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Vonnerstag, 14. Oktober. Napoleon orientiert sich auf dem Galgcnhügcl über die Lage. Die Völkerschlacht bei Leipzig Zum 150. Jahrestag I 16. bis 18. Oktober 1813 Von Bernhard von Arx « Grade Feld KI.StädKln>/Z?>x .. Napoleons Truppanstsllung am Morgen des 18. Oktober Verbündete Truppen mit Bawegungsrichtung Stellung der Streitkräfte am 18. Oktober, am dritten Tag der Schlacht. Napoleons Truppenstellung am Abend des 18. Oktober Die Bedeutung der Schlacht «Die Leipziger Schlacht ist anzusehen wie ein Abweiser, der den Weltbegebenheiten auf einmal einen ganz andern Strom und Lauf gibt, ja wie ein Register in der Orgeluhr, welches, wenn es gezogen wird, uuf einmal ein anderes Stücklein und eine andere Melodie pfeift. Viele schimpfen jetzt, denen vorher alles recht schien. Das muß man nie tun. Andere dachten in der Stille darauf, nimmer lang französisch zu sein und wie sie sich mit Glimpf aus der Sache ziehen wollten. Der Hausfreund nicht. Auf einen Kalendermacher schauen viele Augen. Deswegen muß er sich immer gleich bleiben, das heißt, er muß es immer mit der siegenden Parte i halten. Es ist immer ein gutes Zeichen für eine kriegführende Macht, wenn die Kalendermacher des Landes auf ihrer Seite sind.» Der «Hausfreund:», der dag schrieb, war man errät es Johann Peter Hebel. Er stellt e in diesen Zeilen drei Tatsachen deutlich her- uus: Erstens die Tragweite des dreitägigen Ringens auf der Leipziger Ebene für das fernere Geschick Europas, zweitens den Stimmungs- umschwung, der sich im Juhre 1813 in Deutschland vollzog, und drit- tens die wichtige Rolle, die die Presse dabei spielte. Der französische Kaiser hatte seinen Zenit bereits im Jahre zuvor überschritten, als er ohne Heer aus Rußland zurückkehrte. Aber es war ihm im Frühling 1813 das Unglaubliche gelungen, mit einer neuen Armee, die er beinahe aus dem Nichts geschaffen hatte sie zählte nahezu eine halbe Million Mann , erneut in Deutschland einzufallen und die verbündeten Russen und Preußen bei Lützen und Bautzen zu schlagen und sie nach Schlesien zurückzuwerfen. Dann freilich beging er einen schweren Fehler. Sein Schwiegervater, Kaiser Franz I. von Oesterreich, der ihm seine Tochter Marie-Louise 1809 zur zweiten Ge- mahlin gegeben hatte, versuchte nämlich, den Frieden zu vermitteln. Dieser Friede hätte Napoleon noch immer eine übermächtige Stellung in Europa belassen. Er lehnte ihn jedoch ab, worauf Oesterreich der Koalition beitrat und der Krieg von neuem losbrach. Die Verbünde- ten schickten drei Armeen ins Feld: die böhmische oder Hauptarmee unter dem Oesterreicher Schwarzenberg, die schlesische unter dem Preußen Blücher und die Nordarmee unter dem ehemals französischen Marschall' Bernadotte, der inzwischen Kronprinz von Schweden ge- worden war und sich schon'1812 mit Rußland verbunden hatte. Ueber die Hauptarmee erfocht Napoleon, als sie in Sachsen eindrang, bei Dresden noch einen bedeutenden Sieg. Zur gleichen Zeit aber wurden seine Marschälle überall geschlagen. Nun zog der Kaiser sämtliche noch verfügbaren Truppen um Leipzig zusammen, wo es vom 16. bis zum 18. Oktober zu der Schlacht kam, in der im ganzen eine halbe Million Mann, Angehörige von fast einem Dutzend Nationen, ein- ander gegenüberstanden, eine Zahl, die bis dahin auf einer einzigen Walstatt noch nie gesehen worden war. Die Schlacht ging für die Franzosen verloren. Der Nimbus der Unhcsieglichkeit verflog. Sie mußten ganz Deutschland räumen, zumal sämtliche bisherigen Alliierten, die Fürsten des Rheinbundes, von ihnen abfielen und sich der allgemeinen deutschen Freiheitsbewegung anschlössen. So öffnete die Niederlage von Leipzig den Weg nach Frankreich hinein. Sie war der erste Anstoß zur Abdankung Napo- leons von 1814. Die Stimmung in Deutschland Seit Preußen im Frühjahr 1813 offen mit Frankreich gebrochen hatte, gärte es überall. Die Verluste im russischen Feldzug waren be- sonders an Deutschen unermeßlich gewesen. In den Spaniern, die Napoleon noch immer nicht hatte besiegen können, sahen die Deut- schen ihr Vorbild. Im heimlich gedruckten und von Hand zu Hand wandernden sogenannten «Spanischen Vaterunser» schlug sich die Stimmung unmißverständlich nieder: «Stiefvater, der du bist in Paris, Vermaledeit sei dein Name, Dein Reich komme von unserem Hals, Dein Wille geschehe weder im Himmel noch auf Erden. Unser täglich Brot nimmst du uns gänzlich. Vergib uns, daß wir dich nicht lieben, Wie auch wir vergeben, daß du uns nicht liebst. Und führe uns nicht in noch größeres Elend, Sondern befreie uns von deinen zerlumpten Husaren Und all deinem hungrigen Militär, Das wir füttern und kleiden müssen. Denn dein ist das Reich des Jammers, des Elends und des Spottes Von nun an bis in Ewigkeit. Amen.» Allenthalben witterte man Morgenluft. Die Studenten der Leipziger Universität brachten handgeschriebene Schmähbriefe unter die Ein- wohnerschaft oder klebten sie an die Mauerecken. Widersetzlichkeiten gegen die Okkupationsmacht waren an der Tagesordnung. Ueber die Stadt wurde der Belagerungszustand verhängt. In den Kontingenten der Rheinbundtruppen riß die Desertion ein. Man war es müde, als Deutscher gegen Deutsche kämpfen zu müssen. Das wußte auch die französische Führung. Im Herbst 1813 schrieb Marschall Ney an den Generalstabchef Berthier: «Ew. Hoheit muß davon unterrichtet wer- den, daß olle fremden Truppenteile den schlechtesten Geist zeigen und daß es fraglich ist, ob die Kavallerie, die ich be i mir habe, nicht schädlicher ist als nützlich. So ist der Geist der sächsischen Armee; es ist nicht zweifelhaft, daß diese Truppen bei der ersten Gelegenheit die Waffen gegen uns kehren werden.» In der Nacht vom 22. zum 23. August gingen vier Schwadronen westfälischer Husaren bei Rei- chenburg zu den Alliierten über. Die Freikorps, ganz besonders das. jenige des Majors von Lützow, erhielten von allen Seiten Zuzug. Sogar Frauen reihten sich in die Korps ein, so etwa die berühmt gewordene Eleonore Prochaska, deren wahres Geschlecht erst bei ihrer tödlichen Verwundung entdeckt wurde. Einer der bekanntesten Freischärler war der Dichter Theodor Körner, der sein Korps im Liede unsterblich gemacht hat. Im April erließ er einen Aufruf an die Sachsen, in dem es hieß: «Brüder! Durch dreifache Bande des Blutes, der Sprache, der Unterdrückung an Euch gekettet, kommen wir zu Euch. Oeffnet uns Eure Herzen, wie Ihr uns Eure Türen geöffnet habt; die lange Nacht der Schmach hat uns vertraut gemacht, die Morgenröte einer bessern Zeit soll uns verbunden finden . . .- In dieser Atmosphäre des Hasses und der oftmals nur noch müh- sam unterdrückten Feindseligkeit marschierten die Napoleonischen Truppen rings um Leipzig auf. Da wog nicht mehr viel, daß gewisse Kreise noch immer mit den Franzosen sympathisierten und daß vor allem der sächsische Köni g August Friedrich, der seine Krone dem Kaiser verdankte, treu zu seinem übermächtigen Herrn hielt. Während der Schlacht lebte er meist in den geräumigen Kellergewölben seines Leipziger Palais. Nach dem Fall der Stadt wurde er von den Ver- bündeten als Kriegsgefangener behandelt. Zu den ungünstigen psychologischen Verhältnissen kam der drük- kende Mangel an Lebensmitteln. Die Dörfer der Umgebung wurden sogleich geplündert. Bauern und Städter litten gleichermaßen Hunger wie die französischen Soldaten. Vor den Bäckereien mußten starke Wachen aufziehen, damit sie nicht gestürmt wurden. Da Leipzig nur etwa 32 000 Einwohner zählte, war es ausgeschlossen, alle Truppen gegen 190 000 Mann unter Dach zu bringen. Die Mehrzahl lagerte außerhalb auf den Feldern. Ein Augenzeuge berichtet darüber: «Die schrecklichste Schlacht hätte minder verwüstend wirken können als ein vierundzwanzigstündiges Biwak einer solchen Armee, die, von Sturm und Regen, bitterer Kälte und Hunger gepeinigt, alle Schranken der Mäßigung vergessend, nur dem blinden Drange des Neue Zürcher Zeitung vom 19.10.1963

