Heinrich Von Kleist - Die Marquise Von o

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die marquise von o

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  • Die Marquise von O...von Kleist, Heinrich

    Verffentlicht: 1808Kategorie(n): Fiction, Short StoriesQuelle: http://projekt.gutenberg.de

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  • ber von Kleist:Bernd Heinrich Wilhelm von Kleist war ein deutscher Drama-

    tiker, Erzhler, Lyriker und Publizist. Kleist stand als Auen-seiter im literarischen Leben seiner Zeit jenseits der etablier-ten Lager und der Literaturepochen der Weimarer Klassikund der Romantik. Bekannt ist er vor allem fr das historischeRitterschauspiel Das Kthchen von Heilbronn, seine Lustspie-le Der zerbrochne Krug und Amphitryon, das Trauerspiel Pen-thesilea sowie fr seine Novellen Michael Kohlhaas und DieMarquise von O Source: Wikipedia

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  • (Nach einer wahren Begebenheit, deren Schauplatz vomNorden nach dem Sden verlegt worden)

    In M , einer bedeutenden Stadt im oberen Italien, lie dieverwitwete Marquise von O , eine Dame von vortrefflichemRuf, und Mutter von mehreren wohlerzogenen Kindern, durchdie Zeitungen bekannt machen: da sie, ohne ihr Wissen, inandre Umstnde gekommen sei, da der Vater zu dem Kinde,das sie gebren wrde, sich melden solle; und da sie, aus Fa-milienrcksichten, entschlossen wre, ihn zu heiraten. Die Da-me, die einen so sonderbaren, den Spott der Welt reizendenSchritt, beim Drang unabnderlicher Umstnde, mit solcher Si-cherheit tat, war die Tochter des Herrn von G , Kommandan-ten der Zitadelle bei M Sie hatte, vor ungefhr drei Jahren,ihren Gemahl, den Marquis von O , dem sie auf das innigsteund zrtlichste zugetan war, auf einer Reise verloren, die er, inGeschften der Familie, nach Paris gemacht hatte. Auf Frauvon G s, ihrer wrdigen Mutter, Wunsch, hatte sie, nach sei-nem Tode, den Landsitz verlassen, den sie bisher bei V be-wohnt hatte, und war, mit ihren beiden Kindern, in das Kom-mandantenhaus, zu ihrem Vater, zurckgekehrt. Hier hatte siedie nchsten Jahre mit Kunst, Lektre, mit Erziehung, und ih-rer Eltern Pflege beschftigt, in der grten Eingezogenheitzugebracht: bis der Krieg pltzlich die Gegend umher mitden Truppen fast aller Mchte und auch mit russischen erfll-te. Der Obrist von G , welcher den Platz zu verteidigen Orderhatte, forderte seine Gemahlin und seine Tochter auf, sich aufdas Landgut, entweder der letzteren, oder seines Sohnes, dasbei V lag, zurckzuziehen. Doch ehe sich die Abschtzungnoch, hier der Bedrngnisse, denen man in der Festung, dortder Greuel, denen man auf dem platten Lande ausgesetzt seinkonnte, auf der Waage der weiblichen berlegung entschiedenhatte: war die Zitadelle von den russischen Truppen schon be-rennt, und aufgefordert, sich zu ergeben. Der Obrist erklrtegegen seine Familie, da er sich nunmehr verhalten wrde, alsob sie nicht vorhanden wre; und antwortete mit Kugeln undGranaten. Der Feind, seinerseits, bombardierte die Zitadelle.Er steckte die Magazine in Brand, eroberte ein Auenwerk,und als der Kommandant, nach einer nochmaligen

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  • Aufforderung, mit der bergabe zauderte, so ordnete er einennchtlichen berfall an, und eroberte die Festung mit Sturm.

    Eben als die russischen Truppen, unter einem heftigen Hau-bitzenspiel, von auen eindrangen, fing der linke Flgel desKommandantenhauses Feuer und ntigte die Frauen, ihn zuverlassen. Die Obristin, indem sie der Tochter, die mit den Kin-dern die Treppe hinabfloh, nacheilte, rief, da man zusammen-bleiben, und sich in die unteren Gewlbe flchten mchte;doch eine Granate, die, eben in diesem Augenblicke, in demHause zerplatzte, vollendete die gnzliche Verwirrung in dem-selben. Die Marquise kam, mit ihren beiden Kindern, auf denVorplatz des Schlosses, wo die Schsse schon, im heftigstenKampf, durch die Nacht blitzten, und sie, besinnungslos, wohinsie sich wenden solle, wieder in das brennende Gebude zu-rckjagten. Hier, unglcklicher Weise, begegnete ihr, da sieeben durch die Hintertr entschlpfen wollte, ein Trupp feind-licher Scharfschtzen, der, bei ihrem Anblick, pltzlich stillward, die Gewehre ber die Schultern hing, und sie, unter ab-scheulichen Gebrden, mit sich fortfhrte. Vergebens rief dieMarquise, von der entsetzlichen, sich unter einander selbst be-kmpfenden, Rotte bald hier, bald dorthin gezerrt, ihre zittern-den, durch die Pforte zurckfliehenden Frauen, zu Hlfe. Manschleppte sie in den hinteren Schlohof, wo sie eben, unter denschndlichsten Mihandlungen, zu Boden sinken wollte, als,von dem Zetergeschrei der Dame herbeigerufen, ein russischerOffizier erschien, und die Hunde, die nach solchem Raub ls-tern waren, mit wtenden Hieben zerstreute. Der Marquiseschien er ein Engel des Himmels zu sein. Er stie noch demletzten viehischen Mordknecht, der ihren schlanken Leib um-fat hielt, mit dem Griff des Degens ins Gesicht, da er, mitaus dem Mund vorquellendem Blut, zurcktaumelte; bot dannder Dame, unter einer verbindlichen, franzsischen Anrededen Arm, und fhrte sie, die von allen solchen Auftrittensprachlos war, in den anderen, von der Flamme noch nicht er-griffenen, Flgel des Palastes, wo sie auch vllig bewutlosniedersank. Hier traf er, da bald darauf ihre erschrockenenFrauen erschienen, Anstalten, einen Arzt zu rufen; versicherte,indem er sich den Hut aufsetzte, da sie sich bald erholen wr-de; und kehrte in den Kampf zurck.

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  • Der Platz war in kurzer Zeit vllig erobert, und der Komman-dant, der sich nur noch wehrte, weil man ihm keinen Pardongeben wollte, zog sich eben mit sinkenden Krften nach demPortal des Hauses zurck, als der russische Offizier, sehr er-hitzt im Gesicht, aus demselben hervortrat, und ihm zurief,sich zu ergeben. Der Kommandant antwortete, da er auf dieseAufforderung nur gewartet habe, reichte ihm seinen Degendar, und bat sich die Erlaubnis aus, sich ins Schlo begeben,und nach seiner Familie umsehen zu drfen. Der russische Of-fizier, der, nach der Rolle zu urteilen, die er spielte, einer derAnfhrer des Sturms zu sein schien, gab ihm, unter Begleitungeiner Wache, diese Freiheit; setzte sich, mit einiger Eilfertig-keit, an die Spitze eines Detachements, entschied, wo er nochzweifelhaft sein mochte, den Kampf, und bemannte schleunigstdie festen Punkte des Forts. Bald darauf kehrte er auf den Waf-fenplatz zurck, gab Befehl, der Flamme, welche wtend umsich zu greifen anfing, Einhalt zu tun, und leistete selbst hier-bei Wunder der Anstrengung, als man seine Befehle nicht mitdem gehrigen Eifer befolgte. Bald kletterte er, den Schlauchin der Hand, mitten unter brennenden Giebeln umher, und re-gierte den Wasserstrahl; bald steckte er, die Naturen der Asia-ten mit Schaudern erfllend, in den Arsenlen, und wlzte Pul-verfsser und gefllte Bomben heraus. Der Kommandant, derinzwischen in das Haus getreten war, geriet auf die Nachrichtvon dem Unfall, der die Marquise betroffen hatte, in die u-erste Bestrzung. Die Marquise, die sich schon vllig, ohneBeihlfe des Arztes, wie der russische Offizier vorher gesagthatte, aus ihrer Ohnmacht wieder erholt hatte, und bei derFreude, alle die Ihrigen gesund und wohl zu sehen, nur noch,um die bermige Sorge derselben zu beschwichtigen, dasBett htete, versicherte ihn, da sie keinen andern Wunsch ha-be, als aufstehen zu drfen, um ihrem Retter ihre Dankbarkeitzu bezeugen. Sie wute schon, da er der Graf F , Obristlieu-tenant vom t n Jgerkorps, und Ritter eines Verdienst- undmehrerer anderen Orden war. Sie bat ihren Vater, ihn instn-digst zu ersuchen, da er die Zitadelle nicht verlasse, ohnesich einen Augenblick im Schlo gezeigt zu haben. Der Kom-mandant, der das Gefhl seiner Tochter ehrte, kehrte auch un-gesumt in das Fort zurck, und trug ihm, da er unter unauf-hrlichen Kriegsanordnungen umherschweifte, und keine

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  • bessere Gelegenheit zu finden war, auf den Wllen, wo er ebendie zerschossenen Rotten revidierte, den Wunsch seiner ge-rhrten Tochter vor. Der Graf versicherte ihn, da er nur aufden Augenblick warte, den er seinen Geschften wrde abm-igen knnen, um ihr seine Ehrerbietigkeit zu bezeugen. Erwollte noch hren, wie sich die Frau Marquise befinde? als ihndie Rapporte mehrerer Offiziere schon wieder in das Gewhldes Krieges zurckrissen. Als der Tag anbrach, erschien derBefehlshaber der russischen Truppen, und besichtigte dasFort. Er bezeugte dem Kommandanten seine Hochachtung, be-dauerte, da das Glck seinen Mut nicht besser untersttzt ha-be, und gab ihm, auf sein Ehrenwort, die Freiheit, sich hinzu-begeben, wohin er wolle. Der Kommandant versicherte ihn sei-ner Dankbarkeit, und uerte, wie viel er, an diesem Tage, denRussen berhaupt, und besonders dem jungen Grafen F ,Obristlieutenant vom t n Jgerkorps, schuldig geworden sei.Der General fragte, was vorgefallen sei; und als man ihn vondem frevelhaften Anschlag auf die Tochter desselben unter-richtete, zeigte er sich auf das uerste entrstet. Er rief denGrafen F bei Namen vor. Nachdem er ihm zuvrderst wegenseines eignen edelmtigen Verhaltens eine kurze Lobrede ge-halten hatte: wobei der Graf ber das ganze Gesicht rot ward;schlo er, da er die Schandkerle, die den Namen des Kaisersbrandmarkten, niederschieen lassen wolle; und befahl ihm, zusagen, wer sie seien? Der Graf F antwortete, in einer ver-wirrten Rede, da er nicht im Stande sei, ihre Namen anzuge-ben, indem es ihm, bei dem schwachen Schimmer der Reverbe-ren im Schlohof, unmglich gewesen wre, ihre Gesichter zuerkennen. Der General, welcher gehrt hatte, da damalsschon das Schlo in Flammen stand, wunderte sich darber; erbemerkte, wie man wohl bekannte Leute in der Nacht an ihrenStimmen erkennen knnte; und gab ihm, da er mit einem verle-genen Gesicht die Achseln zuckte, auf, der Sache auf das aller-eifrigste und strengste nachzuspren. In diesem Augenblickberichtete jemand, der sich aus dem hintern Kreise hervor-drngte, da einer von den, durch den Grafen F verwunde-ten, Frevlern, da er in dem Korridor niedergesunken, von denLeuten des Kommandanten in ein Behltnis geschleppt wor-den, und darin noch befindlich sei. Der General lie diesenhierauf durch eine Wache herbeifhren, ein kurzes Verhr

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  • ber ihn halten; und die ganze Rotte, nachdem jener sie ge-nannt hatte, fnf an der Zahl zusammen, erschieen. Dies ab-gemacht, gab der General, nach Zurcklassung einer kleinenBesatzung, Befehl zum allgemeinen Aufbruch der brigenTruppen; die Offiziere zerstreuten sich eiligst zu ihren Korps;der Graf trat, durch die Verwirrung der Auseinander-Eilenden,zum Kommandanten, und bedauerte, da er sich der Frau Mar-quise, unter diesen Umstnden, gehorsamst empfehlen msse:und in weniger, als einer Stunde, war das ganze Fort von Rus-sen wieder leer.

    Die Familie dachte nun darauf, wie sie in der Zukunft eineGelegenheit finden wrde, dem Grafen irgend eine uerungihrer Dankbarkeit zu geben; doch wie gro war ihr Schrecken,als sie erfuhr, da derselbe noch am Tage seines Aufbruchsaus dem Fort, in einem Gefecht mit den feindlichen Truppen,seinen Tod gefunden habe. Der Kurier, der diese Nachrichtnach M brachte, hatte ihn mit eignen Augen, tdlich durchdie Brust geschossen, nach P tragen sehen, wo er, wie mansichere Nachricht hatte, in dem Augenblick, da ihn die Trgervon den Schultern nehmen wollten, verblichen war. Der Kom-mandant, der sich selbst auf das Posthaus verfgte, und sichnach den nheren Umstnden dieses Vorfalls erkundigte, er-fuhr noch, da er auf dem Schlachtfeld, in dem Moment, da ihnder Schu traf, gerufen habe: Julietta! Diese Kugel rchtdich! und nachher seine Lippen auf immer geschlossen htte.Die Marquise war untrstlich, da sie die Gelegenheit hattevorbeigehen lassen, sich zu seinen Fen zu werfen. Sie mach-te sich die lebhaftesten Vorwrfe, da sie ihn, bei seiner, viel-leicht aus Bescheidenheit, wie sie meinte, herrhrenden Wei-gerung, im Schlosse zu erscheinen, nicht selbst aufgesucht ha-be; bedauerte die Unglckliche, ihre Namensschwester, an dieer noch im Tode gedacht hatte; bemhte sich vergebens, ihrenAufenthalt zu erforschen, um sie von diesem unglcklichen undrhrenden Vorfall zu unterrichten; und mehrere Monden ver-gingen, ehe sie selbst ihn vergessen konnte.

