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Die Wassermenschen von Ketokh

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Atlan - Der Held vonArkon

Nr. 234

Die Wassermenschen vonKetokh

Zwei Arkoniden in der Gewalt derJulkas - und auf dem Weg ins

Ungewisse

von Clark Darlton

Das Große Imperium der Arkoniden kämpft um seine nackte Existenz, denn esmuß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feindesind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums durch überra-schende Schläge schwere Verluste zufügen. Die inneren Feinde Arkons sind dieHerrschenden selbst, deren Habgier und Korruption praktisch keine Grenzen kennen.

Gegen diese inneren Feinde des Imperiums ist der junge Atlan, der rechtmäßigeThronerbe und Kristallprinz von Arkon, der eine stetig wachsende Schar von ver-schworenen Helfern um sich sammeln konnte, bereits mehrmals erfolgreich vorge-gangen. Selbst empfindliche Rückschläge entmutigen ihn nicht und hindern ihn undseine Helfer nicht daran, den Kampf gegen Orbanaschol III. den Diktator und Usur-pator, mit aller Energie fortzusetzen. In diesem Kampf hatte Atlan mit dem wiederbe-lebten Körper Gonozals, seines Vaters, kurzfristig eine neue wirksame Waffe gegenOrbanaschol. Doch dann, nach dem Abflug von Perpandron, der Welt der Goltein-Hei-ler, kommt es auf Atlans Raumschiff zu folgenschweren Ereignissen, von denen alleBesatzungsmitglieder der ISCHTAR betroffen werden.

Akon-Akon, der mysteriöse junge Mann, der auf Perpandron an Bord genommenwurde, entpuppte sich bei seinem Erwachen als Psycho-Tyrann. Mit seinen unheimli-chen Fähigkeiten beherrscht er die Männer und Frauen der ISCHTAR und erstickt je-den Widerstand im Keim.

Dennoch überrascht ihn der Angriff der WASSERMENSCHEN VON KETOKH …

Die Hautpersonen des Romans:Gerlo Malthor und Jörn Asmorth - Zwei Männer der ISCHTAR auf dem Weg ins Ungewisse.Akon-Akon - Beherrscher der ISCHTAR.Fartuloon - Atlans Lehrmeister verübt Sabotage.Tossel, Fitschel und Sojul - Drei Eingeborene von Ketokh.Jolter und Messa - Zwei Piraten von Ketokh.

1.

Das Tosen des Wasserfalls wurde lauter.Der Strom war breiter als weiter oben im

Tal, in dem Akon-Akon damit beschäftigtwar, die Siedlung zu errichten. Die beidenim Wasser treibenden Männer hatten keineAhnung davon, daß diese Siedlung inzwi-schen von den ihnen noch unbekannten Ein-geborenen des Planeten Ketokh überfallenworden war. Nur mit Mühe und Not war esden Arkoniden gelungen, die Angreifer zu-rückzuschlagen, aber dann wurden Atlanund die Arkonidin Algonia Helgh vermißt.Die Eingeborenen hatten sie bei ihrer Fluchtmitgenommen.

Das alles wußten Gerlo Malthor und JörnAsmorth natürlich nicht, denn sie triebenschon seit einem Tag stromabwärts. Demunheimlichen hypnotischen Einfluß des jun-gen Akon-Akon waren sie zwar damit ent-ronnen, ihrem Ziel aber noch keinen Schrittnähergekommen.

Als sie die Wirkung von Atlans Paralysa-torschuß überwunden hatten, sahen sie umsich herum nur das Wasser und die beidenvorbeigleitenden Ufer. Von irgendwelchenAnsiedlungen konnten sie nichts bemerken.Das Landschaftsbild wechselte in kurzenZeitabständen. Zuerst, als sie noch durch dasTal glitten, wuchsen rechts und links nurniedrige Büsche und Sträucher, dahinter la-gen weite Ebenen mit fernen Gebirgszügen.Dann, als der Fluß breiter wurde, tauchtenWälder auf.

Inseln und Sandbänke verursachten Ne-benarme, die in eine Dschungellandschaftführten. Hier würde es nur wenig Sinn ha-ben, auf die nachkommenden Freunde zuwarten, außerdem waren sich die beiden Ar-

koniden noch immer nicht sicher, ob sie weitgenug von Akon-Akon entfernt waren, umseinem Einfluß für immer entgangen zusein.

Sie hatten Glück und erreichten trotz allerNebenarme immer wieder den eigentlichenStrom, der sie dem Meer entgegentrug.

Mit Seilen befestigt, hingen die beidenMänner im Innern eines Metallrings, derdurch provisorisch angebrachte Luftkam-mern schwimmfähig gemacht worden war.Sie hatten kaum Platz, um sich frei bewegenzu können.

Niemand von ihnen kannte den PlanetenKetokh richtig, den sich Akon-Akon alskünftige Heimat ausgesucht hatte. Sie wuß-ten nur, daß die blaue Riesensonne von acht-undzwanzig Welten umkreist wurde, von de-nen nur die siebte und achte eine Sauerstof-fatmosphäre besaßen.

Ketokh war der siebte Planet, von derSonne aus gesehen.

Die Rotation betrug zweiunddreißig Stun-den, die Schwerkraft war normal. Es gabJahreszeiten wie auf allen Planeten, derenPolachse schräg zur Ekliptik stand. Das Kli-ma war mild und angenehm.

»Ich fühle mich immer noch benommen«,beklagte sich Gerlo Malthor und versuchtedem Ringfloß eine andere Richtung zu ge-ben, indem er mit den Beinen strampelte,was aber überhaupt nichts nützte. »Warummußte Atlan überhaupt auf uns schießen?«

»Dadurch konnte Akon-Akon uns nichtseinen Willen aufzwingen«, erklärte JörnAsmorth. »So dumm ist Atlans und Fartulo-ons Plan gar nicht. Nun können wir von au-ßen operieren. Ich hoffe nur, daß bald ande-re nachfolgen, damit wir nicht allein sind.«

Gerlo lauschte.»Es kommt immer näher, findest du nicht

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auch?«»Wenn es ein großer Wasserfall ist, kann

man ihn sehr weit hören. Deshalb mache ichmir noch keine Sorgen. Vorher hat uns dieStrömung bestimmt ans Ufer getrieben.«

»Da würde ich nicht so sicher sein. Siehat es bisher auch nicht getan.«

»Dafür gibt es eine ganz einfache Erklä-rung, Dicker. Zuerst waren wir gelähmt undnahmen keinen Einfluß auf unseren Kurs,außerdem war die Strömung ziemlich stark.Ist sie nicht schwächer geworden?«

»Pure Einbildung. Wenn vor uns ein Fallist, muß sie ja stärker werden. Es dürfte alsohöchste Zeit werden, daß wir an Land kom-men.«

Jörn Asmorth blickte flußabwärts.»Da sind Berge, und enger wird das Tal

auch. Somit kein Wunder, wenn die Strö-mung stärker wird. Es würde auch den Was-serfall erklären. Ich muß zugeben, daß ichein wenig beunruhigt bin. Komm, wir versu-chen es noch einmal …«

»Aha, jetzt wirst du auch nervös«, meinteGerlo Malthor und begann erneut mit denBeinen Wasser zu treten, was vorerst ohnemerklichen Erfolg blieb.

In der Tat rückten die Ufer allmählich nä-her zusammen. Die Böschung wurde steilerund die Vegetation immer spärlicher. Dasdeutete auf felsigen Boden hin. Es war einGlück für die beiden Männer, daß das Was-ser nicht zu kalt war, sonst wären sie schonhalb erfroren.

»Fartuloon hätte den Schwimmring auchein bißchen weiter konstruieren können«,meinte Gerlo Malthor voller Bedauern.

»Der Ring ist groß genug, mein Freund,nur du bist zu fett.«

»Dafür werde ich dann besser schwim-men, wenn wir in die Strudel geraten«, gabGerlo zurück.

Vergeblich versuchten sie, sich aus derBefestigung zu befreien, die Atlan und Far-tuloon angebracht hatten, weil sie ja die bei-den Arkoniden paralysiert auf die ungewisseReise hatten schicken müssen. Das erwiessich nun als ein verhängnisvoller Fehler,

denn Gerlo und Jörn waren noch viel zu ge-schwächt, um die Stricke lösen zu können.

»Käme ich wenigstens an den Schalterdes Flugaggregats!« Gerlo Malthor versuch-te, mit der Hand zur Gürtelschnalle zu ge-langen, wo der Schalter saß, aber es gelangihm nicht. »Vielleicht fliegt das Ding …«

Beide trugen die Standardausrüstung derarkonidischen Raumflotte, dazu gehörteauch das Flugaggregat und noch manchesmehr. Im Augenblick nützte ihnen das je-doch nicht viel.

Im Flußbett tauchten die ersten Felsklip-pen auf.

»Auch das noch!« rief Jörn Asmorth er-schrocken. »Wenn wir dagegen prallen, sindwir verloren.«

Es blieb ihnen nichts anderes übrig, alssich mit der stärker werdenden Strömungtreiben zu lassen und dabei zu hoffen, daß esnoch einmal gutgehen würde. Asmorth be-obachtete die kreisenden Wirbel und meinte:

»Wir treiben vorbei. Die Strömung gehtein wenig nach rechts und nimmt uns mit.Aber das wird nicht die letzte Klippe gewe-sen sein.«

»Vielleicht sind es überhaupt nur Klippen,die den Krach weiter vorn machen. KeinWasserfall.«

»Hoffentlich hast du recht.«Über ihnen spannte sich ein blauer, wol-

kenloser Himmel. Der blaue Riese standnoch hoch über dem Horizont. Erst in zehnStunden würde die Dämmerung einsetzen.

»Wie weit mögen wir schon getriebensein?« fragte Malthor. »Sicher hundert Kilo-meter, schätze ich.«

»Dann müßten wir aber bald die Küste er-reicht haben.«

»Achtung, da ist wieder eine Klippe. Wirmüssen die Beine vorstrecken, um eineneventuellen Aufprall abzufedern.«

»Du hast gut reden«, knurrte Malthor undversuchte vergeblich, die Beine vorzu-strecken. »Ich sitze zu fest in den Stricken.«

»Sonst wärest du auch schon längst er-trunken.«

Es war eine ziemlich große Klippe, die

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sich ihnen in den Weg stellte. Rechts undlinks von ihr rauschte das Wasser in gefähr-lichen Wirbeln vorbei, um sich hinter demFelsen in ein scheinbar vorhandenes Loch zustürzen.

Der Schwimmring begann sich wie wildzu drehen, aber die Strömung zog ihn nochweiter nach rechts, so daß die Klippe keineunmittelbare Gefahr mehr darstellte, aller-dings wurden die Springwellen höher. DerGischt spritzte den beiden Männern ins Ge-sicht und nahm ihnen fast jede Sicht.

Einmal spürte Asmorth felsigen Grundunter den Füßen. Unwillkürlich versuchte er,einen Halt zu finden, aber die Strömung rißihn weiter. Er konnte unter diesen Umstän-den froh sein, daß der Fluß tief genug war,um weitere Bodenberührungen unmöglichzu machen.

Als die Klippe hinter ihnen lag, hingen sieerschöpft in den Halterungen. Das Rauschender nächsten war bereits zu hören.

»Verdammt aufregende Sache«, ließMalthor sich vernehmen. Er schnaufte wieein Saurier. »So etwas habe ich in meinemganzen Leben noch nicht mitgemacht. Wirdauch das letzte Mal sein.«

»Hoffentlich nicht, denn das würde be-deuten, daß wir ertrinken.«

Ein tief im Wasser liegender Baumstamm,von dem nur ein paar Äste zu sehen waren,trieb hinter ihnen her und begann sie lang-sam einzuholen, weil er von der stärkerenUnterströmung mitgenommen wurde.

»Gleich gibt es eine Kollision, wenn wirnicht aufpassen.« Malthor begann wieder zustrampeln. »Der drückt uns glatt unter Was-ser.«

Auch Asmorth begann nun zu arbeiten,denn das Ungetüm kam immer näher. Durchdie verschlungenen Äste sah der Stamm wieein urweltliches Ungeheuer aus, das sich aufBeutesuche befand.

»Da vorn die Klippe!« schrie Malthor, umdas Brausen des Wassers zu übertönen.»Wir müssen links vorbei, denn der Stammtreibt rechts hinüber.«

»Dann wirf den Motor an!« brüllte As-

morth wütend zurück und wußte nicht, wor-auf er mehr achten sollte – auf die Klippeoder auf den Baumstamm.

Die Ufer waren inzwischen noch steilergeworden. An einigen Stellen fiel der senk-rechte Fels direkt ins Wasser, das mächtigeHöhlen ausgespült hatte. Wenn sie wenig-stens eine von ihnen erreichen könnten, wä-ren sie in relativer Sicherheit.

Aber die Höhlen blieben zurück, und dervorher so ruhig dahinziehende Strom wurdezu einem reißenden Gebirgsfluß. Noch engertraten die felsigen Ufer zusammen. Die Son-ne war hinter den Bergen verschwunden. Esbegann, kühler zu werden.

Sie schafften es, links an der Klippe vor-beizuschießen, während der Baumstammrechts in die Strudel geriet und sich eben-falls zu drehen begann. Dadurch verlor erein wenig an Geschwindigkeit und triebdann auf gleicher Höhe mit den beiden Ar-koniden dahin.

Eine ganze Kette von Klippen bildete eineweiß schäumende Barriere, die von einemUfer zum anderen reichte. Zwar schien dasnicht ganz so schlimm wie ein Wasserfall zusein, aber als angenehme Überraschung wardiese Sperre auch nicht gerade zu bezeich-nen.

»Wie sollen wir da nur heil durchkom-men?« fragte Asmorth mit banger Stimme.»An sich müßte uns die Strömung hindurch-tragen, denn das Wasser teilt sich vor denKlippen, um durch die Lücken zu stürzen.Hoffentlich nicht zu tief.«

»Ich kann den Strom dahinter sehen«, be-ruhigte ihn Malthor. »Es ist kein richtigerWasserfall.«

Der Baumstamm war wieder schneller ge-worden, trieb aber quer zur Strömung undprallte auch prompt in dieser Stellung gegendie Felsen, um so einige der vorhandenenLücken zu sperren. Malthor erkannte dieGefahr sofort und warnte seinen Gefährten.

Wenn es sich um ein bis zum Grund hinabreichendes Hindernis gehandelt hätte, wärevielleicht alles gut gegangen, aber so spru-delte das Wasser unter dem Baumstamm

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hindurch, ohne die Strömung direkt zu be-hindern. Es entstand keine bemerkenswerteStauung.

Als die beiden Arkoniden das Vergebli-che ihrer Steuerbemühungen einsahen, wares fast zu spät. Im letzten Augenblick nochgelang es ihnen, die Beine waagerecht vor-zustrecken und den Aufprall zu mildern.

Unendlich lange Sekunden drückte derStrom sie gegen den Baumstamm, währendunter ihnen das Wasser vorbeirauschte undeinen unwiderstehlichen Sog bildete, der denSchwimmring nach unten zog. Von Malthorund Asmorth waren nur noch die Köpfe zusehen.

»Wir müssen unten durch – Luft anhal-ten!« brüllte Malthor.

Asmorth nickte nur, zu mehr war er nichtfähig. Er spürte, wie seine ausgestrecktenBeine einzuknicken begannen und sein Kopfunter die Wasseroberfläche geriet. Dannschloß er die Augen und überließ alles, wasnoch kam, einem gütigen Schicksal.

Die Strömung riß sie mitsamt demSchwimmring in die Tiefe. Die Lücke zwi-schen den beiden Klippen seitlich und demBaumstamm darüber nahm sie auf. Der Sogwar so stark, daß er sie wie einen Korkenpackte und mitnahm.

Malthor spürte einen starken Schlag ge-gen das rechte Bein und zog es noch mehran. Er mußte gegen einen Felsen gestoßensein, aber er konnte nichts sehen. Die ange-haltene Luft drohte seine Lungen zu spren-gen. Er atmete ein wenig aus und fühlte Er-leichterung.

Vorsichtig öffnete er die Augen und sahes milchig dämmern. Auch ließ der Druck inden Ohren nach. Sie mußten ziemlich tiefhinabgetaucht sein, näherten sich aber nunwieder schnell der Oberfläche.

Asmorth hing wie leblos in der Halterung,als sie wieder atmen konnten. Hinter ihnenlag die schäumende Barriere. Der Baum-stamm hatte sich halb aufgerichtet, als sei erwirklich ein Ungeheuer, das seine Beutenicht entkommen lassen wollte. Früher oderspäter würde er durch die Klippen kommen

und ihnen erneut folgen.»Wie geht es dir, Jörn?«Asmorth spuckte und schnappte nach

Luft.»Ich glaube, ich lebe noch halbwegs.

Mann, das war verflucht knapp!«Malthor nickte und schüttelte das Wasser

aus den Haaren.»Es wird bald noch knapper kommen.

Hörst du es?«Der wildschäumende Fluß machte weiter

vorn eine Biegung. Was dahinter lag, warnicht zu sehen, wohl aber deutlich zu hören.Das Rauschen war zu einem wahren Orkangeworden. Das konnten keine Klippen mehrsein, das war ein gigantischer Wasserfall.

Den würden sie nicht mehr überleben.Asmorth begann nun ernsthaft damit, den

Versucht zu unternehmen, seine festgebun-denen Arme aus der Halterung zu befreien.Sie hätten das schon viel früher tun sollen,aber die Müdigkeit und Lethargie warengrößer als der Wille gewesen. Nun schien esfast zu spät geworden zu sein.

»Rechts wird es schon lockerer«, sagte er,als er Malthors zweifelnde Blicke bemerkte.»Noch fünf oder zehn Minuten, dann errei-che ich die Kontrollschnalle im Gürtel.«

»Ich keinesfalls«, gab sein Gefährte inohnmächtiger Wut zurück. »Du hattestrecht: ich bin zu dick.«

Asmorth sprach nun nicht mehr und über-ließ Malthor die »Navigation«. Es spielteauch keine Rolle, ob er das nun tat odernicht, der Schwimmring ließ sich kaum be-einflussen in seiner Richtung.

Aber der rechte Arm ließ sich schon bes-ser bewegen.

Die Strömung nahm sie mit zum rechtenUfer, wo die Höhlen waren, aber sie kamennicht nahe genug heran. Sie erreichten dieLinkskurve des Flusses. Der Blick wurdewieder frei.

Ganz weit vorn, mehr als zwei oder dreiKilometer entfernt, verengte sich das Tal. Esschien, als sei es früher einmal durch einenFelsriegel versperrt gewesen, durch den sichdas Wasser einen Weg gesucht hatte.

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Keine einzige Schaumkrone verriet denFall, der hinterher knapp hundert Meter brei-ten Lücke drohte.

Im Gegenteil: das Wasser schien sichplötzlich beruhigt zu haben. Nur kleine Wel-len zeigten sich auf seiner Oberfläche, undunmittelbar vor dem Absturz war es glattwie ein Spiegel.

Sie trieben nun wieder vom Ufer fort.»Wir haben noch zehn Minuten, mehr

nicht«, murmelte Malthor.»Das weiß ich«, gab Asmorth verzweifelt

zurück. »Ich komme einfach nicht los!«»Mußt du aber!«Asmorth gab keine Antwort, sondern er

verdoppelte seine Anstrengungen. Wenn erwenigstens an den Griff des Impulsstrahlersgelangte, dann würde er die Halterung ein-fach verbrennen, aber nicht einmal das warmöglich. Atlan und Fartuloon hatte es zu gutmit ihnen gemeint, als sie sie dem Wasserübergaben.

Sie trieben nun langsamer dahin, dafürwurde das Brausen des gewaltigen Wasser-falls mit jeder Sekunde lauter. Rechts undlinks der Sperrklippen staute sich das Was-ser zu einer richtigen Mauer, um dann zurStrommitte hin abzufließen. Selbst wenn derSchwimmring dort »landete«, würden dieMänner keinen Halt finden, dazu waren diesteilen Klippen viel zu glatt.

»Ich habe es gleich!« brüllte Asmorth, da-mit Malthor ihn verstehen konnte. »Die Fra-ge ist nur, ob das Aggregat uns beide undden schweren Ring trägt …«

»Schweben genügt!« rief Malthor zurückund gab es dann auf, um Kraft zu sparen.

Die Drehung des Ringes hatte längst auf-gehört. Fast ruhig trieb er mit der Strömungdahin, dem unvermeidlichen Ende entgegen.Hinter dem Fall lag tief unten die Ebene, diebis zum Meer reichte. Einen Teil der Ebenekonnte Malthor sehen und so die Höhe desWasserfalls abschätzen.

Etwa zweihundert Meter … vielleicht et-was mehr.

Schon zehn Meter hätten genügt.Vor dem Fall hing eine weiße Wolke, die

Gischt nach allen Seiten sprühte, aber immerwieder mit Nachschub versorgt wurde. Siehing wahrscheinlich schon seit Jahrtausen-den über dem Absturz und war Zeuge vielerTragödien geworden.

Nun stand eine neue bevor.»Wie weit bist du?« rief Malthor, aber er

bekam keine Antwort. Er sah nur, daß As-morths rechte Hand langsam freikam.

Atemlos sah er zu, wie sich diese Handmit unwahrscheinlicher Langsamkeit be-wegte, auf die Gürtelschnalle mit den Kon-trollen zu.

Und dann hatte sie Kontakt.Malthor spürte es, weil er sich plötzlich

ein wenig aus dem Wasser gehoben wähnte,was ihm wiederum einen besseren Blick aufden bedrohlich nahe gekommenen Wasser-fall ermöglichte. Seine Schätzung war rich-tig gewesen. Der Sturz in die Tiefe bedeute-te den Tod.

Unendlich langsam erhob sich der Ringmit den Arkoniden aus dem Fluß, bis nurnoch ihre Füße durch das Wasser schleiften.Unwillkürlich zogen sie diese an – und derRing schwebte weiter, ohne abzusinken.

Aber Asmorth stellte erschrocken fest,daß er sich nicht steuern ließ. Immer wiederversuchte er, dem seltsamen Luftsegler eineandere Richtung zu geben, aber sie triebengenau auf den Absturz zu, wenn sie auchnicht an Höhe verloren. Zwischen den bei-den mächtigen Klippen hindurch schwebtensie genau auf die Gischtwolke zu.

Unter ihnen war der Abgrund, in den dieWassermassen tosend und donnernd stürz-ten. Tief unten war ein riesiger weißerFleck, und darunter wahrscheinlich ein ge-waltiges Loch, das die Wucht des Aufprallsaus dem Felsen gespült hatte. Wer dort hin-ein geriet, war rettungslos verloren.

Der Schwimmring verlor nur langsam anHöhe und glitt durch die weiße Gischtwolkehindurch, die den Männern für Minuten jedeSicht nahm. Als sie wieder herausgelangten,hatte das Donnern des Falles bereits ein we-nig nachgelassen. Kraftlos hingen sie in ih-rem Ring, die Beine lang ausgestreckt – und

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vorerst einmal glücklich, dem Tod entron-nen zu sein.

Unter ihnen schlängelte sich der Fluß da-hin und wurde wieder breiter, so wie auchdas Tal breiter wurde und sich zu der Ebeneausweitete. Fern am Horizont war ein dunk-ler, gleichmäßiger Streifen.

Das Meer.Mit der Ebene begann auch wieder der

Urwald.Als sie weit genug von den tosenden

Wassern entfernt waren und sie wieder hö-ren konnten, was der andere sagte, stöhnteMalthor:

»Junge, das hast du aber so gerade ge-schafft! Aber der Antrieb ist zu schwach –und wohin steuerst du überhaupt?«

»Du müßtest ein paar Kilo weniger haben,dann könnten wir sogar noch an Höhe ge-winnen. Aber steuern läßt sich das Dingwirklich nicht. Ich fürchte, da haben wireinen Defekt. Aber es ist mir auch egal. DieHauptsache ist doch wohl, wir leben.«

»Stimmt! Da gebe ich dir recht. Wo wer-den wir nun landen?«

»Irgendwo unten in der Ebene, wieder imFluß oder vielleicht im Wald. Wir sinkennun schneller.«

»Nicht wieder ins Wasser!« jammerteMalthor entsetzt. »Ich habe nun genug da-von.«

Mit der rechten freien Hand begann As-morth, nun auch die linke aus den Fesseln zubefreien. Er saß danach praktisch nur nochauf einem Seil im Ring. Es dauerte nichtlange, bis auch Malthor sich wieder unge-hindert bewegen konnte.

Das schaukelnde und ziellos dahintreiben-de Gefährt sank weiter in die Tiefe, und alses etwa hundert Meter über dem Flußschwebte und sich dem rechten Ufer näher-te, das nicht mehr felsig war, sondern mithohem Gras und dahinter dichtem Wald be-deckt wurde, geschah etwas überraschendes.

Am linken Ufer, weit vom Wasserfall ent-fernt, blitzte es plötzlich auf.

Das erste Geschoß pfiff dicht an MalthorsOhr vorbei.

*

Die Julkas wußten schon lange, daßFremde auf ihrer Welt gelandet waren.

An sich brauchte sie das kaum zu beunru-higen, denn als Wasserbewohner, die länge-re Zeit auf dem Land zubringen konnten, in-teressierte sie das Innere der Kontinentekaum.

Sie hausten in ihren schwimmenden Städ-ten im Meer und unternahmen nur bei be-sonderen Anlässen Ausflüge auf das Fest-land.

Die Fremden waren auch ein solcher An-laß.

Eine große Expedition brach auf. DerHaupteil benutzte den Fluß, der in das Talder Fremden führte, als Anmarschstrecke.Der riesige Wasserfall, der die Tiefebenevon dem Hochplateau trennte, zwang dieJulkas dann, an Land zu gehen.

Und damit trennten sich auch die einzel-nen Gruppen, die selbständig zu handeln ge-dachten.

Eine dieser Gruppen blieb beim Wasser-fall. Sie hatte den Auftrag, Bäume zu fällenund zu Flößen zusammenzubinden, die mandann stromabwärts treiben ließ, bis sie denHafen erreichten, wo sie abgefangen wur-den. Holz war ein wichtiges Handelsgut fürdie Eingeborenen von Ketokh.

Die ersten Flöße trieben bereits flußab-wärts, als über dem Wasserfall ein seltsamerfliegender Gegenstand auftauchte. In einemRing hingen zwei Gestalten, die der Entfer-nung wegen noch nicht genau zu erkennenwaren.

Aber es konnten keine Julkas sein, dasstand fest.

Also die Fremden …?Der Anführer der Arbeitsgruppe rief seine

Leute zusammen und befahl Feuerbereit-schaft. Sie entsicherten ihre Gewehre undüberprüften die Magazine mit den Explosiv-geschossen.

