzum Widerruf bereit sei, sofern ihm aus der Heiligen Schriftsein Irrtum nachgewiesen werden könnte. Auf die dringendeBitte, eine eindeutige Antwort zur Bereitschaft zum Widerrufzu geben, reagierte Luther mit jenen Sätzen, die Weltgeschich-te geschrieben haben und die Generationen von Protestantenin die Identität schaffende Gewißheit versetzten, daß ihrReformator die neuzeitliche Gewissensfreiheit begründete:„Wenn ich nicht durch Schriftzeugnisse oder einen klarenGrund widerlegt werde, [....] so bin ich durch die von mir an-geführten Schriftworte bezwungen. Und so lange mein Gewis-sen durch die Worte Gottes gefangen ist, kann und will ichnicht widerrufen, weil es unsicher ist und die Seligkeit be-droht, etwas gegen das Gewissen zu tun. Gott helfe mir.Amen.“ (Schilling, Aufbruch, S. 206)

Am 26. April verließ Luther Worms; den Kaiser hatte ernicht überzeugen können. Bereits am 19. April hatte jener ineiner eigenhändig verfaßten Erklärung den Ständen gegenüberseinen festen Willen bekundet, seine kaiserliche Verpflichtungzum Schutz der römischen Kirche wahrzunehmen und dashieß, die Reichsacht gegen Luther zu verhängen. Nach derZustimmung der Stände, wurde die kaiserliche Acht am8. Mai rechtskräftig. Das Wormser Edikt war, das steht außerZweifel, ein gefährlicher Schlag gegen Luther und seine Sache,denn es bedeutete Ächtung auch seiner Anhänger. Deshalbwaren nur wenige Reichsstände bereit, das Edikt in ihrenTerritorien durchzusetzen; und auch die Person Luthers solltevor akuter Verfolgung geschützt werden. Die durch den säch-sischen Kurfürsten vorgetäuschte Entführung diente eben die-sem Ziel. Im Reich verbreitete sich zwar das Gerücht, daß dergeächtete Wittenberger Professor getötet worden sei. Tat-sächlich aber hielt sich Luther in der Sicherheit der Wartburgauf.

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In der causa Lutheri hatte der Reichstag zu Worms noch ein-mal zu einer gemeinsamen Entscheidung gefunden, die künfti-ge Problematik der Gegensätze zwischen Kaiser und Ständeneinerseits, innerhalb der Stände andererseits aber hatte sichbereits angekündigt. Leopold v. Ranke charakterisierte diesentiefen Konflikt aus seiner auf die Einheit gerichteten Blickrich-tung, aber dennoch nachdenkenswert als „Ursprung der Spal-tung in der Nation“. Aus heutiger Sicht ist die Zuspitzung desbereits am Ende des 15. Jahrhunderts sichtbaren Gegensatzesvor allem ein Verfassungskonflikt zwischen zwei unterschied-lichen Modellen von Herrschaftsübung: ein monarchischerAnspruch auf Herrschaftszentrierung traf auf einen ständi-schen Beteiligungsanspruch. In den Verhandlungen über dieVerfassungsfrage, die in Worms als Streit um den Charakterdes Reichsregiments geführt wurde, zeigten sich die Konflikt-linien deutlich.In Fortsetzung der Ansätze seines Großvaters bezeichnete derKaiser das Reichsregiment im monarchischen Sinne als Re-gentschaftsrat, der nur in seiner Abwesenheit vom Reich dieRegierungsgeschäfte führen dürfe; dabei fand er die Unter-stützung der Reichsstädte und der kleineren nicht-fürstlichenReichsstände, denn sie erhofften sich von der Stärkung derkaiserlichen Macht Schutz gegenüber den Territorialherren.Die Kurfürsten aber erstrebten die Einsetzung des Reichs-regiments als eines Organs ständischer Mitregierung. Dabeiberiefen sie sich auf die Wahlkapitulation von 1519, die Zusi-cherungen also des Kaisers, die er bei seiner Wahl den Stän-den gegenüber hatte abgeben müssen. Dieses Verfahren warbei Kaiserwahlen bis dahin nicht üblich gewesen. Angesichtsder verfassungsrechtlich keineswegs geklärten Stellung desReichsoberhauptes gegenüber den Ständen, die ja bereits un-ter Karls Vorgänger zu Auseinandersetzungen geführt hatte,legten diese nun größten Wert auf die Festlegung der kaiserli-chen Kompetenzen, die sie in erster Linie verstanden wissenwollten als deren Begrenzung. Das zeigte sich in den Bestim-mungen denn auch deutlich: wichtige Regierungsrechte desKaisers waren an die Mitwirkung der Stände oder doch der

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Kurfürsten gebunden; zudem war die Wiedererrichtung desReichsregiments als Absichtserklärung formuliert worden. DiePraxis der Wahlkapitulation wurde seit 1519 zur festen Regel.Der damals ausgehandelte politische Vertrag gilt als „der gro-ße grundsätzliche Herrschaftsvertrag des Reiches“ (Oestreich,Geist, S. 259).

Aufbau des Reichstages[nach Reichsmatrikel 1521]

Kaiser Reichstag

KurfürstenratVorsitz: Erzbischof von Mainz (Erzkanzler)

3 Geistliche 4 WeltlicheErzbischof von Mainz Pfalzgraf (Erztruchseß)Erzbischof von Köln Sachsen (Erzmarschall)Erzbischof von Trier Brandenburg (Erzkämmerer)

Böhmen* (Erzschenk)[*böhm. Kurstimme ruhte]

FürstenratVorsitz: Erzherzog von Österreich

bzw. Erzbischof von SalzburgVirilstimmen:50 Geistliche 24 Weltliche

Kuriatstimmen:2 Geistliche 2 WeltlicheSchwäbische undRheinische Prälatenbank(Reichsäbte, Reichspröbsteund Ordensmeister: 83)

StädteratVorsitz: die jeweilige Reichstagsstadt

85 Freie und Reichsstädte(Kein volles Stimmrecht!)

[Reichsritterschaft und Reichsdörferwaren auf dem Reichstag nicht vertreten!]

Vorlage: H. Lutz: Das Ringen um deutsche Einheit und kirchliche Erneuerung.Von Maximilian I. bis zum Westfälischen Frieden. 1490–1648 (= Propyläen Ge-schichte Deutschlands), 4. Bd., Berlin 1983, S. 120.

nur bei Eröffnungund zur Entgegen-nahme derGesamtbeschlüsse

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In der Regimentsordnung vom Mai 1521 fand man zu einemmühsamen Kompromiß: auf die Zusammensetzung des Per-sonenkreises hatten Kaiser und Reichsstände gleichermaßenEinfluß; während der Abwesenheit des Kaisers führte das Re-giment die Geschäfte, nach seiner Rückkehr sollte es bis zumnächsten Reichstag als Beratungsgremium weiteramtieren.Der Kompromiß vertagte den Kampf um die Struktur derReichsverfassung mehr als daß er ihn löste. Denn es war vonallem Anfang an offen, ob sich das Regiment zwischen denkaiserlichen Machtansprüchen und denjenigen mächtigerReichsstände würde behaupten können.

Seit dem Winter 1521/22 arbeitete das Reichsregiment inNürnberg; der Reichstag trat zudem gleich zweimal im Jahre1522 in der Stadt zusammen. Auf der Sitzung im November,dem sogenannten zweiten Nürnberger Reichstag, wurde dieReligionsfrage erneut zum Verhandlungsgegenstand, nun aberaufgrund der Reforminitiativen des neu gewählten PapstesHadrian VI. (1522–1523). Nachdrücklich ließ er durch seinenNuntius die Reichsstände an die Einhaltung des WormserEdiktes mahnen. Zugleich bekannte Hadrian, ehemaliger Er-zieher des Kaisers und als niederländischer Reformtheologevon der Notwendigkeit einer Reform der kirchlichen Struktu-ren überzeugt, daß die Schäden der Kirche und die Fehler derKurie die Ursache der lutherischen Ketzerei seien! Diese Äu-ßerungen belegen einen grundlegenden Wandel in der Hal-tung der Kirchenleitung. Und dennoch hielten die Reichsstän-de an ihrem Mißtrauen fest, die Mehrheit des Reichstages warnicht zur Aufgabe der Tolerierungspolitik gegenüber der Lu-thersache bereit. Um eine endgültige Klärung herbeizuführen,sei es vielmehr nötig, so die Antwort an den päpstlichenNuntius, ein „freies, christliches Konzil“ einzuberufen, undzwar innerhalb Jahresfrist. Falls dies geschehe, werde sich derKurfürst von Sachsen bereit erklären, alle religiösen Neuerun-gen auszusetzen. Diese Antwort der Reichsstände war mit derForderung nach Aufhebung des Wormser Edikts gleichzuset-zen. Allen Beteiligten, auch Kaiser und Papst, war klar, daßdie Forderung nach einem freien Konzil vor allem auf die

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Freiheit von päpstlicher Herrschaft zielte. Selbst die Mehrheitder altgläubigen Stände stimmte dieser Antwort zu: sicherlichwird zu Recht vermutet, daß es vor allem die Sorge vor Unru-hen des „Gemeinen Mannes“ war, die diese Haltung bewirk-te. Denn die nun sichtbare Haltung der Reichsstände gab derReformation deutlichen Auftrieb – und das wirkte zunächstbefriedend.

Weder der Kaiser noch der Papst – seit dem unerwartetenTod Hadrians saß der Medici-Papst Clemens VII. auf demStuhle Petris – nahmen die Forderung auf. Währenddessengingen die Stände noch einen Schritt weiter und ergänzten dieForderung nach einem Konzil um diejenige nach einem Na-tionalkonzil. Im Reichsabschied war dessen Einberufung be-reits für November 1524 vorgesehen. Während das Reichsre-giment und der Bruder des Kaisers, als sein Stellvertreter imReich, mit der Vorbereitung der Reichsversammlung schonbegonnen hatten, verweigerte der Kaiser seine Zustimmung.Er wollte weder eine nationale Kirchenversammlung akzeptie-ren noch die faktische Aufhebung des Wormser Edikts disku-tieren. Mit dem Verbot der Nationalversammlung im Sommer1524 verhinderte der Kaiser zwar die Pläne der Stände nocheinmal, aber es war eine „Notbremsung“.

3. Der „Zürcher Weg“. Der radikale Flügel der Reformation

Wie weit die Forderungen nach Reform der Kirche verbreitetwaren, zeigt die zeitgleiche Formulierung theologischer Re-formansätze durch andere Theologen, die durchaus unabhän-gig von Luther auftraten. Als bedeutendster ist der SchweizerHuldrych Zwingli zu nennen. Vieles unterschied die beidenReformatoren trotz ihres gemeinsamen Anliegens. Die refor-matorischen Bewegungen, die einerseits von Wittenberg, an-dererseits von Zürich ausgingen, formten denn auch trotz ver-schiedener Kontakte ihre eigene Gestalt aus. Sowohl derpolitisch-soziale Erfahrungshorizont als auch die ganz per-sönliche theologische Betroffenheit der beiden Reformatorenerklären den Unterschied.

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Anders als Luther kam Zwingli während seines Studiumsan der Philosophischen Fakultät der Universität Basel, zeit-weise auch in Bern und Wien, nicht mit dem Ockhamismus inBerührung, sondern blieb in den Bahnen der via antiqua (d. h.in der scholastisch-philosophischen Schule des Thomas v.Aquin und des Albertus Magnus). 1506 schloß er seine Studi-en mit dem Magistertitel ab und übernahm, zeitüblich ohneweiteres Theologiestudium, ein Pfarramt in Glarus. Seine in-tensiven eigenen Studien der Kirchenväter, der Scholastik, derBibel selbst führten ihn schließlich auch zur Auseinanderset-zung mit dem Humanismus. Durch die Schriften des Erasmuserhielt er einen veränderten Zugang zur Theologie, die ernicht mehr als kompliziertes Lehrgebäude zu betrachten lern-te, sondern als Möglichkeit, Anweisung für ein „der LehreChristi entsprechendes Tatchristentum“ (Rabe, Jahrhundert,S. 255) zu gewinnen. Das Wort der Bibel wurde zur maßgeb-lichen Autorität für die notwendige Neuordnung der Kirche:Das Prinzip des sola scriptura galt also auch für ihn. Die Re-form aber mußte von innen geschehen – orientiert an der al-leinigen Mittlerschaft Christi zwischen Gott und den Men-schen: hier kam Zwingli wie Luther zum Prinzip des solusChristus. Aber es war nicht die persönliche Erschütterungdurch die Frage nach dem gnädigen Gott, die den Zürcher Re-formator formte, sondern die Einsicht in die Notwendigkeit,die Kirche in der Welt zu reformieren. Schon deshalb warendie „Zwei-Reiche“ eines Martin Luther Zwingli fremd.

Ein ganz konkreter politischer Anlaß setzte denn auchZwinglis öffentliches Wirken in Gang. Seine Stellungnahmegegen die Praxis des schweizerischen Söldnerwesens zwangenihn zur Aufgabe des Pfarramtes in Glarus; für zwei Jahre ginger nach Einsiedeln. 1518 holten ihn die Zürcher Chorherrenals Pfarrer (Leutpriester) für die zum Großmünster (Haupt-kirche der Stadt) gehörenden Gemeindeglieder in ihre Stadt.Dies geschah, weil sie die humanistische Prägung des Pfarrersschätzten und sich von seiner Tätigkeit als Prediger Hilfestel-lungen für die Reform des Zürcher Kirchenwesens erhofften.Während der ersten beiden Jahre seines Wirkens wandelte

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sich die Theologie Zwinglis grundlegend; mit ihren Lutherverwandten sola-Prinzipien erhielt sie eine Richtung grund-sätzlicher Kirchenkritik. Dies äußerte sich in sehr praktischenAngriffen: von Anbeginn an predigte Zwingli gegen die Ver-ehrung der Heiligen, rasch folgte der Zweifel am Fegefeuer,sodann die scharfe Kritik am kirchlichen Zinsnehmen. ImApril 1522 provozierte ein öffentlicher Bruch des Fastengebo-tes während der Passionszeit die kirchlichen Obrigkeiten.Zwingli rechtfertigte die Ereignisse als legitime Wahrneh-mung der christlichen Freiheiten. Den endgültigen Bruch mitder alten Kirche vollzog er wenig später, indem er die Legi-timität der kirchlichen Hierarchie in Frage stellte und dieFreigabe der Priesterehe forderte.

Der Rat der Stadt Zürich trug Zwinglis Kritik mit. Nebender ernstgemeinten Hoffnung auf eine tragfähige Reform derKirche spielte dabei auch das Interesse an einem Machtge-winn auf Kosten der geistlichen Institutionen eine entschei-dende Rolle. Angesichts der sowohl aus der schweizerischenTagsatzung (lockerer Zusammenschluß der Kantone) kriti-scher werdenden Töne als auch der wachsenden Spannungenmit dem Bischof als dem geistlichen Oberhaupt der Stadtkir-che sah er sich allerdings bald gezwungen, verbindliche Klä-rungen vorzunehmen. Auf seine Einladung hin kamen mehre-re hundert Personen zu einer öffentlichen Disputation nachZürich (29. 1. 1523) – Geistliche ebenso wie Wissenschaftlerund vornehme Bürger aus der Stadt Zürich und ihrem Um-land. Diese Form der Beurteilung von Tätigkeit und TheologieZwinglis entsprach dem politischen Umgangsstil des selbst-bewußten und politisch starken Stadtbürgertum Zürichs, dases gewohnt war, Herrschaftsrechte zu üben oder sich an derenKontrolle zu beteiligen. Die ursprünglich als Instanz zur Be-wertung der Rechtmäßigkeit der Zwinglischen Predigt ver-standene Verhandlung erhielt eine „kirchengründende Funk-tion [...] sie war zur Generalsynode der Zürcher Staatskirchegeworden.“ (Rabe, Jahrhundert, S. 258) Die von Zwingli zu-grunde gelegten 67 Artikel, die sogenannten „Schlußreden“,wurden, da ihnen öffentlich nicht überzeugend widersprochen

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wurde, als Legitimität begründende Basis seiner Predigttätig-keit bezeichnet; alle anderen Prediger sollten in Zukunftgleichfalls nur das Wort der Bibel als Richtschnur ihrer Seel-sorge benutzen.

Diese Art der stadtöffentlichen Diskussion religiöser Kern-fragen setzte sich auch in anderen Städten durch. Die unauf-lösbare Verzahnung von Stadt und Reformation zeigte sich inZwinglis Umfeld mit einer Prägnanz wie sie für das Witten-berg Luthers, die unbekannte Universitätsstadt unter der star-ken Hand des Landesherrn, unvorstellbar gewesen wäre. Fürden Zürcher Stadtrat bedeutete die Disputation einen Macht-gewinn, denn sowohl die Legitimität der Kirchenpolitik schienbestätigt als auch sein Herrschaftsanspruch nach innen.Zwingli nämlich wies weltlicher Obrigkeit, wenn sie christli-che Obrigkeit sein wollte, das Recht und die Pflicht zur Neu-ordnung der städtischen Gesellschaft zu. Falls eine Obrigkeitdiese Aufgaben nicht erfülle, könne sie abgesetzt werden. DerGegensatz zu Luther konnte ausgeprägter und für die kom-menden Jahre folgenreicher nicht sein. Eine Verbindung derbeiden reformatorischen Ansätze hatte aber nicht nur deshalbkeine Aussicht auf Erfolg. In dem auf Anregung des hessi-schen Landgrafen Philipp zustandegekommenen MarburgerReligionsgespräch (1529) wurde darüberhinaus deutlich, daßes unüberwindbare innertheologische Gegensätze gab, die dieAbendmahlslehre betrafen. Während nämlich Luther, dem al-ten Glauben hier weiterhin verbunden, davon ausging, daßBrot und Wein der Leib und das Blut Christi sind, betonteZwingli deren Symbolcharakter: Brot und Wein bedeutenLeib und Blut. Es war der durch Erasmus geprägte Humanis-mus, der für Zwingli prägend blieb: eine Verbindung zwi-schen den Sphären des Geistigen und Körperlich-Materiellenwar unmöglich.

Dieser Trennung des Protestantismus wurden in der For-schung sehr weitreichende Folgen zugeschrieben: die zwing-lianisch-reformierte Richtung habe den westeuropäisch-demo-kratischen Weg der Staatsbildung vorgezeichnet, die luthe-risch geprägte Richtung den obrigkeitsgehorsamen Weg, wie

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ihn vornehmlich Deutschland gegangen sei (Ernst Troeltsch,Max Weber, Georg Jellineck). Diese den zeitgebundenenDiskussionen des 19. und 20. Jahrhunderts entstammendeDeutung ist gewiß unhistorisch: die neueren sozial- und kon-fessionsgeschichtlichen Forschungen haben sie korrigiert.Dennoch bleibt der Kern des Unterschiedes vorhanden; für diereformatorische Bewegung der frühen zwanziger Jahre des16. Jahrhunderts wirkte er nachhaltig trennend. Denn das In-einssetzen von kirchlicher und bürgerlicher Gemeinde beiZwingli legitimierte politisch aktives Handeln, wie es von Lu-ther nie akzeptiert worden ist. Seine Absicht war die Freiset-zung des Gläubigen von äußeren Zwängen; nur dort, wo dieseFreiheit nicht akzeptiert wurde, sollte die Pflicht und dasRecht bestehen, sich zur Wehr zu setzen. Die hier anknüpfen-den Differenzierungen im politischen Denken der beginnen-den Neuzeit waren allerdings weniger ausgeprägt als dies lan-ge Zeit angenommen wurde. Denn auch im Luthertumentfaltete sich, wie die reformatorischen Bewegungen der fol-genden Jahre ebenso zeigten wie die in die Welt wirkendenAktivitäten der „Lutheraner“ in der Generation nach Luther,eine obrigkeitskritische Tradition, deren Legitimität nie be-stritten wurde. Im Gegenteil: ihre Rechtfertigung stammte ge-rade aus dem Nachweis der Kontinuität zur spätmittelalterli-chen Herrscherkritik.

Die Entwicklungen in Zürich waren auch in der Eidgenos-senschaft der Ursprung der Teilung, der Beginn der konfes-sionellen Spaltung. Seit 1524 mußte sich die Stadt des immerheftiger vorgetragenen Vorwurfes erwehren, Zwietracht undSpaltung in der Eidgenossenschaft zu schüren, gar die Autori-tät weltlicher wie geistlicher Obrigkeit zu untergraben. Alsder Rat dennoch bei der Verteidigung der reformatorischenNeuerungen blieb, war der Konfessionskampf nicht mehr zuverhindern. Im gleichen Jahr (1524) schlossen sich die alt-gläubigen Kantone (Luzern, die Drei Waldstätte und Zug)zum Bund der „Fünf Orte“ zusammen. Zürich dagegenschloß mit Bern, St. Gallen, Schaffhausen, Biel, Basel, Mühl-hausen und den beiden Reichsstädten Konstanz und Straß-

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burg ein Städtebündnis zur Verteidigung des neuen Glaubensab. Aber auch die engere Verbindung zu Landgraf Philipp vonHessen, die seit 1530 bestand, konnte den überraschendenAngriff der „Fünf Orte“ nicht verhindern. In der Schlacht beiKappel im Süden der Stadt Zürich wurden die Protestantenam 11.10.1531 vernichtend geschlagen. Zwingli war unterden Toten. Im „Zweiten Landfrieden“, der bis zum Ende des17. Jahrhunderts die Beziehungen zwischen protestantischenund katholischen Orten der Schweiz regelte, wurde zwar diefreie Glaubensentscheidung zugebilligt, gleichwohl setzte mandie Rekatholisierung bestimmter strategisch wichtiger Regio-nen durch.

