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Die Wassermenschen von Ketokh

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Atlan - Der Held vonArkon

Nr. 234

Die Wassermenschen von Ketokh

Zwei Arkoniden in der Gewalt derJulkas - und auf dem Weg ins

Ungewisse

von Clark Darlton

Das Große Imperium der Arkoniden kämpft um seine nackte Existenz, denn es muß sich sowohl äußerer als auch innerer Feinde erwehren. Die äußeren Feinde sind die Maahks, deren Raumflotten den Streitkräften des Imperiums durch überra­schende Schläge schwere Verluste zufügen. Die inneren Feinde Arkons sind die Herrschenden selbst, deren Habgier und Korruption praktisch keine Grenzen kennen.

Gegen diese inneren Feinde des Imperiums ist der junge Atlan, der rechtmäßige Thronerbe und Kristallprinz von Arkon, der eine stetig wachsende Schar von ver­schworenen Helfern um sich sammeln konnte, bereits mehrmals erfolgreich vorge­gangen. Selbst empfindliche Rückschläge entmutigen ihn nicht und hindern ihn und seine Helfer nicht daran, den Kampf gegen Orbanaschol III. den Diktator und Usur­pator, mit aller Energie fortzusetzen. In diesem Kampf hatte Atlan mit dem wiederbe­lebten Körper Gonozals, seines Vaters, kurzfristig eine neue wirksame Waffe gegen Orbanaschol. Doch dann, nach dem Abflug von Perpandron, der Welt der Goltein-Hei­ler, kommt es auf Atlans Raumschiff zu folgenschweren Ereignissen, von denen alle Besatzungsmitglieder der ISCHTAR betroffen werden.

Akon-Akon, der mysteriöse junge Mann, der auf Perpandron an Bord genommen wurde, entpuppte sich bei seinem Erwachen als Psycho-Tyrann. Mit seinen unheimli­chen Fähigkeiten beherrscht er die Männer und Frauen der ISCHTAR und erstickt je-den Widerstand im Keim.

Dennoch überrascht ihn der Angriff der WASSERMENSCHEN VON KETOKH …

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Die Hautpersonen des Romans:Gerlo Malthor und Jörn Asmorth - Zwei Männer der ISCHTAR auf dem Weg ins Ungewisse.Akon-Akon - Beherrscher der ISCHTAR.Fartuloon - Atlans Lehrmeister verübt Sabotage.Tossel, Fitschel und Sojul - Drei Eingeborene von Ketokh.Jolter und Messa - Zwei Piraten von Ketokh.

1.

Das Tosen des Wasserfalls wurde lauter. Der Strom war breiter als weiter oben im

Tal, in dem Akon-Akon damit beschäftigt war, die Siedlung zu errichten. Die beiden im Wasser treibenden Männer hatten keine Ahnung davon, daß diese Siedlung inzwi­schen von den ihnen noch unbekannten Ein­geborenen des Planeten Ketokh überfallen worden war. Nur mit Mühe und Not war es den Arkoniden gelungen, die Angreifer zu­rückzuschlagen, aber dann wurden Atlan und die Arkonidin Algonia Helgh vermißt. Die Eingeborenen hatten sie bei ihrer Flucht mitgenommen.

Das alles wußten Gerlo Malthor und Jörn Asmorth natürlich nicht, denn sie trieben schon seit einem Tag stromabwärts. Dem unheimlichen hypnotischen Einfluß des jun­gen Akon-Akon waren sie zwar damit ent­ronnen, ihrem Ziel aber noch keinen Schritt nähergekommen.

Als sie die Wirkung von Atlans Paralysa­torschuß überwunden hatten, sahen sie um sich herum nur das Wasser und die beiden vorbeigleitenden Ufer. Von irgendwelchen Ansiedlungen konnten sie nichts bemerken. Das Landschaftsbild wechselte in kurzen Zeitabständen. Zuerst, als sie noch durch das Tal glitten, wuchsen rechts und links nur niedrige Büsche und Sträucher, dahinter la­gen weite Ebenen mit fernen Gebirgszügen. Dann, als der Fluß breiter wurde, tauchten Wälder auf.

Inseln und Sandbänke verursachten Ne­benarme, die in eine Dschungellandschaft führten. Hier würde es nur wenig Sinn ha­ben, auf die nachkommenden Freunde zu warten, außerdem waren sich die beiden Ar­

koniden noch immer nicht sicher, ob sie weit genug von Akon-Akon entfernt waren, um seinem Einfluß für immer entgangen zu sein.

Sie hatten Glück und erreichten trotz aller Nebenarme immer wieder den eigentlichen Strom, der sie dem Meer entgegentrug.

Mit Seilen befestigt, hingen die beiden Männer im Innern eines Metallrings, der durch provisorisch angebrachte Luftkam­mern schwimmfähig gemacht worden war. Sie hatten kaum Platz, um sich frei bewegen zu können.

Niemand von ihnen kannte den Planeten Ketokh richtig, den sich Akon-Akon als künftige Heimat ausgesucht hatte. Sie wuß­ten nur, daß die blaue Riesensonne von acht­undzwanzig Welten umkreist wurde, von de­nen nur die siebte und achte eine Sauerstof­fatmosphäre besaßen.

Ketokh war der siebte Planet, von der Sonne aus gesehen.

Die Rotation betrug zweiunddreißig Stun­den, die Schwerkraft war normal. Es gab Jahreszeiten wie auf allen Planeten, deren Polachse schräg zur Ekliptik stand. Das Kli­ma war mild und angenehm.

»Ich fühle mich immer noch benommen«, beklagte sich Gerlo Malthor und versuchte dem Ringfloß eine andere Richtung zu ge­ben, indem er mit den Beinen strampelte, was aber überhaupt nichts nützte. »Warum mußte Atlan überhaupt auf uns schießen?«

»Dadurch konnte Akon-Akon uns nicht seinen Willen aufzwingen«, erklärte Jörn Asmorth. »So dumm ist Atlans und Fartulo­ons Plan gar nicht. Nun können wir von au­ßen operieren. Ich hoffe nur, daß bald ande­re nachfolgen, damit wir nicht allein sind.«

Gerlo lauschte. »Es kommt immer näher, findest du nicht

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auch?« »Wenn es ein großer Wasserfall ist, kann

man ihn sehr weit hören. Deshalb mache ich mir noch keine Sorgen. Vorher hat uns die Strömung bestimmt ans Ufer getrieben.«

»Da würde ich nicht so sicher sein. Sie hat es bisher auch nicht getan.«

»Dafür gibt es eine ganz einfache Erklä­rung, Dicker. Zuerst waren wir gelähmt und nahmen keinen Einfluß auf unseren Kurs, außerdem war die Strömung ziemlich stark. Ist sie nicht schwächer geworden?«

»Pure Einbildung. Wenn vor uns ein Fall ist, muß sie ja stärker werden. Es dürfte also höchste Zeit werden, daß wir an Land kom­men.«

Jörn Asmorth blickte flußabwärts. »Da sind Berge, und enger wird das Tal

auch. Somit kein Wunder, wenn die Strö­mung stärker wird. Es würde auch den Was­serfall erklären. Ich muß zugeben, daß ich ein wenig beunruhigt bin. Komm, wir versu­chen es noch einmal …«

»Aha, jetzt wirst du auch nervös«, meinte Gerlo Malthor und begann erneut mit den Beinen Wasser zu treten, was vorerst ohne merklichen Erfolg blieb.

In der Tat rückten die Ufer allmählich nä­her zusammen. Die Böschung wurde steiler und die Vegetation immer spärlicher. Das deutete auf felsigen Boden hin. Es war ein Glück für die beiden Männer, daß das Was­ser nicht zu kalt war, sonst wären sie schon halb erfroren.

»Fartuloon hätte den Schwimmring auch ein bißchen weiter konstruieren können«, meinte Gerlo Malthor voller Bedauern.

»Der Ring ist groß genug, mein Freund, nur du bist zu fett.«

»Dafür werde ich dann besser schwim­men, wenn wir in die Strudel geraten«, gab Gerlo zurück.

Vergeblich versuchten sie, sich aus der Befestigung zu befreien, die Atlan und Far­tuloon angebracht hatten, weil sie ja die bei­den Arkoniden paralysiert auf die ungewisse Reise hatten schicken müssen. Das erwies sich nun als ein verhängnisvoller Fehler,

Clark Darlton

denn Gerlo und Jörn waren noch viel zu ge­schwächt, um die Stricke lösen zu können.

»Käme ich wenigstens an den Schalter des Flugaggregats!« Gerlo Malthor versuch­te, mit der Hand zur Gürtelschnalle zu ge­langen, wo der Schalter saß, aber es gelang ihm nicht. »Vielleicht fliegt das Ding …«

Beide trugen die Standardausrüstung der arkonidischen Raumflotte, dazu gehörte auch das Flugaggregat und noch manches mehr. Im Augenblick nützte ihnen das je­doch nicht viel.

Im Flußbett tauchten die ersten Felsklip­pen auf.

»Auch das noch!« rief Jörn Asmorth er­schrocken. »Wenn wir dagegen prallen, sind wir verloren.«

Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich mit der stärker werdenden Strömung treiben zu lassen und dabei zu hoffen, daß es noch einmal gutgehen würde. Asmorth be­obachtete die kreisenden Wirbel und meinte:

»Wir treiben vorbei. Die Strömung geht ein wenig nach rechts und nimmt uns mit. Aber das wird nicht die letzte Klippe gewe­sen sein.«

»Vielleicht sind es überhaupt nur Klippen, die den Krach weiter vorn machen. Kein Wasserfall.«

»Hoffentlich hast du recht.« Über ihnen spannte sich ein blauer, wol­

kenloser Himmel. Der blaue Riese stand noch hoch über dem Horizont. Erst in zehn Stunden würde die Dämmerung einsetzen.

»Wie weit mögen wir schon getrieben sein?« fragte Malthor. »Sicher hundert Kilo­meter, schätze ich.«

»Dann müßten wir aber bald die Küste er­reicht haben.«

»Achtung, da ist wieder eine Klippe. Wir müssen die Beine vorstrecken, um einen eventuellen Aufprall abzufedern.«

»Du hast gut reden«, knurrte Malthor und versuchte vergeblich, die Beine vorzu­strecken. »Ich sitze zu fest in den Stricken.«

»Sonst wärest du auch schon längst er­trunken.«

Es war eine ziemlich große Klippe, die

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sich ihnen in den Weg stellte. Rechts und links von ihr rauschte das Wasser in gefähr­lichen Wirbeln vorbei, um sich hinter dem Felsen in ein scheinbar vorhandenes Loch zu stürzen.

Der Schwimmring begann sich wie wild zu drehen, aber die Strömung zog ihn noch weiter nach rechts, so daß die Klippe keine unmittelbare Gefahr mehr darstellte, aller­dings wurden die Springwellen höher. Der Gischt spritzte den beiden Männern ins Ge­sicht und nahm ihnen fast jede Sicht.

Einmal spürte Asmorth felsigen Grund unter den Füßen. Unwillkürlich versuchte er, einen Halt zu finden, aber die Strömung riß ihn weiter. Er konnte unter diesen Umstän­den froh sein, daß der Fluß tief genug war, um weitere Bodenberührungen unmöglich zu machen.

Als die Klippe hinter ihnen lag, hingen sie erschöpft in den Halterungen. Das Rauschen der nächsten war bereits zu hören.

»Verdammt aufregende Sache«, ließ Malthor sich vernehmen. Er schnaufte wie ein Saurier. »So etwas habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht mitgemacht. Wird auch das letzte Mal sein.«

»Hoffentlich nicht, denn das würde be­deuten, daß wir ertrinken.«

Ein tief im Wasser liegender Baumstamm, von dem nur ein paar Äste zu sehen waren, trieb hinter ihnen her und begann sie lang­sam einzuholen, weil er von der stärkeren Unterströmung mitgenommen wurde.

»Gleich gibt es eine Kollision, wenn wir nicht aufpassen.« Malthor begann wieder zu strampeln. »Der drückt uns glatt unter Was­ser.«

Auch Asmorth begann nun zu arbeiten, denn das Ungetüm kam immer näher. Durch die verschlungenen Äste sah der Stamm wie ein urweltliches Ungeheuer aus, das sich auf Beutesuche befand.

»Da vorn die Klippe!« schrie Malthor, um das Brausen des Wassers zu übertönen. »Wir müssen links vorbei, denn der Stamm treibt rechts hinüber.«

»Dann wirf den Motor an!« brüllte As­

morth wütend zurück und wußte nicht, wor­auf er mehr achten sollte – auf die Klippe oder auf den Baumstamm.

Die Ufer waren inzwischen noch steiler geworden. An einigen Stellen fiel der senk­rechte Fels direkt ins Wasser, das mächtige Höhlen ausgespült hatte. Wenn sie wenig­stens eine von ihnen erreichen könnten, wä­ren sie in relativer Sicherheit.

Aber die Höhlen blieben zurück, und der vorher so ruhig dahinziehende Strom wurde zu einem reißenden Gebirgsfluß. Noch enger traten die felsigen Ufer zusammen. Die Son­ne war hinter den Bergen verschwunden. Es begann, kühler zu werden.

Sie schafften es, links an der Klippe vor­beizuschießen, während der Baumstamm rechts in die Strudel geriet und sich eben­falls zu drehen begann. Dadurch verlor er ein wenig an Geschwindigkeit und trieb dann auf gleicher Höhe mit den beiden Ar­koniden dahin.

Eine ganze Kette von Klippen bildete eine weiß schäumende Barriere, die von einem Ufer zum anderen reichte. Zwar schien das nicht ganz so schlimm wie ein Wasserfall zu sein, aber als angenehme Überraschung war diese Sperre auch nicht gerade zu bezeich­nen.

»Wie sollen wir da nur heil durchkom­men?« fragte Asmorth mit banger Stimme. »An sich müßte uns die Strömung hindurch­tragen, denn das Wasser teilt sich vor den Klippen, um durch die Lücken zu stürzen. Hoffentlich nicht zu tief.«

»Ich kann den Strom dahinter sehen«, be­ruhigte ihn Malthor. »Es ist kein richtiger Wasserfall.«

Der Baumstamm war wieder schneller ge­worden, trieb aber quer zur Strömung und prallte auch prompt in dieser Stellung gegen die Felsen, um so einige der vorhandenen Lücken zu sperren. Malthor erkannte die Gefahr sofort und warnte seinen Gefährten.

Wenn es sich um ein bis zum Grund hinab reichendes Hindernis gehandelt hätte, wäre vielleicht alles gut gegangen, aber so spru­delte das Wasser unter dem Baumstamm

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hindurch, ohne die Strömung direkt zu be­hindern. Es entstand keine bemerkenswerte Stauung.

Als die beiden Arkoniden das Vergebli­che ihrer Steuerbemühungen einsahen, war es fast zu spät. Im letzten Augenblick noch gelang es ihnen, die Beine waagerecht vor­zustrecken und den Aufprall zu mildern.

Unendlich lange Sekunden drückte der Strom sie gegen den Baumstamm, während unter ihnen das Wasser vorbeirauschte und einen unwiderstehlichen Sog bildete, der den Schwimmring nach unten zog. Von Malthor und Asmorth waren nur noch die Köpfe zu sehen.

»Wir müssen unten durch – Luft anhal­ten!« brüllte Malthor.

Asmorth nickte nur, zu mehr war er nicht fähig. Er spürte, wie seine ausgestreckten Beine einzuknicken begannen und sein Kopf unter die Wasseroberfläche geriet. Dann schloß er die Augen und überließ alles, was noch kam, einem gütigen Schicksal.

Die Strömung riß sie mitsamt dem Schwimmring in die Tiefe. Die Lücke zwi­schen den beiden Klippen seitlich und dem Baumstamm darüber nahm sie auf. Der Sog war so stark, daß er sie wie einen Korken packte und mitnahm.

Malthor spürte einen starken Schlag ge­gen das rechte Bein und zog es noch mehr an. Er mußte gegen einen Felsen gestoßen sein, aber er konnte nichts sehen. Die ange­haltene Luft drohte seine Lungen zu spren­gen. Er atmete ein wenig aus und fühlte Er­leichterung.

Vorsichtig öffnete er die Augen und sah es milchig dämmern. Auch ließ der Druck in den Ohren nach. Sie mußten ziemlich tief hinabgetaucht sein, näherten sich aber nun wieder schnell der Oberfläche.

Asmorth hing wie leblos in der Halterung, als sie wieder atmen konnten. Hinter ihnen lag die schäumende Barriere. Der Baum­stamm hatte sich halb aufgerichtet, als sei er wirklich ein Ungeheuer, das seine Beute nicht entkommen lassen wollte. Früher oder später würde er durch die Klippen kommen

Clark Darlton

und ihnen erneut folgen. »Wie geht es dir, Jörn?« Asmorth spuckte und schnappte nach

Luft. »Ich glaube, ich lebe noch halbwegs.

Mann, das war verflucht knapp!« Malthor nickte und schüttelte das Wasser

aus den Haaren. »Es wird bald noch knapper kommen.

Hörst du es?« Der wildschäumende Fluß machte weiter

vorn eine Biegung. Was dahinter lag, war nicht zu sehen, wohl aber deutlich zu hören. Das Rauschen war zu einem wahren Orkan geworden. Das konnten keine Klippen mehr sein, das war ein gigantischer Wasserfall.

Den würden sie nicht mehr überleben. Asmorth begann nun ernsthaft damit, den

Versucht zu unternehmen, seine festgebun­denen Arme aus der Halterung zu befreien. Sie hätten das schon viel früher tun sollen, aber die Müdigkeit und Lethargie waren größer als der Wille gewesen. Nun schien es fast zu spät geworden zu sein.

»Rechts wird es schon lockerer«, sagte er, als er Malthors zweifelnde Blicke bemerkte. »Noch fünf oder zehn Minuten, dann errei­che ich die Kontrollschnalle im Gürtel.«

»Ich keinesfalls«, gab sein Gefährte in ohnmächtiger Wut zurück. »Du hattest recht: ich bin zu dick.«

Asmorth sprach nun nicht mehr und über­ließ Malthor die »Navigation«. Es spielte auch keine Rolle, ob er das nun tat oder nicht, der Schwimmring ließ sich kaum be­einflussen in seiner Richtung.

Aber der rechte Arm ließ sich schon bes­ser bewegen.

Die Strömung nahm sie mit zum rechten Ufer, wo die Höhlen waren, aber sie kamen nicht nahe genug heran. Sie erreichten die Linkskurve des Flusses. Der Blick wurde wieder frei.

Ganz weit vorn, mehr als zwei oder drei Kilometer entfernt, verengte sich das Tal. Es schien, als sei es früher einmal durch einen Felsriegel versperrt gewesen, durch den sich das Wasser einen Weg gesucht hatte.

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Keine einzige Schaumkrone verriet den Fall, der hinterher knapp hundert Meter brei­ten Lücke drohte.

Im Gegenteil: das Wasser schien sich plötzlich beruhigt zu haben. Nur kleine Wel­len zeigten sich auf seiner Oberfläche, und unmittelbar vor dem Absturz war es glatt wie ein Spiegel.

Sie trieben nun wieder vom Ufer fort. »Wir haben noch zehn Minuten, mehr

nicht«, murmelte Malthor. »Das weiß ich«, gab Asmorth verzweifelt

zurück. »Ich komme einfach nicht los!« »Mußt du aber!« Asmorth gab keine Antwort, sondern er

verdoppelte seine Anstrengungen. Wenn er wenigstens an den Griff des Impulsstrahlers gelangte, dann würde er die Halterung ein­fach verbrennen, aber nicht einmal das war möglich. Atlan und Fartuloon hatte es zu gut mit ihnen gemeint, als sie sie dem Wasser übergaben.

Sie trieben nun langsamer dahin, dafür wurde das Brausen des gewaltigen Wasser­falls mit jeder Sekunde lauter. Rechts und links der Sperrklippen staute sich das Was­ser zu einer richtigen Mauer, um dann zur Strommitte hin abzufließen. Selbst wenn der Schwimmring dort »landete«, würden die Männer keinen Halt finden, dazu waren die steilen Klippen viel zu glatt.

»Ich habe es gleich!« brüllte Asmorth, da­mit Malthor ihn verstehen konnte. »Die Fra­ge ist nur, ob das Aggregat uns beide und den schweren Ring trägt …«

»Schweben genügt!« rief Malthor zurück und gab es dann auf, um Kraft zu sparen.

Die Drehung des Ringes hatte längst auf­gehört. Fast ruhig trieb er mit der Strömung dahin, dem unvermeidlichen Ende entgegen. Hinter dem Fall lag tief unten die Ebene, die bis zum Meer reichte. Einen Teil der Ebene konnte Malthor sehen und so die Höhe des Wasserfalls abschätzen.

Etwa zweihundert Meter … vielleicht et­was mehr.