Dann warteten sie.

8 Clark Darlton

*

»Was soll denn das?« rief Malthor er-schrocken und duckte sich unwillkürlich,obwohl das nur wenig Sinn hatte. »Wir ha-ben doch angenommen, daß die Eingebore-nen im Meer wohnen, wenn es überhauptwelche gibt!«

»Es gibt sie! Und sie scheinen nicht sehrfreundlich zu sein. Da wir nicht steuern kön-nen und ständig tiefer sinken, können wirnur noch hoffen, daß uns der Wind weiter-trägt und wir am anderen Ufer landen.«

»Wenn die im Meer wohnen, können siebesser schwimmen als wir.«

»Na, wenn schon? Wenn sie kommen,werden wir sie mit den Blastern empfangen.Schließlich haben ja nicht wir angefangen.«

Immer öfter blitzte es unten beim Flußauf. Das erste Geschoß drang in einen derSchwimmbehälter des Ringes ein und deto-nierte. Zischend strömte die Luft aus.

»Die verdammten Kerle haben Sprengge-schosse – Gemeinheit!« schimpfte Asmorth.»Denen werden wir es zeigen! Kannst dudich genügend bewegen?«

»Geht schon«, knurrte Malthor.Aber es gelang ihm nur mit Mühe, den

Impulsstrahler in die Höhe zu bringen undunsicher Ziel zu nehmen. Das Energiebündelraste weit von den dunklen und sich kaumbewegenden Pünktchen vorbei und setzteeinen Baumwipfel in Brand.

»Immerhin«, meinte Asmorth, »wird siedas vorsichtiger machen.«

Sie schwebten nur noch zwanzig Meterüber dem Wasser und näherten sich schnelldem rechten Flußufer. Der Strand war breit,dahinter erst begann der Wald. Er würdeDeckung bieten.

Am anderen Ufer, etwa vierhundert Meterentfernt, wollte die Schießerei nicht aufhö-ren. Weitere Schwimmbehälter wurden ge-troffen, dann explodierte eines der Geschos-se beim Aufprall auf das Flugaggregat. DerMotor setzte sofort aus, der Ring stürzte wieein Stein in den Fluß und ging sofort unter.

Zum Glück spürten die beiden Arkonidenbereits nach zwei oder drei Sekunden Grundunter den Füßen und konnten sich aus demRing befreien. Langsam tauchten sie auf,wobei die relativ schwere Ausrüstung sichals besonders hinderlich erwies. Aber dasUfer war nur noch wenige Meter entfernt.Sie erreichten es schwimmend.

Viel Zeit zum Überlegen blieb ihnen je-doch nicht, denn nun prallten die Geschossevon der anderen Flußseite immer näher anLand auf und explodierten, wobei sie kleineFontänen in die Höhe spritzten.

»Los, zum Waldrand!« rief Malthor, derendgültig die Geduld verlor. »Und dann ge-ben wir es ihnen!«

Sie rannten, von den Fontänen verfolgt,bis sie die ersten Bäume erreichten, hinterderen dicken Stämmen sie Deckung fanden.

»Miserable Schützen!« stellte Asmorthfest. »Bin froh darüber. Es beweist aber, daßsie nur selten Gelegenheit zur Übung ha-ben.«

»Um so besser für uns, Jörn, aber in die-sem Fall macht es die Masse. Wir sind nurzwei, die aber mindestens fünfzig.«

Asmorth nickte grimmig und entsicherteseinen Strahler.

»Sparsam mit der Energie umgehen«,warnte er noch, ehe er sorgfältig zielte undfeuerte.

Drüben am anderen Ufer gab es ebenfallseine Fontäne, aber sie bestand aus zersprit-zender Energie, die mehrere der dunklenGestalten zurücktaumeln ließ. Eine blieb so-gar bewegungslos liegen.

Doch wenn die Arkoniden glaubten, da-mit den Gegner abschrecken zu können, sa-hen sie sich enttäuscht. Die Eingeborenen,deren Körperform nicht zu erkennen war,rannten zwar wie aufgescheuchte Insektendurcheinander, aber dann stürzten sie sichplötzlich ins Wasser und wollten offensicht-lich den Fluß überqueren.

»Die müssen verrückt sein, Gerlo! Odersie wissen nichts von Energiewaffen. Wirkönnten sie einzeln erledigen, ihre Köpfesind deutlich sichtbar. Aber ich nehme an,

Die Wassermenschen von Ketokh 9

damit wollen sie uns ablenken, denn mehrals die Hälfte von ihnen ist unter der Ober-fläche verschwunden. Sie tauchen. Also auf-passen!«

»Das tu ich schon«, erwiderte Malthorknapp.

Asmorth Vermutung stimmte. Etwa zehnMeter vom Ufer entfernt tauchten diedunklen Köpfe wieder auf. Die Eingebore-nen hatten die Strecke unter Wasser fastdoppelt so schnell zurückgelegt wie ihre ander Oberfläche schwimmenden Artgenossen,ein sicherer Beweis dafür, daß sie mehr imWasser lebten als auf dem Land.

Kaltblütig eröffnete Malthor das Feueraus seiner Energiewaffe.

Um die Köpfe herum begann das Wasserzu kochen. Trotzdem faßten die seltsam an-zusehenden Eingeborenen Grund und reck-ten ihre Gewehre in die Höhe – das Zeichenzum Angriff. Einige schossen, was die Waf-fen hergaben, aber zum Glück weit daneben.

Erst als ein Zufallstreffer hinter Asmorthin den nächsten Baum fuhr und diesen halbauseinandersprengte, nahm der Arkonidekeine Rücksicht mehr. Mit einem einzigenFeuerstoß tötete er ein halbes Dutzend derAngreifer.

Das genügte.Sie verschwanden unter der Oberfläche

wie die Fische, und diejenigen, die nochweiter draußen im Fluß schwammen, mach-ten eiligst kehrt und strebten dem Ufer ent-gegen, von dem sie gekommen waren.

Die beiden Arkoniden stellten sofort dasFeuer ein.

»Ich glaube, die haben vorerst genug«,vermutete Malthor und fügte hinzu: »Duhättest nicht gleich so richtig hineinhaltenmüssen. Einige von ihnen hat es erwischt.«

»Ihre eigene Schuld.« Er sah sich um.»Den Ring sind wir los, mein Flugaggregatist hinüber, aber deines dürfte noch in Ord-nung sein. Ohne den Ring wird es uns beidetragen, wenn es sein muß. Ich schlage vor,daß wir weiter vordringen und versuchen,das Meer zu erreichen. Vom Raum aus ha-ben wir Stützpunkte am Ufer feststellen kön-

nen, wahrscheinlich Häfen. Dort werden wirmehr erfahren, und manchmal möchte ichglauben, daß uns die Eingeborenen gegenAkon-Akon helfen können. Allein werdenwir nie mit diesem Monstrum fertig.«

»Einverstanden, Jörn, aber ich schlageeinen Kompromiß vor: Wir sind ewig langeunterwegs. Außerdem geht die Sonne baldunter, und es wird dunkel. Wir suchen unseinen sicheren Platz und versuchen zu schla-fen. Dann sind wir morgen frisch und mun-ter. Was meinst du?«

»Wir müßten schon auf die Bäume klet-tern, um sicher zu sein. Die Eingeborenenwerden nicht so schnell aufgeben. Wenn sieden ersten Schreck überstanden haben, kom-men sie wieder.«

»Da magst du recht haben, und ein Baum-wipfel ist durchaus nicht das schlechtesteVersteck. Komm schon!«

Sie drangen ein gutes Stück in den Waldein, zwängten sich durch das dichte Unter-holz, bis sie vor einem riesigen Baum stan-den, dessen Stamm an Durchmesser und Hö-he alle anderen übertraf.

Malthor aktivierte sein Flugaggregat undschaltete es vorsichtig auf Mindestleistung.Sofort spürte er ein vermindertes Körperge-wicht, ein sicheres Zeichen dafür, daß derApparat funktionierte.

»Halte dich an mir fest, Jörn. Die paarMeter geht es ohne weitere Sicherung. Wirfliegen zum Wipfel hoch.«

»Das erspart uns die Kletterei und außer-dem wissen wir dann, woran wir sind.«

Langsam schwebten die beiden Arkoni-den empor. Seitlich von ihnen glitten Rindeund Äste nach unten, bis sie das dichteLaubdach des Urwaldriesen erreichten. Ge-schickt steuerte Malthor eine ausladendeAstgabel an und landete sanft auf ihr. Erschaltete das Gerät aus.

»Na also, das hätten wir! Hier ist sovielPlatz, daß wir uns nicht einmal festbindenmüssen. Eine Nacht Schlaf wird uns beidenguttun.«

»Mich ärgert nur die nasse Kleidung.Hoffentlich wird es in der Nacht nicht zu

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kalt.«Daran war leider nichts zu ändern, und ein

Feuer konnten sie schon der Eingeborenenwegen nicht machen. Bald wurde es dunkel,und der Schein hätte ihr Versteck sofort ver-raten.

Längst war die blaue Sonne untergegan-gen und die Dämmerung angebrochen.Durch das Blätterwerk der Bäume hindurchkonnten die Arkoniden das silberne Banddes Flusses schimmern sehen. Am anderenUfer brannten einige Feuer. Manchmal wa-ren die dunklen Schatten der Eingeborenenzu erkennen. Sicher beratschlagten sie, wassie als nächstes unternehmen sollten.

Malthor machte es sich in der Gabelungbequem und kramte ein Konzentratpäckchenaus der Vorratstasche. Er verspürte Hunger,aber keinen Durst. Er hatte in letzter Zeitmehr als genug Wasser geschluckt. Asmorthsah ihm eine Weile zu, dann folgte er sei-nem Beispiel. Schweigsam aßen sie.

Nach den unzähligen Aufregungen undGefahren befanden sie sich nun in relativerSicherheit. Die Reaktion stellte sich sofortein. Sie sprachen auch später kaum noch einWort, sondern schliefen sofort ein, als esendgültig dunkel geworden war.

Über ihnen war ein Himmel voll fremderSterne, und am Horizont ging ein rötlichschimmernder Mond auf.

*

Als der Morgen graute, tauchten die Ein-geborenen wieder auf. Sie mußten noch inder Nacht den Fluß überquert haben undsuchten nun nach den Spuren der beidenFremden. Ziemlich verblüfft mußten siedann wohl festgestellt haben, daß die gefun-denen Spuren plötzlich einfach endeten.

Unschlüssig und ratlos setzten sie trotz-dem ihre Suche fort. Sie inspizierten denStamm des großen Baumes, fanden aber ander Rinde nicht den geringsten Hinweis da-für, daß die Fremden dort hinaufgeklettertwaren.

Malthor spähte vorsichtig über den Rand

des dicken Astes nach unten, dann flüsterteer:

»Sie gehen weiter, Jörn. So schnell findendie uns nicht.«

»Und wenn, dann werden sie sich wun-dern«, gab Asmorth zurück und klopfte ge-gen den Griff seiner Waffe. »Pack das Früh-stück schon mal aus, ich beobachte indessenweiter.«

Eine Zeitlang noch konnte er die herum-schleichenden Eingeborenen sehen, dannverschwanden sie im Unterholz. DasKnacken der vertrockneten Zweige entferntesich immer mehr, bis nichts mehr zu hörenwar.

»Die sind wir los«, hoffte Malthor undkaute auf einem Fleischwürfel herum. »Ineiner halben Stunde brechen wir auf. DenStrick haben wir ja noch. Du bindest dich anmir fest, und dann setzen wir die begonneneLuftreise fort. Besser als die Schwimmtourist das schon.«

»Meine Kleider sind getrocknet, von miraus kann es losgehen.«

»Wir werden dem Strom folgen, bis wirzum Meer kommen. Dort allerdings müssenwir vorsichtig sein. Zu dumm, daß wir kei-nen Translator bei uns haben. Wir werdenauf Schwierigkeiten bei einer Verständigungmit den Eingeborenen stoßen. Vielleichtklappt es mit Zeichensprache.«

»Wir können uns bei Tage kaum in derAnsiedlung sehen lassen«, gab Asmorth zubedenken. »Eigentlich sollten wir hier war-ten, bis Atlans nächste Boten hier auftau-chen – oder noch besser: wir sollten zurückbis weit vor den Wasserfall, um sie zu war-nen.«

»Die Situation hat sich jetzt verändert,Jörn. Ich halte es für unbedingt notwendig,Kontakt mit den Eingeborenen aufzunehmenund sie um Unterstützung gegen Akon-Akonzu bitten. Es kann doch nur in ihrem eigenenInteresse sein, wenn die geplante Siedlungnicht errichtet wird.«

»Vielleicht hast du recht, Gerlo.«Nach dem Frühstück bastelten sie aus den

noch vorhandenen Seilen einen kleinen Sitz

Die Wassermenschen von Ketokh 11

für Asmorth, in dem er bequem Platz fand.Malthor fabrizierte eine Schulterhalterungfür sich, um durch die zusätzliche Last nichtin seiner Bewegungsfreiheit eingeengt zuwerden.

Behutsam startete er dann. Der Sitz mitAsmorth hing drei Meter unter ihm undschaukelte langsam hin und her.

»Hoffentlich wird mir nicht schlecht, Ger-lo.«

»Keine Sorge, du gewöhnst dich daran,mein Junge. Das ist besser als marschierenoder schwimmen.«

Die Baumkrone blieb zurück, während siean Höhe gewannen. Dann nahm MalthorKurs auf die Küste und blieb stets in Sicht-weite.

Eine Belastungsprobe allerdings hatten sienoch zu bestehen.

Als sie eine größere Lichtung überquer-ten, wurden sie plötzlich beschossen. Sekun-den später befanden sie sich in einem regel-rechten Kugelhagel, der ihnen keine Zeitmehr ließ, ihrerseits das Feuer zu erwidern.

»Festhalten!« rief Malthor und schaltetedas Aggregat auf volle Leistung.

Asmorth wäre durch den Ruck beinaheaus seinem Sitz geschleudert worden. Mitbeiden Händen hielt er sich krampfhaft festund versuchte, nicht das Gleichgewicht zuverlieren.

Rasend schnell fielen Lichtung, Wald undFluß zurück, bis sie so hoch gestiegen wa-ren, daß die Geschosse sie nicht mehr errei-chen konnten. Malthor nahm Energie weg,bis sie die Höhe behielten.

»Das war knapp«, meinte er nicht ohneStolz. »Ich werde noch ein perfekter Luft-schiffer.«

»Und ich Akrobat, Gerlo. Das wäre fastschiefgegangen.«

Angestrengt blickte Malthor nach unten.»Die Kerle verschwinden wieder im

Wald. Ich wette, sie versuchen noch immer,uns zu folgen. Wenn die auch aus der Ha-fenstadt sind, begegnen wir ihnen vielleichtdort. Übrigens sehen sie aus wie wandelndeZylinder mit Armen und Beinen. Nun ja, für

Wasser mag das die geeignete Körperformsein. Ich jedenfalls finde sie nicht geradeschön.«

»Dich werden sie auch nicht schön fin-den, Gerlo. Die Geschmäcker sind eben ver-schieden …«

Auf dem Fluß trieben Flöße dahin. Jedesvon ihnen wurde von einem oder zwei Ein-geborenen gesteuert, die sich jedoch nichtum die hoch über sie dahinfliegenden Frem-den kümmerten, falls sie diese überhaupt be-merkt hatten.

Schließlich hörte der Wald auf und mach-te einer bis zum Horizont reichenden Präriemit Hügeln, Bäumen und StrauchgruppenPlatz.

Malthor ging wieder tiefer.Der Fluß, nun wieder ein breiter und ruhig

dahinfließender Strom, hatte sich in Armeaufgeteilt und bildete so ein riesiges Delta.Die Küste war deutlich zu erkennen, auchdie Ansiedlung.

Sie schien nicht besonders groß zu seinund bestand aus niedrigen Holzbauten. Die-se umschlossen eine kleine Bucht, die alsHafen diente. In ihr lagen mehrere flacheLastkähne auf Reede.

Malthor landete vorsichtig etwa fünf Ki-lometer vor den ersten Blockhäusern.

»Von nun an müssen wir ständig mit einerKonfrontation rechnen«, warnte er seinenBegleiter, der das aus Stricken bestehendeFluggestell zusammenrollte und unter eini-gen Büschen versteckte. »Möglicherweisekommen wir aber bis in die Nähe des Ha-fens, ohne gesehen zu werden.«

Asmorth setzte sich ins Gras.»Allmählich hege ich den Verdacht, du

willst dir eine von diesen schwimmendenStädten ansehen, die wir vom Raum aus be-obachteten. Dann kannst du aber allein ge-hen.«

Malthor winkte ab.»Keine Sorge, so verrückt bin ich auch

wieder nicht. Ich will dasselbe wie du: Kon-takt und Verständigung mit den Eingebore-nen.«

Asmorth seufzte.

12 Clark Darlton

»Na schön, versuchen können wir es ja…«

Er stand auf und folgte Malthor, der – im-mer auf Deckung bedacht –, dicht am Flußu-fer entlang in Richtung des Hafens losmar-schierte.

Ihnen war beiden nicht besonders wohlzumute dabei.

2.

Am Morgen nach dem Überfall auf dieSiedlung, die bei dem Feuergefecht fast völ-lig zerstört worden war, beschloß Fartuloonzu handeln. Er wußte aus eigener Erfahrung,daß er sich dem Willen des jungen Akon-Akon nicht widersetzen konnte, also mußteer versuchen, ihn für seinen Plan zu gewin-nen. Eine andere Möglichkeit gab es nicht.

Es hatte wenig Sinn, auf Malthor und As-morth zu warten, die ja selbst ihrerseits aufVerstärkung hofften. Auf Verstärkung, dienicht eintreffen würde, weil Akon-Akon dieAbsichten Fartuloons und Atlans längstdurchschaut hatte. So blieben die beiden Ar-koniden die einzigen, die vorerst dem hyp-notischen Zwang entronnen waren.

Atlan war entführt worden, und mit ihmdie Astronomin Algonia Helgh. Sie mußtengefunden und befreit werden.

Akon-Akon saß abseits der zerstörtenSiedlung auf der Kuppe eines flachen Hü-gels und betrachtete mißmutig das, was vonseinem Werk übriggeblieben war. Fartuloonnäherte sich ihm auf dem schmalen Pfad, derinzwischen entstanden war. Er war unbe-waffnet.

Akon-Akon sah nur kurz auf, als er denNäherkommenden bemerkte, und als er ihnerkannte, wurde der Ausdruck seines Ge-sichtes nicht freundlicher.

»Was willst du?« fragte er unhöflich.»Habe ich nicht schon genug Ärger und Sor-gen?«

»Die habe ich auch«, erwiderte Fartuloon,ungehalten über den rüden Ton des jungenMannes. »Atlan ist verschwunden, von denEingeborenen verschleppt. Es ist meine Ab-

sicht, ihn zu befreien, aber ich wollte nichtsunternehmen, ohne dich zu informieren.«

Er hatte es sich angewöhnt, den geheim-nisvollen Akon-Akon zu duzen, da auch die-ser nicht alle Regeln der Höflichkeit beach-tete. Anscheinend nahm der es ihm auchnicht übel.

»Ich weiß nicht, ob wir den richtigen Pla-neten gefunden haben«, sagte Akon-Akon,ohne die Frage zu beantworten. »Nach die-sem ersten Überfall werden weitere folgen.Immer wieder wird man die Siedlung zerstö-ren, und ich wollte mein neues Reich inFrieden begründen.«

»Atlan wurde entführt!« wiederholte Far-tuloon, diesmal drängender, eindringlicher.»Hast du etwas dagegen, wenn ich eine Ex-pedition zusammenstelle und den Spuren derEingeborenen folge? Mit unseren Waffensind wir ihnen überlegen. Wir gehen keinRisiko ein.«

»Es muß auch noch andere Planeten ge-ben, die geeignet sind«, sann Akon-Akonvor sich hin. Er schien Fartuloon einfachvergessen zu haben. »Vielleicht sogar derachte Planet dieses Systems. Ich werde michdarum kümmern müssen …«

Jetzt wurde es Fartuloon doch zu bunt.»Nun hör endlich zu, Akon-Akon!Ich habe gesagt, daß Atlan entführt wurde

und daß ich ihn zu befreien gedenke! Wenndu nichts darauf erwiderst, werde ich selb-ständig handeln. Hast du das verstanden?«

Akon-Akon sah ihn wieder an.»Atlan befreien?« Er schüttelte den Kopf.

»Niemand wird diesen Platz ohne meine Ge-nehmigung verlassen, auch du nicht!« SeinBlick wurde zwingend, und Fartuloon spürtewieder den unheimlichen Einfluß, der vondem jungen Mann ausging und ihn in seinenBann schlug. »Atlan wird sich selbst helfen,auch wenn ihm das nicht viel nützen wird.«

»Ich bestehe aber darauf, daß ich …«»Du hast auf nichts zu bestehen, Fartu-

loon. Hier ist mein Wille Gesetz, nicht derdeine. Es sind mehrere Arkoniden bei demÜberfall ums Leben gekommen, welcheRolle spielt also ein Atlan, den man gefan-

Die Wassermenschen von Ketokh 13

gen nahm? Keine, sage ich dir, absolut kei-ne! Außerdem bleibt uns keine Zeit für lang-wierige Expeditionen in ein unbekanntesLand.«

»Keine Zeit?« Fartuloon glaubte, sich ver-hört zu haben. »Wir haben Zeit genug.«

Akon-Akon schüttelte den Kopf.»Die haben wir eben nicht! Wir werden

diese Welt verlassen und eine andere su-chen, die für unsere Pläne besser geeignetist. Ich will meine Kolonie für alle Zukunftgesichert wissen. Solange es Eingeborenegibt, die uns bedrohen, gibt es auch keinenFrieden. Du kannst dich um die Startvorbe-reitungen kümmern, Fartuloon. Morgennoch gehen wir an Bord der ISCHTAR undverlassen diese Welt.«

In Fartuloon begann es allmählich zu ko-chen, aber noch versuchte er, sich zu beherr-schen.

»Du willst doch Atlan nicht einfach zu-rücklassen?« erkundigte er sich fast in sanf-tem Tonfall. »Das kannst du nicht! Bedenke,was er für dich getan hat. Ohne ihn wärestdu jetzt noch auf dem Planeten der Heiler,ein Gefangener für alle Zeiten. Nennst dudas Dankbarkeit?«

»Was ist das – Dankbarkeit? Ich sehe nurmein Ziel vor Augen, und niemand wirdmich daran hindern, es auch zu erreichen.Atlan hätte eben besser aufpassen sollen.«

Nun wurde es Fartuloon zu bunt.»Er hat deine Siedlung verteidigt, du ein-

gebildetes Subjekt! Eines Tages wirst dunoch dich selbst anbeten, weil es in deinenAugen nichts Erhabeneres gibt. Manchmalglaube ich, du bist wahnsinnig, und …«

»Schweig!« Akon-Akons Stimme warschneidend scharf und duldete keinen Wi-derspruch. »Wie kannst du es wagen, so mitmir zu reden? Hast du denn noch immernicht begriffen, daß es keine Auflehnung ge-gen mich gibt? Wir werden morgen mit derISCHTAR starten, und du selbst wirst dafürsorgen, daß die entsprechenden Vorbereitun-gen getroffen werden. Über Atlan möchteich kein Wort mehr hören. Wenn er bis mor-gen zurück ist, kann er uns begleiten.«

»Wie großzügig!« spottete Fartuloon ineiner letzten Trotzaufwallung. »Er darf inseinem eigenen Schiff mitfliegen – das findeich wirklich edelmütig von dir. Wie soll ichdir nur danken?«

Akon-Akon überhörte den Hohn.»Du brauchst mir nicht zu danken, ich bin

immer großzügig. Und nun geh endlich, ichmuß nachdenken.«

Fartuloon wußte, daß es völlig sinnloswar, jetzt noch weiter mit Akon-Akon zuverhandeln. Er hatte damit gerechnet, daßder Junge den Wiederaufbau der zerstörtenSiedlung befahl, aber nun hatte sich die Si-tuation mit einem Schlag verändert. WennAkon-Akon tatsächlich den Start anordnete,blieb Atlan auf dem unbekannten Planetenzurück.

Und wenn Akon-Akon anordnet, gab eskeinen Widerspruch.

Der Start mußte demnach verhindert wer-den, wollte Fartuloon überhaupt etwas fürden verschwundenen Freund tun.

Langsam ging er den Weg zurück, den ergekommen war. Drüben in der Ebene standdie dreihundert Meter durchmessende ISCH-TAR auf ihren Teleskopbeinen, alle nahenHügel überragend. Sie war ein gut ausgerüs-tetes Raumschiff und sicherlich für eine bes-sere Aufgabe gedacht, als die Pläne einesVerrückten mit unbegreiflichen Kräften zuverwirklichen.

Ich brauche einen Verbündeten, dachteFartuloon, als er an einer Gruppe von her-umlungernden Arkoniden vorbeischritt, dieauf die Anordnung Akon-Akons warteten.Allein schaffe ich es nicht, den Start zu ver-hindern oder wenigstens zu verzögern.

Aber auf wen war schon Verlaß?Sie alle standen unter dem Zwang des Un-

heimlichen.Ein wenig fühlte sich Fartuloon jetzt aller-

dings davon befreit. Vielleicht lag es daran,daß er sich Sorgen um Atlan machte und daßer einen unbeschreiblichen Haß auf Akon-Akon verspürte, der ihm jede Hilfeleistungversagte. Wenn das so war, brauchte er nichtnach einem Verbündeten zu suchen, den er

14 Clark Darlton

in seinen Plan einweihen mußte.Dann schaffte er es auch allein.Ohne jede Vorsichtsmaßnahme näherte er

sich der ISCHTAR, deren Hauptluke offen-stand. Die Leiter war ausgefahren.

Ein Arkonide erschien in der Luke zurSchleuse und sah hinab.