Zwingli wie Luther hatten sich mit solchen Gruppen unterihren Anhängern auseinanderzusetzen, in deren Augen diereformatorische Erneuerung nicht intensiv genug vorangetrie-ben wurde – ein Phänomen im übrigen, das in Umbruchs-zeiten stets auftritt. In Wittenberg wurden solche Vorstellun-gen zunächst durch den Augustinermönch Gabriel Zwillingund den Theologieprofessor Andreas Bodenstein von Karl-stadt (ca. 1480–1541) vertreten. Zusammen mit den soge-nannten „Zwickauer Propheten“, den Tuchmachern NikolausStorch und Thomas Drechsel, strebten sie nach einer religiö-sen Gemeinschaft in der Stadt, die ohne alle kirchlichen Insti-tutionen auskommen sollte, um die Wirkung des HeiligenGeistes freizusetzen. Eine solche „Institutionenkritik“, wie dermoderne Ausdruck lauten würde, ging von der im Kern jaauch von Luther durchaus verstandenen Sorge aus, daß dieVerfestigung der äußeren Formen die Inhalte des Glaubensverfälschen könnte. Daß Karlstadt und die Zwickauer auch zuThomas Müntzer (1489/90 [?]–1525), dem mystischen Theo-logen, seinerzeit Pfarrer in Allstedt südlich von Eisleben, Kon-takte hatten, ist deshalb einleuchtend. Die Radikalität ihrerreligiösen Überzeugungen trieb die sogenannten Spiritualisten(Geistverwandte) zu schroffen Maßnahmen bei deren Umset-zung – auch dies ein Phänomen, das dem Historiker vertrautist. Ein im Februar 1522 in Wittenberg inszenierter Bilder-

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sturm gehörte dazu. Zwar distanzierte sich Karlstadt von demgleichfalls 1522 losbrechenden Aufstand gegen den ZwickauerStadtrat, den die Zwickauer Propheten mitgetragen hatten; indessen Folge aber drohte auch die Wittenberger Ordnung au-ßer Kontrolle zu geraten. Gegen den ausdrücklichen Wunschdes sächsischen Kurfürsten, der Luther in Sicherheit haltenwollte, kehrte jener nach Wittenberg zurück und erreichte mitHilfe der berühmten Invocavit-Predigten (gehalten vom 9. bis16. 3. 1522, im Anschluß an den Sonntag Invocavit), daß diespiritualistischen Veränderungen wieder rückgängig gemachtwurden. In einer 1524/25 gedruckten Schrift setzte sich Lu-ther insbesondere mit der Theologie Karlstadts auseinander,der seit 1530 in Zürich und seit 1535 in Basel an der Univer-sität wirkte. Seine Absage an die „himmlischen Propheten“war auch eine Absage an die Theologie des Thomas Müntzer.Nicht erst seit der Erfahrung des Bauernkrieges lehnte Lutherdessen religiöse Radikalität ab, die in ihrer Kompromißlosig-keit zumindest manch Nachlebende beeindruckte, in ihrer dieSicherheit sozialer Ordnung bedrohenden Konsequenz vonden meisten Zeitgenossen aber zurückgewiesen wurde.

Müntzer stammte aus einer Handwerkerfamilie in Stolberg(Harz); sein Geburtsjahr ist nicht sicher, gewiß aber ist, daß er1506 in Leipzig und 1512 in Frankfurt/O. an der Philosophi-schen Fakultät studiert hat. Seit 1518 bereits war er AnhängerLuthers und wurde auf dessen Empfehlung 1520 Pfarrer inZwickau. Wie Luther war auch Müntzer von der Ausschließ-lichkeit der Erlösung bewirkenden Gnade Gottes überzeugt(sola gratia); aber für Müntzer geschah dies mit Hilfe der my-stischen Vereinigung des Gläubigen mit Gott. Voraussetzungdazu war die Lösung des Menschen von allen Bindungen anäußere Güter, von seiner Kreatürlichkeit. Müntzer charakte-risierte diesen Wandel als „Leerwerden“ der Seele, die imLeiden geschehe. Es ist nachvollziehbar, daß er mit seinerTheologie Anhänger fand; zudem war er ein leidenschaftlicherPrediger, der seine Zuhörer zu fesseln verstand. Die Konse-quenzen seiner theologischen Positionen zeigten sich rasch:die Welt mit ihren politischen und sozialen Ordnungen war

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unwürdig, reformiert zu werden. Es blieb der Kampf der mitGott Vereinigten gegen die Gottlosen, die die Welt beherrsch-ten. Die von Luther vertretene Auffassung, daß Gehorsam ge-genüber jeder Art weltlicher Obrigkeit zu leisten sei, war fürMüntzer eine „halbherzige Unentschiedenheit, ja eine bösarti-ge Widersetzlichkeit gegen den Willen Gottes“ (Rabe, Jahr-hundert, S. 273). Dem setzte er die Verweigerung der Gehor-samspflicht entgegen, mit aller bitteren Konsequenz auch undgerade für sich selbst. Nach kurzem Aufenthalt in Böhmenwirkte er seit 1523 als Pfarrer in Allstedt, als konsequenterReformator der Gemeinde, als engagierter Seelsorger undPrediger mit weit über den unmittelbaren Kreis hinausrei-chender Wirkung. In dieser Zeit verschärfte sich die Kritik anden Wittenbergern, zugleich geriet er in Konflikt mit den Ver-teidigern des alten Glaubens. Die offene Auseinandersetzung,die 1524 zwischen den Müntzer-Anhängern, den mit ihnenverbündeten Mansfelder Bergknappen und der Landesherr-schaft ausgetragen wurde, führte nicht sogleich zu Straf-aktionen gegen den Pfarrer. Vielmehr mußte Müntzer nun vorseinem Landesherren selbst predigen, und er tat dies mit dererst später so genannten „Fürstenpredigt“. Klar formulierte erdarin die Pflicht der christlichen Obrigkeit, gegen alle Abgöt-terei vorzugehen; denn wenn dies die Fürsten selbst nichttäten, werde es das Volk tun, da es den Geist Gottes sehr vielklarer erkenne als die Obrigkeiten. Das Ziel Müntzers war dieWiedererrichtung der urchristlichen Gemeinde.

Als Sozialrevolutionär kann Müntzer nicht bezeichnet wer-den, es sei denn aus einer marxistischen Blickrichtung, für dieseine theologischen Positionen lediglich als zeitgebundeneEinkleidungen des eigentlichen Anliegens erscheinen. Das abersetzt voraus, daß Müntzer und mit ihm die Menschen des16. Jahrhunderts jene Trennung von Kirche und Welt aner-kannten, die für den Menschen des 20. Jahrhunderts vongrundlegender Selbstverständlichkeit sind. Wenn dies aber be-stritten wird, und dafür gibt es plausible Gründe, so mußMüntzer in seinem zutiefst religiösen Anliegen ernst genom-men werden, zu dessen Wesen das Wirken in die Welt gehör-

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te, um sie „in ihrer Ganzheit zu heiligen“ (Schilling, Auf-bruch, S. 156). Insofern war Müntzer in seinem Selbstver-ständnis nicht mehr (aber auch nicht weniger) als ein konse-quenter Reformer der Kirche, der diese zu ihren Ursprüngenzurückführen wollte. Daß solche Wiederherstellung recht ra-dikale Veränderungen in der Welt bewirken konnte, war eineKonsequenz, die nicht nur Müntzer akzeptierte. Wir habendas bereits an anderer Stelle gesehen.

Durch seine Berufung als Pfarrer in die thüringische Reichs-stadt Mühlhausen wurde der Konflikt mit der kursächsischenLandesherrschaft zunächst beendet; aber auch hier blieben dieKonfrontationen nicht aus. Müntzers Theologie verband sichmit der in jenen Jahren überall intensivierten Kritik an derAmtsführung städtischer Obrigkeiten. Gegen seinen Versuchund denjenigen seines Mitpredigers Heinrich Pfeiffer, die ar-men Bevölkerungsgruppen in der Vorstadt ebenso gegen dieweltliche Obrigkeit zu mobilisieren wie die Bauern des Um-landes, setzte sich der Rat zur Wehr. Müntzer mußte die Stadtschon wenige Wochen nach seinem Amtsantritt wieder verlas-sen. In den folgenden Monaten führte er ein unstetes Wander-leben, das ihn schließlich nach Süddeutschland und in Kon-takt mit den bäuerlichen Unruhen führte.

Es war die von Thomas Müntzer formulierte Institutionen-kritik, die auch an anderen Orten seit etwa 1524 vorgetragenwurde. In unterschiedlicher theologischer Vertiefung richtetesie sich gegen die die reformatorische Erneuerung in ihrenAugen verfälschende zu enge Anbindung der Kirche an dieObrigkeit. In Zürich fanden sich solche Bewegungen im Um-kreis Zwinglis seit Mitte der zwanziger Jahre mit Ausstrah-lungen in die ganze Schweiz, das Elsaß, Süddeutschland,Mähren, Polen, schließlich sogar in die Niederlande. Auf-grund ihres gemeinsamen Merkmals der Ablehnung der Kin-dertaufe werden sie in der Forschung als Täuferbewegung be-zeichnet. In Zürich begann die Opposition auf seiten derLaien, wie dem Ratsherrensohn Konrad Grebel oder demBuchhändler Andreas Castelberger. Beide waren zunächstWeggefährten des Reformators Zwingli gewesen, hatten sich

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dann aber mit dem Vorwurf von ihm abgewendet, es mangeleihm an Konsequenz, wenn es um die Praxis der Heiligung derGemeinde gehe. Der Konflikt erhielt sehr rasch grundlegendenCharakter, da es um Gegensätze in der Auffassung vom Got-tesdienst und der Ordnung der Kirche – eben der Institutionen– ging. Zudem stützten sich die Kritiker auf radikale Strö-mungen in den Zürcher Landgemeinden. Von beiden gemein-sam wurde die Abschaffung der Kindertaufe gefordert, manwollte eine Kirche der Heiligen, womit deren volkskirchlicherCharakter in Frage gestellt wurde. Zwingli stand auf der Seitedes Rates, der in einem Erlaß vom Januar 1525 die Kin-dertaufe bei Strafe der Verbannung festschrieb. Dennochwurden in den nächsten Wochen in der Stadt und in derLandgemeinde Zollikon Erwachsenentaufen praktiziert mitder Folge der Verhaftung zahlreicher Täufer.

Auch hier entstand der Konflikt um die Charakterisierungdessen, was als Wiederherstellung des Alten bezeichnetwurde! Denn auch die Täufer wollten keine grundstürzendeÄnderung des Vorhandenen; vielmehr ging es ihnen um dieWiederaufrichtung des urchristlichen Gemeindelebens. DerMaßstab für alle christliche und also soziale Ordnung war dasWort der Bibel; deshalb wurde zumeist der Kriegsdienst ver-wehrt, das Eidschwören verweigert und die Übernahme bür-gerlicher Ämter abgelehnt.

Es ist zumindest nachvollziehbar, daß diese konsequenteLebensweise den weltlichen Obrigkeiten, altgläubigen wieprotestantischen, Probleme bereitete. Sehr rasch galten dieTäufer deshalb als Aufrührer, zumal sie sich mehrheitlich ausden unteren sozialen Gruppen rekrutierten und zeitweiligVerbindungen zu den aufständischen Bauern bestand. Nichtselten kam es zu blutigen Verfolgungen; in Zürich und imseinerzeit habsburgischen Württemberg erfolgten 1527 dieersten Hinrichtungen. Allerdings gab es auch Gegenbeispiele:der hessische Landgraf Philipp etwa lehnte es ab, die Täuferlediglich aufgrund des Verdachts der Unruhestiftung zu be-strafen. Auch manch protestantischer Theologe versuchte,

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ihre theologischen Anliegen zu verstehen und sie durch derenBerücksichtigung in die reformatorischen Kirchen zurückzu-holen; dazu gehörte u.a. der Straßburger Reformator MartinButzer (lat. Bucer/1491–1551). Die unduldsame Politik derLandesherren hatte im Reich Erfolg. Bis zum Ende der dreißi-ger Jahre waren die Täufer zurückgedrängt worden. Lediglichin Münster erlebte die Bewegung 1534/35 noch einmal eineNeuauflage, die zugleich ihre endgültige Diskreditierung be-deutete.

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IV. Resonanz und Rezeption.Reformation und soziale Gruppen

1. Bauernkrieg

Was hat der Bauernkrieg mit der Reformation zu tun? ImLaufe der letzten Jahrzehnte sind die Antworten auf dieseFrage immer differenzierter geworden, Zeichen eines ge-schichtswissenschaftlichen Erkenntnisgewinns, der mit derEntideologisierung dieses Teils der deutschen Geschichte ver-bunden ist. Während die katholische Geschichtsschreibungdes 19. Jahrhunderts den Protestantismus als revolutionäreTheologie für den Ausbruch von Unruhen und Gewalt verant-wortlich machte, betonte die protestantische Deutung dieserJahrzehnte den obrigkeitsstützenden Charakter der lutheri-schen Theologie, der sich in der Verurteilung der Bauerndurch den Reformator gezeigt habe. Im Anschluß an die libe-rale Deutung des frühen 19. Jahrhunderts hatte Friedrich En-gels (1820–1895) bereits Jahrzehnte vorher die marxistischeInterpretation von der Reformation als bürgerlich-theologi-scher Revolution formuliert, die den Bauernkrieg vorbereitete.Deren Scheitern allerdings war Luther, dem „Fürstenknecht“,zuzurechnen. Auch wenn die konfessionellen und parteipoliti-schen Deutungen des Zusammenhanges zwischen Reformationund Bauernkrieg heute kaum mehr Gültigkeit haben: daß einZusammenhang bestand, ist einhellige Meinung der Forschung,selbst wenn es über die Bewertung der verschiedenen Kompo-nenten jener Wechselbeziehung bis heute Diskussionen gibt.

Die Vermittlung zwischen bäuerlichen Reformforderungenund Reformation war keine revolutionäre; sie vollzog sichvielmehr in den Bahnen, die wir als charakteristisch für denAusgang des Mittelalters bereits beschrieben haben: in derAnknüpfung an das „alte Recht“ einerseits, dessen Wieder-herstellung als Legitimationsbasis galt, in der Verbindung desprotestantischen Gemeindeprinzips mit den Formen bäuer-lich-dörflicher Selbstverwaltung andererseits, die sich in ihrergenossenschaftlichen Struktur nachdrücklich gegen herr-

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schaftliche Ordnungsmodelle des Adels und der Landesherr-schaft absetzten. Beide Verbindungen lassen sich in demzentralen Dokument des Bauernkrieges greifen, den Ende Fe-bruar 1525 entstandenen Zwölf Artikel(n) der Bauernschaftin Schwaben, die vermutlich von dem Memminger Kürsch-nergesellen und Feldschreiber Sebastian Lotzer (1490–1525[?])unter Beteiligung des Prädikanten Christoph Schappeler (1472–1551), eines „Zwinglianers“, verfaßt worden sind. War es inden meisten regionalen Vorläufern der zwölf Artikel noch das„alte Recht“ gewesen, auf das Bezug genommen wurde, sobemühte man nun stattdessen das „Göttliche Recht“. Auchdies war eine alte Formel; wahrscheinlich hatte sie der engli-sche Ketzer John Wiclif (ca. 1320–1384) schon am Ende des14. Jahrhunderts für die Rechtfertigung bäuerlicher Belange be-nutzt. 1525 aber knüpfte man mit diesem Begriff ausdrücklichan das reformatorische Verständnis des Wortes an: „Gött-liches Recht“ war das biblische Recht, war das Recht desEvangeliums (Moeller, Zeitalter, S. 92). Daß damit eine Er-weiterung des legitimierenden Horizontes gegeben war, stehtaußer Frage. Luthers sola scriptura, das reformatorischeSchriftprinzip also, öffnete das Verständnis der Welt alsSchöpfungsordnung, deren Grundnormen in der Bibel formu-liert und deren Aufrechterhaltung einklagbar war. Darüberhinaus hatte die Berufung auf das „Göttliche Recht“ zentrali-sierende Funktion, denn das „alte Recht“ war stets regionalbeschränkt gewesen. Nunmehr wurde eine übergreifende Le-gitimationsbasis für alle Forderungen denkbar: der Bauern-protest „als nationale Bewegung war möglich“ (Schilling,Aufbruch , S. 147).

Die Verbindung zum protestantischen Gemeindeprinzipformulierte der erste Artikel der Memminger Programm-schrift, in dem die Wiederherstellung des Rechts der freienPfarrerwahl durch die Gemeinde gefordert wurde. Dadurchsollte gesichert sein, daß der Geistliche tatsächlich im Dorf alsSeelsorger anwesend war und alle Gemeindeglieder unabhän-gig von ihrem Stand geistlich betreute. Dazu gehörte vor al-lem, und auch das zeigt die Rezeption der reformatorischen

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Lehre, „daß der selbige erwählte Pfarrer soll uns das heiligeEvangelium lauter und klar predigen, ohne allen menschlichenZusatz, Lehr und Gebot“ (Geschichte in Quellen, S. 145).Aber auch in den folgenden, ausschließlich den wirtschaftli-chen und sozialen Problemen der bäuerlichen Gemeindengewidmeten Artikeln wird die Präsenz des reformatorischenGemeindegedankens in seiner ganzen „in die Welt wirken-den“ Dynamik greifbar. Wenn die Verwaltung des Kirchen-zehnt der Gemeinde übergeben, also „kommunalisiert“ wer-den sollte, wenn die Allmendrechte, also die gemeinsameNutzung von Gemeindewiesen und -äckern zurückgefordertwurden, wenn die Nutzungsrechte am Fischfang, der Jagdund des Waldes wiederum „der ganzen Gemeinde anheim-fallen“ (12 Artikel) sollten, da sie von seiten der Herren ein-seitig zu Herrschaftsrechten erklärt worden seien, so wird mitdem legitimierenden Hinweis auf die Schöpfungsordnung die„Sakralisierung und Verchristlichung des Gemeindegedankensdeutlich: Nicht nur [...] die bäuerliche communitas (Gemein-schaft) wird als christliche Bruderschaft begriffen, sondernauch in den Beziehungen zur Herrschaft [...] sollte die ,brüder-liche Liebe‘ Richtschnur sein“ (Schilling, Aufbruch, S. 148).

Die Forderungen der Bauern verweisen auf die konkretensozialen, wirtschaftlichen und politischen Spannungen, die jakeineswegs über Nacht aufgetreten waren. Der Bevölkerungs-druck, die Intensivierung der Gutsherrschaft, der Versuchmancher Territorialherren, die Entfaltung ihrer Herrschaftdurch Beseitigung von selbstverständlich gewordenen politi-schen Positionen in Gestalt institutionalisierter Formen dergenossenschaftlichen Selbst- und Mitbestimmung (sei es imDorf, sei es auf den Ständevertretungen) zu sichern: dies alleswaren Konflikte, die sich um die Jahrhundertwende verschärf-ten. Die Verbindung mit der reformatorischen Bewegung ga-ben dem dagegen gerichteten Bauernprotest eine bis dahin nievorhanden gewesene Durchschlagskraft.

Der Protest allerdings hatte recht verschiedene regionaleSchwerpunkte, ein Zeichen dafür, daß zur Erklärung der Zu-spitzung der Konflikte die tiefgreifenden landschaftlichen Un-

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terschiede berücksichtigt werden müssen. Eine Aussage überdie Ursachen des Bauernkrieges wird dadurch sehr erschwert.Weite Teile des Reiches blieben vom Bauernkrieg ganz unbe-rührt, wie z. B. der Norden und Nordosten, aber auch solcheKernlandschaften wie das Herzogtum Bayern und das König-reich Böhmen. Im Nordwesten war die Grundherrschaft nurnoch so schwach ausgeprägt, daß ein wesentlicher Konflikt-auslöser fehlte; das gilt, wenn auch abgeschwächt, ebenso fürBayern. Im Osten wiederum hätten zwar die zunehmendenVerpflichtungen im Rahmen der sich intensivierenden Guts-herrschaft den geeigneten Anlaß zum Protest gegeben; hieraber fand er nicht statt! Vermutlich fehlten die entwickeltenFormen bäuerlicher Selbstverwaltung, deren Infragestellungden Protest institutionalisiert hätte.

Seinen konkreten Anfang nahm der nun nicht mehr nur alsProtest, sondern als Krieg zu bezeichnende bäuerliche Wider-stand im Juni 1524 in einigen Dörfern im Südschwarzwald.Hier spielten reformatorische Gedanken noch keine Rolle.Aber der Widerstand der Bauern in der Stühlinger Herrschaftgegen ihren Grundherren fand Unterstützung durch die Bür-ger von Waldshut, die sich aufgrund der reformatorischenAktivitäten ihres Pfarrers Balthasar Hubmaier, wiederum ei-nes „Zwinglianers“, in offener Auseinandersetzung mit ihremhabsburgischen Stadtherrn befanden. Dadurch wurden die re-formatorischen Auseinandersetzungen mit den bäuerlichenForderungen verbunden. Der Aufstand weitete sich auch auf-grund der Schwäche des habsburgischen Landesherrn sehrrasch auf den Hegau, den Klettgau, das Markgräflerland undweite Teile des Südschwarzwaldes aus. Eine politisch folgen-reiche Verschärfung erfuhr der Konflikt dadurch, daß der ausseinem Territorium vertriebene Herzog Ulrich von Württem-berg sich das Bündnis mit den aufständischen Bauern zunutzemachen wollte, um mit Unterstützung schweizerischer Söldnersein Territorium zurückzuerobern. Denn nun formierte sich inGestalt eines stattlichen Heeres des schwäbischen Bundes(eine Vereinigung der Fürsten und Reichsstädte im Südwestendes Reiches) unter Führung Bayerns eine militärische Gegen-

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kraft. Inzwischen breitete sich die Unruhe auch an anderenStellen des Reiches aus, nämlich in der in Oberschwaben ge-legenen Herrschaft Kempten. Als Antwort auf die Versuchedes geistlichen Landesherrn, seinen bäuerlichen Untertanendie Leibeigenschaft aufzuzwingen, verlangten diese schlichtaber charakteristisch die „Wiederherstellung“ ihres altenRechts. Die Auseinandersetzung weitete sich in den nächstenWochen aus, es kam zu einer allgemeinen Erhebung der All-gäuer Bauernschaft. Als deren institutionalisierter Kern wurdeEnde Februar 1525 die „Christliche Vereinigung der LandartAllgäu“, gegründet. Rasch schloß sie sich mit anderen Bau-erngruppierungen zusammen: dem Seehaufen vom Bodenseeund dem Baltringer Haufen aus dem Gebiet zwischen Lechund Donau. Im Zentrum des letzteren lag die Stadt Memmin-gen, in der der schon erwähnte Christoph Schappeler die Re-formation mit Unterstützung der Bürgerschaft und des Ratesetablierte. Damit war auch an dieser Stelle die Verbindungzwischen reformatorischer und bäuerlicher Bewegung herge-stellt.