Schon zehn Meter hätten genügt. Vor dem Fall hing eine weiße Wolke, die

Gischt nach allen Seiten sprühte, aber immer wieder mit Nachschub versorgt wurde. Sie hing wahrscheinlich schon seit Jahrtausen­den über dem Absturz und war Zeuge vieler Tragödien geworden.

Nun stand eine neue bevor. »Wie weit bist du?« rief Malthor, aber er

bekam keine Antwort. Er sah nur, daß As­morths rechte Hand langsam freikam.

Atemlos sah er zu, wie sich diese Hand mit unwahrscheinlicher Langsamkeit be­wegte, auf die Gürtelschnalle mit den Kon­trollen zu.

Und dann hatte sie Kontakt. Malthor spürte es, weil er sich plötzlich

ein wenig aus dem Wasser gehoben wähnte, was ihm wiederum einen besseren Blick auf den bedrohlich nahe gekommenen Wasser­fall ermöglichte. Seine Schätzung war rich­tig gewesen. Der Sturz in die Tiefe bedeute­te den Tod.

Unendlich langsam erhob sich der Ring mit den Arkoniden aus dem Fluß, bis nur noch ihre Füße durch das Wasser schleiften. Unwillkürlich zogen sie diese an – und der Ring schwebte weiter, ohne abzusinken.

Aber Asmorth stellte erschrocken fest, daß er sich nicht steuern ließ. Immer wieder versuchte er, dem seltsamen Luftsegler eine andere Richtung zu geben, aber sie trieben genau auf den Absturz zu, wenn sie auch nicht an Höhe verloren. Zwischen den bei­den mächtigen Klippen hindurch schwebten sie genau auf die Gischtwolke zu.

Unter ihnen war der Abgrund, in den die Wassermassen tosend und donnernd stürz­ten. Tief unten war ein riesiger weißer Fleck, und darunter wahrscheinlich ein ge­waltiges Loch, das die Wucht des Aufpralls aus dem Felsen gespült hatte. Wer dort hin­ein geriet, war rettungslos verloren.

Der Schwimmring verlor nur langsam an Höhe und glitt durch die weiße Gischtwolke hindurch, die den Männern für Minuten jede Sicht nahm. Als sie wieder herausgelangten, hatte das Donnern des Falles bereits ein we­nig nachgelassen. Kraftlos hingen sie in ih­rem Ring, die Beine lang ausgestreckt – und

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vorerst einmal glücklich, dem Tod entron­nen zu sein.

Unter ihnen schlängelte sich der Fluß da­hin und wurde wieder breiter, so wie auch das Tal breiter wurde und sich zu der Ebene ausweitete. Fern am Horizont war ein dunk­ler, gleichmäßiger Streifen.

Das Meer. Mit der Ebene begann auch wieder der

Urwald. Als sie weit genug von den tosenden

Wassern entfernt waren und sie wieder hö­ren konnten, was der andere sagte, stöhnte Malthor:

»Junge, das hast du aber so gerade ge­schafft! Aber der Antrieb ist zu schwach – und wohin steuerst du überhaupt?«

»Du müßtest ein paar Kilo weniger haben, dann könnten wir sogar noch an Höhe ge­winnen. Aber steuern läßt sich das Ding wirklich nicht. Ich fürchte, da haben wir einen Defekt. Aber es ist mir auch egal. Die Hauptsache ist doch wohl, wir leben.«

»Stimmt! Da gebe ich dir recht. Wo wer­den wir nun landen?«

»Irgendwo unten in der Ebene, wieder im Fluß oder vielleicht im Wald. Wir sinken nun schneller.«

»Nicht wieder ins Wasser!« jammerte Malthor entsetzt. »Ich habe nun genug da­von.«

Mit der rechten freien Hand begann As­morth, nun auch die linke aus den Fesseln zu befreien. Er saß danach praktisch nur noch auf einem Seil im Ring. Es dauerte nicht lange, bis auch Malthor sich wieder unge­hindert bewegen konnte.

Das schaukelnde und ziellos dahintreiben­de Gefährt sank weiter in die Tiefe, und als es etwa hundert Meter über dem Fluß schwebte und sich dem rechten Ufer näher­te, das nicht mehr felsig war, sondern mit hohem Gras und dahinter dichtem Wald be­deckt wurde, geschah etwas überraschendes.

Am linken Ufer, weit vom Wasserfall ent­fernt, blitzte es plötzlich auf.

Das erste Geschoß pfiff dicht an Malthors Ohr vorbei.

Clark Darlton

*

Die Julkas wußten schon lange, daß Fremde auf ihrer Welt gelandet waren.

An sich brauchte sie das kaum zu beunru­higen, denn als Wasserbewohner, die länge­re Zeit auf dem Land zubringen konnten, in­teressierte sie das Innere der Kontinente kaum.

Sie hausten in ihren schwimmenden Städ­ten im Meer und unternahmen nur bei be­sonderen Anlässen Ausflüge auf das Fest­land.

Die Fremden waren auch ein solcher An­laß.

Eine große Expedition brach auf. Der Haupteil benutzte den Fluß, der in das Tal der Fremden führte, als Anmarschstrecke. Der riesige Wasserfall, der die Tiefebene von dem Hochplateau trennte, zwang die Julkas dann, an Land zu gehen.

Und damit trennten sich auch die einzel­nen Gruppen, die selbständig zu handeln ge­dachten.

Eine dieser Gruppen blieb beim Wasser­fall. Sie hatte den Auftrag, Bäume zu fällen und zu Flößen zusammenzubinden, die man dann stromabwärts treiben ließ, bis sie den Hafen erreichten, wo sie abgefangen wur­den. Holz war ein wichtiges Handelsgut für die Eingeborenen von Ketokh.

Die ersten Flöße trieben bereits flußab­wärts, als über dem Wasserfall ein seltsamer fliegender Gegenstand auftauchte. In einem Ring hingen zwei Gestalten, die der Entfer­nung wegen noch nicht genau zu erkennen waren.

Aber es konnten keine Julkas sein, das stand fest.

Also die Fremden …? Der Anführer der Arbeitsgruppe rief seine

Leute zusammen und befahl Feuerbereit­schaft. Sie entsicherten ihre Gewehre und überprüften die Magazine mit den Explosiv­geschossen.

Dann warteten sie.

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*

»Was soll denn das?« rief Malthor er­schrocken und duckte sich unwillkürlich, obwohl das nur wenig Sinn hatte. »Wir ha­ben doch angenommen, daß die Eingebore­nen im Meer wohnen, wenn es überhaupt welche gibt!«

»Es gibt sie! Und sie scheinen nicht sehr freundlich zu sein. Da wir nicht steuern kön­nen und ständig tiefer sinken, können wir nur noch hoffen, daß uns der Wind weiter­trägt und wir am anderen Ufer landen.«

»Wenn die im Meer wohnen, können sie besser schwimmen als wir.«

»Na, wenn schon? Wenn sie kommen, werden wir sie mit den Blastern empfangen. Schließlich haben ja nicht wir angefangen.«

Immer öfter blitzte es unten beim Fluß auf. Das erste Geschoß drang in einen der Schwimmbehälter des Ringes ein und deto­nierte. Zischend strömte die Luft aus.

»Die verdammten Kerle haben Sprengge­schosse – Gemeinheit!« schimpfte Asmorth. »Denen werden wir es zeigen! Kannst du dich genügend bewegen?«

»Geht schon«, knurrte Malthor. Aber es gelang ihm nur mit Mühe, den

Impulsstrahler in die Höhe zu bringen und unsicher Ziel zu nehmen. Das Energiebündel raste weit von den dunklen und sich kaum bewegenden Pünktchen vorbei und setzte einen Baumwipfel in Brand.

»Immerhin«, meinte Asmorth, »wird sie das vorsichtiger machen.«

Sie schwebten nur noch zwanzig Meter über dem Wasser und näherten sich schnell dem rechten Flußufer. Der Strand war breit, dahinter erst begann der Wald. Er würde Deckung bieten.

Am anderen Ufer, etwa vierhundert Meter entfernt, wollte die Schießerei nicht aufhö­ren. Weitere Schwimmbehälter wurden ge­troffen, dann explodierte eines der Geschos­se beim Aufprall auf das Flugaggregat. Der Motor setzte sofort aus, der Ring stürzte wie ein Stein in den Fluß und ging sofort unter.

Zum Glück spürten die beiden Arkoniden bereits nach zwei oder drei Sekunden Grund unter den Füßen und konnten sich aus dem Ring befreien. Langsam tauchten sie auf, wobei die relativ schwere Ausrüstung sich als besonders hinderlich erwies. Aber das Ufer war nur noch wenige Meter entfernt. Sie erreichten es schwimmend.

Viel Zeit zum Überlegen blieb ihnen je­doch nicht, denn nun prallten die Geschosse von der anderen Flußseite immer näher an Land auf und explodierten, wobei sie kleine Fontänen in die Höhe spritzten.

»Los, zum Waldrand!« rief Malthor, der endgültig die Geduld verlor. »Und dann ge­ben wir es ihnen!«

Sie rannten, von den Fontänen verfolgt, bis sie die ersten Bäume erreichten, hinter deren dicken Stämmen sie Deckung fanden.

»Miserable Schützen!« stellte Asmorth fest. »Bin froh darüber. Es beweist aber, daß sie nur selten Gelegenheit zur Übung ha­ben.«

»Um so besser für uns, Jörn, aber in die­sem Fall macht es die Masse. Wir sind nur zwei, die aber mindestens fünfzig.«

Asmorth nickte grimmig und entsicherte seinen Strahler.

»Sparsam mit der Energie umgehen«, warnte er noch, ehe er sorgfältig zielte und feuerte.

Drüben am anderen Ufer gab es ebenfalls eine Fontäne, aber sie bestand aus zersprit­zender Energie, die mehrere der dunklen Gestalten zurücktaumeln ließ. Eine blieb so­gar bewegungslos liegen.

Doch wenn die Arkoniden glaubten, da­mit den Gegner abschrecken zu können, sa­hen sie sich enttäuscht. Die Eingeborenen, deren Körperform nicht zu erkennen war, rannten zwar wie aufgescheuchte Insekten durcheinander, aber dann stürzten sie sich plötzlich ins Wasser und wollten offensicht­lich den Fluß überqueren.

»Die müssen verrückt sein, Gerlo! Oder sie wissen nichts von Energiewaffen. Wir könnten sie einzeln erledigen, ihre Köpfe sind deutlich sichtbar. Aber ich nehme an,

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damit wollen sie uns ablenken, denn mehr als die Hälfte von ihnen ist unter der Ober­fläche verschwunden. Sie tauchen. Also auf­passen!«

»Das tu ich schon«, erwiderte Malthor knapp.

Asmorth Vermutung stimmte. Etwa zehn Meter vom Ufer entfernt tauchten die dunklen Köpfe wieder auf. Die Eingebore­nen hatten die Strecke unter Wasser fast doppelt so schnell zurückgelegt wie ihre an der Oberfläche schwimmenden Artgenossen, ein sicherer Beweis dafür, daß sie mehr im Wasser lebten als auf dem Land.

Kaltblütig eröffnete Malthor das Feuer aus seiner Energiewaffe.

Um die Köpfe herum begann das Wasser zu kochen. Trotzdem faßten die seltsam an­zusehenden Eingeborenen Grund und reck­ten ihre Gewehre in die Höhe – das Zeichen zum Angriff. Einige schossen, was die Waf­fen hergaben, aber zum Glück weit daneben.

Erst als ein Zufallstreffer hinter Asmorth in den nächsten Baum fuhr und diesen halb auseinandersprengte, nahm der Arkonide keine Rücksicht mehr. Mit einem einzigen Feuerstoß tötete er ein halbes Dutzend der Angreifer.

Das genügte. Sie verschwanden unter der Oberfläche

wie die Fische, und diejenigen, die noch weiter draußen im Fluß schwammen, mach­ten eiligst kehrt und strebten dem Ufer ent­gegen, von dem sie gekommen waren.

Die beiden Arkoniden stellten sofort das Feuer ein.

»Ich glaube, die haben vorerst genug«, vermutete Malthor und fügte hinzu: »Du hättest nicht gleich so richtig hineinhalten müssen. Einige von ihnen hat es erwischt.«

»Ihre eigene Schuld.« Er sah sich um. »Den Ring sind wir los, mein Flugaggregat ist hinüber, aber deines dürfte noch in Ord­nung sein. Ohne den Ring wird es uns beide tragen, wenn es sein muß. Ich schlage vor, daß wir weiter vordringen und versuchen, das Meer zu erreichen. Vom Raum aus ha­ben wir Stützpunkte am Ufer feststellen kön-

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nen, wahrscheinlich Häfen. Dort werden wir mehr erfahren, und manchmal möchte ich glauben, daß uns die Eingeborenen gegen Akon-Akon helfen können. Allein werden wir nie mit diesem Monstrum fertig.«

»Einverstanden, Jörn, aber ich schlage einen Kompromiß vor: Wir sind ewig lange unterwegs. Außerdem geht die Sonne bald unter, und es wird dunkel. Wir suchen uns einen sicheren Platz und versuchen zu schla­fen. Dann sind wir morgen frisch und mun­ter. Was meinst du?«

»Wir müßten schon auf die Bäume klet­tern, um sicher zu sein. Die Eingeborenen werden nicht so schnell aufgeben. Wenn sie den ersten Schreck überstanden haben, kom­men sie wieder.«

»Da magst du recht haben, und ein Baum­wipfel ist durchaus nicht das schlechteste Versteck. Komm schon!«

Sie drangen ein gutes Stück in den Wald ein, zwängten sich durch das dichte Unter­holz, bis sie vor einem riesigen Baum stan­den, dessen Stamm an Durchmesser und Hö­he alle anderen übertraf.

Malthor aktivierte sein Flugaggregat und schaltete es vorsichtig auf Mindestleistung. Sofort spürte er ein vermindertes Körperge­wicht, ein sicheres Zeichen dafür, daß der Apparat funktionierte.

»Halte dich an mir fest, Jörn. Die paar Meter geht es ohne weitere Sicherung. Wir fliegen zum Wipfel hoch.«

»Das erspart uns die Kletterei und außer­dem wissen wir dann, woran wir sind.«

Langsam schwebten die beiden Arkoni­den empor. Seitlich von ihnen glitten Rinde und Äste nach unten, bis sie das dichte Laubdach des Urwaldriesen erreichten. Ge­schickt steuerte Malthor eine ausladende Astgabel an und landete sanft auf ihr. Er schaltete das Gerät aus.

»Na also, das hätten wir! Hier ist soviel Platz, daß wir uns nicht einmal festbinden müssen. Eine Nacht Schlaf wird uns beiden guttun.«

»Mich ärgert nur die nasse Kleidung. Hoffentlich wird es in der Nacht nicht zu

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kalt.« Daran war leider nichts zu ändern, und ein

Feuer konnten sie schon der Eingeborenen wegen nicht machen. Bald wurde es dunkel, und der Schein hätte ihr Versteck sofort ver­raten.

Längst war die blaue Sonne untergegan­gen und die Dämmerung angebrochen. Durch das Blätterwerk der Bäume hindurch konnten die Arkoniden das silberne Band des Flusses schimmern sehen. Am anderen Ufer brannten einige Feuer. Manchmal wa­ren die dunklen Schatten der Eingeborenen zu erkennen. Sicher beratschlagten sie, was sie als nächstes unternehmen sollten.

Malthor machte es sich in der Gabelung bequem und kramte ein Konzentratpäckchen aus der Vorratstasche. Er verspürte Hunger, aber keinen Durst. Er hatte in letzter Zeit mehr als genug Wasser geschluckt. Asmorth sah ihm eine Weile zu, dann folgte er sei­nem Beispiel. Schweigsam aßen sie.

Nach den unzähligen Aufregungen und Gefahren befanden sie sich nun in relativer Sicherheit. Die Reaktion stellte sich sofort ein. Sie sprachen auch später kaum noch ein Wort, sondern schliefen sofort ein, als es endgültig dunkel geworden war.

Über ihnen war ein Himmel voll fremder Sterne, und am Horizont ging ein rötlich schimmernder Mond auf.

*

Als der Morgen graute, tauchten die Ein­geborenen wieder auf. Sie mußten noch in der Nacht den Fluß überquert haben und suchten nun nach den Spuren der beiden Fremden. Ziemlich verblüfft mußten sie dann wohl festgestellt haben, daß die gefun­denen Spuren plötzlich einfach endeten.

Unschlüssig und ratlos setzten sie trotz­dem ihre Suche fort. Sie inspizierten den Stamm des großen Baumes, fanden aber an der Rinde nicht den geringsten Hinweis da­für, daß die Fremden dort hinaufgeklettert waren.

Malthor spähte vorsichtig über den Rand

des dicken Astes nach unten, dann flüsterte er:

»Sie gehen weiter, Jörn. So schnell finden die uns nicht.«

»Und wenn, dann werden sie sich wun­dern«, gab Asmorth zurück und klopfte ge­gen den Griff seiner Waffe. »Pack das Früh­stück schon mal aus, ich beobachte indessen weiter.«

Eine Zeitlang noch konnte er die herum­schleichenden Eingeborenen sehen, dann verschwanden sie im Unterholz. Das Knacken der vertrockneten Zweige entfernte sich immer mehr, bis nichts mehr zu hören war.

»Die sind wir los«, hoffte Malthor und kaute auf einem Fleischwürfel herum. »In einer halben Stunde brechen wir auf. Den Strick haben wir ja noch. Du bindest dich an mir fest, und dann setzen wir die begonnene Luftreise fort. Besser als die Schwimmtour ist das schon.«

»Meine Kleider sind getrocknet, von mir aus kann es losgehen.«

»Wir werden dem Strom folgen, bis wir zum Meer kommen. Dort allerdings müssen wir vorsichtig sein. Zu dumm, daß wir kei­nen Translator bei uns haben. Wir werden auf Schwierigkeiten bei einer Verständigung mit den Eingeborenen stoßen. Vielleicht klappt es mit Zeichensprache.«

»Wir können uns bei Tage kaum in der Ansiedlung sehen lassen«, gab Asmorth zu bedenken. »Eigentlich sollten wir hier war­ten, bis Atlans nächste Boten hier auftau­chen – oder noch besser: wir sollten zurück bis weit vor den Wasserfall, um sie zu war­nen.«

»Die Situation hat sich jetzt verändert, Jörn. Ich halte es für unbedingt notwendig, Kontakt mit den Eingeborenen aufzunehmen und sie um Unterstützung gegen Akon-Akon zu bitten. Es kann doch nur in ihrem eigenen Interesse sein, wenn die geplante Siedlung nicht errichtet wird.«

»Vielleicht hast du recht, Gerlo.« Nach dem Frühstück bastelten sie aus den

noch vorhandenen Seilen einen kleinen Sitz

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für Asmorth, in dem er bequem Platz fand. Malthor fabrizierte eine Schulterhalterung für sich, um durch die zusätzliche Last nicht in seiner Bewegungsfreiheit eingeengt zu werden.

Behutsam startete er dann. Der Sitz mit Asmorth hing drei Meter unter ihm und schaukelte langsam hin und her.

»Hoffentlich wird mir nicht schlecht, Ger­lo.«

»Keine Sorge, du gewöhnst dich daran, mein Junge. Das ist besser als marschieren oder schwimmen.«

Die Baumkrone blieb zurück, während sie an Höhe gewannen. Dann nahm Malthor Kurs auf die Küste und blieb stets in Sicht­weite.

Eine Belastungsprobe allerdings hatten sie noch zu bestehen.

Als sie eine größere Lichtung überquer­ten, wurden sie plötzlich beschossen. Sekun­den später befanden sie sich in einem regel­rechten Kugelhagel, der ihnen keine Zeit mehr ließ, ihrerseits das Feuer zu erwidern.

»Festhalten!« rief Malthor und schaltete das Aggregat auf volle Leistung.

Asmorth wäre durch den Ruck beinahe aus seinem Sitz geschleudert worden. Mit beiden Händen hielt er sich krampfhaft fest und versuchte, nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

Rasend schnell fielen Lichtung, Wald und Fluß zurück, bis sie so hoch gestiegen wa­ren, daß die Geschosse sie nicht mehr errei­chen konnten. Malthor nahm Energie weg, bis sie die Höhe behielten.

»Das war knapp«, meinte er nicht ohne Stolz. »Ich werde noch ein perfekter Luft­schiffer.«

»Und ich Akrobat, Gerlo. Das wäre fast schiefgegangen.«

Angestrengt blickte Malthor nach unten. »Die Kerle verschwinden wieder im

Wald. Ich wette, sie versuchen noch immer, uns zu folgen. Wenn die auch aus der Ha­fenstadt sind, begegnen wir ihnen vielleicht dort. Übrigens sehen sie aus wie wandelnde Zylinder mit Armen und Beinen. Nun ja, für

Clark Darlton

Wasser mag das die geeignete Körperform sein. Ich jedenfalls finde sie nicht gerade schön.«

»Dich werden sie auch nicht schön fin­den, Gerlo. Die Geschmäcker sind eben ver­schieden …«

Auf dem Fluß trieben Flöße dahin. Jedes von ihnen wurde von einem oder zwei Ein­geborenen gesteuert, die sich jedoch nicht um die hoch über sie dahinfliegenden Frem­den kümmerten, falls sie diese überhaupt be­merkt hatten.