»Ah, Fartuloon! Bringen Sie neue Befehlevon Akon-Akon?«

Fartuloon nickte geistesgegenwärtig.»Allerdings. Die ISCHTAR wird startbereitgemacht, weil wir morgen diese Welt verlas-sen werden – so hat Akon-Akon es angeord-net. Ich soll mich darum kümmern.«

»Und wir haben Befehl, niemand an Bordzu lassen. Auch Sie nicht, Fartuloon.«

»Was soll denn der Unsinn? Die Befehlewidersprechen sich.«

»Das ist nicht meine Schuld. Wir kennennur den unserigen, nicht aber den Ihren. Ge-hen Sie zu den anderen und warten, was ge-schieht.«

Fartuloon war wütend, aber er blieb ruhig.»Wie denken Sie über die Entführung At-

lans? Die Eingeborenen haben ihn gefangen,und wir sollen morgen Ketokh verlassen undihn zurücklassen. Warum befreien wir ihnnicht?«

»Wenn Akon-Akon es befiehlt, werdenwir ihn auch befreien.«

»Sonst nicht?«»Nein, sonst nicht! Wir dürfen nichts oh-

ne seinen Befehl tun.«Fartuloon sah sich um und entdeckte

einen flachen Stein. Ganz in der Nähe hiel-ten sich noch andere Besatzungsmitgliederder ISCHTAR auf. Er ging hin und setztesich. Der Mann oben in der Luke sah nocheine Weile zu ihm herüber, dann ver-schwand er im Schiff.

Na schön, dachte Fartuloon, dann warteich eben auf eine bessere Gelegenheit. Ichkomme schon dort hinein, und wenn ich mirneue Anordnungen von Akon-Akon selbstholen müßte. Warten wir, bis es dunkelwird.

Zwei Stunden später trugen vier Arkoni-den den auf einer Liege ruhenden Akon-

Akon vorbei und setzten ihn auf einem nahegelegenen Hügel ab. Die kleine Hütte, die ersich dort hatte errichten lassen, war heil ge-blieben. Manchmal hielt er sich in ihr auf.

Fartuloon unterdrückte den Wunsch, so-fort zu ihm zu gehen und um den Befehl andie Mannschaft zu bitten, ihn an Bord zulassen. Das würde nur Verdacht erregen.Lieber handelte er auf eigene Faust, wenn erauch noch warten mußte.

Der Abend begann zu dämmern, als dieSonne unter den Horizont gesunken war.Die ersten Sterne erschienen am Himmel,dann später der rötliche Mond.

Fartuloon erhob sich und ging zum Schiff,ohne sich um die anderen Arkoniden zukümmern, die ihm nachsahen. So leise undvorsichtig wie möglich stieg er die Leiterempor, bis er die Luke erreichte. In derSchleuse saß der Wärter von vorhin auf ei-nem Stapel von Arbeitskombinationen unddöste vor sich hin. Den Herbeischleichendenbemerkte er nicht.

Fartuloon zögerte nicht lange und nahmauch keine besondere Rücksicht, als er denMann mit einem Faustschlag betäubte. Erlegte ihn in eine der kleinen Nebenkam-mern, in der Notverpflegung und Ausrü-stung gelagert wurde. Die Luke zum Innerndes Schiffes war nicht verschlossen. Unbe-hindert konnte er den Korridor betreten.

Es war Fartuloon klar, daß er den Startnur verhindern konnte, wenn er einen le-benswichtigen Teil der ISCHTAR beschä-digte. Eine Reparatur würde zwei oder dreiTage in Anspruch nehmen. Auf der anderenSeite mußte es ein Teil sein, dessen Ausfallnicht das Leben aller bedrohte.

Der Bordrechner!Sicher, die ISCHTAR würde auch ohne

Bordrechner starten können, wenn Akon-Akon wirklich nur den achten Planeten an-fliegen wollte.

Aber wahrscheinlich würde er es nichtwagen, dazu kannte er das Schiff zu wenig.Wichtig war nur, daß keiner der Besatzungso übereifrig war, ihm doch den Start zuempfehlen.

Die Wassermenschen von Ketokh 15

Ein Flug aus dem blauen Sonnensystemhinaus jedoch war unmöglich.

Er wußte nicht, wer sich an Bord derISCHTAR aufhielt und wie stark der Banndes unheimlichen Akon-Akon hier war. Erselbst verspürte ihn, konnte sich aber eini-germaßen gegen ihn behaupten. Das jedochnur so lange, wie er nicht aktiv gegen denjungen Mann zu werden hatte, und das, waser plante, ähnelte mehr einer passiven Hand-lungsweise.

Natürlich kannte sich Fartuloon im Schiffbestens aus. Er wußte, wo die Quartiere derMannschaft waren und welche Wacheintei-lung normalerweise vorgenommen wurde.Je mehr er sich der Kontrollzentrale näherte,desto größer wurde das Risiko für ihn, wenner auch nicht damit rechnete, von seinen ei-genen Leuten angegriffen zu werden. Abersie würden sich bei Akon-Akon erkundigen,ob er die Erlaubnis erhalten habe, die ISCH-TAR nachts zu betreten.

Das war ein Risiko, das er vermeidenwollte.

Der Bordrechner war eine äußerst kompli-zierte Anlage, die weder leicht zu zerstörennoch zu reparieren war. Doch auch hierwußte Fartuloon, was er zu tun hatte. Erbrauchte nur einen der wichtigen Kontaktezu unterbrechen. Selbst mit den empfindli-chen und leistungsfähigen Kontrollinstru-menten würde es Tage dauern, bis man denFehler fand. Es sei denn, jemand prüfte zu-fällig sofort die richtige Zuleitung.

Er war so mit seinen Gedanken beschäf-tigt, daß er seine übliche Vorsicht für einigeSekunden vergaß. Plötzlich stand jemandvor ihm.

Er hatte den Antigravlift benutzt, und daswar vielleicht ein Fehler gewesen. Als er aufden Korridor trat, sah er in die drohendeMündung einer Energiewaffe, die auf Läh-mung geschaltet war.

Fartuloon kannte den Mann.»Was soll denn das?« erkundigte er sich

geistesgegenwärtig.»Ich habe in der Zentrale zu tun.«Der Arkonide ließ den Lauf der Waffe ein

wenig sinken.»Wir haben Befehl, niemand an Bord zu

lassen, auch Sie nicht, Fartuloon. Es tut mirleid …«

»Das muß Ihnen nicht leid tun, Befehl istBefehl. Aber weshalb auch mich nicht?Wenn Atlan das erfährt, wird er einiges dazuzu sagen haben.«

»Atlan ist nicht mehr da, und unser Chefheißt Akon-Akon.«

Fartuloon begann einzusehen, daß es we-nig Sinn hatte, den Mann beeinflussen zuwollen. Er stand völlig im Bann des Un-heimlichen. Manchmal wunderte er sichselbst darüber, daß er in der Lage war, die-sem Bann zumindest zeitweise widerstehenzu können.

»Na gut, dann gehe ich eben wieder«,sagte er und schlug mit aller Wucht seinegeballte Faust gegen das Kinn des anderen.

Der Mann sackte in sich zusammen, aberFartuloon konnte seine Waffe noch auffan-gen, ehe sie auf den Boden polterte. Das Ge-räusch hätte man bei der herrschenden Ruhedurch das halbe Schiff hören können.

An den Beinen zerrte er den Bewußtlosenin eine Gangnische, in der ein Interkom in-stalliert war. Hier würde man ihn nicht so-fort finden.

Bis zum Bordrechner war es nun nichtmehr weit, aber er mußte noch an der Kon-trollzentrale vorbei. Mit Sicherheit würdesich auch dort eine Wache aufhalten, die esunschädlich zu machen galt. Fartuloon besaßnun wenigstens eine Waffe.

Bevor er in den Hauptkorridor zurück-kam, blieb er stehen und lauschte. Weitervorn, in Richtung der Zentrale, glaubte erein Geräusch und leises Reden gehört zu ha-ben.

Er hatte sich nicht getäuscht.Als er um die Ecke lugte, sah er zwei Ar-

koniden im Gang stehen, lässig mit demRücken gegen die Wand gelehnt und dieWaffen achtlos in den herabhängenden Hän-den. Sie unterhielten sich arglos.

Fartuloon schätzte die Entfernung ab. Füreinen Paralyseschuß würde es reichen, wenn

16 Clark Darlton

er richtig traf. Es hatte keinen Sinn, mit ih-nen verhandeln zu wollen, sondern er mußtedas Überraschungsmoment für sich ausnut-zen.

Er schaffte es, aber diesmal konnte ernicht verhindern, daß der Fall der beiden Be-wußtlosen einen ziemlichen Krach verur-sachte. Es blieb ihm auch keine Zeit mehr,sie zu verstecken. Er ließ sie liegen undrannte weiter, an der halb geöffneten Tür zurKommandozentrale vorbei, in der ebenfallsGeräusche zu hören waren. Hastig betätigteer das positronische Schloß der Rechenzen-trale und trat ein. Die Tür sperrte sich auto-matisch wieder ab.

Der Raum war leer und unbewacht. Dasbrachte ihm Zeit, wenn man an Bord auchschon auf seine Tätigkeit als Saboteur auf-merksam geworden sein mußte und sicher-lich Gegenmaßnahmen ergriff. Eine davonbekam er zu spüren, als der Lautsprecher desInterkoms zum Leben erwachte und eineStimme rief:

»Im Schiff hält sich ein Eindringling auf,der noch nicht identifiziert werden konnte.Drei Männer wurden paralysiert. Der unbe-fugte Eindringling hat sich in der Rechen-zentrale eingeschlossen.«

Fartuloon machte sich an den Kontrollendes Rechners zu schaffen, während er mitder freien Hand den Interkom einschaltete.

»Seid vernünftig, Leute! Ich bin es, Fartu-loon! Ihr kennt mich doch alle und wißt, daßich kein Saboteur bin. Atlan wurde gesternnacht von den Eingeborenen verschleppt,und Akon-Akon plant, morgen diese Weltfür immer zu verlassen. Wollt ihr Atlan zu-rücklassen?«

Es entstand eine kurze Pause, dann fragteder Sprecher aus der Kommandozentrale,den Fartuloon nicht erkannte:

»Warum mißachten Sie den Befehl Akon-Akons, Fartuloon? Verlassen Sie dasSchiff!«

»Ich werde einen schnellen Start verhin-dern, um Atlan Gelegenheit zu geben, recht-zeitig zurückzukehren, wenn Akon-Akonschon keine Rettungsexpedition gestattet.«

Zwei Kontakte hatte er bereits unterbrochenund die Stellen so gut getarnt, daß man sienicht so schnell entdecken konnte. Er be-gann mit einer dritten. »Keine Sorge, ichwerde keine ernsthafte Beschädigung vor-nehmen.«

»Wir werden die Tür mit Gewalt öffnen,Fartuloon!«

»Von mir aus.«Er schaltete den Interkom wieder ab. Er

schaffte noch weitere drei Kontakte an ver-schiedenen Stellen, dann drangen die Bewa-cher durch eine zweite Tür zu ihm ein. Ru-hig stand er mitten im Raum und erwartetesie. Seine erbeutete Waffe lag auf dem Bo-den.

»So, und was nun? Wollt ihr mich um-bringen?«

»Natürlich nicht, Fartuloon, aber wir müs-sen sie festnehmen. Akon-Akon ist bereitsunterrichtet und hat befohlen, sie in die Ge-fangenenzelle zu sperren. Er wird späternoch entscheiden, was mit ihnen geschehensoll.«

»Na schön, dann sperrt mich ein. Mirwerden ein paar Stunden Schlaf guttun.«

Sie versuchten noch aus ihm herauszube-kommen, welche Beschädigung er an demBordrechner vorgenommen hatte, aber Far-tuloon schwieg hartnäckig aus. Ohne jedenWiderstand ließ er sich zur Gefängniszelleführen und einsperren.

Er hörte noch, daß andere Arkoniden ge-weckt und die Wachen verstärkt wurden.Auch außerhalb des Schiffes wurden Män-ner aufgestellt, um weitere Sabotageakte zuverhindern.

Dann trat wieder Ruhe ein.Fartuloon legte sich ächzend auf das harte

Lager und streckte sich aus. Das Lichtbrannte, also schloß er die Augen, um ein-schlafen zu können.

Er war mit sich und seiner Taktik zufrie-den.

Atlan hatte eine Galgenfrist erhalten.

*

Die Wassermenschen von Ketokh 17

Gerlo Malthor und Jörn Asmorth gelang-ten bis zu den ersten Häusern, die unmittel-bar am Hafen standen. Zum Glück herrschteso etwas wie Mittagspause, oder die Ein-wohner der kleinen Stadt waren alle mit denLandexpeditionen und Flößern unterwegs.Es war niemand zu sehen.

Lediglich in einiger Entfernung gab esAnzeichen von Leben. Mit primitiven Krä-nen wurden ganze Bündel von Holzstämmenin einen dicht beim Ufer ankernden Last-kahn verladen. Nur wenige Eingeborene wa-ren zu sehen, dafür kamen aus der anderenRichtung Fahrzeuge angerollt, die neue Gü-ter zum Hafen brachten. So ganz ohne dieProdukte des Festlands schienen die Wasser-bewohner also nicht auszukommen.

»Wir müßten uns einen von ihnen schnap-pen und aushorchen«, schlug Malthor vor.

»Sicher, eine gute Idee, ich frage michnur, wie wir ihn verstehen sollen. Falls sieüberhaupt eine Sprache haben.«

»Haben Sie, das hörten wir ja im Wald.Sie unterhielten sich.«

»Und wie wollen wir unauffällig einenschnappen?«

»Das laß nur meine Sorge sein, Jörn. Wirwarten, bis sich einer in der Nähe zeigt,dann paralysieren wir ihn. Natürlich nurschwach, damit wir nicht zu lange wartenmüssen, bis er wieder vernehmungsfähigist.«

Sie schlichen geduckt weiter und hieltensich dicht am Ufer, wo noch immer unbe-bautes Gelände vorherrschte und die Büscheguten Schutz boten. Rechts standen die fla-chen Häuser, alle aus Holz errichtet undmeist nur einstöckig.

Je näher sie dem eigentlichen Hafen ka-men, desto gefährlicher wurde die Situation.Eine roh aus Steinen zusammengefügte Kai-mauer, eigentlich mehr ein provisorischerDamm, verdrängte die Büsche und Sträu-cher. Dafür gab es wild wuchernde Vorgär-ten, die ein wenig Deckung boten.

Malthor hielt an und legte sich ins Gras.Er wartete, bis auch Asmorth herbeigekom-men war und sich niederließ.

»Weiterzugehen wäre sinnlos, man würdeuns sehen. Wir müssen hier warten, bis je-mand auf den Gedanken kommt, am Uferspazierenzugehen. Das kann Stunden dau-ern.«

»Wir haben Zeit«, tröstete ihn der Techni-ker. Er wirkte auf einmal nicht mehr nervös,sondern ruhig und gelassen. Auch verzichte-te er darauf, eine seiner üblichen Erklärun-gen abzugeben. Er streckte sich im Gras ausund verschränkte die Arme unter dem Kopf.»Ich fühle mich im Augenblick richtigwohl.«

Malthor schüttelte den Kopf.»Was ist denn nur in dich gefahren, Jörn?

Wenn man uns hier entdeckt, sitzen wirschön in der Patsche.«

»Wir können fliegen«, erinnerte ihn As-morth. »Was glaubst du, was die für Augenmachen, wenn wir über das Meer hinaus da-vonsegeln?«

Malthor antwortete nicht. Er sah hinüberzum Hafen, wo emsig weitergearbeitet wur-de. Einige Eingeborene schienen nichts vonüberflüssiger Kraftverschwendung zu halten.Sie lungerten in der Nähe der Kräne herumund beobachtete die Arbeit des Verladens.Einer setzte sich in Bewegung und spazierteam Ufer entlang, vom Hafen weg und genauauf die beiden Arkoniden zu.

»Da kommt einer«, sagte Malthor. »Aberes ist eine hübsche Strecke. Es dauert nochein paar Minuten, bis er hier ist, wenn ernicht wieder umkehrt. Bleib ruhig liegen!«

Vom offenen Meer kam ein Schiff in denHafen getuckert. Es wurde von einem primi-tiven Verbrennungsmotor angetrieben underinnerte in seiner Bauweise an einen zugroß geratenen Kahn. Quartiere für Passa-giere bot es wohl kaum, wohl aber für La-dung.

Der Spaziergänger war stehengebliebenund bewunderte das einlaufende Schiff. Aufder anderen Seite der Bucht traf eine Last-wagenkolonne ein, die im Hafen haltmachteund entladen wurde. Es war ein reger Be-trieb an der schmalen Wasserfront.

»Hoffentlich schläft er dort nicht ein«,

18 Clark Darlton

meinte Asmorth gelangweilt und drehte sichauf die andere Seite. »Weck mich, wenn essoweit ist.«

Malthor nickte stumm. Der Spaziergängerwar noch gute hundert Meter von ihremVersteck entfernt und setzte sich gerade wie-der in Bewegung. Er hatte die Richtungnicht geändert.

Asmorth richtete sich ein wenig auf.»Laß mich das machen«, bat er zu Malt-

hors Überraschung. »Ich bin dünner als duund kann mich daher besser anschleichen.Bleib hier und übernimm die Rücken-deckung.«

»Wir können ihn doch auch von hier ausparalysieren.«

»Nein, das ist mir zu riskant. Nachherkönnen wir ein paar Stunden warten, bis erwieder zu sich kommt. Und vergiß denSchock nicht, den er erleidet. Ich mache daslieber mit der Hand.«

»Schlag nicht zu fest zu«, warnte Malthor.Asmorth gab ihm seinen Strahler und be-

gann, auf den wieder stehengebliebenenSpaziergänger zuzukriechen, sich dabei im-mer in Deckung haltend, soweit das möglichwar. Es war ihm klar, daß er den Eingebore-nen nicht warnen durfte, denn wenn der insWasser sprang, war er fort.

Aber Asmorth hatte wieder einmal Glück.Zwischen zwei hohen Grasbüscheln blieb erreglos liegen, als der Eingeborene weiter-ging und sich ihm bis auf fünf Meter näher-te. Dicht beim Ufer blieb er abermals stehenund sah hinauf auf das Meer.

Asmorth sprang auf und hechtete den Ah-nungslosen von hinten an, wobei er ein we-nig seitlich spurtete, um nicht mit dem Über-raschten ins Wasser zu stürzen. Der Überfallgelang.

Das bläulich schimmernde kurzhaarigeFell war glatt und bot Asmorth suchendenFingern keinen richtigen Halt, also schlanger beide Arme um den zylindrischen Körperund warf ihn landeinwärts ins Gras.

»Ruhig bleiben!« forderte er den Überfal-lenen völlig sinnlos auf. »Es passiert dirnichts!«

Vielleicht war es der beruhigende Tonfallseiner Stimme, jedenfalls stellte der Einge-borene sofort den Widerstand ein. Malthorkam herbeigekrochen und half, ein besseresVersteck zu suchen. Sie fanden es im Vor-garten eines anscheinend leeren Hauses. Diekleine Hütte am Rand des Weges war halbverfallen, bot aber genügend Schutz.

Der Gefangene war kleiner als ein Arko-nide. Seine kurzen Arme endeten in flossen-förmigen Händen mit vier Gliedmaßen, anderen Unterseite so etwas wie Saugnäpfewaren. Der spitze Kopf saß übergangslos aufdem fünfzig Zentimeter durchmessendenWalzenkörper, der gute Stromlinieneigen-schaften vermuten ließ. Unter den großenund starren Fischaugen war der Mund, derden Kopf praktisch in zwei Hälften teilte.Die scharfen und spitzen Zähne sahen nichtgerade beruhigend aus, denn sie erinnertenzu sehr an das Gebiß eines großen Raub-fischs.

Als sich der Gefangene einmal kurz um-wandte, konnten die beiden Arkoniden ander Kopfrückseite eine Atemöffnung erken-nen. Oben auf der Spitze aber war etwas, daswie eine gelbe Münze aussah und mit Si-cherheit ein Organ darstellte. WelchemZweck es allerdings diente, das blieb unklar.

Die Fischaugen schielten ängstlich auf diebeiden Strahlwaffen. Ihre Wirkung schiendem Fremden bekannt zu sein. Malthormachte Asmorth darauf aufmerksam, undwieder hatte der Techniker seine Erklärungbereit:

»Klarer Fall, sie haben hier im Hafenschon von uns gehört und wissen, daß unse-re Waffen ihren Kugelspritzen überlegensind. Um so besser, dann sind sie wenigstensvorsichtiger. Ja, dann wollen wir mal sehen,ob er mit sich reden läßt.«

Was nun folgte, wäre einer Zirkusnummerwürdig gewesen.

Zuerst versuchte es Malthor. Ganz ruhig,dann immer lebhafter werdend, bemühte ersich, seinem Gefangenen durch Gestenklarzumachen, daß er von ihnen nichts zubefürchten habe. Langsam sprach er einige

Die Wassermenschen von Ketokh 19

geläufige Worte aus und deutete ihren Sinnan. Er zeigte auf seinen Bauch und bezeich-nete ihn als »Malthor«, dann stieß sein Zei-gefinger gegen das dunkle Fell des Eingebo-renen, kombiniert mit einem fragenden Ge-sicht.

»Tossel!« zischte der Gefangene.Malthor warf Asmorth einen triumphie-

renden Blick zu.»Na also, er heißt Tossel! Das wissen wir

schon mal! Wollen mal sehen, wie es weiter-geht …«

Nach und nach kam in der Tat so etwaswie eine primitive Verständigung zustande.Asmorth mischte sich nun auch noch einund praktizierte sein schauspielerisches Ta-lent mit Hilfe von Worten und Gesten. DerEingeborene schien immer mehr von seinerursprünglichen Furcht zu verlieren. Willigging er auf alle Verständigungsversuche einund kooperierte.

Von ihrem Versteck aus war der Hafen zusehen. Malthor deutete mit ausgestreckterHand auf die dort arbeitenden Eingeborenenund zog wieder sein Fragezeichen-Gesicht.

»Julkas!« Der Gefangene machte eineumfassende Handbewegung. »Julkas!« wie-derholte er und deutete zugleich auch aufsich.

Der Sinn war klar.»Sie nennen sich Julkas«, stellte Asmorth

fest.»Hübscher Name«, kommentierte Malthor

trocken. »Und was machen wir nun mitihm? Schließlich wird es schwierig sein, ihmklarzumachen, daß wir Hilfe brauchen. Obsie Übersetzergeräte haben? Das würde allesvereinfachen.«

»Ihre Technik ist noch lange nicht weitgenug entwickelt, um so komplizierte Gerätezu erfinden. Vielleicht hat der BurscheFreunde, die intelligenter sind und begrei-fen, was wir von ihnen wollen. Wir lassenihn laufen, sobald wir ihm verständlich ge-macht haben, daß wir mit seinen Leutensprechen wollen. Sie haben Angst vor unse-ren Waffen, das ist eine Menge wert. Nurmüssen wir dafür sorgen, daß wir sie nie-

mals aus der Hand geben.«Malthor nickte.»Na, dann mach ihm das mal klar …«Das allerdings war wieder ein schweres

Stück Arbeit. Asmorth verrenkte sich balddie Arme dabei, und Malthor bekam beinahezwei Finger nicht mehr auseinander, die sichineinander verhakt hatten, als er etwas ganzEinfaches damit ausdrücken wollte.

Immerhin schien der Gefangene zu be-greifen, was sie von ihm wollten. Er ließsein zweireihiges Gebiß blitzen, und es sahso aus, als lache er.

Malthor deutete auf die verfallene undschief hängende Tür.

»Du kannst gehen, mein Freund. Wir wer-den hier warten.« Er unterstrich jedes seinerWorte durch deutliche Gesten. »Kommt mitdeinen Freunden zurück, damit wir sprechenkönnen.«

Der Gefangene erhob sich zögernd, alsvermutete er eine Falle und könne es nichtglauben, freigelassen zu werden. Malthorbegleitete ihn bis zum Rand des schützendenGartens und klopfte ihm sachte auf die be-pelzte Schulter. Dabei lächelte er.

Der Eingeborene klopfte zurück. Wahr-scheinlich hielt er die Geste für eine ArtVerabschiedung. Dann sprang er plötzlichaus dem Stand heraus schräg in die Luft,hinweg über den schmalen Uferpfad, undverschwand mit einem eleganten Bogen imaufspritzenden Wasser.

Er kam auch nicht wieder zum Vorschein.»Nun taucht er dahin«, murmelte As-

morth, der den Vorgang von der Hütte ausbeobachtet hatte.

»Ich bin gespannt, was nun passiert.«Malthor kehrte in die Hütte zurück.»Jedenfalls bleiben wir hier und warten.

Vergiß nicht, daß wir im Notfall einfach da-vonfliegen können. Außerdem vertraue ichauf unsere Waffen. Damit halten wir eineganze Armee von ihnen in Schach.«

»Einer von uns sollte ein wenig schlafen«,schlug Asmorth vor. »Es könnte später sein,daß einer immer wach bleiben muß. Soll ichden Anfang machen?«

20 Clark Darlton

Malthor sah ein, daß der Vorschlag gutwar.

»Ich bleibe in der Nähe und beobachte«,sagte er und überzeugte sich davon, daß sei-ne Ausrüstung gut verstaut war. Nur denStrahler behielt er in der Hand, als er dieHütte verließ und sich nur wenige Meter vonder Tür entfernt in das trockene und warmeGras setzte.

Von hier aus hatte er einen besserenÜberblick.

3.

Es dunkelte bereits, als sie eine Gruppevon Eingeborenen bemerkten, die sich vor-sichtig auf dem Uferweg näherte.

Asmorth hatte Malthor schon seit Stundenabgelöst und wollte ihn gerade wecken, alsdrüben auf der anderen Seite der Bucht eindonnernder Schuß ertönte. Malthor fuhrhoch und kam aus der Hütte.

»Was war denn das?«»Wahrscheinlich nur ein Signal, denn im

Hafen legen sie die Arbeit nieder. Mit ande-ren Worten: Feierabend! Hast du gut ge-schlafen?«

»Ich fühle mich frisch und munter. Unddu?«

Aber Asmorth gab keine Antwort. Ange-strengt blickte er in Richtung Hafen.

»Sie kommen«, sagte er dann.Es konnte sich natürlich auch um eine

Gruppe von Arbeitern handeln, die nun nachHause gingen, aber ihr Gang und ihreMarschordnung verrieten eine gewisse Vor-sicht, die sie normalerweise sicherlich nichtan Tag legen würden. Außerdem ging je-mand an der Spitze, der seinem watscheln-den Gang nach nur dieser Tossel sein konn-te.

»Er bringt die anderen«, meinte nun auchMalthor. »Feiner Kerl, er hat Wort gehalten.Hoffentlich sind sie vernünftig …«

Sie versteckten sich nicht, sondern blie-ben stehen, so daß man sie schon von wei-tem sehen konnte. Damit wollten sie bekräf-tigen, daß sie verhandeln möchten. Die Zei-

chensprache wurde immer vertrauter.Der Einfachheit halber sei an dieser Stelle

die nun folgenden Unterhaltungen zwischenArkoniden und Julkas in kurzen Dialogenwiedergegeben, wobei jedoch daran erinnertwird, daß oft eine halbe Stunde verging, eheeine der beiden Seiten begriff, was die ande-re eigentlich ausdrücken wollte.

