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ANNOUNCEMENTS AND REPORTS Die Vorgehensweise des Bundesinstitutes fu ¨r Risikobewertung bei der Abscha ¨tzung der dermalen Absorption von Wirkstoffen in Pflanzenschutzmitteln und Biozidprodukten Lars Niemann Sabine Martin Michaela Golle Heiko Schneider Bernd Stein Rudolf Pfeil Roland Solecki Received: 16 August 2013 Ó Bundesamt fu ¨r Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) 2013 Zusammenfassung Fu ¨r die Bewertung des gesund- heitlichen Risikos von Pflanzenschutzmitteln (PSM) und Biozidprodukten (BP) ist die korrekte Abscha ¨tzung der Aufnahme der darin enthaltenen Wirkstoffe u ¨ber die Haut erforderlich. In dieser Vero ¨ffentlichung wird dar- gestellt, wie das Bundesinstitut fu ¨r Risikobewertung (BfR), in Abha ¨ngigkeit von den verfu ¨gbaren Daten, die dermale Absorption von Wirkstoffen in PSM und BP ableitet. Dabei finden zwei neue Bewertungsleitfa ¨den der EFSA und der OECD Verwendung. Grundlegende Prinzipien der Studienauswertung werden ebenso beschrieben wie Mo ¨glichkeiten zur Abscha ¨tzung der Hautabsorption, wenn keine produktspezifischen experimentellen Daten vorliegen. Die Publikation die- ser Vorgehensweise stellt einen ersten Schritt fu ¨r die Harmonisierung der Bewertung in den Zulassungsver- fahren von PSM und BP dar. Schlu ¨ sselwo ¨rter Pflanzenschutzmittel Á Biozide Á Dermale Absorption Á Bewertungsleitfa ¨den Á EFSA Á OECD Abstract A correct estimate of dermal absorption of the contained active ingredients is needed for the health risk assessment of plant protection and bioci- dal products. In this paper, the approach is reported that is currently taken by the Federal Institute for Risk Assessment to derive the dermal absorption rate of active substances in plant protection or biocidal products, depending on the available data. It is ex- plained what use is made of two new guidance documents that were recently released by EFSA and OECD. Basic principles of the assessment of dermal absorption studies are described but also opportuni- ties for estimations in the absence of product-specific experimental data. This publication is considered a first step towards harmonisation of assessment in the authorisation processes for plant protection and biocidal products. Keywords Plant protection products Á Biocides Á Dermal absorption Á Guidance documents for assessment Á EFSA Á OECD 1 Einleitung Die Bewertung des gesundheitlichen Risikos von Pflanzenschutzmitteln (PSM) und Biozidprodukten (BP) setzt die mo ¨glichst genaue Abscha ¨tzung der zu erwartenden Wirkstoffaufnahme von exponierten Personen voraus, damit diese dann mit den fu ¨r die Anwendungssicherheit relevanten Grenzwerten AOEL (Acceptable Operator Exposure Level) und AEL (Acceptable Exposure Level) verglichen werden kann. Zu diesen Personen geho ¨ren Anwender (,,Operator‘‘), andere Arbeitskra ¨fte, die z. B. behandelte Fla ¨chen betreten mu ¨ssen (,,Worker‘‘), oder unbeteiligte Dritte (,,Bystander‘‘, ,,Resident‘‘). Da diese Personengruppen vorrangig auf inhalativem und dermalem Wege exponiert werden, kommt der korrekten Abscha ¨t- zung der Aufnahme eines Wirkstoffes u ¨ber die Haut L. Niemann (&) Á S. Martin Á M. Golle Á H. Schneider Á B. Stein Á R. Pfeil Á R. Solecki Bundesinstitut fu ¨r Risikobewertung, Abteilung Chemikaliensicherheit, Max-Dohrn-Str. 8-10, 10589 Berlin, Germany e-mail: [email protected] J. Verbr. Lebensm. (2013) 8:381–388 DOI 10.1007/s00003-013-0842-z Journal fu ¨ r Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit Journal of Consumer Protection and Food Safety 123

Die Vorgehensweise des Bundesinstitutes für Risikobewertung bei der Abschätzung der dermalen Absorption von Wirkstoffen in Pflanzenschutzmitteln und Biozidprodukten

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ANNOUNCEMENTS AND REPORTS

Die Vorgehensweise des Bundesinstitutes furRisikobewertung bei der Abschatzung der dermalenAbsorption von Wirkstoffen in Pflanzenschutzmittelnund Biozidprodukten

Lars Niemann • Sabine Martin • Michaela Golle • Heiko Schneider •

Bernd Stein • Rudolf Pfeil • Roland Solecki

Received: 16 August 2013� Bundesamt fur Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) 2013

Zusammenfassung Fur die Bewertung des gesund-heitlichenRisikos vonPflanzenschutzmitteln (PSM)undBiozidprodukten (BP) ist die korrekte Abschatzung derAufnahme der darin enthaltenen Wirkstoffe uber dieHaut erforderlich. In dieser Veroffentlichung wird dar-gestellt, wie das Bundesinstitut fur Risikobewertung(BfR), in Abhangigkeit von den verfugbaren Daten, diedermale Absorption von Wirkstoffen in PSM und BPableitet. Dabei finden zwei neue Bewertungsleitfadender EFSA und der OECD Verwendung. GrundlegendePrinzipien der Studienauswertung werden ebensobeschrieben wie Moglichkeiten zur Abschatzung derHautabsorption, wenn keine produktspezifischenexperimentellen Daten vorliegen. Die Publikation die-ser Vorgehensweise stellt einen ersten Schritt fur dieHarmonisierung der Bewertung in den Zulassungsver-fahren von PSM und BP dar.