Immer schneller weitete sich der Aufstand seit März 1525aus: räumlich und auch in seiner sozialen Basis. Baltringer,Allgäuer und Seehaufen bildeten Ende März eine „ChristlicheVereinigung“, die sich eine Bundesordnung gab; entsprechen-des vollzogen die fränkischen Bauern. Zugleich breitete sichdie immer gewaltsamer werdende Unruhe auch in Württem-berg und Thüringen, der Pfalz und dem Elsaß aus, schließlichin Tirol, Salzburg und Innerösterreich; Ausläufer erreichtendie Schweiz. Im April 1525 sollen sich 300 000 Bauern imAufstand befunden haben. Anfang April mußte sich der Erz-kanzler und Kurfürst von Mainz mit seinem Territorium aufdie zwölf Artikel verpflichten (Miltenberger Vertrag): derHöhepunkt des Aufstandes schien erreicht.

Bemerkenswert war die parallele Erweiterung der sozialenTrägergruppen des Krieges. Der Adel hielt sich weitgehendzurück, selbst wenn wir Ausnahmen wie den wohlhabendenund politisch erfahrenen fränkischen Ritter Florian Geyer(1490–1525) kennen, der sich den Aufständischen anschloß

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oder den weitaus bekannteren Goetz v. Berlichingen (1480–1562), der den Miltenberger Vertrag vermittelte, sich aberangesichts des Scheiterns der Bauern rasch wieder zurückzog.Bedeutsamer war die Unterstützung durch eine große Zahlder wirtschaftlich wichtigen Bergknappen in Tirol, der Steier-mark und in Thüringen. Eine große Zahl von Sympathisantengab es schließlich im Stadtbürgertum, selbst wenn ein aktivesZusammengehen in der Mehrzahl der Fälle nicht belegt ist.Bezeichnend sind die Differenzierungen: die Bürger derkleineren Ackerbürgerstädte im Aufstandsgebiet unterstütztendie Bauern angesichts vergleichbarer sozialer Lebensbedin-gungen. Die Bürger der Reichsstädte dagegen blieben in deut-licher Distanz. Dort, wo sie sich dennoch der Bewegung derBauern anschlossen, geschah das aufgrund von innerem oderäußerem Druck (Rothenburg, Heilbronn, Kaisersberg imElsaß).

In unmittelbarer Nachbarschaft zum Aufstandsgebiet gabes durchaus innerstädtische Unruhen, die durch den Bauern-krieg ausgelöst wurden. Zu nennen sind hier u. a. Worms,Speyer, Frankfurt/M., Mainz, Friedberg, Limburg und Köln.Dies führte dazu, daß die Unruhen nicht mehr als „Bauern-krieg“, sondern als „Erhebung“ oder „Revolution des ge-meinen Mannes“ bezeichnet worden sind (Peter Blickle). ImAnschluß an den Sprachgebrauch der Quellen werden mitdem Begriff des „gemeinen Mannes“ außer den Bauern auchalle anderen, nicht herrschaftsfähigen Untertanen erfaßt.Selbst wenn diese Deutung eine gewisse Plausibilität für sichin Anspruch nehmen kann, so scheinen die Argumente derStadthistoriker überzeugender, die den eigenständigen Cha-rakter der städtischen Unruhen hervorheben, der in einem vonder ländlichen Welt deutlich geschiedenen Rechts- und Ver-fassungsrahmen stattgefunden habe. „Die Bürgergemeinden inder Stadt [befanden sich] dem Rat gegenüber“, so hat derBerliner Reformationshistoriker Heinz Schilling den struktu-rellen Unterschied charakterisiert, „nicht in gleicher Weise ineinem Untertanenverhältnis wie die Bauern gegenüber ihrenHerren.“ (Schilling, in: Wehler, Bauernkrieg, S. 238)

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Mit seiner Ausweitung nahm der Bauernkrieg an Schärfezu. Seit März 1525 kam es zu Plünderungen von Klöstern undSchlössern. Thomas Müntzer rief seine Anhänger nachdrück-lich zur Gewalt auf, da er den Anfang des göttlichen Strafge-richtes gekommen glaubte. Trotz rudimentärer Ansätze zurprogrammatischen Formulierung einer grundsätzlich anderenGesellschaftsordnung, die im Umkreis der „Christlichen Ver-einigung“ vom März 1525 feststellbar sind, kam es nirgend-wo zu einem gemeinsamen Programm oder gar zu einergemeinsamen Strategie der Bauern. Das erscheint dann ein-leuchtend, wenn gesehen wird, daß es der Mehrzahl der auf-ständischen Bauern in der Tat um die Wiederherstellung ihreralten Rechte ging, ein revolutionäres Selbstverständnis durch-aus nicht existierte und auch durch die Einbindung in dieneue Legitimität der Schöpfungsordnung nicht geschaffenwurde! Als Antwort auf die 12 Artikel hatte Luther im April1525 mit einem öffentlichen Appell an alle Beteiligten reagiert(Ermahnung zum Frieden) und vor Gewalt gewarnt. Zu dendesungeachtet immer gewalttätiger werdenden Auseinander-setzungen äußerte sich Luther im April 1525 mit der schrof-fen, in jeder Hinsicht intoleranten Schrift Wider die räuberi-schen und mörderischen Rotten der Bauern, in der er derObrigkeit als Amtmann Gottes empfiehlt, das Schwert zu ge-brauchen.

Die Zerschlagung der bäuerlichen Bewegung geschah in-nerhalb weniger Wochen, zunächst in den oberdeutschen undthüringischen, erst später in den österreichischen Kerngebie-ten und in Salzburg. Es begann mit dem Sieg der Truppen desSchwäbischen Bundes über den Baltringer Haufen bei Leip-heim am 4. April 1525. Der Führer der schwäbischen Bunde-struppen, Georg Truchseß v. Waldburg, schloß noch am17. April mit den übrigen Bauernhaufen einen Vertrag ab,wonach ein Schiedsgericht den Konflikt friedlich beenden soll-te. Am 12. Mai konnte er die aufständischen Württembergerschlagen und am 16. Mai erlitten die elsässischen Bauern beiZabern durch die Truppen des Herzogs Anton v. Lothringeneine vernichtende Niederlage, bei der rund 18 000 Bauern

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starben. Einen Tag zuvor hatten die vereinigten Truppen desLandgrafen Philipp v. Hessen und des Herzogs Georg v. Sach-sen die Bauern bei Frankenhausen geschlagen. Thomas Münt-zer, der auf der Seite der Bauern mitgekämpft hatte, wurdegefangengenommen und hingerichtet. Die Landesherren voll-zogen, entgegen Luthers Rat zur Milde, an den Verlierern einhartes Strafgericht – insbesondere in Thüringen und Ober-deutschland.

Daß aber die Niederschlagung des Bauernkrieges für dieBauern generell und die deutsche Geschichte insbesondere ei-ne Katastrophe mit langanhaltenden Folgen gewesen sei, istgewiß auch eine der vielen Geschichtslegenden, die sich umReformation und Bauernkrieg ranken. Inzwischen hat einedifferenzierte Forschung nachgewiesen, daß sich die sozialeund wirtschaftliche Lage der Bauern seit der zweiten Hälftedes 16. Jahrhunderts durchaus stabilisierte, wenn nicht garverbesserte. Schon aus Sorge vor einer neuen Erhebung warendie Landes- und adligen Herren bereit, für Abhilfe von Miß-ständen zu sorgen. Bereits auf dem Reichstag zu Speyer(1526) fanden ausführliche Verhandlungen über möglicheKonsequenzen aus den Forderungen der zwölf Artikel statt.Auch für den Fortgang der Reformation waren die Folgen desBauernkrieges nicht nur negativ. Vom Ende der „Volksre-formation“, der nur noch die eigentlich verfälschte „Fürsten-reformation“ folgte, kann sicherlich nicht länger gesprochenwerden. Die reformatorischen Bewegungen in den Städtensetzten sich ungebrochen fort – mit dem ihnen eigenen Cha-rakter.

2. Stadtreformation

„The reformation was an urban event – die Reformation warein städtisches Ereignis“, so formulierte 1974 der amerikani-sche Reformationshistoriker A.G. Dickens. Trotz seiner Über-spitzung traf der Satz einen zentralen Sachverhalt: die refor-matorische Bewegung im Reich hatte nicht nur aber dochbesonders in den Städten nachhaltige und nachhaltig verän-

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dernde Wirkung. Den Grund dafür hat der Göttinger Kir-chenhistoriker Bernd Moeller 1962 erstmals in der folgendenThese formuliert: „Die deutsche Stadt des Spätmittelalters[hatte] eine Neigung, sich als corpus christianum im kleinenzu verstehen.“ (Moeller, Reichsstadt, S. 15) Die damit be-zeichnete Einheit von Kirchen- und Bürgergemeinde bot einenausgezeichneten Resonanzboden für die Aufnahme der refor-matorischen Theologie und ihres Gemeindeprinzips, das diestadtkirchliche Ordnung nachhaltig verändern sollte. In sei-nem für die frühe Phase der Reformation entscheidendenGutachten zur Ordnung der Kirchengemeinde, das er für diekleine Stadt Leisnig 1523 angefertigt hatte, betonte Luther,daß die Ordnung gebende Kompetenz allein bei der Kirchen-gemeinde liege. Und diese war im Selbstverständnis des Stadt-bürgertums jener ersten Jahrzehnte des 16. Jahrhundertsidentisch mit der Bürgergemeinde: „Daß einer christlichenVersammlung oder Gemeinde Recht und Macht zustehe, alleLehre zu beurteilen und Lehrer zu berufen, ein- und abzuset-zen“, so lautete Luthers Aussage (Luther, Werke, WeimarerAusgabe, Bd. II, S. 408–416). Begünstigt wurde die Rezeptionder reformatorischen Lehre zudem durch das für diese so zen-trale Schriftprinzip. Hier wurde die Fähigkeit des Nachprü-fens, des Nachlesens gefordert, eine Haltung also der Religiongegenüber, die der mentalen Struktur des Stadtbürgertumsaufgrund seiner bereits weitergeführten Bildung näher lag alsderjenigen der bäuerlichen Bevölkerung.

Die frühe reformatorische Bewegung war denn auch einevor allem auf das Wort aufbauende Bewegung. Sie wurdedurch die Predigt getragen, durch das gedruckte Wort in Ge-stalt von Bibelübersetzung und Flugblatt. Und dieses Mediumerreichte aufgrund seiner Fähigkeit, auch die Bevölkerungs-kreise anzusprechen, die nicht lesen, dafür aber Bilder verste-hen konnten, einen besonders hohen Wirkungsgrad. Die re-formatorische Bewegung war nicht zuletzt eine des Gesangesund der Musik. Das geistliche Gemeindelied, der Choral,wurde zum wesentlichen Bestandteil des reformatorischenWort-Gottesdienstes. Luther selbst war an der Verdichtung

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dieser für den Protestantismus bis in die Gegenwart Identitätbietenden Tradition beteiligt. Die durch ihn erstmalig vollzo-genen Umdichtungen biblischer Psalmen zu Gemeindeliedernsowie die „Erfindung“ des Gesangbuches als Sammlung derKirchenlieder für den gottesdienstlichen Gebrauch schufenwichtige Grundlagen für die „neue Kirche“.

Die Affinität zwischen Reformation und Gemeindeprinzip er-leichterte die Rezeption der reformatorischen Ansätze in ei-nem Augenblick, in dem die für den „Stadtrepublikanismus“(Schilling, Aufbruch, S. 171 u. ö.) konstitutiven Elemente voninnen und von außen unter Legitimationsdruck gerieten. Dasgeschah nicht plötzlich und war nicht besonders „neu-zeitlich“, wie der Blick auf das ausgehende 15. Jahrhundertzeigt; wir haben es eingangs skizziert. Die Reformation aberverlieh dem Anspruch auf politische Teilhabe der Bürgerge-meinde (nicht des Einzelnen) eine ungemeine Dynamik, diegerade in der Situation der Bedrohung stabilisierend wirkte –für beide Seiten.

Der Konflikt im Innern entstand durch die einseitige Auf-kündigung der Wechselseitigkeit in der Ausübung von Herr-schaft, wie sie dem spätmittelalterlichen Politikverständniszumindest in den Städten entsprach, von seiten des Stadtrates.Nicht länger sollte der genossenschaftliche Schwurverband dieBasis der Herrschaftsübung sein, vielmehr die hierarchischeGliederung in Obrigkeit und Untertanen maßgeblich werden.Damit entzog sich der städtische Rat seiner unmittelbarenVerantwortlichkeit für alles politische Handeln gegenüber derBürgergemeinde. Die sich mehrenden Auseinandersetzungeninnerhalb der Städte, seien sie nun Land-, Reichs- oderMischverfassungsstädte, zeigen, daß dieser Anspruch derStadträte nicht akzeptiert wurde. Immer dann, wenn wirt-schaftliche oder finanzpolitische Konflikte zu lösen waren,brachen die Gegensätze auf. Und wirtschaftliche Sorgen gabes in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts in Gestaltvon Überbevölkerung und des Anpassungszwangs an dieStrukturveränderungen im europäischen Handels- und Ge-

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werbesystem genügend. Insofern bezeichnet das Wort von derStadt als Konsensgemeinschaft das Ideal, die Realität stelltesich gerade in der Reformationszeit als „Konfliktgemein-schaft“ dar (Hamm, Bürgertum, S. 51). Beides aber ist keinGegensatz! Die große Resonanz der reformatorischen Theo-logie beruhte ja gerade darauf, daß die Einheit der Gemeindeals religiöse und politische gepredigt wurde. Das galt auchdann noch, als sich die innertheologischen Differenzen immerschärfer herausstellten. Der Straßburger Reformator MartinButzer hat dieses Bild von der Kirche als der von Gott geleite-ten Gemeinschaft zum Grundzug seiner Theologie entwickelt.„Von daher entwarf er die Vision eines vollkommenen Ge-meinwesens, das [...] in der Einheit kirchlichen und staatli-chen Lebens gedieh und den Gemeinsinn zu seinem Gesetzhatte.“ (Moeller, Zeitalter, S. 112) Für die Stadträte derReichsstädte verschärfte sich die Lage noch dadurch, daß dieoberen Stände ihnen nur dann ein Mitspracherecht auf denReichstagen einzuräumen gewillt waren, wenn sie sich als ent-scheidungsfähige Obrigkeiten darstellten.

Der Druck von außen entstand durch die Stadtherren, dieim Zuge der Konzentration von Herrschaft die Sonderrechteder Städte zurückzuschneiden versuchten – Integration in dasTerritorium heißt dieser Vorgang in der Sprache der Verfas-sungshistoriker. Besonders betroffen davon waren die Land-städte, deren Stadtherr zumeist der jeweilige Landesherr war.Die Reichsstädte mit dem Kaiser als oberstem Herrn befandensich aufgrund der frühneuzeitlichen „Kaiserferne“ zu diesemZeitpunkt noch in einem Schonraum. Auch die Eingriffs-versuche des Landesherrn wurden als Angriff auf das Ge-meindeprinzip verstanden, denn gerade die wirtschaftlicheund politisch-militärische Autonomie war dessen konstitutivesElement.

In den zahlreichen „Stadtreformationen“, die sich zwischen1520 und 1540 im Alten Reich vollzogen, entlud sich nichtzuletzt dieses Konfliktpotential. Damit wird deren religiöseQualität nur für denjenigen in Frage gestellt, der die unauf-lösliche Verzahnung von Kirche und Welt in der Frühen Neu-

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zeit nicht zur Kenntnis nimmt. Denn es war die Absicht, aufder Grundlage der „Kommunalisierung der Kirche“ (Blickle,Gemeindereformation, S. 167 u. ö.) die bedrohten gemeind-lich-genossenschaftlichen Prinzipien städtischer Kultur zu ver-teidigen und zugleich zu festigen. Insofern verband sich inder Stadtreformation der religiöse Aufbruch mit der Rückkehrzu den „als gut“ befundenen Verfassungstraditionen. Darinliegt in der Tat ein neuer, ein spezifischer Sinn der Reforma-tion.

Fast alle klangvollen Städtenamen der Frühen Neuzeit fin-den sich, wenn die Reihe derjenigen genannt wird, die sichdieser Bewegung anschlossen. Neben den großen Reichsstäd-ten im Süden, wie Augsburg, Basel, Ulm und Straßburg, ste-hen die Vertreter des reichsstädtischen Westens in Gestalt vonWorms, Speyer, Frankfurt/M. und Mainz; nur Köln blieb deralten Kirche treu. Und ebenso gehören dazu die städtischenReformationen in den großen nord- und ostdeutschen Reichs-und Hansestädten, wie Bremen, Hamburg, Lübeck, Braun-schweig, Magdeburg, Mühlhausen, Stralsund, Wismar, Ro-stock und schließlich Danzig. Die Vielfalt der Abläufe kannhier nicht skizziert werden, lediglich ein Beispiel, das aller-dings in seinem radikalisierten Ende nicht typisch ist, sollknapp beschrieben werden.

Dabei handelt es sich um Lübeck, die norddeutsche Reichs-und Hansestadt, die bereits zu Beginn der zwanziger Jahre des16. Jahrhunderts mit der Reformation in Berührung kam.Obwohl zunächst das Domkapitel und der von Patriziern ge-tragene Rat aus Sorge vor Unruhen und wirtschaftlichemSchaden die reformatorische Bewegung zurückhalten wollte,setzten sich die Anhänger der „Lutherischen“ durch. Diekräftige genossenschaftliche Opposition, die sich in Lübeckwie in anderen Städten jener Jahre gegen die auf ihre„obrigkeitlichen“ Rechte pochenden, zudem in Lübeck ausge-sprochen wohlhabenden Ratsfamilien richtete, bezog sichnachdrücklich auf die reformatorische Theologie. 1528 wurdeein Kontrollorgan der Bürgerschaft eingerichtet, das sich ausVertretern der nichtpatrizischen Kaufmannschaft und der

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Handwerker zusammensetzte. 1530 mußte der Rat die Ein-führung der Reformation in Lübeck akzeptieren. Die alt-gläubigen Ratsmitglieder legten ihr Amt nieder, die meistengingen ins Exil. Reformation bedeutete in Lübeck – und kei-nesfalls nur hier – einen Elitenwechsel. 1531 wurde die vonJohannes Bugenhagen (1485–1558), dem Reformator auchvon Pommern, ausgearbeitete Kirchenordnung angenommen.Die weitreichenden Veränderungen im Kirchenwesen derStadt, die von der Gottesdienstordnung über das Schul- biszum Armenwesen reichten, nahmen ihren Anfang.

Und damit veränderte sich auch die soziale Struktur derStadt: nicht mehr katholische Priester, Mönche und Nonnengestalteten das kirchliche Leben, sondern die deutlich verrin-gerte Zahl evangelischer Pfarrer. Sie alle hatten eine legitimeEhefrau (die evangelischen Kirchenordnungen regelten auchdies), zumeist auch Kinder. Schon in der Mitte des 16. Jahr-hunderts kursierte der Spruch: „Der Pfarrer hat viele Bücherund viele Kinder.“ Der evangelische Geistliche lebte also ineiner viel unmittelbareren Weise als die altgläubigen Amts-träger in der Welt der Gemeindemitglieder, mit allen Folgenfür die amtsbezogene Distanz und die alltägliche Nähe. „Diekonsequente Einbindung des entsakralisierten ,geistlichen‘Amtes in die Welt, die Auffassung, daß alles menschliche TunGottesdienst sei, war ja gerade das Anliegen Martin Luthersgewesen.“ (Schorn-Schütte, Evangelische Geistlichkeit, S. 20)Die Ausbildung des evangelischen Pfarrer„standes“ reichteselbstverständlich über die Städte hinaus. Es ist geradezudas Merkmal protestantischer Territorien geworden, daß sieseit der Reformation durch eine gänzlich neue soziale Gruppemit weitreichenden sozialen Kontakten und verwandtschaft-lichen Beziehungen geprägt wurden. Innerhalb der Städte –und das gilt für Lübeck in besonderem Maße – erhielten diereformatorisch gesinnten Geistlichen durch die Einrichtungeines Predigerministeriums (Zusammenschluß aller Pfarrer)eine institutionalisierte Einflußsphäre. Bereits in der zweitenHälfte des 16. Jahrhunderts entstanden daraus neue Konfliktezwischen Kirche und Welt.

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Die grundlegende Neuerung, die in Lübecks Kirchenord-nung verankert war, bestand in der Übernahme des Kirchen-regiments durch den Stadtrat. Das hieß, daß nunmehr allePfarrstellen nur noch durch die Gemeinde selbst, vertretendurch ihren Rat, besetzt werden konnten, daß nur die Ge-meinde selbst die Finanzen der Kirchen kontrollierte, daß nurdie Gemeinde selbst das Armen-, Kranken-, Sozial- und nichtzuletzt das Bildungswesen kontrollierte, also gestaltete. Derdamit verbundene Gewinn an städtisch-gemeindlicher Auto-nomie zeigt den Erfolg der „Koalition“ mit der reformatori-schen Bewegung. Andererseits verweist er auch auf die Gefah-ren des Erfolges, die in der Steigerung der Macht der Stadträtelagen.

In Lübeck vermehrten sich nach der Einführung der Refor-mation im Unterschied zu anderen Städten die sozial- und ver-fassungspolitischen Gegensätze allerdings noch. Das hingnicht zuletzt mit der außen- und wirtschaftspolitisch sehrselbständigen Rolle zusammen, die die Stadt noch im ausge-henden 15. Jahrhundert als Hansestadt hatte spielen können.Als dies sich änderte, wurden die Anpassungsschwierigkeitenaußergewöhnlich groß. Die prägende Gestalt in jenen beweg-ten Jahren war Jürgen Wullenwever (ca. 1492–1537). SelbstAngehöriger einer der aufsteigenden Großhandelsfamilien, diesich gegen die politische Dominanz des patrizischen Rates imZuge der Reformation gewehrt hatten, wurde er 1533 nachdem Sturz des nur von Patriziern gebildeten Rates Bürger-meister. Der neue Rat, dem er vorstand, setzte sich aus nicht-patrizischen Kaufleuten und Handwerksvertretern zusammen.Die nichtbürgerlichen Gruppen der Lübecker Stadtbevölke-rung, die an der Durchsetzung der Reformation maßgeblichenAnteil gehabt hatten, waren auch jetzt von der politischenMacht ausgeschlossen; das entsprach Wullenwevers Politik-verständnis durchaus. Der innenpolitischen Stabilisierungfehlte die Bestärkung durch äußere Erfolge. Das von Wullen-wever angestrebte Bündnis mit Dänemark scheiterte am Wi-derstand des dortigen altgläubigen Adels. In den 1534 ausbre-chenden Krieg mit den Dänen mußten die Lübecker ohne

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nennenswerte Bündnispartner eintreten, denn selbst die hansi-schen Nachbarstädte Rostock, Wismar und Stralsund hattenaus Sorge vor einer wirtschaftlichen Übermacht der Lübeckereine Unterstützung abgelehnt. Angesichts der sich abzeich-nenden militärischen Niederlage schwächte ein 1535 formu-liertes Mandat des Reichskammergerichts die Position derStadt weiter: es wurde die Wiederherstellung der patrizischenVerfassung verlangt. Die Stadt beugte sich, Wullenwevermußte von seinem Bürgermeisteramt zurücktreten. Auf eineraußenpolitischen Zielen dienenden Reise nahmen ihn Trup-pen des Erzbischofs von Bremen gefangen und lieferten ihn andessen gleichfalls altgläubigen Bruder Heinrich v. Braun-schweig-Wolfenbüttel aus. Von diesem wurde er 1537 als„Kirchenräuber, Aufrührer und vermeintlicher Täufer“ (Rabe,Jahrhundert, S. 341) hingerichtet.