»Hallo, Tossel!« begrüßte Malthor denEingeborenen und klopfte ihm wieder sanftauf die Schulter, eine Geste, von der er nunwußte, daß sie richtig interpretiert wurde.»Wir freuen uns, deine Freunde kennenzu-lernen.«

»Ja, Freunde«, machte Tossel ihnen müh-sam verständlich.

Malthor lud sie ein, im Gras Platz zu neh-men. Es war nicht unbedingt notwendig, daßdie ganze Siedlung schon jetzt auf das Tref-fen aufmerksam wurde. Während sich dieAbordnung hinsetzte, waren die scheuenBlicke auf die Impulswaffen kaum zu über-sehen. Allem Anschein nach hatten die Jul-kas auf die Mitnahme von Waffen verzich-tet.

»Wir brauchen eure Hilfe«, teilte Malthorihnen mit. »Ein Mann unseres Volkes willauf dieser Welt eine Siedlung bauen, womiteuer Friede für immer gestört sein würde.«Das dauerte knapp fünfzehn Minuten. »Ihrhelft uns, und wir helfen euch.« Das ging et-was schneller. »Wir wollen Freunde wer-den.«

Die Julkas hatten offensichtlich verstan-den, was man von ihnen wollte, denn sie er-öffneten eine Diskussion in ihrer merkwür-dig klingenden Sprache, die unter Wasservielleicht ganz anders klang.

Einige hatten feuchte Tücher mitgebracht,in die sie sich nun einhüllten. Wahrschein-lich vertrug ihre Haut die Trockenheit derLuft nicht, obwohl es allmählich kühler wur-de.

Malthor und Asmorth warteten geduldig,bis die Julkas endlich einen Entschluß faß-ten. Mit ermüdender Umständlichkeit mach-ten sie den Arkoniden klar, daß man sichden Vorschlag überlegen müsse und luden

Die Wassermenschen von Ketokh 21

sie dann ein, sie in die Stadt zu begleiten.Der mißtrauische Asmorth stimmte nur

zögernd zu, aber er sah ein, daß sie nichtweiterkommen würden, wenn sie hier in ih-rer Hütte hocken blieben, ohne den einmalbegonnenen Kontakt weiter zu pflegen.

Malthor sagte zu ihm:»Keine Sorge, wenn wir aufpassen, kann

uns nichts passieren. Wir haben unsereStrahler. Selbst wenn sie uns in einen Hin-terhalt locken, was ich nicht annehme, sindwir ihnen überlegen. Es hat wenig Sinn,wenn wir uns weigern. Sie bieten uns ihreGastfreundschaft an, wir dürfen nicht ableh-nen. Außerdem sind wir hier ohnehin nichtmehr sicher. Sie kennen das Versteck.«

Das sah Asmorth ein.»Gut, wir werden euch begleiten«, machte

er den Julkas klar.Der Entschluß schien ehrliche Begeiste-

rung auszulösen, denn sie schnattertendurcheinander wie die Federgänse, bis Tos-sel sich endlich durchsetzen und für die An-nahme der Einladung danken konnte.

Dabei klopfte er wieder auf die Schulterder beiden Arkoniden, eine Geste, die offen-sichtlich jetzt nicht mehr »Abschied«, son-dern »Guten Tag« und auch »Wir Freunde«bedeuten sollte. Dann ging er los.

Malthor und Asmorth nahmen nur daswichtigste ihrer Ausrüstung mit. Das Flug-aggregat blieb zurück. Sie schoben es unterdie Holzbohlen der Hütte, wo sie es sichervor Entdeckung wähnten. Die Strahler be-hielten sie natürlich.

Es war eine merkwürdige Gruppe, die zurStadt marschierte. Voran watschelte Tosselmit seinem unbeholfenen wirkenden Gang,gefolgt von seinen Freunden, unter die sichdie beiden Arkoniden gemischt hatten undeine Unterhaltung versuchten. Einige Worteaus beiden Idiomen waren waren bereits je-dermann verständlich.

»Wohin bringt ihr uns?« fragte Malthorseinen Nebenmann, einen schon älteren Jul-ka, wie der Arkonide annahm.

»Zu mir, Freund. In meinem Haus istPlatz genug für uns alle.«

»Was werden die anderen Julkas dazu sa-gen?«

»Nichts. Sie wissen jetzt, daß ihr Freundeseid.«

Malthor glaubte ihm kein Wort. Nicht daßer von Natur aus mißtrauisch gewesen wäre,aber der Umschwung kam ihm zu schnellund unmotiviert. Wenn sie von den Ereig-nissen am Wasserfall wußten, konnten siekeine wirklich freundschaftlichen Gefühlefür die Fremden hegen. Auch wenn Tosselsympathisch wirkte, so vertrat er nicht seinganzes Volk. Er mochte es gut meinen, abergegen die Mehrheit der Julkas würde er sichkaum durchsetzen können.

Sie erreichten den Hafen und bogen land-einwärts ab, kamen an einigen Häusern vor-bei, begegneten aber niemand. Die Arbeiterwaren nach Hause gegangen, die Straßenblieben leer und verlassen.

Malthor glaubte mehrmals, Schatten hin-ter den Fenstern zu sehen. Sie wurden alsovon den Einwohnern der Siedlung heimlichbeobachtet, was wiederum darauf schließenließ, daß man von ihrer Ankunft wußte.

Tossel blieb etwas zurück, bis er auf glei-cher Höhe mit den Arkoniden war.

»Dort oben ist Fitschels Haus«, gab er zuverstehen und deutete auf den alten Julka,der neben Malthor ging. »Es steht abseitsder anderen und ist groß. Fitschel lebt alleindort, nur wir, die wir seine Freunde sind, be-suchen ihn manchmal.«

Es dauerte fast zehn Minuten, bis Malthordas Gemisch aus Gesten und Worten ver-stand, und als das endlich geschehen war,hatten sie den Vorgarten des Hauses er-reicht. Hinter den Scheiben brannte Licht.

»Freunde haben ein Essen vorbereitet«,sagte Tossel, als er die fragenden Blicke sei-ner beiden Gäste bemerkte.

Asmorth holte ein wenig auf, bis er nebenMalthor war.

»Essen?« Er schüttelte den Kopf. »Ichrühre keinen Bissen an. Nachher vergiftensie uns. Ich traue ihnen nicht.«

»Ich auch nicht, aber wir dürfen das Ge-setz der Gastfreundschaft nicht verletzen.

22 Clark Darlton

Laß mich vorher probieren, ich habe einenkräftigen Magen und vertrage eine Menge,auch eine kleine Portion Gift. Außerdemwerden wir darauf achten, ob alle mitessen.«

»Na, wir werden ja sehen.«Im Grunde blieb ihnen auch nichts ande-

res übrig. Sie selbst hatten die augenblickli-che Situation gewollt und eingeleitet, nunkonnten sie nicht mehr zurück.

Fitschel bemühte sich rührend um seineunerwarteten Gäste. Er führte sie in seinHaus und zeigte es ihnen. Es gab mehrereRäume mit Schlafgelegenheiten. Im Erdge-schoß war das große Zimmer mit einem lan-gen Holztisch und Stühlen. Darauf standenSchüsseln mit Speisen und Krüge mit Ge-tränken.

Die Julkas hielten sich nicht lange mit derVorrede auf. Sie setzten sich und sahen danndie beiden Arkoniden erwartungsvoll an.

»Wir essen jetzt!« sagte Tossel mit seinerzischelnden Stimme.

Malthor und Asmorth setzten sich linksund rechts neben ihn, damit sie ihn ständigunter Kontrolle hatten. Sie würden nichtsanrühren, was Tossel nicht aß. Und beimTrinken würden sie genauso vorsichtig sein.

Bei den Speisen handelte es sich in ersterLinie um Produkte des Meeres, was sichschon am Geruch bemerkbar machte. Es gababer auch Früchte, Gemüse und Fleisch.

Fitschel hob seinen Krug und hielt einekurze Ansprache, wobei er öfter auf die Gä-ste deutete und sich dann selbst auf dieSchulter klopfte. Dann hob er den Krug undtrank ihnen zu. Alle Julkas folgten seinemBeispiel.

»Das Zeug war schon vorher im Krug«,stellte Asmorth fest und zögerte.

»Niemand konnte wissen, wohin wir unssetzen würden«, gab Malthor zurück undtrank unbesorgt.

Die Flüssigkeit schmeckte angenehm süßund schien Alkohol zu enthalten. Außerdemmachte sie schon nach dem ersten SchluckAppetit.

Das Essen begann.Malthor wartete, bis Tossel sich genom-

men hatte und wählte Speisen aus denselbenSchüsseln. Zu seiner Beruhigung konnte erfeststellen, daß auch Fitschel sich auflegteund mit echtem Hunger darüber herfiel.Überhaupt schienen alle Julkas über einenhervorragenden Appetit zu verfügen, dennsie futterten wie die Scheunendrescher.

Das machte sie Malthor wieder sympathi-scher, denn er war ein Freund guten und vie-len Essens.

Nun zögerte auch Asmorth nicht mehrlänger, obwohl er in der äußeren Ecke seinesMagens noch immer ein flaues Gefühl regi-strieren konnte.

Dabei redete und gestikulierte man,sprach dem süßlichen Getränk zu und be-nahm sich bald so, als wäre man völlig untersich und als gäbe es keine Gäste, die von ei-nem anderen Planeten kamen und hier eineSiedlung aufbauen wollten.

Schließlich schienen alle satt zu sein, undauch Malthor hätte beim besten Willen kei-nen Bissen mehr herunterbringen können. Erwar satt wie selten zuvor, und er mußte zu-geben, daß alles ausgezeichnet geschmeckthatte.

Nun versuchte Asmorth energisch, denJulkas noch einmal klarzumachen, worum esging. Sie schienen es auch begriffen zu ha-ben, wie schon unten am Meer bei der Hütte,aber sie wichen einer Antwort geflissentlichaus. Malthor erhielt den Eindruck, daß sienicht in der Lage waren, eine so wichtigeEntscheidung zu treffen und sprach Tossel,mit dem er am besten reden konnte, direktdarauf an.

Tossel sagte folgendes:»Du hast recht, Freund, wir können nichts

entscheiden. Das können nur die Julkas inden schwimmenden Städten. Wir werdeneuch dorthin bringen.«

Darüber mußte Malthor zuerst einmalnachdenken, und das ging nicht so schnell.

Die schwimmenden Städte also, die sievom Raumschiff aus gesehen hatten. Sie wa-ren das krasse Gegenteil der Hafensiedlung,offensichtlich technische Konstruktionen ei-ner fortgeschrittenen Zivilisation. Wie war

Die Wassermenschen von Ketokh 23

ein solcher Widerspruch zu erklären? Hierauf dem Land lebten die Julkas primitiv undeinfach in Holzhäusern und Hütten, währenddraußen im Meer wahre Wunderwerke derTechnik entstanden waren.

Der Arkonide entsann sich, ähnlichesschon auf anderen Welten erlebt zu haben,auf denen es zugleich hochzivilisierte Völ-ker und primitive Jägerstämme gab.

»Wie wollt ihr uns zu den Städten brin-gen? Mit einem Schiff?«

Tossel bejahte das und erklärte, man ken-ne die Kapitäne einiger Frachtboote, die dieschwimmenden Städte ständig mit Nach-schub versorgten. Morgen würde versuchtwerden, sie auf eines dieser Schiffe zu brin-gen, die im allgemeinen keine Passagierebefördern durften.

»Warum nicht?« fragte Asmorth.»Das Meer ist voller Gefahren«, erklärte

Tossel. »Immer wieder geschieht es, daß Pi-raten die vollbeladenen Schiffe überfallenund sie ausrauben. Passagiere würden denSeeleuten bei der Abwehr eines solchen An-griffs nur im Weg sein. Außerdem könntensie entführt und die Angehörigen erpreßtwerden.«

Sehr einleuchtend war diese Erklärunggerade nicht, aber den Arkoniden bliebnichts anderes übrig, als sie zu akzeptieren.Vor einem Überfall der Piraten fürchtetensie sich nicht. Was ihnen allerdings merk-würdig erschien, war die Tatsache, daß ihrAufenthalt bei den Julkas praktisch inoffizi-ell gestaltet wurde. Man hätte zumindest er-warten können, daß sich ein Regierungsver-treter um die Angelegenheit kümmerte. Daswar nicht der Fall.

»Ich traue dem ganzen Laden noch weni-ger als zuvor«, sagte Asmorth und war si-cher, daß die Julkas es nicht verstanden. Au-ßerdem sprach er schneller als sonst. »Siewollen uns in eine Falle locken, davon binich überzeugt. Aber wozu dann diese Um-stände? Haben sie wirklich solche Angst vorunseren Waffen?«

»In den schwimmenden Städten wohntdie herrschende Schicht, das dürfte klar sein.

Die Julkas hier befolgen nur Anweisungen,die sie von dort erhalten. Wir müssen zumSchein auf alle Vorschläge eingehen, sonsterfahren wir nie, was gespielt wird.«

Ab und zu verschwand einer der Julkas,und wenn er an den Tisch zurückkehrte, warsein dunkles, glattes Fell pitschnaß. Unterdem Tisch bildeten sich Wasserlachen. Sieschienen es auf dem Land nicht allzu langeohne diese Erfrischung aushalten zu können.

Endlich hob Fitschel die Tafel auf undverkündigte, daß man nun schlafen gehenmüsse. Morgen sei ein anstrengender Tag.

Tossel geleitete die Arkoniden in den obe-ren Stock und zeigte ihnen ihr Zimmer. Ergab ihnen zu verstehen, daß er gleich neben-an sein Nachtlager aufschlagen und damitständig in ihrer Nähe sein würde.

Die Tür besaß kein Schloß. Asmorthrückte einen Stuhl davor, nachdem Tosselgegangen war.

»Schlaf ein paar Stunden, Gerlo, dannwecke ich dich. Nimm den Strahler mit insBett.«

Malthor grinste und verkniff sich einemehr oder weniger unpassende Bemerkung.Ohne sich zu entkleiden, legte er sich auf ei-ne der beiden Betten, den Impulsstrahler lie-bevoll im Arm. Er tastete seinen Bauch abund knurrte:

»Immerhin bin ich satt, das ist auch waswert.«

Asmorth nahm auf dem Stuhl Platz, dervor der Tür stand, die wiederum nur nach in-nen geöffnet werden konnte. Durch das Fen-ster hindurch sah er hinab zum Hafen, wonoch Lichter brannten. Mit unregelmäßiglaufendem Motor bog ein Schiff um das Kapund ankerte dann in der Bucht. Der Motorverstummte. Es wurde wieder still.

Einige Stunden später, gerade als As-morth seinen Freund wecken wollte, hörte erim Haus ein leises Geräusch. Jemand schlichdurch den Flur. Asmorth lauschte ange-strengt und hielt die Luft an. Er konnte dasAtmen hinter der Tür deutlich vernehmen.

Unendlich vorsichtig entsicherte er dieWaffe und wartete.

24 Clark Darlton

Er war fest entschlossen, den Eindringlinggebührend zu empfangen. Die Julkas solltennoch mehr Respekt vor den Energiestrahlernbekommen, als sie ohnehin bereits hatten.Vorsichtig erhob er sich und schlich zumFenster, die Waffe auf die Tür gerichtet.

Aber nichts geschah. Niemand versuchtehereinzukommen. Im Gegenteil: nach eini-ger Zeit entfernten sich die schleichendenTritte wieder, bis sie nicht mehr zu hörenwaren.

Asmorth weckte Malthor und berichteteihm.

»Da gibt es mehrere Erklärungen«, meinteMalthor gähnend. »Vielleicht war es der alteFitschel, der sich nur davon überzeugenwollte, daß wir ruhig und friedlich schlafen.Oder jemand hat nachgesehen, ob ein Piratins Haus eingedrungen ist.«

»Oder jemand wollte uns umbringen undhörte mich«, entgegnete Asmorth sarka-stisch. »Paß gut auf, ich möchte auch einpaar Stunden in Ruhe schlafen.«

Ihr Mißtrauen schien unbegründet zu sein.Die Nacht verlief ohne weiteren Zwi-

schenfall.

*

Als die Sonne über dem Meer aufgingund im Hafen das Leben erwachte, erschienTossel.

»Ich werde mich um ein Schiff küm-mern«, sagte er nach kurzer Begrüßung.»Sojul ist in der Nacht eingelaufen und wirdheute noch beladen. Kann sein, daß er euchmitnimmt.«

»Ist Sojul einer der Kapitäne, die ihrkennt?«

»Ja, Freund Gerlo, wir kennen ihn. Wirhaben ihm auch schon manche Gefälligkeiterwiesen. Bleibt im Haus. Unten findet ihrEssen und Getränke. Wartet, bis ich zurückbin.«

Später trafen sie Fitschel, mit dem eineVerständigung ein wenig schwieriger war.Vergeblich versuchten die beiden Arkoni-den, aus ihm etwas herauszuholen, aber er

reagierte nicht. Dem mißtrauischen Asmorthkam es so vor, als sei er gestern intelligentergewesen.

Tossel tauchte gegen Mittag wieder auf.»Sojul hat sich bereit erklärt, euch mitzu-

nehmen. Leider bin ich verhindert, euch zubegleiten, aber ich werde nachkommen. Si-cher sehen wir uns wieder.«

»Wir würden das begrüßen«, sagte Malt-hor. »Du kennst nun schon viele Worte un-serer Sprache und könntest uns von großemNutzen sein. Ob Sojul uns verstehen kann?«

»Er lernt schnell, Freund.«Das Schiff würde den Hafen früh am an-

deren Tag verlassen, so erschien es ratsam,bereits am Abend an Bord zu gehen. Dashatte außerdem noch den Vorteil, daß sieniemand sehen würde. So etwas wie einePolizei schien es aber in dem kleinen Hafen-stützpunkt ohnehin nicht zu geben.

Der Rest des Tages verging in bester Har-monie. Drei von Fitschels Freunden tauchtenvor Anbruch der Dämmerung auf und mach-ten sich über die Reste des gestrigen Fest-mahls her, dann mahnten sie zum Aufbruch.

»Wo ist Tossel?«»Er ist sehr beschäftigt«, gab man Malt-

hor Auskunft. »Er läßt sich entschuldigen,aber er wird euch folgen. Gleich ist es dun-kel, wir bringen euch zum Schiff.«

Fitschel gab ihnen noch ein Päckchen mitVorräten mit, damit sie nicht auf SojulsGnade angewiesen waren. Außerdem solltedie Verpflegung auf den Schiffen nicht diebeste sein.

Wieder waren die Straßen leer, nur hintereinzelnen Fenstern brannte Licht. Das Schifflag an der Kaimauer. An der Spitze des Ma-stes baumelte eine Laterne. Mehrere Julkasstanden an der Reling und blickten derGruppe neugierig entgegen.

»Da ist auch Sojul«, wurde den Arkoni-den bedeutet. »Der größte von ihnen. Erwinkt euch zu, scheint also gut gelaunt zusein.«

»Ist er das gewöhnlich nicht?«»Nur selten. Aber laßt euch nicht entmuti-

gen, wenn er mal laut werden sollte. Das ist

Die Wassermenschen von Ketokh 25

so seine Art, er meint es nicht böse.«Über ein schräg gegen die Bordwand ge-

lehntes Brett gingen sie an Deck. Sojul kamihnen breitbeinig entgegen. Er war in der Tatfast einen Kopf größer als die anderen Jul-kas. Nachdem er einige Worte mit den Be-gleitern der Arkoniden gewechselt hatte,klopfte er zuerst Malthor und dann Asmorthauf die Schultern. Die Freundschaftsgesteschien sich bereits herumgesprochen zu ha-ben. Dann gab er ihnen durch Zeichen zuverstehen, daß sie unter Deck eine Kabineerhalten würden.

Die Arkoniden verabschiedeten sich nochvon ihren Begleitern, die wieder von Bordgingen und zwischen den Häusern unter-tauchten, dann führte Sojul sie in die ver-sprochene Kabine.

»Wir laufen morgen früh aus.« Der Kapi-tän redete in einer einfachen und unkompli-zierten Sprache, so daß er leicht zu verste-hen war. »Bleibt unter Deck, bis wir das of-fene Meer erreicht haben. Es muß nicht je-der wissen, daß ich Passagiere mitnehme.«

Er ging und schloß die Tür.Der Raum war klein und primitiv einge-

richtet. Es gab zwei schmale Kojen und einWaschbecken. Der Schrank war mit Tüchernvollgestopft, die von den Julkas wahrschein-lich bei Landbesuchen benötigt wurden.

Malthor setzte sich auf eines der Betten.»Gemütlich sieht es hier gerade nicht aus,

aber wir dürfen wohl kaum mehr erwarten.Wir schlafen wieder abwechselnd.«

»Dieser Sojul sieht mir selbst wie ein Pi-rat aus. Einen sehr vertrauenerweckendenEindruck macht er kaum. Ich glaube, dieReise wird nicht völlig ohne Zwischenfälleverlaufen.«

Malthor winkte ab.»Du mit deiner Schwarzseherei, Jörn!

Was kann denn schon passieren? Wenn wirvon Piraten überfallen werden …«

»An die denke ich weniger. Ich traue So-jul nicht, das ist alles. Was glaubst du, wel-chen Preis er für unsere Waffen auf demschwarzen Markt erzielen könnte? Er hättewahrscheinlich für den Rest seines Lebens

ausgesorgt.«»Pah!« Malthor streckte sich aus und lieb-

koste seinen Strahler. »Er kann ja mal versu-chen, sie sich zu holen.«

Asmorth gab keine Antwort. Er unter-suchte die Tür, öffnete sie und trat hinausauf den finsteren Gang. Gleich gegenüberentdeckte er die Toilette, die zwar für Julkasund nicht für Arkoniden gedacht war, dieaber trotzdem ihren Zweck erfüllen würde.Beruhigt kehrt er zu Malthor zurück.

Der hatte bereits die Augen geschlossen.Asmorth setzte sich an den kleinen Tisch,

dessen Füße im Boden verschraubt waren.Er begann mit der Nachtwache.

*

Das Meer zwischen dem Festland und derersten schwimmenden Stadt war nicht son-derlich tief. Unter der Wasseroberfläche gabes flache Plateaus mit unzähligen Höhlen,von denen die meisten mit Luft gefüllt wa-ren. Man konnte sie nur tauchend erreichen.

Hier war das Versteck der Piraten.Sie brauchten keine Schiffe, und wenn sie

eins kaperten, entluden sie es und ließen eswieder frei. Nur wenn die Besatzung sichbei dem Überfall wehrte und Piraten tötete,hatten sie keine Gnade zu erwarten. DasSchiff wurde versenkt und die gefangenenJulkas umgebracht.

In den Höhlen aber stapelten sich die ge-raubten Schätze. Lebensmittel gab es fürJahre. Aber auch Waffen und Munition wur-de gehortet, denn eines Tages würde es –wie schon einmal – eine Strafexpedition ge-ben. Dagegen mußten die Piraten gewappnetsein.

In einer der Unterkunftshöhlen lebte Mes-sa mit seiner Sippe. Er galt als Freund desobersten Piraten Jolter, der wie ein König indem Unterwasserreich residierte. SeineWohnhölle wurde durch raffinierte Fallenabgesichert, denn er war äußerst mißtrau-isch.

Messa kannte natürlich alle Fallen, dieJolter angelegt hatte. Er war einer der weni-

26 Clark Darlton

gen Piraten, die das private Reich des ober-sten Piraten betreten durften, ohne Kopf undKragen zu riskieren. Geschickt tauchte erdurch die vielen Gänge, die den Fels desPlateaus durchlöcherten. Als er die vorletzteLuftkammer erreichte, pausierte er, umKräfte zu sammeln. Er hatte sie auch nötig,denn die letzte Kaverne, völlig mit Wassergefüllt, stellte die gefährlichste Etappe dar.

Dort warteten die Raubfische. Sie warenvon Jolter so dressiert worden, daß sie exaktzehn Sekunden warteten, ehe sie angriffen.Das Unterseebecken ließ sich aber mit allerKraftanstrengung in vielleicht acht bis neunSekunden durchtauchen. Wer auch nur einoder zwei Sekunden zögerte, vielleicht umsich in der Dunkelheit zu orientieren, warrettungslos verloren. Er wurde unweigerlicheine Beute der lauernden Ungeheuer, die alsTodfeinde der Julkas galten.

Draußen im offenen Meer konnte man ih-nen leicht entkommen, denn sie waren lang-sam und unbeholfen, wenn es galt, größereStrecken zurückzulegen oder eine Beute zuverfolgen. Außerdem konnten sie nicht tieftauchen und verloren so jeden Julka, der sichzum Grund hinabsinken ließ.

Hier aber, in dem kleinen Becken, warensie die gefährlichsten Mörder, die man sichvorstellen konnte.

Messa glitt vorsichtig ins Wasser zurück,tauchte und schwamm langsam in die kleineHöhle hinein, von der er wußte, daß sie indas Todesbecken mündete, das er zu durch-eilen hatte. Er ging sparsam mit seinen Kräf-ten um und konzentrierte sich auf die letzteFalle.

Dann sah er das Becken unmittelbar vorsich. Ein mattes Leuchten kam aus der Fel-sendecke. Zehn dunkle Schatten lauerten imWasser. Träge bewegten sie ihre Flossen.

Messas Arme und Beine begannen plötz-lich zu wirbeln, und wie ein Pfeil schoß ervoran, durchquerte das Becken in wenigerals acht Sekunden und erreichte die gegen-überliegende Höhle gerade in dem Augen-blick, in dem die Raubfische angreifen woll-ten. Gut dressiert folgten sie ihm jedoch

nicht mehr in den Höhlengang, der zu JoltersReich führte.