Schließlich hörte der Wald auf und mach­te einer bis zum Horizont reichenden Prärie mit Hügeln, Bäumen und Strauchgruppen Platz.

Malthor ging wieder tiefer. Der Fluß, nun wieder ein breiter und ruhig

dahinfließender Strom, hatte sich in Arme aufgeteilt und bildete so ein riesiges Delta. Die Küste war deutlich zu erkennen, auch die Ansiedlung.

Sie schien nicht besonders groß zu sein und bestand aus niedrigen Holzbauten. Die­se umschlossen eine kleine Bucht, die als Hafen diente. In ihr lagen mehrere flache Lastkähne auf Reede.

Malthor landete vorsichtig etwa fünf Ki­lometer vor den ersten Blockhäusern.

»Von nun an müssen wir ständig mit einer Konfrontation rechnen«, warnte er seinen Begleiter, der das aus Stricken bestehende Fluggestell zusammenrollte und unter eini­gen Büschen versteckte. »Möglicherweise kommen wir aber bis in die Nähe des Ha­fens, ohne gesehen zu werden.«

Asmorth setzte sich ins Gras. »Allmählich hege ich den Verdacht, du

willst dir eine von diesen schwimmenden Städten ansehen, die wir vom Raum aus be­obachteten. Dann kannst du aber allein ge­hen.«

Malthor winkte ab. »Keine Sorge, so verrückt bin ich auch

wieder nicht. Ich will dasselbe wie du: Kon­takt und Verständigung mit den Eingebore­nen.«

Asmorth seufzte.

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13 Die Wassermenschen von Ketokh

»Na schön, versuchen können wir es ja …«

Er stand auf und folgte Malthor, der – im­mer auf Deckung bedacht –, dicht am Flußu­fer entlang in Richtung des Hafens losmar­schierte.

Ihnen war beiden nicht besonders wohl zumute dabei.

2.

Am Morgen nach dem Überfall auf die Siedlung, die bei dem Feuergefecht fast völ­lig zerstört worden war, beschloß Fartuloon zu handeln. Er wußte aus eigener Erfahrung, daß er sich dem Willen des jungen Akon-Akon nicht widersetzen konnte, also mußte er versuchen, ihn für seinen Plan zu gewin­nen. Eine andere Möglichkeit gab es nicht.

Es hatte wenig Sinn, auf Malthor und As­morth zu warten, die ja selbst ihrerseits auf Verstärkung hofften. Auf Verstärkung, die nicht eintreffen würde, weil Akon-Akon die Absichten Fartuloons und Atlans längst durchschaut hatte. So blieben die beiden Ar­koniden die einzigen, die vorerst dem hyp­notischen Zwang entronnen waren.

Atlan war entführt worden, und mit ihm die Astronomin Algonia Helgh. Sie mußten gefunden und befreit werden.

Akon-Akon saß abseits der zerstörten Siedlung auf der Kuppe eines flachen Hü­gels und betrachtete mißmutig das, was von seinem Werk übriggeblieben war. Fartuloon näherte sich ihm auf dem schmalen Pfad, der inzwischen entstanden war. Er war unbe­waffnet.

Akon-Akon sah nur kurz auf, als er den Näherkommenden bemerkte, und als er ihn erkannte, wurde der Ausdruck seines Ge­sichtes nicht freundlicher.

»Was willst du?« fragte er unhöflich. »Habe ich nicht schon genug Ärger und Sor­gen?«

»Die habe ich auch«, erwiderte Fartuloon, ungehalten über den rüden Ton des jungen Mannes. »Atlan ist verschwunden, von den Eingeborenen verschleppt. Es ist meine Ab­

sicht, ihn zu befreien, aber ich wollte nichts unternehmen, ohne dich zu informieren.«

Er hatte es sich angewöhnt, den geheim­nisvollen Akon-Akon zu duzen, da auch die­ser nicht alle Regeln der Höflichkeit beach­tete. Anscheinend nahm der es ihm auch nicht übel.

»Ich weiß nicht, ob wir den richtigen Pla­neten gefunden haben«, sagte Akon-Akon, ohne die Frage zu beantworten. »Nach die­sem ersten Überfall werden weitere folgen. Immer wieder wird man die Siedlung zerstö­ren, und ich wollte mein neues Reich in Frieden begründen.«

»Atlan wurde entführt!« wiederholte Far­tuloon, diesmal drängender, eindringlicher. »Hast du etwas dagegen, wenn ich eine Ex­pedition zusammenstelle und den Spuren der Eingeborenen folge? Mit unseren Waffen sind wir ihnen überlegen. Wir gehen kein Risiko ein.«

»Es muß auch noch andere Planeten ge­ben, die geeignet sind«, sann Akon-Akon vor sich hin. Er schien Fartuloon einfach vergessen zu haben. »Vielleicht sogar der achte Planet dieses Systems. Ich werde mich darum kümmern müssen …«

Jetzt wurde es Fartuloon doch zu bunt. »Nun hör endlich zu, Akon-Akon! Ich habe gesagt, daß Atlan entführt wurde

und daß ich ihn zu befreien gedenke! Wenn du nichts darauf erwiderst, werde ich selb­ständig handeln. Hast du das verstanden?«

Akon-Akon sah ihn wieder an. »Atlan befreien?« Er schüttelte den Kopf.

»Niemand wird diesen Platz ohne meine Ge­nehmigung verlassen, auch du nicht!« Sein Blick wurde zwingend, und Fartuloon spürte wieder den unheimlichen Einfluß, der von dem jungen Mann ausging und ihn in seinen Bann schlug. »Atlan wird sich selbst helfen, auch wenn ihm das nicht viel nützen wird.«

»Ich bestehe aber darauf, daß ich …« »Du hast auf nichts zu bestehen, Fartu­

loon. Hier ist mein Wille Gesetz, nicht der deine. Es sind mehrere Arkoniden bei dem Überfall ums Leben gekommen, welche Rolle spielt also ein Atlan, den man gefan­

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gen nahm? Keine, sage ich dir, absolut kei­ne! Außerdem bleibt uns keine Zeit für lang­wierige Expeditionen in ein unbekanntes Land.«

»Keine Zeit?« Fartuloon glaubte, sich ver­hört zu haben. »Wir haben Zeit genug.«

Akon-Akon schüttelte den Kopf. »Die haben wir eben nicht! Wir werden

diese Welt verlassen und eine andere su­chen, die für unsere Pläne besser geeignet ist. Ich will meine Kolonie für alle Zukunft gesichert wissen. Solange es Eingeborene gibt, die uns bedrohen, gibt es auch keinen Frieden. Du kannst dich um die Startvorbe­reitungen kümmern, Fartuloon. Morgen noch gehen wir an Bord der ISCHTAR und verlassen diese Welt.«

In Fartuloon begann es allmählich zu ko­chen, aber noch versuchte er, sich zu beherr­schen.

»Du willst doch Atlan nicht einfach zu­rücklassen?« erkundigte er sich fast in sanf­tem Tonfall. »Das kannst du nicht! Bedenke, was er für dich getan hat. Ohne ihn wärest du jetzt noch auf dem Planeten der Heiler, ein Gefangener für alle Zeiten. Nennst du das Dankbarkeit?«

»Was ist das – Dankbarkeit? Ich sehe nur mein Ziel vor Augen, und niemand wird mich daran hindern, es auch zu erreichen. Atlan hätte eben besser aufpassen sollen.«

Nun wurde es Fartuloon zu bunt. »Er hat deine Siedlung verteidigt, du ein­

gebildetes Subjekt! Eines Tages wirst du noch dich selbst anbeten, weil es in deinen Augen nichts Erhabeneres gibt. Manchmal glaube ich, du bist wahnsinnig, und …«

»Schweig!« Akon-Akons Stimme war schneidend scharf und duldete keinen Wi­derspruch. »Wie kannst du es wagen, so mit mir zu reden? Hast du denn noch immer nicht begriffen, daß es keine Auflehnung ge­gen mich gibt? Wir werden morgen mit der ISCHTAR starten, und du selbst wirst dafür sorgen, daß die entsprechenden Vorbereitun­gen getroffen werden. Über Atlan möchte ich kein Wort mehr hören. Wenn er bis mor­gen zurück ist, kann er uns begleiten.«

Clark Darlton

»Wie großzügig!« spottete Fartuloon in einer letzten Trotzaufwallung. »Er darf in seinem eigenen Schiff mitfliegen – das finde ich wirklich edelmütig von dir. Wie soll ich dir nur danken?«

Akon-Akon überhörte den Hohn. »Du brauchst mir nicht zu danken, ich bin

immer großzügig. Und nun geh endlich, ich muß nachdenken.«

Fartuloon wußte, daß es völlig sinnlos war, jetzt noch weiter mit Akon-Akon zu verhandeln. Er hatte damit gerechnet, daß der Junge den Wiederaufbau der zerstörten Siedlung befahl, aber nun hatte sich die Si­tuation mit einem Schlag verändert. Wenn Akon-Akon tatsächlich den Start anordnete, blieb Atlan auf dem unbekannten Planeten zurück.

Und wenn Akon-Akon anordnet, gab es keinen Widerspruch.

Der Start mußte demnach verhindert wer­den, wollte Fartuloon überhaupt etwas für den verschwundenen Freund tun.

Langsam ging er den Weg zurück, den er gekommen war. Drüben in der Ebene stand die dreihundert Meter durchmessende ISCH­TAR auf ihren Teleskopbeinen, alle nahen Hügel überragend. Sie war ein gut ausgerüs­tetes Raumschiff und sicherlich für eine bes­sere Aufgabe gedacht, als die Pläne eines Verrückten mit unbegreiflichen Kräften zu verwirklichen.

Ich brauche einen Verbündeten, dachte Fartuloon, als er an einer Gruppe von her­umlungernden Arkoniden vorbeischritt, die auf die Anordnung Akon-Akons warteten. Allein schaffe ich es nicht, den Start zu ver­hindern oder wenigstens zu verzögern.

Aber auf wen war schon Verlaß? Sie alle standen unter dem Zwang des Un­

heimlichen. Ein wenig fühlte sich Fartuloon jetzt aller­

dings davon befreit. Vielleicht lag es daran, daß er sich Sorgen um Atlan machte und daß er einen unbeschreiblichen Haß auf Akon-Akon verspürte, der ihm jede Hilfeleistung versagte. Wenn das so war, brauchte er nicht nach einem Verbündeten zu suchen, den er

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in seinen Plan einweihen mußte. Dann schaffte er es auch allein. Ohne jede Vorsichtsmaßnahme näherte er

sich der ISCHTAR, deren Hauptluke offen­stand. Die Leiter war ausgefahren.

Ein Arkonide erschien in der Luke zur Schleuse und sah hinab.

»Ah, Fartuloon! Bringen Sie neue Befehle von Akon-Akon?«

Fartuloon nickte geistesgegenwärtig. »Allerdings. Die ISCHTAR wird startbereit gemacht, weil wir morgen diese Welt verlas­sen werden – so hat Akon-Akon es angeord­net. Ich soll mich darum kümmern.«

»Und wir haben Befehl, niemand an Bord zu lassen. Auch Sie nicht, Fartuloon.«

»Was soll denn der Unsinn? Die Befehle widersprechen sich.«

»Das ist nicht meine Schuld. Wir kennen nur den unserigen, nicht aber den Ihren. Ge­hen Sie zu den anderen und warten, was ge­schieht.«

Fartuloon war wütend, aber er blieb ruhig. »Wie denken Sie über die Entführung At­

lans? Die Eingeborenen haben ihn gefangen, und wir sollen morgen Ketokh verlassen und ihn zurücklassen. Warum befreien wir ihn nicht?«

»Wenn Akon-Akon es befiehlt, werden wir ihn auch befreien.«

»Sonst nicht?« »Nein, sonst nicht! Wir dürfen nichts oh­

ne seinen Befehl tun.« Fartuloon sah sich um und entdeckte

einen flachen Stein. Ganz in der Nähe hiel­ten sich noch andere Besatzungsmitglieder der ISCHTAR auf. Er ging hin und setzte sich. Der Mann oben in der Luke sah noch eine Weile zu ihm herüber, dann ver­schwand er im Schiff.

Na schön, dachte Fartuloon, dann warte ich eben auf eine bessere Gelegenheit. Ich komme schon dort hinein, und wenn ich mir neue Anordnungen von Akon-Akon selbst holen müßte. Warten wir, bis es dunkel wird.

Zwei Stunden später trugen vier Arkoni­den den auf einer Liege ruhenden Akon-

Akon vorbei und setzten ihn auf einem nahe gelegenen Hügel ab. Die kleine Hütte, die er sich dort hatte errichten lassen, war heil ge­blieben. Manchmal hielt er sich in ihr auf.

Fartuloon unterdrückte den Wunsch, so­fort zu ihm zu gehen und um den Befehl an die Mannschaft zu bitten, ihn an Bord zu lassen. Das würde nur Verdacht erregen. Lieber handelte er auf eigene Faust, wenn er auch noch warten mußte.

Der Abend begann zu dämmern, als die Sonne unter den Horizont gesunken war. Die ersten Sterne erschienen am Himmel, dann später der rötliche Mond.

Fartuloon erhob sich und ging zum Schiff, ohne sich um die anderen Arkoniden zu kümmern, die ihm nachsahen. So leise und vorsichtig wie möglich stieg er die Leiter empor, bis er die Luke erreichte. In der Schleuse saß der Wärter von vorhin auf ei­nem Stapel von Arbeitskombinationen und döste vor sich hin. Den Herbeischleichenden bemerkte er nicht.

Fartuloon zögerte nicht lange und nahm auch keine besondere Rücksicht, als er den Mann mit einem Faustschlag betäubte. Er legte ihn in eine der kleinen Nebenkam­mern, in der Notverpflegung und Ausrü­stung gelagert wurde. Die Luke zum Innern des Schiffes war nicht verschlossen. Unbe­hindert konnte er den Korridor betreten.

Es war Fartuloon klar, daß er den Start nur verhindern konnte, wenn er einen le­benswichtigen Teil der ISCHTAR beschä­digte. Eine Reparatur würde zwei oder drei Tage in Anspruch nehmen. Auf der anderen Seite mußte es ein Teil sein, dessen Ausfall nicht das Leben aller bedrohte.

Der Bordrechner! Sicher, die ISCHTAR würde auch ohne

Bordrechner starten können, wenn Akon-Akon wirklich nur den achten Planeten an­fliegen wollte.

Aber wahrscheinlich würde er es nicht wagen, dazu kannte er das Schiff zu wenig. Wichtig war nur, daß keiner der Besatzung so übereifrig war, ihm doch den Start zu empfehlen.

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Ein Flug aus dem blauen Sonnensystem hinaus jedoch war unmöglich.

Er wußte nicht, wer sich an Bord der ISCHTAR aufhielt und wie stark der Bann des unheimlichen Akon-Akon hier war. Er selbst verspürte ihn, konnte sich aber eini­germaßen gegen ihn behaupten. Das jedoch nur so lange, wie er nicht aktiv gegen den jungen Mann zu werden hatte, und das, was er plante, ähnelte mehr einer passiven Hand­lungsweise.

Natürlich kannte sich Fartuloon im Schiff bestens aus. Er wußte, wo die Quartiere der Mannschaft waren und welche Wacheintei­lung normalerweise vorgenommen wurde. Je mehr er sich der Kontrollzentrale näherte, desto größer wurde das Risiko für ihn, wenn er auch nicht damit rechnete, von seinen ei­genen Leuten angegriffen zu werden. Aber sie würden sich bei Akon-Akon erkundigen, ob er die Erlaubnis erhalten habe, die ISCH­TAR nachts zu betreten.

Das war ein Risiko, das er vermeiden wollte.

Der Bordrechner war eine äußerst kompli­zierte Anlage, die weder leicht zu zerstören noch zu reparieren war. Doch auch hier wußte Fartuloon, was er zu tun hatte. Er brauchte nur einen der wichtigen Kontakte zu unterbrechen. Selbst mit den empfindli­chen und leistungsfähigen Kontrollinstru­menten würde es Tage dauern, bis man den Fehler fand. Es sei denn, jemand prüfte zu­fällig sofort die richtige Zuleitung.

Er war so mit seinen Gedanken beschäf­tigt, daß er seine übliche Vorsicht für einige Sekunden vergaß. Plötzlich stand jemand vor ihm.

Er hatte den Antigravlift benutzt, und das war vielleicht ein Fehler gewesen. Als er auf den Korridor trat, sah er in die drohende Mündung einer Energiewaffe, die auf Läh­mung geschaltet war.

Fartuloon kannte den Mann. »Was soll denn das?« erkundigte er sich

geistesgegenwärtig. »Ich habe in der Zentrale zu tun.« Der Arkonide ließ den Lauf der Waffe ein

Clark Darlton

wenig sinken. »Wir haben Befehl, niemand an Bord zu

lassen, auch Sie nicht, Fartuloon. Es tut mir leid …«

»Das muß Ihnen nicht leid tun, Befehl ist Befehl. Aber weshalb auch mich nicht? Wenn Atlan das erfährt, wird er einiges dazu zu sagen haben.«

»Atlan ist nicht mehr da, und unser Chef heißt Akon-Akon.«

Fartuloon begann einzusehen, daß es we­nig Sinn hatte, den Mann beeinflussen zu wollen. Er stand völlig im Bann des Un­heimlichen. Manchmal wunderte er sich selbst darüber, daß er in der Lage war, die­sem Bann zumindest zeitweise widerstehen zu können.

»Na gut, dann gehe ich eben wieder«, sagte er und schlug mit aller Wucht seine geballte Faust gegen das Kinn des anderen.

Der Mann sackte in sich zusammen, aber Fartuloon konnte seine Waffe noch auffan­gen, ehe sie auf den Boden polterte. Das Ge­räusch hätte man bei der herrschenden Ruhe durch das halbe Schiff hören können.

An den Beinen zerrte er den Bewußtlosen in eine Gangnische, in der ein Interkom in­stalliert war. Hier würde man ihn nicht so­fort finden.

Bis zum Bordrechner war es nun nicht mehr weit, aber er mußte noch an der Kon­trollzentrale vorbei. Mit Sicherheit würde sich auch dort eine Wache aufhalten, die es unschädlich zu machen galt. Fartuloon besaß nun wenigstens eine Waffe.

Bevor er in den Hauptkorridor zurück­kam, blieb er stehen und lauschte. Weiter vorn, in Richtung der Zentrale, glaubte er ein Geräusch und leises Reden gehört zu ha­ben.

Er hatte sich nicht getäuscht. Als er um die Ecke lugte, sah er zwei Ar­

koniden im Gang stehen, lässig mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt und die Waffen achtlos in den herabhängenden Hän­den. Sie unterhielten sich arglos.

Fartuloon schätzte die Entfernung ab. Für einen Paralyseschuß würde es reichen, wenn

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er richtig traf. Es hatte keinen Sinn, mit ih­nen verhandeln zu wollen, sondern er mußte das Überraschungsmoment für sich ausnut­zen.

Er schaffte es, aber diesmal konnte er nicht verhindern, daß der Fall der beiden Be­wußtlosen einen ziemlichen Krach verur­sachte. Es blieb ihm auch keine Zeit mehr, sie zu verstecken. Er ließ sie liegen und rannte weiter, an der halb geöffneten Tür zur Kommandozentrale vorbei, in der ebenfalls Geräusche zu hören waren. Hastig betätigte er das positronische Schloß der Rechenzen­trale und trat ein. Die Tür sperrte sich auto­matisch wieder ab.

Der Raum war leer und unbewacht. Das brachte ihm Zeit, wenn man an Bord auch schon auf seine Tätigkeit als Saboteur auf­merksam geworden sein mußte und sicher­lich Gegenmaßnahmen ergriff. Eine davon bekam er zu spüren, als der Lautsprecher des Interkoms zum Leben erwachte und eine Stimme rief:

»Im Schiff hält sich ein Eindringling auf, der noch nicht identifiziert werden konnte. Drei Männer wurden paralysiert. Der unbe­fugte Eindringling hat sich in der Rechen­zentrale eingeschlossen.«

Fartuloon machte sich an den Kontrollen des Rechners zu schaffen, während er mit der freien Hand den Interkom einschaltete.