Wullenwevers Scheitern verweist auf die späteren, sichrasch in gegensätzlichen Konfessionslagern verhärtendenEntwicklungen und damit auf die sehr rasche „Politisierung“der reformatorischen Bewegung, womit hier deren Nutzbar-machung für die machtpolitischen Interessen der Reichs- undLandstände gemeint ist. Denn daß die „Kommunalisierungder Kirche“, als die sich die reformatorische Bewegung in denersten Jahren darstellte, eine im modernen Sinne des Wortes„Politisierung“ bedeutete, soll überhaupt nicht bestrittenwerden. Das aber hat das Anliegen der Reformation zunächstnicht beeinträchtigt: im Gegenteil. Es war doch gerade dieErwartung der Verweltlichung des Geistlichen und der Heili-gung des Weltlichen, die Luthers theologischen Anspruchausmachte.

3. Die Bewegung der Ritterschaft

Nach Bauern und Bürgern wenden wir uns schließlich derdritten sozialen Gruppe zu, die die Realität des Alten Reichsmaßgeblich prägte, der Reichsritterschaft, dem niederen Adelmithin. Dessen wirtschaftlich und politisch prekäre Lage ander Jahrhundertwende ist bereits vertraut; auf den Funktions-

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verlust des ritterschaftlichen Lebensideals haben wir eingangshingewiesen. Vielleicht lag es an dieser fast ausweglosenSituation, daß sich die Reichsritter als erste weltliche Anhän-ger Luthers zu erkennen gaben. Franz v. Sickingen (1481–1523) bot Luther schon 1520 den Schutz des mittelrheini-schen Adels an. In der großen Ritterschaftsbewegung, die1522/23, als adliger Vorläufer der Bauernbewegung sozusa-gen, unter der Führung v. Sickingens verlief, ging es dem Nie-deradel darum, durch die Verbindung von religiöser Reformund der Forderung nach Wiederherstellung alter Standesprivi-legien eine Steigerung der Legitimität seiner Forderungen zuerreichen. Die Verbindung zwischen reformatorischer Theo-logie und ritterschaftlichem Programm war nicht so intensiv,wie dies für die Stadtreformation oder auch die Bauernkriegs-theologie festgestellt werden kann. Aber in der gemeinsamenAblehnung des unchristlichen Rom und der verdorbenenGeistlichkeit fanden sich die Ritter bei Luther wohl verstan-den. Der ausgeprägte Antiklerikalismus jener Zeit war fürdiese Vermittlung wichtig. Ulrich v. Hutten (1488–1523), derHumanist unter den Reichsrittern, verlieh ihm in einem Flug-blatt von 1522 Ausdruck, in dem er zugleich allen geistlichenAmtsträgern den Kampf ansagte. Mit Luther, der zu diesemZeitpunkt ja selbst noch ein Kleriker war, verband ihn das,wie er meinte, gemeinsame nationale Anliegen. In LuthersAbsicht aber lag diese Wendung nicht. Das wird in der großenReformschrift von 1520 deutlich, die Luther An den christli-chen Adel deutscher Nation; von des christlichen Standes Bes-serung richtete. Die Universalität seiner Zielsetzung ist nichtzu verkennen, denn „anstelle des von Rom usurpierten Ein-heitsprinzips der Christenheit zielte Luther eine romfreie Soli-darität der christlichen Völker an.“ (Lutz, Einheit, S. 219).Auch den religiös bestimmten Freiheitsbegriff bei Luther hatHutten offensichtlich mißverstanden.

Selbst wenn die frühe Stützung der reformatorischen Bewe-gung auf Mißverständnissen beruhen sollte, bleibt die Tatsa-che als solche beachtenswert. Auf der Ebernburg des Franz v.Sickingen wuchs die dritte evangelische Gemeinde im Alten

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Reich nach Wittenberg und Nürnberg heran! 1521 hatte v.Sickingen die tägliche Messe abschaffen und durch einensonntäglichen Gemeindegottesdienst ersetzen lassen. Die in-tensivste Verbindung zum reformatorischen Ansatz bei Lutherbot sich für die Ritter wie für Bauern und Bürger über dasGemeindechristentum an, dessen Umrisse sich in den frühen1520er Jahren allerdings erst abzuzeichnen begannen. Geradedie Reichsritterschaft identifizierte sich in hohem Maße mitdem genossenschaftlichen Modell politischer Herrschafts-übung, war dies doch ihr noch im späteren Mittelalter funk-tionierendes Bündnisprinzip.

Die 1522 geschlossene „brüderliche Vereinigung“ kann alsein politisch-militärischer Schutzbund der oberrheinischenRitterschaft charakterisiert werden, der auf sechs Jahre ge-schlossen, durchaus religiöse Züge trug. Denn die Bundesge-nossen sollten ihre Streitigkeiten nun nicht mehr mit Gewalt,auch nicht auf dem Wege des Gerichtsganges, sondern vor ei-ner standesgemäßen Schiedsstelle austragen; in christlicherBrüderschaft sollten sie miteinander umgehen. Ob dieseSichtweise den Schluß rechtfertigt, der Bund sei die Basis fürden im Laufe des 16. Jahrhunderts zu immer größerer Bedeu-tung heranreifenden christlichen Föderations- und Bundesge-danken gewesen, erscheint eher zweifelhaft. Denn dieserritterschaftliche Ansatz erreichte keine politische Durch-schlagskraft. Der Hauptmann Franz v. Sickingen blieb in sei-ner Fehde gegen den Kurfürsten und Erzbischof von Trier,Richard v. Greiffenklau, weitgehend ohne Unterstützung unddies, obwohl er seinen Angriff damit rechtfertigte, daß er„dem Evangelium eine Öffnung machen“ wolle. Andererseitskamen der hessische Landgraf und der pfälzische Kurfürstdem Erzbischof zu Hilfe. Sickingen mußte die Belagerung derStadt Trier schon nach kurzer Zeit im September 1522 wiederaufgeben. Der Gegenschlag 1523 wurde zum Desaster für denRitter: in seiner Burg Landstuhl war er der überlegenenTechnik der verbündeten Reichsfürsten ausgeliefert und starbkurz nach der Kapitulation im Mai 1523. Wenig später zogdas Heer des schwäbischen Bundes gegen die schwäbischen

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und fränkischen Ritter, um sie an ihren Unabhängigkeitsbe-strebungen innerhalb von Reich und Territorium zu hindern.Das war das Ende der Ritterschaftsbewegung, die nicht zu-letzt das Ziel hatte, die territorialen Verfassungsstrukturenzugunsten des niederen Adels noch einmal aufzubrechen.

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V. Spaltung und Verhärtung

Es war das Wechselverhältnis zwischen Religiösem und Sozia-lem, die Konsensfähigkeit des „Gemeindegedankens“ der Re-formatoren, das den reformatorischen Aufbruch begünstigte,stützte und ihn soweit stabilisierte, daß der Protestantismusals religionspolitische Kraft im Reich Bestand hatte und zu-gleich zum Kristallisationspunkt der Auseinandersetzungenum das Verhältnis zwischen Kaiser und Reichsständen wurde.

1. „Fürstenreformation“ und die Verfestigungdes Protestantismus

Der Blick auf die reformatorischen Initiativen zeigt, daß inder Mitte der zwanziger Jahre die spontane „Bewegung“ zuallmählichem Abschluß kam, stattdessen sich die geplante,politisch zu vertretende Entscheidung für oder gegen die Re-formation durchzusetzen begann. In der älteren, auch in dermarxistischen Forschung zur Geschichte der Reformationwurden diese Phasen einander als „Volks- oder Gemeinde-reformation“ und „Fürstenreformation“ gegenübergestellt,nicht ohne eine Höherbewertung der Volksreformation anzu-fügen. Denn eine Reformation, die durch die weltlichen Ob-rigkeiten gelenkt wird, so ist die Argumentation, hat ihr We-sen aufgegeben. Gegen diese Interpretation spricht z. B., daßin den norddeutschen Stadtreformationen die „Gemeinde-reformation“ bis weit in die vierziger Jahre des Jahrhundertsandauern konnte, die Phasen sich also offensichtlich überla-gerten. Dagegen spricht aber auch die Einsicht in die Paralleli-tät der Wirkungen von „Gemeinde“- und „Fürstenreforma-tion“. Denn mit der Übernahme der politischen Initiativedurch die Landesherrn bzw. Stadtobrigkeiten war keineswegsautomatisch die „Funktionalisierung“ des Religiösen für dieweltlichen Zwecke in dem Sinne verbunden, daß von einemMißbrauch des einen durch das andere gesprochen werdenkönnte. In dem eingangs angedeuteten Sinne sollte vielmehr

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eine einheitliche „Kultur der Reformation“ angenommenwerden, in der Elemente des Gemeindechristentums stets mitsolchen einer obrigkeitlichen Steuerung verbunden sind. DieAufgabe des Historikers ist es, zu beschreiben, welche Kom-ponenten vorherrschen und aus welchen Gründen. Die Chan-ce, dabei möglichst alle Varianten der komplexen Wirklich-keit im Auge zu behalten, spricht für sich.

Die Bereitschaft der weltlichen Obrigkeit, in die kirch-lichen Belange gestaltend einzugreifen, war bereits im Spät-mittelalter wohlbekannt – die Kontinuität auf dem Wege zumLandes- bzw. Stadtkirchentum also gegeben. Angesichts derSpannungen auf Reichsebene, die die Anerkennung eineszweiten Bekenntnisses alles andere als wahrscheinlich mach-ten, wuchs die Notwendigkeit, das neue Kirchenwesen zuverankern und zu befestigen. Seit dem Speyerer Reichstagvon 1526 lag die religionspolitische Verantwortung dazu oh-nehin bei den Reichsständen. Selbst wenn häufig die „spon-tane Freiwilligkeit von Pfarrern und Gemeinden“ (Rabe,Jahrhundert, S. 361) wirksam wurde, so waren doch dieLandesherren in dem Augenblick besonders gefordert, in demsolche Entscheidungen für ganze Territorien getroffen werdenmußten.

In welche Richtung die jeweilige Entwicklung steuerte, warvon zahlreichen stark regional bezogenen Komponenten ab-hängig. So liegt es auf der Hand, daß geistliche Territorien keinausgeprägtes Interesse an einer endgültigen Hinwendung zurReformation hatten. Insbesondere der landsässige Adel wollteaus Versorgungsgründen an der Bewahrung der alten Strukturenfesthalten (Pfründen sollte es im Protestantismus nicht mehrgeben). Die Säkularisierung eines geistlichen Territoriums istwohl auch deshalb nur ein einziges Mal mit Erfolg vollzogenworden: durch die Umwandlung des Ordensstaates in dasHerzogtum Preußen im Jahre 1525. Im Unterschied zu dengeistlichen waren die weltlichen Territorien einem Wechselzur Reformation nicht prinzipiell abgeneigt. Für sie konntesich dieser Schritt in Gestalt der Erweiterung von politischerund wirtschaftlicher Macht (auf Kosten der geistlichen Ge-

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richtsbarkeit sowie des Kirchen- und Klosterbesitzes) durch-aus auszahlen.

Eine gern übersehene Komponente im Rahmen dieser Ver-änderungen war die Haltung der jeweiligen Landstände undhier insbesondere des landsässigen Adels. Dieser stand inzahlreichen Dienst- und Lehnsbeziehungen zu benachbartenFürsten oder gar zum Kaiser selbst, deren Nutzen und Bin-dung sorgfältig gegen die mit der Einführung der Reformationverbundenen Chancen etwa in wirtschaftlicher Hinsicht ab-gewogen werden mußten. Es gab keinen Fall, in dem ein Lan-desherr sich gegen das Votum seiner Stände für die Reforma-tion entschieden hätte. Andererseits hätte ein Votum derStände gegen ihren Landesherren das verfassungspolitischeVerhältnis zwischen beiden nachhaltig belastet: wäre dochdamit die landesherrliche Religionshoheit, ein zentraler Teilder Herrschaftskompetenz, bestritten worden.

Ein recht anschaulicher und für die weitere Entwicklungfolgenreicher Vorgang war die Organisation des Kirchenwe-sens in Kursachsen nach dessen Hinwendung zur Reformati-on. Luther selbst hatte wesentlichen Anteil an der theologi-schen Fundierung des landeskirchlichen Regiments gerade andieser Stelle, denn er lebte sozusagen unter den Augen desKürfürsten. In seiner Vorrede zum Unterricht der Visitatoren,jener von Philipp Melanchthon (1497–1560) 1528 verfaßtenInstruktion für die Besichtigung und Bestandsaufnahme dersächsischen Kirchengemeinden (Visitation), wies er dem Kur-fürsten die berühmte Rolle des „Notbischofs“ zu, die es ihmerlaubte, in den Innenraum der Kirche einzugreifen – aller-dings nur in Form des Notrechts für den Augenblick, in demdie eigentlich zuständigen Instanzen versagten. „Der Landes-herr sollte dieses jus reformandi nicht kraft Amtes besitzen,sondern nur weil und soweit er selbst Christ und damit im-stande war, als ein getreuer Amtmann Gottes im Fürstentum,als ein christlicher Hausvater höherer Ordnung Dienst zutun.“ (Moeller, Zeitalter, S. 116)

Generationen von Historikern, Theologen und protestanti-schen Laien haben darüber gerätselt, ob Luther diese Wen-

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dung vom Gemeindechristentum zum obrigkeitlich gelenktenLandeskirchentum nur in Kauf nahm in der Hoffnung, daßder Verselbständigung der Notrechte durch die Verantwor-tung des christlichen Landesherrn eine Grenze gesetzt sei. Inder Tat hat er die Wende bewußt gestaltet und in ihren prak-tischen Folgen mitgetragen. In dem 1529 in den Druck ge-henden Kleinen Katechismus versuchte er, beide Linien in derGestalt des christlichen Hausvaters als Landesvater zusam-menzufügen. Damit hat er nicht nur die protestantischeFrömmigkeit über Jahrhunderte tief geprägt – der kleine Ka-techismus war für alle lutherischen Protestanten die Grundle-gung ihrer christlichen Sozialisation –, sondern ebensosehrdas protestantische Staatsverständnis. Als „Obrigkeit im Va-terstand“, so ließe sich Luthers christlicher Patriarchalismuskennzeichnen, der aber durchaus nicht mit der Entfaltung ei-nes staatlichen Absolutismus gleichzusetzen ist, wie ihn dieverfassungsgeschichtliche Forschung in den letzten Jahrzehn-ten mit dem Moderner-Werden von Herrschaftsstrukturenidentifizierte. Man wird recht genau zu prüfen haben, ob derWechsel zum Protestantismus in den Territorien stets einher-ging mit der Intensivierung frühneuzeitlicher Staatlichkeit ineinem modernisierungsgeschichtlichen Sinn. Luther selbst hatdurch sein striktes Festhalten an der Existenz zweier Regimen-te die Fiktion der Trennung beider Gewalten aufrechterhalten.Es war aber erst die Generation der Protestanten nach Luther,die in der patriarchalischen Fürsorgepflicht des christlichenHausvaters auch deren herrschaftsbegrenzende Funktion ge-sehen und beschrieben hat. Von einem wesensmäßig obrig-keitsgehorsamen Luthertum wird man schon deshalb wohlkaum mehr sprechen können.

Die kirchenpolitische Wende wurde in aller Regel durch ei-nen formalen Beschluß des Landesherren und seiner Ständeeingeleitet. In den Städten bedurfte es eines entsprechendenStadtratsbeschlusses; mancherorts wurde auch das Votum derganzen vollberechtigten Bürgerschaft (alle Stadtbewohner, diedas Bürgerrecht besaßen) eingeholt. Als erfolgreichstes In-strument zur Verwirklichung des Beschlusses diente nicht nur

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in Sachsen, sondern in allen evangelisch gewordenen Territo-rien das Instrument der Visitation. Auf Luthers Vorschlagknüpfte man damit an eine alte bischöfliche Pflicht an, dienunmehr von gemischten Kommissionen ausgeübt wurde.Diese bestanden aus weltlichen und geistlichen Amtsträgernund waren von weltlicher Obrigkeit eingesetzt. Mit derschriftlichen Formulierung förmlicher Kirchenordnungen (indenen alles von der Gottesdienstordnung über das Schul- undAusbildungswesen, die Ordnung der Kirchenfinanzen bis zumFürsorge- und Armenwesen geregelt wurde) fand die Begrün-dung des evangelischen Kirchenwesen in der Regel ihren Ab-schluß. Trotz verschiedener Versuche, eine gemeinsame Kir-chenordnung für alle Territorien zu formulieren, die sich demProtestantismus zugewandt hatten, blieb die territoriale Fun-dierung maßgeblich. Das entsprach der allgemeinen Tendenzzur Stärkung der Territorien auch auf der Ebene des Reichs.

Die Verankerung eines evangelischen Landeskirchentumskonnte nur auf der Basis eines weitgehend abgeschlossenenLehrgebäudes gelingen, das die Abgrenzung gegenüber demalten Glauben, aber auch gegenüber den weiteren evangeli-schen Bewegungen erlaubte. Die theologische Autorität desReformators stand an dieser Stelle nie in Frage. Aber er hatteund brauchte theologisch beratende Freunde, die hohe Kom-petenz z. B. für die Aufgabe der Bibelübersetzung mitbrach-ten. Von großem Gewicht war dabei Philipp Melanchthon,der humanistisch geprägte Mitreformator und diplomatischeVerhandlungspartner in den zahlreichen Religionsgesprächender folgenden Jahre. Unterstützung hatte Luther darüber hin-aus durch Johannes Bugenhagen, Justus Jonas (1493–1555)und Caspar Cruciger (1504–1548). Sie waren eigene Persön-lichkeiten, die, wie z. B. Melanchthon, in zentralen Fragen dertheologischen Vertiefung ihre eigenen Positionen vertraten.Weitreichende Folgen, vor allem für die Generation vonTheologen, die das Luthertum nach Luthers Tod prägten, hat-te der Streit um Melanchthons Lehre von den guten Werken.Die von ihm behauptete Heilsnotwendigkeit der guten Werkegab verständlicherweise Anlaß zu Kritik und es bedurfte der

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ganzen Autorität Luthers, um weiteren Streit zu vermeiden.Aber hier blieb ein ungelöstes Problem; die folgenden Gene-rationen nahmen den Zankapfel wieder auf.

Der Gegensatz zur alten Kirche war für Melanchthon undLuther seit den späten zwanziger Jahren gleichermaßen un-überwindbar geworden. In dieser schroffen Ablehnung unter-schied sich Luther allerdings von den weltlichen Herren; nochlange Jahre versuchten diese, den Ausgleich oder gar die Ver-söhnung zu erreichen. Erst mit den dogmatischen Verlautba-rungen (Dekreten) des Konzils zu Trient aus den ausgehendenvierziger Jahren wurde der Bruch unheilbar. Am schwierigstengestaltete sich die Auseinandersetzung, schließlich Abgren-zung von den sogenannten „Zwinglianern“, also den evange-lischen Schweizern. Konfliktpunkt war das unterschiedlicheAbendmahlsverständnis; der Versuch, mit Hilfe des Marbur-ger Religionsgespräches 1529 zu einer Einigung zu gelangen,war vergeblich gewesen. 1536 verabschiedeten sie ein eigenesBekenntnis in der Abendmahlslehre, in dem der symbolischeGehalt des Mahles als Erinnerung betont wurde. Angesichtsder militärischen Niederlage der Zürcher bei Kappel gab esschließlich erfolgreiche Versuche, die vier oberdeutschen Städ-te (Straßburg, Konstanz, Memmingen und Lindau) in einetheologische Gemeinsamkeit mit den Lutheranhängern aufzu-nehmen. Dank intensiver Vermittlungen durch den Straßbur-ger Reformator Martin Butzer und die politische Rücken-deckung durch den hessischen Landgrafen Philipp gelang dieAnnäherung in der Abendmahlsfrage (Wittenberger Konkor-die); im Mai 1536 nahm man Brot und Wein gemeinsam.

2. „Doppelte Staatlichkeit“ in der Frühen Neuzeit?Reichsständische Freiheit, konfessionelle Differenzierungund die kaiserliche Universalmonarchie

Die enge Verzahnung von Religiösem und Sozialem, von Re-ligiösem und Politischem ist das Charakteristikum des16. Jahrhunderts; ohne diesen Grundzug der Zeit ist die Re-formation nicht zu verstehen. Ohne diesen Grundzug ist aber

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auch die für die deutsche Geschichte prägend gewordeneVertiefung des Gegensatzes zwischen Kaiser und Reichsstän-den nicht zu verstehen, den die reformatorische Bewegung imReich beschleunigte und mit einer wesensmäßig neuen Quali-tät versah: den konfessionellen Gegensatz. Die vielfältig ver-schlungenen Wege der Auseinandersetzung zwischen KaiserKarl V. und dem immer klarer sich spaltenden Reichstag, dieschließlich sogar die Form des militärischen Konfliktes an-nahmen, können hier nur in groben Zügen skizziert werden.Dennoch soll möglichst deutlich werden, welch langanhal-tende Wirkung diese Gegensätze für die Entwicklung des po-litischen Denkens im Alten Reich hatten und damit auch fürdie Einstellung zur „Obrigkeit“. Die langgestrickte Legendevon der deutschen, speziell lutherisch geprägten Staatsgläu-bigkeit hat natürlich einen tiefreichenden „Sitz in der Ge-schichte“. Aber unter der Voraussetzung, daß es sowohl eineKultur der Reformation als auch eine politische Kultur imAlten Reich gab, deren Charakteristika gerade darin lagen,daß sie die Gegensätze vermittelte und dadurch Vielfalt ga-rantierte, müssen auch die Entwicklungslinien ausgeleuchtetwerden, die der bislang als dominant bezeichneten Linie nichtentsprachen. Denn wer weiß z. B. noch etwas von den Dis-kussionen um das Recht zum Widerstand gegen den Kaiser,die im Rahmen der reformatorisch-ständischen Bewegungenaufflammten?

