14
Die Stellung der Chemischen Industrie der DDR zur Verfahrenstechnik R. Kunze Zur Kennzeichnung der Chemischen Industrie in der DDR' i In 15 Kombinaten mit Ca. 100 ökonomisch selbständigen Betrieben und etwa 1.000 Produktionsstätten wurden chemische Produkte im Wert von 107 Milliarden Mark I (entspricht 23% der Industrieproduktion der DDR) durch 320.000 Mitarbeiter (10% der Belegschaft der Gesarntindustrie) erzeugt. Zu den weiteren Merkmalen zählen: 1 28% der chemischen Erzeugnisse wurden exportiert, davon 55% in die UdSSR. Dazu waren 20% der Grundfonds notwendig. Insgesamt wurden Ca. 50.000 chemische Produkte erzeugt. 30% der chemischen Erzeugnisse wurden im RGW spezialisiert hergestellt und ausgetauscht. Dazu wurden 2,2 Milliarden Mark für Investitionen und 1,2 I Milliarden Mark für Forschung und Entwicklung aufgewendet. I 63.200 Hoch- und Fachschulkader waren in der Chemischen Industrie tätig. Im Bereich Forschung und Entwicklung waren 19.3 8 1 Mitarbeiter beschäftigt. Diese Erläuterung ist notwendig, da die Chemische Industrie der DDR wesentlich von der Struktur der Chemischen Industrie in den Altbundesländern abweicht. In Abbildung 1 ist die Struktur der Chemischen Industrie und deren Einordnung in die Volkswirtschaft dargestellt. Insbesondere die Reifenindustrie, die Plast- und Elast- verarbeitung, die Pharmazie, der Chemiehandel, der Chemieanlagenbau und der ge- samte Außenhandel gehören nicht zur Struktur der Chemie in den alten Bundeslän- dem. Kennzahlen aus dem Jahr 1989.

Die Stellung der Chemischen Industrie der DDR zur ...Stellung der Chemischen Industrie zur Verfahrenstechnik in der DDR 1 19 Errichtung von Anlagen zur Faserproduktion in Guben, Schwarza

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Page 1: Die Stellung der Chemischen Industrie der DDR zur ...Stellung der Chemischen Industrie zur Verfahrenstechnik in der DDR 1 19 Errichtung von Anlagen zur Faserproduktion in Guben, Schwarza

Die Stellung der Chemischen Industrie der DDR zur Verfahrenstechnik

R. Kunze

Zur Kennzeichnung der Chemischen Industrie in der DDR' i

In 15 Kombinaten mit Ca. 100 ökonomisch selbständigen Betrieben und etwa 1.000

Produktionsstätten wurden chemische Produkte im Wert von 107 Milliarden Mark I

(entspricht 23% der Industrieproduktion der DDR) durch 320.000 Mitarbeiter (10%

der Belegschaft der Gesarntindustrie) erzeugt. Zu den weiteren Merkmalen zählen: 1 28% der chemischen Erzeugnisse wurden exportiert, davon 55% in die

UdSSR. Dazu waren 20% der Grundfonds notwendig. Insgesamt wurden Ca.

50.000 chemische Produkte erzeugt.

30% der chemischen Erzeugnisse wurden im RGW spezialisiert hergestellt

und ausgetauscht. Dazu wurden 2,2 Milliarden Mark für Investitionen und 1,2 I

Milliarden Mark für Forschung und Entwicklung aufgewendet. I

63.200 Hoch- und Fachschulkader waren in der Chemischen Industrie tätig. Im

Bereich Forschung und Entwicklung waren 19.3 8 1 Mitarbeiter beschäftigt.

Diese Erläuterung ist notwendig, da die Chemische Industrie der DDR wesentlich

von der Struktur der Chemischen Industrie in den Altbundesländern abweicht. In

Abbildung 1 ist die Struktur der Chemischen Industrie und deren Einordnung in die

Volkswirtschaft dargestellt. Insbesondere die Reifenindustrie, die Plast- und Elast-

verarbeitung, die Pharmazie, der Chemiehandel, der Chemieanlagenbau und der ge-

samte Außenhandel gehören nicht zur Struktur der Chemie in den alten Bundeslän-

dem.