»Seid vernünftig, Leute! Ich bin es, Fartu­loon! Ihr kennt mich doch alle und wißt, daß ich kein Saboteur bin. Atlan wurde gestern nacht von den Eingeborenen verschleppt, und Akon-Akon plant, morgen diese Welt für immer zu verlassen. Wollt ihr Atlan zu­rücklassen?«

Es entstand eine kurze Pause, dann fragte der Sprecher aus der Kommandozentrale, den Fartuloon nicht erkannte:

»Warum mißachten Sie den Befehl Akon-Akons, Fartuloon? Verlassen Sie das Schiff!«

»Ich werde einen schnellen Start verhin­dern, um Atlan Gelegenheit zu geben, recht­zeitig zurückzukehren, wenn Akon-Akon schon keine Rettungsexpedition gestattet.«

Zwei Kontakte hatte er bereits unterbrochen und die Stellen so gut getarnt, daß man sie nicht so schnell entdecken konnte. Er be­gann mit einer dritten. »Keine Sorge, ich werde keine ernsthafte Beschädigung vor­nehmen.«

»Wir werden die Tür mit Gewalt öffnen, Fartuloon!«

»Von mir aus.« Er schaltete den Interkom wieder ab. Er

schaffte noch weitere drei Kontakte an ver­schiedenen Stellen, dann drangen die Bewa­cher durch eine zweite Tür zu ihm ein. Ru­hig stand er mitten im Raum und erwartete sie. Seine erbeutete Waffe lag auf dem Bo­den.

»So, und was nun? Wollt ihr mich um­bringen?«

»Natürlich nicht, Fartuloon, aber wir müs­sen sie festnehmen. Akon-Akon ist bereits unterrichtet und hat befohlen, sie in die Ge­fangenenzelle zu sperren. Er wird später noch entscheiden, was mit ihnen geschehen soll.«

»Na schön, dann sperrt mich ein. Mir werden ein paar Stunden Schlaf guttun.«

Sie versuchten noch aus ihm herauszube­kommen, welche Beschädigung er an dem Bordrechner vorgenommen hatte, aber Far­tuloon schwieg hartnäckig aus. Ohne jeden Widerstand ließ er sich zur Gefängniszelle führen und einsperren.

Er hörte noch, daß andere Arkoniden ge­weckt und die Wachen verstärkt wurden. Auch außerhalb des Schiffes wurden Män­ner aufgestellt, um weitere Sabotageakte zu verhindern.

Dann trat wieder Ruhe ein. Fartuloon legte sich ächzend auf das harte

Lager und streckte sich aus. Das Licht brannte, also schloß er die Augen, um ein­schlafen zu können.

Er war mit sich und seiner Taktik zufrie­den.

Atlan hatte eine Galgenfrist erhalten.

*

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Gerlo Malthor und Jörn Asmorth gelang­ten bis zu den ersten Häusern, die unmittel­bar am Hafen standen. Zum Glück herrschte so etwas wie Mittagspause, oder die Ein­wohner der kleinen Stadt waren alle mit den Landexpeditionen und Flößern unterwegs. Es war niemand zu sehen.

Lediglich in einiger Entfernung gab es Anzeichen von Leben. Mit primitiven Krä­nen wurden ganze Bündel von Holzstämmen in einen dicht beim Ufer ankernden Last­kahn verladen. Nur wenige Eingeborene wa­ren zu sehen, dafür kamen aus der anderen Richtung Fahrzeuge angerollt, die neue Gü­ter zum Hafen brachten. So ganz ohne die Produkte des Festlands schienen die Wasser­bewohner also nicht auszukommen.

»Wir müßten uns einen von ihnen schnap­pen und aushorchen«, schlug Malthor vor.

»Sicher, eine gute Idee, ich frage mich nur, wie wir ihn verstehen sollen. Falls sie überhaupt eine Sprache haben.«

»Haben Sie, das hörten wir ja im Wald. Sie unterhielten sich.«

»Und wie wollen wir unauffällig einen schnappen?«

»Das laß nur meine Sorge sein, Jörn. Wir warten, bis sich einer in der Nähe zeigt, dann paralysieren wir ihn. Natürlich nur schwach, damit wir nicht zu lange warten müssen, bis er wieder vernehmungsfähig ist.«

Sie schlichen geduckt weiter und hielten sich dicht am Ufer, wo noch immer unbe­bautes Gelände vorherrschte und die Büsche guten Schutz boten. Rechts standen die fla­chen Häuser, alle aus Holz errichtet und meist nur einstöckig.

Je näher sie dem eigentlichen Hafen ka­men, desto gefährlicher wurde die Situation. Eine roh aus Steinen zusammengefügte Kai­mauer, eigentlich mehr ein provisorischer Damm, verdrängte die Büsche und Sträu­cher. Dafür gab es wild wuchernde Vorgär­ten, die ein wenig Deckung boten.

Malthor hielt an und legte sich ins Gras. Er wartete, bis auch Asmorth herbeigekom­men war und sich niederließ.

Clark Darlton

»Weiterzugehen wäre sinnlos, man würde uns sehen. Wir müssen hier warten, bis je­mand auf den Gedanken kommt, am Ufer spazierenzugehen. Das kann Stunden dau­ern.«

»Wir haben Zeit«, tröstete ihn der Techni­ker. Er wirkte auf einmal nicht mehr nervös, sondern ruhig und gelassen. Auch verzichte­te er darauf, eine seiner üblichen Erklärun­gen abzugeben. Er streckte sich im Gras aus und verschränkte die Arme unter dem Kopf. »Ich fühle mich im Augenblick richtig wohl.«

Malthor schüttelte den Kopf. »Was ist denn nur in dich gefahren, Jörn?

Wenn man uns hier entdeckt, sitzen wir schön in der Patsche.«

»Wir können fliegen«, erinnerte ihn As­morth. »Was glaubst du, was die für Augen machen, wenn wir über das Meer hinaus da­vonsegeln?«

Malthor antwortete nicht. Er sah hinüber zum Hafen, wo emsig weitergearbeitet wur­de. Einige Eingeborene schienen nichts von überflüssiger Kraftverschwendung zu halten. Sie lungerten in der Nähe der Kräne herum und beobachtete die Arbeit des Verladens. Einer setzte sich in Bewegung und spazierte am Ufer entlang, vom Hafen weg und genau auf die beiden Arkoniden zu.

»Da kommt einer«, sagte Malthor. »Aber es ist eine hübsche Strecke. Es dauert noch ein paar Minuten, bis er hier ist, wenn er nicht wieder umkehrt. Bleib ruhig liegen!«

Vom offenen Meer kam ein Schiff in den Hafen getuckert. Es wurde von einem primi­tiven Verbrennungsmotor angetrieben und erinnerte in seiner Bauweise an einen zu groß geratenen Kahn. Quartiere für Passa­giere bot es wohl kaum, wohl aber für La­dung.

Der Spaziergänger war stehengeblieben und bewunderte das einlaufende Schiff. Auf der anderen Seite der Bucht traf eine Last­wagenkolonne ein, die im Hafen haltmachte und entladen wurde. Es war ein reger Be­trieb an der schmalen Wasserfront.

»Hoffentlich schläft er dort nicht ein«,

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meinte Asmorth gelangweilt und drehte sich auf die andere Seite. »Weck mich, wenn es soweit ist.«

Malthor nickte stumm. Der Spaziergänger war noch gute hundert Meter von ihrem Versteck entfernt und setzte sich gerade wie­der in Bewegung. Er hatte die Richtung nicht geändert.

Asmorth richtete sich ein wenig auf. »Laß mich das machen«, bat er zu Malt­

hors Überraschung. »Ich bin dünner als du und kann mich daher besser anschleichen. Bleib hier und übernimm die Rücken­deckung.«

»Wir können ihn doch auch von hier aus paralysieren.«

»Nein, das ist mir zu riskant. Nachher können wir ein paar Stunden warten, bis er wieder zu sich kommt. Und vergiß den Schock nicht, den er erleidet. Ich mache das lieber mit der Hand.«

»Schlag nicht zu fest zu«, warnte Malthor. Asmorth gab ihm seinen Strahler und be­

gann, auf den wieder stehengebliebenen Spaziergänger zuzukriechen, sich dabei im­mer in Deckung haltend, soweit das möglich war. Es war ihm klar, daß er den Eingebore­nen nicht warnen durfte, denn wenn der ins Wasser sprang, war er fort.

Aber Asmorth hatte wieder einmal Glück. Zwischen zwei hohen Grasbüscheln blieb er reglos liegen, als der Eingeborene weiter­ging und sich ihm bis auf fünf Meter näher­te. Dicht beim Ufer blieb er abermals stehen und sah hinauf auf das Meer.

Asmorth sprang auf und hechtete den Ah­nungslosen von hinten an, wobei er ein we­nig seitlich spurtete, um nicht mit dem Über­raschten ins Wasser zu stürzen. Der Überfall gelang.

Das bläulich schimmernde kurzhaarige Fell war glatt und bot Asmorth suchenden Fingern keinen richtigen Halt, also schlang er beide Arme um den zylindrischen Körper und warf ihn landeinwärts ins Gras.

»Ruhig bleiben!« forderte er den Überfal­lenen völlig sinnlos auf. »Es passiert dir nichts!«

Vielleicht war es der beruhigende Tonfall seiner Stimme, jedenfalls stellte der Einge­borene sofort den Widerstand ein. Malthor kam herbeigekrochen und half, ein besseres Versteck zu suchen. Sie fanden es im Vor­garten eines anscheinend leeren Hauses. Die kleine Hütte am Rand des Weges war halb verfallen, bot aber genügend Schutz.

Der Gefangene war kleiner als ein Arko­nide. Seine kurzen Arme endeten in flossen­förmigen Händen mit vier Gliedmaßen, an deren Unterseite so etwas wie Saugnäpfe waren. Der spitze Kopf saß übergangslos auf dem fünfzig Zentimeter durchmessenden Walzenkörper, der gute Stromlinieneigen­schaften vermuten ließ. Unter den großen und starren Fischaugen war der Mund, der den Kopf praktisch in zwei Hälften teilte. Die scharfen und spitzen Zähne sahen nicht gerade beruhigend aus, denn sie erinnerten zu sehr an das Gebiß eines großen Raub­fischs.

Als sich der Gefangene einmal kurz um­wandte, konnten die beiden Arkoniden an der Kopfrückseite eine Atemöffnung erken­nen. Oben auf der Spitze aber war etwas, das wie eine gelbe Münze aussah und mit Si­cherheit ein Organ darstellte. Welchem Zweck es allerdings diente, das blieb unklar.

Die Fischaugen schielten ängstlich auf die beiden Strahlwaffen. Ihre Wirkung schien dem Fremden bekannt zu sein. Malthor machte Asmorth darauf aufmerksam, und wieder hatte der Techniker seine Erklärung bereit:

»Klarer Fall, sie haben hier im Hafen schon von uns gehört und wissen, daß unse­re Waffen ihren Kugelspritzen überlegen sind. Um so besser, dann sind sie wenigstens vorsichtiger. Ja, dann wollen wir mal sehen, ob er mit sich reden läßt.«

Was nun folgte, wäre einer Zirkusnummer würdig gewesen.

Zuerst versuchte es Malthor. Ganz ruhig, dann immer lebhafter werdend, bemühte er sich, seinem Gefangenen durch Gesten klarzumachen, daß er von ihnen nichts zu befürchten habe. Langsam sprach er einige

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geläufige Worte aus und deutete ihren Sinn an. Er zeigte auf seinen Bauch und bezeich­nete ihn als »Malthor«, dann stieß sein Zei­gefinger gegen das dunkle Fell des Eingebo­renen, kombiniert mit einem fragenden Ge­sicht.

»Tossel!« zischte der Gefangene. Malthor warf Asmorth einen triumphie­

renden Blick zu. »Na also, er heißt Tossel! Das wissen wir

schon mal! Wollen mal sehen, wie es weiter­geht …«

Nach und nach kam in der Tat so etwas wie eine primitive Verständigung zustande. Asmorth mischte sich nun auch noch ein und praktizierte sein schauspielerisches Ta­lent mit Hilfe von Worten und Gesten. Der Eingeborene schien immer mehr von seiner ursprünglichen Furcht zu verlieren. Willig ging er auf alle Verständigungsversuche ein und kooperierte.

Von ihrem Versteck aus war der Hafen zu sehen. Malthor deutete mit ausgestreckter Hand auf die dort arbeitenden Eingeborenen und zog wieder sein Fragezeichen-Gesicht.

»Julkas!« Der Gefangene machte eine umfassende Handbewegung. »Julkas!« wie­derholte er und deutete zugleich auch auf sich.

Der Sinn war klar. »Sie nennen sich Julkas«, stellte Asmorth

fest. »Hübscher Name«, kommentierte Malthor

trocken. »Und was machen wir nun mit ihm? Schließlich wird es schwierig sein, ihm klarzumachen, daß wir Hilfe brauchen. Ob sie Übersetzergeräte haben? Das würde alles vereinfachen.«

»Ihre Technik ist noch lange nicht weit genug entwickelt, um so komplizierte Geräte zu erfinden. Vielleicht hat der Bursche Freunde, die intelligenter sind und begrei­fen, was wir von ihnen wollen. Wir lassen ihn laufen, sobald wir ihm verständlich ge­macht haben, daß wir mit seinen Leuten sprechen wollen. Sie haben Angst vor unse­ren Waffen, das ist eine Menge wert. Nur müssen wir dafür sorgen, daß wir sie nie-

Clark Darlton

mals aus der Hand geben.« Malthor nickte. »Na, dann mach ihm das mal klar …« Das allerdings war wieder ein schweres

Stück Arbeit. Asmorth verrenkte sich bald die Arme dabei, und Malthor bekam beinahe zwei Finger nicht mehr auseinander, die sich ineinander verhakt hatten, als er etwas ganz Einfaches damit ausdrücken wollte.

Immerhin schien der Gefangene zu be­greifen, was sie von ihm wollten. Er ließ sein zweireihiges Gebiß blitzen, und es sah so aus, als lache er.

Malthor deutete auf die verfallene und schief hängende Tür.

»Du kannst gehen, mein Freund. Wir wer­den hier warten.« Er unterstrich jedes seiner Worte durch deutliche Gesten. »Kommt mit deinen Freunden zurück, damit wir sprechen können.«

Der Gefangene erhob sich zögernd, als vermutete er eine Falle und könne es nicht glauben, freigelassen zu werden. Malthor begleitete ihn bis zum Rand des schützenden Gartens und klopfte ihm sachte auf die be­pelzte Schulter. Dabei lächelte er.

Der Eingeborene klopfte zurück. Wahr­scheinlich hielt er die Geste für eine Art Verabschiedung. Dann sprang er plötzlich aus dem Stand heraus schräg in die Luft, hinweg über den schmalen Uferpfad, und verschwand mit einem eleganten Bogen im aufspritzenden Wasser.

Er kam auch nicht wieder zum Vorschein. »Nun taucht er dahin«, murmelte As­

morth, der den Vorgang von der Hütte aus beobachtet hatte.

»Ich bin gespannt, was nun passiert.« Malthor kehrte in die Hütte zurück. »Jedenfalls bleiben wir hier und warten.

Vergiß nicht, daß wir im Notfall einfach da­vonfliegen können. Außerdem vertraue ich auf unsere Waffen. Damit halten wir eine ganze Armee von ihnen in Schach.«

»Einer von uns sollte ein wenig schlafen«, schlug Asmorth vor. »Es könnte später sein, daß einer immer wach bleiben muß. Soll ich den Anfang machen?«

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Malthor sah ein, daß der Vorschlag gut war.

»Ich bleibe in der Nähe und beobachte«, sagte er und überzeugte sich davon, daß sei­ne Ausrüstung gut verstaut war. Nur den Strahler behielt er in der Hand, als er die Hütte verließ und sich nur wenige Meter von der Tür entfernt in das trockene und warme Gras setzte.

Von hier aus hatte er einen besseren Überblick.

3.

Es dunkelte bereits, als sie eine Gruppe von Eingeborenen bemerkten, die sich vor­sichtig auf dem Uferweg näherte.

Asmorth hatte Malthor schon seit Stunden abgelöst und wollte ihn gerade wecken, als drüben auf der anderen Seite der Bucht ein donnernder Schuß ertönte. Malthor fuhr hoch und kam aus der Hütte.

»Was war denn das?« »Wahrscheinlich nur ein Signal, denn im

Hafen legen sie die Arbeit nieder. Mit ande­ren Worten: Feierabend! Hast du gut ge­schlafen?«

»Ich fühle mich frisch und munter. Und du?«

Aber Asmorth gab keine Antwort. Ange­strengt blickte er in Richtung Hafen.

»Sie kommen«, sagte er dann. Es konnte sich natürlich auch um eine

Gruppe von Arbeitern handeln, die nun nach Hause gingen, aber ihr Gang und ihre Marschordnung verrieten eine gewisse Vor­sicht, die sie normalerweise sicherlich nicht an Tag legen würden. Außerdem ging je­mand an der Spitze, der seinem watscheln-den Gang nach nur dieser Tossel sein konn­te.

»Er bringt die anderen«, meinte nun auch Malthor. »Feiner Kerl, er hat Wort gehalten. Hoffentlich sind sie vernünftig …«

Sie versteckten sich nicht, sondern blie­ben stehen, so daß man sie schon von wei­tem sehen konnte. Damit wollten sie bekräf­tigen, daß sie verhandeln möchten. Die Zei­

chensprache wurde immer vertrauter. Der Einfachheit halber sei an dieser Stelle

die nun folgenden Unterhaltungen zwischen Arkoniden und Julkas in kurzen Dialogen wiedergegeben, wobei jedoch daran erinnert wird, daß oft eine halbe Stunde verging, ehe eine der beiden Seiten begriff, was die ande­re eigentlich ausdrücken wollte.

»Hallo, Tossel!« begrüßte Malthor den Eingeborenen und klopfte ihm wieder sanft auf die Schulter, eine Geste, von der er nun wußte, daß sie richtig interpretiert wurde. »Wir freuen uns, deine Freunde kennenzu­lernen.«

»Ja, Freunde«, machte Tossel ihnen müh­sam verständlich.

Malthor lud sie ein, im Gras Platz zu neh­men. Es war nicht unbedingt notwendig, daß die ganze Siedlung schon jetzt auf das Tref­fen aufmerksam wurde. Während sich die Abordnung hinsetzte, waren die scheuen Blicke auf die Impulswaffen kaum zu über­sehen. Allem Anschein nach hatten die Jul­kas auf die Mitnahme von Waffen verzich­tet.

»Wir brauchen eure Hilfe«, teilte Malthor ihnen mit. »Ein Mann unseres Volkes will auf dieser Welt eine Siedlung bauen, womit euer Friede für immer gestört sein würde.« Das dauerte knapp fünfzehn Minuten. »Ihr helft uns, und wir helfen euch.« Das ging et­was schneller. »Wir wollen Freunde wer­den.«

Die Julkas hatten offensichtlich verstan­den, was man von ihnen wollte, denn sie er­öffneten eine Diskussion in ihrer merkwür­dig klingenden Sprache, die unter Wasser vielleicht ganz anders klang.

Einige hatten feuchte Tücher mitgebracht, in die sie sich nun einhüllten. Wahrschein­lich vertrug ihre Haut die Trockenheit der Luft nicht, obwohl es allmählich kühler wur­de.

Malthor und Asmorth warteten geduldig, bis die Julkas endlich einen Entschluß faß­ten. Mit ermüdender Umständlichkeit mach­ten sie den Arkoniden klar, daß man sich den Vorschlag überlegen müsse und luden

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sie dann ein, sie in die Stadt zu begleiten. Der mißtrauische Asmorth stimmte nur

zögernd zu, aber er sah ein, daß sie nicht weiterkommen würden, wenn sie hier in ih­rer Hütte hocken blieben, ohne den einmal begonnenen Kontakt weiter zu pflegen.

Malthor sagte zu ihm: »Keine Sorge, wenn wir aufpassen, kann

uns nichts passieren. Wir haben unsere Strahler. Selbst wenn sie uns in einen Hin­terhalt locken, was ich nicht annehme, sind wir ihnen überlegen. Es hat wenig Sinn, wenn wir uns weigern. Sie bieten uns ihre Gastfreundschaft an, wir dürfen nicht ableh­nen. Außerdem sind wir hier ohnehin nicht mehr sicher. Sie kennen das Versteck.«

Das sah Asmorth ein. »Gut, wir werden euch begleiten«, machte

er den Julkas klar. Der Entschluß schien ehrliche Begeiste­

rung auszulösen, denn sie schnatterten durcheinander wie die Federgänse, bis Tos­sel sich endlich durchsetzen und für die An­nahme der Einladung danken konnte.

Dabei klopfte er wieder auf die Schulter der beiden Arkoniden, eine Geste, die offen­sichtlich jetzt nicht mehr »Abschied«, son­dern »Guten Tag« und auch »Wir Freunde« bedeuten sollte. Dann ging er los.

Malthor und Asmorth nahmen nur das wichtigste ihrer Ausrüstung mit. Das Flug­aggregat blieb zurück. Sie schoben es unter die Holzbohlen der Hütte, wo sie es sicher vor Entdeckung wähnten. Die Strahler be­hielten sie natürlich.