Eines begünstigte den Ausbau der reichsständischen Auto-nomie: die weitgehend fehlende Präsenz des Kaisers im Reich.Heinz Schilling hat dies den „Windschatten“ genannt, in demdas Reich aufgrund der vielfältigen europäischen Bindungendes Kaisers stand. Die Durchsetzung des Wormser Edikts ge-schah deshalb – wir haben es für die Person Luthers skizziert– eigentlich nicht. Das Reichsregiment, selbst religiös gespal-ten, konnte sich gegenüber den Territorialherren nicht durch-setzen. Lehnten also die Reichsstände eine Rückkehr zum sta-tus quo ante ab, so war es nur konsequent, daß sich dieReligionsgruppen in unterschiedlichen Bündnissen zusammen-

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schlossen. 1524/25 vereinten sich süd- und mittel- bzw. nord-deutsche katholische Reichsstände im Regensburger bzw.Dessauer Bündnis. Im Februar 1526 entstand das hessisch-kursächsische Defensivbündnis von Torgau, dem sich weitereevangelische Reichsstände aus Norddeutschland sowie dieStadt Magdeburg anschlossen. Führender Kopf dieses Bundeswar der hessische Landgraf Philipp. Auf dem Reichstag zuSpeyer 1526 fand man noch einmal zu einem Kompromiß inder Religionsfrage, obgleich der durch seinen Bruder vertrete-ne Kaiser insbesondere die evangelischen Stände scharf zurVerwirklichung des Wormser Edikts hatte auffordern lassen.Diese demonstrierten deshalb zwar Geschlossenheit, wolltenaber eine direkte Konfrontation vermeiden: Beim Einritt aufdem Reichstag trug das Gefolge des sächsischen Kurfürstenund des hessischen Landgrafen einheitliche Kleidung mit demSpruch verziert: „Verbum dei manet in aeternum – das WortGottes bleibt in Ewigkeit“. In der Sache ging man nochmalsmit den altgläubigen Ständen konform: Ein Ausschuß desReichstages einigte sich auf die Empfehlung, in der Priestereheund Laienkelch akzeptiert wurden. Einem formellen Beschlußdazu versagte sich der Kaiser mit dem Hinweis auf die Allein-zuständigkeit eines Konzils in allen Glaubenssachen. Kaiserund Reichsstände waren sich aber darin einig, daß die Einbe-rufung eines solchen Generalkonzils oder – wie die Ständeformulierten – einer Nationalversammlung so rasch wie mög-lich erfolgen sollte.

Allerdings: Papst und Kaiser, die sich in dieser Sache zu-nächst hätten verständigen müssen, standen sich seit Mai1526 in offenem Krieg gegenüber. Und auch der Bruder desKaisers war durch die Türkenbedrohung und den Kampf umdie ungarische Königskrone außerhalb des Reiches so sehr ge-bunden, daß das Interesse für die Reichskonflikte zurücktre-ten mußte. Dessen ungeachtet vermehrten sich dort die Span-nungen: Die evangelischen Bündnispartner erhielten Zulaufvon einigen auch wirtschaftlich bedeutenden oberdeutschenReichsstädten, die sich damit offen gegen den Kaiser, ihrenStadtherrn, stellten. Die traditionelle Loyalität der Reichsstäd-

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te gegenüber Kaiser und Reich geriet ins Wanken, und dastraf den Kaiser empfindlich.

Angesichts solcher Spannungen war ein Reichstag bitternötig, aber auch besonders konfliktträchtig: der zweite Speye-rer Reichstag von 1529 bewies dies. Die machtpolitisch zwarnachvollziehbare, innenpolitisch aber unsensible Politik desKaiserstellvertreters, König Ferdinand I. (1503–1564), steiger-te die Spannungen weiter. Die altgläubige Mehrheit des inter-kurialen (Vertreter aller Ständegruppen) Ausschusses, derwährend des Reichstages die Religionspolitik beriet, setzte ge-gen die neugläubige Minderheit die Aufhebung des Religions-kompromisses von 1526 durch, verbunden mit der Andro-hung der Reichsacht gegen alle, die dem nicht folgten. Diesefaktische Bekräftigung des Wormser Ediktes traf die evangeli-schen Stände zutiefst. Sie provozierte jene Protestation vom19. April 1529, die für das Selbstverständnis der Neugläubi-gen prägend war: seitdem wurden sie als die „protestierendenStände“ bezeichnet, als Protestanten also. Die Geschichts-schreibung des 19. Jahrhunderts hat dieses Ereignis zu einernationalen Befreiungsaktion umgedeutet, in der die neuzeit-liche Gewissensfreiheit ihren Anfang genommen habe. Dasist, wie häufig, weder ganz richtig noch ganz falsch. Die„Protestierenden“ hatten lediglich ein gebräuchliches Rechts-instrument des Reichstages in Anspruch genommen, wonacheine Minderheit gegen Mehrheitsbeschlüsse rechtswirksamenWiderspruch einlegen konnte, wenn sie dadurch wider dasRecht gebunden wurde. Die Tatsache aber, daß dieses In-strument erstmals für die Entscheidung von GlaubensfragenAnwendung fand und zugleich die Kompetenz des Reichs inder Entscheidung von religiösen Fragen grundsätzlich bestritt,gab dem traditionalen Recht einen veränderten Charakter.

Die altgläubigen Stände nahmen die Protestation nicht zurKenntnis; der Beschluß des Ausschusses wurde Bestandteil desReichstagsabschiedes (offizieller Beschluß des Reichstages).Mit der Unterschrift von fünf Fürsten (u. a. Landgraf Philippund Kurfürst Johann v. Sachsen) sowie der Gesandten von 14Reichsstädten übergab man den Widerspruch der Protestan-

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ten daraufhin dem Kaiser und einem einzuberufenden Konzil.Die Rechtslage der „Protestanten“ war allerdings prekär:Der Reichsabschied konnte notfalls auch mit Waffengewaltdurchgesetzt werden. Bündnisvereinbarungen waren somitzumindest aus der Sicht der Evangelischen unvermeidbar.Noch im April 1529 schlossen führende Reichsstände, die sichzur Reformation bekannten (wiederum Kursachsen und Hes-sen, daneben wichtige Reichsstädte) ein geheimes Verteidi-gungsbündnis ab, in das auch zwei dem schweizerischen Pro-testantismus nahestehende Städte einbezogen waren. Philippv. Hessen nahm sich der Festigung dieses Bündnisses in be-sonderem Maße an, indem er Partner über die Grenzen desReiches hinaus und unter den verschiedenen Flügeln des Pro-testantismus zu finden suchte. Gewiß führte dies zur offenen„Politisierung der Reformation“ (Rabe, Jahrhundert, S. 322),war aber zugleich deren Sicherung.

Des Landgrafen Bemühungen stießen auf z.T. unerwarteteWiderstände, nicht zuletzt unter den eigenen Partnern, beson-ders aber bei Martin Luther. Diesem war der Gedanke eineraktiv gegen den Kaiser gerichteten Vereinigung in hohemMaße unheimlich: Bedeutete dies nicht Widerstand gegen dievon Gott gegebene Obrigkeit, der Gehorsam geleistet werdenmußte? Abgesehen davon, daß Luther auch der militärischeSchutz des Evangeliums unlieb war, wollte er vor allem Ei-nigkeit nur mit denjenigen unter den Evangelischen, mit de-nen er theologische Übereinstimmung erzielen konnte. Unddas galt, trotz aller Bemühungen, für die Anhänger Zwinglisnicht. Die Auseinandersetzungen um das Bündnisrecht derProtestanten gegen den Kaiser hielten bis zum Abschluß desSchmalkaldischen Bundes im Frühjahr 1531 gelehrte Theolo-gen und Juristen in Atem. Die Vorstellung vom aristokrati-schen Charakter der Reichsverfassung schließlich bot die Le-gitimationsgrundlage: da die Stände den Kaiser wählen, istnicht nur er Obrigkeit, sondern die Reichsstände als Legitimi-tät verschaffendes Gremium ebenfalls. Diese Vorstellung vonder doppelten obrigkeitlichen Gewalt bot die Rechtfertigungder Beschränkung der erwählten Herrschaft durch diejenigen,

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die sie gewählt hatten, für den Fall, daß der Basiskonsensverletzt würde. Und das nahmen die protestantischen Ständein Religionssachen dem Kaiser gegenüber für sich in An-spruch; in der Forschung wird dies als „konstitutionelle Lö-sung“ (Winfried Schulze, Geschichte, S. 138) bezeichnet. DieRechtfertigung des Widerstandes gegen den Kaiser war for-muliert, auch Luther hat sie schließlich anerkannt.

Der Kaiser hatte zum Juni 1530 zu einem weiteren Reichs-tag nach Augsburg eingeladen. Erstmals war er selbst wiederanwesend, die Tagungen gewannen damit einen größerenGrad an Verbindlichkeit. Seine politische Position wurdedurch den soeben vollzogenen Friedensschluß mit dem Papstund die Tatsache, daß er sich von Clemens VI. in Bolognahatte krönen lassen, erheblich verbessert. Auf dem Reichstagsollte die Einheit des Alten Reiches wiederhergestellt werden,das am Glaubenskonflikt zu zerbrechen drohte. Auch der Kai-ser wollte das und bot zunächst gütliche Verhandlungen an.Aber es war auch Karls Auffassung, daß nur die Rückkehr derAbtrünnigen in die Gemeinsamkeit der einen Kirche zumZiele führen könne; nicht über Inhalte, nur über die Wegekonnte also gesprochen werden. Der Wiener HistorikerHeinrich Lutz hat in sehr nachdenkenswerten Formulierungendarauf hingewiesen, daß diese Vorstellungen des Kaisers ein-zuordnen sind in die kirchenpolitischen Zusammenhänge desreformkatholischen Spanien: hier gab es eine im Zeichen desHumanismus mit Hilfe der weltlichen Obrigkeit erneuerteLandeskirche, die dennoch im Schoße der römischen Kircheblieb. Es war die spanische Realität, die dem Kaiser ganz of-fensichtlich bei der Suche nach Lösungsmodellen für die„deutsche Frage“ vor Augen stand.

Während des Reichstages wurde zum ersten Mal ein ge-meinsames Bekenntnis der Protestanten erarbeitet, die Con-fessio Augustana, das Augsburger Bekenntnis. Die altgläubigeSeite war bestens vorbereitet, führende Theologen, u. a. Jo-hannes Eck, hatten sich auf eine Grundsatzdiskussion vorbe-reitet. Demgegenüber mußten die Protestanten die Gunst derStunde erst noch erfassen, dann aber gelang es auch ihnen

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unter Beteiligung wichtiger Mitarbeiter Luthers (Justus Jonas,Georg Spalatin, Philipp Melanchthon, um nur einige zu nen-nen) die Prinzipien der reformatorischen Lehre zu formulie-ren. Am 25. Juni 1530 wurde die Confessio einschließlich ei-ner Vorrede des ehemaligen kursächsischen Kanzlers GregorBrück im Namen von fünf protestantischen Reichsständen(Kursachsen, Hessen, Braunschweig-Lüneburg, Brandenburg-Ansbach, Anhalt sowie die Reichsstädte Nürnberg und Reut-lingen) öffentlich verlesen. Die vier oberdeutschen Städte(Konstanz, Straßburg, Memmingen und Lindau), die trotz ih-rer sonstigen Annäherung an die Lutheraner wegen des Unter-schiedes in der Abendmahlsfrage die Confessio nicht hattenunterschreiben wollen, überreichten dem Kaiser ein eigenesBekenntnis (Confessio Tetrapolitana).

Die Confessio trägt Melanchthons Handschrift; das Be-mühen, die gemeinsamen Grundlagen zwischen altem undneuem Glauben herauszustellen, was sich z. B. im Nachweisder Relevanz auch der kirchlichen Tradition für die Protestan-ten zeigte, ist unverkennbar. Gegenüber allen radikalen Strö-mungen im Protestantismus (Täufer, Spiritualisten, aber auchZwinglianer) formulierte sie eine deutliche Trennungslinie.Die Kernaussagen der reformatorischen Theologie bliebendennoch unmißverständlich stehen: nirgendwo wurde die sola-Theologie Luthers aufgegeben.

Während der Arbeit an den Artikeln des Bekenntnissesstanden Melanchthon und seine Mitarbeiter in ständigem,wenn auch geheimgehaltenem Austausch mit dem Kaiserhof,um festzustellen, an welchen ganz praktischen Kirchenbräu-chen ein Aufeinanderzugehen möglich sein würde – wiederumwaren dies Priesterehe und Laienkelch, auch gewisse Varia-tionen in der Liturgie. Damit wird deutlich, daß das Augsbur-ger Bekenntnis auch als Dokument der Verständigung ge-schrieben worden war; die Unterschiede sollten so gering wiemöglich dargestellt werden.

Die Antwort der anderen Seite fiel desillusionierend aus. Sehrrasch war das Urteil der von den altgläubigen Ständen mit der

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Begutachtung beauftragten Theologenkommission gefällt:nicht nur die confessio sei abzulehnen, die ganze reformatori-sche Bewegung müsse einem Ende zugeführt werden. Der Kai-ser ließ das Dokument zu einem verkürzten Gutachten umar-beiten, das unter dem Namen Confutatio (Verteidigung) alskaiserliche Stellungnahme am 3. August vor den Reichsstän-den verlesen wurde. Deren Verfasser waren Johannes Eck undJohannes Cochlaeus (1479–1552). Die Protestanten antworte-ten mit ausdrücklicher Ablehnung der Confutatio; zähe Aus-gleichsverhandlungen ab Mitte August schlossen sich an.Schließlich verweigerte der Kaiser aber sogar die Annahme dervon den Protestanten erarbeiteten Apologie (Erläuterung) desBekenntnisses. Als Karl V. im November 1530 die Religions-verhandlungen für gescheitert erklärte, waren die meisten pro-testantischen Stände bereits abgereist. Nur der Reichstag setz-te mit Hilfe der altgläubigen Mehrheit das Wormser Ediktwieder in Kraft. In seinem Abschied bezeichnete er jedereformatorische Veränderung noch so friedlicher Art alsGewaltanwendung, die als Landfriedensbruch mit scharfenSanktionen bedroht wurde.

Das war eine offene Kampfansage: nun gab es zwei Religions-parteien im Reich, die jeweils ausschließlich für sich den Wahr-heitsanspruch formulierten. Die sehr konkrete Drohung derkatholischen Stände beantworteten die Protestanten mit demSchmalkaldischen Bund, den sie im Frühjahr 1531 abschlossen.Zu ihm gehörten neben Kursachsen und Hessen bedeutendesüddeutsche Städte, insbesondere das einflußreiche Straßburg.

Der militärische Konflikt im Reich war nicht aufgehoben,er war nur aufgeschoben. Ein weiteres Mal mußte sich derKaiser vorrangig den außenpolitischen Problemen zuwenden.Diesmal waren es die Türken, die auf Wien zumarschierten.Die gemeinsame Bedrohung veranlaßte ihn zu einer zeitlichbegrenzten Duldung der Protestanten – man könnte es aucheinen zeitlich befristeten Religionsfrieden nennen. Formuliertwurde er im sogenannten Nürnberger Anstand von 1532. Fürdessen genau festgelegte Dauer war auch jener drohende Arti-kel des Augsburger Reichsabschiedes außer Kraft gesetzt, der

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alle reformatorischen Versuche als Landfriedensbruch charak-terisierte. Im Gegenzug erklärten sich die evangelischen Stän-de zur Türkenhilfe bereit.

Der Kaiser verließ das Reich noch im gleichen Jahr. Die Kon-frontationen zwischen ihm und den Ständen waren zunächstausgesetzt. Aber weder die Religionsfrage noch die Verfas-sungsfrage als diejenige nach der Dominanz des kaiserlichenHerrschaftsanspruches oder derjenigen der „ständischen Li-bertät“ waren entschieden. Erst mit Beginn der vierziger Jahredes 16. Jahrhunderts wandte sich Karl V. den deutschen Fra-gen wieder zu. Verschiedene offizielle Religionsgespräche zwi-schen den beiden religiösen Parteiungen sollten die Chancentheologischer Annäherungen ausloten – trotz aller Bemühun-gen blieben sie ohne Erfolg. Angesichts seiner außenpoliti-schen Siege (z. B. über die Türken) konzentrierte sich der Kai-ser jetzt auf eine machtpolitische Lösung sowohl derReligions- als auch der Verfassungsfrage. Während des Re-gensburger Reichstages von 1546 demonstrierte er öffentlicheGesprächsbereitschaft mit den protestantischen Ständen, trafaber insgeheim die letzten Vorbereitungen für den Krieg gegensie. Die Unterstützung durch den Papst mit Truppen und Fi-nanzmitteln war ihm sicher. Die Kurie hoffte dadurch Einflußnehmen zu können auf die Fortsetzung des Konzils zu Trient,das im gleichen Jahr begonnen hatte. Auch einflußreiche pro-testantische Koalitionspartner hatte der Kaiser gewinnenkönnen: Moritz v. Sachsen z. B., dem die Kurwürde verspro-chen worden war, die seinerzeit sein Vetter innehatte. Offi-zieller Anlaß des Schmalkaldischen Krieges, wie er nach demBündnis der protestantischen Seite genannt wurde, war dieVollstreckung (Exekution) der Reichsacht gegenüber demhessischen Landgrafen und dem sächsischen Kurfürsten, mitder beide im Juli 1546 belegt worden waren, weil sie HerzogHeinrich von Braunschweig-Wolfenbüttel 1545 widerrecht-lich gefangen genommen hatten.

Obgleich die militärischen Auseinandersetzungen für denKaiser zunächst unter einem schlechten Stern zu stehen schie-

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nen, setzte er sich im April 1547 gegen die kursächsischenTruppen durch. Der sächsische Kurfürst wurde gefangenge-nommen, ebenso der hessische Landgraf, der sich dem Kaisergestellt hatte. Die von Karl V. kontrollierten Territorien lagenim Süden des Reiches, ebenso wie die Masse der Reichsstädte,die sich der Kaiser unterworfen hatte. In Norddeutschlanddagegen blieb die reichsständische Opposition bestehen. EinBeispiel gab die Stadt Magdeburg, die den Widerstand gegenihren „unchristlichen Stadtherrn“ probte.

Der Reichstag zu Augsburg, den der Kaiser für Herbst 1547einberief, hatte zwei Programmentwürfe zu beraten, die dieEntscheidung der beiden noch immer ungelösten Fragen imAlten Reich im Sinne des Kaisers erleichtern sollten: DasInterim hätte die Religionsprobleme zu beenden, während derReichsbund, als Liga mit dem Kaiser, unter dem Ziel stand,die Reichsverfassung im monarchischen Interesse Karls wei-terzuentwickeln. Die Resolution, die er den Ständen auf ihreneigenen Entwurf einer Bundessatzung überreichte, enthieltsehr konkrete Planungen: der Bund sollte für eine genau be-messene Laufzeit abgeschlossen werden, in dieser Zeit galtenalle Sonderbünde unter den Ständen als ausgesetzt; für die ge-samte Dauer des Bundes sollte der Kaiser über eine bestimmteAnzahl von Truppen verfügen, die die Stände finanzierten.Daß dies nicht zur Zentralisierung des Reiches geführt hätte,liegt auf der Hand. Das politische Gewicht wäre allerdingsdeutlich zuungunsten der großen Territorien auf die Reichs-spitze verlagert worden. Und auch die Forderung der Unter-haltung von Truppen beunruhigte die Stände zutiefst. In derAblehnung der kaiserlichen „monarchia“, die die „servitut“der Stände heraufbeschwören werde (Lutz, Einheit, S. 280),war man sich über alle Religionsgegensätze hinweg bis aufwenige Ausnahmen einig. Der Plan scheiterte – nicht nur weildie Reichsstände sich verweigerten, sondern auch weil derKaiser selbst im entscheidenden Moment seine dynastischenEigeninteressen über diejenigen des Gesamtreiches stellte. Wiedie Idee eines bündisch fundierten Reiches zu charakterisierenist, wird in der Forschung nicht eindeutig beantwortet; wie so

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oft sind die Bewertungskriterien unterschiedlich. Gemessenaber an dem Wert, der die Reformationszeit stets bewegte,nämlich die Wiederherstellung der als gut betrachteten altenOrdnung, sprach vieles für den Plan. Denn das Bundesprinziphätte das bewirken können, worauf die alte Ordnung beruhte:die Begrenzung von Herrschaft durch den Konsens der Be-herrschten. Daß dies kein „modernes“ Prinzip staatlicherOrdnung ist, sondern ein der alteuropäischen Ordnung zu-tiefst verbundenes, muß nachdrücklich betont werden.

Die Lösung der Religionsfrage traf nun nicht auf die ge-schlossene Ablehnung aller Stände; die katholischen erklärtensich zur Annahme bereit. Seinen wichtigsten evangelischenGegnern, v.a. dem sächsischen Kurfürsten Moritz, konnte derKaiser die Zusage zur Aufnahme in den Reichabschied abrin-gen. Damit wurde das Interim am 30. Juni 1548 formellesReichsrecht. Bis zur endgültigen Klärung der Religionsfragedurch ein Konzil, regelte es interimistisch, also vorüberge-hend, die Bekenntnisfrage im Reich. Obwohl nicht als Son-derbestimmung für die Protestanten gedacht, sondern alsGlaubensformel für beide Religionsparteien, entwickelte essich dennoch zu einer solchen und wurde schon deshalb häu-fig als Diskriminierung abgelehnt. In seiner Grundaussagewar die reichsgesetzliche Bekenntnisformel „reformkatholischund enthielt die Zugeständnisse der Priesterehe und derKelchkommunion“ (Lutz, Einheit, S. 285). Im übrigen aberunterdrückte es alle weiteren theologischen und kirchenord-nenden Prinzipien der Protestanten. Es war nicht verwunder-lich, daß sich massiver Protest gegen seine Verwirklichung imReich erhob – ein praktischer Widerstand im übrigen, der bisin die letzte protestantische Dorfgemeinde getragen wurde, dadie große Mehrheit der evangelisch gesinnten Pfarrer die Be-kenntnisformel ablehnte und häufig mit Unterstützung ihrerGemeinden ebenso wie der weltlichen Obrigkeit dem Reichs-gesetz offen zuwiderhandelte. Innerhalb des Protestantismusführte dies zu schweren Konflikten zwischen den kompromiß-bereiten Kräften um Melanchthon und den kompromißlosenGegnern des kaiserlichen Zwanges. Es ist keineswegs über-

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trieben, wenn festgehalten wird, daß sich seit 1548 die Fragenach dem Recht des Widerstandes gegen unchristliche Obrig-keit mit besonderer Schärfe im Luthertum zu stellen begann!