Kennzahlen aus dem Jahr 1989.

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I

R. Kunze

I I I Ministerium für chemische Industrie [

Agrochemisches Kombinat Piesteritz

Reifenkombinat Fürstenwalde

Chemiefaserkombinat Schwarza

Plast- und Elastverarbeitung Berlin

Chemische Werke Buna-Schkopau

Synthesewerk Schwarzheide

Kosmetikkombinat Berlin

Petrolchemisches Kombinat Schwedt

Fotochemisches Kombinat Wolfen

Leuna-Werke "Walter Ulbricht"

Pharmazeutisches Kombinat GERMED Dresden

Chemiekombinat Bitterfeld

Chemiehandel

Chemieanlagenbaukombinat Leipzig-Grimma (CLG)

Chemie-Expodimport

Abbildung 1: Struktur der Chemischen Industrie der DDR

Um weitere Unterschiede deutlich zu machen, wird die Aufgliederung der Beschäf-

tigten der Chemischen Industrie der DDR nachstehend näher erläutert.

Gesamtbeschäftigte: 33 1.848

davon: 26.400 mit Hochschulabschluß

36.800 mit Fachschulabschluß I

In F/E Beschäftigte: 19.381

davon: 3.500 Chemiker

Im Kombinat CLG hatten von den 11.000 W-Absolventen, die hier beschäftigt

waren, 480 eine naturwissenschaftliche, 8.520 eine ingenieurtechnische (darunter 1

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Stellung der Chemischen Industrie zur Verfahrenstechnik in der DDR 1 15

2.100 mit verfahrenstechnischer) und 2.000 eine kaufmännische bzw. ingenie~r-

ökonomische Ausbildung. Ihr Einsatz verteilte sich wie folgt auf die einzelnen

Bereiche:

5.200 in Projektierung- und Anlagemealisiemng I

1.900 in Forschung und Entwicklung

830 in Produktionsvorbereitung Apparatebau

630 in EDV-Abteilungen

1.040 in Absatz- und Außenwirtschaftsbereichen I

1.400 in sonstigen Bereichen des Kombinates.

Sowohl die hohe Beschäftigtenzahl als auch die hohe Qualifizierung der Mitarbeiter

wird durch eine hohe Feriigungstiefe in der chemischen Produktion als auch in der

Investitionstätigkeit und Reparaturphase hervorgerufen. Allein das Leuna-Kombinat

besaß mehr als 10.000 Produktionsarbeiter, die mit Reparaturarbeiten beschäftigt

waren.

Ausgangssituation der Entwicklung in Ostdeutschland/DDR

Um die Entwicklung der Chemischen Industrie der DDR verstehen zu können, muß

man die Ausgangssituation 1945 berücksichtigen. Folgende charakteristische Merk-

male möchte ich besonders hervorheben: . Die Ostchemie war auf Kriegswirtschaf? konzentriert, die Anlagen waren beson- I

ders stark zerstört. Teilungsbedingt existierten große Disproportionen in der

chemischen Produktion. So fehlten z.B. organische Zwischenprodukte im Osten

fast völlig. Abbildung 2 gibt den Vorkriegsanteil für weitere Produkte an.

Weniger als 10% der Kapazität des chemischen Apparate- und Anlagenbaus be-

fand sich in Ostdeutschland.

Die "1. Garnitur" der Spezialisten und wertvolles Know how wurde von der

amerikanischen Besatzungsmacht mitgenommen. Die "2. und 3. Garnitur" und

weiteres Know how wurde von der sowjetischen Besatzungsmacht beschlag-

nahmt. Die Spezialisten kamen überwiegend erst 1953154 zurück. I

. Ostdeutschland trug 90% der Demontageverpflichtungen Gesarntdeutschlands,

was besonders auch für die Chemische Industrie galt.