Die Völkerschlacht bei Leipzig

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Page 1: Die Völkerschlacht bei Leipzig

Vonnerstag, 14. Oktober. Napoleon orientiert sich auf dem Galgcnhügcl über die Lage.

Die Völkerschlacht bei LeipzigZum 150. Jahrestag I 16. bis 18. Oktober 1813

Von Bernhard von Arx

«GradeFeld

KI.StädKln>/Z?>x ..

Napoleons Truppanstsllung am Morgen

des 18. OktoberVerbündete Truppen mit Bawegungsrichtung

Stellung der Streitkräfte am 18. Oktober, am dritten Tag der Schlacht.

Napoleons Truppenstellung am Abenddes 18. Oktober

Die Bedeutung der Schlacht

«Die Leipziger Schlacht ist anzusehen wie ein Abweiser, der denWeltbegebenheiten auf einmal einen ganz andern Strom und Lauf gibt,ja wie ein Register in der Orgeluhr, welches, wenn es gezogen wird,uuf einmal ein anderes Stücklein und eine andere Melodie pfeift. Vieleschimpfen jetzt, denen vorher alles recht schien. Das muß man nietun. Andere dachten in der Stille darauf, nimmer lang französisch zusein und wie sie sich mit Glimpf aus der Sache ziehen wollten. DerHausfreund nicht. Auf einen Kalendermacher schauen viele Augen.Deswegen muß er sich immer gleich bleiben, das heißt, er muß es

immer mit der siegenden Partei halten. Es ist immer ein gutes Zeichenfür eine kriegführende Macht, wenn die Kalendermacher des Landesauf ihrer Seite sind.»

Der «Hausfreund:», der dag schrieb, war man errät es JohannPeter Hebel. Er ste l l te in diesen Zeilen drei Tatsachen deutlich her-uus: Erstens die Tragweite des dreitägigen Ringens auf der LeipzigerEbene für das fernere Geschick Europas, zweitens den Stimmungs-umschwung, der sich im Juhre 1813 in Deutschland vollzog, und drit-tens die wichtige Rolle, die die Presse dabei spielte.