»Du hast es also mal wieder geschafft«,empfing ihn der Häuptling der Piraten undscheuchte einige seiner Sklaven fort, die fürseine persönlichen Bedürfnisse verantwort-lich waren. Sie stammten von gekapertenSchiffen. »Eines Tages werden sie dich dochmal erwischen.«

»Ich hoffe nicht, Jolter. Jemand sagte mir,du wolltest mich sprechen. Hast du wiedereinen Raubzug vor?«

»Ich nicht, aber für dich hätte ich eineAufgabe. Wie unsere Spione berichten, istein Schiff unterwegs, auf dem sich zwei selt-same Geschöpfe befinden, die nicht von un-serer Welt stammen. Sie sind reine Landbe-wohner. Ich möchte, daß du sie mir bringst.«

»Zwei Fremde, und nicht von unsererWelt? Woher kommen sie dann?«

»Von einer anderen, das ist doch ganzeinfach. Sie sind mit einer riesigen Kugelangekommen und nun dabei, Häuser zu bau-en. Sie wollen hier bleiben. Ich weiß nicht,was diese beiden in der Stadt wollen, aberSojul wird sie hinbringen, wenn wir dasnicht verhindern. Außerdem erhielt ich einenBericht vom Land. Man hat die Fremdenüberfallen, wurde aber mit hohen Verlustenzurückgeschlagen. Sie haben furchtbareWaffen, und die möchte ich auch haben.Bring die Fremden und ihre Waffen zu mir.«

»Was sind das für Waffen?«Jolter überlegte.»Soweit ich erfahren konnte, verschleu-

dern sie tödliche Blitze. Es wird also nichtganz so einfach für dich sein, die Fremdengefangenzunehmen, aber du bist der einzigeder Unterführer, dem ich einen Erfolg zu-traue. Ich hoffe, du erweist dich meines Ver-trauens als würdig.«

»Wie immer, Jolter«, versprach Messa,obwohl er diesmal nicht so sicher war. »Ichnehme alle Männer meiner Sippe mit. Dulegst also nur auf die beiden Fremden undihre Waffen Wert? Das bedeutet, daß wir dieandere Beute behalten dürfen.«

»Sie gehört euch«, stimmte Jolter zu.

Die Wassermenschen von Ketokh 27

»Und wann können wir Sojul erwarten?«»Sein Schiff wird die Untiefen im Lauf

des Tages erreichen und dann langsamerfahren. Er ist ein erfahrener Kapitän undkennt die Gefahren. Seine Leute werden aufder Hut sein und das Feuer auf euch eröff-nen, sobald sie euch bemerken. Seid alsovorsichtig.«

»Mein ganzes Leben besteht aus Vor-sicht«, gab Messa zurück und verabschiede-te sich.

Er tauchte in das Wasserbecken und ver-schwand in den aufschäumenden Wirbeln.

Jolter sah ihm nach.»Und eines Tages werden ihn die Raubfi-

sche doch erwischen«, murmelte er.

*

Messa wurde von den Angehörigen seinerSippe umringt, als er die Wohnhöhle er-reichte und ans Ufer kletterte. An den felsi-gen und feuchten Wänden hingen Lampen,die den Raum nur notdürftig erhellten. Meh-rere Gänge führten in Nebenhöhlen, die allemit Luft gefüllt waren.

»Was wollte Jolter von dir?«»Geht es wieder los?«»Machen wir Beute?«Messa wehrte ab und setzte sich. Ein Jul-

ka kam zu ihm und kraulte sein nasses Fel.Er ließ es sich gern gefallen.

»Wir werden Beute machen!« sagte erschließlich zuversichtlich. »Wir verlassengleich das Riff und warten auf Sojul, denwir schon einmal mit Erfolg ausraubten. Erwird sich diesmal wehren, denn er hat eineganz besondere Ladung an Bord …«

Er berichtete, was er von Jolter erfahrenhatte. In knappen Worten gab er dann seineAnweisungen und teilte seine Leute ein. Ertat niemals etwas ohne gründliche Vorberei-tungen und ohne einen ausgearbeitetenSchlachtplan. Die eine Gruppe würde dasSchiff entern, während eine andere sich un-ter Wasser am Kiel festsetzte, um das Schiffnötigenfalls zu versenken. Die Beute gingdadurch nicht verloren.

Eine Stunde später verließen etwa zwan-zig Julkas das unterhöhlte Riffplateau undverteilten sich. An manchen Stellen war dasMeer hier nur wenige Meter tief. Dicht da-neben fiel das Riff steil ab, bis zu zweihun-dert Meter.

Messa tauchte auf. Fern am Horizont er-blickte er einen dunklen Punkt, der nur dasgesuchte Schiff sein konnte. Seine Ge-schwindigkeit war gering, denn es warplump gebaut und besaß nur einen schwa-chen Motor. Da es zudem tief im Wasserlag, würde man es leicht entern können.

Die Waffen der Fremden bereiteten Mes-sa jedoch einige Sorgen.

Der Überfall mußte so schnell und überra-schend erfolgen, daß den Opfern keine Zeitzur Gegenwehr blieb. Einmal im Wasser,hatten echte Landbewohner keine Chancemehr, und mit Sojul und seiner Mannschaftwürde man schon fertig werden. Der Kapi-tän wußte, daß ihm nichts geschah, wenn ersich nicht wehrte.

Messa tauchte und unterrichtete seine Sip-penangehörigen. In zwei Stunden, etwa zurMittagszeit, würde Sojul die günstigste Posi-tion erreichen. Er kannte die Gewässer. SeinSchiff nahm die übliche Route durch dieUntiefen, um einen größeren Umweg zu ver-meiden.

Die Sonne stieg höher und tauchte dieUnterwasserlandschaft in noch mehr Blauund Helligkeit. Fischschwärme zogen an denwartenden Julkas vorbei. FarbenprächtigeMeeresgewächse klebten an den felsigenKlippen und wiegten sich mit der leichtenDünung hin und her.

Einmal tauchte sogar einer der gefürchte-ten Raubfische auf, aber er war klug genug,sich vor der Überzahl schnell zurückzuzie-hen, ehe ihn ein Harpunenpfeil erreichenkonnte.

Dann, endlich, konnten die Piraten das nä-herkommende Schraubengeräusch des Mo-torsschiffs hören.

Messa tauchte kurz auf.Er kam sofort zurück und gab das Zeichen

zum Angriff.

28 Clark Darlton

4.

Den ganzen Vormittag über hielten sichMalthor und Asmorth an Deck auf, nahmenmittags eine Mahlzeit in ihrer Kabine einund kehrten dann an ihren Lieblingsplatz ander Reling zurück. Nicht eine Sekunde leg-ten sie ihre Waffen aus der Hand.

Der Küstenstreifen des Festlands warlängst unter den Horizont gesunken. DasMeer war ruhig und glatt, das Wasser kri-stallklar und nahezu unbegrenzt durchsich-tig. Oft genug konnte Malthor, wenn er sichüber die Reling beugte, den dicht bewachse-nen Grund vorbeigleiten sehen.

Sojul war überall und schien niemals zuruhen. Immer wieder scheuchte er irgendwoein Besatzungsmitglied auf, das glaubte,einen sicheren Platz zum Pausieren gefun-den zu haben. Dann brüllte er, daß manglaubte, er wolle den Übeltäter gleich überBord werfen, aber seine Leute kannten ihnund seine Art. Ruhig kehrten sie an ihre Ar-beit zurück.

»Er lockt uns alle Piraten des Planeten aufden Hals, wenn er weiter so herumbrüllt«,befürchtete Asmorth. Er betrachtete das glat-te Meer. »Dabei sieht alles so friedlich aus.«

Sie standen mit dem Rücken zur Reling.Die Strahler hingen vor der Brust. Hinter ih-nen rauschte knapp anderthalb Meter tieferdas Wasser vorbei.

Sojul stand nun wieder ein wenig erhöhtauf seiner Kommandobrücke und drehte sichständig um seine eigene Achse, weil er dasMeer beobachtete. Er wußte besser als jederandere, daß die Verstecke der Piraten ganzin der Nähe waren und die Überfälle meistin dieser Gegend erfolgten, vorzugsweise je-doch nachts.

Trotzdem blieb er wachsam, auch wennes heller Tag war.

Die Erfahrung hatte ihn außerdem gelehrt,daß die Piraten überraschend neben demSchiff auftauchten und an Bord kletterten,mit Messern und Harpunen bewaffnet, diegenauso gefährlich sein konnten wie Feuer-

gewehre. Andere blieben unter Wasser undbohrten bei Gegenwehr das Schiff an, so daßes in dem seichten Klippengewässer ver-sank.

Sojul wußte, daß die Piraten nur im Not-fall ihre Opfer töteten. Aber er war fest ent-schlossen, sich diesmal erbittert zu wehren.Seine beiden Passagiere durften nicht in dieHände der Piraten fallen oder gar bei einemGefecht mit ihnen umkommen.

Fünf Männer Sojuls lagen mit schußberei-ten Gewehren in guter Deckung an Bordverteilt. Sie hatten die Aufgabe, sofort aufjeden Piraten zu feuern, der sich über oderunter Wasser dem Schiff näherte oder garversuchte, an Bord zu klettern. Das Dummewar nur, daß Sojul sie nicht oft genug kon-trollierte. Zwei oder drei von ihnen schliefenimmer, während die anderen aufpassten, daßder Kapitän außer Reichweite blieb.

»Sieht alles so friedlich aus«, meinte auchMalthor und lehnte sich gegen die Reling.

»Das habe ich schon festgestellt«, erinner-te ihn Asmorth. »Laß dich nicht davon täu-schen.«

Sie standen so, daß ihnen die Sonne insGesicht schien, aber noch immer mit demRücken zum Meer, und so konnten sie auchdie beiden dunklen Schatten nicht sehen, diedicht unter der Wasseroberfläche herbeige-schossen kamen und unter dem Schiffs-rumpf verschwanden.

Während sie die Geschwindigkeit hielten,sanken sie in die Tiefe, bis sie fest denGrund erreichten, dann wendeten sie undjagten mit unvorstellbarer Geschwindigkeitsenkrecht nach oben, kamen wie schwarzeProjektile aus dem Wasser und platschtenunmittelbar vor den beiden Arkoniden aufsDeck. Ehe die beiden sich von ihrer Überra-schung erholen konnten und ehe Kapitän So-jul Alarm schlagen konnte, waren die Pira-ten aufgesprungen und handelten blitz-schnell.

Sowohl Malthor als auch Asmorth erhiel-ten einen kräftigen Stoß gegen die Brust, dersie das Gleichgewicht verlieren ließ, denndie Reling war nur einen Meter hoch. Zu-

Die Wassermenschen von Ketokh 29

sammen stürzten sie über Bord und fielenins Wasser, die Piraten hinterher.

Nässe machte den Impulswaffen zwarnichts aus, aber es wäre ein sträflicherLeichtsinn gewesen, sie im Wasser einzuset-zen. Außerdem hatten die Arkoniden mitAtemnot zu kämpfen, denn die beiden Jul-kas ließen sie nicht zur Oberfläche steigen.Von allen Seiten kamen noch mehr Piratenherbeigeschwommen.

Malthor, der von Unterwasserabenteuernbereits die Nase voll hatte, glaubte zu er-sticken, als ihn seine Bezwinger in eine fin-stere Höhle zogen, um dort nach einer kurz-en Strecke aufzutauchen. Seine erste Sorgewar, Luft zu schnappen, und so bemerkte erkaum, daß ihm der Strahler abgenommenwurde. Im Augenblick war ihm das sogarvöllig egal.

Nicht viel anders erging es Asmorth.Langsam nur gewöhnten sich ihre Augen

an das dämmerige Dunkel. Man hatte sie aufnassen, kalten Fels gelegt, dicht neben ei-nem schwarzen Wassertümpel, aus dem her-aus sie gekommen waren. Er stellte wahr-scheinlich die einzige Verbindung zur Au-ßenwelt dar – eine fast perfekte Falle.

Es war Malthor nicht möglich festzustel-len, woher das schwache Licht kam, das inder Decke schimmerte. Vielleicht bestandeine Art Lichtschleuse zum Meeresgrund,aber das war jetzt nicht so wichtig.

Asmorth begann sich zu erholen. Er ver-mißte seine Waffe.

»Wir haben uns übertölpeln lassen«, stell-te er wütend fest und hustete das letzte Was-ser aus den Lungen. »Möchte wissen, wassie mit uns vorhaben. Jetzt fängt das ganzeVerständigungstheater wieder von vornean.«

»Ein paar Worte ihrer Sprache kennen wirja«, beruhigte ihn Malthor. »Es wird unsnicht gleich an den Kragen gehen.«

Mehrere Julkas kamen herbei und forder-ten sie zum Aufstehen auf. Sie führten ihreGefangenen durch mehrere Gänge in einegrößere Höhle, die durch Fackeln und anden Wänden befestigte Lampen hell erleuch-

tet war. Die Luft war feucht und kalt, aberfrisch. Malthor fragte sich vergeblich, wiedie unter der Wasseroberfläche liegendenHöhlen mit Luft versorgt werden konnten,wenn es keine Inseln gab, die eine Verbin-dung hergestellt hätten.

Ein Julka trat auf sie zu. Er sagte einigeSätze in seiner Sprache, und zwar so lang-sam und deutlich, daß die Arkoniden fast dieHälfte verstehen konnten.

»Was wollt ihr in der Stadt?« wollte erwissen.

Malthor übernahm das Antworten.»Wir wissen selbst nicht, warum man uns

dorthin bringt. Warum habt ihr uns gefan-gen?«

Der Julka grinste – wenigstens sah es soaus.

»Wir haben gehört, daß ihr gute Waffenbesitzt. Ihr werdet uns sagen, wie man damitumgeht.«

»Ihr werdet sterben, wenn ihr sie be-nutzt«, warnte Malthor.

»Das wird Jolter entscheiden. Ich binMessa, das Oberhaupt meiner Sippe.«

Malthor verzichtete darauf, sich und As-morth ebenfalls vorzustellen.

»Was ist mit Sojul und seinem Schiff ge-schehen?« fragte er.

Sie erfuhren, daß der Überfall von demKapitän abgeschlagen worden war und daßman das Schiff nicht versenkt habe. Sojulankerte nicht weit entfernt über einer Untie-fe. Wahrscheinlich überlegte er, wie er diebeiden Fremden wieder zurückbekommenkonnte. Vielleicht dachte er an ein Tausch-geschäft.

Für Malthor war es beruhigend zu wissen,daß Sojul noch in der Nähe war. Vielleichtgab es doch eine Möglichkeit zur Flucht,aber vorher mußten die beiden Strahler wie-der her.

Inzwischen kehrte der Bote zurück, denMessa in Jolters Höhle geschickt hatte. Jol-ter sah, daß es so gut wie unmöglich war,zwei Landbewohner durch seine Sperren zubringen, ohne daß sie dabei ums Leben ka-men. Er kündigte seinen Besuch bei Messas

30 Clark Darlton

Sippe an.Vergeblich versuchte Asmorth indessen,

die vermißten Strahler zu entdecken. Er be-merkte eine Menge Waffen, darunter meistMesser und Harpunen, aber auch langeSpeere mit gezackter Spitze.

»Jolter kommt«, meldete jemand.Es war schwer für die Arkoniden, einen

Julka vom anderen zu unterscheiden, aberJolter war ungewöhnlich groß und erinnertein seinen Körperformen an Sojul, den Kapi-tän des Schiffes. Er schüttelte das Wasseraus seinem Pelz und betrachtete die Gefan-genen mit abschätzenden Blicken. Dannsetzte er sich auf den Felsboden.

Von seiner Unterhaltung mit Messa ver-standen die Arkoniden nicht viel, denn diebeiden sprachen viel zu schnell. Allem An-schein nach ließ sich der Oberpirat den Her-gang des Überfalls schildern und war mitdem Ergebnis zufrieden.

Und nun tauchten endlich auch die beidenStrahler auf.

Ein Julka brachte sie und legte sie vor Jol-ter auf den Boden. Malthor registrierte mitBefriedigung, daß er es sehr vorsichtig undbehutsam tat, so, als transportiere er rohe Ei-er.

Beide Strahler waren gesichert, aber aufLähmung geschaltet.

Jolter betrachtete sie lange, ehe er seineScheu überwand und eine der Waffen in dieHände nahm. Solange sie gesichert war,konnte nicht viel passieren. Er tastete sievon oben bis unten und studierte aufmerk-sam die einzelnen Schaltkontrollen. Dannsah er seine Gefangenen an.

»Was ist das? Was tut es?«Weder Malthor noch Asmorth dachten

daran, dem Piraten zu erklären, was ein Im-pulsstrahler war. Es war natürlich zwecklos,leugnen zu wollen, daß es sich um eine Waf-fe handelte. Die beste Lösung war der Kom-promiß zwischen Lüge und Wahrheit.

»Eine Waffe, aber das Wasser hat sie un-brauchbar gemacht. Es ist eine Waffe, dienur auf dem Land benutzt wird.«

Jolter wog den Strahler in der Hand, prü-

fend und voller Mißtrauen. Spielerisch rich-tete er den Lauf gegen Malthor.

»Unbrauchbar, eh?« Seine Finger fum-melten an den Kontrollen herum und ver-geblich drückte er den Feuerknopf ein, dener durch Zufall entdeckte. Nichts geschah.»Und wenn sie trocken wird?«

Malthor schüttelte den Kopf.»Man wird sie nie mehr gebrauchen kön-

nen«, log er. »Du kannst sie wegwerfen.«Jolter legte den Strahler zurück zu dem

anderen. Sein Gesicht drückte offensichtli-chen Mißmut aus. Er sah die Gefangenen anund schien zu überlegen, welche Strafe erüber sie verhängen sollte. Messa kam seinerEntscheidung mit einem Vorschlag zuvor:

»Sie müssen trocken werden, Jolter. Viel-leicht lügen die Gefangenen. Wir verwahrendie Waffen in meiner Höhle und bringen dieFremden in die obere Luftkammer. Dortkönnen sie nicht fliehen.«

Jolter überlegte, dann mochte er einsehen,daß Messa recht hatte. Er hätte die Waffennatürlich am liebsten mit sich genommen,aber dann würden sie abermals mit Wasserin Berührung kommen. Das Risiko wollte ernicht eingehen, denn ein kleines FünkchenHoffnung blieb, daß sie in getrocknetem Zu-stand wieder funktionieren würden. Und wasdie Gefangenen anging, so konnten sie vonder oberen Luftkammer aus niemals denWeg ins Freie finden.

Ohne ein Wort zu sagen, stand Jolter aufund verschwand im Gang.

Messa sah ihm lange nach, dann wandteer sich wieder an Malthor:

»Du hast verstanden, was Jolter will?«Als Malthor bejahte, fuhr er fort: »In deroberen Luftkammer seid ihr sicher. KeinLandbewohner kann lange genug die Luftanhalten, um den Weg zurück zu finden.Wir werden euch hinbringen.«

Die Arkoniden wußten, daß jeder Kom-mentar überflüssig war. Sie ließen sich inden Gang führen, der vor dem dunklen Was-serbecken endete. Die Waffen, das hatten sienoch gesehen, waren auf einen erhöhten undoffensichtlich trockenen Felssockel gelegt

Die Wassermenschen von Ketokh 31

worden.Je zwei Julkas nahmen die Arkoniden bei

den Armen und gaben ihnen zu verstehen,daß sie tief einatmen sollten. Dann sprangensie mit ihnen ins Wasser.

Ohne sich vorher darüber verständigt zuhaben, verfolgten Malthor und Asmorth das-selbe Ziel: Sie wollten feststellen, wie langesie es unter Wasser aushielten und ob sieden Rückweg vielleicht ohne fremde Hilfeschafften.

Bereits nach einer halben Minute tauchtensie wieder auf. Die Umgebung war fremd,eine kleinere Höhle mit mehreren Ausgän-gen, die zweifellos hinaus ins Meer führten.Die Reise wurde durch ein zweites Wasser-becken hindurch fortgesetzt, und diesmaldauerte es fast eine volle Minute, bis siewieder atmen konnten. Ohne die Julkas wür-de es zwei Minuten dauern, hinzu kam dieeigene körperliche Anstrengung.

Die Höhle war ebenfalls klein, aber ziem-lich trocken. Es fiel Malthor auf, daß dieLuft warm und frisch war, als bestünde einedirekte Verbindung zur Oberfläche. Lichtkam von oben, und es war bläulich.

Die vier Julkas verschwanden im Wasserund tauchten weg.

Asmorth ging in der Höhle herum undsetzte sich auf einen Felsvorsprung. Er nick-te Malthor zu.

»Das sieht ziemlich hoffnungslos aus,wenn du mich fragst. Ich wäre fast ertrun-ken. Es wird besser sein, wenn wir erst ein-mal abwarten, was sie vorhaben. Konzentra-te haben wir ja noch bei uns, wir werden al-so wenigstens nicht verhungern.«

Malthor sah ihn plötzlich an, als säße ihmein Geist gegenüber. Dann klopfte er sichgegen die Stirn, und ein befreites Aufleuch-ten ging über sein Gesicht. Schweigend be-gann er, seine Taschen zu durchwühlen unddann auszupacken. Zwischen Konzentrat-würfeln und Mikrowerkzeug förderte erzwei kaum fingerlange Patronen zutage, dieer triumphierend vor sich auf den Fels legte.

»Weißt du, was das ist?« fragte er.Asmorth nickte.

»Sauerstoffpatronen zur Wiederbelebungbei Unfällen. Warum?«

»Mann, so begreife doch endlich, Jörn!Sie werden uns helfen, länger als normal un-ter Wasser zu bleiben. Nur müssen wir vor-sichtig damit umgehen, damit wir nicht zu-viel erwischen. Es läßt sich dosieren.«

»Nun ja, es wäre eine Möglichkeit. Aberich gehe nicht ohne die Strahler! Die werdenwir uns aus der Höhle holen müssen, unddas wird schwierig sein. Wir wissen nicht,wann die Julkas schlafen.«

»Ich glaube, darüber zerbrechen wir unsden Kopf, wenn wir die Höhle wiedergefun-den haben. Jetzt ruhen wir uns aus, bis esdunkel wird. Versuche, eine plausible Erklä-rung für das Tageslicht hier zu finden, dannläßt sich auch die Zeit schätzen. Unsere Uh-ren nützen uns da nicht viel, sie zeigenBordzeit an.«

Asmorth erhob sich und schlenderte anden Wänden entlang. Immer wieder sah erhoch zur leuchtenden Decke. Dann kehrte erzu Malthor zurück.

»Einfach und raffiniert zugleich, Gerlo.Die Decke ist künstlich, aus einem transpa-renten Material. Darauf hat sich Sand indünnen Schichten abgelagert, der das Son-nenlicht noch eben durchläßt. Die Tarnungwird durch vereinzelte Steine und Meeres-flora vervollkommnet. Von oben her wirdnichts zu sehen sein, obwohl das Wasser nurwenige Meter tief ist.«

Malthor zeigte sich von dem Vortrag nurwenig beeindruckt.

»Also gut, wenn es hier in der Höhledunkler wird, geht die Sonne unter. Und nunwerde ich schlafen.«

Asmorth suchte sich einen längeren Fels-vorsprung, legte sich ebenfalls hin undschloß die Augen.

Die Erholungspause tat ihnen bestimmtgut, denn das, was jetzt vor ihnen lag, waralles andere als ein Spaziergang.

*

Mit finsterer Miene sah Kapitän Sojul

32 Clark Darlton

hinaus auf das ruhige Meer. Zwar konnte ermit seinen Leuten zufrieden sein, die denAngriff der Piraten erfolgreich abgeschlagenhatten, aber der Verlust der beiden Fremdensamt ihren Wunderwaffen war schmerzlichgenug.

Er hatte mit ihnen seine eigenen Pläne ge-habt, die nun buchstäblich ins Wasser gefal-len waren.

Unter dem Kiel waren nur zehn MeterWasser, aber das half Sojul auch nicht wei-ter. Er würde sich hüten, das sichere Schiffzu verlassen, um einen Rettungsversuch zuunternehmen. Er konnte froh sein, wenn diePiraten ihn in Ruhe ließen und keine Lecksin den Schiffsrumpf bohrten.

Bald würde es dunkel werden, aber er warfest entschlossen, hier noch auszuharren,wenn er auch jeden Augenblick mit einemneuen Angriff rechnen mußte. Die Hälfteseiner Mannschaft hatte er in die Kojen ge-schickt, der Rest lag mit schußbereiten Waf-fen an Deck.

Wenn die Piraten wiederkamen, dann beiNacht.

Sojul überlegte die Konsequenzen, die derVerlust der beiden Passagiere für ihn nachsich ziehen würde. Er hatte sich verpflichtet,sie in die Stadt zu bringen, wo man sie be-reits aus unerfindlichen Gründen erwartete.Ihr Leben mußte so wertvoll sein wie ihreWaffen. Und er, Sojul, hatte kläglich ver-sagt.

Mit denen in der Stadt war nicht zu spa-ßen. Sie konnten ihm verbieten, jemals wie-der Güter vom Festland zu den Städten zubringen, und damit würde er seinen Lebens-unterhalt verlieren. Ihm würde dann keineandere Wahl bleiben, als sich den Piratenanzuschließen. Keine sehr verlockende Aus-sicht.

Er sah zu, wie die Sonne langsam tiefersank und schließlich den Horizont berührte.Es wurde dämmerig und dann schließlichdunkel.

Sojul sorgte dafür, daß auf der Mastspitzedrei brennende Laternen gesetzt wurden, dieweithin zu sehen waren. Bewußt wollte er,

daß man sein Schiff sah, denn er hielt dieentführten Fremden für listig und stark ge-nug, sich früher oder später selbst zu befrei-en, falls sie noch lebten.

Wenn sie tot waren, sollten die Piratensich hüten.

Er selbst, Sojul, würde sich freiwillig zurStrafexpedition melden.

*

Als es völlig dunkel in der Luftkammergeworden war, weckte Malthor den tief undfest schlafenden Asmorth.

»Aufstehen, Jörn. Es dürfte soweit sein.«Asmorth rekelte sich.»Schon? Ich bin doch gerade erst einge-

schlafen.«»Die Sonne ist schon seit zwei Stunden

untergegangen. Wenn überhaupt noch etwashier zu sehen ist, dann kann es nur anLeuchtpflanzen liegen, die sich über derDecke aufhalten. Sie wachsen im Sand.«

Noch einmal riefen sie sich alle Stationenins Gedächtnis zurück, die sie passierenmußten, um ans Ziel zu gelangen. Zuersteinmal Messas Wohnhöhle, damit sie ihredort liegenden Waffen zurückbekamen. Vonda aus zurück ins Wasser und in den Aus-gangskorridor, der ins Meer führte. Hier al-lerdings setzte die Erinnerung der beidenArkoniden begreiflicherweise aus, denn alsman sie herbrachte, hatten sie nicht auf denWeg geachtet.

Immerhin entsann sich Malthor einigermarkanter Stellen, von denen er hoffte, daßer sie wiederfinden würde.

Jeder von ihnen nahm eine der Patronen.Eine Probe überzeugte sie von ihrer Wirk-samkeit. Asmorth blieb sogar drei Minutenmit dem Kopf unter Wasser, und als er wie-der zum Vorschein kam, strahlte das Gesichtüber und über vor Freude.