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116 R. Kunze

Fotofilme 70

Schwefelsäure

Calzinierte Soda

Ätznatron

Ammoniak

Calciumcarbid

Teerfarbstoffe

Pharmazeutika

Lacke U. Anstrichmittel

PKW-Reifen

Seifen U. Waschmittel

Synthesekautschuk 83

Kunststoffe

' - - a r ~ 2 2

- ---

- V 4 7

147 56

110

1 I 5

Zj 5

' -21

-"J 6 . , , % g % q 2 8

Chemiefasern

(Angaben in %)

Abbildung 2: Anteil der Chemischen Industrie auf dem Gebiet der DDR an der Produktion chemischer Erzeugnisse in Deutschland im Jahr 1936

Die 1946 gebildeten SAG-Betriebe stoppten dann eine weitere Demontage, so

daß Reparationen an die Sowjetunion fortan durch chemische Produkte getätigt

wurden. Durch diesen Entzug an chemischen Produkten wurde die volkswirt-

schaftliche Basis Ostdeutschlands weiter geschwächt.

Es waren kaum FIE-Kapazitäten, Mittel und Möglichkeiten für die chemische

Forschung vorhanden.

Erschwerend wirkte sich weiter die einseitige Bindung Ostdeutschlands an die

russische Volkswirtschaft und die Abkopplung vom Weltmarkt, einschließlich

vom traditionellen westdeutschen Markt, aus. Es erfolgte eine politische Aus-

richtung der ostdeutschen Wirtschaft nach "russischem Muster".

Dies soll als Kurzüberblick zur Charakterisierung der Ausgangssituation in den Jah-

ren unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg genügen.

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Stellung der Chemischen Industrie zur Verfahrenstechnik in der DDR 1 17

Entwicklungsetappen der Chemischen Industrie Ostdeutscl~lands/ DDR

Ergänzend zu den Ausführungen im vorigen Abschnitt müssen vor allem die einsei-

tige Entwicklung der Ostchemie auf Kriegstechnik und der Umstand, daß nur Ca.

10% der Anlagen ohne Kriegsschäden blieben, als erschwerende Faktoren in der

Anfangszeit angesehen werden.

U7iederauJbauphase 1945-1950

Ausgehend vom Zerstömngsgrad der Anlagen und den RohstoffLoraussetzungen

(z.B. Braunkohle) führte der Wiederaufbau jener Periode zu erheblichen Dispropor-

tionen für die Volkswirtschaft, die auch bis zur Wende nicht vollständig beseitigt

werden konnten. Beispielhaft sollen genannt sein:

Leuna: Winklergeneratoren, Wasserstoff-, Ammoniak-, Methanol-, Formaldehyd-,

Leim-, Amin- und Calciurnsulfatproduktion;

Schkopau: Karbid-, Kautschuk-, Essigsäure-, Aceton-, Styrol-, PVC-, Ätnatron-

und Chlorproduktion;

BitterfeldNolfen: Schwefelsäure nach Müller-Kühne, Salpetersäure-, Schwefel-

farbstoffe-, Phosphorchemie-, Farbstoffe-, Chlorate-, Chromate- und Molybdatepro-

duktion;

Böhlen: Hydriertechnik, Destillationstechnik, Verbleiungsanlage für Benzin, Auf-

und Ausbau der Schwelkapazitäten, Bitumen- und Klebstoffproduktion.

Errichtung von Neuanlagen 1950- 1960

Da der Aufbau der Schwerindustrie in dieser Periode Vorrang in der DDR hatte,

standen nur begrenzt Mittel für die Erweiterung der chemischen Produktion zur

Verfügung. Einige Beispiele an Schwerpunktstandorten sollen zeigen, daß es sich

hierbei im wesentlichen nur um Ergänzungsinvestitionen fur die unmittelbar nach

dem Kriegsende wieder in Betrieb genommenen Anlagen handelte:

Leuna- Werke

Buna-Werke

Schkopau

Anlagen zur Erzeugung von Caprolactam, Aceton, Synthese- 1 gas, HD-Polyäthylen, Harnstoff, Amine und Katalysatoren.