3. Religionskompromiß im Reich: Augsburg 1555

Angesichts des spannungsreichen Reichstages von 1548, ange-sichts des die Spannungen im Reich noch weiter vertiefendenInterims, angesichts schließlich auch der „Fürstenrebellion“von 1552, die der protestantische Moritz v. Sachsen als Ant-wort auf die Ergebnisse des 1548er Reichstages mit dem jun-gen Landgrafen Wilhelm v. Hessen gegen den Kaiser zusam-mengebracht hatte, ist es fast unglaublich, daß es bereits 1555gelang, einen alles umfassenden Kompromiß als Basis desAugsburger Reichsabschiedes zu vereinbaren. In erster Liniehatte natürlich die unerwartete Niederlage des Kaisers imFürstenkrieg 1552 dazu beigetragen. Innerhalb von wenigenWochen war aus dem siegreichen Oberhaupt des Reiches derVerhandlungspartner des sächsischen Kurfürsten im PassauerVertrag (August 1552) geworden. Darüber hinaus gab derRückzug des Kaisers aus der Deutschlandpolitik des HausesHabsburg seinem Stellvertreterbruder König Ferdinand freieHand, die Dinge in pragmatische Bahnen zu lenken. Darintraf er sich mit dem Führer der protestantischen Stände, demsächsischen Kurfürsten August (1526–1586), der zwar nichtselbst in Augsburg war, aber die Verhandlungspositionenmiteinander koordinierte. Nicht über die Inhalte eines religiö-sen Ausgleichs sollte gestritten werden, sondern über die äu-ßeren Bedingungen eines konfliktfreien Umgangs der beidenReligionsparteien miteinander. Dabei wurde der konfessionel-le status quo von 1552 zugrundegelegt, der im Rahmen derLandfriedensordnung ohne zeitliche Begrenzung festgeschrie-ben werden sollte. In gedrängten Verhandlungen gelang estatsächlich bereits im September 1555 einen Reichsabschiedzu formulieren.

Das wichtigste Ergebnis des Friedensschlusses war die imReichsrecht festgeschriebene Anerkennung des evangelischen

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Bekenntnisses und seiner Kirchenorganisation. Zwei Konfes-sionen standen seitdem unter dem Schutz des Landfriedens.Mit diesem Ergebnis von 1555 war der Abschluß der Refor-mation als Bewegung erreicht. Sein Kompromißcharakterzeigte sich in verschiedenen Aspekten. Zum ersten war derFriedensschluß kein Ende der Glaubenskämpfe. Diese wurdenweitergeführt; der andere Wahrheiten ausschließende Abso-lutheitsanspruch beider Konfessionen verstärkte sich sogarnoch in den Jahren nach 1555. Die Wege der Auseinanderset-zungen aber sollten friedlicher Natur sein; der Rechtswegblieb ausdrücklich offen. Deshalb wurde auch von einer„Justitialisierung der Glaubenskonflikte“ gesprochen (Rabe,Jahrhundert, S. 455). Zum zweiten erstreckte sich der Friedenlediglich auf zwei Konfessionen: die Zwinglianer wurden aus-drücklich ausgeschlossen. Insofern war der Weg zur religiösenNeutralität weltlicher Herrschaft noch recht weit; begonnenhat ihre Säkularisierung für das Reich dennoch in Augsburg1555. Das Recht der Bekenntniswahl zum dritten wurde nurden weltlichen Reichsständen, nicht den Individuen zugesi-chert. Der ausdrücklich aufgenommene Vorbehalt, wonachgeistliche Reichsstände (also z. B. Bischöfe) nur zum Prote-stantismus übergehen konnten, wenn sie alle ihre geistlichenund weltlichen Herrschaftsrechte aufgäben, beschränkte fak-tisch die freie Bekenntniswahl. Nur in den konfessionell ge-mischten Reichsstädten blieb die Bikonfessionalität gewahrt.Jedem Einzelnen stand allerdings das Recht auf Auswande-rung zu (beneficium emigrandi). Die Regelung, die politischdie weitreichendsten Folgen hatte, zum vierten, war das Rechtder weltlichen Reichsstände zur Festlegung des Bekenntnissesauch für ihre Untertanen (ius reformandi). Cuius regio eiusreligio, so lautete die durch die Reichsjuristen geprägte For-mel. Bemerkenswert ist vor allem, daß die auf Reichsebenedurch den Religionsfrieden erreichte konfessionelle Gleich-rangigkeit (Parität) auf der Ebene der Territorien geradezuverhindert wurde: hier galt die konfessionelle Geschlossenheit,deren Durchsetzung zu einem wesentlichen Teil der Politikder Herrschaftszentrierung wurde. Insofern hat der Augsbur-

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ger Religionsfrieden dazu beigetragen, die mit und durch dieReformation intensivierte Diskussion um die Form der Herr-schaft im Reich zu beenden: Weder das bündische Modelleines ständisch dominierten Reiches, noch das durch monar-chische Herrschaftszentrierung beim Kaiser geprägte Modellsetzte sich durch. Es waren die Territorien, die Landesherr-schaften also, die den deutschen Weg in der Neuzeit prägten.Diese regionale Vielfalt blieb das Signum auch des deutschenProtestantismus.

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VI. Aspekte und Wirkungen

Das deutende Verstehen historischer Entwicklungen ist, sodefinierte zumindest der Berliner Historiker Johann GustavDroysen (1808–1884), die Aufgabe des Historikers. Daß da-mit stets dessen Zeitbindung zum Erkenntnis prägenden Fak-tum wird, ist eine Grundtatsache historiographischen Arbei-tens, die nur durch ihre Reflexion, nicht durch Parteilichkeitzu bewältigen ist. Denn der Erkenntnishorizont jeder Genera-tion führt zu stets neuen Nuancen des vermeintlich vollstän-dig rekonstruierbaren historischen Prozesses. Diese in einemproduktiven Sinne historistische Einsicht hat der Reformati-onshistoriker Thomas A. Brady in der eingangs zitierten Be-merkung zusammengefaßt. Max Weber hatte sie schon in denzwanziger Jahren unseres Jahrhunderts mit dem Satz be-schrieben, daß der Historiker aus dem Chaos der Geschichtestets das aussuchen müsse, was ihm aus dem Blickwinkel sei-ner Zeit als kulturbedeutsam erscheine. Für den Reformati-onshistoriker sind diese Überlegungen eine wichtige Bestäti-gung angesichts des zunächst eher entmutigenden Befundeseiner Fülle von ausgeprägt zeitgebundenen Deutungen der Re-formation. Auch ihre nur knappe Skizzierung vermag einenEindruck davon zu vermitteln, welche Bedeutungen und da-mit Wirkungen der Reformation in den verschiedenen Zeit-phasen zugemessen wurden.

1. Reformation als geschichtswissenschaftlicherEpochenbegriff

Mit Beginn einer sogenannten „wissenschaftlichen“ Ge-schichtsschreibung hat zuerst Leopold v. Ranke, der BerlinerHistoriker, auf die Bedeutung der Wechselwirkung zwischenpolitischer und religiöser Entwicklung im 16. Jahrhundertverwiesen und sie als Charakteristikum einer eigenständigenEpoche der Geschichte, der Reformationszeit (1517–1555)nämlich, eingesetzt. In seiner „Deutschen Geschichte im

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Zeitalter der Reformation“ (1839 bzw. 1847 erschienen) cha-rakterisierte er die Reformation erstmals auch als nationalesEreignis, als prägend für die deutsche Geschichte. Die Span-nung zwischen Reich und Territorien, in die die Reformationeingebunden und durch die sie geprägt war, wurde für Rankezu einer zentralen Verständnisachse, die für ihn, den liberalenZeitgenossen, erklärende Kraft auch für das Verständnis sei-ner Gegenwart hatte. Das Wesen der von Luther ausgelöstenreformatorischen Bewegung lag darin, daß sie den nationalenKern zum Bewußtsein brachte, der die Deutschen jenseits vonäußerer Einflußnahme (Papst und Kaiser) und territorialerKleinstaaterei zusammenzuführen vermochte. Daß dies im16. Jahrhundert nicht gelang, war nicht zuletzt auf jene äuße-ren Kräfte, aber auch auf die innere Zerrissenheit der deut-schen Landschaften zurückzuführen.

Rankes Blick konzentrierte sich, und das ist in der For-schung der letzten Jahre immer wieder als Kritik an seinenArbeiten formuliert worden, fast ausschließlich auf die großenMächte und die großen Personen, in diesem Falle auf Luther.Konsequenterweise verengte das den Blick. Andere Persön-lichkeiten, vor allem andere reformatorische Bewegungenwurden bei Ranke zu wenig oder gar nicht zur Kenntnis ge-nommen.

Bereits eine Generation später änderte sich mit dem BonnerHistoriker Friedrich v. Bezold die Blickrichtung. Auch für ihnblieb die Reformation eine zentrale Epoche der deutschen Ge-schichte. Ihr Charakter aber wurde geformt durch soziale,wirtschaftliche und geistige Umbrüche bzw. Neuorientierun-gen. Seine 1890 erschienene Darstellung war die des Natio-nalliberalen, der im Sinne des Kulturprotestantismus den be-sonderen Wert der protestantisch geeinten und geprägtenGesellschaft des Kaiserreichs hervorhob, zugleich aber auchdie Unverzichtbarkeit von sozialer und wirtschaftlicher Inte-gration, deren Fehlen für das Jahrhundert der Reformationnachteilig gewirkt habe.

Es war nicht Friedrich v. Bezolds Reformationsgeschichts-schreibung allein, die im Kaiserreich Gültigkeit hatte. Wie-

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derum unter starker Akzentuierung der Bedeutung der Re-formation für die Herausbildung des modernen Staates, worinihr epochenprägender Charakter zu finden sei, setzten sichzwei führende Vertreter ihres Faches mit dem 16. Jahrhundertund mit Luther auseinander: der Berliner Professor Max Lenz(1850–1932) und der Freiburger Professor Erich Marcks(1861–1938). In ausdrücklicher Absetzung von Heinrich v.Treitschke (1834–1896), der in seiner Luthergedenkrede von1883 vor dem Hintergrund des Kulturkampfes die Reforma-tion bewußt als nationale Befreiungstat dargestellt hatte, be-tonten beide die Notwendigkeit der Unparteilichkeit histori-scher Forschung. Dazu beriefen sie sich auf Ranke – die vonihnen getragene Richtung innerhalb der historischen For-schung wird deshalb als Rankerenaissance bezeichnet. Andersaber auch als Ranke betrachteten sie nicht mehr die „religiöseVerankerung der leitenden Tendenzen und Ideen eines Zeital-ters“ (vom Bruch, Biographie, S. 232) als Deutungskategoriehistorischen Forschens, sondern die Entwicklung des nationa-len Staates aus der Spannung zwischen Macht- und Kultur-staat. Für beide blieb darin trotz des gegenteiligen Anspruchesdie Einbindung in die zeitgenössische Erfahrung des Kultur-kampfes zutiefst prägend. Max Lenz, dem Verfasser einer äu-ßerst populären Lutherbiographie (1. Auflage 1883, zweiteAuflage 1887) ging es darum, den protestantischen Wesens-zug des Kaiserreichs im öffentlichen Bewußtsein so fest wieirgend möglich zu verankern, um die in seinen Augen dienationale Einheit bedrohende innenpolitische Strömung desUltramontanismus (Romfreundlichkeit im Katholizismus) zubannen. Unter diesem Blickwinkel erkannte Lenz für das 16.und das 19. Jahrhundert eine auffallende Ähnlichkeit derEntwicklungen; die Reformation erhielt einen legitimen Ge-genwartsbezug.

Die Bewertung der Reformation als Epochenzäsur, als Be-ginn der Neuzeit oder der Moderne hat sich bis in die Gegen-wart erhalten. Differenzierter wird allerdings seit den Arbei-ten der Historiker Josef Engel, Ernst Walter Zeeden und ErichHassinger (1907–1992) die Epoche als Ganze betrachtet. So

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bewirkte die Diskussion um den Nutzen der Begriffe Gegenre-formation oder katholische Reform bzw. katholische Erneue-rung eine Vertiefung des Wissens um die engen Zusammen-hänge zwischen reformatorischem Wandel und der Reformder alten Kirche beginnend mit dem Konzil zu Trient. DieDiskussion über die Neuartigkeit der Reformation als epo-chenbegründend ist allerdings auch heute noch nicht abge-schlossen.

2. Die Reformation in der protestantischenkirchengeschichtlichen Deutung

Die Vorstellung, daß die Reformation das Mittelalter unddamit die Autoritätsgläubigkeit des Einzelnen überwundenhabe, so daß sich seitdem der Aufbruch in die Neuzeit zielge-richtet vollziehen könne, hat das Selbstverständnis der prote-stantischen Kirchengeschichtsschreibung sehr lange geprägt.Im Kaiserreich verband sich damit auch die Hoffnung aufÜberwindung der Krise der Frömmigkeit, wie sie der Kultur-protestantismus in allerdings sehr viel differenzierterer Formals hier in aller Kürze formulierbar, vorgetragen hat. Auffal-lend dabei ist, daß die Forschung alle historischen Phänomeneunter diesem Blickwinkel der Zukunftsträchtigkeit, der Neu-zeitfähigkeit betrachtet hat; die sozialen oder auch politischenDimensionen der reformatorischen Lehren interessiertenkaum. Viel häufiger wurde nach der Bedeutung der Reforma-tion für die Gegenwart gefragt, dies natürlich vor allem untertheologischen Aspekten.

Scharfe Kritik an dieser Sichtweise kam zu Beginn des20. Jahrhunderts aus den eigenen Reihen, durch den BerlinerReligionshistoriker und -soziologen Ernst Troeltsch (1865–1923). Anders als die bis dahin dominante Forschung befaßteer sich intensiv auch mit den reformatorischen Bewegungenals sozialen Erscheinungen; dazu gehörte nicht zuletzt dieBearbeitung der sogenannten Außenseiter (Täufer, Spiritua-listen). Aus diesen verschiedenen Wurzeln entstand, soTroeltsch, die Reformation. Sie war eingebunden in die

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spätmittelalterliche Autoritätskultur, die „auf dem Glaubenan eine absolute und unmittelbare göttliche Offenbarung [...]in der Erlösungs- und Erziehungsanstalt der Kirche beruht.“(Troeltsch, Bedeutung, S. 9) Die spätmittelalterliche Einheits-kultur wird durch die Reformation aufgelöst, in einem mo-dernen Sinne weitergeführt durch den Calvinismus, da nur erdie Merkmale der Entkoppelung von Staat und Kirche, vonReligion und Politik in der Anerkennung von Gewissens- undGlaubensfreiheit auch für das Individuum aufweisen kann.Das Luthertum aber, wie auch der vom Tridentinum geprägteKatholizismus, blieben der autoritären Einheitskultur des Mit-telalters dadurch verbunden, daß sie, wenn auch nur für einenbegrenzten Wirkraum, die Verzahnung von Religion und Po-litik, von Staat und Kirche erneuerten. Damit widersetzten siesich der Entwicklung zur modernen Welt, die Troeltsch mitder Entwicklung hin zur europäisch-amerikanischen Kulturgleichsetzte und gingen einen eigenen, im Falle des Luther-tums spezifisch deutschen Weg. Die deutsche Moderne be-gann deshalb erst mit dem Einsetzen der aufklärerischen For-derungen nach Gewissensfreiheit, die im Ergebnis auf dieendgültige Trennung von Religion und Politik zielte. Was fürdie Reformation insgesamt galt, traf, so Troeltsch, erst rechtauf Luther zu. Mit seinen politischen Ordnungsvorstellungenwar er dem spätmittelalterlichen patriarchalisch-ständischenDenken zutiefst verhaftet. Das war auf Luthers „weltindiffe-rente“ Ethik zurückzuführen, „die vom einzelnen Christennur den Glauben und die unmittelbare Nächstenliebe forder-te, die Dinge der Welt aber ihren eigenen Gesetzen, d.h. einemrein positivistisch verstandenen Naturrecht der Macht über-läßt.“ (Bornkamm, Spiegel, S. 108). Dadurch entstand bei Lu-ther eine doppelte Moral, die den Gegensatz von politischemHandeln und privatem Glauben in den einzelnen Christenhineinverlegte: im politischen Amt mußte er anders handelnals im privaten Leben.

Daß diese Deutung bei den protestantischen Zeitgenossenvon Troeltsch auf vehemente Kritik stieß, leuchtet ein, wurdedoch damit die kirchengeschichtliche Interpretation der Re-

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formation als Beginn der protestantischen Moderne grund-sätzlich in Frage gestellt. Mit seiner Reformations- und Lu-therdeutung ging es Troeltsch nicht mehr um den Nachweisder Legitimität der nationalen Einheit des Kaiserreichs. Ihmging es vielmehr um eine Erneuerung des zeitgenössischenProtestantismus im Sinne einer Erneuerung seiner frömmig-keitsbezogenen und gemeindechristlichen Wurzeln. Die aberlagen nicht im lutherischen Altprotestantismus.

Ablehnung kam nicht nur, wie angesichts der auch fürTroeltsch nachweisbaren zeitgenössischen Interessenrichtungzu erwarten wäre, von seiten der konservativen Protestantenin Gestalt des Berliner Theologen Reinhold Seeberg (1859–1935), sondern auch von seiten der liberalen Protestanten, fürdie der Berliner Theologieprofessor Karl Holl (1866–1926)die Auseinandersetzung aufnahm. Und damit begann eine kir-chengeschichtliche Neuorientierung, die als Lutherrenaissancebezeichnet wird. Holls Weg zur Beschäftigung mit der Refor-mation und mit Luther war nicht gradlinig gewesen. DieAuseinandersetzung begann erst mit seiner Berufung nachBerlin 1906, wo er in mehreren Vorlesungen und in einer Ge-denkrede zum Lutherjahr 1917 (veröffentlicht 1921) seineÜberlegungen präsentierte. Holl untersuchte nicht nur diegroße Gestalt des Reformators, er wandte sich auch denreformatorischen Bewegungen zu unter dem methodischenPostulat, daß diese und Luther selbst nur unter den eigenenzeitgenössischen Bedingungen analysiert werden dürften. Dieswar für die kirchengeschichtliche Forschung durchaus einneuer Zugang, aber er war auch Ursache für einen strikt aufkirchengeschichtlich-theologische Dimensionen konzentrier-ten Reformationsbegriff, wie er die theologische Reformati-onsforschung seitdem lange geformt hat. Holls Abgrenzungvon Troeltsch geschah über zwei Linien. Zum ersten betonteer den neuartigen Charakter nicht nur der Frömmigkeit desReformators, sondern der reformatorischen Bewegung, wo-durch beide dem Mittelalter enthoben waren. Zum zweitenbetonte er die Einheit der reformatorischen Ethik, die auf demLiebesgebot beruhe und die Welt zu durchdringen versuche.

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Damit führte er einen nachdenkenswerten Angriff auf denTroeltschen Vorwurf von der „doppelten Moral“ in der lu-therischen Reformation. Denn sowohl das individuelle Han-deln des Christen als auch sein Wirken in die Welt fänden ihreBegründung im Liebesgebot Gottes: die Zerreißung von Amts-und Individualmoral existiere nicht als Kern lutherischerTheologie, sondern sei höchstens eine Fehldeutung der Inter-preten.

Trotz des Reformationsbegriffes bei Holl, der sich starkauf Luther konzentrierte, fand eine Rückkehr zur nationalenEinbindung des Reformationsgedächtnisses im Sinne vonTreitschke oder auch der Historiker der Rankerenaissancenicht statt. Zwar betonte Holl wie fast alle Zeitgenossen, daßdas Luthertum für das deutsche Staatswesen integrierendeKraft besitze. In der ihm eigenen Sittlichkeit liege die Kraft,die Staat und Gesellschaft zusammenbinden könnten. DieseKraft beruhte aber auch für Holl in der gemeindezentriertenvolkskirchlichen Tradition, die Luther mit seinem reformato-rischen Aufbruch begründet habe. Holl argumentierte damitausdrücklich gegen jene Auffassungen, die die politische Ord-nung des lutherischen Protestantismus stets mit der Obrig-keitskirche gleichsetzten.