»Es klappt tadellos, Gerlo! Das ist unsereRettung!«

»Nur gut, daß sie nicht unsere Taschendurchsuchten«, gab Malthor zurück. »Mitmeinen Erfahrungen in der Navigation wer-

Die Wassermenschen von Ketokh 33

den wir den Weg schon finden. Ich machemir nur Sorgen um das Schiff. Hoffentlichhat Sojul es solange ausgehalten …«

»Ich habe auch keine Lust, zum Festlandzurückzuschwimmen.«

Sie gingen vor bis zum Wasserbecken,dessen Tiefe nicht abzuschätzen war.

»Sie müssen eine Möglichkeit zumDruckausgleich haben«, vermutete Asmorth,»sonst müßte das Wasser überall bis zurDecke stehen. Mir jedenfalls kommt dieAtemluft nicht dichter vor, sie scheint alsonicht zusammengepreßt zu werden.«

»Versuche nicht wieder, eine Erklärungzu finden, wir verlieren nur Zeit.«

Sie setzten sich an den Rand des Beckens,dann stiegen sie in das lauwarme Wasser.

Wenig später waren sie verschwunden.

5.

Das Licht in der Gefängniszelle wurdeheller, ein sicheres Zeichen dafür, daß nachOrtszeit der Tag begann und auch im Schiffdie Nacht vorüber war.

Fartuloon hatte schlecht geschlafen. Ermachte sich Sorgen um Atlan, AlgoniaHelgh und die beiden im Strom treibendenArkoniden. Wenn es Akon-Akon gelang, dieISCHTAR wieder schnell startbereit zu ma-chen, war sein Wagnis umsonst gewesen.Immerhin hatte er fünf Kontakte unterbro-chen, das versprach eine angemessene Gal-genfrist für Atlan und die anderen.

Die Tür öffnete sich. Ein Mitglied der Be-satzung brachte das Frühstück.

»Wie lange wollt ihr mich festhalten?«fragte Fartuloon.

Der Mann zuckte die Schultern.»Keine Ahnung, das hängt von Akon-

Akon ab.«»Dann sorge dafür, daß er mich hier her-

ausläßt. Sagt ihm, ich wolle ihn sprechen.«»Ich kann es ja mal versuchen, aber ma-

chen Sie sich keine allzu großen Hoffnun-gen. Er ist wütend auf Sie.«

»Kann ich mir denken.«Fartuloon verzehrte das frugale Frühstück

und trank einen Krug Wasser. Dann warteteer.

Er war sicher, daß die Wartungsroboterund Spezialisten bereits an der Arbeit warenund den Fehler im Bordrechner suchten.Wenn Akon-Akon die Geduld verlor, be-stand die Gefahr, daß er ohne die Hilfe desBordrechners startete. Man mußte versu-chen, ihn hinzuhalten.

Dann hatte Fartuloon eine ganz andereIdee:

Er mußte raus aus der Zelle und versu-chen, bis zur Kommandozentrale vorzudrin-gen. Solange Akon-Akon nicht intensiv anihn dachte, war es vielleicht möglich, sei-nem Einfluß zu entkommen. Mit der Hilfevon drei oder vier Arkoniden war es durch-aus möglich, die ISCHTAR provisorisch zustarten und einige hundert Kilometer vomTal entfernt wieder zu landen. Dazu warkein Bordrechner notwendig.

Aber zuerst mußte er hier heraus.Er beschloß zu warten, bis man ihm wie-

der etwas zu essen brachte. Er mußte denMann überraschen und unschädlich machen.Das zweite Problem war das unbemerkteVordringen bis zur Kommandozentrale.Wahrscheinlich würde in ihr nur ein Mannauf Wache sein. Mit Hilfe des Überra-schungseffekts würde er ihn leicht ausschal-ten können. Und selbst wenn er keinen Ver-bündeten fand, würde er versuchen zu star-ten.

Fartuloon war unbekannt, wie weit Akon-Akons Einfluß reichte. Wahrscheinlich – sohoffte er – würden einige Kilometer Höhebereits genügen, ihn auszuschalten. In die-sem Augenblick hatte er die gesamte anBord der ISCHTAR befindliche Mannschaftauf seiner Seite.

Schnell- und Steilstart also, ohne Ziel.Dann einen neuen Landeplatz suchen …

Das war alles kinderleicht?Dachte Fartuloon.Er dachte es erst recht, als mittags die er-

ste Phase tadellos klappte.Der Arkonide kam arglos in die Zelle und

stellte das Tablett mit Essen und Trinken auf

34 Clark Darlton

den kleinen Tisch. Als er sich wieder auf-richten wollte, sah er Fartuloons massigeFaust auf sich zukommen. Ihm blieb keineZeit mehr, eine Bewegung der Abwehr zumachen. Hart getroffen, verlor er für Sekun-den das Bewußtsein. Fartuloon fing ihn aufund legte ihn auf das Bett. Mit den vorberei-teten Schnüren, die er aus seiner Decke ge-fertigt hatte, fesselte er ihn und steckte ihmeinen Knebel zwischen die Zähne.

»Tut mir Leid, mein Freund«, sagte er, alsder Mann wieder zu sich kam, »aber du hät-test ja doch nicht auf mich gehört. Bleibganz ruhig liegen und versuche nicht, dichzu befreien. In einer Stunde wirst du ganzanders über den Vorfall denken.«

»Mpfmpf«, machte der Geknebelte.Fartuloon nickte befriedigt.»Das ist gut! Der Knebel sitzt also!«Er trat hinaus auf den Korridor und sah

sich nach beiden Seiten um. Niemand warzu sehen. Es herrschte im Schiff echte Mit-tagsruhe.

Er schloß die Tür und marschierte los inRichtung Kommandozentrale. Sehr vorsich-tig war er dabei nicht, denn er hoffte, daßdie Kontrollen während des Tages nicht sostreng waren wie nachts. Außerdem warvielleicht auch nicht allen an Bord befindli-chen Arkoniden bekannt, daß Akon-Akonihn hatte festsetzen lassen.

Unbekümmert benützte er den Antigrav-lift und erreichte bald den Hauptkorridor zurKommandozentrale. Seine heimliche Hoff-nung schien sich zu bestätigen, als er einemArkoniden begegnete, der seinen Gruß ruhigerwiderte und weiterging, ohne Fragen zustellen.

Fartuloon an Bord der ISCHTAR? Daswar doch eine Selbstverständlichkeit …

Fartuloon grinste stillvergnügt in sich hin-ein und ging ebenfalls weiter. Er überlegte,ob Akon-Akon vielleicht die Fähigkeit be-saß, auch Gedanken zu lesen. Dem jungenBurschen war alles zuzutrauen.

Als er sich der Zentrale näherte, wurde esein wenig lebhafter. Schon von weitem hörteer die Diskussionen der Techniker, die dabei

waren, die Fehler im Bordrechner zu suchen.Jeder hatte seine eigene Meinung, und dannmischten sich auch noch die Roboter ein.Der Erfolg war ein allgemeines Durcheinan-der verschiedener Auffassungen, aus denenselbst ein Spezialist nicht mehr schlau wer-den konnte.

»Sucht nur!« freute sich Fartuloon undhätte seinen kleinen Finger dafür gegeben,wenn Atlan dabei gewesen wäre. Dumm wa-ren die Techniker und Spezialisten nicht,aber übereifrig. Und das machte sie hin undwieder ein wenig blind für die Argumenteanderer.

Die Tür zum Kontrollraum des Bordrech-ners stand offen. Er mußte an ihr vorbei, umdie Kommandozentrale zu erreichen. Vor-sichtshalber blieb er erst einmal stehen unddrückte sich gegen die Wand.

»WR-VII, halten Sie den Mund!« rief ge-rade einer der Techniker und meinte offen-sichtlich Wartungsroboter Sieben. »Sie sol-len die Fehlerquelle suchen und keine philo-sophischen Betrachtungen anstellen. Glau-ben Sie denn wirklich, den Kontaktbruchfinden zu können, wenn Sie die Psyche Far-tuloons analysieren?«

»Die Charaktereigenschaften einer orga-nischen Intelligenz geben Aufschluß überseine Handlungen und Motive«, entgegneteder Roboter mit seiner seelenlosen Stimme.»Nur wenn wir das berücksichtigen, werdenwir den Fehler finden.«

»Ich verlasse mich da mehr auf unsere In-strumente und die Technik, WR-VII. Ausge-rechnet ein Robot muß von Emotionen re-den! Das ist allerhand!«

Ein anderer Techniker schlug vor:»Statt uns zu streiten, sollten wir uns be-

mühen, die ISCHTAR startbereit zu ma-chen. Akon-Akon hat es befohlen.«

Es war, als strahle allein der Name schoneine hypnotische Wirkung aus, denn sofortherrschte absolutes Schweigen, wenn manvon den Geräuschen der eingesetzten Meß-instrumente absah.

Die sind genug mit sich selbst beschäftigt,dachte Fartuloon. An der Wand entlang sch-

Die Wassermenschen von Ketokh 35

lich er weiter und sah vorsichtig in denRechnerraum. Techniker und Roboter bilde-ten ein wirres Knäuel um die Kontrolltafeln,aus denen Leitungen und andere technischeEingeweide heraushingen. Es sah so aus, alswollten sie die ganze Anlage auseinander-nehmen.

Das wird sie noch länger beschäftigen,dachte Fartuloon und huschte mit einemschnellen Satz an der Tür vorbei, aber je-mand mußte ihn trotzdem bemerkt haben.

»He, was suchen Sie hier?« rief dieser Je-mand, und dann wurde seine Stimme lauter:»Bleiben Sie stehen!«

Fartuloon dachte nicht im Traum daran,stehenzubleiben, und schon gar nicht sodicht vor dem Ziel. Er begann zu laufen, wasden Verdacht des Rufenden nur noch ver-stärkte, der sonst vielleicht einfach zu demBordrechner zurückgekehrt wäre.

Das Wettrennen, das sich zwangsläufigaus der Situation entwickelte, endete vor derTür zur Kommandozentrale. Sie war ver-schlossen, und ehe Fartuloon sie positro-nisch mit dem Kodewort öffnen konnte, warder Techniker hinter ihm. Und nicht nur er,sondern gleichzeitig drei Roboter und vierArkoniden. Sie waren alle bewaffnet.

»Fartuloon, Sie schon wieder?« fragte ei-ner überrascht. »Hat Akon-Akon Sie dennfreigelassen?«

»Das wißt ihr nicht?« Fartuloon reagiertemit einer bewundernswerten Geistesgegen-wart. »Repariert den Bordrechner und laßtmich in Ruhe.«

»So einfach ist das nicht, wir benötigenerst einmal die Bestätigung durch Akon-Akon.«

»Der schläft jetzt«, erwiderte Fartuloonspontan. »Wenn ihr ihn weckt, wird er wü-tend. Geht zurück an eure Arbeit, Männer.«

»Und du gehst zurück ins Gefängnis«,meinte einer der Techniker. Fartuloon hatteihn noch nie leiden mögen, und jetzt erstrecht nicht. Der Kerl besaß die Frechheit,ihn auch noch zu duzen. »Geh schon, ichbringe dich hin.«

»Sind wir miteinander verwandt?« erkun-

digte sich Fartuloon.»Gehen Sie schon!« verbesserte sich der

Arkonide.Fartuloon seufzte.»Die Zeiten ändern sich, dann werden Sie

sich aber wundern, was ich Ihnen für Extra-wachen aufbrummen werde. Ihre Ausbil-dung war ein Kindergarten dagegen.«

»Ihre Drohung ist sinnlos, denn Akon-Akon wird es nicht zulassen, daß Sie wiederhier herumkommandieren. Sie sind unbe-waffnet, machen Sie also keinen Unsinn! Eswürde uns leid tun, wenn wir Sie töten müß-ten – und das werden wir, wenn Sie nichtgehorchen.«

Fartuloon glaubte, zerplatzen zu müssen.»Ach so, Akon-Akon wird es nicht zulas-

sen?« äffte er den Techniker nach. »Seitwann könnt ihr Altarkonidisch sprechen, ihrSchlauköpfe? Vielleicht habt ihr seine ge-danklich ausgestrahlten Befehle mißverstan-den und rennt umsonst hinter mir her, stattmal zu überlegen, was überhaupt gespieltwird.«

Sie zögerten, stellte Fartuloon überraschtfest. Vielleicht wurde Akon-Akons Einflußschwächer, wenn er schlief. Er selbst jeden-falls spürte ihn im Augenblick nicht.

»Wie auch immer«, erinnerte sich derTechniker an seine ursprüngliche Aufgabe,»wir müssen den Bordrechner reparieren,den Sie beschädigt haben. Kehren Sie in IhreZelle zurück, damit wir ungestört arbeitenkönnen.« Er hob seine Waffe. »Und zwarohne weitere Argumente, wenn ich bittendarf.«

An den Mienen der anderen Arkonidenerkannte Fartuloon, daß sie es mit ihrer Dro-hung ernst meinten.

Ihm blieb keine andere Wahl, als sich derÜbermacht zu fügen.

»Also gut«, sagte er zähneknirschend,»ihr wollt es nicht anders. Aber ihr werdetes bereuen, das verspreche ich euch.« Er sahden Techniker wütend an. »Besonders Sie!«

Ohne eine Antwort abzuwarten, ging eran ihnen vorbei, den Weg zurück, den er ge-kommen war. Zwei der Arkoniden und ein

36 Clark Darlton

Roboter folgten ihm bis zur Zellentür, diesie hinter ihm verschlossen.

Erst als Fartuloon in dem engen Raumstand, kam ihm zu Bewußtsein, daß er einenLeidensgefährten erhalten hatte.

Man hatte vergessen, den von ihm gefes-selten Wärter zu befreien.

Trotz seiner nicht gerade beneidenswertenLage mußte Fartuloon lachen. Er löste dieFesseln und den Knebel und setzte sich.

»Tut mir leid, mein Freund, ich hätte Siespäter schon herausgeholt, aber jetzt müssenwir bis zur nächsten Mahlzeit warten. Unddie ist erst abends.«

Der Mann gab keine Antwort. Dumpfbrütete er vor sich hin und warf Fartuloonfinstere Blicke zu. Er schien völlig unterAkon-Akons Einfluß zu stehen und keinemArgument zugänglich zu sein.

Und auch Fartuloon spürte, wie der zwin-gende Geist des unheimlichen Jünglings vonSekunde zu Sekunde wieder Macht über ihngewann.

Seine Chance war vertan.

*

Obwohl es finstere Nacht war, herrschtein dem Unterwasserreich keine völlige Dun-kelheit. Vielleicht waren es phosphoreszie-rende Pflanzen, die an den Wänden desüberfluteten Kanals wuchsen und einen mat-ten, grünlichen Schimmer verbreiteten.

Malthor und Asmorth ließen sich Zeit, umnicht so schnell zu ermüden. Alle dreißigSekunden nahmen sie einen erlösenden Zugaus der Sauerstoffpatrone.

Einmal passierten sie eine Abzweigungund zögerten. Malthor deutete zur linkenSeite. Er war sicher, daß sie von dort ge-kommen waren, denn er entsann sich, daßdie ihn haltenden Julkas nach rechts abgebo-gen waren.

Vor ihnen wurde es heller. Sie schwam-men langsamer und dicht unter der Decke,um das Ausstiegsbecken nicht zu verpassen.Fünf Minuten waren sie nun unter dem Was-ser, Zeit und Entfernung konnten stimmen.

Das Licht kam näher, und dann war es di-rekt über ihnen.

Vorsichtig tauchten sie auf und vermiedenjedes Geräusch. Sie sahen auf den erstenBlick, daß sie tatsächlich in Messas Wohn-höhle gelandet waren. An den Wändenbrannten noch ein paar der Fackeln, die mei-sten waren bereits erloschen.

Auf den primitiven Lagern ruhten die Jul-kas der Sippe und schliefen. Es gab keineWachen.

Malthor zog sich behutsam am Rand desBeckens hoch, um einen besseren Überblickzu gewinnen. Asmorth, der dicht neben ihmwar, flüsterte:

»Kannst du sie sehen?«Er meinte die Impulsstrahler.Malthor drückte ihm seine flache Hand

auf den Mund und nickte.Die beiden Waffen lagen auf einem er-

höhten Steinsockel über den Schlafstättender Julkas. In dieser seltsamen Umgebungwirkten sie neben den Speeren und Harpu-nen wie ein Anachronismus, mehr noch alsauf dem Meer oder an Land.

Malthor gab Asmorth zu verstehen, daß erim Wasserbecken bleiben solle, während erversuchen wollte, die Waffen zu holen, ohnejemand von Messas Piratensippe aufzu-wecken.

Asmorth hielt sich am Felsrand fest undhalf Malthor beim Hinausklettern. Keinerder Julkas rührte sich. Sie schliefen wie dieToten. Der Angriff auf Sojuls Schiff mußtesie total erschöpft haben.

Malthor kroch auf allen vieren und be-mühte sich, jedes auch noch so geringfügigeGeräusch zu vermeiden. Der Schein der letz-ten Fackeln half ihm dabei, im Weg liegendeGegenstände zu umrunden. Er kam den be-gehrten Strahlern immer näher.

Er mußte zwischen zwei Lagerstätten hin-durch, auf denen jeweils zwei oder drei Jul-kas ruhten. Darüber am Kopfende war derSteinsockel, etwa in anderthalb Meter Höhe.Um sie zu erreichen, mußte Malthor sichaufrichten.

Damit gab er jede Deckung auf und setzte

Die Wassermenschen von Ketokh 37

sich voll dem Licht der Fackeln aus, die baldausgebrannt sein mußten. Wieder fragte ersich vergeblich, nach welchem System dieEntlüftung funktionierte, denn normalerwei-se hätten die Julkas es hier vor Qualm undGestank nicht aushalten können. Aber dieLuft war frisch wie überall hier unten.

Auch war merkwürdig, daß die Piratenauf dem Trockenen schliefen, obwohl dasWasser viel eher ihr eigentliches Elementwar. Immerhin hatten sie feuchte Tücherüber sich gelegt, um nicht auszutrocknen.

Deutlich erkannte Malthor die seltsamen,gelben Flecke auf den Kopfspitzen, die dasFackellicht matt reflektierten.

Er fühlte eine unbeschreibliche Erleichte-rung, als seine Hand den Griff der erstenWaffe berührte, die er vom Steinsockel hobund sofort entsicherte. Sie war noch immerauf Narkose geschaltet. Dann erst nahm erdie zweite und behielt sie in der linkenHand. Schnell kehrte er jetzt zum Wasser-becken zurück, wo Asmorth ihn sehnsüchtigerwartete und ihm die Hand entgegenstreck-te.

»Na also!« flüsterte er triumphierend.Malthor bückte sich, ohne ins Wasser zu

steigen.»Bist du sicher, daß wir den Weg zum

Meer hinaus finden?«»Ich glaube schon, es kann nicht so weit

sein. Aber es wäre gut, wenn wir einen grö-ßeren Vorsprung erhielten.«

Einer der Julkas drehte sich auf die andereSeite. Seine Decke klatschte auf den Stein-boden. Dann trat wieder Ruhe ein.

»Wie meinst du das?«»Wir müssen Messas Sippe paralysieren.«Malthor dachte darüber nach und kam zu

dem Ergebnis, daß Asmorths Vorschlag gutwar. Eine Narkose konnte den Julkas nichtschaden, und bis sie erwachten, schwammenihre entflohenen Gefangenen längst auf demMeer.

»Noch etwas«, erinnerte ihn Asmorth.»Als uns die Piraten hierher brachten, ka-men wir nicht aus diesem Becken heraus,sondern sie führten uns noch durch einige

Gänge. Es ist besser, wir versuchen ihnen zufolgen, ehe wir wieder tauchen.«

»Einverstanden. Betäuben wir die Piratenzuerst, ehe einer Alarm schlägt.«

Sie bestrichen den Raum mit den paraly-sierenden Energiebündeln. Diese Dosis wür-de ihrer Schätzung nach für etwa drei bisvier Stunden Lähmschlaf reichen, aber dasie den Metabolismus der Julkas nicht kann-ten, waren sie sich ihrer Sache nicht sicher.Schaden würde ihnen die Behandlung jeden-falls kaum.

Nach einigem Suchen entdeckten sie denGang. Asmorth hatte eine der Fackeln ausdem Wandspalt genommen und leuchtete.Sie passierten mehrere leere Höhlen undGänge, bis sie wieder vor einem Wasser-becken standen. Es mußte das sein, durchdas man sie gebracht hatte.

Sorgfältig befestigten sie ihre Waffen imGürtel, damit sie während des Tauchens undSchwimmens nicht verlorengingen. Die Sau-erstoffkapseln, die einzige Garantie für einGelingen der gewagten Flucht, behielten siein der Hand.

»Na, dann los!« meinte Asmorth leise undließ sich ins Wasser sinken.

Sie atmeten mehrmals durch, dann tauch-ten sie.

Schnell gewöhnten sie sich wieder an dasgrünliche Leuchten, das ihnen die Grenzendes Unterwasserkanals verriet. Die kleinenAbzweigungen ignorierten sie und hieltensich in der Mitte, obwohl sich beide nichtmehr so genau an den Weg erinnern konn-ten. Aber seiner Breite und Tiefe nach zu ur-teilen, schien es sich um einen Hauptkorri-dor zu handeln. Malthor glaubte sogar eineleichte Gegenströmung zu bemerken. Er ent-sann sich, daß Ketokh einen Mond besaß.Vielleicht setzte gerade die Flut ein.

Rechts und links wichen die Seitenwändeallmählich zurück, das phosphoreszierendeSchimmern schien schwächer zu werden. Ander Decke hingegen hörte das Leuchten ab-rupt auf. Dafür erschien ein verschwomme-ner, rötlicher Fleck, der wie eine Fackel imWind flackerte, als wolle er jeden Augen-

38 Clark Darlton

blick erlöschen.Der Mond! dachte Malthor erregt. Wir ha-

ben es geschafft …Asmorth berührte ihn mit der freien Hand

und zog ihn nach oben.Als ihre Köpfe die Oberfläche durchbra-

chen, atmeten sie die reine, frische Luft desMeeres und schwammen in einer leichtenDünung. Am Druckunterschied konnten sieabschätzen, daß der Eingang zum Reich derPiraten etwa zwanzig Meter unter ihnen war.

Das Licht des roten Mondes spiegelte sichauf der kaum bewegten Oberfläche des Mee-res, das sich nach allen Seiten bis zum Hori-zont erstreckte. Wenn Sojul es sich andersüberlegt hatte und weitergefahren war, waralles vergebens gewesen. Dann konnten sieauch gleich wieder hinabtauchen und in ihrGefängnis zurückkehren.

»Dort drüben – siehst du die Lichter? Dasmuß er sein!«

Malthor hatte die drei Lampen auch schongesehen. Sojul war also klug genug gewe-sen, trotz der damit verbundenen GefahrLichter zu setzen. Er rechnete mit der Fluchtder beiden Fremden, von denen er eine Men-ge zu halten schien.

»Dann los, ehe die Piraten kommen«, gabMalthor zurück.

Die Sauerstoffpatronen hatten sie wiedersorgfältig verstaut, denn vielleicht würdeman sie noch einmal gebrauchen. Mitgleichmäßigen Schwimmbewegungen streb-ten sie auf die drei Lichter zu, die zwei oderdrei Kilometer entfernt sein mochten.

Malthor mußte unwillkürlich an gefährli-che Wasserbewohner denken, die es hiervielleicht gab. Wenn Raubfische sie jetzt an-griffen, konnten sie diese kaum abwehren.

Allmählich nur schälten sich die dunklenUmrisse des Schiffes aus der Nacht herausund erhielten erkennbare Formen. Vorn ander Bugspitze war der Schatten einer Wachezu erkennen, weil der Mond schräg dahinterstand.

Malthor gab Asmorth ein Zeichen, sichruhig zu verhalten. Man würde sie vielleichtfür Piraten halten und mit einem Geschoßha-

gel empfangen. Es galt daher, sich rechtzei-tig zu erkennen zu geben.

Als sie die schwarze Bordwand vor sichauftauchen sahen, rief Malthor nach oben:

»Sojul! Wir sind es, deine beiden Passa-giere! Helft uns an Bord!«

Sofort wurde es oben lebendig, ein siche-res Zeichen dafür, daß Sojuls Mannschaftnicht geschlafen hatte. Über der Reling er-schienen Spitzköpfe, und einer schwankteeine brennende Fackel, um besser sehen zukönnen. Dann schien man sicher zu sein,sich nicht getäuscht zu haben.

Sojuls Stimme war unverkennbar, als errief:

»Dachte ich es mir doch, daß ihr ihnenentwischt! Wartet, wir lassen eine Leiterhinab. Kommt herauf!«

Wenig später klatschte das Ende einerStrickleiter ins Wasser. Asmorth erwischtees zuerst und kletterte hinauf, während Malt-hor es festhielt. Dann folgte er nach.

Sojul begrüßte sie in seiner etwas grob er-scheinenden Art, der jedoch die Erleichte-rung anzuspüren war, die Vermißten wiederan Bord zu wissen. Noch während Asmorthzu berichten versuchte, wurde der Anker ge-lichtet und der Motor angeworfen. Tuckerndsetzte sich der Lastkahn in Bewegung.

Von der Reling her brüllte jemand:»Die Piraten! Sie kommen!«Malthor und Asmorth, die keine Lust ver-

spürten, als Gefangene in das Unterwasser-reich zurückzukehren, lösten die Strahler ausihrer Halterung und entsicherten sie. Provi-sorisch trockneten sie den äußeren Mecha-nismus an einem Stück Tuch ab, das anDeck lag.

»Bleiben wir auf Narkose?« fragte Asm-roth.

»Ja, sie haben uns nicht töten wollen.«Als sie an der Reling standen und hinab

auf das Meer blickten, sahen sie im rötlichenSchimmer des Mondes die spitzen Köpfe derJulkas. Wie viele noch unter Wasserschwammen und das Schiff verfolgten, ließsich nicht abschätzen, aber sicher waren sieschneller.

Die Wassermenschen von Ketokh 39

»Wir müssen uns beeilen«, riet Malthorund richtete seine Waffe auf die dunklenPunkte im Wasser.

Die beiden Arkoniden wußten, daß dieWirkung der energetischen Paralysebündelbis tief unter die Wasseroberfläche reichte.Sie hatten demnach nichts anders zu tun, alsdas Meer systematisch abzustreichen, umsämtliche Verfolger abzuschütteln. Die Pira-ten würden nicht so schnell ertrinken, auchwenn sie für ein oder zwei Stunden bewußt-los waren und vielleicht auf den hier nichtsehr tiefen Meeresgrund sanken.

Auch Sojuls Leute schossen mit ihrenDonnerbüchsen, aber viel Schaden konntensie damit nicht mehr anrichten, denn fast allePiratenköpfe waren bereits verschwunden.Der Angriff war abgeschlagen, ehe er richtigbegonnen hatte.