Der französische Kaiser hatte seinen Zenit bereits im Jahre zuvorüberschritten, als er ohne Heer aus Rußland zurückkehrte. Aber eswar ihm im Frühling 1813 das Unglaubliche gelungen, mit einer neuenArmee, die er beinahe aus dem Nichts geschaffen hatte sie zähltenahezu eine halbe Million Mann , erneut in Deutschland einzufallenund die verbündeten Russen und Preußen bei Lützen und Bautzen zuschlagen und sie nach Schlesien zurückzuwerfen. Dann freilich beginger einen schweren Fehler. Sein Schwiegervater, Kaiser Franz I. vonOesterreich, der ihm seine Tochter Marie-Louise 1809 zur zweiten Ge-mahlin gegeben hatte, versuchte nämlich, den Frieden zu vermitteln.Dieser Friede hätte Napoleon noch immer eine übermächtige Stellungin Europa belassen. Er lehnte ihn jedoch ab, worauf Oesterreich derKoalition beitrat und der Krieg von neuem losbrach. Die Verbünde-ten schickten drei Armeen ins Feld: die böhmische oder Hauptarmeeunter dem Oesterreicher Schwarzenberg, die schlesische unter demPreußen Blücher und die Nordarmee unter dem ehemals französischenMarschall' Bernadotte, der inzwischen Kronprinz von Schweden ge-worden war und sich schon'1812 mit Rußland verbunden hatte. Ueberdie Hauptarmee erfocht Napoleon, als sie in Sachsen eindrang, beiDresden noch einen bedeutenden Sieg. Zur gleichen Zeit aber wurdenseine Marschälle überall geschlagen. Nun zog der Kaiser sämtlichenoch verfügbaren Truppen um Leipzig zusammen, wo es vom 16. biszum 18. Oktober zu der Schlacht kam, in der im ganzen eine halbeMillion Mann, Angehörige von fast einem Dutzend Nationen, ein-ander gegenüberstanden, eine Zahl, die bis dahin auf einer einzigenWalstatt noch nie gesehen worden war.

Die Schlacht ging für die Franzosen verloren. Der Nimbus derUnhcsieglichkeit verflog. Sie mußten ganz Deutschland räumen, zumalsämtliche bisherigen Alliierten, die Fürsten des Rheinbundes, vonihnen abfielen und sich der allgemeinen deutschen Freiheitsbewegunganschlössen. So öffnete die Niederlage von Leipzig den Weg nachFrankreich hinein. Sie war der erste Anstoß zur Abdankung Napo-leons von 1814.

Die Stimmung in Deutschland

Seit Preußen im Frühjahr 1813 offen mit Frankreich gebrochenhatte, gärte es überall. Die Verluste im russischen Feldzug waren be-sonders an Deutschen unermeßlich gewesen. In den Spaniern, dieNapoleon noch immer nicht hatte besiegen können, sahen die Deut-schen ihr Vorbild. Im heimlich gedruckten und von Hand zu Handwandernden sogenannten «Spanischen Vaterunser» schlug sich dieStimmung unmißverständlich nieder:

«Stiefvater, der du bist in Paris,Vermaledeit sei dein Name,Dein Reich komme von unserem Hals,Dein Wille geschehe weder im Himmel noch auf Erden.Unser täglich Brot nimmst du uns gänzlich.Vergib uns, daß wir dich nicht lieben,Wie auch wir vergeben, daß du uns nicht liebst.Und führe uns nicht in noch größeres Elend,Sondern befreie uns von deinen zerlumpten HusarenUnd all deinem hungrigen Militär,Das wir füttern und kleiden müssen.Denn dein ist das Reich des Jammers,des Elends und des Spottes

Von nun an bis in Ewigkeit. Amen.»

Allenthalben witterte man Morgenluft. Die Studenten der LeipzigerUniversität brachten handgeschriebene Schmähbriefe unter die Ein-wohnerschaft oder klebten sie an die Mauerecken. Widersetzlichkeitengegen die Okkupationsmacht waren an der Tagesordnung. Ueber dieStadt wurde der Belagerungszustand verhängt. In den Kontingentender Rheinbundtruppen riß die Desertion ein. Man war es müde, alsDeutscher gegen Deutsche kämpfen zu müssen. Das wußte auch diefranzösische Führung. Im Herbst 1813 schrieb Marschall Ney an denGeneralstabchef Berthier: «Ew. Hoheit muß davon unterrichtet wer-den, daß olle fremden Truppenteile den schlechtesten Geist zeigenund daß es fraglich ist, ob die Kavallerie, die ich b ei mir habe, nichtschädlicher ist als nützlich. So ist der Geist der sächsischen Armee;es ist nicht zweifelhaft, daß diese Truppen bei der ersten Gelegenheitdie Waffen gegen uns kehren werden.» In der Nacht vom 22. zum23. August gingen vier Schwadronen westfälischer Husaren bei Rei-chenburg zu den Alliierten über. Die Freikorps, ganz besonders das.jenige des Majors von Lützow, erhielten von allen Seiten Zuzug. SogarFrauen reihten sich in die Korps ein, so etwa die berühmt gewordeneEleonore Prochaska, deren wahres Geschlecht erst bei ihrer tödlichenVerwundung entdeckt wurde. Einer der bekanntesten Freischärler warder Dichter Theodor Körner, der sein Korps im Liede unsterblichgemacht hat. Im April erließ er einen Aufruf an die Sachsen, in demes hieß: «Brüder! Durch dreifache Bande des Blutes, der Sprache, derUnterdrückung an Euch gekettet, kommen wir zu Euch. Oeffnet unsEure Herzen, wie Ihr uns Eure Türen geöffnet habt; die lange Nachtder Schmach hat uns vertraut gemacht, die Morgenröte einer bessernZeit soll uns verbunden finden . . .-