Die protestantische Kirchengeschichtsschreibung der Zwi-schenkriegszeit hat an diesen Positionen keine wesentlichenÄnderungen vorgenommen. Die intensive Einzelforschungkonnte den Gebrauch des Reformationsbegriffes vertiefen. Ei-ne Lösung von der lutherzentrischen Arbeit hin zur Epochen-diskussion, die die Profanhistoriker beschäftigte und durchdie auch andere Dimensionen historischer Realität Berück-sichtigung fanden, setzte erst nach dem Zweiten Weltkriegein. Forschungsprägend war hier gewiß die Studie des Göttin-ger Reformationshistorikers Bernd Moeller über „Reichsstadtund Reformation“ aus dem Jahre 1962. Die konsequenteEinbindung des reformatorischen Geschehens in die verfas-sungs- und sozialgeschichtliche Realität der Reichsstädte zuBeginn des 16. Jahrhunderts löste das personenbezogene In-teresse auf und weitete den kirchengeschichtlichen Reforma-

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tionsbegriff. Kritik auch an dieser Position gab es hinreichend.Gewiß kann das Bild von der Stadt als dem „corpus christia-num im kleinen“ mit Hilfe der spannungsreichen Realität derStädte der beginnenden Neuzeit wirklichkeitsnäher gezeichnetwerden, wie dies die Ansätze u. a. der angelsächsischen Refor-mationsgeschichtsschreibung vorstellten, die mit dem Begriffvom städtischen Sozialkörper als Konfliktgemeinschaft einGegenmodell formulierten (Thomas A. Brady, Bob Scribneru. a.). Die Affinität von genossenschaftlicher Verfaßtheit undgemeindechristlichem Aufbruch in der Reformation bleibt inihrer die Erkenntnis erweiternden Bedeutung davon unbe-rührt. Aber auch andere Positionen, die die theologische Re-formationsgeschichtsschreibung vor einer nachgeordneten Be-deutung im Vergleich zur sozialen und politischen Deutungder Reformation bewahren wollen, wurden seitdem vorgetra-gen. Prägnant hat sie Heiko A. Oberman zusammengefaßt:„Plakativ zusammengefaßt wird jeweils das Geschehen derReformation mit einem anderen sola gekoppelt, einem jeweilswechselnden Postulat nachgeordnet: Ohne Reich und Fürstenkeine Reformation. Ohne soziale Krise keine Reformation.Ohne Stadt keine Reformation. Selbstverständlich muß dementgegen wieder Grundverständnis werden: Ohne Reformato-ren keine Reformation.“ (Oberman, Reformation, S. 21)

3. Die katholische Sicht der Reformation

Die Erforschung der Reformation aus der Sicht des Katholi-zismus ist fast ausschließlich eine Domäne der kirchenge-schichtlichen Forschung geblieben. Erst in den letzten Jahr-zehnten hat sich hier einiges verändert. Der protestantischenForschung vergleichbar konzentrierte man sich intensiv aufdie Person Martin Luthers, dessen Bild durch die zeitgenössi-schen Verzerrungen der Lutherkommentare des JohannCochlaeus (1479–1552) fast bis zur Unkenntlichkeit getrübtwar. Erschwert wurde eine gerechtere Bewertung der Refor-mation und des Reformators auch dadurch, daß die meistenLaien ebenso wie die wissenschaftlich arbeitenden Historiker

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in der Frage der staatlichen Organisation Deutschlands nachdem Krieg gegen Frankreich 1871 der großdeutschen Lösungzuneigten. Die kleindeutsche Lösung wurde sowohl zu einerstaatlichen Begrenzung als auch zu einer konfessionellen Aus-grenzung durch die Protestanten. Die Katholiken standen die-sem Staat reserviert gegenüber; das änderte sich in der Kultur-kampfatmosphäre der ersten Jahrzehnte des Reiches nicht.Die Forschungen zur Geschichte der Reformation sind ein ge-treues Abbild dieser Spannungen. Zum katholischen Histori-ker der Reformation wurde Johannes Janssen (1829–1891),Theologe und Historiker in Frankfurt/M., der mit seinerachtbändigen Geschichte des deutschen Volkes (seit 1876 er-schienen) eine vielgelesene Darstellung auch des Übergangsvom Mittelalter zur Neuzeit gab, die die Reformation in ihrenausschließlich negativen Folgen charakterisierte. Der Nieder-gang des Reichs wurde beschleunigt, der Aufstieg der Terri-torien ebenfalls und die spätmittelalterliche geistig-kulturelleBlüte wurde durch die spaltende und zerstörerische Wirkungder Reformation beendet. Janssens Darstellung traf auf erbit-terten Protest der protestantischen Reformationsgeschichts-forschung. Darüber wurden seine methodisch interessantenAnsätze zur Berücksichtigung frömmigkeits- und sozialge-schichtlicher Überlieferung vollständig verkannt. Auch dieBewertung der Folgen der Reformation, die für Janssen alsTeilung der deutschen kirchlichen Kultur erschien und Mög-lichkeiten der Entwicklung verzögerte, sieht die Forschungheute gerechter als diejenige am Ende des 19. Jahrhunderts.Die polemische Bewertung der Reformation als scharf zu ver-urteilende Revolution endete erst seit den dreißiger Jahren un-seres Jahrhunderts mit den Arbeiten des TheologieprofessorsHubert Jedin (1900–1980) und seines Kollegen Joseph Lortz(1887–1975). Luthers Anliegen wurde vor allem als ein geist-liches anerkannt, das im Kern dem ursprünglich katholischenGottesverständnis entsprochen habe. Von der personalisiertenBetrachtung der Bedeutung der Reformation hat sich dieneuere katholische Geschichtsschreibung erst in den letztenJahren gelöst. Insbesondere die Bewertung der sogenannten

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Gegenreformation als Zeitalter der katholischen Reform undin ihrer Wirkung der protestantischen Reform gleichzusetzen-den historischen Erscheinung (Wolfgang Reinhard) haben zueiner Neuorientierung der katholischen Reformationsge-schichtsforschung erheblich beigetragen.

4. Marxistische Interpretation:Die Reformation als „frühbürgerliche Revolution“

Das Deutungsmuster von der „Reformation als frühbürgerli-cher Revolution“ hat die europäische und nordamerikanischeReformationsforschung der letzten rund 25 Jahre beständig inBewegung gehalten. Die Fülle der durch die marxistischeHerausforderung entstandenen Einzelforschungen hat denKenntnisstand zur sozialen, wirtschaftlichen und theologi-schen Fundierung der Reformation erheblich gesteigert. DieDiskussion verschiedener Phasenmodelle, die im Laufe derDifferenzierung des Konzeptes vorgelegt wurden (z.B. Volks-reformation contra Fürstenreformation), haben den Blick fürden Wandel von Trägergruppen und die unterschiedlicheRezeptionsintensität des theologischen Anliegens geschärft.Ein großer Ertrag ist zweifelsohne vorhanden, wobei nichtvergessen werden sollte, daß das Konzept der frühbürgerli-chen Revolution Teil des universalistischen Geschichtsver-ständnisses des Historischen Materialismus ist, der sich alsWeltanschauung versteht und deshalb nur eine begrenzte Dis-kussionsfähigkeit aufzubringen bereit ist. Sein Erkennt-nisprinzip ist Parteilichkeit, eine Kategorie, die einem plurali-stischen Wissenschaftsverständnis fremd ist. Für den heutigenBetrachter des Deutungsmusters wird immer klarer, daß es ei-ne bemerkenswerte Zeitbindung der verschiedenen Variantendes Konzeptes gab, so daß die sich zunächst als innerwissen-schaftliche Differenzierung darstellende Diskussion unter denbeteiligten Historikern als Anpassungsleistung an bestimmteSachzwänge erkennbar ist, die durch die politischen Vorgabeninnerhalb der DDR-Geschichtswissenschaft geschaffen wor-den waren.

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Den Ausgangspunkt zur Bewertung von Reformation undBauernkrieg als Element der weltgeschichtlichen Phase desÜbergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus, die sich inkrisenhaften Zuspitzungen äußerte, finden wir bei den„Klassikern“ des historischen Materialismus, Karl Marx(1818–1883) und Friedrich Engels. Insbesondere die Arbeitvon Engels zum Bauernkrieg, die 1850 erschien, prägte dasmarxistische Bild von Luther und der Reformation über diefolgenden hundert Jahre hinweg. Beide betrachteten die deut-sche Geschichte insgesamt als eine „fortlaufende Misere“(Brinks, DDR-Geschichtswissenschaft, S. 31). Bauernkriegund Reformation gehörten in ihrem Scheitern in diese Liniehinein. Luther wurde als Ursache für das Mißlingen identifi-ziert und entsprechend negativ beurteilt. In seinem Buch von1850 teilte Engels die Gesellschaft des 16. Jahrhunderts indrei Gruppen ein – eine Differenzierung, die im wesentlichenbis heute aufrecht erhalten wird. Eine konservativ-historischeGruppe, die alles Bestehende bewahren wollte, wurde von ei-ner bürgerlich gemäßigten Gruppe unterschieden, zu der die-jenigen gehörten, die sich von einer gemäßigten Reform inReich und Kirche Nutzen versprachen. Die „Bauern“ und„Plebejer“, wie Engels sie nannte, schlossen sich zur drittenGruppe, zur revolutionären Partei zusammen, deren Forde-rungen am klarsten durch Th. Müntzer artikuliert wurden.Die erste Phase der Reformation beurteilte Engels positiv,denn mit der Übersetzung der Bibel habe Luther z. B. den„Plebejern“ ein „mächtiges Werkzeug in die Hand gegeben“(ebd., S. 33/34). Das Gesamturteil über den Wittenberger aberwar vernichtend: Luther sei im Laufe der Reformation ein„Fürstendiener“, ein „Tellerlecker der absoluten Monarchie“und ein „Verräter“ an den Bauern geworden (ebd., S. 34).

In späteren Äußerungen von Engels deutet sich dasFormationskonzept des historischen Materialismus an: dieReformation als bürgerlich-theologische Revolution sei inihrer ersten Phase positiv zu bewerten, weil sie die Kraft desFeudalismus zu zersetzen begonnen und damit den Übergangzur nächsten Gesellschaftsformation, den Kapitalismus einge-

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leitet habe. Mit diesen sehr groben Strichen sind die Grund-themen auch der marxistischen Reformations- und Luther-deutung angeschlagen, die sich nach dem Zweiten Weltkrieginsbesondere in der damaligen DDR entfaltet haben, da inden übrigen sozialistischen Ländern die Reformation histo-risch keine nennenswerte Rolle spielte. Aus der nunmehrmöglichen Gesamtschau auf vierzig Jahre sozialistischerStaatlichkeit und der mit ihr verbundenen Geschichtswissen-schaft wird deutlich: Die Reformationsdeutungen und die Lu-thermemoria sind ein fast makelloser Spiegel des sich wan-delnden Verhältnisses der politischen Führung der DDR zuBegriff und Phänomen der deutschen Nation. Auch das Kon-zept der frühbürgerlichen Revolution ist Ergebnis der Zeit-bindung der beteiligten Historiker.

Die drei Phasen, die sich für die Entwicklung dieses Deutungs-musters grob unterscheiden lassen, sind den jeweils veränder-ten Bedingungen staatlich-nationaler Identitätssuche zuzuord-nen. Das hieß für die erste, die antifaschistisch-demokratischePhase, daß das Bild, das Engels entworfen hatte, unveränderteGültigkeit besaß. Die zweite Phase, die als Wendung zurnationalen Geschichtsbetrachtung charakterisiert werdenkann, führte für die Reformations- und Lutherforschung zuVeränderungen: Die unter Luthers Assistenz vollzogene „Für-stenreformation“ wurde der unter der Leitung von ThomasMüntzer stehenden „Volksreformation“ gegenübergestellt.Das schroffe Gegeneinander fand sein Ende mit der These,daß die Einheit von Reformation und Bauernkrieg die „früh-bürgerliche Revolution“ begründet habe, die als Aufbruch dernoch nicht ganz ausgereiften, deshalb „frühbürgerlichen“Kräfte (z. B. in den Städten, im Bergbau) existiert habe, abernur in Deutschland. Diese Sichtweise war eine deutliche Ver-änderung gegenüber der ersten Phase. Sie betonte die nationa-le deutsche Komponente und ordnete Luthers reformatorischeHandlungen in einen als positiv bewerteten Traditionszu-sammenhang ein. Der subjektiven Tat eines Einzelnen wurdeeine objektiv fortschrittliche Konsequenz zugeordnet. Die

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dritte Phase begann um 1970, die Zeit also, in der sich in derPolitik der Abgrenzung der DDR die „Nation neuen Typs“durchsetzte. Für die Historiker bedeutete dies eine Verände-rung ihres Verhältnisses zur Nationalgeschichte mit Konse-quenzen auch für das Bild von der Reformation und vonMartin Luther. Reformation und Bauernkrieg blieben in ihrerengen Verbindung zwar spezifisch deutsche Erscheinungen;ihre Wirkung auf den Calvinismus und damit auf die europäi-sche Geschichte aber sei nicht zu leugnen, die frühbürgerlicheRevolution verliere ihren nationalen Charakter und werde zueiner welthistorischen Etappe, die zudem keineswegs sogleichwieder gescheitert sei (Vogler, Marx). In dieser Linie erhieltauch Luther eine neuerlich positive Bewertung.

5. Struktur- und kulturgeschichtliche Deutungenseit den beginnenden achtziger Jahren

Die starke Ausrichtung der internationalen Forschung zur Re-formation auf deren soziale und wirtschaftliche Aspekte führ-te dazu, daß im vergangenen Jahrzehnt nocheinmal andereSchwerpunkte in den Vordergrund gerückt wurden. In einervollständig säkularisierten Gesellschaft wissen Reformations-historiker noch am ehesten, welche Sprengkraft religiöse Be-wegungen haben können, und sie wissen auch, daß derenMotive nicht immer und schlicht auf soziale und wirtschaftli-che Interessenkonflikte zurückgeführt werden können. Auchund gerade die intensive Diskussion mit den marxistischenHistorikern, die bis 1989 institutionalisiert war, zeigte dieGrenzen des Interessen-funktionalen Interpretationsmodellesauf. Es mehren sich deshalb solche Arbeiten, die die mentalenSeiten entweder von Beteiligten oder von Abläufen des refor-matorischen Geschehens untersuchen, wobei deren Einbin-dung in die soziale Verfaßtheit der sich wandelnden Gesell-schaft zu den schwierigsten Forschungsaufgaben gehört.

Diese Forschungsrichtung wurde eingangs unter Hinweisauf die Traditionen der zwanziger Jahre unseres Jahrhundertsals Erforschung der „Kultur der Reformation“ bezeichnet. Zu

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den darin angesprochenen Werthaltungen oder Denkformengehören z. B. auch die in unserer Darstellung so ernst genom-menen genossenschaftlichen Formen politischer Herrschafts-übung. Daß diese Werthaltungen in der Reformation gewirkthaben, durch sie gestärkt wurden ist offensichtlich. Die Ver-mittlung mit der reformatorischen Theologie ist häufig bis inalle Verästelungen schwer zu belegen; um so wichtiger ist dieenge Kooperation mit der kirchengeschichtlichen Erforschungder Reformation. Obermans Votum von der Reformation, dienicht ohne Reformatoren und das heißt ja doch nicht ohnederen Theologie stattfindet, muß sehr ernst genommen wer-den.

Die Kirchenhistoriker selbst haben diesen Wandel bereitseingeleitet. In einem kleinen Streitgespräch zwischen BerndMoeller, dem Erlanger Kirchenhistoriker Berndt Hamm undder Tübinger Kirchenhistorikerin Dorothea Wendebourg gehtes um die zentrale Frage nach dem theologischen Kern, derdie Reformation „im Innersten“ zusammenhält. Für Wende-bourg entsteht dieser erst aus der Sicht der Nachgeborenen,insbesondere der altgläubigen Theologen. Für Hamm undMoeller ist es die Theologie der Rechtfertigungslehre, die vonHamm als systemsprengend und insofern im Kern reformato-risch charakterisiert wird. Wie unterschiedlich selbst in derFrühzeit der Reformation die theologischen Spielarten gewe-sen sein mögen, bleibe dahingestellt. Entscheidend ist, daß esdiese theologische Sinngebung in der frühen Reformation ge-geben hat. Alle Wirkungen, die sich daraus für menschlichesHandeln entwickelten, müssen auf dieses einigende Prinzipzurückbezogen werden.

Diesen Zusammenhang nimmt auch Peter Blickle für seinDeutungsmuster der „Revolution des Gemeinen Mannes“ inAnspruch, dessen Inhalt die Verlagerung der politischenKompetenz vom Adel auf die Kommunen sei, weshalb derVorgang auch als Kommunalisierung gedeutet werden könne.Das behauptet Blickle nun ausdrücklich als eine gemeinsameEntwicklung für Stadt und Land und charakterisiert sie als ei-ne deutsche Tradition auf dem Wege in den modernen Parla-

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mentarismus. Diese Deutung wird kontrovers diskutiert.Denn einerseits wird bestritten, daß es eine alteuropäischeVorform des Parlamentarismus überhaupt gegeben habe, sodaß auch der Kommunalismus nur in seiner zeitbegrenztenWirksamkeit zu verstehen sei. Zum anderen wird die Existenzeines in Stadt und Land parallel wirksamen, im Kern identi-schen kommunalen Prinzips bestritten. Dies geschieht vor al-lem von seiten der Stadtgeschichtsforschung (u.a. H. Schil-ling), die Eigenständigkeit städtischer Verfaßtheit sowie dieNotwendigkeit der regionalen Differenzierung betont. DerHinweis auf die unterschiedlichen Strukturen von Herrschaft,die es nicht zulassen, von einer gemeinsamen politischenKultur ländlicher und städtischer Gemeinde zu sprechen, er-scheint plausibel. Zu prüfen bleibt die Relevanz des Gemein-degedankens in konkreten Konfliktsituationen in Stadt oderLand. Denn es erscheint zunächst noch nicht ausgeschlossen,daß die dörflichen wie die städtischen Werthaltungen, die un-ter dem Begriff „Gemeinde“ zunächst noch sehr allgemeinsubsumiert werden, sich in der Konfrontation als ähnliche ar-tikulieren. Zudem wird zur Zeit noch von einer geschlossenenHaltung, sei es im Dorf, sei es in der Stadt, gesprochen. Auchdas ist unter der Voraussetzung zu prüfen, daß Einheit erstdurch die Existenz des Gegensätzlichen geprägt ist! Ein ernst-zunehmender Beleg dafür ist die Gleichzeitigkeit von Obrig-keitskritik und Herrschaftszentrierung. Sie blieb eine Kon-stante nicht nur in Stadt und Land, sondern auch in den sichvoneinander abgrenzenden konfessionellen Kulturen. ZumVerständnis der politischen Kultur der Reformation reicht esdeshalb nicht aus, nur eine Seite zu betrachten. Zudem mußdie Perspektive der Analyse fixiert werden; denn auch diesedarf sich nicht darin erschöpfen, stets nur das als historischrelevant zu betrachten, was im Lichte der Ergebnisse domi-nant wurde.

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VII. Statt einer Zusammenfassung:Gab es „die“ Reformation?

Am Ende einer raschen Reise durch die Reformation alshistorisches Ereignis und Objekt wissenschaftlicher Deutungist der Sinn der Frage plausibel. Denn es ist ja auch ein Er-gebnis dieses Büchleins, deutlich gemacht zu haben, daßihre Zeitbindung die Ergebnisse geschichtswissenschaftlicherForschung seit den Anfängen bei Leopold v. Ranke bis in dieparteibestimmte Forschung zur Reformation als frühbürgerli-cher Revolution ständig relativiert. Wir stoßen damit auf einallgemeines geschichtswissenschaftliches Problem, das eineentgültige Lösung nicht hat, dem aber durch genaue Gegen-standsbeschreibung seine Schärfe genommen werden kann.

1. „Reformatio“ war für die Zeitgenossen Rückkehr zum be-währten Alten, Wiederentdeckung evangelischer Glaubens-gewißheiten, also keine Revolution im neuzeitlichen Sinn.Aber auch dieser Wandel konnte radikale Umkehr verlan-gen, allerdings auf solchen Wegen, die zumindest schon be-kannt schienen.

2. Die Übergänge vom Spätmittelalter zur Frühen Neuzeitsind durch die Ergebnisse der Forschung, so wie sie hierberichtet wurden, sehr fließend geworden. Die Behauptung,daß Luther am Anfang der Moderne stehe, ist wohl immerweniger überzeugend, zumindest, wenn es nur bei dieserCharakterisierung bleibt. Denn was heißt aus der heutigenSicht der Geschichtswissenschaft schon „Moderne“? DieEpochenzäsur ist in der Tat eine Komponente, die durch dieNachgeborenen zur Bewertung der Vergangenheit „ge-stiftet“ wurde. Die Eigenart der Kontinuitäten ist allerdingsnoch unbestimmt, die Forschung muß hier ansetzen.

3. Die Kirchenhistoriker sprechen, wir haben es skizziert, vomreformatorischen Systembruch, der sich in Luthers Recht-fertigungslehre geäußert habe. Ihre Wirkkraft war offen-sichtlich so groß, daß trotz der den Zeitgenossen bewah-

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renswert erscheinenden Traditionen das Neue das Wichtigewar. Und diese Verbindung ist entscheidend: Wenn die re-formatorische Theologie nur in Gemeinsamkeit mit der er-neuerten Tradition gemeindlicher Ordnung ihre ungestörteEntfaltung finden konnte, dann liegt darin der Kern der Re-formation.

4. Auch für die Zeitgenossen des zwanzigsten Jahrhunderts,die das Recht in Anspruch nehmen, die reformatorischeBewegung aus der Perspektive des Ergebnisses zu betrach-ten, löst sich die Reformation also nicht einfach auf. Wassich auflöst und verändert sind die Deutungsmuster für dasVergangene.

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Bibliographische Übersicht

Die Übersicht enthält diejenigen Titel, die im Text unter Angabe desKurztitels und der Jahreszahl genannt werden. Darüber hinaus werdendie wichtigsten Quelleneditionen aufgeführt. Sie sind in alphabetischerReihenfolge der Titel gegliedert. Angesichts der Fülle der vorliegenden Li-teratur wurde weitestgehend darauf verzichtet, Zeitschriftenartikel undBeiträge in Sammelbänden aufzunehmen. Der Schwerpunkt liegt auf Mo-nographien, die nach 1980 erschienen sind. Neuauflagen von früher er-schienenen Werken wurden dabei soweit wie möglich berücksichtigt. Inbesonderen Fällen sind auch „klassische“ Werke der Reformationsfor-schung mitaufgenommen worden. – Die Übersicht enthält nur deutsch-und englischsprachige Titel.