Schlusselworter Pflanzenschutzmittel � Biozide �Dermale Absorption � Bewertungsleitfaden �EFSA � OECD

Abstract A correct estimate of dermal absorption ofthe contained active ingredients is needed for thehealth risk assessment of plant protection and bioci-dal products. In this paper, the approach is reportedthat is currently taken by the Federal Institute forRisk Assessment to derive the dermal absorption rate

of active substances in plant protection or biocidalproducts, depending on the available data. It is ex-plained what use is made of two new guidancedocuments that were recently released by EFSA andOECD. Basic principles of the assessment of dermalabsorption studies are described but also opportuni-ties for estimations in the absence of product-specificexperimental data. This publication is considered afirst step towards harmonisation of assessment in theauthorisation processes for plant protection andbiocidal products.

Keywords Plant protection products � Biocides �Dermal absorption � Guidance documentsfor assessment � EFSA � OECD

1 Einleitung

Die Bewertung des gesundheitlichen Risikos vonPflanzenschutzmitteln (PSM) und Biozidprodukten(BP) setzt die moglichst genaue Abschatzung der zuerwartenden Wirkstoffaufnahme von exponiertenPersonen voraus, damit diese dann mit den furdie Anwendungssicherheit relevanten GrenzwertenAOEL (Acceptable Operator Exposure Level) und AEL(Acceptable Exposure Level) verglichen werden kann.Zu diesen Personen gehoren Anwender (,,Operator‘‘),andere Arbeitskrafte, die z. B. behandelte Flachenbetreten mussen (,,Worker‘‘), oder unbeteiligte Dritte(,,Bystander‘‘, ,,Resident‘‘). Da diese Personengruppenvorrangig auf inhalativem und dermalem Wegeexponiert werden, kommt der korrekten Abschat-zung der Aufnahme eines Wirkstoffes uber die Haut

L. Niemann (&) � S. Martin � M. Golle � H. Schneider �B. Stein � R. Pfeil � R. SoleckiBundesinstitut fur Risikobewertung, AbteilungChemikaliensicherheit, Max-Dohrn-Str. 8-10,10589 Berlin, Germanye-mail: [email protected]

J. Verbr. Lebensm. (2013) 8:381–388DOI 10.1007/s00003-013-0842-z

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(,,Dermal absorption rate‘‘) eine große Bedeutung zu.Davon kann die Entscheidung uber die Zulassungeines Mittels abhangen, aber auch Art und Umfangvon Schutzmaßnahmen oder die Notwendigkeit vonAnwendungsbeschrankungen, um die Belastung aufein vertretbares Maß zu reduzieren.

In der Vergangenheit sind hinsichtlich der Ablei-tung der dermalen Absorption haufig sowohlDiskrepanzen zwischen den Auffassungen vonAntragstellern und Behorden, als auch zwischen Be-wertungsbehorden der einzelnen EU-Mitgliedstaatenaufgetreten. Dies hangt vor allem mit der sehrheterogenen Ausgangsbasis fur die Bewertungzusammen. Zum einen kann die Hautabsorptioneines Wirkstoffes in verschiedenen Testsystemenin vivo oder in vitro gemessen werden, wobei selbstdie vor einigen Jahren verabschiedeten OECD-Pruf-richtlinien 427 und 428 (OECD 2004a, b) immer nocheinen betrachtlichen Spielraum bei der praktischenDurchfuhrung der experimentellen Prufungen undder Interpretation ihrer Ergebnisse lassen. Zumanderen kann die dermale Absorption in Ermange-lung experimenteller Daten fur ein zu bewertendesPSM oder BP mit unterschiedlichen Methoden abge-schatzt werden oder es konnen Standardannahmen(,,Default values‘‘) herangezogen werden, deren Ver-wendung in der Vergangenheit aber auch nichteinheitlich war. Um diese fur alle Verfahrensbetei-ligten unbefriedigende Situation zu verbessern undeine starkere internationale Harmonisierung zuerreichen, haben sowohl die EU als auch die OECDneue Bewertungsleitfaden erarbeitet (OECD 2011;EFSA 2012), in denen zum einen Empfehlungen zurAuswertung von Hautabsorptionsstudien und Inter-pretation ihrer Ergebnisse gegeben und zumanderen aufgezeigt wird wie die dermale Absorptionsinnvoll abgeschatzt werden kann, wenn keineexperimentellen Daten zu einem bestimmten Pro-dukt vorliegen.