Neue Karbidöfen mit Hohlelektrode, PVC-, Polystyrol-,

Acrylnitril-, Formaldehyd-, Fußbodenbelag PVC-, ND-Poly-

äthvlen nach Ziegler- und 1 -4-cis-Kautschuk-Anlagen

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118 R. Kunze

Besonders organische Zwischenprodukte, Pharmazeutika und Konsumgüter waren

und blieben ein ständiger Engpaß in der eigenen Chemieproduktion.

Bitterfeld

Filmfabrik Wolfen

Chemiewerk

Böhlen

Neuanlagen mit eigenem Verfahren 1960-1989

Am 3 . und 4. November 1958 beschloß die Chemiekonferenz in Leuna:

9 Aufbau des PCK Schwedt (Erdöldurchsatz 12 Mio t/a)

9 Aufbau von Leuna I1 (Petrochemie), Ausbau der Erdölverarbeitung in Leuna und

Einstellung der Kohlehydrierung

9 Aufbau der Schrnierstoffproduktion in Lützkendorf

9 Auf- und Ausbau der Erdölverarbeitung in Böhlen und Zeitz

9 Errichtung der Erdölpipelines Schwedt-Leuna, Schwedt-Berlin-Seefeld, Leuna-

Böhlen-Zeitz

9 Errichtung der PU-Produktion in Schwarzheide (Anlagenimport).

Mit diesen volkswirtschaftlich bedeutsamen Entscheidungen wurde die Chemische

Industrie zum Schwerpunkt der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung erklärt und

vorrangig aufgebaut. In der Folgezeit werden überdurchschnittlich viel Investitions-

mittel und wissenschaftlich-technisches Personal in den Chemiewerken konzen-

triert. Zugleich bedeutete dies aber auch eine extreme Förderung des Chemieanla-

genbaus und der relevanten Zulieferindustrien, da der Neuaufbau aus "eigener

Kraft" geschafft werden mußte.

Zu den größten Vorhaben in den darauffolgenden Jahren zählen:

9 Ausbau der Karbidchemie in Buna und Errichtung einer großen PVC-Produktion

3 Aufbau des Düngemittelwerkes Rostock

9 Einsatz von Erdgas zur Synthesegas- und Düngemittelproduktion in Piesteritz

und Leuna

9 Aufbau der OlefinanlagenPetrochemie in Böhlen (in den 70er Jahren)

Salpetersäure-, Alu-Elektrolyse, organische Farbstoff- und

hochchlorierte VCIPVC-Anlagen

PC-Faser-, Schwarz-Weiß-Film-, Röntgen- und Zellwollpro-

duktionsanlagen

Aufbau des Druckgaswerkes, der DHD-Anlage, Braunkohlen-

schwelerei und der Sauerstoffdruckvergasung mit 2,6m-Reak-

toren.

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Stellung der Chemischen Industrie zur Verfahrenstechnik in der DDR 1 19

Errichtung von Anlagen zur Faserproduktion in Guben, Schwarza und Premnitz

P Ausbau der Reifenproduktion in Fürstenwalde, Riesa, Neubrandenburg

> Ausbau der Produktion von Pharmaka in Jena, Dresden und Neubrandenburg

P vertiefte Erdölverarbeitung in Schwedt und Leuna (in den 80er Jahren).