Sojul näherte sich seinen Passagieren infast demütiger Haltung.

»Ihr habt sie alle getötet?« fragte er scheu.Malthor wollte ihn im unklaren lassen und

kam Asmorth zuvor:»Wahrscheinlich sind sie alle tot, Sojul, es

kann aber auch sein, daß einige gerettet wer-den können. Jedenfalls werden sie deinSchiff nicht mehr angreifen.«

»Ihr habt gewaltige Waffen.«»Ja, mit ihnen lassen sich ganze Völker-

stämme besiegen.«»Müßt ihr deshalb zur Stadt?«»Vielleicht, Sojul. – Dürfen wir nun in

unsere Kabine? Wir sind müde und hungrig.Morgen haben wir noch viel Zeit zum Re-den.«

Das mit dem »Reden« war natürlich leichtübertrieben, denn Sojuls Vokabular warnicht so groß wie das von Tossel, der anLand zurückgeblieben war. Immerhin wareine Verständigung möglich, das war dieHauptsache.

Sie zogen sich aus, um die Kleider zutrocknen. Von Wasser hatten sie nun end-gültig genug, und richtiges Ausschlafen wä-re jetzt auch nicht schlecht. Sie aßen eineKleinigkeit und streckten sich dann auf ih-rem Lager aus.

An der Rückwand hörten sie das beruhi-gende Plätschern, das ihnen schon vertrautklang und ihnen verriet, daß ihr Schiff guteFahrt machte. Jede Minute brachte sie näheran eine der rätselhaften schwimmendenStädte heran, die ihr unfreiwilliges Ziel war.

Welches Geheimnis bargen sie?Saßen dort die Mächtigen dieses seltsa-

men Planeten?Malthor lauschte plötzlich. Ihm war, als

hätte er unter sich ein Geräusch gehört – wieein Schaben oder Kratzen.

Er fragte Asmorth, aber der schlief schonhalb und meinte, er wolle in Ruhe gelassenwerden.

Malthor lauschte weiter, bis er es wiederhörte.

Dann war Stille, bis auf das Vorbeirau-schen des Wassers.

Vielleicht eine Täuschung, beruhigte sichMalthor. Meine Nerven sind überreizt, undich bin nervös. Ich sollte lieber schlafen …

Er schloß die Augen.Es dauerte auch nicht lange, dann verkün-

deten seine gleichmäßigen Atemzüge, daß ereingeschlafen war.

Die Kabinentür war verschlossen.

6.

Als Malthor am anderen Tag an Deckkam, scheuchte Sojul gerade einige seinerLeute zum Heck und schickte ein paarSchimpfworte hinter ihnen her – wenigstensnahm Malthor an, daß es keine Liebeserklä-rungen waren.

Als er Sojul erreichte, stand dieser hinterdem Steuerruder, das er heute selbst bedien-te. Er achtete kaum auf den Gruß seines Pas-sagiers, sondern bewegte das große Rad prü-fend hin und her. Mehrmals ging sein Blickzum Horizont in Fahrtrichtung, dann sah erwieder nach rechts und nach links. Es schi-en, als suche er etwas.

Malthor beschloß, sich selbst nicht längerauf die Folter zu spannen.

»Du bist heute nicht sehr zufrieden?«fragte er nach der kurzen Begrüßung.

40 Clark Darlton

Sojul sah ihn kaum an, bequemte sichaber doch zu einer Antwort:

»Wir sind vom Kurs abgekommen. DerMann am Steuer muß in der Nacht einge-schlafen sein. Aber das wäre nicht soschlimm. Viel schlimmer ist, daß mit demRuder etwas nicht in Ordnung ist.«

Es dauerte fast eine halbe Stunde, bisMalthor verstanden hatte, was der Kapitänmeinte, aber es ging schon besser als am er-sten Tag der Reise.

»Mit dem Ruder? Was soll damit sein?«»Es ist nicht nur das Ruder. Wir haben

außerdem noch ein Leck. Wahrscheinlichkamen die Piraten doch bis unter den Kiel,ehe ihr sie verscheuchen konntet.«

Malthor entsann sich des nächtlichen Ge-räusches, das er gehört hatte. Er berichteteSojul davon.

»Dann war es einer, der später nach-schwamm. Das tun sie selten. Sie verlassennur ungern die Untiefen, weil es im offenenMeer die Raubfische gibt, ihre und unsereTodfeinde. Er hat das Ruder beschädigt undein Leck gebohrt, aber er wurde offensicht-lich mit seiner Arbeit nicht fertig, sonst lä-gen wir schon auf dem Grund des Meeres.Diesmal waren die Raubfische unsere Ver-bündeten. Denen ist es egal, wen sie auffres-sen, wenn es nur ein Julka ist …«

Malthor blickte sich um. Nach allen Sei-ten erstreckte sich das Meer bis zum Hori-zont. Sonst war nichts zu sehen. Der Him-mel war tiefblau und wolkenlos. Die Sonnestand noch nicht sehr hoch. Rechts lag überder Trennungslinie zwischen Wasser undHimmel eine trübe Luftschicht.

Sojul hatte seine suchenden Blicke be-merkt, denn er meinte:

»Keine Stadt in Sicht, Freund. Ich weißnicht, wie weit wir vom Kurs abgekommensind. Aber das ist es nicht, was mir im Au-genblick Sorgen bereitet.«

»Das Leck, nicht wahr?«»Einige meiner Leute sind an den Pum-

pen. Wir können es jetzt nicht abdichten.Aber siehst du den dunklen Streifen am Ho-rizont? Das bedeutet Sturm.«

Der fehlt uns gerade noch, dachte Malthorerschrocken. Ein halbes Wrack, und dannnoch Sturm …!

»Hält das Ruder wenigstens?«»Einigermaßen.«Sie schwiegen. Asmorth erschien nun

ebenfalls an Deck und wurde von der Situa-tion unterrichtet. Er schien nicht sonderlichbeeindruckt zu sein.

»Wir können ja für den Notfall Flöße mitSegeln bauen«, meinte er dann. Seiner Stim-me war anzumerken, daß er es mit seinemVorschlag nicht so ganz ernst meinte.»Außerdem kann ich mir nicht vorstellen,daß ein Sturm diesem plumpen Kahn etwasausmacht.«

Sojul brummte etwas, aber es blieb unver-ständlich.

Malthor ging zur Reling, an der einigeJulkas standen und ins Wasser hinabdeute-ten. Auch Asmorth verließ den Kapitän, dergenug mit seinem defekten Ruder zu tunhatte.

Dunkle und flinke Schatten begleitetendas Schiff dicht unter der Wasseroberfläche.Im ersten Augenblick glaubte Malthor, diePiraten hätten nun doch die Verfolgung wie-der aufgenommen, aber dann erkannte erseinen Irrtum Einer der schlanken Schattenschoß hoch und streckte das mit spitzenZahnreihen bestückte Maul aus dem Wasser.

Raubfische!Es waren mindestens zwanzig Stück, die

neben dem Schiff her schwammen, so alsahnten sie, daß bald ein Sturm kam, der ih-nen neue Beute verschaffen würde.

Asmorth nahm den Strahler und schalteteihn auf volle Leistung. Sorgfältig visierte erdas Rudel an und schoß. Das grelle Energie-bündel, stark gefächert, wurde vom Wassernicht reflektiert, sondern drang in es ein underreichte die Fische.

Es entstanden ein gutes Dutzend schäu-mender Strudel, die schnell zurückblieben,dann trieben die toten Räuber auf dem Meerdahin und versanken mit der Entfernung.

Die zuschauenden Julkas hatten den Vor-gang voller Staunen verfolgt, aber jetzt

Die Wassermenschen von Ketokh 41

brach der Bann. Jubelnd umringten sie denfast verlegen wirkenden Asmorth, der seineWaffe wieder gesichert und in den Gürtelgeschoben hatte. Auch Kapitän Sojul, sonstsehr sparsam mit lobenden Worten, brüllteihm vom Steuer her seine Anerkennung zu.

Malthor ging zu ihm.»Du hast gesehen, daß wir die Raubfische

vom Schiff fernhalten können. Wie wäre es,wenn du einige deiner Leute zum Ruder tau-chen ließest, um es zu reparieren? Wir be-schützen sie.«

Sojul erklärte sich nach einigem Überle-gen damit einverstanden.

Er bestimmte drei Julkas. Sie hatten ander Reling gestanden und gesehen, was As-morth mit seiner Waffe erreichte. Das schienihnen Zuversicht einzuflößen, denn sie argu-mentierten nicht. Mit Werkzeugen versehen,kletterten sie an der herabgelassenen Leiterins Wasser, nachdem der Motor abgestelltworden war.

Malthor und Asmorth bezogen am Heckihre Stellungen. Das Schiff lag nun ruhigund machte keine Fahrt. Die noch immerleichte Dünung behinderte die Sicht kaum,zumal das Wasser unwahrscheinlich klarwar. Bis zum Grund hinab allerdings konnteman hier nicht sehen.

Aber man sah die drei Julkas, die wie dieFische hinabtauchten und sich an dem be-schädigten Ruder zu schaffen machten.

Sojul gesellte sich zu den beiden Arkoni-den.

»Die Sturmfront kommt näher«, teilte erihnen mit.

In der Tat schien die trübe Luftschicht hö-her geworden zu sein, und ein wenig dunk-ler. Es war fast windstill, eine nicht unge-wöhnliche Erscheinung vor einem Orkan.Das war auf fast allen Welten ähnlich.

Asmorth deutete aufs Meer hinaus.»Ich glaube, die Raubfische kommen«,

sagte er und legte den Lauf seiner Waffe aufdie Reling, um ruhiger zielen zu können.»Wir müssen aufpassen.«

Malthor tat es ihm nach, während Sojulneugierig zusah.

Die Fische schwammen fast an der Ober-fläche und waren daher gut zu erkennen. Sienäherten sich mit relativ hoher Geschwin-digkeit, so, als hätten sie ihre Beute längstgewittert. Etwa hundert Meter vom Schiffentfernt schwärmten sie aus und schossendann aus verschiedenen Richtungen heran.

Malthor und Asmorth eröffneten gleich-zeitig das Feuer, und es dauerte keine fünfSekunden, da trieben die gierigen Räubermit dem Bauch nach oben in der Dünung.Einer allerdings hatte wohl einen größerenBogen gemacht und kam von der Seite. Ei-ner der Julkas rief den Arkoniden eine War-nung zu. Malthor reagierte schnell undkonnte den Angreifer wenige Meter vor sei-nem Ziel noch erwischen.

»Deine Leute werden einen leichten elek-trischen Schlag verspürt haben«, sagte er zuSojul. »Hoffentlich haben sie sich nicht zusehr erschreckt.«

Sie hatten noch zwei weitere Angriffe ab-zuwehren, dann schienen die Raubfische be-griffen zu haben, daß ihnen von diesemSchiff aus eine tödliche Gefahr drohte. Estauchten keine mehr auf. Allerdings bestandnoch immer die Gefahr, daß sie nun von derTiefe her angriffen, aber zum Glück kehrtendie drei Julkas an Bord zurück und melde-ten, daß sie das Ruder wieder richtig befe-stigt hätten. An dem Leck allerdings seinichts zu machen.

Sojul gab ihnen ein paar Stunden dienst-frei und kehrte zum Ruder zurück, um es aufseine Tüchtigkeit zu überprüfen. Er warf denMotor an und legte das Schiff auf Kurs.Nach kurzer Zeit teilte er mit, daß er zufrie-den sei.

Gegen Mittag war fast ein Drittel desHimmels mit der grau gefärbten Wolken-schicht bedeckt. Der Wind frischte allmäh-lich auf.

Malthor und Asmorth beobachteten dasNaturschauspiel, während Sojul alles Be-wegliche an und unter Deck vorsorglich be-festigen ließ.

»Ich glaube, er übertreibt ein wenig«,meinte Asmorth.

42 Clark Darlton

»Hm, ich weiß nicht. Schließlich kennt erdieses Meer besser als wir. Vielleicht solltenwir doch versuchen, mit Hilfe unserer Aus-rüstung die Stadt anzumessen und ihm denrichtigen Kurs verraten.«

»Lieber nicht, Malthor. Sie kennen schonunsere Waffen, das reicht. Wenn die Julkaserfahren, was wir noch alles bei uns habenund was wir damit anfangen können, werdensie noch verrückter darauf, uns alles abzu-nehmen. Je weniger sie wissen, desto bes-ser.«

»Vielleicht hast du recht. Heben wir unsdas für den Notfall auf.«

Und dann stand der Rand der Wolke ge-nau über dem Schiff im Zenit.

*

Für einen Augenblick trat völlige Wind-stille ein, dann brach der Orkan los. Er kammit solcher Plötzlichkeit und Wucht, daßsich der plump gebaute Lastkahn auf dieSeite legte und zu kentern drohte. Dann aberrichtete er sich wieder auf und stellte denBug gehorsam gegen den Wind.

Sojul und zwei seiner Männer hielten dasRuder. Der Motor lief mit voller Kraft, aberMalthor war überzeugt, daß sie keinen Me-ter vorankamen.

Neben Asmorth lag er geduckt hinter eini-gen Vorbauten, die gegen den Sturm und dieBrecher einigermaßen Schutz boten.

Ihre ursprüngliche Aufgabe hatten sie sogut wie vergessen. Keiner von ihnen glaubtenoch daran, daß ihnen andere Arkoniden ge-folgt waren. Hinzu kam, daß sie gar nichtanders hätten handeln können, ohne sichnoch mehr in Gefahr zu begeben. Ihre einzi-ge Hoffnung war, eine schwimmende Stadtzu erreichen, auf der so etwas wie die Obrig-keit der Julkas sein mußte. Diese um Hilfegegen Akon-Akon zu bitten, war alles, wassie noch tun konnten.

Wer aber war diese Obrigkeit? Darüberhatten sie bisher noch nichts erfahren kön-nen.

Ein neuer Brecher überschüttete sie mit

Meerwasser.Sie klammerten sich mühsam fest, und als

sie wieder sehen konnten, stellten sie zu ih-rem Schrecken fest, daß am Ruder nur nochzwei Julkas standen.

Der dritte war verschwunden.»Bleib liegen«, sagte Asmorth und be-

gann, nach vorn zu kriechen, obwohl immerneue Brecher über Bord kamen. »Ich bindünner …«

Malthor wollte ihn daran hindern, aber eswar schon zu spät. Asmorth war bereits au-ßer Reichweite, und das Heulen des Sturmesverschluckte jedes Wort. Er duckte sich wie-der und klammerte sich fest, um nicht überBord gespült zu werden.

Es schien Ewigkeiten zu dauern, bis As-morth zurückkehrte. Erschöpft ließ er sich indie Mulde fallen und hielt sich an den Auf-bauten fest. Er mußte brüllen, damit Malthorihn verstand.

»Es war Sojul! Der Brecher schleuderteihn gegen den Mast und dann ins Meer. Erist verloren, denn niemand kann ihm hel-fen.«

»Sojul!« Malthor war ehrlich er-schrocken, denn er hatte längst begriffen,daß der Kapitän der einzige Julka war, derrichtig mit dem Schiff umgehen konnte.»Ausgerechnet! Was nun?«

»Nichts! Wir müssen warten, bis derSturm abflaut. Am Horizont wird es bereitsheller. Noch ein oder zwei Stunden, dann ister vorbei.«

»Die beiden Julkas am Steuerruder – wasist mit ihnen?«

»Sie haben es festgebunden und sichselbst auch. Mehr ist nicht zu machen.«

»Hoffentlich gibt es hier keine Klippen.«Das war eine Hoffnung, die Asmorth teil-

te.Schwer stampfte das Schiff gegen die im-

mer höher anrollenden Wogen, über die esträge dahinglitt, um so schneller wieder indas nachfolgende Wellental hinabzugleiten.Mehr als nur einmal wurde fast das ganzeDeck überflutet und alles, was nicht fest ver-täut war, über Bord gespült.

Die Wassermenschen von Ketokh 43

Nach einer Stunde begann der Sturm ab-zuflauen, wie Asmorth es vorausgesagt hat-te. Allerdings würde es noch lange dauern,bis sich das Meer beruhigte.

Sie hangelten sich vor zum Ruder. Einerder Julkas machte einen halbwegs intelligen-ten Eindruck. Eine Verständigung war mög-lich.

»Der Kapitän ist tot«, teilte er mit.»In einem solchen Sturm finden die Raub-

fische reiche Beute. Wir konnten ihm nichthelfen.«

»Du kennst den Kurs zur nächsten Stadt?«fragte Malthor.

»Wir fahren in der ursprünglichen Rich-tung weiter, ich weiß auch nicht mehr alsSojul. Wir können nur hoffen.«

Asmorth sagte:»Gerlo, wir haben keine andere Wahl, als

ihnen zu helfen, sonst treiben wir noch wo-chenlang auf dem Meer herum. Mit demMassetaster müßte es gelingen, die nächsteschwimmende Stadt zu orten.«

»Ich fürchte, du hast recht, Jörn. Erledigedas aber in der Kabine und überbringe mirdie Daten. Ich will versuchen, den Kurs hieroben zu korrigieren.«

Asmorth begab sich schwankend vonDeck.

Es war ein Glück, daß es fast windstill ge-worden war, wenn auch noch immer Bre-cher über die Reling spülten und das Decküberfluteten. Allmählich wagten sich auchdie anderen Julkas wieder aus ihren Ver-stecken hervor und begannen damit, dieschlimmsten Schäden zu beheben. Den Ver-lust ihres Kapitäns nahmen sie mit stoischerRuhe zur Kenntnis.

Ihnen schien es egal zu sein, ob sie ihrZiel in einem Tag oder erst in drei Monatenerreichten.

Asmorth kehrte nach einiger Zeit an Deckzurück.

»Die Entfernung läßt sich nicht genau be-stimmen, da die Werte aus mir nicht erklär-baren Gründen ständig schwanken. Aber ichhabe die Richtung. Wir müssen den Kurs umfast fünfzig Grad ändern.«

»Schön, ich will versuchen, das den Jul-kas klarzumachen.«

Es gelang ihm wider Erwarten ohne langeDiskussion. Die Wasserwesen schienen indieser Hinsicht ein unbegrenztes Vertrauenzum Können der beiden Fremden zu haben.

Die Demonstration der Waffen hatteeinen großen Eindruck hinterlassen.

Der neue Kurs wurde angesteuert und dasRuder entsprechend fixiert. Das Schiff konn-te jetzt nur noch durch die langen Wellenund Wasserströmungen abgetrieben werden.Alle zwei Stunden wollte Asmorth neueMessungen vornehmen.

Malthor ging vor zum Heck und gab As-morth einen Wink, ihm zu folgen. Es be-stand nun keine Brechergefahr mehr, wenndas Schiff auch noch heftig auf und abschwankte. Aber die Wogen waren niedrigerund breiter geworden, wie bei einer starkenDünung.

»Mir ist etwas aufgefallen, Jörn. Hast dunicht auch bemerkt, daß die Julkas von einergewissen Lethargie ergriffen worden sind?Ich meine, erst seit Sojul über Bord gegan-gen ist.«

»Lethargie?« Asmorth schüttelte denKopf. »Sie kamen mir eigentlich schon im-mer etwas eigenartig vor. Ich will damit sa-gen, sie waren phlegmatisch, gleichgültig,was immer auch geschah. Ihnen schien allesziemlich egal zu sein. Ist es das, was dumeinst?«

»Ungefähr, ja. Aber seit Sojuls Ver-schwinden hat sich das verstärkt. Vielleichtdeshalb, weil sie die Führung verloren ha-ben.«

Als Asmorth nichts sagte, fügte er hinzu:»Und noch etwas ist mir aufgefallen,

Jörn: Rein zufällig habe ich eben auf diesengelben Fleck geachtet, den sie auf der Kopf-spitze sitzen haben. Er wird blasser. Ob dasetwas mit der Lethargie zu tun hat?«

»Dieser gelbe Fleck hat mir schon Sorgenbereitet«, gab Asmorth zu. »Sicher ist es einOrgan, aber welchen Zweck mag es erfül-len?«

Malthor zuckte die Schultern. Er sah hin-

44 Clark Darlton

auf zum Himmel. Die Sonne war längst wie-der zum Vorschein gekommen und ein be-achtliches Stück weitergewandert, aber eswürde noch mindestens sieben Stunden dau-ern, ehe sie unterging. Dann begann eineneue, lange Nacht.

*

Den ganzen Nachmittag über war ständigeiner von ihnen an Deck und überwachteden Julka am Ruder, der den Anweisungendes »Passagiers« anstandslos folgte. DasMeer war ruhiger geworden, und man konn-te schon wieder die Raubfische erkennen,die das Schiff begleiteten.

Es war noch immer nicht möglich, dieEntfernung zu der schwimmenden Stadt zubestimmen, wenn die Richtung auch ein-wandfrei zu erkennen war. Das aber auchnur, wenn dieser Teil des Masseorters funk-tionierte und nicht etwa defekt war.

Nachdem Asmorth Malthor abgelöst hat-te, überprüfte er den Kurs und klopfte demJulka am Steuer lobend auf die Schulter,dann legte er sich vorn beim Bug auf dieHolzplanken und ließ sich von der sinken-den Sonne bescheinen. Das gleichmäßigeTuckern des Motors wirkte einschläfernd,aber er versuchte wach zu bleiben. Er konntejedoch nicht verhindern, daß er manchmalfür einige Sekunden regelrecht eindöste.

Als er wieder einmal aufsah, war der Platzhinter dem Steuerruder leer.

Der Julka war verschwunden.Asmorth blieb wie erstarrt sitzen, denn er

fand keine Erklärung für das Phänomen.Daß der Julka seinen Platz freiwillig verlas-sen hatte, war einfach undenkbar. Das tatkein Steuermann, der die Verantwortung füralles Leben an Bord eines Schiffes trug. Wasaber sollte sonst die Ursache für das seltsa-me Verhalten des Julkas sein?

Es hatte bereits zu dämmern begonnen.Asmorth erhob sich und ging zum Ruder,das noch immer festgebunden war. DasSchiff lief einigermaßen auf Kurs, und derWind war zu schwach, es abtreiben zu las-

sen.Von dem Julka war keine Spur zu ent-

decken.Asmorth blieb am Ruder und rief nach

den anderen.Zuerst rührte sich nichts, dann hörte er ein

Geräusch. Jemand kam die Treppe hoch, diefürchterlich knarrte, dann erschien Malthor.

»Du brüllst, daß selbst ein Saurier erwa-chen würde. Was ist denn nun schon wiederlos?«

Asmorth berichtete, was geschehen war.Malthors Gesicht wurde ernst.

»Ich gehe nach unten und nehme mir denBurschen mal vor. Disziplinlosigkeit wollenwir erst gar nicht einreißen lassen. Sie sindvon uns abhängig, also können wir auch Ge-horsam verlangen. Ich schicke dir soforteinen Ersatz hoch.«

Er verschwand in der Luke, und dann ent-fernte sich das Knarren auf der Treppe. As-morth lauschte und konnte ihn rufen hören.Dann trat plötzlich Stille ein.

Vom Bug her näherten sich drei Gestal-ten. Asmorth hatte sie vorher nicht gesehen.Wahrscheinlich waren sie aus der Vorderlu-ke an Deck gekommen und wollten sehen,was passiert war. Er legte seine rechte Handauf den Griff der Waffe und wartete, dennirgend etwas an den drei Julkas erschien ihmverdächtig. Ihr Gang war schwerfällig undfast torkelnd, so, als wären sie betrunken.

Erst als sie dicht vor ihm standen, sah er,daß sich ihr Äußeres gegen früher veränderthatte. Sie waren dicker geworden, aufgedun-sen und unförmig. Hände und Füße waren sodick geschwollen, daß die Gliedmaßen kaumnoch zu erkennen waren.

Asmorth wich unwillkürlich einen Schrittzurück.

»Was ist? Seid ihr krank?« fragte er, weilihm nichts anderes einfiel.

Er erhielt keine Antwort. Einer der dreiwandte sich einfach ab und torkelte zur Re-ling, lehnte sich dagegen und beugte sichweit über, so, als sei ihm schlecht geworden.Dann verlor er das Gleichgewicht und stürz-te über Bord.

Die Wassermenschen von Ketokh 45

Asmorth war zu keiner Bewegung fähigund starrte nur sprachlos auf die Stelle, ander eben noch der Julka gestanden hatte.Erst als die beiden anderen sich langsam inBewegung setzten und ebenfalls zur Relinggehen wollten, kam Leben in ihn.

Er stürzte hinter ihnen her und griff nachihren Armen, um sie aufzuhalten. Mit eini-ger Verblüffung mußte er feststellen, daß sieihn mit Leichtigkeit abschüttelten und dannignorierten. Außerdem wurden sie wiederbeweglicher, so, als hätten sie keine Zeitmehr zu verlieren.

Ehe Asmorth sich erneut aufraffen konn-te, hatten sie die Reling erreicht und spran-gen gleichzeitig hinab in das vorbeigleitendeund von der Bugwelle aufgewühlte Meer.Wie zwei Steine versanken sie in der Tiefeund tauchten nicht mehr auf.

Asmorth rannte zur Luke.»Gerlo! Komm hoch! Sie sind verrückt

geworden!«Er hörte Malthor etwas antworten, ver-

stand aber kein Wort. Dann tauchte ein Julkaauf, taumelte auf ihn zu, schob ihn mit einerachtlosen Gebärde zur Seite und stürzte sichebenfalls über Bord.

Auch er war unförmig und aufgedunsen.»Gerlo! Komm doch endlich!«Als er abermals keine Antwort erhielt, lief

er die Treppe hinab, bis er Malthor deutli-cher hörte. Hastig eilte er den halbdunklenGang entlang bis zum Aufenthaltsraum derMannschaft. In ihm brannte schon Licht.

Malthor stand in der Tür und drehte sichum, als er Asmorth bemerkte. Er deutete inden Raum und sagte nichts.

Auf ihren primitiven Lagern ruhten dierestlichen Julkas, ausnahmslos so verformtwie die vier, die sich in die See geworfenhatten. Ihre Glieder waren angeschwollen,und sie reagierten nicht auf die beschwören-den Worte, die Malthor ihnen zugerufen hat-te. Einige schienen sogar zu schlafen.

»Was ist los mit ihnen?« fragte Asmorthund wagte kaum zu atmen. »Sind siekrank?«

»Keine Ahnung. Jedenfalls hat ihre Le-

thargie nun ihren Höhepunkt erreicht.«»Lethargie? Das ist doch kein Grund, sich

freiwillig zu ertränken. Vier sind schon überBord gesprungen, und ich habe es nicht ver-hindern können.«

Malthor zog Asmorth mit sich auf denGang und bis hinauf aufs Deck.