    Die Familie mute nun das Kommandantenhaus rumen, umdem russischen Befehlshaber darin Platz zu machen. Manberlegte anfangs, ob man sich nicht auf die Gter des Kom-mandanten begeben sollte, wozu die Marquise einen groenHang hatte; doch da der Obrist das Landleben nicht liebte, so

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  • bezog die Familie ein Haus in der Stadt, und richtete sich das-selbe zu einer immerwhrenden Wohnung ein. Alles kehrtenun in die alte Ordnung der Dinge zurck. Die Marquise knpf-te den lange unterbrochenen Unterricht ihrer Kinder wiederan, und suchte, fr die Feierstunden, ihre Staffelei und Bcherhervor: als sie sich, sonst die Gttin der Gesundheit selbst, vonwiederholten Unplichkeiten befallen fhlte, die sie ganzeWochen lang, fr die Gesellschaft untauglich machten. Sie littan belkeiten, Schwindeln und Ohnmachten, und wute nicht,was sie aus diesem sonderbaren Zustand machen solle. EinesMorgens, da die Familie beim Tee sa, und der Vater sich, aufeinen Augenblick, aus dem Zimmer entfernt hatte, sagte dieMarquise, aus einer langen Gedankenlosigkeit erwachend, zuihrer Mutter: wenn mir eine Frau sagte, da sie ein Gefhl ht-te, ebenso, wie ich jetzt, da ich die Tasse ergriff, so wrde ichbei mir denken, da sie in gesegneten Leibesumstnden wre.Frau von G sagte, sie verstnde sie nicht. Die Marquise er-klrte sich noch einmal, da sie eben jetzt eine Sensation ge-habt htte, wie damals, als sie mit ihrer zweiten Tochterschwanger war. Frau von G sagte, sie wrde vielleicht denPhantasus gebren, und lachte. Morpheus wenigstens, versetz-te die Marquise, oder einer der Trume aus seinem Gefolge,wrde sein Vater sein; und scherzte gleichfalls. Doch derObrist kam, das Gesprch ward abgebrochen, und der ganzeGegenstand, da die Marquise sich in einigen Tagen wieder er-holte, vergessen.

    Bald darauf ward der Familie, eben zu einer Zeit, da sichauch der Forstmeister von G , des Kommandanten Sohn, indem Hause eingefunden hatte, der sonderbare Schrecken,durch einen Kammerdiener, der ins Zimmer trat, den Gra-fen F anmelden zu hren. Der Graf F ! sagte der Vater unddie Tochter zugleich; und das Erstaunen machte alle sprachlos.Der Kammerdiener versicherte, da er recht gesehen und ge-hrt habe, und da der Graf schon im Vorzimmer stehe, undwarte. Der Kommandant sprang sogleich selbst auf, ihm zu ff-nen, worauf er, schn, wie ein junger Gott, ein wenig bleich imGesicht, eintrat. Nachdem die Szene unbegreiflicher Verwun-derung vorber war, und der Graf, auf die Anschuldigung derEltern, da er ja tot sei, versichert hatte, da er lebe; wandteer sich, mit vieler Rhrung im Gesicht, zur Tochter, und seine

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  • erste Frage war gleich, wie sie sich befinde? Die Marquise ver-sicherte, sehr wohl, und wollte nur wissen, wie er ins Leben er-standen sei? Doch er, auf seinem Gegenstand beharrend, erwi-derte: da sie ihm nicht die Wahrheit sage; auf ihrem Antlitzdrcke sich eine seltsame Mattigkeit aus; ihn msse alles tr-gen, oder sie sei unplich, und leide. Die Marquise, durch dieHerzlichkeit, womit er dies vorbrachte, gut gestimmt, versetz-te: nun ja; diese Mattigkeit, wenn er wolle, knne fr die Spureiner Krnklichkeit gelten, an welcher sie vor einigen Wochengelitten htte; sie frchte inzwischen nicht, da diese weitervon Folgen sein wrde. Worauf er, mit einer aufflammendenFreude, erwiderte: er auch nicht! und hinzusetzte, ob sie ihnheiraten wolle? Die Marquise wute nicht, was sie von dieserAuffhrung denken solle. Sie sah, ber und ber rot, ihre Mut-ter, und diese, mit Verlegenheit, den Sohn und den Vater an;whrend der Graf vor die Marquise trat, und indem er ihreHand nahm, als ob er sie kssen wollte, wiederholte: ob sie ihnverstanden htte? Der Kommandant sagte: ob er nicht Platznehmen wolle; und setzte ihm, auf eine verbindliche, obschonetwas ernsthafte, Art einen Stuhl hin. Die Obristin sprach: inder Tat, wir werden glauben, da Sie ein Geist sind, bis Sie unswerden erffnet haben, wie Sie aus dem Grabe, in welchesman Sie zu P gelegt hatte, erstanden sind. Der Graf setztesich, indem er die Hand der Dame fahren lie, nieder, und sag-te, da er, durch die Umstnde gezwungen, sich sehr kurz fas-sen msse; da er, tdlich durch die Brust geschossen, nachP gebracht worden wre; da er mehrere Monate daselbst anseinem Leben verzweifelt htte; da whrend dessen die FrauMarquise sein einziger Gedanke gewesen wre; da er die Lustund den Schmerz nicht beschreiben knnte, die sich in dieserVorstellung umarmt htten; da er endlich, nach seiner Wie-derherstellung, wieder zur Armee gegangen wre; da er da-selbst die lebhafteste Unruhe empfunden htte; da er mehre-re Male die Feder ergriffen, um in einem Briefe, an den HerrnObristen und die Frau Marquise, seinem Herzen Luft zu ma-chen; da er pltzlich mit Depeschen nach Neapel geschicktworden wre; da er nicht wisse, ob er nicht von dort weiternach Konstantinopel werde abgeordert werden; da er viel-leicht gar nach St. Petersburg werde gehen mssen; da ihminzwischen unmglich wre, lnger zu leben, ohne ber eine

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  • notwendige Forderung seiner Seele ins Reine zu sein; da erdem Drang bei seiner Durchreise durch M , einige Schrittezu diesem Zweck zu tun, nicht habe widerstehen knnen; kurz,da er den Wunsch hege, mit der Hand der Frau Marquise be-glckt zu werden, und da er auf das ehrfurchtsvollste, instn-digste und dringendste bitte, sich ihm hierber gtig zu erkl-ren. Der Kommandant, nach einer langen Pause, erwiderte:da ihm dieser Antrag zwar, wenn er, wie er nicht zweifle,ernsthaft gemeint sei, sehr schmeichelhaft wre. Bei dem Todeihres Gemahls, des Marquis von O , htte sich seine Tochteraber entschlossen, in keine zweite Vermhlung einzugehen. Daihr jedoch krzlich von ihm eine so groe Verbindlichkeit auf-erlegt worden sei: so wre es nicht unmglich, da ihr Ent-schlu dadurch, seinen Wnschen gem, eine Abnderung er-leide; er bitte sich inzwischen die Erlaubnis fr sie aus, dar-ber im Stillen whrend einiger Zeit nachdenken zu drfen.Der Graf versicherte, da diese gtige Erklrung zwar alle sei-ne Hoffnungen befriedige; da sie ihn, unter anderen Umstn-den, auch vllig beglcken wrde; da er die ganze Unschick-lichkeit fhle, sich mit derselben nicht zu beruhigen: da drin-gende Verhltnisse jedoch, ber welche er sich nher auszulas-sen nicht im Stande sei, ihm eine bestimmtere Erklrung u-erst wnschenswert machten; da die Pferde, die ihn nachNeapel tragen sollten, vor seinem Wagen stnden; und da erinstndigst bitte, wenn irgend etwas in diesem Hause gnstigfr ihn spreche, wobei er die Marquise ansah ihn nicht, oh-ne eine gtige uerung darber, abreisen zu lassen. DerObrist, durch diese Auffhrung ein wenig betreten, antwortete,da die Dankbarkeit, die die Marquise fr ihn empfnde, ihnzwar zu groen Voraussetzungen berechtige: doch nicht zu sogroen; sie werde bei einem Schritte, bei welchem es dasGlck ihres Lebens gelte, nicht ohne die gehrige Klugheit ver-fahren. Es wre unerllich, da seiner Tochter, bevor sie sicherklre, das Glck seiner nheren Bekanntschaft wrde. Er la-de ihn ein, nach Vollendung seiner Geschftsreise, nach Mzurckzukehren, und auf einige Zeit der Gast seines Hauses zusein. Wenn alsdann die Frau Marquise hoffen knne, durch ihnglcklich zu werden, so werde auch er, eher aber nicht, mitFreuden vernehmen, da sie ihm eine bestimmte Antwort ge-geben habe. Der Graf uerte, indem ihm eine Rte ins Gesicht

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  • stieg, da er seinen ungeduldigen Wnschen, whrend seinerganzen Reise, dies Schicksal vorausgesagt habe; da er sich in-zwischen dadurch in die uerste Bekmmernis gestrzt sehe;da ihm, bei der ungnstigen Rolle, die er eben jetzt zu spielengezwungen sei, eine nhere Bekanntschaft nicht anders alsvorteilhaft sein knne; da er fr seinen Ruf, wenn anders die-se zweideutigste aller Eigenschaften in Erwgung gezogenwerden solle, einstehen zu drfen glaube; da die einzigenichtswrdige Handlung, die er in seinem Leben begangenhtte, der Welt unbekannt, und er schon im Begriff sei, sie wie-der gut zu machen; da er, mit einem Wort, ein ehrlicher Mannsei, und die Versicherung anzunehmen bitte, da diese Versi-cherung wahrhaftig sei. Der Kommandant erwiderte, indemer ein wenig, obschon ohne Ironie, lchelte, da er alle dieseuerungen unterschreibe. Noch htte er keines jungen Man-nes Bekanntschaft gemacht, der, in so kurzer Zeit, so viele vor-treffliche Eigenschaften des Charakters entwickelt htte. Erglaube fast, da eine kurze Bedenkzeit die Unschlssigkeit, dienoch obwalte, heben wrde; bevor er jedoch Rcksprache ge-nommen htte, mit seiner sowohl, als des Herrn Grafen Fami-lie, knne keine andere Erklrung, als die gegebene, erfolgen.Hierauf uerte der Graf, da er ohne Eltern und frei sei. SeinOnkel sei der General K , fr dessen Einwilligung er stehe.Er setzte hinzu, da er Herr eines ansehnlichen Vermgenswre, und sich wrde entschlieen knnen, Italien zu seinemVaterlande zu machen. Der Kommandant machte ihm eineverbindliche Verbeugung, erklrte seinen Willen noch einmal;und bat ihn, bis nach vollendeter Reise, von dieser Sache abzu-brechen. Der Graf, nach einer kurzen Pause, in welcher er alleMerkmale der grten Unruhe gegeben hatte, sagte, indem ersich zur Mutter wandte, da er sein uerstes getan htte, umdieser Geschftsreise auszuweichen; da die Schritte, die erdeshalb beim General en Chef, und dem General K , seinemOnkel, gewagt htte, die entscheidendsten gewesen wren, diesich htten tun lassen; da man aber geglaubt htte, ihn da-durch aus einer Schwermut aufzurtteln, die ihm von seinerKrankheit noch zurckgeblieben wre; und da er sich jetztvllig dadurch ins Elend gestrzt sehe. Die Familie wutenicht, was sie zu dieser uerung sagen sollte. Der Graf fuhrfort, indem er sich die Stirn rieb, da wenn irgend Hoffnung

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  • wre, dem Ziele seiner Wnsche dadurch nher zu kommen, erseine Reise auf einen Tag, auch wohl noch etwas darber, aus-setzen wrde, um es zu versuchen. Hierbei sah er, nach derReihe, den Kommandanten, die Marquise und die Mutter an.Der Kommandant blickte mivergngt vor sich nieder, und ant-wortete ihm nicht. Die Obristin sagte: gehn Sie, gehn Sie, HerrGraf; reisen Sie nach Neapel; schenken Sie uns, wenn Sie wie-derkehren, auf einige Zeit das Glck Ihrer Gegenwart; so wirdsich das brige finden. Der Graf sa einen Augenblick, undschien zu suchen, was er zu tun habe. Drauf, indem er sich er-hob, und seinen Stuhl wegsetzte: da er die Hoffnungen, spracher, mit denen er in dies Haus getreten sei, als bereilt erken-nen msse, und die Familie, wie er nicht mibillige, auf einenhere Bekanntschaft bestehe: so werde er seine Depeschen,zu einer anderweitigen Expedition, nach Z , in das Haupt-quartier, zurckschicken, und das gtige Anerbieten, der Gastdieses Hauses zu sein, auf einige Wochen annehmen. Woraufer noch, den Stuhl in der Hand, an der Wand stehend, einenAugenblick verharrte, und den Kommandanten ansah. DerKommandant versetzte, da es ihm uerst leid tun wrde,wenn die Leidenschaft, die er zu seiner Tochter gefat zu ha-ben scheine, ihm Unannehmlichkeiten von der ernsthaftestenArt zuzge: da er indessen wissen msse, was er zu tun undzu lassen habe, die Depeschen abschicken, und die fr ihn be-stimmten Zimmer beziehen mchte. Man sah ihn bei diesenWorten sich entfrben, der Mutter ehrerbietig die Hand ks-sen, sich gegen die brigen verneigen und sich entfernen.