Um die Konsistenz und Transparenz seiner Bewer-tungen zu verbessern und die Gleichbehandlung derAntragsteller zu sichern, hat das in Deutschland furdie gesundheitliche Bewertung von PSM und BPgesetzlich zustandige Bundesinstitut fur Risikobe-wertung (BfR) seine Verfahrensweise zur Ableitungder dermalen Absorption unter Berucksichtigungbeider Bewertungsleitfaden fortentwickelt. In diesemArtikel wird dieses abgestufte Verfahren in seinenGrundsatzen beschrieben, wobei auf methodischeDetails der Studiendurchfuhrung nur in dem not-wendigen Maße eingegangen wird. Ansonsten wirdauf die OECD-Prufrichtlinien 427 und 428, die beidenoben genannten Bewertungsleitfaden von OECD und

EFSA und eine umfangreiche Monografie der WHO(WHO 2006) verwiesen.

2 Bestimmung der dermalen Absorptionsrate aufder Basis produktspezifischer Studien

Grundsatzlich ist es nicht zwingend erforderlich unddemzufolge auch nicht in den gesetzlichen Daten-anforderungen fur PSM und BP vorgeschrieben, diedermale Absorption eines Wirkstoffes im Rahmendes Zulassungsverfahrens experimentell zu untersu-chen, da in vielen Fallen auch unter Verwendung der,,Default values‘‘ oder eines ,,Read-across‘‘-Ansatzes(s. unten) eine sichere Anwendung nachgewiesenwerden kann. Die Durchfuhrung experimentellerStudien liegt somit im Ermessen der Antragsteller.

Wenn jedoch valide Studien mit einem zurBewertung anstehenden PSM oder BP in praxisrele-vanten Konzentrationen vorgelegt werden, bilden siedie Basis fur die Bestimmung der Hautabsorption desenthaltenen Wirkstoffes, da produktspezifischeexperimentelle Daten im Vergleich zu Schatzungenals verlasslicher betrachtet werden. Solche Studienmussen unter GLP-Bedingungen und spatestens abdem Jahre 2005 zwingend nach einer der beidenOECD-Prufrichtlinien 427 oder 428 durchgefuhrtworden sein. Altere Untersuchungen konnen aner-kannt werden, sofern die Abweichungen von diesenRichtlinien nicht gravierend sind. Der eingereichteBericht muss eine prazise Beschreibung des metho-dischen Vorgehens enthalten und eine umfassendeBewertung der Ergebnisse sowie deren Uberprufunganhand von Rohdaten erlauben. Nicht akzeptabelsind dagegen Studien,

• in denen die Wiederfindungsrate der verabreich-ten Radioaktivitat unter 90 % oder oberhalb von110 % (OECD 2011) lag,

• bei denen der am Versuchsende in der Hautverbliebene Anteil nicht separat erfasst worden istund

• die Absorption nur anhand der Analyse derRezeptorflussigkeit in vitro oder der Ausscheidungin vivo und evtl. eines ,,Tape stripping‘‘ abge-schatzt wurde, oder

• in vitro-Experimente, bei denen die Expositions-zeit 24 Stunden uberstieg.

Die Studien sollten im Regelfall in vivo an der Ratteund in vitro an Human- und/oder Rattenhaut durch-gefuhrt werden; Untersuchungen in anderenTestsystemen bedurfen einer stichhaltigen Begrun-dung. Das BfR behalt sich vor, sie als ,,erganzende

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Information‘‘ zu betrachten, die nur zur grobenAbschatzung der dermalen Absorption beitragenkann. Untersuchungen an Freiwilligen werden inUbereinstimmung mit dem Bewertungsleitfaden derEFSA (EFSA 2012) nicht empfohlen.

Die Ergebnisse werden gemaß den im europa-ischen Bewertungsleitfaden (EFSA 2012) angegebenenRundungsregeln auf eine Nachkommastelle beiWerten unter 1 % und auf ganze Zahlen bei Wertenoberhalb von 1 % gerundet.

Liegt die Wiederfindungsrate der gesamtenapplizierten Radioaktivitat unter 95 %, wird imRegelfall, in Ubereinstimmung mit dem neueneuropaischen Bewertungsleitfaden (EFSA 2012), einenumerische Korrektur der Ergebnisse (,,Normalisie-rung‘‘ auf 100 %) erforderlich sein.

2.1 Studien in vitro

Fur das BfR haben in vitro-Studien an Humanhauteinen hohen Stellenwert, da dieser Studientyp dieAufnahme uberdiemenschlicheHaut in vivoentwederkorrekt vorhersagt oder zumindest nicht unterschatzt(Franz 1975; Bronaugh et al. 1982; Cnubben et al. 2002;Van de Sandt et al. 2004; Van Ravenzwaay and Leibold2004; Williams 2006; WHO 2006; OECD 2011). SolcheStudien sind auch schon in den letzten Jahren inDeutschland regelmaßig als alleinige Informationakzeptiert worden. Die darin ermittelte dermale Ab-sorptionsrate in Prozentwird direkt fur dieKalkulationder dermalen Exposition herangezogen.

