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Die schwäbisch-alemannisch „Konnägschn“…
…oder warum sich Schwaben und Alemannen viel näher sind als
gedacht
Ellen BrandnerSFB 471 A 17
Übersicht
• Unterschiede zwischen Schwäbisch und Alemannisch (ziemlich wenige…)
• Gemeinsamkeiten gegenüber anderen Dialekten (ziemlich viele…)
• Wie kann man das erklären?• Sprache und Dialekt• Sprachfähigkeit und Sprache• Der Ort der Variation
Vokalismus
Alemannisch Schwäbisch
broad
Schloof
broid
Schlaof
Frösch
nördlich
Fresch
nerdlich
Schüssl
müed
Schissl
mied
unterschiedlicheVokalqualität im Diphthong
Entrundung
Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Neuhochdeutsche Diphthongierung wurde nur vomSchwäbischen mitgemacht, aber nicht vom Alemannischen:
mein neues Haus
mii nüües Huus mei neis Hous
Mittelhochdeutsch
Alemannisch hat den MHD Lautstand bewahrt
aber in beiden Dialekten keine Monophthongierung:
liebguet usw.
Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Standarddeutsch
weiss weiss (Farbe) (von wissen)
Schwäbisch
weiss woiss/woess
Alemannisch
wiiss woss
Alemannisch und Schwäbisch sind somit fast gleich "weit weg" von Standarddeutschen!
Unterschiede und Gemeinsamkeiten
nein
noi nai Dieselbe Silbenstruktur:
σ
C V V C n e i n
σ
C V V C n o i ˜
σ
C V V C n a i ˜
Unterschied lediglich bzgl. der Vokalqualität
Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Vokallänge
Alemannisch Schwäbisch
wegge weage
Wagge Waage
Hose Hoose
Hierin unterscheiden sich die beiden Dialekte:
Alemannisch hat auchhier den MHD Lautstandbewahrt
Unterschiede und Gemeinsamkeiten
Das gilt auch für eine Reihe weiterer Vokale und Unterschiede lassen sich teilweise von Dorf zu Dorffeststellen...
Vokale sind generell sehr anfällig für Wandel!
Ablaut im Deutschen:singen sang gesungen
Markelfingen: abiKaltbrunn: äbi
Diese Variation kann man sogar innerhalb einesParadigmas beobachten…
ich gebedu gibster gibtwir geben
Unterschiede und Gemeinsamkeiten
auch innerhalb desAlemannischen!
Formen des Infinitivs von "tun" (aus DIWA)
Formen von "tun" 3person Plural
Overlay:
Wie kann man dann Dialekte überhaupt einteilen?
Nur nach Vokalismus?
Konsonantismus?
sehr schwierig
schon eher…
Konsonant
nördl. Dial. Alemannisch
/p/>/pf/ Peper, pepper Pfeffer
/p/>/f/ slapen, sleep schlafen
/t/>/s/ dat, wat, eten das, was, essen
/t/>/ts/ Tied, engl. tongue Zeit, Zunge
/tt/>/ts/ sitten, engl sit sitzen
/k/>/x/ ik, koken ich, kochen
/k/>/kx/ Socke Sokche
/k/>/kx/ Kind Kchind (Höchstalm.)
Die zweite (oder hochdeutsche) Lautverschiebung wurde von beiden Dialekten fast identisch mitgemacht
Morphologie (Wortbildung)
Unterschiede und Gemeinsamkeiten
gwäa/gsii
'nab abi'rab abe
hin + ab + hinher + ab + her
entspricht in etwa der heutigen Einteilung zwischen Baden und Württemberg
aber:
diese Linie verläuft ganz anders...sei /bis
beide Dialekte tilgen ge-im Partizip vor b,d,g (p, t, k):
badet, brocht, gange...putzt, trunke, kumme...
Fazit:
Obwohl die Unterschiede "unüberhörbar" sind, ist dieAbweichung – linguistisch gesehen – minimal!
Bis zu einem gewissen Grad ist die Einteilung der Dialekte'willkürlich', weil häufig keine Korrelationen zu finden sind.
Andere Faktoren…•politisch•kulturell•konfessionell•etc
Da es keine Standardisierung gibt, werden die Übergänge auch fließend bleiben.
Dialektkontinuum
Dialekt und Standardsprache
Dialekt als "Unterart" einer Standardsprache
Falsch!
"nicht-perfekte" Standardsprache
Falsch!
Die Variante einer Sprache, die sich zu einem großen Teil mit Nachbarvarianten deckt
Standard
A B C D …
Hintergrund Dialekt und Standardsprache
Die Variante einer Sprache, die sich zu einem großen Teil mit Nachbarvarianten deckt
Welcher Dialekt als 'Basis' für den Standard gewählt wird, hängt von außerlinguistischen Faktoren ab.
Standarddeutsch
• "Sprache" als Begriff für die Summe der Dialekte, die gegenseitige Kommunikation ermöglichen
• "Sprache" als politischer Begriff
"...eine "Sprache" ist ein Dialekt, deren Sprecherüber eine Armee verfügen..."