Es war eine merkwürdige Gruppe, die zur Stadt marschierte. Voran watschelte Tossel mit seinem unbeholfenen wirkenden Gang, gefolgt von seinen Freunden, unter die sich die beiden Arkoniden gemischt hatten und eine Unterhaltung versuchten. Einige Worte aus beiden Idiomen waren waren bereits je­dermann verständlich.

»Wohin bringt ihr uns?« fragte Malthor seinen Nebenmann, einen schon älteren Jul­ka, wie der Arkonide annahm.

»Zu mir, Freund. In meinem Haus ist Platz genug für uns alle.«

Clark Darlton

»Was werden die anderen Julkas dazu sa­gen?«

»Nichts. Sie wissen jetzt, daß ihr Freunde seid.«

Malthor glaubte ihm kein Wort. Nicht daß er von Natur aus mißtrauisch gewesen wäre, aber der Umschwung kam ihm zu schnell und unmotiviert. Wenn sie von den Ereig­nissen am Wasserfall wußten, konnten sie keine wirklich freundschaftlichen Gefühle für die Fremden hegen. Auch wenn Tossel sympathisch wirkte, so vertrat er nicht sein ganzes Volk. Er mochte es gut meinen, aber gegen die Mehrheit der Julkas würde er sich kaum durchsetzen können.

Sie erreichten den Hafen und bogen land­einwärts ab, kamen an einigen Häusern vor­bei, begegneten aber niemand. Die Arbeiter waren nach Hause gegangen, die Straßen blieben leer und verlassen.

Malthor glaubte mehrmals, Schatten hin­ter den Fenstern zu sehen. Sie wurden also von den Einwohnern der Siedlung heimlich beobachtet, was wiederum darauf schließen ließ, daß man von ihrer Ankunft wußte.

Tossel blieb etwas zurück, bis er auf glei­cher Höhe mit den Arkoniden war.

»Dort oben ist Fitschels Haus«, gab er zu verstehen und deutete auf den alten Julka, der neben Malthor ging. »Es steht abseits der anderen und ist groß. Fitschel lebt allein dort, nur wir, die wir seine Freunde sind, be­suchen ihn manchmal.«

Es dauerte fast zehn Minuten, bis Malthor das Gemisch aus Gesten und Worten ver­stand, und als das endlich geschehen war, hatten sie den Vorgarten des Hauses er­reicht. Hinter den Scheiben brannte Licht.

»Freunde haben ein Essen vorbereitet«, sagte Tossel, als er die fragenden Blicke sei­ner beiden Gäste bemerkte.

Asmorth holte ein wenig auf, bis er neben Malthor war.

»Essen?« Er schüttelte den Kopf. »Ich rühre keinen Bissen an. Nachher vergiften sie uns. Ich traue ihnen nicht.«

»Ich auch nicht, aber wir dürfen das Ge­setz der Gastfreundschaft nicht verletzen.

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Laß mich vorher probieren, ich habe einen kräftigen Magen und vertrage eine Menge, auch eine kleine Portion Gift. Außerdem werden wir darauf achten, ob alle mitessen.«

»Na, wir werden ja sehen.« Im Grunde blieb ihnen auch nichts ande­

res übrig. Sie selbst hatten die augenblickli­che Situation gewollt und eingeleitet, nun konnten sie nicht mehr zurück.

Fitschel bemühte sich rührend um seine unerwarteten Gäste. Er führte sie in sein Haus und zeigte es ihnen. Es gab mehrere Räume mit Schlafgelegenheiten. Im Erdge­schoß war das große Zimmer mit einem lan­gen Holztisch und Stühlen. Darauf standen Schüsseln mit Speisen und Krüge mit Ge­tränken.

Die Julkas hielten sich nicht lange mit der Vorrede auf. Sie setzten sich und sahen dann die beiden Arkoniden erwartungsvoll an.

»Wir essen jetzt!« sagte Tossel mit seiner zischelnden Stimme.

Malthor und Asmorth setzten sich links und rechts neben ihn, damit sie ihn ständig unter Kontrolle hatten. Sie würden nichts anrühren, was Tossel nicht aß. Und beim Trinken würden sie genauso vorsichtig sein.

Bei den Speisen handelte es sich in erster Linie um Produkte des Meeres, was sich schon am Geruch bemerkbar machte. Es gab aber auch Früchte, Gemüse und Fleisch.

Fitschel hob seinen Krug und hielt eine kurze Ansprache, wobei er öfter auf die Gä­ste deutete und sich dann selbst auf die Schulter klopfte. Dann hob er den Krug und trank ihnen zu. Alle Julkas folgten seinem Beispiel.

»Das Zeug war schon vorher im Krug«, stellte Asmorth fest und zögerte.

»Niemand konnte wissen, wohin wir uns setzen würden«, gab Malthor zurück und trank unbesorgt.

Die Flüssigkeit schmeckte angenehm süß und schien Alkohol zu enthalten. Außerdem machte sie schon nach dem ersten Schluck Appetit.

Das Essen begann. Malthor wartete, bis Tossel sich genom­

men hatte und wählte Speisen aus denselben Schüsseln. Zu seiner Beruhigung konnte er feststellen, daß auch Fitschel sich auflegte und mit echtem Hunger darüber herfiel. Überhaupt schienen alle Julkas über einen hervorragenden Appetit zu verfügen, denn sie futterten wie die Scheunendrescher.

Das machte sie Malthor wieder sympathi­scher, denn er war ein Freund guten und vie­len Essens.

Nun zögerte auch Asmorth nicht mehr länger, obwohl er in der äußeren Ecke seines Magens noch immer ein flaues Gefühl regi­strieren konnte.

Dabei redete und gestikulierte man, sprach dem süßlichen Getränk zu und be­nahm sich bald so, als wäre man völlig unter sich und als gäbe es keine Gäste, die von ei­nem anderen Planeten kamen und hier eine Siedlung aufbauen wollten.

Schließlich schienen alle satt zu sein, und auch Malthor hätte beim besten Willen kei­nen Bissen mehr herunterbringen können. Er war satt wie selten zuvor, und er mußte zu­geben, daß alles ausgezeichnet geschmeckt hatte.

Nun versuchte Asmorth energisch, den Julkas noch einmal klarzumachen, worum es ging. Sie schienen es auch begriffen zu ha­ben, wie schon unten am Meer bei der Hütte, aber sie wichen einer Antwort geflissentlich aus. Malthor erhielt den Eindruck, daß sie nicht in der Lage waren, eine so wichtige Entscheidung zu treffen und sprach Tossel, mit dem er am besten reden konnte, direkt darauf an.

Tossel sagte folgendes: »Du hast recht, Freund, wir können nichts

entscheiden. Das können nur die Julkas in den schwimmenden Städten. Wir werden euch dorthin bringen.«

Darüber mußte Malthor zuerst einmal nachdenken, und das ging nicht so schnell.

Die schwimmenden Städte also, die sie vom Raumschiff aus gesehen hatten. Sie wa­ren das krasse Gegenteil der Hafensiedlung, offensichtlich technische Konstruktionen ei­ner fortgeschrittenen Zivilisation. Wie war

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ein solcher Widerspruch zu erklären? Hier auf dem Land lebten die Julkas primitiv und einfach in Holzhäusern und Hütten, während draußen im Meer wahre Wunderwerke der Technik entstanden waren.

Der Arkonide entsann sich, ähnliches schon auf anderen Welten erlebt zu haben, auf denen es zugleich hochzivilisierte Völ­ker und primitive Jägerstämme gab.

»Wie wollt ihr uns zu den Städten brin­gen? Mit einem Schiff?«

Tossel bejahte das und erklärte, man ken­ne die Kapitäne einiger Frachtboote, die die schwimmenden Städte ständig mit Nach­schub versorgten. Morgen würde versucht werden, sie auf eines dieser Schiffe zu brin­gen, die im allgemeinen keine Passagiere befördern durften.

»Warum nicht?« fragte Asmorth. »Das Meer ist voller Gefahren«, erklärte

Tossel. »Immer wieder geschieht es, daß Pi-raten die vollbeladenen Schiffe überfallen und sie ausrauben. Passagiere würden den Seeleuten bei der Abwehr eines solchen An­griffs nur im Weg sein. Außerdem könnten sie entführt und die Angehörigen erpreßt werden.«

Sehr einleuchtend war diese Erklärung gerade nicht, aber den Arkoniden blieb nichts anderes übrig, als sie zu akzeptieren. Vor einem Überfall der Piraten fürchteten sie sich nicht. Was ihnen allerdings merk­würdig erschien, war die Tatsache, daß ihr Aufenthalt bei den Julkas praktisch inoffizi­ell gestaltet wurde. Man hätte zumindest er­warten können, daß sich ein Regierungsver­treter um die Angelegenheit kümmerte. Das war nicht der Fall.

»Ich traue dem ganzen Laden noch weni­ger als zuvor«, sagte Asmorth und war si­cher, daß die Julkas es nicht verstanden. Au­ßerdem sprach er schneller als sonst. »Sie wollen uns in eine Falle locken, davon bin ich überzeugt. Aber wozu dann diese Um­stände? Haben sie wirklich solche Angst vor unseren Waffen?«

»In den schwimmenden Städten wohnt die herrschende Schicht, das dürfte klar sein.

Clark Darlton

Die Julkas hier befolgen nur Anweisungen, die sie von dort erhalten. Wir müssen zum Schein auf alle Vorschläge eingehen, sonst erfahren wir nie, was gespielt wird.«

Ab und zu verschwand einer der Julkas, und wenn er an den Tisch zurückkehrte, war sein dunkles, glattes Fell pitschnaß. Unter dem Tisch bildeten sich Wasserlachen. Sie schienen es auf dem Land nicht allzu lange ohne diese Erfrischung aushalten zu können.

Endlich hob Fitschel die Tafel auf und verkündigte, daß man nun schlafen gehen müsse. Morgen sei ein anstrengender Tag.

Tossel geleitete die Arkoniden in den obe­ren Stock und zeigte ihnen ihr Zimmer. Er gab ihnen zu verstehen, daß er gleich neben­an sein Nachtlager aufschlagen und damit ständig in ihrer Nähe sein würde.

Die Tür besaß kein Schloß. Asmorth rückte einen Stuhl davor, nachdem Tossel gegangen war.

»Schlaf ein paar Stunden, Gerlo, dann wecke ich dich. Nimm den Strahler mit ins Bett.«

Malthor grinste und verkniff sich eine mehr oder weniger unpassende Bemerkung. Ohne sich zu entkleiden, legte er sich auf ei­ne der beiden Betten, den Impulsstrahler lie­bevoll im Arm. Er tastete seinen Bauch ab und knurrte:

»Immerhin bin ich satt, das ist auch was wert.«

Asmorth nahm auf dem Stuhl Platz, der vor der Tür stand, die wiederum nur nach in­nen geöffnet werden konnte. Durch das Fen­ster hindurch sah er hinab zum Hafen, wo noch Lichter brannten. Mit unregelmäßig laufendem Motor bog ein Schiff um das Kap und ankerte dann in der Bucht. Der Motor verstummte. Es wurde wieder still.

Einige Stunden später, gerade als As­morth seinen Freund wecken wollte, hörte er im Haus ein leises Geräusch. Jemand schlich durch den Flur. Asmorth lauschte ange­strengt und hielt die Luft an. Er konnte das Atmen hinter der Tür deutlich vernehmen.

Unendlich vorsichtig entsicherte er die Waffe und wartete.

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Er war fest entschlossen, den Eindringling gebührend zu empfangen. Die Julkas sollten noch mehr Respekt vor den Energiestrahlern bekommen, als sie ohnehin bereits hatten. Vorsichtig erhob er sich und schlich zum Fenster, die Waffe auf die Tür gerichtet.

Aber nichts geschah. Niemand versuchte hereinzukommen. Im Gegenteil: nach eini­ger Zeit entfernten sich die schleichenden Tritte wieder, bis sie nicht mehr zu hören waren.

Asmorth weckte Malthor und berichtete ihm.

»Da gibt es mehrere Erklärungen«, meinte Malthor gähnend. »Vielleicht war es der alte Fitschel, der sich nur davon überzeugen wollte, daß wir ruhig und friedlich schlafen. Oder jemand hat nachgesehen, ob ein Pirat ins Haus eingedrungen ist.«

»Oder jemand wollte uns umbringen und hörte mich«, entgegnete Asmorth sarka­stisch. »Paß gut auf, ich möchte auch ein paar Stunden in Ruhe schlafen.«

Ihr Mißtrauen schien unbegründet zu sein. Die Nacht verlief ohne weiteren Zwi­

schenfall.

*

Als die Sonne über dem Meer aufging und im Hafen das Leben erwachte, erschien Tossel.

»Ich werde mich um ein Schiff küm­mern«, sagte er nach kurzer Begrüßung. »Sojul ist in der Nacht eingelaufen und wird heute noch beladen. Kann sein, daß er euch mitnimmt.«

»Ist Sojul einer der Kapitäne, die ihr kennt?«

»Ja, Freund Gerlo, wir kennen ihn. Wir haben ihm auch schon manche Gefälligkeit erwiesen. Bleibt im Haus. Unten findet ihr Essen und Getränke. Wartet, bis ich zurück bin.«

Später trafen sie Fitschel, mit dem eine Verständigung ein wenig schwieriger war. Vergeblich versuchten die beiden Arkoni­den, aus ihm etwas herauszuholen, aber er

reagierte nicht. Dem mißtrauischen Asmorth kam es so vor, als sei er gestern intelligenter gewesen.

Tossel tauchte gegen Mittag wieder auf. »Sojul hat sich bereit erklärt, euch mitzu­

nehmen. Leider bin ich verhindert, euch zu begleiten, aber ich werde nachkommen. Si­cher sehen wir uns wieder.«

»Wir würden das begrüßen«, sagte Malt­hor. »Du kennst nun schon viele Worte un­serer Sprache und könntest uns von großem Nutzen sein. Ob Sojul uns verstehen kann?«

»Er lernt schnell, Freund.« Das Schiff würde den Hafen früh am an­

deren Tag verlassen, so erschien es ratsam, bereits am Abend an Bord zu gehen. Das hatte außerdem noch den Vorteil, daß sie niemand sehen würde. So etwas wie eine Polizei schien es aber in dem kleinen Hafen­stützpunkt ohnehin nicht zu geben.

Der Rest des Tages verging in bester Har­monie. Drei von Fitschels Freunden tauchten vor Anbruch der Dämmerung auf und mach­ten sich über die Reste des gestrigen Fest­mahls her, dann mahnten sie zum Aufbruch.

»Wo ist Tossel?« »Er ist sehr beschäftigt«, gab man Malt­

hor Auskunft. »Er läßt sich entschuldigen, aber er wird euch folgen. Gleich ist es dun­kel, wir bringen euch zum Schiff.«

Fitschel gab ihnen noch ein Päckchen mit Vorräten mit, damit sie nicht auf Sojuls Gnade angewiesen waren. Außerdem sollte die Verpflegung auf den Schiffen nicht die beste sein.

Wieder waren die Straßen leer, nur hinter einzelnen Fenstern brannte Licht. Das Schiff lag an der Kaimauer. An der Spitze des Ma­stes baumelte eine Laterne. Mehrere Julkas standen an der Reling und blickten der Gruppe neugierig entgegen.

»Da ist auch Sojul«, wurde den Arkoni­den bedeutet. »Der größte von ihnen. Er winkt euch zu, scheint also gut gelaunt zu sein.«

»Ist er das gewöhnlich nicht?« »Nur selten. Aber laßt euch nicht entmuti­

gen, wenn er mal laut werden sollte. Das ist

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so seine Art, er meint es nicht böse.« Über ein schräg gegen die Bordwand ge­

lehntes Brett gingen sie an Deck. Sojul kam ihnen breitbeinig entgegen. Er war in der Tat fast einen Kopf größer als die anderen Jul­kas. Nachdem er einige Worte mit den Be­gleitern der Arkoniden gewechselt hatte, klopfte er zuerst Malthor und dann Asmorth auf die Schultern. Die Freundschaftsgeste schien sich bereits herumgesprochen zu ha­ben. Dann gab er ihnen durch Zeichen zu verstehen, daß sie unter Deck eine Kabine erhalten würden.

Die Arkoniden verabschiedeten sich noch von ihren Begleitern, die wieder von Bord gingen und zwischen den Häusern unter­tauchten, dann führte Sojul sie in die ver­sprochene Kabine.

»Wir laufen morgen früh aus.« Der Kapi­tän redete in einer einfachen und unkompli­zierten Sprache, so daß er leicht zu verste­hen war. »Bleibt unter Deck, bis wir das of­fene Meer erreicht haben. Es muß nicht je­der wissen, daß ich Passagiere mitnehme.«

Er ging und schloß die Tür. Der Raum war klein und primitiv einge­

richtet. Es gab zwei schmale Kojen und ein Waschbecken. Der Schrank war mit Tüchern vollgestopft, die von den Julkas wahrschein­lich bei Landbesuchen benötigt wurden.

Malthor setzte sich auf eines der Betten. »Gemütlich sieht es hier gerade nicht aus,

aber wir dürfen wohl kaum mehr erwarten. Wir schlafen wieder abwechselnd.«

»Dieser Sojul sieht mir selbst wie ein Pi­rat aus. Einen sehr vertrauenerweckenden Eindruck macht er kaum. Ich glaube, die Reise wird nicht völlig ohne Zwischenfälle verlaufen.«

Malthor winkte ab. »Du mit deiner Schwarzseherei, Jörn!

Was kann denn schon passieren? Wenn wir von Piraten überfallen werden …«

»An die denke ich weniger. Ich traue So­jul nicht, das ist alles. Was glaubst du, wel­chen Preis er für unsere Waffen auf dem schwarzen Markt erzielen könnte? Er hätte wahrscheinlich für den Rest seines Lebens

Clark Darlton

ausgesorgt.« »Pah!« Malthor streckte sich aus und lieb­

koste seinen Strahler. »Er kann ja mal versu­chen, sie sich zu holen.«

Asmorth gab keine Antwort. Er unter­suchte die Tür, öffnete sie und trat hinaus auf den finsteren Gang. Gleich gegenüber entdeckte er die Toilette, die zwar für Julkas und nicht für Arkoniden gedacht war, die aber trotzdem ihren Zweck erfüllen würde. Beruhigt kehrt er zu Malthor zurück.

Der hatte bereits die Augen geschlossen. Asmorth setzte sich an den kleinen Tisch,

dessen Füße im Boden verschraubt waren. Er begann mit der Nachtwache.

*

Das Meer zwischen dem Festland und der ersten schwimmenden Stadt war nicht son­derlich tief. Unter der Wasseroberfläche gab es flache Plateaus mit unzähligen Höhlen, von denen die meisten mit Luft gefüllt wa­ren. Man konnte sie nur tauchend erreichen.

Hier war das Versteck der Piraten. Sie brauchten keine Schiffe, und wenn sie

eins kaperten, entluden sie es und ließen es wieder frei. Nur wenn die Besatzung sich bei dem Überfall wehrte und Piraten tötete, hatten sie keine Gnade zu erwarten. Das Schiff wurde versenkt und die gefangenen Julkas umgebracht.

In den Höhlen aber stapelten sich die ge­raubten Schätze. Lebensmittel gab es für Jahre. Aber auch Waffen und Munition wur­de gehortet, denn eines Tages würde es – wie schon einmal – eine Strafexpedition ge­ben. Dagegen mußten die Piraten gewappnet sein.

In einer der Unterkunftshöhlen lebte Mes­sa mit seiner Sippe. Er galt als Freund des obersten Piraten Jolter, der wie ein König in dem Unterwasserreich residierte. Seine Wohnhölle wurde durch raffinierte Fallen abgesichert, denn er war äußerst mißtrau­isch.

Messa kannte natürlich alle Fallen, die Jolter angelegt hatte. Er war einer der weni­

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gen Piraten, die das private Reich des ober­sten Piraten betreten durften, ohne Kopf und Kragen zu riskieren. Geschickt tauchte er durch die vielen Gänge, die den Fels des Plateaus durchlöcherten. Als er die vorletzte Luftkammer erreichte, pausierte er, um Kräfte zu sammeln. Er hatte sie auch nötig, denn die letzte Kaverne, völlig mit Wasser gefüllt, stellte die gefährlichste Etappe dar.

Dort warteten die Raubfische. Sie waren von Jolter so dressiert worden, daß sie exakt zehn Sekunden warteten, ehe sie angriffen. Das Unterseebecken ließ sich aber mit aller Kraftanstrengung in vielleicht acht bis neun Sekunden durchtauchen. Wer auch nur ein oder zwei Sekunden zögerte, vielleicht um sich in der Dunkelheit zu orientieren, war rettungslos verloren. Er wurde unweigerlich eine Beute der lauernden Ungeheuer, die als Todfeinde der Julkas galten.

Draußen im offenen Meer konnte man ih­nen leicht entkommen, denn sie waren lang­sam und unbeholfen, wenn es galt, größere Strecken zurückzulegen oder eine Beute zu verfolgen. Außerdem konnten sie nicht tief tauchen und verloren so jeden Julka, der sich zum Grund hinabsinken ließ.