Wenn ein Antragsteller eine dermale Absorpti-onsstudie mit einem bestimmten PSM oder BPdurchfuhren mochte, wird daher seitens des BfR einein vitro-Studie entsprechend der OECD Prufrichtlinie428 mit dem Ziel einer Vermeidung von Tierversu-chen empfohlen. Die Akzeptanz einer in vitro-Studiean Humanhaut zur Bestimmung der dermalen Ab-sorptionsrate ist jedoch außerhalb der EU leider nichtuberall gegeben (OECD 2011). Weltweit agierendeUnternehmen werden deshalb auch weiterhinin vivo-Studien durchfuhren mussen und sollten diesedann auch in Deutschland vorlegen.

Die Untersuchungen konnen sowohl an dermato-mierter (,,split-thickness‘‘) Haut als auch an isolierterEpidermis durchgefuhrt werden (OECD 2004b). Ausdem Bewertungsleitfaden der EFSA ist eine Bevorzu-gung dermatomierter Haut zu erkennen (EFSA 2012),doch wird das BfR weiterhin auch valide Studien anisolierter Epidermis anerkennen, da es sich um einevon der OECD akzeptierte Methode handelt. Unab-hangig vom Hauttyp sollte die Expositionszeit im

Regelfall 6 bis 10 Stunden betragen und der Versuchnach 24 Stunden abgeschlossen sein. Studien mit24stundiger Einwirkzeit und sofortiger Beendigungkonnen ebenfalls weiterhin herangezogen werden.In Ubereinstimmung mit dem EFSA-Leitfaden (EFSA2012) wird empfohlen, dass 8 Hautproben von 4verschiedenen Spendern fur jede geprufte Konzent-ration in die Untersuchung einbezogen werden. Dadiese Forderung in der Prufrichtlinie 428 der OECDnicht enthalten ist, wird das BfR auch Studienakzeptieren, in denen weniger Proben (minimal 3)bzw. Proben von weniger Spendern verwendet wor-den sind. In solchen Fallen wird es aber zumeistnotwendig sein, anstelle des Mittelwertes denhochsten Messwert im Sinne einer ,,Worst case‘‘-Annahme zu verwenden.

Als ,,absorbiert‘‘ wird die in der Rezeptorflussigkeitgefundene Menge des Wirkstoffes und als ,,potentiellabsorbierbar‘‘ der sogenannte Hautanteil bestimmtals Prozent der verabreichten Radioaktivitat in derHautprobe betrachtet.

Die außere Hornhautschicht (Stratum corneum)kann mittels des nicht vorgeschriebenen, aber haufigdurchgefuhrten ,,Tape stripping‘‘ teilweise oder voll-standig entfernt und in diesem Fall gesondertbetrachtet werden. Die Frage der Einbeziehung desdarin nachweisbaren Wirkstoffanteiles war in derVergangenheit ein haufiger Grund fur divergierendeErgebnisse bei der Auswertung von Studien. Diebeiden neuen Bewertungsleitfaden (OECD 2011; EFSA2012) schlagen zum Umgang mit diesem Problemfolgende pragmatische Verfahrensweise vor, der sichauch das BfR angeschlossen hat.

• Nach separater Analyse der einzelnen ,,Tapestrips‘‘ wird die Radioaktivitat in den beidenoberen Schichten immer von der Kalkulationausgeschlossen, da fur diesen Anteil zu erwartenist, dass er durch die normale Abschilferungverloren geht. Die Einbeziehung oder der Aus-schluss der tieferen Lagen des Stratum corneumerfolgt in Abhangigkeit davon, ob die Absorptionam Versuchsende als annahernd komplettbetrachtet werden kann. Beide Leitfaden empfeh-len hierfur als Surrogat zu betrachten, ob bereitsnach der ersten Halfte der Versuchsdauer, in vitrozumeist also nach 12 Stunden, schon 75 % derinsgesamt in der Rezeptorflussigkeit nachweisba-ren Radioaktivitat dort messbar war. War diesnicht der Fall, mussen die tieferen Lagen in dieBerechnung des absorbierbaren Anteils einbezo-gen werden. Nach Auffassung des BfR muss dieseBetrachtung fur alle Verdunnungsstufen eines

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Produktes separat vorgenommen werden undkann durchaus dazu fuhren, dass aus einemkonzentrierten Produkt die Radioaktivitat imStratum corneum einbezogen werden muss, furseine hundertfache Verdunnung jedoch nicht.

Untersuchungen an Rattenhaut nach OECD-Pruf-richtlinie 428 werden im Prinzip ebenso ausgewertetwie die an Humanhaut, doch wird das BfR dieseDaten nur prufen und regulatorisch berucksichtigen,wenn

(a) keine weiteren experimentellen Studien vorlie-gen und trotz ihres geringen Vorhersagewertesauf dieser Basis eine Absorptionsrate unterhalbder Default-Werte belegt werden soll; oder

(b) diese Versuche zu einem ,,Triple pack‘‘ gehoren.