Desweiteren sollten die nachstehenden technisch-organisatorischen Maßnahmen

den Aufbau beschleunigen und effektiver gestalten: Übernahme der IZ Böhlen und

KIB Leipzig in den Bereich der Chemischen Industrie (1968); Komplexprogramm

für die vertiefte Kooperation der RGW-Länder auch im Bereich der Chemie (197 1); I Kauf von Know how aus der UdSSR (z.B. für Erdölverarbeitung, Phenolsynthese,

Triacetat) aufgrund der Embargopolitik und der Abschottung von den Westmärkten,

die den Kauf von Lizenzen zur Herstellung anspruchsvoller Chemieprodukte ver-

hinderte. I

I

Aufgaben und Rolle der Verfahrenstechnik bei der Entwicklung der Chemischen Industrie

I Analoge Verhältnisse im Vergleich zur Ausgangssituation der Chemischen Indu-

strie kennzeichnen auch die Entwicklung der Verfahrenstechnik:

Die geringe Zahl an erfahrenen Ingenieuren bzw. Verfahrenstechnikem in der

Chemischen Industrie konnte erst mit dem Auf- bzw. Ausbau der entsprechen- ,

den Ausbildungskapazitäten in Merseburg, Magdeburg, Köthen sowie Dresden

und Freiberg in den 60er Jahren spürbar erhöht werden.

In den Chemiebetrieben werden verfahrenstechnische AbteiIungen im techni-

schen Bereich (Konstruktionsbüros) und später in den Bereichen Forschung und

Entwicklung aufgebaut. Verfahrensteclinische Gnindlagenarbeit betrifft vorran-

gig die Rekonsiruktion und den Neubau.

Mit dem Aufbau von Technika und der Aufnahme des Versuchsbetriebes an

speziellen Pilotanlagen wird durch Verfahrenstechniker mehr wissenschaftlich-

technischer Vorlauf geschaffen, als materiell umsetzbar war.

Mit der Bildung von Großforschungszentren für die Entwicklung von chemi-

schen Verfahren (1967-1 971), z.B. in Leuna, Buna, Schwedt und im Chemiean-

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120 R. Kunze

lagenbau, sollten Engpässe beseitigt werden. Die Vorhaben wurden jedoch recht

bald gestoppt, da sie sich als zu teuer und uneffektiv erwiesen.

Der Einsatz des ersten Großrechners ZRA 1 in Leuna 1962 markiert den Beginn

verfahrenstechnischer Berechnungen und Optimierungen in der Chemischen In-

dustrie der DDR mittels EDV. Erste Prozeßanalysen sind möglich und liefern

gute Ergebnisse.

Mittels Prozeßanalysen sollte die Rationalisierung der chemischen Produktion

beschleunigt werden. Die Voraussetzungen für die Prozeßautomatisierung mit

DDR-hard Ware wurden ab Mitte der 60er Jahre geschaffen. Importanlagen si-

cherten die Installation moderner Prozeßleitsysteme in den 80er Jahren.

Die IZ Böhlen und das KIB Leipzig fungieren als Entwicklungs- und Projektie-

rungszentrum für die Chemiebetriebe - vorrangig in der Hauptproduktion und

bei Transport- und Lagerprozessen. Bis 1968 sind sie selbständige Betrieb in-

nerhalb der Chemischen Industrie.

Regierungsabkommen mit der UdSSR im Rahmen des RGW-Komplexprogram-

mes sichern gemeinsame Verfahrensentwicklungen, z.B. Polymir 60 (HD-Po-

lyäthylen 60 kila); Eiweißerzeugung aus Paraffin, Methanol oder Erdgas und die

kontinuierliche Polyestererzeugung.

Mit diesen beispielhaft dargestellten Aufgaben wurde die Verfahrenstechnik in der

Chemischen Industrie der DDR aufgewertet und zum entscheidenden Faktor für die

effektive Entwicklung der chemischen Produktion.

Besonderheiten der verfahrenstechnischen Entwicklung im Chemieanlagenbau

Anlagen- sowie Apparate- bzw. Maschinenbau als technische Komponente der

Chemischen Industrie waren im Ostdeutschland der Nachkriegszeit ebenfalls unter-

proportional entwickelt. Die nachfolgende tabellarische Übersicht versucht, die

wichtigsten Etappen dieser Entwicklungsrichtung festzuhalten.