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2.3.8. Protestantisches Dogma, Obrigkeitsverständnis und TheologieEdwards, Mark U., jr., Luthers Last Battles: Politics and Polemics, 1531–

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2.3.9. Einzelfragen – Klerus und Anti-Klerikalismus, Recht, Mentalität,Familie, „Haus“

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2.3.11. Zum Begriff der „Reformation“ in der WissenschaftsgeschichteBornkamm, Heinrich, Luther im Spiegel der deutschen Geistesgeschichte:

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118

Zeittafel

1483–1546 Martin Luther1484–1531 Huldrych Zwingli1463–1525 Kurfürst Friedrich der Weise v. Sachsen1488/89–1525 Thomas Müntzer1492–1503 Papst Alexander VI. Borgia1493–1519 König (1508 Kaiser) Maximilian I.1495 Reichstag zu Worms (Reichsreform)1497–1560 Philipp Melanchthon1500 Reichstag zu Augsburg (Reichsreform)1502 Gründung der Universität Wittenberg1503–1513 Papst Julius II.1506 Gründung der Universität Frankfurt/Oder1509–1564 Johann Calvin1511 Luther in Wittenberg; 1512 Doktor der Theologie an

der Universität1513-1521 Papst Leo X.1517 Luthers 95 Thesen gegen den Ablaßhandel; Beginn

der Reformation1519–1556 Regierungszeit Kaiser Karls V.1519 Zwingli in Zürich; Beginn der Reformation in der

Schweiz1520 Luthers Reformschriften1520 Kirchenbann gegen Luther1521 Reichstag zu Worms: Wormser Edikt; Reichsacht

gegen Luther1522 Erscheinen von Luthers Übersetzung des Neuen

Testaments1523 Erste und Zweite Zürcher Disputation1523–1534 Papst Clemens VII.1524–1526 Bauernkrieg1526 Erster Reichstag zu Speyer1527 Gründung der Universität Marburg1529 Zweiter Reichstag zu Speyer1529 September-Oktober: Belagerung Wiens durch die

Türken1529 Religionsgespräch zwischen Luther und Zwingli in

Marburg1529 Luthers Kleiner Katechismus1530 Reichstag zu Augsburg (Augsburger Bekenntnis)1531 Gründung des überkonfessionellen Bundes von

Saalfeld1531 Schlacht bei Kappel: Tod Zwinglis

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1534–1535 Täuferreich zu Münster1534–1549 Papst Paul III.1536 Wittenberger Konkordie1538 Gründung des Bundes katholischer Reichsstände in

Nürnberg1540–1541 Religionsgespräche in Hagenau, Worms und

Regensburg1536–1538;1541–1564 Calvin in Genf (Prädestinationslehre)1543–1546 Reformationsversuch des Erzbischofs von Köln,

Hermann Wied1545–1563 Konzil zu Trient (1. Periode 1545–1547, 2. Periode

1551–1552, 3. Periode 1562–1563)1546–1547 Schmalkaldischer Krieg1547–1548 „Geharnischter Reichstag“ zu Augsburg; Interim1552 Fürstenrebellion1550–1555 Papst Julius III.1553 Gründung des Jesuiten-Kollegs in Wien1555 Reichstag zu Augsburg; Augsburger Religionsfrieden

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120

Glossar

Ablaß/Ablaßhandel: Nach der katholischen Lehre der außersakramentale,von kirchlichen Autoritäten gewährte Nachlaß zeitlicher Sündenstrafendurch v.a. finanzielle Zuwendungen an die Kirche.

Abt: In den Mönchsorden der katholischen Kirche im Allgemeinen einKlostervorsteher (regierender Abt), der über die Angehörigen seiner Ab-tei oder auch über ihr Gebiet die ordentliche Gerichtsbarkeit ausübt.Die Wahl eines Abtes erfolgt durch den Ordenskonvent.

Allmende/Allmendrechte [althochdt. algimeinida >Allgemeinheit<]: Teilder Gemeindeflur, in der Regel Weide und Wald, der der Gemeinde ge-hört und gemeinsam genutzt wird.

Augustinereremit: Als Augustiner bezeichnete man ursprünglich katholi-sche Ordensgenossenschaften, die nach der im 8. Jh. entstandenen „Au-gustinerregel“ lebten. Die Augustinereremiten waren ein im 12./13. Jh.entstandener Bettelorden. Der sächsischen Ordensprovinz im Reich ge-hörte u.a. Luther an.

Bannbulle: Päpstliche Bulle (= päpstlicher Erlaß über wichtige kirchlicheAngelegenheiten) über die Verhängung des Kirchenbannes.

Domkapitel: In der katholischen Kirche das Kollegium der hohen Geistli-chen an einer bischöflichen oder erzbischöflichen Kirche (Kanoniker,Kapitularen, Dom- oder Chorherrn), die im Alten Reich den Bischofwählten. Daneben oblag dem D. die Durchführung des feierlichen Got-tesdienstes und die Teilnahme an der Diözesanregierung.

Exkommunikation: Eine Kirchenstrafe, durch die Sünder und Häretikeraus der Gemeinschaft der Gläubigen ausgeschlossen werden. Ihre for-male Mitgliedschaft in der Kirche bleibt bestehen. Die Rechtsfolgen derEx. beinhalten v. a. den Ausschluß vom Empfang der Sakramente undder Ausübung der kirchlichen Jurisdiktion.

Fehde/Fehderecht: Feindschaft, eigentlich Privatkrieg. Bei den Germanenursprünglich kriegsähnliche Auseinandersetzungen zwischen mitein-ander verfeindeten Sippen, die später von der Rechtsordnung anerkanntwurde. Kirche und Staat haben z.B. durch Gottes- und Landfrieden ver-sucht, die Fehde einzudämmen. Durch den „Ewigen Landfrieden“ von1495 wurde sie verboten.

Historismus/historistisch: Eine Weltsicht, die alle Erscheinungen des kul-turellen Lebens aus ihrer Geschichte heraus zu verstehen sucht. Da diegeschichtliche Erkenntnis das Einmalige und Individuelle hervorhebt,gerät der H. in Gegensatz zu allen geistigen Strömungen, die auf dasAllgemeine abzielen. Das eigentliche Erscheinungsbild des H. waren dieGeisteswissenschaften, in denen im Laufe des 19. Jh. mehrere Histori-sche Schulen auftraten.

Humanismus: Der H. war neben Renaissance und Reformation eine dergroßen Geistesbewegungen, die die Abwendung von mittelalterlichen

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Gedankengut ermöglichten und die Frühe Neuzeit eingeleitet haben.Die Humanisten griffen vor allem auf die antiken griechischen und la-teinischen Vorbilder zurück, die als Vorbilder für alle Aspekte derklassischen Sprache begriffen wurden und an deren Werk man sich zuorientieren trachtete.Bei einigen Humanisten (v.a. Erasmus von Rotterdam) entstand derGedanke einer neuen, freien Religiösität, die auf der eigenständigenLektüre und Erforschung der Evangelien beruhte.

Kaplan, Pl. Kapläne [mittelhochdt. aus lat.]: Hilfsgeistlicher; Gehilfe undStellvertreter des katholischen Pfarrers

Klerus [griech.]: Der geistliche Stand in der katholischen Kirche, dem dieLeitung der Kirche und das Lehramt ausschließlich vorbehalten sind.Kleriker wird man erst durch das Sakrament der Weihe.

Konkubinat [lat.]: Das K. bezeichnet eine dauernde außereheliche Ge-schlechtergemeinschaft, eine Art „wilder Ehe“, vor allem zwischen ei-nem Kleriker und einer Frau aus dem Laienstand.

Konzil/Konzilbewegung [lat.] (griech. Synode): Versammlung; In derkatholischen Kirche ein kollegiales und nicht ständiges Organ derKirchenleitung, auch Bischofsversammlung genannt, die den Bischofoder den Papst berät und aus Vertretern des Bistum zusammengesetztist. Die spätmittelalterlichen Kirchenversammlungen versuchten dasabendländische Schisma zu beenden und die kirchlichen Mißständedurch Reformen zu beseitigen. Als Höhepunkt dieser Bewegung gilt dasKonzil von Trient. Letztendlich scheiterte diese katholische Reformbe-wegung im 16. Jh.

Kulturkampf: Der Kampf zwischen dem protestantischen preußischenStaat und der katholischen Kirche von 1871 bis 1887. In der neuenZentrumspartei, der politischen Vertreterin des deutschen Katholizis-mus, sahen Bismarck und die Nationalliberalen den Sammelpunkt derpreußenfeindlichen Gegnerschaft gegen das neue kleindeutsche Reich.Nachdem schon 1872 die Aufsicht aller Schulen in die Hände des Staa-tes gelegt wurden, verweigerten die Katholiken die Anerkennung undBefolgung der sogenannten „Maigesetze“ (1873), die das kirchliche Le-ben ganz der staatlichen Regelung unterstellte. Seit 1875 erfolgte dieEinstellung aller staatlicher Leistungen an die katholische Kirche.Trotzdem nahmen die Stimm- und Mandatzahl der Zentrumsparteistark zu. Unter dem gerade neugewählten und gesprächsbereiten PapstLeo XIII. leitete Bismarck Friedensgespräche mit der Kurie ein. Nachdem allmählichen Auftauen der kirchlich-staatlichen Beziehungen er-klärte Leo XIII. den K. 1887 formal für beendet.

Kulturprotestantismus: Vielfach polemisch gebrauchte Kennzeichnungweiter Kreise in Theologie und Kirche um die Wende des 19. zum20. Jhs. Ausgehend von Hegel sah der K. im evangelischen Christentumdie wahre Darstellung der christlichen Gotteserkenntnis und Frömmig-keit.

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Kurfürsten: Im Alten Reich diejenigen Fürsten, die zur Wahl des deut-schen Kaisers berechtigt waren. Seit 1257 gelten nur 7 als Kurfürsten:die Erzbischöfe von Mainz, Trier und Köln, sowie der Pfalzgraf beiRhein, der Herzog von Sachsen, der Markgraf von Brandenburg undder König von Böhmen.

Kurie/Antikurialismus: Die zentralen Verwaltungsbehörden des Papstes(Römische Kurie) bzw. eines Bischofs (Diözesankurie). Die RömischeKurie umfaßte u. a. die Kardinalskongregationen, Gerichtsbehörden,unterschiedliche Ämter und ständige Kommissionen für die verschiede-nen Bereiche. Die Tendenz der Römischen Kurie, auch im Reich die ei-gene Jurisdiktion auf Kosten der Reichsgewalten auszudehnen und zuerweitern, rief im Alten Reich mitunter lebhaften Unwillen hervor undförderte die Opposition insbesondere gegen den Fiskalismus der Kurie.

Laienkelch: Die Gewährung des Kelchs (Gefäß, das den Wein enthält,der bei der Messe oder beim Abendmahl gespendet wird als Symboldes Blutes Christi) In der katholischen Kirche war der L. seit dem12./13. Jh. abgeschafft bzw. wurde nur Klerikern gespendet.

Nobilitierung: Erhebung in den Adelsstand.Patrizier: Die Oberschicht (Kaufleute, Ministerialen, Großgrundbesitzer)

in mittelalterlichen Städten, aus deren Mitte sich der Rat der Stadt er-gänzte.

Pfrund, Pl. Pfründe/Pfründenkumulation [althochdt. aus lat. praebenda>Unterhalt<]: Ein Kirchenamt, das mit einer Vermögensausstattung(Land, Geldvermögen, laufende Einnahmen) verbunden ist.

Reichsacht: Ausschluß eines Rechtsbrechers aus der Gemeinschaft unddem Rechtsverband des Reiches mit Wirkung für das gesamte Reich.Davon betroffene Rechtsbrecher galten als ehr- und rechtlos und konn-ten bei ihrer Ergreifung getötet werden.

Reichsfürsten: Ursprünglich ein von der Schicht der freien Herren und denReichsgrafen geschiedener Stand, dessen Angehörige direkte Lehnsleutedes Kaisers bzw. Königs waren und herzogliche oder herzoggleicheStellung besaßen. Damit war die Gebietsherrschaft, später Landesherr-schaft verbunden. Im Alten Reich gab es weltliche und geistlicheReichsfürsten, die im Reichsfürstenrat (ein Kollegium des Reichstags)Sitze und Stimme hatten.

Reichskammergericht: Im Alten Reich neben den Reichshofrat das höch-ste Reichsgericht. Es wurde 1495 durch den Wormser Reichstag errich-tet. In seiner Zuständigkeit fielen u. a. Fälle von Landsfriedenbruch, dieVerhängung der Reichsacht, Streitigkeiten auf fiskalischem Gebiet.

Reichstände: Bezeichnung für die nur dem Kaiser unterstehenden Gliederdes Alten Reiches, die in einem der drei Kollegien des Reichstages(Kurfürstenkollegium, Reichsfürstenrat und Reichsstädtekollegium) Sitzund Stimme hatten (Reichsstandschaft). Die R. mußten an den Reichs-tagen teilnehmen, Truppenkontingente zum Reichsheer stellen und dievom Reichstag bewilligten Reichssteuern aufbringen.

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Sakramente: Nach der Lehre der römischen Kirche von Christus einge-setzte äußere Zeichen, die die heiligmachende Gnade verleihen odervermehren. Es handelt sich im einzelnen um die folgenden 7 Sakramen-te: Taufe, Firmung, Altarsakramente, Abendmahl, Buße, Priesterweihe,Ehe, Letzte Ölung. Die Gnadenwirkung hängt nicht von der Würdigkeitdes Spenders ab. Im Protestantismus blieben nur die Taufe und dasAbendmahl bestehen.

Schisma, Pl. Schismen [griech. >Spaltung<]: Kirchenspaltung, besondersdas Schisma von 1054, das die Spaltung zwischen der lateinischen undder orthodoxen Kirche vollendete und bis zum heutigen Tag andauert,und das große abendländische Schisma (1378–1417), bei dem sichzwei, dann sogar drei Päpste gegenüberstanden.

Scholastik [lat. scholasticus >zur Schule gehörig<]: Die christliche Theo-logie und Philosophie des Mittelalters. Sie ist gekennzeichnet durch dieVerbindung der christlichen Offenbarungslehre mit philosophischemDenken. Die scholastische Methode zeichnet sich aus durch klares Her-ausarbeiten der Frage, scharfe Abgrenzung und Unterscheidung der Be-griffe, logisch geformte Beweise sowie Erörterung der Gründe und Ge-genstände in formgerechter Disputation.

Schollenpflicht: Rechtliche Bindung der auf dem landwirtschaftlichen Be-sitztum eines Herren arbeitenden, in der Regel erbuntertänigen Bauern.Die Schollenpflicht beinhaltete vor allem das Verbot, ohne die Einwilli-gung und Genehmigung des Herren wegzuziehen, eine Erbschaft anzu-treten oder zu heiraten. Darüberhinaus waren die Bauern dazu ver-pflichtet, dem Herren Dienste und Abgaben in unterschiedlicher Höhezu leisten

Tagsatzung: In der Schweiz bis 1848 die Versammlung der Gesandten der„Orte“ (Kantone) oder der „Stände“ zur Behandlung gemeinsamer An-gelegenheiten.

Zunft/zünftisch: Fachgenossenschaftliche Vereinigung von Handwerkernund Gewerbetreibenden einer Stadt. Sie verwalten sich nach eigenem, inden Zunftbriefen niedergelegten Recht, das für alle Mitglieder und de-ren wirtschaftliche Aktivitäten verbindlich war. Trotz des Widerstandesder Patrizier errangen die Zünfte in langen Kämpfen zumeist Anteil ander Stadtherrschaft.

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124

Namenregister

Die Namen lebender Autoren bzw. von Verfassern wissenschaftlicherLiteratur erscheinen kursiv.

Albertus Magnus 44Albrecht, Erzbischof v. Mainz 31,

32Alexander, Hieronymus 34Anna (Heilige) 28Anton, Herzog v. Lothringen

60August, Kurfürst v. Sachsen 88

Berlichingen, Götz v. 21, 59Bezold, Friedrich v. 92Blickle, Peter 104Brady, Thomas A. 91, 98Brecht, Martin 28Brück, Gregor 83Bucer siehe: Butzer, MartinBugenhagen, Johannes 66, 76Butzer, Martin 53, 64, 77

Cajetan, Thomas (Kardinal undpäpstlicher Legat) 33

Castelberger, Andreas 51Clemens VII. (Papst, 1478–1534)

43, 82Cochlaeus, Johannes 84, 98Cruciger, Caspar 76

Dickens, Arthur Geoffrey 61Drechsel, Thomas 48Droysen, Johann Gustav 91

Eck, Johannes 34, 82, 84Engel, Josef 93Engels, Friedrich 54, 101, 102Erasmus v. Rotterdam 13, 26, 37,

46

Ferdinand I., Römisch-deutscherKaiser (1503–1564) 80, 88

Friedrich der Weise, Kurfürst v.Sachsen 33, 37

Fugger (Familie) 31

Georg, Herzog v. Sachsen 61Geyer, Florian 58Grebel, Konrad 51Greiffenklau, Richard v., Kurfürst

v. Mainz 70

Habsburg (Haus) 88Hadrian VI. (Papst, 1459–1523)

42, 43Hamm, Berndt 98, 104Hassinger, Erich 93Heinrich,Herzog v. Braunschweig-Wolfen-

büttel 68, 85Henneberg, Berthold v. 18Holl, Karl 96, 97Hubmaier, Balthasar 57Hutten, Ulrich v. 69

Janssen, Johannes 16, 99Jedin, Hubert 99Jellineck, Georg 47Joachim I., Kurfürst v. Branden-

burg 31Joachimsen, Paul 16Johann, Kurfürst v. Sachsen

80Jonas, Justus 76, 82

Karlstadt, Andreas Bodenstein v.48, 49

Karl V.,Römisch-deutscher Kaiser(1500–1556) 33, 36, 40, 78, 82,84, 85, 86

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Lenz, Max 93Lindemann, Margaretha 27Lortz, Joseph 99Lotzer, Sebastian 55Luder, Hans 27Luther, Martin 12, 27, 28, 29, 30,

31, 32, 33, 34, 35, 36, 37,38,39, 43, 44, 45, 46, 47,48, 49, 50, 54, 55, 60, 61,62, 66, 68, 69, 70, 74, 75,76, 77, 78, 81, 82, 83, 92,93, 95, 96, 97, 99, 101, 102,103, 106

Lutz, Heinrich 30, 82

Manns, Peter 29Marcks, Erich 93Marx, Karl 101Maximilian I.,Römisch-deutscher Kaiser

(1459–1519) 18, 33Medici (Familie) 43Melanchthon, Philipp 74, 76, 77,

83, 87Moeller, Bernd 12, 27, 62, 97,

104Moritz, Kurfürst v. Sachsen 85,

87, 88Müntzer, Thomas 48, 49, 50, 51,

60, 61, 101, 102

Oberman, Heiko A. 98, 104Ockham, Wilhelm v. 28

Pauli, Johannes 16Paulus (Apostel) 29Pfeiffer, Heinrich 51

Philipp der Großmütige, Landgrafv. Hessen 46, 48, 52, 61, 77, 79,80, 81

Ranke, Leopold v. 10, 12, 40, 91,92, 93, 106

Reinhard, Wolfgang 100

Schappeler, Christoph 55, 58Schilling, Heinz 59, 78, 105Schulze, Winfried 82Scribner, Robert 98Seeberg, Reinhold 96Sickingen, Franz v. 69, 70Spalatin, Georg 83Staupitz, Johann v. 29, 35Storch, Nikolaus 48

Tetzel, Johann 32Thomas v. Aquin 44Treitschke, Heinrich v. 93, 97Troeltsch, Ernst 47, 94, 95, 96

Ulrich, Herzog v. Württemberg 57

Waldburg, Georg Truchseß v. 60Weber, Max 47, 91Wendebourg, Dorothea 104Wiclif, John 55Wilhelm IV., Landgraf v. Hessen

88Wullenwever, Jürgen 67, 68

Zeeden, Ernst Walter 93Zwilling, Gabriel 48Zwingli, Huldrych 10, 43, 44, 45,

46, 47, 48, 51, 52, 81

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126

Register der geographischen Begriffe

Aachen 36Allgäu 58Allstedt 48, 50Altes Reich 11, 12, 13, 15, 20, 22,

26, 64, 68, 78, 82, 86Anhalt (Fürstentum) 83Augsburg 17, 24, 33, 65, 82, 86,

88, 89

Basel 44, 47, 49, 65Bayern 57Berlin 96Bern 44, 47Biel 47Böhmen 50, 57Brandenburg (Kurfürstentum) 31Brandenburg-Ansbach 83Braunschweig (Stadt) 65Braunschweig-Lüneburg 83Bremen 65, 68

Dänemark 67Danzig 65DDR 102, 103Deutschland 7, 8, 10, 12, 13,

16, 19, 22, 32, 34, 38, 78, 99,102

Drei Waldstätte 47

Ebernburg 69Einsiedeln 44Eisenach 27Eisleben 27, 48Elsaß 51, 58Erfurt 28, 29Europa 8, 13

Frankenhausen 61Frankfurt a.M. 36, 59, 65, 99Frankfurt a.O. 49Frankreich 99Friedberg 59

Glarus 44

Halberstadt 31Hamburg 65Hegau 57Heilbronn 59Hessen 81, 83, 84

Kaiserberg (Elsaß) 59Kappel 48, 77Kempten 58Klettgau 57Köln 24, 59, 65Konstanz 47, 77, 83Kursachsen 74, 81, 83, 84

Landstuhl 70Lech 58Leipheim 60Leipzig 34, 49Leisnig 62Limburg 59Lindau 77, 83Lübeck 65, 66, 67Luzern 47

Magdeburg 31, 65, 79, 86Mähren 51Mainz (Kurfürstentum) 58Mainz (Stadt) 59, 65Mansfeld 28Memmingen 58, 77, 83Mühlhausen 47, 51, 65Münster i.Westf. 53

Niederlande 51Nürnberg 24, 42, 70, 83

Oberdeutschland 61Oberschwaben 58

Paris 35Pfalz 58

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Polen 51Pommern 66Preußen 73

Reutlingen 83Rom 31, 33, 34, 37, 69Rostock 65, 68Rothenburg 59

Sachsen 42, 76Salzburg 58, 60Schaffhausen 47Schwaben 55Schweizerische Eidgenossenschaft

11, 47, 48, 51, 58Spanien 36, 38, 82Speyer 59, 61, 65, 79St. Gallen 47Steiermark 59Stolberg (Harz) 49Stotternheim 28Stralsund 65, 68Straßburg 47, 48, 65, 77, 83, 84

Thüringen 27, 58, 59, 61Tirol 58, 59Torgau 79Trient 77, 85, 94Trier 70

Ulm 65

Waldshut 57Wartburg 39Wien 44, 84Wismar 65, 68Wittenberg 29, 43, 46, 48, 49,

70Worms 17, 20, 34, 36, 38, 39,

40, 59, 65Württemberg 52, 58

Zabern 60Zollikon 52Zug 47Zürich 43, 45, 47, 48, 49, 51, 52Zwickau 49

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Renaissance und Humanismus

Nicolette Mout (Hrsg.)Die Kultur des Humanismus

Reden, Briefe, Traktate,Gespräche von Petrarca bis Kepler

1998. 420 Seiten. Leinen

Herfried Münkler/Marina MünklerLexikon der Renaissance

2000. 467 Seiten mit einigen Vignetten. Leinen

Dirk HoegesNicolò Machiavelli. Die Macht und der Schein

2000. 257 Seiten mit 8 Abbildungen. Leinen

Peter BurkeDie europäische Renaissance

Zentren und PeripherienAus dem Englischen von Klaus Kochmann

1998. 342 Seiten mit 25 Abbildungen. Leinen(Europa bauen)

Luise Schorn-SchütteKarl V.

Kaiser zwischen Mittelalter und Neuzeit2. Auflage. 2000.

110 Seiten mit 4 Abbildungen und 2 Karten. Paperback(C.H.Beck Wissen in der Beck’schen Reihe

Band 2130)

Verlag C.H.Beck München