2.2 Studien in vivo

Entsprechend der OECD-Prufrichtlinie 427 durchge-fuhrte in vivo-Studien konnen entweder als solitareInformation oder als Bestandteil eines ,,Triple pack‘‘eingereicht werden. Das Ergebnis einer separat vor-gelegten Studie diesen Typs kann in Ermangelungbesser geeigneter Daten, wie aus in vitro-Studien anHumanhaut oder ,,Triple pack‘‘ fur die Schatzung derdermalen Absorption beim Menschen verwendetwerden.

In diesen Studien mit einer empfohlenen Exposi-tionszeit von 6 bis 24 Stunden und eineranschließenden, unterschiedlich langen Nachbeob-achtungszeit werden die mit den Exkreta und in derAtemluft ausgeschiedene Radioaktivitat, samtlicheRuckstande in den Organen und Geweben ein-schließlich der tieferen Hautschichten in derbehandelten Korperregion und ihrer Umgebungzum Zeitpunkt der Totung der Tiere als ,,absorbiert‘‘betrachtet. Sofern ein ,,Tape stripping‘‘ durchgefuhrtwurde und eine separate Analyse der enthaltenenRadioaktivitat erfolgt ist, werden wiederum die bei-den außeren Lagen des Stratum corneum von derKalkulation ausgeschlossen. Ein Ausschluss dergesamten außeren Hornhautschicht ist nur danngerechtfertigt, wenn 75 % der Gesamtabsorption, dieals Summe der Ausscheidung und Ruckstande be-stimmt wird, schon nach der Halfte der Studiendauernachweisbar war. Fur die Kalkulation der dermalenAbsorption in vivo wird im Regelfall der hochsteMittelwert einer Gruppe herangezogen, sofern essich nicht eindeutig um einen ,,Ausreißer‘‘ handelt,und nicht notwendigerweise der am Versuchsendebestimmte Wert ist.

2.3 ,,Triple pack‘‘

Beim ,,Triple pack‘‘ erfolgt eine ,,Korrektur‘‘ desin vivo-Ergebnisses durch Division der dermalen Ab-sorptionsrate, wie sie sich aus dieser Studie ergebenhat, durch das Verhaltnis zwischen Ratten- undMenschenhaut bezuglich ihrer Permeabilitat. Auseiner Absorptionsrate von z. B. 20 % bei der Rattein vivo ließe sich somit aufgrund einer vierfachhoheren Permeabilitat von Rattenhaut im Vergleichzur Humanhaut in vitro eine dermale Absorption von5 % fur den Anwender dieses PSM oder BP ableiten.Voraussetzung fur die Akzeptanz dieses Ansatzes sinddie Verwendung derselben Formulierung, identischeFlachenkonzentrationen und die gleiche Exposi-tionsdauer (OECD 2011; EFSA 2012).

Der Vergleich der unterschiedlichen Permeabilitatvon Human- und Rattenhaut erfolgt normalerweiseanhand der prozentualen Absorptionsraten. DieBehandlung der Radioaktivitat im Stratum corneummuss dabei fur beide Hauttypen in der jeweiligenVerdunnungsstufe einheitlich erfolgen, unabhangigvon der ansonsten anzuwendenden 75 %-Regel. DieBasis-Annahme ist die Einbeziehung des gesamtenHautanteiles abzuglich der beiden außeren ,,Tapestrips‘‘. In begrundeten Ausnahmefallen, etwa beisehr hohen Flachenkonzentrationen von [100 lL/cm2 oder [10 mg/cm2 (OECD 2004c), kann fur denPermeabilitatsvergleich auch die Flux-Rate beruck-sichtigt werden. Erfahrungsgemaß widerspiegelt einsolches Versuchsdesign jedoch nicht hinreichend diezu erwartende Exposition gegenuber einem PSModer BP, wodurch die Brauchbarkeit der Studie in-frage gestellt wird.

Auch bei Vorliegen eines ,,Triple pack‘‘ wird dasBfR in der Risikobewertung aber zunachst dasErgebnis der in vitro-Studie an Humanhaut verwen-den und nur bei Uberschreitung des Grenzwerteseine verfeinerte Uberprufung anhand der ,,Triplepack‘‘-Daten vornehmen, wobei der resultierendeWert nicht zwangslaufig niedriger liegen wird (OECD2011).

2.4 Umgang mit beantragten, aber experimentellnicht gepruften Konzentrationen vonvergleichbaren Formulierungen

Ein in der Praxis haufig auftretendes Problem bestehtdarin, dass eine zu bewertende Formulierung gemaßden Kriterien des Bewertungsleitfadens der EFSAhinreichend ahnlich ist, aber in einer starkeren Ver-dunnung angewendet wird, als bei der dermalenAbsorption des Wirkstoffes experimentell gepruft