StandardisierungNormierung Schriftsprache
"falsches" Deutsch als Abweichung von der normierten Schriftsprache
Hintergrund Dialekt und Standardsprache
• Abgrenzung von Dialekt A zu Dialekt B kann nur "willkürlich" festgelegt werden
• Sprache ist sehr flexibel Interferenzen mit anderen Dialekten bzw. Standardsprache
Hintergrund Dialekt und Standardsprache
ein Dialekt ist rein sprachwissenschaftlichnicht als solcher definierbar
Doch wie kann diese Variationsbreite erklärt werden?
Hintergrund zur Sprachwissenschaft
Sprachfähigkeit Sprache
I(nterne)-Sprache E(xterne)-Sprache
unbewusstesWissen über dieMuttersprache
"Material":
spontan verwendete Sprache
Sprecherurteile
Muttersprachler-Kompetenz
SprachverwendungPerformanz
Wie ist die Sprache im Gehirn repräsentiert?
Modell, das die Rekonstruktion des Spracherwerbs erlaubt
...und gleichzeitig dieSystematik der Grammatikerfasst, d.h. natürliche Sprachenadäquat beschreibt
Universalgrammatik
Hintergrund zur Sprachwissenschaft
Parametrisierung+
Dialekte...
• werden von Kindern als erstes erworben
• sind nicht normiert/standardisiert
• bewahren häufig ältere Sprachzustände
• sind aber gleichzeitig "innovativer"
Problem:
häufig Interferenzen von der Standardsprache
Hintergrund zur Sprachwissenschaft
Lexikon(Wörter)
Lautgestalt(Phonologie)
Form(Morphologie)
Anordnung(Syntax)
Bedeutung(Semantik)
•mehr Flexibilität als in anderen Bereichen
schwer zu beschreiben...
•komplexere Strukturen
keine Verschriftlichung
Die Syntax von Dialekten wird traditionell eher"stiefmütterlich" behandelt
"Alltagssprache"
keine Standardisierung (kein Duden!)
Beschreibungen der Syntax von Dialekten reichen von…
...eigentlich gleich wie im Hochdeutschen, kaum Unterschiede...
bis zu
...hat eigentlich keine Syntax, i.e. folgt keinenerkennbaren Regeln gesprochene Sprache
Syntax: (zu einem großen Teil) identisch:
Sowohl schwäbisch-alemannisch als auch Standarddeutsch sind V/2 (im Hauptsatz)
gestern hat Hans seine Freundin getroffen
er hat gesagt [dass er seine Freundin getroffen hat]er muss sich beeilen [damit er nicht zu spät kommt]er weiss nicht [ob das ausreichen wird]
Hans hat gestern seine Freundin getroffenseine Fr. hat Hans gestern getroffengetroffen hat Hans gestern seine Freundin
und Verb/End im Nebensatz:
(wie: zu, zum, gi, dass, ob, der, wo...)
spielen eine zentrale Rolle beim Aufbau des Satzes
aber eben auch flektierte Wörter:
lach-t-est
Verb Tempus Person
Funktionswörter
Normalerweise gilt, dass ein eingebetteter Satz mit einerKonjunktion beginnen muss.
Einzige Ausnahme: eingebettete Fragen:
ich möchte wissen wen du eingeladen hastich weiss nicht mit welchen Leuten er verkehrtes erstaunt mich wieviel er verdient
Die W-Phrase übernimmt die Funktion der Konjunktion
er het mir it gseet wieviel Gäscht dass kummet ALM
ALM:wo ??dass wa * dasswieviel Gäscht dasswieviel dass
W-Wort + Konjunktion im Alemannischen- aber nur unterbestimmten Bedingungen!
er hat mir nicht gesagt wieviel Gäste Ø kommen SD
SD:wo Ø was Ø wieviel Gäste Øwieviel Ø
Redundanz? Nicht ganz…
Klitika: kurze, unbetonbare Pronomen, die sich (phonologisch) mit einem anderen Wort verbinden:
i, en, em, se, eana,´s… ..hond-eane nünt gea…..i ka-se nümme sena…
..ha-n-i-s-em halt gea
?
n
„Spross-konsononant“
wo-n-er kumme-n-isch
*dass es schö-n-isch
wo-n-er…wie-n-er…wa-n-er…
wieso dass-er…
Nur an einsilbige Wörter!
'dass' wird von Klitika gebraucht(und ist gleichzeitig Konjunktion)
*wieso-n-er…
*[vu wo]-n-er kunnt*[wege wa]-n-er nümme kunnt
Phrasen! [mit welle Lüt] dass-er ....[wie viel] dass-er
Lexikoneintrag eines Funktionswortes:
wenn sich Sprachen in der Spezifikation ihrerFunktionswörter unterscheiden, dann hat dies auchAuswirkungen auf die Satzstruktur
Alemannisch:
•klitische Pronomen•einsilbige W-Wörter als Konj.
Standarddeutsch:
•keine klit. Pronomen•einsilbige W-Wörter gleiche Syntax wie komplexe
vgl. 'que' im Französischen, 'che' im Italienischen
Zusammenfassung:
Die Einteilung von Dialekten nach rein lautlichenKriterien sagt eigentlich nichts über tieferliegendeZusammenhänge.
Oberflächenvariation, die entsprechendbreit gestreut ist
Erst das Zusammenspiel verschiedener Ebenengibt tiefere Einblicke auch in die menschlicheSprachfähgkeit...
...und da gibt es noch viel zu erforschen!