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I

Stellung der Chemischen Industrie zur Verfahrenstechnik in der DDR 121

I I

Mit der Gründung des CLG wird die Leistungsfähigkeit im Anlagenbau beträchtlich

gesteigert. Das CLG war verantwortlich für die technische Entwicklung, Projektie-

rung, den Bau und die Montage von Anlagen für die DDR-Chemie (als Generalun-

ternehmer) und als Generallieferant beim Export von Chemieanlagen und Chemie-

ausrüstungen. Weiterhin koordinierte das CLG den Import von Anlagen und war für

den Gesamtaufbau (incl. inländischer Nebenanlagen) fur die DDR-Chemie zustän-

Jahr 1945150

1951159

1963

1963165

1964

1964170

1972

1974181

1979

Ereignis Aus traditionellen Chemieapparatebau- und Chemiemaschinenbaubetrieben entwickeln sich erste Ansätze des Chemieanlagenbaus. Bei 30% Anteil der Kapazitäten der Che- mischen Industrie in Ostdeutschland arn gesamtdeutschen Potential beträgt Anteil des Anlagenbaus nur 10%. Aus den traditionellen Chemieapparatebaubetrieben werden die Kapazitäten für Projek- tiemng und Anlagenbau Iierausgelöst und der VEB Projektiemng-Anlagenbau-Chemie (PAC) gebildet. Zum 1. Juli erfolgte zur Untersetzung des Chemieprogramms die Grilndung der VVB Chemieanlagen. Die Betriebe der VVB CA werden Generalauftmgnehmer im Inland und Generallieferant im Export von Chemieanlagen. Der Versuch, mit dem "Neuen Okonomischen System" die wirtschaftliche Entwicklung in der DDR effektiver zu gestalten, wird von der Sowjetunion gestoppt. Am 12. Juni erfolgte der Abschluß eines Regiemngsabkommens mit der UdSSR über den Export von Chemieanlagen aus der DDR als Gegenleistung für Erdöl-IErdgasim- porte. Mit der Konzentration des CAB auf dieses Exportgeschäft ist eine einseitige Verfah- rens- und Anlagenentwicklung verbunden. Besonders leidet darunter die Veredlungs- chemie. Der Rückstand zur internationalen Verfahrensentwicklung vergrößert sich per- manent. Die bis 1961 noch üblichen Normen DiN bzw. TGL werden schrittweise an die mssi- schen GOST-Normen angeglichen. Z.B. durch beschrtinkte Stahlsortimente erfordert dies separate Entwicklungen im CAB. Die Spezialisierung der Betriebe des CAB im Apparate- und Anlagenbau wird konse- quent durchgesetzt (vgl. Abbildung 3). Nach verfahrenstechnischen Gmndoperationen wird die Produktion spezialisiert und damit wesentlich gesteigert. Die entsprechenden Betriebe tragen die Verantwortung von der Forschung bis zur Produktionseinführung. Die restlose Verstaatlichung des Mittelstandes fuhrt verstärkt zu Versorgunigsengpässen an Konsumgfitern. Deshalb kommt es auch in den Betrieben der Chemischen Industrie zum Aufbau von Konsumgüterabteilungen, Abteilungen zum Bau eigener Rationalisie- mngsmittel und von Elehlronikabteilungen. Deren Produktion ist jedoch höchst uneffek- tiv. Die Erdölkrise wirkt sich, bedingt durch die RGW-Abkommen, zeitverschoben auf die Wirtschaft der DDR aus. Die Folgen sind verheerend und führen bspw. auch zur völli- gen Heizölablösung. Gründung des Kombinates Chemieanlagenbau Leipzig-Grimma (CLG) mit 32.000 Be- schäftigten im Anlagen- und Apparatebau, davon 1 1.000 Hoch- und Fachschulabsol- venten.