In dieser Atmosphäre des Hasses und der oftmals nur noch müh-sam unterdrückten Feindseligkeit marschierten die NapoleonischenTruppen rings um Leipzig auf. Da wog nicht mehr viel, daß gewisseKreise noch immer mit den Franzosen sympathisierten und daß vorallem der sächsische K ö n ig August Friedrich, der seine Krone demKaiser verdankte, treu zu seinem übermächtigen Herrn hielt. Währendder Schlacht lebte er meist in den geräumigen Kellergewölben seinesLeipziger Palais. Nach dem Fall der Stadt wurde er von den Ver-bündeten als Kriegsgefangener behandelt.

Zu den ungünstigen psychologischen Verhältnissen kam der drük-kende Mangel an Lebensmitteln. Die Dörfer der Umgebung wurdensogleich geplündert. Bauern und Städter litten gleichermaßen Hungerwie die französischen Soldaten. Vor den Bäckereien mußten starkeWachen aufziehen, damit sie nicht gestürmt wurden. Da Leipzig nuretwa 32 000 Einwohner zählte, war es ausgeschlossen, alle Truppengegen 190 000 Mann unter Dach zu bringen. Die Mehrzahl lagerteaußerhalb auf den Feldern. Ein Augenzeuge berichtet darüber:

«Die schrecklichste Schlacht hätte minder verwüstend wirkenkönnen als ein vierundzwanzigstündiges Biwak einer solchen Armee,die, von Sturm und Regen, bitterer Kälte und Hunger gepeinigt, alleSchranken der Mäßigung vergessend, nur dem blinden Drange des

Neue Zürcher Zeitung vom 19.10.1963

Page 2: Die Völkerschlacht bei Leipzig

Bedürfnisses Gehör gibt. Denn daß man nicht Bosheit und Sucht zuquälen hinter diesen Schreckensszenen vermuten darf, scheint uns aus-gemacht zu sein. Solange die kleineren vorhergegangenen BiwaksHolzvorräte vorfanden und ihre Bedürfnisse leichter stillen konnten,fielen wohl einzelne Exzesse vor, indes das Ganze litt nicht darunter;aber eben diese Biwaks einiger Tausenden hatten die Vorräte allererschöpft, da sie sich täglich wiederholten und bei der schrecklichstenWitterung doppelt verwüstend wurden. Jetzt kam nun die Hauptmasseund sollte ohne gehörige Vorbereitung da etwas finden, wo kaum jeneihre Bedürfnisse hatten stillen können 1 Zahllose unausgedroscheneGarben wurden zu Feldhütten verbaut, und der Krieger, der sie nichtmehr nötig zu haben glaubte, verbrannte dieselben, um sich an derGlut zu wärmen, wenn in den furchtbaren Nächten der Regen inStrömen herabstürzte.» Kein Wunder also, daß die Beziehungen derArmee zur Bevölkerung alles andere als freundschaftlich waren. KeinWunder aber auch, daß die Rhcinbiindler, vorab die Sachsen, die ihreigenes Land derart verwüstet sahen, eine immer bedrohlichereHaltung annahmen.

Die Schlacht: Der erste Tag

Die Gegend um Leipzig hatte schon im Dreißigjährigen wie imSiebenjährigen Krieg eine große Rolle gespielt. Das Gelände be-günstigte die Entfaltung von Reitermassen, bot aber anderseits auchausgezeichnete Verteidigungsmöglichkeiten. Die drei wichtigstenWasserläufe, die Pleiße, die Elster und d ie Parthe, sicherten dieFlanken, erschwerten indes einen allfülligen Rückzug. Zumal die fürNapoleon lebenswichtige Straße nach Westen, die aus Leipzig herausüber Lindcnau nach Weißenfels führte, lag mehr als einen Kilometerweit auf einem schmalen Damm. Wurde sie unterbrochen, so war diefranzösische Armee eingekesselt. Indem Napoleon die Schlacht indiesem Gelände annahm, setzte er viel aufs Spiel. Man merkte es ihmdenn auch an, daß er nervös war. Der bereits erwähnte Augenzeugeerzählt:

<Der Kaiser hielt unweit der Stadt, und viele hatten hier dasgewiß einzige Schauspiel, ihn ziemlich nahe zu schauen. Er hatteeinen einfachen Feldstuhl und Tisch, worauf die Karte mit Nadelnbefestigt war. Neben dem Tisch brannte ein Wachtfeuer. Er selbstschürte öfters die Kohlen mit dem Fuß. Oft Tabak nehmend, ging ermit dem Prinzen von Neuenburg bald auf und ob, holte bald die Uhraus der Tasche, zog sie auf, bald setzte er sich, die Karte betrachtend,bald las er die Depesclien, die die Adjutanten von den entfernterstehenden Generälen brachten, bald fertigte er selbst schriftlicheBefehle aus.»

Die Nachrichten waren freilich nicht sehr erfreulich. Die Alliier-ten zogen einen immer engeren Ring mit an die 200000 Mann um dieStadt. Hinter diesem Ring marschierten weitere 120 000 unter Blücherund Bennigsen an. So galt es, möglichst rasch die HauptarmeeSchwarzenbcrgs zu zertrümmern, und zwar bevor die feindlichen Ver-Stärkungen auf dem Kampfplatz erschienen. Das war die Aufgabe desersten Tages.