Hier aber, in dem kleinen Becken, waren sie die gefährlichsten Mörder, die man sich vorstellen konnte.

Messa glitt vorsichtig ins Wasser zurück, tauchte und schwamm langsam in die kleine Höhle hinein, von der er wußte, daß sie in das Todesbecken mündete, das er zu durch­eilen hatte. Er ging sparsam mit seinen Kräf­ten um und konzentrierte sich auf die letzte Falle.

Dann sah er das Becken unmittelbar vor sich. Ein mattes Leuchten kam aus der Fel­sendecke. Zehn dunkle Schatten lauerten im Wasser. Träge bewegten sie ihre Flossen.

Messas Arme und Beine begannen plötz­lich zu wirbeln, und wie ein Pfeil schoß er voran, durchquerte das Becken in weniger als acht Sekunden und erreichte die gegen­überliegende Höhle gerade in dem Augen­blick, in dem die Raubfische angreifen woll­ten. Gut dressiert folgten sie ihm jedoch

nicht mehr in den Höhlengang, der zu Jolters Reich führte.

»Du hast es also mal wieder geschafft«, empfing ihn der Häuptling der Piraten und scheuchte einige seiner Sklaven fort, die für seine persönlichen Bedürfnisse verantwort­lich waren. Sie stammten von gekaperten Schiffen. »Eines Tages werden sie dich doch mal erwischen.«

»Ich hoffe nicht, Jolter. Jemand sagte mir, du wolltest mich sprechen. Hast du wieder einen Raubzug vor?«

»Ich nicht, aber für dich hätte ich eine Aufgabe. Wie unsere Spione berichten, ist ein Schiff unterwegs, auf dem sich zwei selt­same Geschöpfe befinden, die nicht von un­serer Welt stammen. Sie sind reine Landbe­wohner. Ich möchte, daß du sie mir bringst.«

»Zwei Fremde, und nicht von unserer Welt? Woher kommen sie dann?«

»Von einer anderen, das ist doch ganz einfach. Sie sind mit einer riesigen Kugel angekommen und nun dabei, Häuser zu bau­en. Sie wollen hier bleiben. Ich weiß nicht, was diese beiden in der Stadt wollen, aber Sojul wird sie hinbringen, wenn wir das nicht verhindern. Außerdem erhielt ich einen Bericht vom Land. Man hat die Fremden überfallen, wurde aber mit hohen Verlusten zurückgeschlagen. Sie haben furchtbare Waffen, und die möchte ich auch haben. Bring die Fremden und ihre Waffen zu mir.«

»Was sind das für Waffen?« Jolter überlegte. »Soweit ich erfahren konnte, verschleu­

dern sie tödliche Blitze. Es wird also nicht ganz so einfach für dich sein, die Fremden gefangenzunehmen, aber du bist der einzige der Unterführer, dem ich einen Erfolg zu­traue. Ich hoffe, du erweist dich meines Ver­trauens als würdig.«

»Wie immer, Jolter«, versprach Messa, obwohl er diesmal nicht so sicher war. »Ich nehme alle Männer meiner Sippe mit. Du legst also nur auf die beiden Fremden und ihre Waffen Wert? Das bedeutet, daß wir die andere Beute behalten dürfen.«

»Sie gehört euch«, stimmte Jolter zu.

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»Und wann können wir Sojul erwarten?« »Sein Schiff wird die Untiefen im Lauf

des Tages erreichen und dann langsamer fahren. Er ist ein erfahrener Kapitän und kennt die Gefahren. Seine Leute werden auf der Hut sein und das Feuer auf euch eröff­nen, sobald sie euch bemerken. Seid also vorsichtig.«

»Mein ganzes Leben besteht aus Vor­sicht«, gab Messa zurück und verabschiede­te sich.

Er tauchte in das Wasserbecken und ver­schwand in den aufschäumenden Wirbeln.

Jolter sah ihm nach. »Und eines Tages werden ihn die Raubfi­

sche doch erwischen«, murmelte er.

*

Messa wurde von den Angehörigen seiner Sippe umringt, als er die Wohnhöhle er­reichte und ans Ufer kletterte. An den felsi­gen und feuchten Wänden hingen Lampen, die den Raum nur notdürftig erhellten. Meh­rere Gänge führten in Nebenhöhlen, die alle mit Luft gefüllt waren.

»Was wollte Jolter von dir?« »Geht es wieder los?« »Machen wir Beute?« Messa wehrte ab und setzte sich. Ein Jul­

ka kam zu ihm und kraulte sein nasses Fel. Er ließ es sich gern gefallen.

»Wir werden Beute machen!« sagte er schließlich zuversichtlich. »Wir verlassen gleich das Riff und warten auf Sojul, den wir schon einmal mit Erfolg ausraubten. Er wird sich diesmal wehren, denn er hat eine ganz besondere Ladung an Bord …«

Er berichtete, was er von Jolter erfahren hatte. In knappen Worten gab er dann seine Anweisungen und teilte seine Leute ein. Er tat niemals etwas ohne gründliche Vorberei­tungen und ohne einen ausgearbeiteten Schlachtplan. Die eine Gruppe würde das Schiff entern, während eine andere sich un­ter Wasser am Kiel festsetzte, um das Schiff nötigenfalls zu versenken. Die Beute ging dadurch nicht verloren.

Clark Darlton

Eine Stunde später verließen etwa zwan­zig Julkas das unterhöhlte Riffplateau und verteilten sich. An manchen Stellen war das Meer hier nur wenige Meter tief. Dicht da­neben fiel das Riff steil ab, bis zu zweihun­dert Meter.

Messa tauchte auf. Fern am Horizont er­blickte er einen dunklen Punkt, der nur das gesuchte Schiff sein konnte. Seine Ge­schwindigkeit war gering, denn es war plump gebaut und besaß nur einen schwa­chen Motor. Da es zudem tief im Wasser lag, würde man es leicht entern können.

Die Waffen der Fremden bereiteten Mes­sa jedoch einige Sorgen.

Der Überfall mußte so schnell und überra­schend erfolgen, daß den Opfern keine Zeit zur Gegenwehr blieb. Einmal im Wasser, hatten echte Landbewohner keine Chance mehr, und mit Sojul und seiner Mannschaft würde man schon fertig werden. Der Kapi­tän wußte, daß ihm nichts geschah, wenn er sich nicht wehrte.

Messa tauchte und unterrichtete seine Sip­penangehörigen. In zwei Stunden, etwa zur Mittagszeit, würde Sojul die günstigste Posi­tion erreichen. Er kannte die Gewässer. Sein Schiff nahm die übliche Route durch die Untiefen, um einen größeren Umweg zu ver­meiden.

Die Sonne stieg höher und tauchte die Unterwasserlandschaft in noch mehr Blau und Helligkeit. Fischschwärme zogen an den wartenden Julkas vorbei. Farbenprächtige Meeresgewächse klebten an den felsigen Klippen und wiegten sich mit der leichten Dünung hin und her.

Einmal tauchte sogar einer der gefürchte­ten Raubfische auf, aber er war klug genug, sich vor der Überzahl schnell zurückzuzie­hen, ehe ihn ein Harpunenpfeil erreichen konnte.

Dann, endlich, konnten die Piraten das nä­herkommende Schraubengeräusch des Mo­torsschiffs hören.

Messa tauchte kurz auf. Er kam sofort zurück und gab das Zeichen

zum Angriff.

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29 Die Wassermenschen von Ketokh

4.

Den ganzen Vormittag über hielten sich Malthor und Asmorth an Deck auf, nahmen mittags eine Mahlzeit in ihrer Kabine ein und kehrten dann an ihren Lieblingsplatz an der Reling zurück. Nicht eine Sekunde leg­ten sie ihre Waffen aus der Hand.

Der Küstenstreifen des Festlands war längst unter den Horizont gesunken. Das Meer war ruhig und glatt, das Wasser kri­stallklar und nahezu unbegrenzt durchsich­tig. Oft genug konnte Malthor, wenn er sich über die Reling beugte, den dicht bewachse­nen Grund vorbeigleiten sehen.

Sojul war überall und schien niemals zu ruhen. Immer wieder scheuchte er irgendwo ein Besatzungsmitglied auf, das glaubte, einen sicheren Platz zum Pausieren gefun­den zu haben. Dann brüllte er, daß man glaubte, er wolle den Übeltäter gleich über Bord werfen, aber seine Leute kannten ihn und seine Art. Ruhig kehrten sie an ihre Ar­beit zurück.

»Er lockt uns alle Piraten des Planeten auf den Hals, wenn er weiter so herumbrüllt«, befürchtete Asmorth. Er betrachtete das glat­te Meer. »Dabei sieht alles so friedlich aus.«

Sie standen mit dem Rücken zur Reling. Die Strahler hingen vor der Brust. Hinter ih­nen rauschte knapp anderthalb Meter tiefer das Wasser vorbei.

Sojul stand nun wieder ein wenig erhöht auf seiner Kommandobrücke und drehte sich ständig um seine eigene Achse, weil er das Meer beobachtete. Er wußte besser als jeder andere, daß die Verstecke der Piraten ganz in der Nähe waren und die Überfälle meist in dieser Gegend erfolgten, vorzugsweise je­doch nachts.

Trotzdem blieb er wachsam, auch wenn es heller Tag war.

Die Erfahrung hatte ihn außerdem gelehrt, daß die Piraten überraschend neben dem Schiff auftauchten und an Bord kletterten, mit Messern und Harpunen bewaffnet, die genauso gefährlich sein konnten wie Feuer­

gewehre. Andere blieben unter Wasser und bohrten bei Gegenwehr das Schiff an, so daß es in dem seichten Klippengewässer ver­sank.

Sojul wußte, daß die Piraten nur im Not­fall ihre Opfer töteten. Aber er war fest ent­schlossen, sich diesmal erbittert zu wehren. Seine beiden Passagiere durften nicht in die Hände der Piraten fallen oder gar bei einem Gefecht mit ihnen umkommen.

Fünf Männer Sojuls lagen mit schußberei­ten Gewehren in guter Deckung an Bord verteilt. Sie hatten die Aufgabe, sofort auf jeden Piraten zu feuern, der sich über oder unter Wasser dem Schiff näherte oder gar versuchte, an Bord zu klettern. Das Dumme war nur, daß Sojul sie nicht oft genug kon­trollierte. Zwei oder drei von ihnen schliefen immer, während die anderen aufpassten, daß der Kapitän außer Reichweite blieb.

»Sieht alles so friedlich aus«, meinte auch Malthor und lehnte sich gegen die Reling.

»Das habe ich schon festgestellt«, erinner­te ihn Asmorth. »Laß dich nicht davon täu­schen.«

Sie standen so, daß ihnen die Sonne ins Gesicht schien, aber noch immer mit dem Rücken zum Meer, und so konnten sie auch die beiden dunklen Schatten nicht sehen, die dicht unter der Wasseroberfläche herbeige­schossen kamen und unter dem Schiffs­rumpf verschwanden.

Während sie die Geschwindigkeit hielten, sanken sie in die Tiefe, bis sie fest den Grund erreichten, dann wendeten sie und jagten mit unvorstellbarer Geschwindigkeit senkrecht nach oben, kamen wie schwarze Projektile aus dem Wasser und platschten unmittelbar vor den beiden Arkoniden aufs Deck. Ehe die beiden sich von ihrer Überra­schung erholen konnten und ehe Kapitän So­jul Alarm schlagen konnte, waren die Pira­ten aufgesprungen und handelten blitz­schnell.

Sowohl Malthor als auch Asmorth erhiel­ten einen kräftigen Stoß gegen die Brust, der sie das Gleichgewicht verlieren ließ, denn die Reling war nur einen Meter hoch. Zu­

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sammen stürzten sie über Bord und fielen ins Wasser, die Piraten hinterher.

Nässe machte den Impulswaffen zwar nichts aus, aber es wäre ein sträflicher Leichtsinn gewesen, sie im Wasser einzuset­zen. Außerdem hatten die Arkoniden mit Atemnot zu kämpfen, denn die beiden Jul­kas ließen sie nicht zur Oberfläche steigen. Von allen Seiten kamen noch mehr Piraten herbeigeschwommen.

Malthor, der von Unterwasserabenteuern bereits die Nase voll hatte, glaubte zu er­sticken, als ihn seine Bezwinger in eine fin­stere Höhle zogen, um dort nach einer kurz­en Strecke aufzutauchen. Seine erste Sorge war, Luft zu schnappen, und so bemerkte er kaum, daß ihm der Strahler abgenommen wurde. Im Augenblick war ihm das sogar völlig egal.

Nicht viel anders erging es Asmorth. Langsam nur gewöhnten sich ihre Augen

an das dämmerige Dunkel. Man hatte sie auf nassen, kalten Fels gelegt, dicht neben ei­nem schwarzen Wassertümpel, aus dem her­aus sie gekommen waren. Er stellte wahr­scheinlich die einzige Verbindung zur Au­ßenwelt dar – eine fast perfekte Falle.

Es war Malthor nicht möglich festzustel­len, woher das schwache Licht kam, das in der Decke schimmerte. Vielleicht bestand eine Art Lichtschleuse zum Meeresgrund, aber das war jetzt nicht so wichtig.

Asmorth begann sich zu erholen. Er ver­mißte seine Waffe.

»Wir haben uns übertölpeln lassen«, stell­te er wütend fest und hustete das letzte Was­ser aus den Lungen. »Möchte wissen, was sie mit uns vorhaben. Jetzt fängt das ganze Verständigungstheater wieder von vorne an.«

»Ein paar Worte ihrer Sprache kennen wir ja«, beruhigte ihn Malthor. »Es wird uns nicht gleich an den Kragen gehen.«

Mehrere Julkas kamen herbei und forder­ten sie zum Aufstehen auf. Sie führten ihre Gefangenen durch mehrere Gänge in eine größere Höhle, die durch Fackeln und an den Wänden befestigte Lampen hell erleuch-

Clark Darlton

tet war. Die Luft war feucht und kalt, aber frisch. Malthor fragte sich vergeblich, wie die unter der Wasseroberfläche liegenden Höhlen mit Luft versorgt werden konnten, wenn es keine Inseln gab, die eine Verbin­dung hergestellt hätten.

Ein Julka trat auf sie zu. Er sagte einige Sätze in seiner Sprache, und zwar so lang­sam und deutlich, daß die Arkoniden fast die Hälfte verstehen konnten.

»Was wollt ihr in der Stadt?« wollte er wissen.

Malthor übernahm das Antworten. »Wir wissen selbst nicht, warum man uns

dorthin bringt. Warum habt ihr uns gefan­gen?«

Der Julka grinste – wenigstens sah es so aus.

»Wir haben gehört, daß ihr gute Waffen besitzt. Ihr werdet uns sagen, wie man damit umgeht.«

»Ihr werdet sterben, wenn ihr sie be­nutzt«, warnte Malthor.

»Das wird Jolter entscheiden. Ich bin Messa, das Oberhaupt meiner Sippe.«

Malthor verzichtete darauf, sich und As­morth ebenfalls vorzustellen.

»Was ist mit Sojul und seinem Schiff ge­schehen?« fragte er.

Sie erfuhren, daß der Überfall von dem Kapitän abgeschlagen worden war und daß man das Schiff nicht versenkt habe. Sojul ankerte nicht weit entfernt über einer Untie­fe. Wahrscheinlich überlegte er, wie er die beiden Fremden wieder zurückbekommen konnte. Vielleicht dachte er an ein Tausch­geschäft.

Für Malthor war es beruhigend zu wissen, daß Sojul noch in der Nähe war. Vielleicht gab es doch eine Möglichkeit zur Flucht, aber vorher mußten die beiden Strahler wie­der her.

Inzwischen kehrte der Bote zurück, den Messa in Jolters Höhle geschickt hatte. Jol­ter sah, daß es so gut wie unmöglich war, zwei Landbewohner durch seine Sperren zu bringen, ohne daß sie dabei ums Leben ka­men. Er kündigte seinen Besuch bei Messas

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31 Die Wassermenschen von Ketokh

Sippe an. Vergeblich versuchte Asmorth indessen,

die vermißten Strahler zu entdecken. Er be­merkte eine Menge Waffen, darunter meist Messer und Harpunen, aber auch lange Speere mit gezackter Spitze.

»Jolter kommt«, meldete jemand. Es war schwer für die Arkoniden, einen

Julka vom anderen zu unterscheiden, aber Jolter war ungewöhnlich groß und erinnerte in seinen Körperformen an Sojul, den Kapi­tän des Schiffes. Er schüttelte das Wasser aus seinem Pelz und betrachtete die Gefan­genen mit abschätzenden Blicken. Dann setzte er sich auf den Felsboden.

Von seiner Unterhaltung mit Messa ver­standen die Arkoniden nicht viel, denn die beiden sprachen viel zu schnell. Allem An­schein nach ließ sich der Oberpirat den Her­gang des Überfalls schildern und war mit dem Ergebnis zufrieden.

Und nun tauchten endlich auch die beiden Strahler auf.

Ein Julka brachte sie und legte sie vor Jol­ter auf den Boden. Malthor registrierte mit Befriedigung, daß er es sehr vorsichtig und behutsam tat, so, als transportiere er rohe Ei­er.

Beide Strahler waren gesichert, aber auf Lähmung geschaltet.

Jolter betrachtete sie lange, ehe er seine Scheu überwand und eine der Waffen in die Hände nahm. Solange sie gesichert war, konnte nicht viel passieren. Er tastete sie von oben bis unten und studierte aufmerk­sam die einzelnen Schaltkontrollen. Dann sah er seine Gefangenen an.

»Was ist das? Was tut es?« Weder Malthor noch Asmorth dachten

daran, dem Piraten zu erklären, was ein Im­pulsstrahler war. Es war natürlich zwecklos, leugnen zu wollen, daß es sich um eine Waf­fe handelte. Die beste Lösung war der Kom­promiß zwischen Lüge und Wahrheit.

»Eine Waffe, aber das Wasser hat sie un­brauchbar gemacht. Es ist eine Waffe, die nur auf dem Land benutzt wird.«

Jolter wog den Strahler in der Hand, prü­

fend und voller Mißtrauen. Spielerisch rich­tete er den Lauf gegen Malthor.

»Unbrauchbar, eh?« Seine Finger fum­melten an den Kontrollen herum und ver­geblich drückte er den Feuerknopf ein, den er durch Zufall entdeckte. Nichts geschah. »Und wenn sie trocken wird?«

Malthor schüttelte den Kopf. »Man wird sie nie mehr gebrauchen kön­

nen«, log er. »Du kannst sie wegwerfen.« Jolter legte den Strahler zurück zu dem

anderen. Sein Gesicht drückte offensichtli­chen Mißmut aus. Er sah die Gefangenen an und schien zu überlegen, welche Strafe er über sie verhängen sollte. Messa kam seiner Entscheidung mit einem Vorschlag zuvor:

»Sie müssen trocken werden, Jolter. Viel­leicht lügen die Gefangenen. Wir verwahren die Waffen in meiner Höhle und bringen die Fremden in die obere Luftkammer. Dort können sie nicht fliehen.«

Jolter überlegte, dann mochte er einsehen, daß Messa recht hatte. Er hätte die Waffen natürlich am liebsten mit sich genommen, aber dann würden sie abermals mit Wasser in Berührung kommen. Das Risiko wollte er nicht eingehen, denn ein kleines Fünkchen Hoffnung blieb, daß sie in getrocknetem Zu­stand wieder funktionieren würden. Und was die Gefangenen anging, so konnten sie von der oberen Luftkammer aus niemals den Weg ins Freie finden.

Ohne ein Wort zu sagen, stand Jolter auf und verschwand im Gang.

Messa sah ihm lange nach, dann wandte er sich wieder an Malthor:

»Du hast verstanden, was Jolter will?« Als Malthor bejahte, fuhr er fort: »In der oberen Luftkammer seid ihr sicher. Kein Landbewohner kann lange genug die Luft anhalten, um den Weg zurück zu finden. Wir werden euch hinbringen.«

Die Arkoniden wußten, daß jeder Kom­mentar überflüssig war. Sie ließen sich in den Gang führen, der vor dem dunklen Was­serbecken endete. Die Waffen, das hatten sie noch gesehen, waren auf einen erhöhten und offensichtlich trockenen Felssockel gelegt

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worden. Je zwei Julkas nahmen die Arkoniden bei

den Armen und gaben ihnen zu verstehen, daß sie tief einatmen sollten. Dann sprangen sie mit ihnen ins Wasser.

Ohne sich vorher darüber verständigt zu haben, verfolgten Malthor und Asmorth das­selbe Ziel: Sie wollten feststellen, wie lange sie es unter Wasser aushielten und ob sie den Rückweg vielleicht ohne fremde Hilfe schafften.