    Als er das Zimmer verlassen hatte, wute die Familie nicht,was sie aus dieser Erscheinung machen solle. Die Mutter sag-te, es wre wohl nicht mglich, da er Depeschen, mit denener nach Neapel ginge, nach Z zurckschicken wolle, blo,weil es ihm nicht gelungen wre, auf seiner Durchreisedurch M , in einer fnf Minuten langen Unterredung, von ei-ner ihm ganz unbekannten Dame ein Jawort zu erhalten. DerForstmeister uerte, da eine so leichtsinnige Tat ja mitnichts Geringerem, als Festungsarrest, bestraft werden wrde!Und Kassation obenein, setzte der Kommandant hinzu. Es habeaber damit keine Gefahr, fuhr er fort. Es sei ein bloerSchreckschu beim Sturm; er werde sich wohl noch, ehe er dieDepeschen abgeschickt, wieder besinnen. Die Mutter, als sie

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  • von dieser Gefahr unterrichtet ward, uerte die lebhaftesteBesorgnis, da er sie abschicken werde. Sein heftiger, aufeinen Punkt hintreibender Wille, meinte sie, scheine ihr gradeeiner solchen Tat fhig. Sie bat den Forstmeister auf das drin-gendste, ihm sogleich nachzugehen, und ihn von einer so un-glckdrohenden Handlung abzuhalten. Der Forstmeister erwi-derte, da ein solcher Schritt gerade das Gegenteil bewirken,und ihn nur in der Hoffnung, durch seine Kriegslist zu siegen,bestrken wrde. Die Marquise war derselben Meinung, ob-schon sie versicherte, da ohne ihn die Absendung der Depe-schen unfehlbar erfolgen wrde, indem er lieber werde un-glcklich werden, als sich eine Ble geben wollen. Alle kamendarin berein, da sein Betragen sehr sonderbar sei, und daer Damenherzen durch Anlauf, wie Festungen, zu erobern ge-wohnt scheine. In diesem Augenblick bemerkte der Komman-dant den angespannten Wagen des Grafen vor seiner Tr. Errief die Familie ans Fenster, und fragte einen eben eintreten-den Bedienten, erstaunt, ob der Graf noch im Hause sei? DerBediente antwortete, da er unten, in der Domestikenstube, inGesellschaft eines Adjutanten, Briefe schreibe und Pakete ver-siegle. Der Kommandant, der seine Bestrzung unterdrckte,eilte mit dem Forstmeister hinunter, und fragte den Grafen, daer ihn auf dazu nicht schicklichen Tischen seine Geschfte be-treiben sah, ob er nicht in seine Zimmer treten wolle? Und ober sonst irgend etwas befehle? Der Graf erwiderte, indem ermit Eilfertigkeit fortschrieb, da er untertnigst danke, undda sein Geschft abgemacht sei; fragte noch, indem er denBrief zusiegelte, nach der Uhr; und wnschte dem Adjutanten,nachdem er ihm das ganze Portefeuille bergeben hatte, eineglckliche Reise. Der Kommandant, der seinen Augen nichttraute, sagte, indem der Adjutant zum Hause hinausging: HerrGraf, wenn Sie nicht sehr wichtige Grnde haben Entschei-dende! fiel ihm der Graf ins Wort; begleitete den Adjutantenzum Wagen, und ffnete ihm die Tr. In diesem Fall wrde ichwenigstens, fuhr der Kommandant fort, die Depeschen Es istnicht mglich, antwortete der Graf, indem er den Adjutanten inden Sitz hob. Die Depeschen gelten nichts in Neapel ohnemich. Ich habe auch daran gedacht. Fahr zu! Und die BriefeIhres Herrn Onkels? rief der Adjutant, sich aus der Tr

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  • hervorbeugend. Treffen mich, erwiderte der Graf, in M Fahrzu, sagte der Adjutant, und rollte mit dem Wagen dahin.

    Hierauf fragte der Graf F , indem er sich zum Kommandan-ten wandte, ob er ihm geflligst sein Zimmer anweisen lassenwolle? Er wrde gleich selbst die Ehre haben, antwortete derverwirrte Obrist; rief seinen und des Grafen Leuten, das Ge-pck desselben aufzunehmen: und fhrte ihn in die fr frem-den Besuch bestimmten Gemcher des Hauses, wo er sich ihmmit einem trocknen Gesicht empfahl. Der Graf kleidete sichum; verlie das Haus, um sich bei dem Gouverneur des Platzeszu melden, und fr den ganzen weiteren Rest des Tages imHause unsichtbar, kehrte er erst kurz vor der Abendtafel dahinzurck.

    Inzwischen war die Familie in der lebhaftesten Unruhe. DerForstmeister erzhlte, wie bestimmt, auf einige Vorstellungendes Kommandanten, des Grafen Antworten ausgefallen wren;meinte, da sein Verhalten einem vllig berlegten Schritthnlich sehe; und fragte, in aller Welt, nach den Ursachen ei-ner so auf Kurierpferden gehenden Bewerbung. Der Komman-dant sagte, da er von der Sache nichts verstehe, und fordertedie Familie auf, davon weiter nicht in seiner Gegenwart zusprechen. Die Mutter sah alle Augenblicke aus dem Fenster, ober nicht kommen, seine leichtsinnige Tat bereuen, und wiedergut machen werde. Endlich, da es finster ward, setzte sie sichzur Marquise nieder, welche, mit vieler Emsigkeit, an einemTisch arbeitete, und das Gesprch zu vermeiden schien. Siefragte sie halblaut, whrend der Vater auf und niederging, obsie begreife, was aus dieser Sache werden solle? Die Marquiseantwortete, mit einem schchtern nach dem Kommandantengewandten Blick: wenn der Vater bewirkt htte, da er nachNeapel gereist wre, so wre alles gut. Nach Neapel! rief derKommandant, der dies gehrt hatte. Sollt ich den Priester ho-len lassen? Oder htt ich ihn schlieen lassen und arretieren,und mit Bewachung nach Neapel schicken sollen? Nein, ant-wortete die Marquise, aber lebhafte und eindringliche Vorstel-lungen tun ihre Wirkung; und sah, ein wenig unwillig, wiederauf ihre Arbeit nieder. Endlich gegen die Nacht erschien derGraf. Man erwartete nur, nach den ersten Hflichkeitsbezeu-gungen, da dieser Gegenstand zur Sprache kommen wrde,um ihn mit vereinter Kraft zu bestrmen, den Schritt, den er

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  • gewagt hatte, wenn es noch mglich sei, wieder zurckzuneh-men. Doch vergebens, whrend der ganzen Abendtafel, erharr-te man diesen Augenblick. Geflissentlich alles, was darauf fh-ren konnte, vermeidend, unterhielt er den Kommandanten vomKriege, und den Forstmeister von der Jagd. Als er des Gefechtsbei P , in welchem er verwundet worden war, erwhnte, ver-wickelte ihn die Mutter bei der Geschichte seiner Krankheit,fragte ihn, wie es ihm an diesem kleinen Orte ergangen sei,und ob er die gehrigen Bequemlichkeiten gefunden htte.Hierauf erzhlte er mehrere, durch seine Leidenschaft zurMarquise interessanten, Zge: wie sie bestndig, whrend sei-ner Krankheit, an seinem Bette gesessen htte; wie er die Vor-stellung von ihr, in der Hitze des Wundfiebers, immer mit derVorstellung eines Schwans verwechselt htte, den er, als Kna-be, auf seines Onkels Gtern gesehen; da ihm besonders eineErinnerung rhrend gewesen wre, da er diesen Schwan einstmit Kot beworfen, worauf dieser still untergetaucht, und reinaus der Flut wieder emporgekommen sei; da sie immer auffeurigen Fluten umhergeschwommen wre, und er Thinka ge-rufen htte, welches der Name jenes Schwans gewesen, da eraber nicht im Stande gewesen wre, sie an sich zu locken, in-dem sie ihre Freude gehabt htte, blo am Rudern und In-die-Brust-sich-werfen; versicherte pltzlich, blutrot im Gesicht,da er sie auerordentlich liebe: sah wieder auf seinen Tellernieder, und schwieg. Man mute endlich von der Tafel aufste-hen; und da der Graf, nach einem kurzen Gesprch mit derMutter, sich sogleich gegen die Gesellschaft verneigte, undwieder in sein Zimmer zurckzog: so standen die Mitgliederderselben wieder, und wuten nicht, was sie denken sollten.Der Kommandant meinte: man msse der Sache ihren Lauf las-sen. Er rechne wahrscheinlich auf seine Verwandten bei die-sem Schritte. Infame Kassation stnde sonst darauf. Frauvon G fragte ihre Tochter, was sie denn von ihm halte? Undob sie sich wohl zu irgend einer uerung, die ein Unglckvermiede, wrde verstehen knnen? Die Marquise antwortete:Liebste Mutter! Das ist nicht mglich. Es tut mir leid, da mei-ne Dankbarkeit auf eine so harte Probe gestellt wird. Doch eswar mein Entschlu, mich nicht wieder zu vermhlen; ich magmein Glck nicht, und nicht so unberlegt, auf ein zweitesSpiel setzen. Der Forstmeister bemerkte, da wenn dies ihr

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  • fester Wille wre, auch dieseErklrung ihm Nutzen schaffenknne, und da es fast notwendig scheine, ihm irgend eine be-stimmte zu geben. Die Obristin versetzte, da da dieser jungeMann, den so viele auerordentliche Eigenschaften empfhlen,seinen Aufenthalt in Italien nehmen zu wollen, erklrt habe,sein Antrag, nach ihrer Meinung, einige Rcksicht, und derEntschlu der Marquise Prfung verdiene. Der Forstmeister,indem er sich bei ihr niederlie, fragte, wie er ihr denn, wasseine Person anbetreffe, gefalle? Die Marquise antwortete, miteiniger Verlegenheit: er gefllt und mifllt mir; und beriefsich auf das Gefhl der anderen. Die Obristin sagte: wenn ervon Neapel zurckkehrt, und die Erkundigungen, die wir inzwi-schen ber ihn einziehen knnten, dem Gesamteindruck, dendu von ihm empfangen hast, nicht widersprchen: wie wrdestdu dich, falls er alsdann seinen Antrag wiederholte, erklren?In diesem Fall, versetzte die Marquise, wrd ich da in der Tatseine Wnsche so lebhaft scheinen, diese Wnsche sie stock-te, und ihre Augen glnzten, indem sie dies sagte um der Ver-bindlichkeit willen, die ich ihm schuldig bin, erfllen. Die Mut-ter, die eine zweite Vermhlung ihrer Tochter immer ge-wnscht hatte, hatte Mhe, ihre Freude ber diese Erklrungzu verbergen, und sann, was sich wohl daraus machen lasse.Der Forstmeister sagte, indem er unruhig vom Sitz wieder auf-stand, da wenn die Marquise irgend an die Mglichkeit den-ke, ihn einst mit ihrer Hand zu erfreuen, jetzt gleich notwendigein Schritt dazu geschehen msse, um den Folgen seiner ra-senden Tat vorzubeugen. Die Mutter war derselben Meinung,und behauptete, da zuletzt das Wagstck nicht allzu gro w-re, indem bei so vielen vortrefflichen Eigenschaften, die er injener Nacht, da das Fort von den Russen erstrmt ward, entwi-ckelte, kaum zu frchten sei, da sein briger Lebenswandelihnen nicht entsprechen sollte. Die Marquise sah, mit dem Aus-druck der lebhaftesten Unruhe, vor sich nieder. Man knnteihm ja, fuhr die Mutter fort, indem sie ihre Hand ergriff, etwaeine Erklrung, da du, bis zu seiner Rckkehr von Neapel, inkeine andere Verbindung eingehen wollest, zukommen lassen.Die Marquise sagte: dieseErklrung, liebste Mutter, kann ichihm geben; ich frchte nur, da sie ihn nicht beruhigen, unduns verwickeln wird. Das sei meine Sorge! erwiderte die Mut-ter, mit lebhafter Freude; und sah sich nach dem