So ritt der Kaiser am 16. Oktober früh es war ein Samstagzu einem beherrschenden Punkt südlich der Stadt, zum Galgenhügel.Dort beobachtete er durch ein kleines Opernglas einige Augenblickedie Formierung der gegnerischen Angriffskolonnen. Kaum hatte er dieAnhöhe verlassen, kündeten drei Signalschüsse aus österreichischenKanonen die Eröffnung des Kampfes an. Es war neun Uhr. DieSchlacht, die das Antlitz Europas verändern sollte, hatte begonnen.

Die Vorfälle dieses Tages im einzelnen zu schildern würde zuweit führen. Er brachte keine Entscheidung. Fast alle Angriffe derAlliierten waren abgeschlagen; nur im Norden waren die Preußennähergerückt. Ganz besonders hatte sich Fürst Poniatowski, der mitseinen Polen bereits den Feldzug nach Moskau mitgemacht hatte,hervorgetan. Er hatte nämlich in den Pleißeniederungen. bei Comic-witz die Umfassung des rechten französischen Flügel» vereitelt.Napoleon machte ihn zum Dank dafür zum Marschall von Frankreich.Poniatowski sollte sich dieser Ehre allerdings nicht lange freuen.

Obgleich das taktische Ergebnis des Tages nicht ungünstig war,so war es im großen gesehen doch enttäuschend: die Verbündetenwaren nicht geschlagen worden. So kam auch das Läuten der LeipzigerKirchenglocken, das der Kaiser des Nachmittags um vier Uhr an-ordnete, um den Sieg der französischen Sache zu verkünden, offen-sichtlich zu f rüh. Immerhin erschreckte, es viele Einwohner der Stadt,so auch einen Mann namens Friedrich Rochlitz, der berichtet:

«Indes waren Frau und Kinder mit Fernrohren auf dem oberstenBoden des Hauses verweilt; sie wollten die Ueberzeugung gewinnen,daß man sich irre. Und eben jetzt dröhnt' das l'Empereur!"auch zu ihnen hinauf, die Glocken fangen den Siegeston an dafliegen sie die Treppe herab zu mir, und laut weinend, mich krampf-haft umarmend, ruft meine Henriette: ist auch das und allesvorbei!" Ein Gefühl inneren Grimmes, der meinen ganzen Körperdurchschüttelte und mir Tränen auspreßte, stemmte mich, als ich sie,die Sinkende, festhielt, und reizte mich zu dem Ausruf: unssterben! Ein Leben, wie es uns nun erwartet, ist ohne Wert und kannauch uns nur verschlechtern!"»

Am Abend des Tages hotte Napoleon etwa 20 000 Mann eingebüßt,zwar 10 000 weniger als seine Feinde, doch wußten diese, daß gewaltigeVerstärkungen im Anmarsch waren, während der Kaiser jetzt haus-halten mußte. Außerdem zeigte sich bereits eine Verknappung derMunition. So war er entzückt, als ihm Poniatowski die Gefangennahmedes österreichischen Generals Merveldt meldete. Er kannte diesenMann von früher her: es war derselbe, mit dem er 1797 den Waffen-stillstand von Leoben abgeschlossen und der ihm nach der Schlachtvon Austcrlitz die Vorschläge des Kaisers von Oesterreich zur Waffen-ruhe überbracht hatte. Er gedachte ihn am folgenden Morgen nutz-bringend einzusetzen.

Der zweite Tag

Dieser erste Tag und die ganze Schlacht wären freilich beinahenicht nötig geworden. Es hatte nämlich in der Nacht zuvor, das heißtvom Freitag auf den Samstag, an einem Haar gehangen, ob es denVerbündeten überhaupt noch möglich gewesen wäre, zu kämpfen.

Oberst Marbot, Kommandant des 23. Regiments der Jäger zu Pferd,hatte den Befehl erhalten, die an den Dreißigjährigen Krieg erin-nernde Schwedenschanze bei Liebertwolkwitz bis zum Morgengrauenzu überwachen. Um nicht gesehen zu werden, hatte er nicht dieKuppe, sondern den Fuß der Anhöhe besetzt. Kurz vor Tagesanbruch

bemerkte er drei feindliche Adjutanten, die offensichtlich rekognoszier-ten und, da sie den Hügel feindfrei fanden, zurückritten, um alsbaldmit einem ganzen^Trupp von Stabsoffizieren zurückzukehren. In derabsoluten Stille, die der Oberst befahl, hörten die vor Spannungzitternden Jäger unten im Schatten, wie oben in der Dämmerungfranzösisch gesprochen wurde, ein untrügliches Zeichen dafür, daßes sich um hohe Offiziere der verschiedenen feindlichen Armeenhandelte. Doch bevor noch das Zeichen zur Einkreisung gegeben war,entfiel einem der Lauernden der Säbel; die Nerven verlierend, schoßer in die Gruppe, die sogleich zurückstob. Es gelang lediglich, zweigegnerische Offiziere zu fangen. Sie berichteten, daß sich auf demHügel Zar Alexander und der K ö n ig von Preußen befunden hätten . .