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wurde. Soweit die Abweichung der Wirkstoff-Konzentration in der Verdunnung sich um einenFaktor B2 unterscheidet, kann von einer Ubertrag-barkeit ausgegangen werden. Das bedeutet z.B., dasseine getestete Verdunnung von 1:100 auf eine zubewertende Verdunnung von 1:200 ubertragen wer-den kann. Diese Vorgehensweise basiert u.a. aufdem Bewertungsleitfaden (EU 2012) zur Beurteilungvon signifikanten Anderungen der chemischenZusammensetzung vom PSM. Gemaß dem Bewer-tungsleitfaden werden Abweichungen von ± 100 %fur Stoffkonzentrationen von B0,5 % akzeptiert.Dieser Konzentrationsbereich wird fur anwendungs-fertige PSM und BP als realistisch beurteilt.Abweichungen mit einem Faktor [2 konnen inbegrundeten Einzelfallen akzeptiert werden, wennbelegt ist, dass die dermalen Absorptionen desgetesteten Konzentrates und der Verdunnung ahn-lich sind. Sofern Daten zu einer hoheren und einergeringeren Konzentration wie z.B. eine 1:25 Verdun-nung und eine 1:500 Verdunnung vorliegen, wirdvom BfR fur eine nicht geprufte, in ihrem Wirk-stoffgehalt dazwischen liegende Formulierung wieetwa 1:125 im Sinne einer ,,Worst case-Abschatzung‘‘die jeweils hohere Absorptionsrate angenommen.Diese stammt zumeist von der hoheren Verdun-nungsstufe. Wenn nur Daten fur hoher oderniedriger konzentrierte Formulierungen vorliegen,ohne dass die obengenannten Kriterien zutreffen,kann keine Ubertragung erfolgen. Da nach den bis-herigen Erfahrungen haufig keine Linearitat vorliegt,wird das BfR die sogenannte ,,Pro rata‘‘-Kalkulation(EFSA 2012) nicht vornehmen.

3 Abschatzung der dermalen Absorption einesWirkstoffes ohne produktspezifischeexperimentelle Daten

Fur eine solche Abschatzung bestehen prinzipielldrei Optionen, die vom BfR auch in dieser Reihen-folge gepruft werden:

1. Verwendung von Standardannahmen (,,Defaultvalues‘‘)

2. Direkte Ubertragung einer experimentell ermit-telten dermalen Absorptionsrate fur eineahnliche Formulierung desselben Wirkstoffes(,,Read-across, one-to-one approach‘‘)

3. Theoretische Uberlegungen auf Basis von expe-rimentellen Daten zu chemisch verwandtenWirkstoffen oder zu ahnlichen Formulierungendesselben Wirkstoffes (,,Read-across, many-to-one approach‘‘)

Das BfR wird die zweite und dritte Option nichtmit Daten untersetzen, sondern bei Fehlen experi-menteller Daten automatisch die im Folgendenerlauterten Standardannahmen fur die Risikobewer-tung verwenden. Somit liegt es in der Verantwortungder Antragsteller, detailliert begrundete Vorschlagefur ein ,,Read-across‘‘ zu machen und entsprechendeStudien oder Publikationen vorzulegen. Originalstu-dien muss die antragstellende Firma selbst besitzenoder einen ,,Letter of access‘‘ des Eigentumersvorweisen. Publikationen mussen im Original einge-reicht und vom Antragsteller hinsichtlich ihrerQualitat und Verlasslichkeit beurteilt werden.

3.1 Verwendung von Standardannahmen

Im Bewertungsleitfaden der EFSA (EFSA 2012) werdenDefault-Werte von 25 % und 75 % in Abhangigkeitvom Wirkstoffgehalt der zu bewertenden Mittelempfohlen. Dieser Leitfaden wurde auch fur BPprinzipiell akzeptiert. Eine dermale Absorptionsratevon 25 % ist anzunehmen, wenn im PSM oder BPmehr als 5 % (w/w) eines Wirkstoffes enthalten sind.Bei Wirkstoffgehalten B5 % soll dagegen eine der-male Absorption von 75 % als ,,Worst case‘‘-Annahmeverwendet werden. Diese Unterscheidung wider-spiegelt die Erfahrung, dass die relative dermaleAbsorption eines Wirkstoffes in einer bestimmtenFormulierung mit deren weiteren Verdunnung inden meisten Fallen zunimmt, wenn auch nichtimmer linear (WHO 2006; OECD 2011). Die Zahlen-werte von 25 und 75 % beruhen auf einer im Jahre2010 vom ,,UK Chemical Regulation Directorate(CRD)‘‘ im Auftrag der EFSA durchgefuhrte Analysevon insgesamt 104 im Rahmen der EU-Wirkstoffpru-fung zu PSM getroffenen Entscheidungen, von denenetwa zwei Drittel auf experimentellen Daten basier-ten. Das BfR hat diese Werte anhand von 178 in vitro-Studien an Humanhaut, davon 98 an dermatomierterHaut uberpruft, die im Rahmen des Zulassungsver-fahrens fur PSM eingereicht worden sind undaufgrund ihres Versuchsdesigns miteinander ver-gleichbar waren. Im Rahmen dieser Studien sindinsgesamt 464 Experimente mit Formulierungen vonmehr als 110 Wirkstoffen durchgefuhrt worden. DieseDatenbasis weist auch Uberschneidungen mit derje-nigen des CRD auf. Nur in 7 % der Versuche mitProdukten, die einen Wirkstoffgehalt [5 % aufwie-sen, wurden Uberschreitungen des 25 %-Wertesfestgestellt. In nur etwa 1 % der Experimente mithoheren Verdunnungen lag die dermale Absorptionoberhalb von 75 %. Immer dann jedoch, wenn fur diebetreffende Formulierung und Konzentrationsstufe