Bereits nach einer halben Minute tauchten sie wieder auf. Die Umgebung war fremd, eine kleinere Höhle mit mehreren Ausgän­gen, die zweifellos hinaus ins Meer führten. Die Reise wurde durch ein zweites Wasser­becken hindurch fortgesetzt, und diesmal dauerte es fast eine volle Minute, bis sie wieder atmen konnten. Ohne die Julkas wür­de es zwei Minuten dauern, hinzu kam die eigene körperliche Anstrengung.

Die Höhle war ebenfalls klein, aber ziem­lich trocken. Es fiel Malthor auf, daß die Luft warm und frisch war, als bestünde eine direkte Verbindung zur Oberfläche. Licht kam von oben, und es war bläulich.

Die vier Julkas verschwanden im Wasser und tauchten weg.

Asmorth ging in der Höhle herum und setzte sich auf einen Felsvorsprung. Er nick­te Malthor zu.

»Das sieht ziemlich hoffnungslos aus, wenn du mich fragst. Ich wäre fast ertrun­ken. Es wird besser sein, wenn wir erst ein­mal abwarten, was sie vorhaben. Konzentra­te haben wir ja noch bei uns, wir werden al­so wenigstens nicht verhungern.«

Malthor sah ihn plötzlich an, als säße ihm ein Geist gegenüber. Dann klopfte er sich gegen die Stirn, und ein befreites Aufleuch­ten ging über sein Gesicht. Schweigend be­gann er, seine Taschen zu durchwühlen und dann auszupacken. Zwischen Konzentrat­würfeln und Mikrowerkzeug förderte er zwei kaum fingerlange Patronen zutage, die er triumphierend vor sich auf den Fels legte.

»Weißt du, was das ist?« fragte er. Asmorth nickte.

Clark Darlton

»Sauerstoffpatronen zur Wiederbelebung bei Unfällen. Warum?«

»Mann, so begreife doch endlich, Jörn! Sie werden uns helfen, länger als normal un­ter Wasser zu bleiben. Nur müssen wir vor­sichtig damit umgehen, damit wir nicht zu­viel erwischen. Es läßt sich dosieren.«

»Nun ja, es wäre eine Möglichkeit. Aber ich gehe nicht ohne die Strahler! Die werden wir uns aus der Höhle holen müssen, und das wird schwierig sein. Wir wissen nicht, wann die Julkas schlafen.«

»Ich glaube, darüber zerbrechen wir uns den Kopf, wenn wir die Höhle wiedergefun­den haben. Jetzt ruhen wir uns aus, bis es dunkel wird. Versuche, eine plausible Erklä­rung für das Tageslicht hier zu finden, dann läßt sich auch die Zeit schätzen. Unsere Uh­ren nützen uns da nicht viel, sie zeigen Bordzeit an.«

Asmorth erhob sich und schlenderte an den Wänden entlang. Immer wieder sah er hoch zur leuchtenden Decke. Dann kehrte er zu Malthor zurück.

»Einfach und raffiniert zugleich, Gerlo. Die Decke ist künstlich, aus einem transpa­renten Material. Darauf hat sich Sand in dünnen Schichten abgelagert, der das Son­nenlicht noch eben durchläßt. Die Tarnung wird durch vereinzelte Steine und Meeres­flora vervollkommnet. Von oben her wird nichts zu sehen sein, obwohl das Wasser nur wenige Meter tief ist.«

Malthor zeigte sich von dem Vortrag nur wenig beeindruckt.

»Also gut, wenn es hier in der Höhle dunkler wird, geht die Sonne unter. Und nun werde ich schlafen.«

Asmorth suchte sich einen längeren Fels­vorsprung, legte sich ebenfalls hin und schloß die Augen.

Die Erholungspause tat ihnen bestimmt gut, denn das, was jetzt vor ihnen lag, war alles andere als ein Spaziergang.

*

Mit finsterer Miene sah Kapitän Sojul

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33 Die Wassermenschen von Ketokh

hinaus auf das ruhige Meer. Zwar konnte er mit seinen Leuten zufrieden sein, die den Angriff der Piraten erfolgreich abgeschlagen hatten, aber der Verlust der beiden Fremden samt ihren Wunderwaffen war schmerzlich genug.

Er hatte mit ihnen seine eigenen Pläne ge­habt, die nun buchstäblich ins Wasser gefal­len waren.

Unter dem Kiel waren nur zehn Meter Wasser, aber das half Sojul auch nicht wei­ter. Er würde sich hüten, das sichere Schiff zu verlassen, um einen Rettungsversuch zu unternehmen. Er konnte froh sein, wenn die Piraten ihn in Ruhe ließen und keine Lecks in den Schiffsrumpf bohrten.

Bald würde es dunkel werden, aber er war fest entschlossen, hier noch auszuharren, wenn er auch jeden Augenblick mit einem neuen Angriff rechnen mußte. Die Hälfte seiner Mannschaft hatte er in die Kojen ge­schickt, der Rest lag mit schußbereiten Waf­fen an Deck.

Wenn die Piraten wiederkamen, dann bei Nacht.

Sojul überlegte die Konsequenzen, die der Verlust der beiden Passagiere für ihn nach sich ziehen würde. Er hatte sich verpflichtet, sie in die Stadt zu bringen, wo man sie be­reits aus unerfindlichen Gründen erwartete. Ihr Leben mußte so wertvoll sein wie ihre Waffen. Und er, Sojul, hatte kläglich ver­sagt.

Mit denen in der Stadt war nicht zu spa­ßen. Sie konnten ihm verbieten, jemals wie­der Güter vom Festland zu den Städten zu bringen, und damit würde er seinen Lebens­unterhalt verlieren. Ihm würde dann keine andere Wahl bleiben, als sich den Piraten anzuschließen. Keine sehr verlockende Aus­sicht.

Er sah zu, wie die Sonne langsam tiefer sank und schließlich den Horizont berührte. Es wurde dämmerig und dann schließlich dunkel.

Sojul sorgte dafür, daß auf der Mastspitze drei brennende Laternen gesetzt wurden, die weithin zu sehen waren. Bewußt wollte er,

daß man sein Schiff sah, denn er hielt die entführten Fremden für listig und stark ge­nug, sich früher oder später selbst zu befrei­en, falls sie noch lebten.

Wenn sie tot waren, sollten die Piraten sich hüten.

Er selbst, Sojul, würde sich freiwillig zur Strafexpedition melden.

*

Als es völlig dunkel in der Luftkammer geworden war, weckte Malthor den tief und fest schlafenden Asmorth.

»Aufstehen, Jörn. Es dürfte soweit sein.« Asmorth rekelte sich. »Schon? Ich bin doch gerade erst einge­

schlafen.« »Die Sonne ist schon seit zwei Stunden

untergegangen. Wenn überhaupt noch etwas hier zu sehen ist, dann kann es nur an Leuchtpflanzen liegen, die sich über der Decke aufhalten. Sie wachsen im Sand.«

Noch einmal riefen sie sich alle Stationen ins Gedächtnis zurück, die sie passieren mußten, um ans Ziel zu gelangen. Zuerst einmal Messas Wohnhöhle, damit sie ihre dort liegenden Waffen zurückbekamen. Von da aus zurück ins Wasser und in den Aus­gangskorridor, der ins Meer führte. Hier al­lerdings setzte die Erinnerung der beiden Arkoniden begreiflicherweise aus, denn als man sie herbrachte, hatten sie nicht auf den Weg geachtet.

Immerhin entsann sich Malthor einiger markanter Stellen, von denen er hoffte, daß er sie wiederfinden würde.

Jeder von ihnen nahm eine der Patronen. Eine Probe überzeugte sie von ihrer Wirk­samkeit. Asmorth blieb sogar drei Minuten mit dem Kopf unter Wasser, und als er wie­der zum Vorschein kam, strahlte das Gesicht über und über vor Freude.

»Es klappt tadellos, Gerlo! Das ist unsere Rettung!«

»Nur gut, daß sie nicht unsere Taschen durchsuchten«, gab Malthor zurück. »Mit meinen Erfahrungen in der Navigation wer­

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den wir den Weg schon finden. Ich mache mir nur Sorgen um das Schiff. Hoffentlich hat Sojul es solange ausgehalten …«

»Ich habe auch keine Lust, zum Festland zurückzuschwimmen.«

Sie gingen vor bis zum Wasserbecken, dessen Tiefe nicht abzuschätzen war.

»Sie müssen eine Möglichkeit zum Druckausgleich haben«, vermutete Asmorth, »sonst müßte das Wasser überall bis zur Decke stehen. Mir jedenfalls kommt die Atemluft nicht dichter vor, sie scheint also nicht zusammengepreßt zu werden.«

»Versuche nicht wieder, eine Erklärung zu finden, wir verlieren nur Zeit.«

Sie setzten sich an den Rand des Beckens, dann stiegen sie in das lauwarme Wasser.

Wenig später waren sie verschwunden.

5.

Das Licht in der Gefängniszelle wurde heller, ein sicheres Zeichen dafür, daß nach Ortszeit der Tag begann und auch im Schiff die Nacht vorüber war.

Fartuloon hatte schlecht geschlafen. Er machte sich Sorgen um Atlan, Algonia Helgh und die beiden im Strom treibenden Arkoniden. Wenn es Akon-Akon gelang, die ISCHTAR wieder schnell startbereit zu ma­chen, war sein Wagnis umsonst gewesen. Immerhin hatte er fünf Kontakte unterbro­chen, das versprach eine angemessene Gal­genfrist für Atlan und die anderen.

Die Tür öffnete sich. Ein Mitglied der Be­satzung brachte das Frühstück.

»Wie lange wollt ihr mich festhalten?« fragte Fartuloon.

Der Mann zuckte die Schultern. »Keine Ahnung, das hängt von Akon-

Akon ab.« »Dann sorge dafür, daß er mich hier her­

ausläßt. Sagt ihm, ich wolle ihn sprechen.« »Ich kann es ja mal versuchen, aber ma­

chen Sie sich keine allzu großen Hoffnun­gen. Er ist wütend auf Sie.«

»Kann ich mir denken.« Fartuloon verzehrte das frugale Frühstück

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und trank einen Krug Wasser. Dann wartete er.

Er war sicher, daß die Wartungsroboter und Spezialisten bereits an der Arbeit waren und den Fehler im Bordrechner suchten. Wenn Akon-Akon die Geduld verlor, be­stand die Gefahr, daß er ohne die Hilfe des Bordrechners startete. Man mußte versu­chen, ihn hinzuhalten.

Dann hatte Fartuloon eine ganz andere Idee:

Er mußte raus aus der Zelle und versu­chen, bis zur Kommandozentrale vorzudrin­gen. Solange Akon-Akon nicht intensiv an ihn dachte, war es vielleicht möglich, sei­nem Einfluß zu entkommen. Mit der Hilfe von drei oder vier Arkoniden war es durch­aus möglich, die ISCHTAR provisorisch zu starten und einige hundert Kilometer vom Tal entfernt wieder zu landen. Dazu war kein Bordrechner notwendig.

Aber zuerst mußte er hier heraus. Er beschloß zu warten, bis man ihm wie­

der etwas zu essen brachte. Er mußte den Mann überraschen und unschädlich machen. Das zweite Problem war das unbemerkte Vordringen bis zur Kommandozentrale. Wahrscheinlich würde in ihr nur ein Mann auf Wache sein. Mit Hilfe des Überra­schungseffekts würde er ihn leicht ausschal­ten können. Und selbst wenn er keinen Ver­bündeten fand, würde er versuchen zu star­ten.

Fartuloon war unbekannt, wie weit Akon-Akons Einfluß reichte. Wahrscheinlich – so hoffte er – würden einige Kilometer Höhe bereits genügen, ihn auszuschalten. In die­sem Augenblick hatte er die gesamte an Bord der ISCHTAR befindliche Mannschaft auf seiner Seite.

Schnell- und Steilstart also, ohne Ziel. Dann einen neuen Landeplatz suchen …

Das war alles kinderleicht? Dachte Fartuloon. Er dachte es erst recht, als mittags die er­

ste Phase tadellos klappte. Der Arkonide kam arglos in die Zelle und

stellte das Tablett mit Essen und Trinken auf

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den kleinen Tisch. Als er sich wieder auf­richten wollte, sah er Fartuloons massige Faust auf sich zukommen. Ihm blieb keine Zeit mehr, eine Bewegung der Abwehr zu machen. Hart getroffen, verlor er für Sekun­den das Bewußtsein. Fartuloon fing ihn auf und legte ihn auf das Bett. Mit den vorberei­teten Schnüren, die er aus seiner Decke ge­fertigt hatte, fesselte er ihn und steckte ihm einen Knebel zwischen die Zähne.

»Tut mir Leid, mein Freund«, sagte er, als der Mann wieder zu sich kam, »aber du hät­test ja doch nicht auf mich gehört. Bleib ganz ruhig liegen und versuche nicht, dich zu befreien. In einer Stunde wirst du ganz anders über den Vorfall denken.«

»Mpfmpf«, machte der Geknebelte. Fartuloon nickte befriedigt. »Das ist gut! Der Knebel sitzt also!« Er trat hinaus auf den Korridor und sah

sich nach beiden Seiten um. Niemand war zu sehen. Es herrschte im Schiff echte Mit­tagsruhe.

Er schloß die Tür und marschierte los in Richtung Kommandozentrale. Sehr vorsich­tig war er dabei nicht, denn er hoffte, daß die Kontrollen während des Tages nicht so streng waren wie nachts. Außerdem war vielleicht auch nicht allen an Bord befindli­chen Arkoniden bekannt, daß Akon-Akon ihn hatte festsetzen lassen.

Unbekümmert benützte er den Antigrav­lift und erreichte bald den Hauptkorridor zur Kommandozentrale. Seine heimliche Hoff­nung schien sich zu bestätigen, als er einem Arkoniden begegnete, der seinen Gruß ruhig erwiderte und weiterging, ohne Fragen zu stellen.

Fartuloon an Bord der ISCHTAR? Das war doch eine Selbstverständlichkeit …

Fartuloon grinste stillvergnügt in sich hin­ein und ging ebenfalls weiter. Er überlegte, ob Akon-Akon vielleicht die Fähigkeit be­saß, auch Gedanken zu lesen. Dem jungen Burschen war alles zuzutrauen.

Als er sich der Zentrale näherte, wurde es ein wenig lebhafter. Schon von weitem hörte er die Diskussionen der Techniker, die dabei

waren, die Fehler im Bordrechner zu suchen. Jeder hatte seine eigene Meinung, und dann mischten sich auch noch die Roboter ein. Der Erfolg war ein allgemeines Durcheinan­der verschiedener Auffassungen, aus denen selbst ein Spezialist nicht mehr schlau wer­den konnte.

»Sucht nur!« freute sich Fartuloon und hätte seinen kleinen Finger dafür gegeben, wenn Atlan dabei gewesen wäre. Dumm wa­ren die Techniker und Spezialisten nicht, aber übereifrig. Und das machte sie hin und wieder ein wenig blind für die Argumente anderer.

Die Tür zum Kontrollraum des Bordrech­ners stand offen. Er mußte an ihr vorbei, um die Kommandozentrale zu erreichen. Vor­sichtshalber blieb er erst einmal stehen und drückte sich gegen die Wand.

»WR-VII, halten Sie den Mund!« rief ge­rade einer der Techniker und meinte offen­sichtlich Wartungsroboter Sieben. »Sie sol­len die Fehlerquelle suchen und keine philo­sophischen Betrachtungen anstellen. Glau­ben Sie denn wirklich, den Kontaktbruch finden zu können, wenn Sie die Psyche Far­tuloons analysieren?«

»Die Charaktereigenschaften einer orga­nischen Intelligenz geben Aufschluß über seine Handlungen und Motive«, entgegnete der Roboter mit seiner seelenlosen Stimme. »Nur wenn wir das berücksichtigen, werden wir den Fehler finden.«

»Ich verlasse mich da mehr auf unsere In­strumente und die Technik, WR-VII. Ausge­rechnet ein Robot muß von Emotionen re­den! Das ist allerhand!«

Ein anderer Techniker schlug vor: »Statt uns zu streiten, sollten wir uns be­

mühen, die ISCHTAR startbereit zu ma­chen. Akon-Akon hat es befohlen.«

Es war, als strahle allein der Name schon eine hypnotische Wirkung aus, denn sofort herrschte absolutes Schweigen, wenn man von den Geräuschen der eingesetzten Meß­instrumente absah.

Die sind genug mit sich selbst beschäftigt, dachte Fartuloon. An der Wand entlang sch­

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lich er weiter und sah vorsichtig in den Rechnerraum. Techniker und Roboter bilde­ten ein wirres Knäuel um die Kontrolltafeln, aus denen Leitungen und andere technische Eingeweide heraushingen. Es sah so aus, als wollten sie die ganze Anlage auseinander­nehmen.

Das wird sie noch länger beschäftigen, dachte Fartuloon und huschte mit einem schnellen Satz an der Tür vorbei, aber je­mand mußte ihn trotzdem bemerkt haben.

»He, was suchen Sie hier?« rief dieser Je­mand, und dann wurde seine Stimme lauter: »Bleiben Sie stehen!«

Fartuloon dachte nicht im Traum daran, stehenzubleiben, und schon gar nicht so dicht vor dem Ziel. Er begann zu laufen, was den Verdacht des Rufenden nur noch ver­stärkte, der sonst vielleicht einfach zu dem Bordrechner zurückgekehrt wäre.

Das Wettrennen, das sich zwangsläufig aus der Situation entwickelte, endete vor der Tür zur Kommandozentrale. Sie war ver­schlossen, und ehe Fartuloon sie positro­nisch mit dem Kodewort öffnen konnte, war der Techniker hinter ihm. Und nicht nur er, sondern gleichzeitig drei Roboter und vier Arkoniden. Sie waren alle bewaffnet.

»Fartuloon, Sie schon wieder?« fragte ei­ner überrascht. »Hat Akon-Akon Sie denn freigelassen?«

»Das wißt ihr nicht?« Fartuloon reagierte mit einer bewundernswerten Geistesgegen­wart. »Repariert den Bordrechner und laßt mich in Ruhe.«

»So einfach ist das nicht, wir benötigen erst einmal die Bestätigung durch Akon-Akon.«

»Der schläft jetzt«, erwiderte Fartuloon spontan. »Wenn ihr ihn weckt, wird er wü­tend. Geht zurück an eure Arbeit, Männer.«

»Und du gehst zurück ins Gefängnis«, meinte einer der Techniker. Fartuloon hatte ihn noch nie leiden mögen, und jetzt erst recht nicht. Der Kerl besaß die Frechheit, ihn auch noch zu duzen. »Geh schon, ich bringe dich hin.«

»Sind wir miteinander verwandt?« erkun-

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digte sich Fartuloon. »Gehen Sie schon!« verbesserte sich der

Arkonide. Fartuloon seufzte. »Die Zeiten ändern sich, dann werden Sie

sich aber wundern, was ich Ihnen für Extra­wachen aufbrummen werde. Ihre Ausbil­dung war ein Kindergarten dagegen.«

»Ihre Drohung ist sinnlos, denn Akon-Akon wird es nicht zulassen, daß Sie wieder hier herumkommandieren. Sie sind unbe­waffnet, machen Sie also keinen Unsinn! Es würde uns leid tun, wenn wir Sie töten müß­ten – und das werden wir, wenn Sie nicht gehorchen.«

Fartuloon glaubte, zerplatzen zu müssen. »Ach so, Akon-Akon wird es nicht zulas­

sen?« äffte er den Techniker nach. »Seit wann könnt ihr Altarkonidisch sprechen, ihr Schlauköpfe? Vielleicht habt ihr seine ge­danklich ausgestrahlten Befehle mißverstan­den und rennt umsonst hinter mir her, statt mal zu überlegen, was überhaupt gespielt wird.«

Sie zögerten, stellte Fartuloon überrascht fest. Vielleicht wurde Akon-Akons Einfluß schwächer, wenn er schlief. Er selbst jeden­falls spürte ihn im Augenblick nicht.

»Wie auch immer«, erinnerte sich der Techniker an seine ursprüngliche Aufgabe, »wir müssen den Bordrechner reparieren, den Sie beschädigt haben. Kehren Sie in Ihre Zelle zurück, damit wir ungestört arbeiten können.« Er hob seine Waffe. »Und zwar ohne weitere Argumente, wenn ich bitten darf.«

An den Mienen der anderen Arkoniden erkannte Fartuloon, daß sie es mit ihrer Dro­hung ernst meinten.

Ihm blieb keine andere Wahl, als sich der Übermacht zu fügen.

»Also gut«, sagte er zähneknirschend, »ihr wollt es nicht anders. Aber ihr werdet es bereuen, das verspreche ich euch.« Er sah den Techniker wütend an. »Besonders Sie!«

Ohne eine Antwort abzuwarten, ging er an ihnen vorbei, den Weg zurück, den er ge­kommen war. Zwei der Arkoniden und ein

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Roboter folgten ihm bis zur Zellentür, die sie hinter ihm verschlossen.

Erst als Fartuloon in dem engen Raum stand, kam ihm zu Bewußtsein, daß er einen Leidensgefährten erhalten hatte.