Mit einem solchen Fang hätte Napoleon Trümpfe in der Handgehabt, die nicht zu überbieten gewesen wären. Der Trumpf, den ermit dem gefangenen General Merveldt am Sonntag, dem 17. Oktober,ausspielte, stach leider nicht. Obschon er ihn zu seinem Schwieger-

vater schickte und diesem den Frieden antrug, wurde er nicht einmal

einer Antwort gewürdigt. Zwar ruhten die Kampfhandlungen, dochwar es gewiß, daß die Verbündeten nur auf ihre Verstärkungen war-teten. Jetzt hätte sich der Kaiser zum Rückzug entschließen sollen,doch wollte er sich nicht geschlagen geben und blieb. Immerhin er-hielt General Bertrand, der den neuralgischen Punkt der ganzenStellung, nämlich Lindenau, hielt, den Befehl, nach Westen abzu-marschieren. An seiner Stelle sicherte d ie Junge Garde das Loch inder eisernen Umklammerung, durch das Napoleon einzig ent-schlüpfen konnte.

Der ikjiin Tag

Der Montag, es war der 18. Oktober, war schön und klar. Napoleonhielt sich fast den ganzen Tag in der Nähe der Quandtschen Tabaks-mühle auf. Die Verbündeten, endlich verstärkt durch Bennigscn, Blü-cher und Bernadotte, suchten die Entscheidung zu erzwingen. Obwohldas Zahlenverhältnis jetzt zwei zu eins zu ihren Gunsten stand, ver-mochten sie nirgends durchzubrechen; sie drückten die französischeFront lediglich langsam auf die Stadt zurück. So schien die SacheNapoleons noch immer nicht ganz verloren. Da ereignete sich, wasMarschall Ncy vorausgesagt hatte: Teile der Rheinbündler gingenzum Feind über. Heinrich Steffens erlebte diesen Uebertritt auf derSeite der Preußen:

«Ueber die Ebene, in schöner Rüstung, rückte in ruhiger Ordnungeine Schar fremder Kavallerie auf uns zu. Ohne Zweifel war Blüchervon ihrer Ankunft unterrichtet. Es war sächsische Kavallerie, die sichvom Feinde getrennt hatte. Wunderbar und seltsam, echt dramatischim höheren Sinne, war dieser Auftritt, der fast auf eine festlicheWeise, ohne irgendeine Störung vor uns stattfand. Die Reiter hieltenruhig; entschlossen und dennoch, wie es mir schien, niedergeschlagenin unserer Nähe still; der Anführer trennte sich von den übrigenund näherte sich unserem Feldherrn, der ihn in würdiger Weise er-wartete. Sie hätten, versicherte der sächsische Offizier, lange denAugenblick ersehnt, in welchem sie sich aus der unnatürlichen Lageherausreißen konnten, die sie zwang, gegen ihr eigenes Volk zukämpfen. Doch baten sie um Schonung; sie wünschten nicht, in dieserSchlacht zu fechten.»

Kurz danach wechselte auch die sächsische Infanterie zum Gegnerhinüber und beschoß die sie verfolgenden französischen Kürassieremit Kartätschen. Gcsamthaft überstieg die Zahl der Ueberläufer5000 Munn nicht. Die Lücke wurde sogleich mit einer Abteilung derAlten Garde geschlossen. Das Erscheinen der Bürcnmützen genügte,um die Front wieder zu festigen. Taktisch hatte der Frontwechsel alsokaum Bedeutung, doch war seine moralische Wirkung gewaltig: erstärkte die Zuversicht der Verbündeten und schwächte den Wider-standsgeist der Franzosen. Als Napoleon erfuhr, daß auch nochwürttembergische Kavallerie abgefallen sei, sagte er zu dem rapportie-

renden Offizier nur noch: «Schweigen Sie! Kein weiteres Wort mehrvon dieser Niedertracht.»

Um 5 Uhr 19 ging die Sonne unter. Bald flummten rings um Leip*zig, aber jetzt dicht an der Stadt, die Lagerfeuer auf. «Man brachtedem Kaiser», so meldet der sächsische Oberst von Odeleben, der demGroßen Hauptquartier zugeteilt war, «einen hölzernen Schemel, aufdem er, erschöpft von den Anstrengungen der letzten Tage, in Schlum-mer sank. Seine Hände ruhten nachlässig gefaltet im Schöße; erglich in diesem Augenblick jedem anderen unter der Bürde des Miß-geschicks erliegenden Menschenkinde. Die Generäle standen düsterund stumm um das Feuer, und die zurückgehenden Truppen rausch-ten in einiger Entfernung vorüber.»

Schon nach einer Viertelstunde erwachte der Kaiser wieder. Ergttb sogleich Befehl, dem König von Sachsen die Vorfälle zu melden.Er stellte ihm frei, mit den Verbündeten einen Sonderfrieden zuschließen, und entbund die restlichen sächsischen Truppen ihres Eides.Während der Nacht zogen die Garden, große Teile der Artillerie undder Train durch Leipzig hindurch nach Westen ab. Da zu wenigBrücken vorhanden waren, kam es dauernd zu Verstopfungen. DasGedränge an den Brückenköpfen erinnerte viele an den Uebergangüber die Beresina. Sie ahnten freilich nicht, was den Korps, die zurVerteidigung der Stadt noch zurückgehalten wurden, am folgendenTage bevorstand.

An der Elster

«Als vor Jahr und Tag vornehme polnische Herren bei Spiel undTanz sich erlusteten, trat ein leichtes, wegfertiges Weibsbild, eineZigeunerin, in den Saal und bot ihnen ihre Weissagungen an. Du kamauch ein feines, junges Herrlein, der nachmalige Fürst Poniatowski,und streckte ihr die zarte Hund entgegen : mir auch etwasGutes, Müttcrlcin! Was meinst du, will aus mir werden?" Da suh dieHexe den jungen Fürsten freudig und wieder mitleidig an. duschmuckes Herrlein", sagte sie, gelangst einst zu seltsamem Standund Ehren. Möchte die Freude daran auch nur länger währen! Nimmvor «Ion Elstern dich wohl in acht. Eine Elster dir den Garaus macht."Durob lachten die Herren, und wie eine Elster daherflog, sagten zuPoniatowski seine Freunde: Euch in acht, Prinz! Seht Ihr,was dort fliegt?" Aber Poniatowski erwiderte: Amt und Ehrist noch nicht da ..." So erzählt Johann Peter Hebel in seinem«Rheinischen Hausfreund». Das «seltsame Amt» hatte NapoleonPoniatowski am 17. Oktober verschafft: es war die französische Mar-schallwürde, die bisher nie einem Polen verliehen worden war.