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zusatzlich ein ,,Triple pack‘‘ vorhanden war, lag des-sen Ergebnis unterhalb von 25 oder 75 % (Niemannund Golle 2012). Hinzu kommt, dass die dermaleAbsorption in vitro immer unter der konservativenAnnahme einer kompletten Absorption des Anteilsim Stratum corneum kalkuliert wurde, wenn der Anteilin den ersten beiden ,,Tape strips‘‘ separat analysiertund abgezogen wurden. Deshalb erscheinen die Stan-dardannahmen von 25 bzw. 75 % wissenschaftlichbegrundetundausreichend sicher. SiewerdendaheranStelle der bisherigen Annahme von 100 % (EU 2004) furdie Risikobewertung herangezogen.

Daruber hinaus kann laut dem neuen Bewertungs-leitfaden der EFSA weiterhin eine schon langereingefuhrte Standardannahmevonnur 10 % verwendetwerden, wenn das Molekulargewicht einesWirkstoffesgroßer als 500 Dalton ist und sein logPOW entwederunterhalb von –1 oder oberhalb von 4 liegt (EU 2004;EFSA 2012). Solche Substanzen sind unter den PSM- oderBiozidwirkstoffen selten zu finden. Selbst wenn beidephysikalisch-chemischenKriterien erfullt sind,wird dasBfR diese ,,Regel‘‘ nur dann anwenden, wenn sich ausder Betrachtung der Rezeptur des Mittels keine Hin-weise ergeben, dass enthaltene Beistoffe die dermaleAbsorption des Wirkstoffes erhohen konnten.

3.2 ,,Read-across‘‘ von einer ahnlichenFormulierung

Generell besteht als ,,one-to-one approach‘‘ die Mog-lichkeit, die dermale Absorptionsrate, die fur eineahnliche Formulierung experimentell ermittelt wor-den ist, auf das zu bewertende Praparat zu ubertragen.Die Frage, wie ,,Ahnlichkeit‘‘ zu definieren und imkonkreten Fall zu beurteilen ist, hat in der Vergangen-heit immer wieder zu Kontroversen gefuhrt. Im neueneuropaischen Bewertungsleitfaden (EFSA 2012) werdenfur den Nachweis der Ahnlichkeit verschiedene Krite-rien genannt, die alle erfullt sein mussen:

• Der Gehalt der getesteten Formulierung an Syner-gisten oder Safenern liegt im Bereich von ?/- 25 %imVergleichmit der zu bewertenden Formulierung.

• Synergisten und Safener in beiden Formulierun-gen sind chemisch, in Bezug auf ihre physiko-chemischen Eigenschaften (z. B Toluol vs. Xylol,Octanol vs. Nonanol) und in Bezug auf ihreInteraktion(en) mit dem Wirkstoff (z. B. Loslich-keit des Wirkstoffes) sehr ahnlich.

• Die zu bewertende Formulierung weist eine glei-che oder geringere Hautreizung im Vergleich zurgetesteten Formulierung auf (basierend auf den,,Scores‘‘ aus Studien zur Hautreizung). Hierbei

sind die initialen Effekte in den Studien zuberucksichtigen, da in den ersten 24 Stunden ofteine signifikante dermale Absorption stattfindet.Wenn keine entsprechenden Daten vorliegen,kann ein auf den einzelnen Formulierungsbe-standteilen basierender Vergleich durchgefuhrtwerden.

• Die zu bewertende Formulierung hat im Ver-gleich zur getesteten Formulierung das gleicheoder kein sensibilisierendes Potential (basierendauf der Einstufung nach Gefahrstoffrecht).

• Der Gehalt an Formulierungshilfsstoffen (z. B.Losungsmitteln, Stabilisatoren, Netzmittel, Deter-genzien Emulgatoren, Haftmittel, Frostschutz-mittel) liegt im Bereich von ?/- 25 % verglichenmit der zu bewertenden Formulierung.

• Die Formulierungshilfsstoffe sind chemisch ahnlich,d. h., dass z. B. lineare Alkylsulfonate nicht durcharomatische Sulfonatderivate ersetzt sein durfen.

Die genannten Kriterien konnen nicht erfullt wer-den, wenn es sich bei den zu vergleichendenFormulierungen um einen unterschiedlichen Formu-lierungstyp handelt. Daruber hinaus ist zuberucksichtigen, dass weitere Wirkstoffe in der For-mulierungdiedermaleAbsorptiondes zubewertendenWirkstoffes beeinflussen konnen.

In der vom Antragsteller vorzulegenden Begrun-dung fur ein ,,Read-across‘‘ ist die Einhaltung allerKriterien nachzuweisen. Geringfugig abgewichenwerden kann von den Kriterien, wenn nachvollzieh-bar dargelegt wird, dass die vorliegenden Ergebnissedie dermale Absorption der zu bewertenden Subs-tanz abdecken. Das ist beispielsweise der Fall, wennsich der Gehalt eines inerten Formulierungshilfsstof-fes mit einem geringen Anteil an der Gesamtformu-lierung um[25 % andert.