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  • Kommandanten um. Lorenzo! fragte sie, was meinst du? undmachte Anstalten, sich vom Sitz zu erheben. Der Kommandant,der alles gehrt hatte, stand am Fenster, sah auf die Straehinaus, und sagte nichts. Der Forstmeister versicherte, da er,mit dieser unschdlichen Erklrung, den Grafen aus dem Hau-se zu schaffen, sich anheischig mache. Nun so macht! macht!macht! rief der Vater, indem er sich umkehrte: ich mu michdiesem Russen schon zum zweitenmal ergeben! Hieraufsprang die Mutter auf, kte ihn und die Tochter, und fragte,indem der Vater ber ihre Geschftigkeit lchelte, wie mandem Grafen jetzt diese Erklrung augenblicklich hinterbringensolle? Man beschlo, auf den Vorschlag des Forstmeisters, ihnbitten zu lassen, sich, falls er noch nicht entkleidet sei, gefl-ligst auf einen Augenblick zur Familie zu verfgen. Er werdegleich die Ehre haben zu erscheinen! lie der Graf antworten,und kaum war der Kammerdiener mit dieser Meldung zurck,als er schon selbst, mit Schritten, die die Freude beflgelte, insZimmer trat, und zu den Fen der Marquise, in der allerleb-haftesten Rhrung niedersank. Der Kommandant wollte etwassagen: doch er, indem er aufstand, versetzte, er wisse genug!kte ihm und der Mutter die Hand, umarmte den Bruder, undbat nur um die Geflligkeit, ihm sogleich zu einem Reisewagenzu verhelfen. Die Marquise, obschon von diesem Auftritt be-wegt, sagte doch: ich frchte nicht, Herr Graf, da Ihre rascheHoffnung Sie zu weit Nichts! Nichts! versetzte der Graf; esist nichts geschehen, wenn die Erkundigungen, die Sie bermich einziehen mgen, dem Gefhl widersprechen, das michzu Ihnen in dies Zimmer zurckberief. Hierauf umarmte derKommandant ihn auf das herzlichste, der Forstmeister bot ihmsogleich seinen eigenen Reisewagen an, ein Jger flog auf diePost, Kurierpferde auf Prmien zu bestellen, und Freude warbei dieser Abreise, wie noch niemals bei einem Empfang. Erhoffe, sagte der Graf, die Depeschen in B einzuholen, von woer jetzt einen nheren Weg nach Neapel, als ber M ein-schlagen wrde; in Neapel wrde er sein Mglichstes tun, diefernere Geschftsreise nach Konstantinopel abzulehnen; undda er, auf den uersten Fall, entschlossen wre, sich krankanzugeben, so versicherte er, da wenn nicht unvermeidlicheHindernisse ihn abhielten, er in Zeit von vier bis sechs Wochenunfehlbar wieder in M sein wrde. Hierauf meldete sein

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  • Jger, da der Wagen angespannt, und alles zur Abreise bereitsei. Der Graf nahm seinen Hut, trat vor die Marquise, und er-griff ihre Hand. Nun denn, sprach er, Julietta, so bin ich eini-germaen beruhigt; und legte seine Hand in die ihrige; ob-schon es mein sehnlichster Wunsch war, mich noch vor meinerAbreise mit Ihnen zu vermhlen. Vermhlen! riefen alle Mit-glieder der Familie aus. Vermhlen, wiederholte der Graf, k-te der Marquise die Hand, und versicherte, da diese fragte, ober von Sinnen sei: es wrde ein Tag kommen, wo sie ihn verste-hen wrde! Die Familie wollte auf ihn bse werden; doch ernahm gleich auf das wrmste von allen Abschied, bat sie, berdiese uerung nicht weiter nachzudenken, und reiste ab.

    Mehrere Wochen, in welchen die Familie, mit sehr verschie-denen Empfindungen, auf den Ausgang dieser sonderbaren Sa-che gespannt war, verstrichen. Der Kommandant empfing vomGeneral K , dem Onkel des Grafen, eine hfliche Zuschrift;der Graf selbst schrieb aus Neapel; die Erkundigungen, dieman ber ihn einzog, sprachen ziemlich zu seinem Vorteil;kurz, man hielt die Verlobung schon fr so gut, wie abgemacht:als sich die Krnklichkeiten der Marquise, mit grerer Leb-haftigkeit, als jemals, wieder einstellten. Sie bemerkte eine un-begreifliche Vernderung ihrer Gestalt. Sie entdeckte sich mitvlliger Freimtigkeit ihrer Mutter, und sagte, sie wisse nicht,was sie von ihrem Zustand denken solle. Die Mutter, welche sosonderbare Zuflle fr die Gesundheit ihrer Tochter uerstbesorgt machten, verlangte, da sie einen Arzt zu Rate ziehe.Die Marquise, die durch ihre Natur zu siegen hoffte, strubtesich dagegen; sie brachte mehrere Tage noch, ohne dem Ratder Mutter zu folgen, unter den empfindlichsten Leiden zu: bisGefhle, immer wiederkehrend und von so wunderbarer Art,sie in die lebhafteste Unruhe strzten. Sie lie einen Arzt ru-fen, der das Vertrauen ihres Vaters besa, ntigte ihn, da gera-de die Mutter abwesend war, auf den Diwan nieder, und erff-nete ihm, nach einer kurzen Einleitung, scherzend, was sie vonsich glaube. Der Arzt warf einen forschenden Blick auf sie;schwieg noch, nachdem er eine genaue Untersuchung vollen-det hatte, eine Zeitlang: und antwortete dann mit einer sehrernsthaften Miene, da die Frau Marquise ganz richtig urteile.Nachdem er sich auf die Frage der Dame, wie er dies verstehe,ganz deutlich erklrt, und mit einem Lcheln, das er nicht

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  • unterdrcken konnte, gesagt hatte, da sie ganz gesund sei,und keinen Arzt brauche, zog die Marquise, und sah ihn sehrstreng von der Seite an, die Klingel, und bat ihn, sich zu entfer-nen. Sie uerte halblaut, als ob er der Rede nicht wert wre,vor sich nieder murmelnd: da sie nicht Lust htte, mit ihmber Gegenstnde dieser Art zu scherzen. Der Doktor erwider-te empfindlich: er msse wnschen, da sie immer zum Scherzso wenig aufgelegt gewesen wre, wie jetzt; nahm Stock undHut, und machte Anstalten, sich sogleich zu empfehlen. DieMarquise versicherte, da sie von diesen Beleidigungen ihrenVater unterrichten wrde. Der Arzt antwortete, da er seineAussage vor Gericht beschwren knne: ffnete die Tr, ver-neigte sich, und wollte das Zimmer verlassen. Die Marquisefragte, da er noch einen Handschuh, den er hatte fallen lassen,von der Erde aufnahm: und die Mglichkeit davon, Herr Dok-tor? Der Doktor erwiderte, da er ihr die letzten Grnde derDinge nicht werde zu erklren brauchen; verneigte sich ihrnoch einmal, und ging ab.

    Die Marquise stand, wie vom Donner gerhrt. Sie raffte sichauf, und wollte zu ihrem Vater eilen; doch der sonderbareErnst des Mannes, von dem sie sich beleidigt sah, lhmte alleihre Glieder. Sie warf sich in der grten Bewegung auf denDiwan nieder. Sie durchlief, gegen sich selbst mitrauisch, alleMomente des verflossenen Jahres, und hielt sich fr verrckt,wenn sie an den letzten dachte. Endlich erschien die Mutter;und auf die bestrzte Frage, warum sie so unruhig sei? erzhl-te ihr die Tochter, was ihr der Arzt soeben erffnet hatte. Frauvon G nannte ihn einen Unverschmten und Nichtswrdigen,und bestrkte die Tochter in dem Entschlu, diese Beleidigungdem Vater zu entdecken. Die Marquise versicherte, da es seinvlliger Ernst gewesen sei, und da er entschlossen scheine,dem Vater ins Gesicht seine rasende Behauptung zu wiederho-len. Frau von G fragte, nicht wenig erschrocken, ob sie dennan die Mglichkeit eines solchen Zustandes glaube? Eher, ant-wortete die Marquise, da die Grber befruchtet werden, undsich dem Schoe der Leichen eine Geburt entwickeln wird!Nun, du liebes wunderliches Weib, sagte die Obristin, indemsie sie fest an sich drckte: was beunruhigt dich denn? Wenndein Bewutsein dich rein spricht: wie kann dich ein Urteil,und wre es das einer ganzen Konsulta von rzten, nur

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  • kmmern? Ob das seinige aus Irrtum, ob es aus Bosheit ent-sprang: gilt es dir nicht vllig gleichviel? Doch schicklich ist es,da wir es dem Vater entdecken. O Gott! sagte die Marquise,mit einer konvulsivischen Bewegung: wie kann ich mich beru-higen. Hab ich nicht mein eignes, innerliches, mir nur allzu-wohlbekanntes Gefhl gegen mich? Wrd ich nicht, wenn ichin einer andern meine Empfindung wte, von ihr selbst urtei-len, da es damit seine Richtigkeit habe? Es ist entsetzlich,versetzte die Obristin. Bosheit! Irrtum! fuhr die Marquise fort.Was kann dieser Mann, der uns bis auf den heutigen Tag scht-zenswrdig erschien, fr Grnde haben, mich auf eine so mut-willige und niedertrchtige Art zu krnken? Mich, die ihn niebeleidigt hatte? Die ihn mit Vertrauen, und dem Vorgefhl zu-knftiger Dankbarkeit, empfing? Bei der er, wie seine erstenWorte zeugten, mit dem reinen und unverflschten Willen er-schien, zu helfen, nicht Schmerzen, grimmigere, als ich emp-fand, erst zu erregen? Und wenn ich in der Notwendigkeit derWahl, fuhr sie fort, whrend die Mutter sie unverwandt ansah,an einen Irrtum glauben wollte: ist es wohl mglich, da einArzt, auch nur von mittelmiger Geschicklichkeit, in solchemFalle irre? Die Obristin sagte ein wenig spitz: und gleichwohlmu es doch notwendig eins oder das andere gewesen sein. Ja!versetzte die Marquise, meine teuerste Mutter, indem sie ihr,mit dem Ausdruck der gekrnkten Wrde, hochrot im Gesichtglhend, die Hand kte: das mu es! Obschon die Umstndeso auerordentlich sind, da es mir erlaubt ist, daran zu zwei-feln. Ich schwre, weil es doch einer Versicherung bedarf, damein Bewutsein, gleich dem meiner Kinder ist; nicht reiner,Verehrungswrdigste, kann das Ihrige sein. Gleichwohl bitteich Sie, mir eine Hebamme rufen zu lassen, damit ich mich vondem, was ist, berzeuge, und gleichviel alsdann, was es sei, be-ruhige. Eine Hebamme! rief Frau von G mit Entwrdigung.Ein reines Bewutsein, und eine Hebamme! Und die Spracheging ihr aus. Eine Hebamme, meine teuerste Mutter, wieder-holte die Marquise, indem sie sich auf Knieen vor ihr nieder-lie; und das augenblicklich, wenn ich nicht wahnsinnig wer-den soll. O sehr gern, versetzte die Obristin; nur bitte ich, dasWochenlager nicht in meinem Hause zu halten. Und damitstand sie auf, und wollte das Zimmer verlassen. Die Marquise,ihr mit ausgebreiteten Armen folgend, fiel ganz auf das Gesicht

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  • nieder, und umfate ihre Kniee. Wenn irgend ein unstrflichesLeben, rief sie, mit der Beredsamkeit des Schmerzes, ein Le-ben, nach Ihrem Muster gefhrt, mir ein Recht auf Ihre Ach-tung gibt, wenn irgend ein mtterliches Gefhl auch nur, solange meine Schuld nicht sonnenklar entschieden ist, in IhremBusen fr mich spricht: so verlassen Sie mich in diesen ent-setzlichen Augenblicken nicht. Was ist es, das dich beunru-higt? fragte die Mutter. Ist es weiter nichts, als der Ausspruchdes Arztes? Weiter nichts, als dein innerliches Gefhl? Nichtsweiter, meine Mutter, versetzte die Marquise, und legte ihreHand auf die Brust. Nichts, Julietta? fuhr die Mutter fort. Be-sinne dich. Ein Fehltritt, so unsglich er mich schmerzen wr-de, er liee sich, und ich mte ihn zuletzt verzeihn; dochwenn du, um einem mtterlichen Verweis auszuweichen, einMrchen von der Umwlzung der Weltordnung ersinnen, undgotteslsterliche Schwre hufen knntest, um es meinem, dirnur allzugernglubigen, Herzen aufzubrden: so wre dasschndlich; ich wrde dir niemals wieder gut werden. Mgedas Reich der Erlsung einst so offen vor mir liegen, wie meineSeele vor Ihnen, rief die Marquise. Ich verschwieg Ihnennichts, meine Mutter. Diese uerung, voll Pathos getan, er-schtterte die Mutter. O Himmel! rief sie: mein liebenswrdi-ges Kind! Wie rhrst du mich! Und hob sie auf, und kte sie,und drckte sie an ihre Brust. Was denn, in aller Welt, frch-test du? Komm, du bist sehr krank. Sie wollte sie in ein Bettfhren. Doch die Marquise, welcher die Trnen hufig flossen,versicherte, da sie sehr gesund wre, und da ihr gar nichtsfehle, auer jenem sonderbaren und unbegreiflichen Zustand. Zustand! rief die Mutter wieder; welch ein Zustand? Wenndein Gedchtnis ber die Vergangenheit so sicher ist, welchein Wahnsinn der Furcht ergriff dich? Kann ein innerliches Ge-fhl denn, das doch nur dunkel sich regt, nicht trgen? Nein!Nein! sagte die Marquise, es trgt mich nicht! Und wenn Siedie Hebamme rufen lassen wollen, so werden Sie hren, dadas Entsetzliche, mich Vernichtende, wahr ist. Komm, meineliebste Tochter, sagte Frau von G , die fr ihren Verstand zufrchten anfing. Komm, folge mir, und lege dich zu Bett. Wasmeintest du, da dir der Arzt gesagt hat? Wie dein Gesichtglht! Wie du an allen Gliedern so zitterst! Was war es schon,das dir der Arzt gesagt hat? Und damit zog sie die Marquise,

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  • unglubig nunmehr an den ganzen Auftritt, den sie ihr erzhlthatte, mit sich fort. Die Marquise sagte: Liebe! Vortreffliche!indem sie mit weinenden Augen lchelte. Ich bin meiner Sinnemchtig. Der Arzt hat mir gesagt, da ich in gesegneten Leibe-sumstnden bin. Lassen Sie die Hebamme rufen: und sobaldsie sagt, da es nicht wahr ist, bin ich wieder ruhig. Gut, gut!erwiderte die Obristin, die ihre Angst unterdrckte. Sie sollgleich kommen; sie soll gleich, wenn du dich von ihr willst aus-lachen lassen, erscheinen, und dir sagen, da du eine Trume-rin, und nicht recht klug bist. Und damit zog sie die Klingel,und schickte augenblicklich einen ihrer Leute, der die Hebam-me rufe.