Poniatowski, Macdonald, Reynier, übrigens ein Lausanner, undLauriston wurden zur Deckung des Rückzugs befohlen. Sie bliebendemgemäß mit ihren schwachen Korps an den Toren der Innenstadtstehen. Napoleon überschritt die Elster und vergewisserte sich, daß

Napoleon im Jahre 1812, ein Jahr vor derVölkerschlacht.

Kaiser Franz I. von Oesterreich,der Schwiegervater Napoleons. Gebhard Leberecht von Blücher,

Befehlshaber der schlcsischcn Armee.

,/Marschall Fürst Poniatowski,

der am 19. Oktober in der Elster ertrank.König Friedrich Wilhelm III. von Preußen. Karl Johann, Kronprinz von Schweden, der

ehemalige französische Marschall Bernadotte.

König August von Sachsen, Verlandeter Zar Alexander /., Stich von B.Eöfel nach KarlPhilipp.mrstvonSchwarscnbcrg.Ober-Napoleons. Er wurde tn Leipzig gefangen. dem Gemälde von J. B. lsabey. kommandierender der ^ha*utJn£*Zkommandierender der verbündeten Truppen.

Neue Zürcher Zeitung vom 19.10.1963

Page 3: Die Völkerschlacht bei Leipzig

die Mine untrr der Brücke geladen war. Der Befehl lautete dahin, derUebergang müsse gesprengt werden, sobald der Feind ihn benatzenwolle. ..

Unterdessen traten die Verbündeten zum Sturm auf die Innen?Stadt an. Selbst der schwedische Kronprinz machte jetzt mit, schonteaber seine Truppen noch immer, so sehr er konnte. Sein Gesamt,

vertust bclief sich bis zum Sieg auf nur 178 Mann. Kaum war dieStadt indessen einigermaßen besetzt, organisierte er bereits mit s e i n enSchweden eine Siegcsparudc vor den Monarchen. Blücher wandte sichverächtlich von dem «Hundsfott» ab. Doch immer noch hieltensich etwa 20 000 Franzosen diesseits der Elster; sie alle zählten aufdie steinerne Brücke. Gegen ein Uhr des Mittags näherten sich vonNorden russische Jäger. Der Geniekorporal Lafontaine glaubte denZeitpunkt für gekommen. Er legte Feuer an die Lunte. Einer, derdabei war, erzählt:

' «Der Schlag des sich entladenden Pulvers war überaus heftig. Einfürchterlicher Knall und gleich darauf die Zerstörung, welche dieemporgeschleudcrtcn Quadern der Brücke verursachten. Steine,Wagen, Holzsplitter, Gliedmaßen zerrissener Menschen uml Pferdeflogen auf und stürzten verderbenbringend aus der Höhe jäh wiederherab. Entsetzt stockte der Zug, aber der Schreck derjenigen, welchedie Brücke schon hinter sich hatten, war nichts gegen d ie krampfhafteVerzweiflung derer, welche sie noch hatten überschreiten wollen. DieSprengung zerbrach die letzte Gegenwehr; alles löste sich auf.Tausende warfen die Waffen fort und eilten der Elster zu. In ihrerAngst sprangen sie hinein; viele Hunderte aber, die nicht schwimmenkonnten, fanden in dem angeschwollenen Wasser ihr Grab.>

Unter ihnen war auch der Fürst Poniatowski. Sein Pferd trug ihnzwar bis ans jenseitige Ufer, doch vermochte es die glitschigeBöschung nicht zu erklettern. Es stürzte und riß seinen Herrn mitsich. So hätte sich die von Hebel für wahr gehaltene Weissagung

erfüllt: eine Elfter werde dem Marschall den Garaus machen.

Ungelöste Fragen

Als die Monarchen von Ocsterreich, Rußland, Preußen und Schwe-den in einem gemeinschaftlichen Gottesdienst den Sieg feierten, dahatten sie ihn 22 000 Russen, 16 000 Preußen, 12 000 Österreichernund nicht ganz 200 Schweden zu verdanken, die für ihn gefallen

waren. Dazu kamen Zehntausende von Verwundeten. Die VerlusteNapoleons beliefen sich, die Gefangenen eingerechnet, auf rund110 000 Mann. Damit hutte er ein ähnliches Debakel erlitten wie einJuhr zuvor. Sein Rückzug durch Thüringen und bis an den Rheinglich denn auch manchmal demjenigen aus Rußland. Daß es demKaiser jedoch überhaupt gelang, aus dem Kessel von Leipzig zu ent-kommen, wirft einige Fragen uuf. Ostdeutsche Publikationen behaup-