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122 R. Kunze

dig. Das Kombinat war verantwortlich für die gemeinsame Verfahrensentwicklung

mit DDR-Chemiebetrieben und projektierte und baute die Pilotanlagen für neue

Verfahren dazu (hierzu siehe Abbildung 4). Zum weiteren Aufgabenbereich des

CLG zählten:

3 Leitung des verfahrenstechnischen Forschungs- und Koordinierungszentrums der Chemischen Industrie (VKFZ)

3 Koordinierung der Standardisierung von Chemieanlagen, Chemieapparaten,

Teilanlagen und Chemiemaschinen

3 Koordinierung von Entwicklungsforderungen an die Zulieferindustrie (2.B. Ma-

schinenbau und Elektrotechnik)

3 Übernahme von spezifischen Entwicklungsforderungen anderer Industriezweige

(z.B. für KohleIEnergie, Grundstoff- und Lebensmittelindustrie)

9 Koordinierung der verfahrenstechnischen Berechnungsmethoden und Heraus-

gabe eines verfahrenstechnischen Berechnungshandbuches (Leitung des Heraus-

geberkollektives: Prof. Dr. W. Plötner)

3 Entwicklung von CAD-CAM-Arbeitsweisen im Chemieanlagenbau (Konstruk-

tion von Apparaten, R- und I-Schemata, Aufstellungs-, Rohrleitungspläne und

Vorbereitung der Rohrleitungsvorfertigung mittels EDV)

3 Vorbereitung und Durchsetzung der Blockmontage im Anlagenbau (2.B. für

Erdölaufbereitungsanlagen und Erdgastankstellen)

3 Koordinierung der verfahrenstechnischen Grundlagenforschung mit der Akade-

mie der Wissenschaften und Hochschulen, z.B. HIFOG an der TH Merseburg,

Kohlelabor an der Universität Leipzig, sowie dem Ausland (siehe auch Abbil-

dung 5).

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Stellung der Chemischen Industrie zur Verfahrenstechnik in der DDR 123

Abbildung 3: Kooperative Arbeitsteilung zwischen den Betrieben unter der zentralen Leitung des Kombinates CLG

cher und anorganischer Grundstoffe und Zwischenprodukte; A

VEB Erste Maschinenfabrik Karl-Man-Stadt VEB Komplette Chemiean- lagen Dresden

VEB Apparate- und Chemie- anlagenbau Reinsdorf VEB Chemie- und Tankan- lagenbau Fürstenwalde VEB Zentrale Informations- verarbeitung Chemie Berlin Cliemieanlagen Export/Irn- port Berlin - Volkseigener Außenhandelsbetrieb der DDR

Anlagen und Ausrüstungen für die Gummi- und Plastverarbeitung.

Luftzerlegunpsanlagen; Anlagen für die Pharmazie und Polyiire- thanerzeugung; Anlagen zur Gewinnung etherischer Öle; Pilot- und Versuchsanlagen. Behälter und Apparate aus Aluminium und Edelstahl.

Tankanlagen; Gasarmaturen; Behälter; Anlagen für die Gasaufbe- reitung; Lösungsmittelrückgewinnungsanlagen; LuftkUhler. Daten- und Informationsmsammenfassung und -verarbeitung fur die chemische Industrie und den Chemieanlagenbau der DDR. Gesamte Außenhandelstätigkeit des Chemieanlagenbaus.

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124 R. Kunze

) Forschungsschwerpunkte des VEB Chemie- 1 ( anlagenbaukombinat Leipzig-Grimma I

I

- Kohleveredlung - Hochdmckapparate katalytische Hochdruck- • Hydriemeaktor hydriemng Flash-Kolonne

- CADICAM Programm Rohrleitungs- technik

Synthesegaserzeugung Entspannungsmaschine Programm technische Synthesegas- und Methanolchemie

- Mikrobiologie sterile Prozesse insterile Prozesse - Biogas

- Betankungstechnik Erdgasbetankung Elektronische Betankung transportable Flüssiggas- tankstellen

- Chemiefaserstoffe Polyesterfaser hochfeste und flammfeste Fasern Polyamidfaser

Vorbereitung der t

- Apparate für die Kohle- RWÜ-Produktion Vergasung

Reaktoren - Elektrochemisches Polieren Verteilersysteme für die Oberflächenver- Rlickführeinrichtungen fdr edlung für Ausrüstungen Staubdickteer der Biotechnologie