Aufgrund dieser hohen Anforderungen an denNachweis der Ahnlichkeit wird in vielen Fallen dieDurchfuhrung einer Studie mit dem Produkt unver-meidlich sein. Wenn allerdings die Ahnlichkeituberzeugend nachgewiesen werden kann, wird dieexperimentell ermittelte dermale Absorptionsratedes Wirkstoffes aus der vergleichbaren Formulierungdirekt auf das zu bewertende Produkt ubertragen,ggf. unter Anwendung der Rundungsregeln.

3.3 Abschatzung unter Einbeziehung von Datenchemisch ahnlicher Wirkstoffe

Der Ansatz ,,many-to-one approach‘‘ ist dem,,Read-across‘‘ von einer ahnlichen Formulierung desgleichen Wirkstoffes verwandt, nur dass hier die

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experimentellen Daten mit meist mehreren, chemischeng verwandten Substanzen erarbeitet worden sind.Das BfRwird bei einer solchen ,,Expertenschatzung‘‘ imEinzelfall auchDatenberucksichtigen, diemit anderen,an sich nicht hinreichend ahnlichen Formulierungendesselben Wirkstoffes erarbeitet worden sind. Voraus-setzung hierfur ist aber derselbe Formulierungstyp. Einauch nur annahernd praziser Wert fur die dermaleAbsorption kann bei dieser Vorgehensweise allerdingsnicht abgeleitet werden, sondern es resultierengrobe Schatzwerte von 10, 25 oder 50 % (OECD 2011).

3.4 Traditionelle und alternative Ansatze

In der Vergangenheit wurden dermale Absorptions-raten auch aufgrund der oralen Absorption bzw.eines Vergleiches von oralen und dermalen Toxizi-tatsstudien bestimmt. Ein wesentliches Problem liegtdarin, dass diese Daten in jedem Fall mit dem Wirk-stoff selbst erarbeitet werden und mogliche Einflussevon Beistoffen und Formulierungshilfsstoffen in denPSM oder BP auf die dermale Absorption keineBerucksichtigung finden konnen. In Anbetracht ihrerfraglichen wissenschaftlichen Basis, der zahlreichendamit verbundenen Einschrankungen und Unsicher-heiten und nicht zuletzt der Verfugbarkeit besserbegrundeter Standardannahmen wird das BfR dieseMethoden nicht mehr anwenden.

In Ubereinstimmung mit dem europaischen Be-wertungsleitfaden (EFSA 2012) sieht das BfR derzeitauch keine Moglichkeit der Einbeziehung von Vor-aussagen der dermalen Absorption auf derGrundlage von computergestutzten Struktur-Wir-kungs-Beziehungen (Quantitative structure-activityrelationships, QSARs). Aufgrund der unbefriedigen-den Verlasslichkeit bestehender Vorhersagemodelleund nur punktueller Einbeziehung von Absorptions-raten und Strukturen von PSM-Wirkstoffen in denjeweils zugrunde liegenden Datensatz, die ,,chemi-sche Domane‘‘ (Bouwman et al. 2008; Alikhan et al.2009; OECD 2011), sind hier grundlegende Fortent-wicklungen der Systeme notwendig. Außerdem bleibtder Einfluss der Formulierungshilfsstoffe bei diesemAnsatz unberucksichtigt. Es bleibt abzuwarten, ob dieEntwicklung der nachsten Jahre hier neue Moglich-keiten eroffnen wird. Forschungsaktivitaten aufdiesem Gebiet werden vom BfR ausdrucklich begrußt.

4 Ausblick

In dieser Publikation wurde die aktuelle Vorgehens-weise des BfR bei der Ableitung der dermalen

Absorptionsraten fur Wirkstoffe im Rahmen der Be-wertungsverfahren fur PSM und BP dargestellt, umunter Berucksichtigung der bisherigen Erfahrungendie in den Bewertungsleitfaden der EFSA und derOECD enthaltenen Ermessensspielraume durch wei-tergehende Empfehlungen konkreter zu fassen. DasBfR mochte damit einen weiteren Schritt fur dieverstarkte und erforderliche Harmonisierung derBewertungen in den europaischen Zulassungsver-fahren fur PSM und BP initiieren.

Kommentare und Hinweise im Hinblick aufabweichende Auslegungen der zwei diskutiertenBewertungsleitfaden von EFSA und OECD oder Emp-fehlungen fur notwendige Anpassungen derVorgehensweise mit dem Ziel der weiteren Harmo-nisierung sind den Autoren sehr willkommen. Siesind bitte mit Betreff ,,dermale Absorption‘‘ an:[email protected] zu richten und werden in dieweitere Diskussion, auch auf europaischer Ebene,einfließen. Im Bereich der PSM wird ein Workshopfur eine Abstimmung des Vorgehens in der ,,mittle-ren Zone‘‘ angestrebt.

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