»Wir können nichts tun, Jörn, denn wirwissen absolut nichts über sie und ihre Le-bensgewohnheiten. Und in ihrem Zustandwage ich es auch nicht, sie zu paralysieren.Vielleicht ist es wirklich eine ansteckendeKrankheit, und sie müssen sich ins Meerstürzen, um sie nicht in die schwimmendenStädte zu bringen. Mit den Burschen ist je-denfalls nichts mehr anzufangen.«

Sie beschlossen, daß einer von ihnen dasRuder übernehmen und der andere schlafensollte. Um die Julkas wollten sie sich nichtmehr kümmern, denn die scheinbarenSelbstmorde konnten zu Riten gehören, dieden Arkoniden unbekannt waren. Vielleichtwar das Hinabtauchen ins Meer auch daseinzige Mittel, die rätselhafte Krankheit zubekämpfen, wenn auch dabei der Tod durchdie Raubfische als Risiko miteinbezogenwerden mußte.

Noch bevor Asmorth sich in die Kabinezurückziehen konnte, erschienen wiederzwei Julkas und verschwanden im Meer.Niemand hinderte sie daran. Es war, als hät-te auch die beiden Arkoniden eine gewissepassive Lethargie ergriffen.

Malthor kümmerte sich nur noch um denKurs und benutzte nun auch selbst den Mas-seorter. Der Mond war aufgegangen undspendete kärgliches Licht. Ab und zu ver-nahm der Arkonide das Aufklatschen einesKörpers im Wasser, ein Geräusch, an das ersich allmählich gewöhnte, wenn es auch dasgewohnte gleichmäßige Tuckern des Motorsauf unheimliche Art und Weise unterbrach.

Gegen Mitternacht kam Asmorth, um ihnabzulösen. Sie wechselten nur wenige Wor-te.

Als der Morgen dämmerte, und als Malt-hor wieder die Wache am Ruder übernahm,befanden sich noch vier aufgedunsene und

46 Clark Darlton

nicht mehr ansprechbare Julkas in der Ge-meinschaftskabine.

Das Schiff lag richtig auf Kurs.Ein neuer Tag brach an.Was würde er bringen …?

7.

Gegen Mittag füllten sie Treibstoff nach,den sie im Lagerraum fanden. Die Tankswaren nahezu leer. Malthor schätzte, daß derMotor noch zwei oder drei Tage lief. Wennsie bis dahin ihr Ziel nicht erreicht hatten,würden sie hilflos auf dem Meer treiben undeine sichere Beute des nächsten Sturmeswerden.

Malthor begann es zu bereuen, das Flug-aggregat nicht mitgenommen, sondern in derHütte gelassen zu haben. Wie hatte er nur soleichtsinnig sein können? Aber es war wohlmehr Übervorsicht gewesen, tröstete er sich.

Die letzten vier Julkas waren schweigendüber Bord gegangen.

Malthor und Asmorth waren nun alleinauf dem Schiff.

Bis auf das zum Glück immer nochgleichmäßig bleibende Tuckern des Motorsherrschte Totenstille auf dem Schiff. Nurwenn man vorn an Deck stand, hörte manauch das Rauschen der Bugwelle. Ab und zutauchten wieder die Raubfische auf, aber sieschienen träge und faul zu sein – so als wä-ren sie satt.

»Ich verstehe das alles nicht«, gab Malt-hor zu, als sie beide neben dem Ruder saßenund ihre Konzentrate verzehrten, die be-denklich zur Neige gingen. »Erst dieseKrankheitsmerkmale, dann hinein ins Meer.Seltsam ist auch, daß sich die gelben Dingerauf dem Kopf vorher verfärbten. Ich fürchte,dahinter steckt mehr, als wir ahnen.«

»Es kann eine Seuche gewesen sein«, ver-mutete Asmorth. »Jedenfalls fühle ich michunschuldig und kann nur hoffen, wir erwi-schen den Bazillus nicht – wenn es ein Ba-zillus ist.«

»Und noch etwas ist merkwürdig.« Malt-hor sah nachdenklich hinauf in den klaren

Himmel von Ketokh. »Alles begann erst mitdem Tod Sojuls. Als er nicht mehr an Bordwar, setzte die Lethargie ein. Dann kam dasandere.«

»Vielleicht gibt es da wirklich einen Zu-sammenhang.«

»Vielleicht.«Sie schwiegen. Es gab nicht mehr viel zu

sagen. Vor ihnen lag eine ungewisse Zu-kunft, und selbst dann, wenn sie dieschwimmende Stadt erreichten, war nicht si-cher, ob sie einen freundlichen Empfang er-hielten. Wahrscheinlicher war das Gegenteil.

Sorge bereitete ihnen auch der Gedankean Atlan und Akon-Akon und damit an dieentstehende Siedlung. Es war durchaus mög-lich, daß man diese inzwischen überfallenhatte.

War das wirklich geschehen, so würde esschwer sein, die Julkas in den schwimmen-den Städten davon zu überzeugen, daß ihreHilfe benötigt wurde.

Asmorth stand schweigend auf und gingzum Heck. Der weiße Schaumstreifen, dervon der Schraube hervorgerufen wurde,schien sich bis zum Horizont zu erstrecken.Bei seinem Anblick kam es dem Technikerso vor, als sei es plötzlich kühler geworden.Er kehrte zu seinem Gefährten zurück undteilte ihm seine Beobachtungen mit.

»Stimmt!« erwiderte Malthor auf seinediesbezügliche Frage. »Es ist in der Tat käl-ter geworden. Dabei steht die Sonne fast imZenit. Aber auf diesem verrückten Planetenscheint so ziemlich alles möglich zu sein.«

Asmorth ging nun vor zum Bug und späh-te angestrengt in Fahrtrichtung. Mehrmalswischte er sich über die Augen, als könne ernicht richtig sehen, aber dann wußte er, daßer sich nicht täuschte.

»Da vorn ist etwas«, sagte er zu Malthor.»Die Stadt?«Asmorth schüttelte den Kopf.»Ich glaube nicht, daß es die schwimmen-

de Stadt ist. Es sieht vielmehr wie eine nied-rige, weiße Mauer aus, die jemand mittendurch das Meer gezogen hat. Wir fahren ge-nau darauf zu.«

Die Wassermenschen von Ketokh 47

»Eine weiße Mauer?« Malthor schüttelteungläubig den Kopf. »Das muß ich mir an-sehen. Von hier aus ist die Aussicht nicht sogut.«

Es dauerte eine Weile, bis auch er dendünnen, hellen Streifen entdeckte, der denHorizont teilte. Bei den hier vorherrschen-den Temperaturen war es unsinnig, an eineEisdecke zu glauben, aber genauso sah esaus.

»Was glaubst du, was es ist?« fragte As-morth ungeduldig und auch beunruhigt.

»Warte es ab!« riet Malthor.Je mehr Zeit verging, desto breiter wurde

der Streifen. So ähnlich war es auch vor demSturm gewesen, nur war die Wolke da grauund dunkel gewesen, aber nicht so weiß wiejetzt. Außerdem wehte ein gleichmäßigerWind, und er kam aus einer anderen Rich-tung.

»Eine Nebelbank«, sagte Malthor schließ-lich, und fast klang es ein wenig erleichtert.»Natürlich, das ist Nebel, und was für einer!Er reicht vom rechten bis zum linken Hori-zont, und wir müssen hindurch, wenn wirnicht restlos die Orientierung verlieren wol-len.«

Asmorth nahm wieder einige Messungenmit seinen Instrumenten vor, dann meinte er:

»Die Masse, von der wir fest annehmen,daß sie eine der schwimmenden Städte ist,liegt genau in Fahrtrichtung. Eigentlich kannnicht viel passieren, wenn wir blind weiter-fahren. Hindernisse gibt es hier wohl kaum.«

»Das meine ich auch. Wir würden nurZeit verlieren.«

Die Nebelbank wurde nun in allen Einzel-heiten deutlicher sichtbar. Mit der Unterseitelag sie dicht auf der Meeresoberfläche undfüllte sogar die Lücken der Wellentäler aus,die allerdings nur sehr flach liefen. Nachoben gab es lange und kurze Abzweiger, diein den blauen Himmel ragten und sich sche-menhaft verloren. Malthor schätzte dieDicke auf etwa dreihundert Meter, obwohler sich dabei gewaltig irren konnte. Aberauch eine Höhe von nur zehn Meter hättegenügt, das Schiff völlig im Nebel ver-

schwinden zu lassen.»Wir müssen die Geschwindigkeit dros-

seln«, riet Asmorth. »Wenn ein Hindernisauftaucht, haben wir keine Zeit mehr zumStoppen.«

»Hindernis?« Malthor machte ein ungläu-biges Gesicht. »Was für ein Hindernis? Dieschwimmende Stadt vielleicht?«

»Zum Beispiel …«»Na und? Ich wäre froh, wenn wir in den

nächsten zehn Minuten an den Gestaden die-ser schwimmenden Stadt stranden würden.Dann wären wir endlich am Ziel – was im-mer das auch sein mag.«

»Oder Klippen und Inseln!«»Wir haben auf der ganzen Fahrt keine

einzige Klippe oder Insel gesehen, auch keinanderes Schiff. Also?«

Asmorth zuckte die Achseln.»Na schön, fahren wir mit Höchstge-

schwindigkeit hinein in die Nebelbank. Dubist der Kapitän jetzt. Aber wenn ich dichwieder ablöse, habe ich das Kommando.Einverstanden?«

»Einverstanden!«Es war eigentlich das erste Mal, daß die

beiden sich ernsthaft stritten, und uneins wa-ren. Auf der anderen Seite respektierte dereine den Standpunkt des anderen, und sokonnte es zu keiner echten Auseinanderset-zung kommen.

Es war ein unheimliches Gefühl, als siegenau auf die weiße Mauer zufuhren, diesich vor ihnen auftürmte. Mit den ersten Ne-belfetzen, die an ihnen vorbeizogen, kam ei-ne nasse, unangenehme Kälte, die sie zu-sammenschaudern ließ. Asmorth hattedienstfrei, aber er verzichtete darauf, in dieKabine zu gehen. Er stand vorn am Bug,während Malthor beim Ruder und der Ma-schine blieb, um diese im Notfall sofortstoppen zu können.

Dann bohrte sich das Schiff in die plötz-lich kompakt wirkende, weiße Masse, undvon einer Sekunde zur anderen ging, jedeSicht verloren. Asmorth sah ein, daß es sinn-los war, nach einem eventuellen HindernisAusschau zu halten. Er konnte den wenige

48 Clark Darlton

Meter entfernten Malthor nur noch als sche-menhaften Schatten erkennen.

Vorsichtig tappte er bis zum Ruder. Eswar, als ginge er durch Watte, und seineStimme klang seltsam hohl, als er sagte:

»Gerlo, du bist verrückt, wenn du dasTempo nicht verringerst!«

Bald darauf tuckerte der Motor etwaslangsamer.

»Viel Sinn hat es kaum, Jörn. Überzeugedich lieber, ob der Massetaster noch arbeitet.Ich fürchte, er gibt falsche Werte an, aberdas hängt auch davon ab, welchen Durch-messer die Nebelbank hat.«

Asmorth beschäftigte sich mit den Instru-menten und teilte dann das Ergebnis mit:

»Die Stadt liegt vor uns, daran kann keinZweifel bestehen. Leider kann ich weder dieEntfernung zu ihr noch die Dicke der Nebel-wand bestimmen. Aber die Richtungstimmt.«

»Mehr brauchen wir vorerst nicht.«Asmorth machte in diesem Augenblick

den entscheidenden Fehler, das Gerät wiederabzuschalten, statt auch die anderen Rich-tungen zu kontrollieren. So nur konnte esgeschehen, daß er keine Werte des Objektserhielt, das in einem Winkel von nahezuneunzig Grad auf das Schiff zukam.

Dieses Objekt war ein anderer Lastkahn,allerdings fast doppelt so groß wie der vonSojul. Geschwindigkeit und Kurs der beidenSchiffe war derart, daß eine Kollision unver-meidlich bleiben mußte, wenn sich darannichts änderte.

Genau zweitausend Meter vor ihrem Bugkreuzten sich die beiden Linien …

*

»Ich gehe jetzt nach unten«, sagte As-morth. Der Nebel hatte ihn bis auf die Hautdurchnäßt. Er zitterte vor Kälte. »Du hastmehr Fett und frierst nicht so.«

»Geh nur, du kannst hier ohnehin nichtsmehr tun.«

Malthor konnte ihn nur ein paar Meterweit sehen, dann verschluckte ihn der Nebel.

Er hörte ihn die Treppe hinuntergehen, danntrat wieder Stille ein.

Nach einer Weile glaubte Malthor, derMotor liefe nicht mehr so regelmäßig wieimmer. Sollte der Treibstoff schon aufge-braucht sein? Das war so gut wie unmöglich.Aber vielleicht war eine der Leitungen ver-stopft.

Nur jetzt nicht! dachte er erschrocken.Meine Hände sind jetzt schon so klamm, daßsie kaum das Ruder halten können.

Zum Glück war das nicht notwendig,denn das Ruder war festgebunden. An sichwar das ein sträflicher Leichtsinn, denn erhätte es im Notfall kaum lösen können, we-nigstens nicht sehr schnell.

Wurde der Motor lauter?Er lauschte, und dann war ihm, als habe

das Schiff plötzlich zwei statt nur einemMotor, und der andere lief ein wenig schnel-ler.

Die Erkenntnis dessen, was wirklich ge-schah, traf ihn wie ein Schlag. Er begriff,daß er tatsächlich das Geräusch eines zwei-ten Motors hörte, aber es kam aus einer ganzanderen Richtung, nämlich von rechts. Undes näherte sich mit unheimlicher Geschwin-digkeit.

Ein anderes Schiff fuhr direkt auf sie zu!»Jörn!« brüllte Malthor, so laut er konnte.

»Asmorth! Komm an Deck, schnell!«Mit seinen steifen Fingern versuchte er,

den Knoten des Seils zu lösen, mit dem erdas Steuerruder festgebunden hatte. Als sei-ne Bemühungen nicht fruchteten, fiel ihmdas Messer ein, das im Gürtel steckte. Er rißes aus der Scheide und zerschnitt das Seil.

Aber es war zu spät.Asmorth stolperte an Deck.»Was ist los, Gerlo?«Seine Frage war überflüssig, denn in die-

sem Moment geschahen zwei Dinge gleich-zeitig: Das Tuckern des anderen Motors warso laut geworden, daß es nicht mehr über-hört werden konnte, und aus dem dicken Ne-bel tauchte plötzlich wie aus dem Nichts einriesiger, schwarzer Schatten auf.

Und das dritte Ereignis einige Sekunden

Die Wassermenschen von Ketokh 49

später war das fatalste.Knirschend bohrte sich der Bug des ande-

ren Schiffes in die Breitseite von SojulsKahn und schnitt ihn glatt in zwei Hälften.

Malthor sah die Bordwand des fremdenSchiffes nur zwei oder drei Meter vor seinenFüßen an sich vorbeigleiten. Er glaubte so-gar, die Schatten einiger Besatzungsmitglie-der erkennen zu können und begann sofortzu rufen, um sie auf sich aufmerksam zumachen.

Dann begannen sie schnell zu sinken.»Ins Wasser und wegschwimmen!« rief

Asmorth und ließ seinen Worten die Tat fol-gen.

Malthor hechtete hinter ihm her, um nichtvon dem entstehenden Strudel in die Tiefegezogen zu werden. Das andere Schiff warlängst im Nebel verschwunden, aber dasTuckern seines Motors war verstummt.

»Wo bist du, Jörn?«»Hier!«Sie fanden sich wieder und klammerten

sich an einer Holzplanke fest, die ihnen eingütiges Schicksal zutrieb. Im Vergleich zudem Nebel war das Meerwasser fast warm.Unter ihren Füßen war ein Abgrund, in demdie Raubfische lebten, und um sie herumwar nichts als undurchdringlicher Nebel.

Das Tuckern des Motors setzte wiederein, langsam und zögernd. Es schien ausverschiedenen Richtungen zu kommen, nä-herte sich einmal und entfernte sich dannwieder. Der Kapitän des anderen Schiffeshatte zweifellos die Suche nach den Überle-benden des gerammten und gesunkenenFahrzeugs aufgenommen.

Malthor und Asmorth brüllten aus Leibes-kräften, um die Rettungsaktion zu unterstüt-zen. Bei der geringen Sicht konnte es nur einZufall sein, wenn man sie fand.

Einmal glitt der dunkle Schatten ganzdicht an ihnen vorbei, aber niemand hörteihr Rufen. Dann waren sie wieder allein inder Wasserwüste und dem Nebel. Malthorbegann heiser zu werden.

Dann verstummte der Motor abermals.Stille trat ein. Die beiden Arkoniden konn-

ten aber die Julkas sprechen hören. Der Ne-bel trug den Schall weit.

Dann war ein Platschen zu hören, undwieder Stimmen. Die Julkas hatten ein Bootzu Wasser gelassen, um die Suche nach denÜberlebenden intensiver gestalten zu kön-nen. Wahrscheinlich trauten sie sich nicht,selbst ins Wasser zu springen. Sie hattenwohl Angst vor den Raubfischen.

Ruderschläge!Malthor begann wieder zu rufen. Er be-

nutzte sogar einige Worte der Julkasprache.Auch Asmorth bemühte sich, die nahen Ret-ter auf sich aufmerksam zu machen.

Endlich tauchte der Schatten des Bootesauf. Es näherte sich den Schiffbrüchigen nursehr vorsichtig, und dann reckten sich ihnendie Arme mehrerer Julkas entgegen.

Man zog sie an Bord, wo man sie aller-dings mit Verwunderung und dann vollerMißtrauen betrachtete. Es war nicht unbe-dingt ein sehr freundlicher Empfang, aberdie beiden Arkoniden waren viel zu er-schöpft, jetzt darauf zu achten.

Erst als die Julkas damit begannen, nachweiteren Überlebenden zu suchen, rafftesich Malthor auf und machte ihnen verständ-lich, daß es keine Überlebenden mehr gab.Er spürte, daß nun das Mißtrauen noch grö-ßer wurde, aber er hatte keine Lust, weitereErklärungen abzugeben. Wenigstens jetztnoch nicht.

Vom Schiff her kamen in regelmäßigenZeitabständen mißklingende Signaltöne, umdem Boot die Richtung anzugeben. Die Jul-kas begannen zu rudern, auf das Signal zu.

Mit einigen Schwierigkeiten klettertenMalthor und Asmorth an Bord, wo sie vonanderen Julkas in Empfang genommen wur-den. Ein breitgebauter Bursche schien derKapitän zu sein, denn er begann sofort da-mit, die Geretteten auszufragen. Malthorversuchte, ihm zu antworten, und er verstandsogar, was man von ihm wissen wollte.

Wo die Besatzung des gesunkenen Schif-fes sei?

Die Verständigung war mühevoll, fast un-möglich. Das Mißtrauen der Julkas wurde

50 Clark Darlton

immer größer. Asmorth begann sogar zuvermuten, daß man sie am liebsten wiederins Meer geworfen hätte. Doch dazu kam eszum Glück nicht, denn plötzlich drängte sicheiner der Julkas durch die Herumstehendenund rief in einem verständlichen Gemischvon Arkonisch und der Julkasprache:

»Die beiden Freunde!« Er kam näher undklopfte den beiden Arkoniden auf die Schul-ter. »Ich bin es, Tossel! Ich wollte euch inder Stadt treffen …«

Der Kapitän stellte ihm einige Fragen,und dann diente Tossel als Dolmetscher.

Endlich konnten Malthor und Asmorthberichten, was geschehen war. Sie schilder-ten die geheimnisvolle Krankheit in allenEinzelheiten und verschwiegen auch dasmerkwürdige Endresultat nicht.

Tossel sagte:»Wir hörten von dieser Erscheinung, aber

es gibt keine Erklärung dafür. Versucht euchzu erinnern, jede Kleinigkeit ist wichtig füruns.«

Malthor entsann sich des gelben Flecksauf der Kopfspitze, der im fortschreitendenStadium verblaßte.

Als Tossel das hörte, schien er zu er-schrecken. Unwillkürlich glitt seine Handüber seinen eigenen Fleck, aber er sagtenichts mehr. Er gab lediglich dem Kapitäneinen Wink, der daraufhin zur Maschine zu-rückkehrte und sie anwarf.

Das Schiff setzte seine Fahrt durch denNebel fort.

*

Malthor und Asmorth stellten fest, daßnoch mehr Julkas an Bord waren, die siekannten. Sie waren ebenfalls im Haus vonFitschel gewesen, als dieser das Gastmahl zuEhren der beiden Fremden gab.

Außerdem hielt Tossel noch eine Überra-schung für sie bereit.

Die Julkas hatten eine kleine Kabine fürdie Geretteten frei gemacht, in der sie denRest der Reise verbringen sollten. Nicht alsGefangene, sondern als Gäste. Tossel tauch-

te etwas später auf und nahm Platz. Er deu-tete auf die Tür und meinte:

»Sie bleibt unverschlossen, aber der Kapi-tän bittet euch, in der Kabine zu bleiben.Wir werden bald die schwimmende Stadt er-reichen. Dort erfahrt ihr mehr. Und noch et-was:

Ich habe das Paket mitgebracht, das ihr inder Hütte versteckt hattet.«

Malthor ergriff seinen Arm.»Die Ausrüstung? Wo konntest du sie fin-

den?«»Es war einfach, Freund. Und ich dachte

mir, vielleicht könnt ihr sie brauchen. Ist daauch der Apparat dabei, mit dem man flie-gen kann?«

»Woher weißt du das?«»Ich habe Geschichten gehört«, wich Tos-

sel aus.Malthor sah keinen Sinn darin, es abzu-

streiten.»Ja, der Apparat ist dabei, aber es ist ge-

fährlich, ihn zu berühren, wenn man ihnnicht kennt. Jedenfalls danke ich dir sehr,daß du ihn gebracht hast. Bei der Ausrü-stung ist auch Essen für uns, außerdemWerkzeug. Vielleicht können wir dir aucheinmal helfen.«

»In der Stadt bestimmt nicht«, gab Tosselzurück, und es klang nicht nur geheimnis-voll, sondern auch voller Sorge.

Als sie allein waren, fragte Asmorth:»Was hältst du von allem? Warum haben

sie Angst vor der Stadt, und gehen trotzdemhin? Irgend etwas ist merkwürdig daran.Vielleicht haben sie auch nur Angst vor dengeheimnisvollen Herrschern, von denen wirso gut wie nichts wissen.«

»Wir werden es erfahren«, vermuteteMalthor.

Sie hatten die Kleidung ausgezogen undgetrocknet, zwischendurch ein wenig ge-schlafen und dann gegessen. Draußen aufdem Meer begann es dunkler zu werden,aber der Nebel war noch immer da.

In ein oder zwei Stunden begann dieNacht.

Dann aber wurden Rufe laut, ein Signal-

Die Wassermenschen von Ketokh 51

horn ertönte. Oben an Deck war das Tram-peln vieler Füße zu hören. Tossel erschien inder Kabinentür.

»Die Stadt! Man kann sie sehen …!«»Dürfen wir an Deck?«»Kommt!«Malthor und Asmorth ließen sich das

nicht zweimal sagen. Sie liefen hinter Tosselher, der so stark watschelte, daß man jedenAugenblick befürchten mußte, er kippe um.Wahrscheinlich behinderten ihn dieSchwimmhäute beim Gehen.

Es war schon dämmerig, aber der Nebelwar verschwunden. Wie eine weiße Wandlag er hinter dem Heck des Schiffes.

Vor dem Bug aber strahlten die Lichterder Stadt.

Sie lag wie eine riesige Insel vor demSchiff, mit gewaltigen Hochbauten und ge-wagten Konstruktionen, die ein Gebäude mitdem anderen verbanden. Einen richtigenStrand schien es nicht zu geben. Die Häuserstanden einfach im Wasser.

Sie schwammen!Vergeblich versuchten Malthor und As-

morth das Rätsel zu lösen. Es war ihnenklar, daß derartig große und hohe Gebäudenicht einfach im Meer schwammen. Auf ir-gend etwas mußten sie stehen.

Auf dem Meeresgrund vielleicht?Tossel gab keine Antwort, als sie ihn frag-

ten. Überhaupt schien er schweigsamer ge-worden zu sein. Machte er sich Sorgen umdas Schicksal seiner fremden Freunde?

Und wenn ja, warum?Das Schiff fuhr mit verringerter Ge-

schwindigkeit auf die Stadt zu. Zwei weitins Meer hinausragende Molen – ob auch sieauf der Wasseroberfläche schwammen? –verrieten den Hafen. An ihren Köpfenbrannten weithin sichtbare Leuchtfeuer.

Der Kapitän gab Tossel einen Wink undsagte etwas, das die Arkoniden nicht ver-standen.

Tossel kam zu ihnen.»Geht zurück in die Kabine, Freunde. Der

Kapitän will es so.«

»Warum denn? Wir haben nicht die Ab-sicht, wegzulaufen.«

»Ihr müßt tun, was der Kapitän sagt.Kommt!«

Sie warfen einen letzten Blick auf dieLichter der Stadt, die im Meer schwammund keinen Strand hatte, dann folgten sieTossel, der auf diesem Planeten ihr einzigerFreund zu sein schien.

Als sie auf ihren Betten saßen und esdraußen vor dem kleinen Bullauge dunkelwurde, sagte Malthor:

»Ich weiß nicht, was uns bevorsteht, aberich glaube nicht mehr daran, daß die Julkasuns gegen Akon-Akon helfen werden. Siescheinen ihre eigenen Probleme zu haben.Es ist gut, daß wir Tossel kennen.«

»Ich fürchte, er kann uns auch nicht hel-fen, Gerlo. Er scheint eine Art Gefangenerzu sein – wie alle Julkas. Aber wessen Ge-fangenen sind sie …?«

Malthor sah durch das Bullauge die erstenLichter auftauchen.

»Ich weiß es nicht.«Die Bordwand scheuerte gegen die Mole,

dann gab es einen Ruck.Das Schiff war am Ziel angelangt.Dann trat Ruhe ein.Asmorth streckte sich auf seinem Bett

aus.»Was immer auch geschieht, Atlan wird

uns herausholen. Er läßt niemanden imStich.«

Das hoffte Malthor auch.Sie konnten beide nicht ahnen, daß Atlan

noch mehr in der Tinte steckte als sie selbst.Und Fartuloon war ebenfalls ein Gefange-

ner.Die Lage war hoffnungslos.Ketokh drohte, ein Planet ohne Rückkehr

zu werden …

ENDE

E N D E

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