    Die Marquise lag noch, mit unruhig sich hebender Brust, inden Armen ihrer Mutter, als diese Frau erschien, und dieObristin ihr, an welcher seltsamen Vorstellung ihre Tochterkrank liege, erffnete. Die Frau Marquise schwre, da sie sichtugendhaft verhalten habe, und gleichwohl halte sie, von einerunbegreiflichen Empfindung getuscht, fr ntig, da einesachverstndige Frau ihren Zustand untersuche. Die Hebam-me, whrend sie sich von demselben unterrichtete, sprach vonjungem Blut und der Arglist der Welt; uerte, als sie ihr Ge-schft vollendet hatte, dergleichen Flle wren ihr schon vor-gekommen; die jungen Witwen, die in ihre Lage kmen, mein-ten alle auf wsten Inseln gelebt zu haben; beruhigte inzwi-schen die Frau Marquise, und versicherte sie, da sich dermuntere Korsar, der zur Nachtzeit gelandet, schon finden wr-de. Bei diesen Worten fiel die Marquise in Ohnmacht. DieObristin, die ihr mtterliches Gefhl nicht berwltigen konn-te, brachte sie zwar, mit Hlfe der Hebamme, wieder ins Lebenzurck. Doch die Entrstung siegte, da sie erwacht war. Juliet-ta! rief die Mutter mit dem lebhaftesten Schmerz. Willst dudich mir entdecken, willst du den Vater mir nennen? Und schi-en noch zur Vershnung geneigt. Doch als die Marquise sagte,da sie wahnsinnig werden wrde, sprach die Mutter, indemsie sich vom Diwan erhob: geh! geh! du bist nichtswrdig! Ver-flucht sei die Stunde, da ich dich gebar! und verlie dasZimmer.

    Die Marquise, der das Tageslicht von neuem schwinden woll-te, zog die Geburtshelferin vor sich nieder, und legte ihr Hauptheftig zitternd an ihre Brust. Sie fragte, mit gebrochener

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  • Stimme, wie denn die Natur auf ihren Wegen walte? Und obdie Mglichkeit einer unwissentlichen Empfngnis sei? DieHebamme lchelte, machte ihr das Tuch los, und sagte, daswrde ja doch der Frau Marquise Fall nicht sein. Nein, nein,antwortete die Marquise, sie habe wissentlich empfangen, siewolle nur im allgemeinen wissen, ob diese Erscheinung im Rei-che der Natur sei? Die Hebamme versetzte, da dies, auerder heiligen Jungfrau, noch keinem Weibe auf Erden zugesto-en wre. Die Marquise zitterte immer heftiger. Sie glaubte,da sie augenblicklich niederkommen wrde, und bat die Ge-burtshelferin, indem sie sich mit krampfhafter Bengstigungan sie schlo, sie nicht zu verlassen. Die Hebamme beruhigtesie. Sie versicherte, da das Wochenbett noch betrchtlich ent-fernt wre, gab ihr auch die Mittel an, wie man, in solchen Fl-len, dem Leumund der Welt ausweichen knne, und meinte, eswrde noch alles gut werden. Doch da diese Trostgrnde derunglcklichen Dame vllig wie Messerstiche durch die Brustfuhren, so sammelte sie sich, sagte, sie befnde sich besser,und bat ihre Gesellschafterin sich zu entfernen.

    Kaum war die Hebamme aus dem Zimmer, als ihr ein Schrei-ben von der Mutter gebracht ward, in welchem diese sich soauslie: Herr von G wnsche, unter den obwaltenden Um-stnden, da sie sein Haus verlasse. Er sende ihr hierbei dieber ihr Vermgen lautenden Papiere, und hoffe da ihm Gottden Jammer ersparen werde, sie wieder zu sehen. Der Briefwar inzwischen von Trnen benetzt; und in einem Winkel standein verwischtes Wort: diktiert. Der Marquise strzte derSchmerz aus den Augen. Sie ging, heftig ber den Irrtum ihrerEltern weinend, und ber die Ungerechtigkeit, zu welcher die-se vortrefflichen Menschen verfhrt wurden, nach den Gem-chern ihrer Mutter. Es hie, sie sei bei ihrem Vater; sie wanktenach den Gemchern ihres Vaters. Sie sank, als sie die Treverschlossen fand, mit jammernder Stimme, alle Heiligen zuZeugen ihrer Unschuld anrufend, vor derselben nieder. Siemochte wohl schon einige Minuten hier gelegen haben, als derForstmeister daraus hervortrat, und zu ihr mit flammendemGesicht sagte: sie hre da der Kommandant sie nicht sehenwolle. Die Marquise rief: mein liebster Bruder! unter vielemSchluchzen; drngte sich ins Zimmer, und rief: mein teuersterVater! und streckte die Arme nach ihm aus. Der Kommandant

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  • wandte ihr, bei ihrem Anblick, den Rcken zu, und eilte in seinSchlafgemach. Er rief, als sie ihn dahin verfolgte, hinweg! undwollte die Tre zuwerfen; doch da sie, unter Jammern und Fle-hen, da er sie schliee, verhinderte, so gab er pltzlich nachund eilte, whrend die Marquise zu ihm hineintrat, nach derhintern Wand. Sie warf sich ihm, der ihr den Rcken zugekehrthatte, eben zu Fen, und umfate zitternd seine Kniee, als einPistol, das er ergriffen hatte, in dem Augenblick, da er es vonder Wand herabri, losging, und der Schu schmetternd in dieDecke fuhr. Herr meines Lebens! rief die Marquise, erhob sichleichenbla von ihren Knieen, und eilte aus seinen Gemchernwieder hinweg. Man soll sogleich anspannen, sagte sie, indemsie in die ihrigen trat; setzte sich, matt bis in den Tod, aufeinen Sessel nieder, zog ihre Kinder eilfertig an, und lie dieSachen einpacken. Sie hatte eben ihr Kleinstes zwischen denKnieen, und schlug ihm noch ein Tuch um, um nunmehr, da al-les zur Abreise bereit war, in den Wagen zu steigen: als derForstmeister eintrat, und auf Befehl des Kommandanten dieZurcklassung und berlieferung der Kinder von ihr forderte.Dieser Kinder? fragte sie; und stand auf. Sag deinem un-menschlichen Vater, da er kommen, und mich niederschie-en, nicht aber mir meine Kinder entreien knne! Und hob,mit dem ganzen Stolz der Unschuld gerstet, ihre Kinder auf,trug sie ohne da der Bruder gewagt htte, sie anzuhalten, inden Wagen, und fuhr ab.

    Durch diese schne Anstrengung mit sich selbst bekannt ge-macht, hob sie sich pltzlich, wie an ihrer eigenen Hand, ausder ganzen Tiefe, in welche das Schicksal sie herabgestrzthatte, empor. Der Aufruhr, der ihre Brust zerri, legte sich, alssie im Freien war, sie kte hufig die Kinder, diese ihre liebeBeute, und mit groer Selbstzufriedenheit gedachte sie, welcheinen Sieg sie, durch die Kraft ihres schuldfreien Bewutseins,ber ihren Bruder davon getragen hatte. Ihr Verstand, starkgenug, in ihrer sonderbaren Lage nicht zu reien, gab sichganz unter der groen, heiligen und unerklrlichen Einrich-tung der Welt gefangen. Sie sah die Unmglichkeit ein, ihreFamilie von ihrer Unschuld zu berzeugen, begriff, da sie sichdarber trsten msse, falls sie nicht untergehen wolle, undwenige Tage nur waren nach ihrer Ankunft in V verflossen,als der Schmerz ganz und gar dem heldenmtigen Vorsatz

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  • Platz machte, sich mit Stolz gegen die Anflle der Welt zu rs-ten. Sie beschlo, sich ganz in ihr Innerstes zurckzuziehen,sich, mit ausschlieendem Eifer, der Erziehung ihrer beidenKinder zu widmen, und des Geschenks, das ihr Gott mit demdritten gemacht hatte, mit voller mtterlichen Liebe zu pfle-gen. Sie machte Anstalten, in wenig Wochen, sobald sie ihreNiederkunft berstanden haben wrde, ihren schnen, aberdurch die lange Abwesenheit ein wenig verfallenen Landsitzwieder herzustellen; sa in der Gartenlaube, und dachte, wh-rend sie kleine Mtzen, und Strmpfe fr kleine Beine strickte,wie sie die Zimmer bequem verteilen wrde; auch, welches siemit Bchern fllen, und in welchem die Staffelei am schick-lichsten stehen wrde. Und so war der Zeitpunkt, da derGraf F von Neapel wiederkehren sollte, noch nicht abgelau-fen, als sie schon vllig mit dem Schicksal, in ewig klsterli-cher Eingezogenheit zu leben, vertraut war. Der Trsteher er-hielt Befehl, keinen Menschen im Hause vorzulassen. Nur derGedanke war ihr unertrglich, da dem jungen Wesen, das siein der grten Unschuld und Reinheit empfangen hatte, unddessen Ursprung, eben weil er geheimnisvoller war, auch gtt-licher zu sein schien, als der anderer Menschen, ein Schand-fleck in der brgerlichen Gesellschaft ankleben sollte. Ein son-derbares Mittel war ihr eingefallen, den Vater zu entdecken:ein Mittel, bei dem sie, als sie es zuerst dachte, das Strickzeugselbst vor Schrecken aus der Hand fallen lie. Durch ganzeNchte, in unruhiger Schlaflosigkeit durchwacht, ward es ge-dreht und gewendet um sich an seine ihr innerstes Gefhl ver-letzende, Natur zu gewhnen. Immer noch strubte sie sich,mit dem Menschen, der sie so hintergangen hatte, in irgendein Verhltnis zu treten: indem sie sehr richtig schlo, da der-selbe doch, ohne alle Rettung, zum Auswurf seiner Gattung ge-hren msse, und, auf welchem Platz der Welt man ihn auchdenken wolle, nur aus dem zertretensten und unfltigstenSchlamm derselben, hervorgegangen sein knne. Doch da dasGefhl ihrer Selbstndigkeit immer lebhafter in ihr ward, undsie bedachte, da der Stein seinen Wert behlt, er mag aucheingefat sein, wie man wolle, so griff sie eines Morgens, dasich das junge Leben wieder in ihr regte, ein Herz, und lie je-ne sonderbare Aufforderung in die Intelligenzbltter von Mrcken, die man am Eingang dieser Erzhlung gelesen hat.

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  • Der Graf F , den unvermeidliche Geschfte in Neapel auf-hielten, hatte inzwischen zum zweitenmal an die Marquise ge-schrieben, und sie aufgefordert, es mchten fremde Umstndeeintreten, welche da wollten, ihrer, ihm gegebenen, stillschwei-genden Erklrung getreu zu bleiben. Sobald es ihm geglcktwar, seine fernere Geschftsreise nach Konstantinopel abzu-lehnen, und es seine brigen Verhltnisse gestatteten, ging eraugenblicklich von Neapel ab, und kam auch richtig, nur weni-ge Tage nach der von ihm bestimmten Frist, in M an. DerKommandant empfing ihn mit einem verlegenen Gesicht, sagte,da ein notwendiges Geschft ihn aus dem Hause ntige, undforderte den Forstmeister auf, ihn inzwischen zu unterhalten.Der Forstmeister zog ihn auf sein Zimmer, und fragte ihn, nacheiner kurzen Begrung, ob er schon wisse, was sich whrendseiner Abwesenheit in dem Hause des Kommandanten zugetra-gen habe. Der Graf antwortete, mit einer flchtigen Blsse:nein. Hierauf unterrichtete ihn der Forstmeister von derSchande, die die Marquise ber die Familie gebracht hatte,und gab ihm die Geschichtserzhlung dessen, was unsre Lesersoeben erfahren haben. Der Graf schlug sich mit der Hand vordie Stirn. Warum legte man mir so viele Hindernisse in denWeg! rief er in der Vergessenheit seiner. Wenn die Vermh-lung erfolgt wre: so wre alle Schmach und jedes Unglckuns erspart! Der Forstmeister fragte, indem er ihn anglotzte,ob er rasend genug wre, zu wnschen, mit dieser Nichtswr-digen vermhlt zu sein? Der Graf erwiderte, da sie mehr wertwre, als die ganze Welt, die sie verachtete; da ihre Erkl-rung ber ihre Unschuld vollkommnen Glauben bei ihm fnde;und da er noch heute nach V gehen, und seinen Antrag beiihr wiederholen wrde. Er ergriff auch sogleich seinen Hut,empfahl sich dem Forstmeister, der ihn fr seiner Sinne vlligberaubt hielt, und ging ab.