ten neuerdings, der überkommend ierende Schwarzenberg habe ihnabsichtlich aus dynastischen und diplomatischen Gründen entwischenlassen. Außerdem unterschieben sie dem Generalissimus der Ver-bündeten, er habe uls «Besitzender» aus Solidarität mit der französi-schen «Großbourgeoisie», deren Exponent Napoleon gewesen sei,gehandelt. Bei einer Geschichtsschreibung, die nur auf den Klassen-kampf ausgerichtet ist, sind derartige Blüten freilich nicht zu ver-wundern. General Jomini von Payerne, ein Schweizer, der schon vorder Schlacht von den Franzosen zu Zar Alexander übertrat und der zuden besten Militärschriftstellcrn seiner Zeit gehörte, empfand denSchwarzenbergschen Schlachtplan mindestens zu Beginn als so wider-sinnig, «daß man glauben konnte, Napoleon habe ihn selbst diktiert,um sich einen möglichst entscheidenden Sieg zu verschaffen». DaßSchwarzenberg von jeher nur auf Sicherheit ausging und daher oftzögerte, ist bekannt. Der eigentliche Grund für das Ausbleiben einerenergischen Inbesitznahme der französischen Rückzugsstraße liegtwohl darin, daß am ersten Schlachttag das Zentrum der Verbündetenum Zusammenbrechen war und nur damit gestützt werden konnte,daß die Truppen, die auf diese Straße angesetzt werden sollten, zu-rückgeholt wurden. Von da an blieb der Rückzugsweg mit genügenden

französischen Kräften gesichert.

Eine kaum zu lösende Frage ist die, warum sich Napoleon über-haupt in die Leipziger Falle hineinbegab. Sicherlich wollte er am16. Oktober die Teilkräfte des Feindes vernichten, was er nur in derEbene und nicht hinter Elster und Pleiße tun konnte. Allein dieTutsache, daß er sich ohne die Gewißheit eines Sieges so weit vor-wagte, scheint auf eine Abnahme seines Feldherrntalents hinzuweisen.Er hätte die Gefährlichkeit seiner Position mit einer einzigen gutenBrücke im Rücken richtiger einkalkulieren müssen.

Die dritte Frage ist die, warum der französische Generalstab nichtsutis den Erfahrungen an der Beresina gelernt und es versäumt hat,für weitere Rückzngswege zu sorgen. Die einleuchtendste Erklärunggibt dafür der bereits erwähnte Murbot. Er schiebt die Verantwortunguuf den Generalstabchef Berthier. Dieser war an sich ein sehr fähigerMann, aber von seinem Herrn dermaßen eingeschüchtert, daß er, umsich zu sichern, ausschließlich Befehle ausführte, die er vom Kaiserschriftlich erhalten hatte. Um sich keinesfalls zu exponieren, ver-zichtete er auf jegliche Eigeninitiative. So auch offenbar in Leipzig.Da Napoleon anmöglich an alles denken konnte, wiederholte Berthierden ihn der Brückenfrage wegen Bedrängenden bloß stereotyp: «DerKaiser hat nichts befohlen!» So blieb es bei den ganz ungenügendenVorkehrungen, die dann zur Katastrophe an der Elsterbrücke führten.

Die Wirkung in der Schweiz

Der amtierende schweizerische Landammonn Reinhard von Zürichhatte Napoleon nach dem Sieg von Dresden noch eine Glückwunsch-adresse zugesandt, die den Empfänger infolge der Langsamkeit derUebermittlung zwar erst nach der Niederlage bei Leipzig erreichte.Da nun der König von Württemberg und der Großherzog von Badenals unmittelbare Nachbarn der Schweiz ebenfalls vom Kaiser abfielen,wurde die Rheiugrenze binnen kurzem von den siegreichen Heerender Alliierten überschwemmt. Die in Zürich einberufene Tagsatzung

erklärte die Eidgenossenschaft sofort als neutral. Napoleon hieß dieseErklärung aus strategischen Erwägungen ungesäumt gut sie sicherteseine Juragreuze , wahrend die Verbündeten wenig Geneigtheitzeigten, die schweizerischen Wünsche zu respektieren. Es kam ja dannbekanntlich zu den Durchmärschen alliierter Truppen, und dieSchweiz mußte sich in die allgemeine Front gegen Frankreich ein-fügen.

So freudig die Nachricht von der Niederlage Napoleons auf-genommen wurde die Zeitungen redeten plötzlich eine ganz neueSprache , weil man nicht mehr um die Erhaltung der Freiheitfürchten mußte, so bedauerlich war die Aufhebung der noch vonNapoleon eingesetzten Mediationsakte (29. Dezember 1813), die deninnenpolitischen Verhältnissen weitgehend entsprochen hatte. Weit-lifi-iiin versuchten die Anhänger des Ancien Regime, von Oesterreichtatkräftig unterstützt, wieder ans Ruder zu kommen, die Tagsatzung

entzweite sich, und das Land stand am Vorabend eines Bürgerkrieges.

Da machten die fremden Mächte dem kläglichen Schauspiel ein Ende.Zar Alexander, auf den sein ehemaliger Schweizer Lehrer Laharpegroßen Einfluß ausübte, machte dem Fürsten Metternich bittere Vor-würfe, daß er die Schweiz in neue Unruhe gestürzt habe. Er ver-unlaßte die Monarchen zu der Erklärung, daß sie nur eine Tagsatzung

der geeinten neunzehn Kantone anerkennen würden. So wurde dieTagsatzung in Zürich wieder vollzählig, und nach unsäglicher Mühebrachte sie am 12. September 1814 eine neue Bundesverfassung zu-stande, von der es mindestens fraglich war, ob sie so viel besser warals die Napoleonische Mediationsakte.

Schwarzenberg überbringt den verbündeten Monarchen die Nachricht von der Niederlage Napoleon.*.

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Kosaken plündern ein Dorf in der Xähc Leipzigs.

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Erstürmung des Orimmaisohen Tores zu Leipzig dvrcli preußische Landwehr.

Neue Zürcher Zeitung vom 19.10.1963