- Erzeugnisse fdr - Einsatz der Robotertechnik Methanolerzeugung Methanolumwandlung - Mikroelektronikeinsatz zur Direktsynthese von Kraft- Ausrüstungsautomati- stoffkomponenten siemng Biotechnologie Abluftreinigungsanlagen - Rationalisieningsmittel Abwassemeinigungsanlagen

- Erzeugnisse für TTT . Trockenlaufmaschinen

- Tieftemperaturanlagen - Erzeugnisse für Luftzerlegungsanlagen Solaranlagen Syntheserestgasanlagen Faseranlagen Edelgasgewinnungsanlagen Plastanlagen

- Anlagen der anorganischen Produkte Karbidherstellung Chlorherstellung Sodaerzeugung

- Umweltschiitzanlagen . Abluftreinigung . Lösungsmittel~ckgewinnung . Abwasseraufbereitung . Rauchgasentschwefelung

Abbildung 4: Forschungsschwerpunkte des VEB Chemieanlagenbaukombinat Leipzig-Grirnma

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Stellung der Chemischen Industrie zur Verfahrenstechnik in der DDR 125

I VEB Chemieanlagenbaukombinat Leipzig-Grimma I I

Realisierung der Aufgaben der wissenschaftlich-technischen Zusammenarbeit mit

Partner im SW Partner im NSW auf der Grundlage von Arbeits- auf der Grundlage von Firmen- Programmen zu Regierungs-, abkommen, 2.B. mit Untemeh- Ministerabkommen, Vereinba- men in Japan, Österreich, BRD rungen des Kombinates sowie bestätigter Arbeitspläne zu Di- rektverkehren

CLG verantwohich für Koor- CLG veranh;ortlich für Mit- dinierung der Zusammenarbeit - multilateral im Rahmen des Komitees Maschinenbau des RGW IZB Nr. 12 - bilateral im Rahmen der Ar- beitsgmppe "Chemische Anla- gen und Ausrüstungen" in der PRK DDR-UdSSR, in den WA DDR-CSSRNRP/UVRlSRRI VRBIKuba und Unterarbeiis- gruppe DDR-SFW

wirkung an der Zusammenar- beit - multilateral im Rahmen der SKC, SKEG des RGW - bilateral im Rahmen der Ar- beitsgruppe "Chemie" in der PRK DDR-UdSSR bzw. der WA mit anderen RGW-Län- dem

Abbildung 5: Internationale Forschungskooperation auf dem Gebiet des Chemie- anlagen- und Chemieapparatebaus

Zusammenfassung

1. Der Beginn der umfassenden verfahrenstechnischen Ausbildung an den Hoch-

schulen in den 50er Jahren war die entscheidende Voraussetzung für die wissen-

schaftlich-technische Arbeit bei der Verfahrensentwicklung, Rekonstruktion,

Rationalisiemng und dem Neubau von Chemieanlagen in der DDR. Verfahrens-

techniker waren zu 60% mit Rationalisiemngsaufgaben und zu 40% mit Neu-

bauten beschäftigt.

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126 R. Kunze

2. Nachteilig wirkte sich die Abkopplung der technischen Entwicklung von den

Westmärkten und die systembedingt einseitige Bindung an die Wirtschaft der

UdSSR bzw. der RGW-Länder aus.

3. In enger Kooperation der verfahrenstechnischen Abteilungen der Chemiebetrie-

be und des Chemieanlagenbaus mit der Akademie der Wissenschaften und den

relevanten Hochschulen wurden die Grundlagen für den Aufbau und die Ent-

wicklung der Chemischen Industrie in der DDR gelegt. Eine Vielzahl der so er-

arbeiteten Lösungsansätze hatte jedoch keine Chance auf industrielle Venver-

Literaturhinweise

Matschke, F. W.: Beimge zur Geschichte der Chemischen Industrie. Unveröffentlichtes Manuskript. Berlin 1989.

Wyschofsky, G.: Persönliche Informationen vom Juli 1995.