    Er bestieg ein Pferd und sprengte nach V hinaus. Als er amTore abgestiegen war, und in den Vorplatz treten wollte, sagteihm der Trsteher, da die Frau Marquise keinen Menschensprche. Der Graf fragte, ob diese, fr Fremde getroffene,Maregel auch einem Freund des Hauses glte; worauf jenerantwortete, da er von keiner Ausnahme wisse, und bald dar-auf, auf eine zweideutige Art hinzusetzte: ob er vielleicht derGraf F wre? Der Graf erwiderte, nach einem forschenden

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  • Blick, nein; und uerte, zu seinem Bedienten gewandt, dochso, da jener es hren konnte, er werde, unter solchen Um-stnden, in einem Gasthofe absteigen, und sich bei der FrauMarquise schriftlich anmelden. Sobald er inzwischen dem Tr-steher aus den Augen war, bog er um eine Ecke, und um-schlich die Mauer eines weitlufigen Gartens, der sich hinterdem Hause ausbreitete. Er trat durch eine Pforte, die er offenfand, in den Garten, durchstrich die Gnge desselben, undwollte eben die hintere Rampe hinaufsteigen, als er, in einerLaube, die zur Seite lag, die Marquise, in ihrer lieblichen undgeheimnisvollen Gestalt, an einem kleinen Tischchen emsig ar-beiten sah. Er nherte sich ihr so, da sie ihn nicht frher er-blicken konnte, als bis er am Eingang der Laube, drei kleineSchritte von ihren Fen, stand. Der Graf F ! sagte die Mar-quise, als sie die Augen aufschlug, und die Rte der berra-schung berflog ihr Gesicht. Der Graf lchelte, blieb noch eineZeitlang, ohne sich im Eingang zu rhren, stehen; setzte sichdann, mit so bescheidener Zudringlichkeit, als sie nicht zu er-schrecken ntig war, neben ihr nieder, und schlug, ehe sienoch, in ihrer sonderbaren Lage, einen Entschlu gefat hatte,seinen Arm sanft um ihren lieben Leib. Von wo, Herr Graf, istes mglich, fragte die Marquise und sah schchtern vor sichauf die Erde nieder. Der Graf sagte: von M , und drckte sieganz leise an sich; durch eine hintere Pforte, die ich offen fand.Ich glaubte auf Ihre Verzeihung rechnen zu drfen, und tratein. Hat man Ihnen denn in M nicht gesagt ? fragte sie,und rhrte noch kein Glied in seinen Armen. Alles, geliebteFrau, versetzte der Graf; doch von Ihrer Unschuld vllig ber-zeugt Wie! rief die Marquise, indem sie aufstand, und sichloswickelte; und Sie kommen gleichwohl? Der Welt zumTrotz, fuhr er fort, indem er sie festhielt, und Ihrer Familiezum Trotz, und dieser lieblichen Erscheinung sogar zum Trotz;wobei er einen glhenden Ku auf ihre Brust drckte. Hin-weg! rief die Marquise So berzeugt, sagte er, Julietta, als obich allwissend wre, als ob meine Seele in deiner Brust wohnte Die Marquise rief: Lassen Sie mich! Ich komme, schlo er und lie sie nicht meinen Antrag zu wiederholen, und das Losder Seligen, wenn Sie mich erhren wollen, von Ihrer Hand zuempfangen. Lassen Sie mich augenblicklich! rief die Marquise;ich befehls Ihnen! ri sich gewaltsam aus seinen Armen, und

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  • entfloh. Geliebte! Vortreffliche! flsterte er, indem er wiederaufstand, und ihr folgte. Sie hren! rief die Marquise, undwandte sich, und wich ihm aus. Ein einziges, heimliches, ge-flstertes ! sagte der Graf, und griff hastig nach ihrem glat-ten, ihm entschlpfenden Arm. Ich will nichts wissen, versetz-te die Marquise, stie ihn heftig vor die Brust zurck, eilte aufdie Rampe, und verschwand.

    Er war schon halb auf die Rampe gekommen, um sich, eskoste, was es wolle, bei ihr Gehr zu verschaffen, als die Trvor ihm zuflog, und der Riegel heftig, mit verstrter Beeife-rung, vor seinen Schritten zurasselte. Unschlssig, einen Au-genblick, was unter solchen Umstnden zu tun sei, stand er,und berlegte, ob er durch ein, zur Seite offen stehendes Fens-ter einsteigen, und seinen Zweck, bis er ihn erreicht, verfolgensolle; doch so schwer es ihm auch in jedem Sinne war, umzu-kehren, diesmal schien es die Notwendigkeit zu erfordern, undgrimmig erbittert ber sich, da er sie aus seinen Armen gelas-sen hatte, schlich er die Rampe hinab, und verlie den Garten,um seine Pferde aufzusuchen. Er fhlte da der Versuch, sichan ihrem Busen zu erklren, fr immer fehlgeschlagen sei, undritt schrittweis, indem er einen Brief berlegte, den er jetzt zuschreiben verdammt war, nach M zurck. Abends, da er sich,in der belsten Laune von der Welt, bei einer ffentlichen Tafeleingefunden hatte, traf er den Forstmeister an, der ihn auchsogleich befragte, ob er seinen Antrag in V glcklich ange-bracht habe? Der Graf antwortete kurz: nein! und war sehr ge-stimmt, ihn mit einer bitteren Wendung abzufertigen; doch umder Hflichkeit ein Genge zu tun, setzte er nach einer Weilehinzu: er habe sich entschlossen, sich schriftlich an sie zu wen-den, und werde damit in kurzem ins Reine sein. Der Forstmeis-ter sagte: er sehe mit Bedauern, da seine Leidenschaft fr dieMarquise ihn seiner Sinne beraube. Er msse ihm inzwischenversichern, da sie bereits auf dem Wege sei, eine andereWahl zu treffen; klingelte nach den neuesten Zeitungen, undgab ihm das Blatt, in welchem die Aufforderung derselben anden Vater ihres Kindes eingerckt war. Der Graf durchlief, in-dem ihm das Blut ins Gesicht scho, die Schrift. Ein Wechselvon Gefhlen durchkreuzte ihn. Der Forstmeister fragte, ob ernicht glaube, da die Person, die die Frau Marquise suche,sich finden werde? Unzweifelhaft! versetzte der Graf,

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  • indessen er mit ganzer Seele ber dem Papier lag, und denSinn desselben gierig verschlang. Darauf nachdem er einenAugenblick, whrend er das Blatt zusammenlegte, an das Fens-ter getreten war, sagte er: nun ist es gut! nun wei ich, wasich zu tun habe! kehrte sich sodann um; und fragte den Forst-meister noch, auf eine verbindliche Art, ob man ihn bald wie-dersehen werde; empfahl sich ihm, und ging, vllig ausgeshntmit seinem Schicksal, fort.

    Inzwischen waren in dem Hause des Kommandanten die leb-haftesten Auftritte vorgefallen. Die Obristin war ber die zer-strende Heftigkeit ihres Gatten und ber die Schwche, mitwelcher sie sich, bei der tyrannischen Verstoung der Tochter,von ihm hatte unterjochen lassen, uerst erbittert. Sie war,als der Schu in des Kommandanten Schlafgemach fiel, unddie Tochter aus demselben hervorstrzte, in eine Ohnmachtgesunken, aus der sie sich zwar bald wieder erholte; doch derKommandant hatte, in dem Augenblick ihres Erwachens, wei-ter nichts gesagt, als, es tte ihm leid, da sie diesen Schre-cken umsonst gehabt, und das abgeschossene Pistol auf einenTisch geworfen. Nachher, da von der Abforderung der Kinderdie Rede war, wagte sie schchtern, zu erklren, da man zueinem solchen Schritt kein Recht habe; sie bat mit einer, durchdie gehabte Anwandlung, schwachen und rhrenden Stimme,heftige Auftritte im Hause zu vermeiden; doch der Komman-dant erwiderte weiter nichts, als, indem er sich zum Forstmeis-ter wandte, vor Wut schumend: geh! und schaff sie mir! Alsder zweite Brief des Grafen F ankam, hatte der Kommandantbefohlen, da er nach V zur Marquise herausgeschickt wer-den solle, welche ihn, wie man nachher durch den Boten er-fuhr, bei Seite gelegt, und gesagt hatte, es wre gut. Die Obris-tin, der in der ganzen Begebenheit so vieles, und besonders dieGeneigtheit der Marquise, eine neue, ihr ganz gleichgltigeVermhlung einzugehen, dunkel war, suchte vergebens, diesenUmstand zur Sprache zu bringen. Der Kommandant bat immer,auf eine Art, die einem Befehle gleich sah, zu schweigen; versi-cherte, indem er einst, bei einer solchen Gelegenheit, ein Por-trt herabnahm, das noch von ihr an der Wand hing, da ersein Gedchtnis ihrer ganz zu vertilgen wnsche; und meinte,er htte keine Tochter mehr. Drauf erschien der sonderbareAufruf der Marquise in den Zeitungen. Die Obristin, die auf das

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  • lebhafteste darber betroffen war, ging mit dem Zeitungsblatt,das sie von dem Kommandanten erhalten hatte, in sein Zim-mer, wo sie ihn an einem Tisch arbeitend fand, und fragte ihn,was er in aller Welt davon halte? Der Kommandant sagte, in-dem er fortschrieb: o! sie ist unschuldig. Wie! rief Frau von G, mit dem alleruersten Erstaunen: unschuldig? Sie hat es imSchlaf getan, sagte der Kommandant, ohne aufzusehen. ImSchlafe! versetzte Frau von G Und ein so ungeheurer Vorfallwre ? Die Nrrin! rief der Kommandant, schob die Papiereber einander, und ging weg.

    Am nchsten Zeitungstage las die Obristin, da beide beimFrhstck saen, in einem Intelligenzblatt, das eben ganzfeucht von der Presse kam, folgende Antwort:

    Wenn die Frau Marquise von O sich, am 3ten 11 Uhrmorgens, im Hause des Herrn von G , ihres Vaters, einfindenwill: so wird sich derjenige, den sie sucht, ihr daselbst zu F-en werfen.

    Der Obristin verging, ehe sie noch auf die Hlfte dieses uner-hrten Artikels gekommen war, die Sprache; sie berflog dasEnde, und reichte das Blatt dem Kommandanten dar. DerObrist durchlas das Blatt dreimal, als ob er seinen eignen Au-gen nicht traute. Nun sage mir, um des Himmels willen, Loren-zo, rief die Obristin, was hltst du davon? O die Schndliche!versetzte der Kommandant, und stand auf; o die verschmitzteHeuchlerin! Zehnmal die Schamlosigkeit einer Hndin, mitzehnfacher List des Fuchses gepaart, reichen noch an die ihri-ge nicht! Solch eine Miene! Zwei solche Augen! Ein Cherub hatsie nicht treuer! und jammerte und konnte sich nicht beruhi-gen. Aber was in aller Welt, fragte die Obristin, wenn es eineList ist, kann sie damit bezwecken? Was sie damit bezweckt?Ihre nichtswrdige Betrgerei, mit Gewalt will sie sie durch-setzen, erwiderte der Obrist. Auswendig gelernt ist sie schon,die Fabel, die sie uns beide, sie und er, am Dritten 11 Uhr mor-gens hier aufbrden wollen. Mein liebes Tchterchen, soll ichsagen, das wute ich nicht, wer konnte das denken, vergib mir,nimm meinen Segen, und sei wieder gut. Aber die Kugel dem,der am Dritten morgens ber meine Schwelle tritt! Es mtedenn schicklicher sein, ihn mir durch Bedienten aus dem Hau-se zu schaffen. Frau von G sagte, nach einer nochmaligenberlesung des Zeitungsblattes, da wenn sie, von zwei

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  • unbegreiflichen Dingen, einem, Glauben beimessen solle, sielieber an ein unerhrtes Spiel des Schicksals, als an diese Nie-dertrchtigkeit ihrer sonst so vortrefflichen Tochter glaubenwolle. Doch ehe sie noch vollendet hatte, rief der Kommandantschon: tu mir den Gefallen und schweig! und verlie das Zim-mer. Es ist mir verhat, wenn ich nur davon hre.

    Wenige Tage nachher erhielt der Kommandant, in Beziehungauf diesen Zeitungsartikel, einen Brief von der Marquise, inwelchem sie ihn, da ihr die Gnade versagt wre, in seinemHause erscheinen zu drfen, auf eine ehrfurchtsvolle und rh-rende Art bat, denjenigen, der sich am Dritten morgens beiihm zeigen wrde, geflligst zu ihr nach V hinauszuschicken.Die Obristin war gerade gegenwrtig, als der Kommandant die-sen Brief empfing; und da sie auf seinem Gesicht deutlich be-merkte, da er in seiner Empfindung irre geworden war: dennwelch ein Motiv jetzt, falls es eine Betrgerei war, sollte er ihrunterlegen, da sie auf seine Verzeihung gar keine Ansprchezu machen schien? so rckte sie, dadurch dreist gemacht, miteinem Plan hervor, den sie schon lange, in ihrer von Zweifelnbewegten Brust, mit sich herum getragen hatte. Sie sagte,whrend der Obrist noch, mit einer nichtssagenden Miene, indas Papier hineinsah: sie habe einen Einfall. Ob er ihr erlaubenwolle, auf einen oder zwei Tage, nach V hinauszufahren? Siewerde die Marquise, falls sie wirklich denjenigen, der ihr durchdie Zeitungen, als ein Unbekannter, geantwortet, schon kenne,in eine Lage zu versetzen wissen, in welcher sich ihre Seeleverraten mte, und wenn sie die abgefeimteste Verrterin w-re. Der Kommandant erwiderte, indem er, mit einer pltzlichheftigen Bewegung, den Brief zerri: sie wisse, da er mit ihrnichts zu schaffen haben wolle, und er verbiete ihr, in irgendeine Gemeinschaft mit ihr zu treten. Er siegelte die zerrissenenStcke ein, schrieb eine Adresse an die Marquise, und gab siedem Boten, als Antwort, zurck. Die Obristin, durch diesenhartnckigen Eigensinn, der alle Mglichkeit der Aufklrungvernichtete, heimlich erbittert, beschlo ihren Plan jetzt, ge-gen seinen Willen, auszufhren. Sie nahm einen von den J-gern des Kommandanten, und fuhr am nchstfolgenden Mor-gen, da ihr Gemahl noch im Bette lag, mit demselben nach Vhinaus. Als sie am Tore des Landsitzes angekommen war, sagteihr der Trsteher, da niemand bei der Frau Marquise

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  • vorgelassen wrde. Frau von G antwortete, da sie von die-ser Maregel unterrichtet wre, da er aber gleichwohl nurgehen, und die Obristin von G bei ihr anmelden mchte.Worauf dieser versetzte, da dies zu nichts helfen wrde, in-dem die Frau Marquise keinen Menschen auf der Welt spr-che. Frau von G antwortete, da sie von ihr gesprochen wer-den wrde, indem sie ihre Mutter wre, und da er nur nichtlnger sumen, und sein Geschft verrichten mchte. Kaumaber war noch der Trsteher zu diesem, wie er meinte, gleich-wohl vergeblichen Versuche ins Haus gegangen, als man schondie Marquise daraus hervortreten, nach dem Tore eilen, undsich auf Knieen vor dem Wagen der Obristin niederstrzen sah.Frau von G stieg, von ihrem Jger untersttzt, aus, und hobdie Marquise, nicht ohne einige Bewegung, vom Boden auf. DieMarquise drckte sich, von Gefhlen berwltigt, tief auf ihreHand hinab, und fhrte sie, indem ihr die Trnen hufig flos-sen, ehrfurchtsvoll in die Zimmer ihres Hauses. Meine teuersteMutter! rief sie, nachdem sie ihr den Diwan angewiesen hatte,und noch vor ihr stehen blieb, und sich die Augen trocknete:welch ein glcklicher Zufall ist es, dem ich Ihre, mir unschtz-bare Erscheinung verdanke? Frau von G sagte, indem sie ih-re Tochter vertraulich fate, sie msse ihr nur sagen, da siekomme, sie wegen der Hrte, mit welcher sie aus dem vterli-chen Hause verstoen worden sei, um Verzeihung zu bitten.Verzeihung! fiel ihr die Marquise ins Wort, und wollte ihreHnde kssen. Doch diese, indem sie den Handku vermied,fuhr fort: denn nicht nur, da die, in den letzten ffentlichenBlttern eingerckte, Antwort auf die bewute Bekanntma-chung, mir sowohl als dem Vater, die berzeugung von deinerUnschuld gegeben hat; so mu ich dir auch erffnen, da ersich selbst schon, zu unserm groen und freudigen Erstaunen,gestern im Hause gezeigt hat. Wer hat sich ? fragte die Mar-quise, und setzte sich bei ihrer Mutter nieder; welcher erselbst hat sich gezeigt ? und Erwartung spannte jede ihrerMienen. Er, erwiderte Frau von G , der Verfasser jener Ant-wort, er persnlich selbst, an welchen dein Aufruf gerichtetwar. Nun denn, sagte die Marquise, mit unruhig arbeitenderBrust: wer ist es? Und noch einmal: wer ist es? Das, erwider-te Frau von G , mchte ich dich erraten lassen. Denn denke,da sich gestern, da wir beim Tee sitzen, und eben das

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  • sonderbare Zeitungsblatt lesen, ein Mensch, von unsrer ge-nauesten Bekanntschaft, mit Gebrden der Verzweiflung insZimmer strzt, und deinem Vater, und bald darauf auch mir, zuFen fllt. Wir, unwissend, was wir davon denken sollen, for-dern ihn auf, zu reden. Darauf spricht er: sein Gewissen lasseihm keine Ruhe; er sei der Schndliche, der die Frau Marquisebetrogen, er msse wissen, wie man sein Verbrechen beurteile,und wenn Rache ber ihn verhngt werden solle, so komme er,sich ihr selbst darzubieten. Aber wer? wer? wer? versetzte dieMarquise. Wie gesagt, fuhr Frau von G fort, ein junger, sonstwohlerzogener Mensch, dem wir eine solche Nichtswrdigkeitniemals zugetraut htten. Doch erschrecken wirst du nicht,meine Tochter, wenn du erfhrst, da er von niedrigem Stan-de, und von allen Forderungen, die man sonst an deinen Ge-mahl machen drfte, entblt ist. Gleichviel, meine vortreffli-che Mutter, sagte die Marquise, er kann nicht ganz unwrdigsein, da er sich Ihnen frher als mir, zu Fen geworfen hat.Aber, wer? wer? Sagen Sie mir nur: wer? Nun denn, versetztedie Mutter, es ist Leopardo, der Jger, den sich der Vaterjngst aus Tirol verschrieb, und den ich, wenn du ihn wahr-nahmst, schon mitgebracht habe, um ihn dir als Brutigam vor-zustellen. Leopardo, der Jger! rief die Marquise, und drckteihre Hand, mit dem Ausdruck der Verzweiflung, vor die Stirn.Was erschreckt dich? fragte die Obristin. Hast du Grnde, dar-an zu zweifeln? Wie? Wo? Wann? fragte die Marquise ver-wirrt. Das, antwortete jene, will er nur dir anvertrauen. Schamund Liebe, meinte er, machten es ihm unmglich, sich einerandern hierber zu erklren, als dir. Doch wenn du willst, soffnen wir das Vorzimmer, wo er, mit klopfendem Herzen, aufden Ausgang wartet; und du magst sehen, ob du ihm sein Ge-heimnis, indessen ich abtrete, entlockst. Gott, mein Vater!rief die Marquise; ich war einst in der Mittagshitze einge-schlummert, und sah ihn von meinem Diwan gehen, als ich er-wachte! Und damit legte sie ihre kleinen Hnde vor ihr inScham erglhendes Gesicht. Bei diesen Worten sank die Mut-ter auf Knieen vor ihr nieder. O meine Tochter! rief sie; o duVortreffliche! und schlug die Arme um sie. Und o ich Nichts-wrdige! und verbarg das Antlitz in ihren Scho. Die Marquisefragte bestrzt: was ist Ihnen, meine Mutter? Denn begreife,fuhr diese fort, o du Reinere als Engel sind, da von allem, was

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  • ich dir sagte, nichts wahr ist; da meine verderbte Seele ansolche Unschuld nicht, als von der du umstrahlt bist, glaubenkonnte, und da ich dieser schndlichen List erst bedurfte, ummich davon zu berzeugen. Meine teuerste Mutter, rief dieMarquise, und neigte sich voll froher Rhrung zu ihr herab,und wollte sie aufheben. Jene versetzte darauf: nein, eher nichtvon deinen Fen weich ich, bis du mir sagst, ob du mir dieNiedrigkeit meines Verhaltens, du Herrliche, berirdische,verzeihen kannst. Ich Ihnen verzeihen, meine Mutter! StehenSie auf, rief die Marquise, ich beschwre Sie Du hrst, sagteFrau von G , ich will wissen, ob du mich noch lieben, und soaufrichtig verehren kannst, als sonst? Meine angebetete Mut-ter! rief die Marquise, und legte sich gleichfalls auf Knieen vorihr nieder; Ehrfurcht und Liebe sind nie aus meinem Herzengewichen. Wer konnte mir, unter so unerhrten Umstnden,Vertrauen schenken? Wie glcklich bin ich, da Sie von meinerUnstrflichkeit berzeugt sind! Nun denn, versetzte Frauvon G , indem sie, von ihrer Tochter untersttzt, aufstand: sowill ich dich auf Hnden tragen, mein liebstes Kind. Du sollstbei mir dein Wochenlager halten; und wren die Verhltnisseso, da ich einen jungen Frsten von dir erwartete, mit gre-rer Zrtlichkeit nicht und Wrdigkeit knnt ich dein pflegen.Die Tage meines Lebens nicht mehr von deiner Seite weich ich.Ich biete der ganzen Welt Trotz; ich will keine andre Ehremehr, als deine Schande; wenn du mir nur wieder gut wirst,und der Hrte nicht, mit welcher ich dich verstie, mehr ge-denkst. Die Marquise suchte sie mit Liebkosungen und Be-schwrungen ohne Ende zu trsten; doch der Abend kam her-an, und Mitternacht schlug, ehe es ihr gelang. Am folgendenTage, da sich der Affekt der alten Dame, der ihr whrend derNacht eine Fieberhitze zugezogen hatte, ein wenig gelegt hat-te, fuhren Mutter und Tochter und Enkel, wie im Triumph, wie-der nach M zurck. Sie waren uerst vergngt auf der Rei-se, scherzten ber Leopardo, den Jger, der vorn auf dem Bocksa; und die Mutter sagte zur Marquise, sie bemerke, da sierot wrde, so oft sie seinen breiten Rcken anshe. Die Mar-quise antwortete, mit einer Regung, die halb ein Seufzer, halbein Lcheln war: wer wei, wer zuletzt noch am Dritten 11 Uhrmorgens bei uns erscheint! Drauf, je mehr man sich M n-herte, je ernsthafter stimmten sich wieder die Gemter, in der

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  • Vorahndung entscheidender Auftritte, die ihnen noch bevor-standen. Frau von G , die sich von ihren Plnen nichts mer-ken lie, fhrte ihre Tochter, da sie vor dem Hause ausgestie-gen waren, wieder in ihre alten Zimmer ein; sagte, sie mchtees sich nur bequem machen, sie wrde gleich wieder bei ihrsein, und schlpfte ab. Nach einer Stunde kam sie mit einemganz erhitzten Gesicht wieder. Nein, solch ein Thomas! sprachsie mit heimlich vergngter Seele; solch ein unglubiger Tho-mas! Hab ich nicht eine Seigerstunde gebraucht, ihn zu ber-zeugen. Aber nun sitzt er, und weint. Wer? fragte die Marqui-se. Er, antwortete die Mutter. Wer sonst, als wer die grteUrsache dazu hat. Der Vater doch nicht? rief die Marquise. Wieein Kind, erwiderte die Mutter; da ich, wenn ich mir nichtselbst htte die Trnen aus den Augen wischen mssen, ge-lacht htte, so wie ich nur aus der Tre heraus war. Und daswegen meiner? fragte die Marquise, und stand auf; und ichsollte hier ? Nicht von der Stelle! sagte Frau von G Warumdiktierte er mir den Brief! Hier sucht er dich auf, wenner mich, so lange ich lebe, wiederfinden will. Meine teuersteMutter, flehte die Marquise Unerbittlich! fiel ihr die Obristinins Wort. Warum griff er nach der Pistole. Aber ich beschw-re Sie Du sollst nicht, versetzte Frau von G , indem sie dieTochter wieder auf ihren Sessel niederdrckte. Und wenn ernicht heut vor Abend noch kommt, zieh ich morgen mit dir wei-ter. Die Marquise nannte dies Verfahren hart und ungerecht.Doch die Mutter erwiderte: Beruhige dich denn eben hrtesie jemand von weitem heranschluchzen: er kmmt schon! Wo?fragte die Marquise, und horchte. Ist wer hier drauen vor derTr; dies heftige ? Allerdings, versetzte Frau von G Er will,da wir ihm die Tre ffnen. Lassen Sie mich! rief die Marqui-se, und ri sich vom Stuhl empor. Doch: wenn du mir gut bist,Julietta, versetzte die Obristin, so bleib; und in dem Augenblicktrat auch der Kommandant schon, das Tuch vor das Gesichthaltend, ein. Die Mutter stellte sich breit vor ihre Tochter, undkehrte ihm den Rcken zu. Mein teuerster Vater! rief die Mar-quise, und streckte ihre Arme nach ihm aus. Nicht von derStelle, sagte Frau von G , du hrst! Der Kommandant standin der Stube und weinte. Er soll dir abbitten, fuhr Frau von Gfort. Warum ist er so heftig! Und warum ist er so hartnckig!Ich liebe ihn, aber dich auch; ich ehre ihn, aber dich auch. Und

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  • mu ich eine Wahl treffen, so bist du vortrefflicher, als er, undich bleibe bei dir. Der Kommandant beugte sich ganz krumm,und heulte, da die Wnde erschallten. Aber mein Gott! riefdie Marquise, gab der Mutter pltzlich nach, und nahm ihrTuch, ihre eigenen Trnen flieen zu lassen. Frau von G sag-te: er kann nur nicht sprechen! und wich ein wenig zur Seiteaus. Hierauf erhob sich die Marquise, umarmte den Komman-danten, und bat ihn, sich zu beruhigen. Sie weinte selbst hef-tig. Sie fragte ihn, ob er sich nicht setzen wolle? sie wollte ihnauf einen Sessel niederziehen; sie schob ihm einen Sessel hin,damit er sich darauf setze: doch er antwortete nicht; er warnicht von der Stelle zu bringen; er setzte sich auch nicht, undstand blo, das Gesicht tief zur Erde gebeugt, und weinte. DieMarquise sagte, indem sie ihn aufrecht hielt, halb zur Muttergewandt: er werde krank werden; die Mutter selbst schien, daer sich ganz konvulsivisch gebrdete, ihre Standhaftigkeit ver-lieren zu wollen. Doch da der Kommandant sich endlich, aufdie wiederholten Anforderungen der Tochter, niedergesetzthatte, und diese ihm, mit unendlichen Liebkosungen, zu Fengesunken war: so nahm sie wieder das Wort, sagte, es gesch-ehe ihm ganz recht, er werde nun wohl zur Vernunft kommen,entfernte sich aus dem Zimmer, und lie sie allein.

    Sobald sie drauen war, wischte sie sich selbst die Trnenab, dachte, ob ihm die heftige Erschtterung, in welche sie ihnversetzt hatte, nicht doch gefhrlich sein knnte, und ob eswohl ratsam sei, einen Arzt rufen zu lassen? Sie kochte ihm frden Abend alles, was sie nur Strkendes und Beruhigendesaufzutreiben wute, in der Kche zusammen, bereitete undwrmte ihm das Bett, um ihn sogleich hineinzulegen, sobald ernur, an der Hand der Tochter, erscheinen wrde, und schlich,da er immer noch nicht kam, und schon die Abendtafel gedecktwar, dem Zimmer der Marquise zu, um doch zu hren, wassich zutrage? Sie vernahm, da sie mit sanft an die Tr geleg-tem Ohr horchte, ein leises, eben verhallendes Gelispel, das,wie es ihr schien, von der Marquise kam; und, wie sie durchsSchlsselloch bemerkte, sa sie auch auf des KommandantenScho, was er sonst in seinem Leben nicht zugegeben hatte.Drauf endlich ffnete sie die Tr, und sah nun und das Herzquoll ihr vor Freuden empor: die Tochter still, mit zurckge-beugtem Nacken, die Augen fest geschlossen, in des Vaters

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  • Armen liegen; indessen dieser, auf dem Lehnstuhl sitzend, lan-ge, heie und lechzende Ksse, das groe Auge voll glnzen-der Trnen, auf ihren Mund drckte: gerade wie ein Verlieb-ter! Die Tochter sprach nicht, er sprach nicht; mit ber sie ge-beugtem Antlitz sa er, wie ber das Mdchen seiner erstenLiebe, und legte ihr den Mund zurecht, und kte sie. Die Mut-ter fhlte sich, wie eine Selige; ungesehen, wie sie hinter sei-nem Stuhle stand, sumte sie, die Lust der himmelfrohen Ver-shnung, die ihrem Hause wieder geworden war, zu stren. Sienahte sich dem Vater endlich, und sah ihn, da er eben wiedermit Fingern und Lippen in unsglicher Lust ber den Mund sei-ner Tochter beschftigt war, sich um den Stuhl herumbeugend,von der Seite an. Der Kommandant schlug, bei ihrem Anblick,das Gesicht schon wieder ganz kraus nieder, und wollte etwassagen; doch sie rief: o was fr ein Gesicht ist das! kte esjetzt auch ihrerseits in Ordnung, und machte der Rhrungdurch Scherzen ein Ende. Sie lud und fhrte beide, die wieBrautleute gingen, zur Abendtafel, an welcher der Komman-dant zwar sehr heiter war, aber noch von Zeit zu Zeit schluchz-te, wenig a und sprach, auf den Teller niedersah, und mit derHand seiner Tochter spielte.

    Nun galt es, beim Anbruch des nchsten Tages, die Frage:wer nur, in aller Welt, morgen um 11 Uhr sich zeigen wrde;denn morgen war der gefrchtete Dritte. Vater und Mutter,und auch der Bruder, der sich mit seiner Vershnung eingefun-den hatte, stimmten unbedingt, falls die Person nur von einigerErtrglichkeit sein wrde, fr Vermhlung; alles, was nur im-mer mglich war, sollte geschehen, um die Lage der Marquiseglcklich zu machen. Sollten die Verhltnisse derselben jedochso beschaffen sein, da sie selbst dann, wenn man ihnen durchBegnstigungen zu Hlfe kme, zu weit hinter den Verhltnis-sen der Marquise zurckblieben, so widersetzten sich die El-tern der Heirat; sie beschlossen, die Marquise nach wie vor beisich zu behalten, und das Kind zu adoptieren. Die Marquisehingegen schien willens, in jedem Falle, wenn die Person nurnicht ruchlos wre, ihr gegebenes Wort in Erfllung zu brin-gen, und dem Kinde, es koste was es wolle, einen Vater zu ver-schaffen. Am Abend fragte die Mutter, wie es denn mit demEmpfang der Person gehalten werden solle? Der Kommandantmeinte, da es am schicklichsten sein wrde, wenn man die

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  • Marquise um 11 Uhr allein liee. Die Marquise hingegen be-stand darauf, da beide Eltern, und auch der Bruder, gegen-wrtig sein mchten, indem sie keine Art des Geheimnisses mitdieser Person zu teilen haben wolle. Auch meinte sie, da die-ser Wunsch sogar in der Antwort derselben, dadurch, da siedas Haus des Kommandanten zur Zusammenkunft vorgeschla-gen, ausgedrckt scheine; ein Umstand, um dessentwillen ihrgerade diese Antwort, wie sie frei gestehen msse, sehr gefal-len habe. Die Mutter bemerkte die Unschicklichkeit der Rollen,die der Vater und der Bruder dabei zu spielen haben wrden,bat die Tochter, die Entfernung der Mnner zuzulassen, woge-gen sie in ihren Wunsch willigen, und bei dem Empfang derPerson gegenwrtig sein wolle. Nach einer kurzen Besinnungder Tochter ward dieser letzte Vorschlag endlich angenommen.Drauf nun erschien, nach einer, unter den gespanntesten Er-wartungen zugebrachten, Nacht der Morgen des gefrchtetenDritten. Als die Glocke eilf Uhr schlug, saen beide Frauen,festlich, wie zur Verlobung angekleidet, im Besuchzimmer; dasHerz klopfte ihnen, da man es gehrt haben wrde, wenn dasGerusch des Tages geschwiegen htte. Der eilfte Glocken-schlag summte noch, als Leopardo, der Jger, eintrat, den derVater aus Tirol verschrieben hatte. Die Weiber erblaten beidiesem Anblick. Der Graf F , sprach er, ist vorgefahren, undlt sich anmelden. Der Graf F ! riefen beide zugleich, voneiner Art der Bestrzung in die andre geworfen. Die Marquiserief: Verschliet die Tren! Wir sind fr ihn nicht zu Hause;stand auf, das Zimmer gleich selbst zu verriegeln, und wollteeben den Jger, der ihr im Wege stand, hinausdrngen, als derGraf schon, in genau demselben Kriegsrock, mit Orden undWaffen, wie er sie bei der Eroberung des Forts getragen hatte,zu ihr eintrat. Die Marquise glaubte vor Verwirrung in die Erdezu sinken; sie griff nach einem Tuch, das sie auf dem Stuhl hat-te liegen lassen, und wollte eben in ein Seitenzimmer entfliehn;doch Frau von G , indem sie die Hand derselben ergriff, rief:Julietta ! und wie erstickt von Gedanken, ging ihr die Spracheaus. Sie heftete die Augen fest auf den Grafen und wiederholte:ich bitte dich, Julietta! indem sie sie nach sich zog: wen erwar-ten wir denn ? Die Marquise rief, indem sie sich pltzlichwandte: nun? doch ihn nicht ? und schlug mit einem Blick fun-kelnd, wie ein Wetterstrahl, auf ihn ein, indessen Blsse des

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  • Todes ihr Antlitz berflog. Der Graf hatte ein Knie vor ihr ge-senkt; die rechte Hand lag auf seinem Herzen, das Haupt sanftauf seine Brust gebeugt, lag er, und blickte hochglhend vorsich nieder, und schwieg. Wen sonst, rief die Obristin mit be-klemmter Stimme, wen sonst, wir Sinnberaubten, als ihn ? DieMarquise stand starr ber ihm, und sagte: ich werde wahnsin-nig werden, meine Mutter! Du Trin, erwiderte die Mutter, zogsie zu sich, und flsterte ihr etwas in das Ohr. Die Marquisewandte sich, und strzte, beide Hnde vor das Gesicht, auf denSofa nieder. Die Mutter rief: Unglckliche! Was fehlt dir? Wasist geschehn, worauf du nicht vorbereitet warst? Der Grafwich nicht von der Seite der Obristin; er fate, immer noch aufseinen Knieen liegend, den uersten Saum ihres Kleides, undkte ihn. Liebe! Gndige! Verehrungswrdigste! flsterte er:eine Trne rollte ihm die Wangen herab. Die Obristin sagte:stehn Sie auf, Herr Graf, stehn Sie auf! Trsten Sie jene; sosind wir alle vershnt, so ist alles vergeben und vergessen. DerGraf erhob sich weinend. Er lie sich von neuem vor der Mar-quise nieder, er fate leise ihre Hand, als ob sie von Gold wre,und der Duft der seinigen sie trben knnte. Doch diese :gehn Sie! gehn Sie! gehn Sie! rief sie, indem sie aufstand; aufeinen Lasterhaften war ich gefat, aber auf keinen - Teufel!ffnete, indem sie ihm dabei, gleich einem Pestvergifteten, aus-wich, die Tr des Zimmers, und sagte: ruft den Obristen! Juliet-ta! rief die Obristin mit Erstaunen. Die Marquise blickte, mitttender Wildheit, bald auf den Grafen, bald auf die Mutter ein;ihre Brust flog, ihr Antlitz loderte: eine Furie blickt nichtschrecklicher. Der Obrist und der Forstmeister kamen. DiesemMann, Vater, sprach sie, als jene noch unter dem Eingang wa-ren, kann ich mich nicht vermhlen! griff in ein Gef mitWeihwasser, das an der hinteren Tr befestigt war, bespreng-te, in einem groen Wurf, Vater und Mutter und Bruder damit,und verschwand.

    Der Kommandant, von dieser seltsamen Erscheinung betrof-fen, fragte, was vorgefallen sei; und erblate, da er, in diesementscheidenden Augenblick, den Grafen F im Zimmer er-blickte. Die Mutter nahm den Grafen bei der Hand und sagte:frage nicht; dieser junge Mann bereut von Herzen alles, wasgeschehen ist; gib deinen Segen, gib, gib: so wird sich allesnoch glcklich endigen. Der Graf stand wie vernichtet. Der

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  • Kommandant legte seine Hand auf ihn; seine Augenwimpernzuckten, seine Lippen waren wei, wie Kreide. Mge der Fluchdes Himmels von diesen Scheiteln weichen! rief er: wann ge-denken Sie zu heiraten? Morgen, antwortete die Mutter frihn, denn er konnte kein Wort hervorbringen, morgen oderheute, wie du willst; dem Herrn Grafen, der so viel schne Be-eiferung gezeigt hat, sein Vergehen wieder gut zu machen,wird immer die nchste Stunde die liebste sein. So habe ichdas Vergngen, Sie morgen um 11 Uhr in der Augustinerkirchezu finden! sagte der Kommandant; verneigte sich gegen ihn,rief Frau und Sohn ab, um sich in das Zimmer der Marquise zuverfgen, und lie ihn stehen.

    Man bemhte sich vergebens, von der Marquise den Grundihres sonderbaren Betragens zu erfahren; sie lag im heftigstenFieber, wollte durchaus von Vermhlung nichts wissen, undbat, sie allein zu lassen. Auf die Frage: warum sie denn ihrenEntschlu pltzlich gendert habe? und was ihr den Grafen ge-hssiger mache, als einen andern? sah sie den Vater mitgroen Augen zerstreut an, und antwortete nichts. Die Obristinsprach: ob sie vergessen habe, da sie Mutter sei? worauf sieerwiderte, da sie, in diesem Falle, mehr an sich, als ihr Kind,denken msse, und nochmals, indem sie alle Engel und Heili-gen zu Zeugen anrief, versicherte, da sie nicht heiraten wr-de. Der Vater, der sie offenbar in einem berreizten Gemtszu-stande sah, erklrte, da sie ihr Wort halten msse; verlie sie,und ordnete alles, nach gehriger schriftlicher Rcksprachemit dem Grafen, zur Vermhlung an. Er legte demselben einenHeiratskontrakt vor, in welchem dieser auf alle Rechte einesGemahls Verzicht tat, dagegen sich zu allen Pflichten, die manvon ihm fordern wrde, verstehen sollte. Der Graf sandte dasBlatt, ganz von Trnen durchfeuchtet, mit seiner Unterschriftzurck. Als der Kommandant am andern Morgen der Marquisedieses Papier berreichte, hatten sich ihre Geister ein wenigberuhigt. Sie durchlas es, noch im Bette sitzend, mehrere Ma-le, legte es sinnend zusammen, ffnete es, und durchlas es wie-der; und erklrte hierauf, da sie sich um 11 Uhr in der Augus-tinerkirche einfinden wrde. Sie stand auf, zog sich,