Man hatte vergessen, den von ihm gefes­selten Wärter zu befreien.

Trotz seiner nicht gerade beneidenswerten Lage mußte Fartuloon lachen. Er löste die Fesseln und den Knebel und setzte sich.

»Tut mir leid, mein Freund, ich hätte Sie später schon herausgeholt, aber jetzt müssen wir bis zur nächsten Mahlzeit warten. Und die ist erst abends.«

Der Mann gab keine Antwort. Dumpf brütete er vor sich hin und warf Fartuloon finstere Blicke zu. Er schien völlig unter Akon-Akons Einfluß zu stehen und keinem Argument zugänglich zu sein.

Und auch Fartuloon spürte, wie der zwin­gende Geist des unheimlichen Jünglings von Sekunde zu Sekunde wieder Macht über ihn gewann.

Seine Chance war vertan.

*

Obwohl es finstere Nacht war, herrschte in dem Unterwasserreich keine völlige Dun­kelheit. Vielleicht waren es phosphoreszie­rende Pflanzen, die an den Wänden des überfluteten Kanals wuchsen und einen mat­ten, grünlichen Schimmer verbreiteten.

Malthor und Asmorth ließen sich Zeit, um nicht so schnell zu ermüden. Alle dreißig Sekunden nahmen sie einen erlösenden Zug aus der Sauerstoffpatrone.

Einmal passierten sie eine Abzweigung und zögerten. Malthor deutete zur linken Seite. Er war sicher, daß sie von dort ge­kommen waren, denn er entsann sich, daß die ihn haltenden Julkas nach rechts abgebo­gen waren.

Vor ihnen wurde es heller. Sie schwam­men langsamer und dicht unter der Decke, um das Ausstiegsbecken nicht zu verpassen. Fünf Minuten waren sie nun unter dem Was­ser, Zeit und Entfernung konnten stimmen.

Das Licht kam näher, und dann war es di­rekt über ihnen.

Vorsichtig tauchten sie auf und vermieden jedes Geräusch. Sie sahen auf den ersten Blick, daß sie tatsächlich in Messas Wohn­höhle gelandet waren. An den Wänden brannten noch ein paar der Fackeln, die mei­sten waren bereits erloschen.

Auf den primitiven Lagern ruhten die Jul­kas der Sippe und schliefen. Es gab keine Wachen.

Malthor zog sich behutsam am Rand des Beckens hoch, um einen besseren Überblick zu gewinnen. Asmorth, der dicht neben ihm war, flüsterte:

»Kannst du sie sehen?« Er meinte die Impulsstrahler. Malthor drückte ihm seine flache Hand

auf den Mund und nickte. Die beiden Waffen lagen auf einem er­

höhten Steinsockel über den Schlafstätten der Julkas. In dieser seltsamen Umgebung wirkten sie neben den Speeren und Harpu­nen wie ein Anachronismus, mehr noch als auf dem Meer oder an Land.

Malthor gab Asmorth zu verstehen, daß er im Wasserbecken bleiben solle, während er versuchen wollte, die Waffen zu holen, ohne jemand von Messas Piratensippe aufzu­wecken.

Asmorth hielt sich am Felsrand fest und half Malthor beim Hinausklettern. Keiner der Julkas rührte sich. Sie schliefen wie die Toten. Der Angriff auf Sojuls Schiff mußte sie total erschöpft haben.

Malthor kroch auf allen vieren und be­mühte sich, jedes auch noch so geringfügige Geräusch zu vermeiden. Der Schein der letz­ten Fackeln half ihm dabei, im Weg liegende Gegenstände zu umrunden. Er kam den be­gehrten Strahlern immer näher.

Er mußte zwischen zwei Lagerstätten hin­durch, auf denen jeweils zwei oder drei Jul­kas ruhten. Darüber am Kopfende war der Steinsockel, etwa in anderthalb Meter Höhe. Um sie zu erreichen, mußte Malthor sich aufrichten.

Damit gab er jede Deckung auf und setzte

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sich voll dem Licht der Fackeln aus, die bald ausgebrannt sein mußten. Wieder fragte er sich vergeblich, nach welchem System die Entlüftung funktionierte, denn normalerwei­se hätten die Julkas es hier vor Qualm und Gestank nicht aushalten können. Aber die Luft war frisch wie überall hier unten.

Auch war merkwürdig, daß die Piraten auf dem Trockenen schliefen, obwohl das Wasser viel eher ihr eigentliches Element war. Immerhin hatten sie feuchte Tücher über sich gelegt, um nicht auszutrocknen.

Deutlich erkannte Malthor die seltsamen, gelben Flecke auf den Kopfspitzen, die das Fackellicht matt reflektierten.

Er fühlte eine unbeschreibliche Erleichte­rung, als seine Hand den Griff der ersten Waffe berührte, die er vom Steinsockel hob und sofort entsicherte. Sie war noch immer auf Narkose geschaltet. Dann erst nahm er die zweite und behielt sie in der linken Hand. Schnell kehrte er jetzt zum Wasser­becken zurück, wo Asmorth ihn sehnsüchtig erwartete und ihm die Hand entgegenstreck­te.

»Na also!« flüsterte er triumphierend. Malthor bückte sich, ohne ins Wasser zu

steigen. »Bist du sicher, daß wir den Weg zum

Meer hinaus finden?« »Ich glaube schon, es kann nicht so weit

sein. Aber es wäre gut, wenn wir einen grö­ßeren Vorsprung erhielten.«

Einer der Julkas drehte sich auf die andere Seite. Seine Decke klatschte auf den Stein­boden. Dann trat wieder Ruhe ein.

»Wie meinst du das?« »Wir müssen Messas Sippe paralysieren.« Malthor dachte darüber nach und kam zu

dem Ergebnis, daß Asmorths Vorschlag gut war. Eine Narkose konnte den Julkas nicht schaden, und bis sie erwachten, schwammen ihre entflohenen Gefangenen längst auf dem Meer.

»Noch etwas«, erinnerte ihn Asmorth. »Als uns die Piraten hierher brachten, ka­men wir nicht aus diesem Becken heraus, sondern sie führten uns noch durch einige

Clark Darlton

Gänge. Es ist besser, wir versuchen ihnen zu folgen, ehe wir wieder tauchen.«

»Einverstanden. Betäuben wir die Piraten zuerst, ehe einer Alarm schlägt.«

Sie bestrichen den Raum mit den paraly­sierenden Energiebündeln. Diese Dosis wür­de ihrer Schätzung nach für etwa drei bis vier Stunden Lähmschlaf reichen, aber da sie den Metabolismus der Julkas nicht kann­ten, waren sie sich ihrer Sache nicht sicher. Schaden würde ihnen die Behandlung jeden­falls kaum.

Nach einigem Suchen entdeckten sie den Gang. Asmorth hatte eine der Fackeln aus dem Wandspalt genommen und leuchtete. Sie passierten mehrere leere Höhlen und Gänge, bis sie wieder vor einem Wasser­becken standen. Es mußte das sein, durch das man sie gebracht hatte.

Sorgfältig befestigten sie ihre Waffen im Gürtel, damit sie während des Tauchens und Schwimmens nicht verlorengingen. Die Sau­erstoffkapseln, die einzige Garantie für ein Gelingen der gewagten Flucht, behielten sie in der Hand.

»Na, dann los!« meinte Asmorth leise und ließ sich ins Wasser sinken.

Sie atmeten mehrmals durch, dann tauch­ten sie.

Schnell gewöhnten sie sich wieder an das grünliche Leuchten, das ihnen die Grenzen des Unterwasserkanals verriet. Die kleinen Abzweigungen ignorierten sie und hielten sich in der Mitte, obwohl sich beide nicht mehr so genau an den Weg erinnern konn­ten. Aber seiner Breite und Tiefe nach zu ur­teilen, schien es sich um einen Hauptkorri­dor zu handeln. Malthor glaubte sogar eine leichte Gegenströmung zu bemerken. Er ent­sann sich, daß Ketokh einen Mond besaß. Vielleicht setzte gerade die Flut ein.

Rechts und links wichen die Seitenwände allmählich zurück, das phosphoreszierende Schimmern schien schwächer zu werden. An der Decke hingegen hörte das Leuchten ab­rupt auf. Dafür erschien ein verschwomme­ner, rötlicher Fleck, der wie eine Fackel im Wind flackerte, als wolle er jeden Augen­

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blick erlöschen. Der Mond! dachte Malthor erregt. Wir ha­

ben es geschafft … Asmorth berührte ihn mit der freien Hand

und zog ihn nach oben. Als ihre Köpfe die Oberfläche durchbra­

chen, atmeten sie die reine, frische Luft des Meeres und schwammen in einer leichten Dünung. Am Druckunterschied konnten sie abschätzen, daß der Eingang zum Reich der Piraten etwa zwanzig Meter unter ihnen war.

Das Licht des roten Mondes spiegelte sich auf der kaum bewegten Oberfläche des Mee­res, das sich nach allen Seiten bis zum Hori­zont erstreckte. Wenn Sojul es sich anders überlegt hatte und weitergefahren war, war alles vergebens gewesen. Dann konnten sie auch gleich wieder hinabtauchen und in ihr Gefängnis zurückkehren.

»Dort drüben – siehst du die Lichter? Das muß er sein!«

Malthor hatte die drei Lampen auch schon gesehen. Sojul war also klug genug gewe­sen, trotz der damit verbundenen Gefahr Lichter zu setzen. Er rechnete mit der Flucht der beiden Fremden, von denen er eine Men­ge zu halten schien.

»Dann los, ehe die Piraten kommen«, gab Malthor zurück.

Die Sauerstoffpatronen hatten sie wieder sorgfältig verstaut, denn vielleicht würde man sie noch einmal gebrauchen. Mit gleichmäßigen Schwimmbewegungen streb­ten sie auf die drei Lichter zu, die zwei oder drei Kilometer entfernt sein mochten.

Malthor mußte unwillkürlich an gefährli­che Wasserbewohner denken, die es hier vielleicht gab. Wenn Raubfische sie jetzt an­griffen, konnten sie diese kaum abwehren.

Allmählich nur schälten sich die dunklen Umrisse des Schiffes aus der Nacht heraus und erhielten erkennbare Formen. Vorn an der Bugspitze war der Schatten einer Wache zu erkennen, weil der Mond schräg dahinter stand.

Malthor gab Asmorth ein Zeichen, sich ruhig zu verhalten. Man würde sie vielleicht für Piraten halten und mit einem Geschoßha­

gel empfangen. Es galt daher, sich rechtzei­tig zu erkennen zu geben.

Als sie die schwarze Bordwand vor sich auftauchen sahen, rief Malthor nach oben:

»Sojul! Wir sind es, deine beiden Passa­giere! Helft uns an Bord!«

Sofort wurde es oben lebendig, ein siche­res Zeichen dafür, daß Sojuls Mannschaft nicht geschlafen hatte. Über der Reling er­schienen Spitzköpfe, und einer schwankte eine brennende Fackel, um besser sehen zu können. Dann schien man sicher zu sein, sich nicht getäuscht zu haben.

Sojuls Stimme war unverkennbar, als er rief:

»Dachte ich es mir doch, daß ihr ihnen entwischt! Wartet, wir lassen eine Leiter hinab. Kommt herauf!«

Wenig später klatschte das Ende einer Strickleiter ins Wasser. Asmorth erwischte es zuerst und kletterte hinauf, während Malt­hor es festhielt. Dann folgte er nach.

Sojul begrüßte sie in seiner etwas grob er­scheinenden Art, der jedoch die Erleichte­rung anzuspüren war, die Vermißten wieder an Bord zu wissen. Noch während Asmorth zu berichten versuchte, wurde der Anker ge­lichtet und der Motor angeworfen. Tuckernd setzte sich der Lastkahn in Bewegung.

Von der Reling her brüllte jemand: »Die Piraten! Sie kommen!« Malthor und Asmorth, die keine Lust ver­

spürten, als Gefangene in das Unterwasser­reich zurückzukehren, lösten die Strahler aus ihrer Halterung und entsicherten sie. Provi­sorisch trockneten sie den äußeren Mecha­nismus an einem Stück Tuch ab, das an Deck lag.

»Bleiben wir auf Narkose?« fragte Asm­roth.

»Ja, sie haben uns nicht töten wollen.« Als sie an der Reling standen und hinab

auf das Meer blickten, sahen sie im rötlichen Schimmer des Mondes die spitzen Köpfe der Julkas. Wie viele noch unter Wasser schwammen und das Schiff verfolgten, ließ sich nicht abschätzen, aber sicher waren sie schneller.

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»Wir müssen uns beeilen«, riet Malthor und richtete seine Waffe auf die dunklen Punkte im Wasser.

Die beiden Arkoniden wußten, daß die Wirkung der energetischen Paralysebündel bis tief unter die Wasseroberfläche reichte. Sie hatten demnach nichts anders zu tun, als das Meer systematisch abzustreichen, um sämtliche Verfolger abzuschütteln. Die Pira­ten würden nicht so schnell ertrinken, auch wenn sie für ein oder zwei Stunden bewußt­los waren und vielleicht auf den hier nicht sehr tiefen Meeresgrund sanken.

Auch Sojuls Leute schossen mit ihren Donnerbüchsen, aber viel Schaden konnten sie damit nicht mehr anrichten, denn fast alle Piratenköpfe waren bereits verschwunden. Der Angriff war abgeschlagen, ehe er richtig begonnen hatte.

Sojul näherte sich seinen Passagieren in fast demütiger Haltung.

»Ihr habt sie alle getötet?« fragte er scheu. Malthor wollte ihn im unklaren lassen und

kam Asmorth zuvor: »Wahrscheinlich sind sie alle tot, Sojul, es

kann aber auch sein, daß einige gerettet wer­den können. Jedenfalls werden sie dein Schiff nicht mehr angreifen.«

»Ihr habt gewaltige Waffen.« »Ja, mit ihnen lassen sich ganze Völker­

stämme besiegen.« »Müßt ihr deshalb zur Stadt?« »Vielleicht, Sojul. – Dürfen wir nun in

unsere Kabine? Wir sind müde und hungrig. Morgen haben wir noch viel Zeit zum Re­den.«

Das mit dem »Reden« war natürlich leicht übertrieben, denn Sojuls Vokabular war nicht so groß wie das von Tossel, der an Land zurückgeblieben war. Immerhin war eine Verständigung möglich, das war die Hauptsache.

Sie zogen sich aus, um die Kleider zu trocknen. Von Wasser hatten sie nun end­gültig genug, und richtiges Ausschlafen wä­re jetzt auch nicht schlecht. Sie aßen eine Kleinigkeit und streckten sich dann auf ih­rem Lager aus.

Clark Darlton

An der Rückwand hörten sie das beruhi­gende Plätschern, das ihnen schon vertraut klang und ihnen verriet, daß ihr Schiff gute Fahrt machte. Jede Minute brachte sie näher an eine der rätselhaften schwimmenden Städte heran, die ihr unfreiwilliges Ziel war.

Welches Geheimnis bargen sie? Saßen dort die Mächtigen dieses seltsa­

men Planeten? Malthor lauschte plötzlich. Ihm war, als

hätte er unter sich ein Geräusch gehört – wie ein Schaben oder Kratzen.

Er fragte Asmorth, aber der schlief schon halb und meinte, er wolle in Ruhe gelassen werden.

Malthor lauschte weiter, bis er es wieder hörte.

Dann war Stille, bis auf das Vorbeirau­schen des Wassers.

Vielleicht eine Täuschung, beruhigte sich Malthor. Meine Nerven sind überreizt, und ich bin nervös. Ich sollte lieber schlafen …

Er schloß die Augen. Es dauerte auch nicht lange, dann verkün­

deten seine gleichmäßigen Atemzüge, daß er eingeschlafen war.

Die Kabinentür war verschlossen.

6.

Als Malthor am anderen Tag an Deck kam, scheuchte Sojul gerade einige seiner Leute zum Heck und schickte ein paar Schimpfworte hinter ihnen her – wenigstens nahm Malthor an, daß es keine Liebeserklä­rungen waren.

Als er Sojul erreichte, stand dieser hinter dem Steuerruder, das er heute selbst bedien­te. Er achtete kaum auf den Gruß seines Pas­sagiers, sondern bewegte das große Rad prü­fend hin und her. Mehrmals ging sein Blick zum Horizont in Fahrtrichtung, dann sah er wieder nach rechts und nach links. Es schi­en, als suche er etwas.

Malthor beschloß, sich selbst nicht länger auf die Folter zu spannen.

»Du bist heute nicht sehr zufrieden?« fragte er nach der kurzen Begrüßung.

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Sojul sah ihn kaum an, bequemte sich aber doch zu einer Antwort:

»Wir sind vom Kurs abgekommen. Der Mann am Steuer muß in der Nacht einge­schlafen sein. Aber das wäre nicht so schlimm. Viel schlimmer ist, daß mit dem Ruder etwas nicht in Ordnung ist.«

Es dauerte fast eine halbe Stunde, bis Malthor verstanden hatte, was der Kapitän meinte, aber es ging schon besser als am er­sten Tag der Reise.

»Mit dem Ruder? Was soll damit sein?« »Es ist nicht nur das Ruder. Wir haben

außerdem noch ein Leck. Wahrscheinlich kamen die Piraten doch bis unter den Kiel, ehe ihr sie verscheuchen konntet.«

Malthor entsann sich des nächtlichen Ge­räusches, das er gehört hatte. Er berichtete Sojul davon.

»Dann war es einer, der später nach­schwamm. Das tun sie selten. Sie verlassen nur ungern die Untiefen, weil es im offenen Meer die Raubfische gibt, ihre und unsere Todfeinde. Er hat das Ruder beschädigt und ein Leck gebohrt, aber er wurde offensicht­lich mit seiner Arbeit nicht fertig, sonst lä­gen wir schon auf dem Grund des Meeres. Diesmal waren die Raubfische unsere Ver­bündeten. Denen ist es egal, wen sie auffres­sen, wenn es nur ein Julka ist …«

Malthor blickte sich um. Nach allen Sei­ten erstreckte sich das Meer bis zum Hori­zont. Sonst war nichts zu sehen. Der Him­mel war tiefblau und wolkenlos. Die Sonne stand noch nicht sehr hoch. Rechts lag über der Trennungslinie zwischen Wasser und Himmel eine trübe Luftschicht.

Sojul hatte seine suchenden Blicke be­merkt, denn er meinte:

»Keine Stadt in Sicht, Freund. Ich weiß nicht, wie weit wir vom Kurs abgekommen sind. Aber das ist es nicht, was mir im Au­genblick Sorgen bereitet.«

»Das Leck, nicht wahr?« »Einige meiner Leute sind an den Pum­

pen. Wir können es jetzt nicht abdichten. Aber siehst du den dunklen Streifen am Ho­rizont? Das bedeutet Sturm.«

Der fehlt uns gerade noch, dachte Malthor erschrocken. Ein halbes Wrack, und dann noch Sturm …!

»Hält das Ruder wenigstens?« »Einigermaßen.« Sie schwiegen. Asmorth erschien nun

ebenfalls an Deck und wurde von der Situa­tion unterrichtet. Er schien nicht sonderlich beeindruckt zu sein.

»Wir können ja für den Notfall Flöße mit Segeln bauen«, meinte er dann. Seiner Stim­me war anzumerken, daß er es mit seinem Vorschlag nicht so ganz ernst meinte. »Außerdem kann ich mir nicht vorstellen, daß ein Sturm diesem plumpen Kahn etwas ausmacht.«

Sojul brummte etwas, aber es blieb unver­ständlich.

Malthor ging zur Reling, an der einige Julkas standen und ins Wasser hinabdeute­ten. Auch Asmorth verließ den Kapitän, der genug mit seinem defekten Ruder zu tun hatte.

Dunkle und flinke Schatten begleiteten das Schiff dicht unter der Wasseroberfläche. Im ersten Augenblick glaubte Malthor, die Piraten hätten nun doch die Verfolgung wie­der aufgenommen, aber dann erkannte er seinen Irrtum Einer der schlanken Schatten schoß hoch und streckte das mit spitzen Zahnreihen bestückte Maul aus dem Wasser.

Raubfische! Es waren mindestens zwanzig Stück, die

neben dem Schiff her schwammen, so als ahnten sie, daß bald ein Sturm kam, der ih­nen neue Beute verschaffen würde.

Asmorth nahm den Strahler und schaltete ihn auf volle Leistung. Sorgfältig visierte er das Rudel an und schoß. Das grelle Energie­bündel, stark gefächert, wurde vom Wasser nicht reflektiert, sondern drang in es ein und erreichte die Fische.

Es entstanden ein gutes Dutzend schäu­mender Strudel, die schnell zurückblieben, dann trieben die toten Räuber auf dem Meer dahin und versanken mit der Entfernung.

Die zuschauenden Julkas hatten den Vor­gang voller Staunen verfolgt, aber jetzt

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brach der Bann. Jubelnd umringten sie den fast verlegen wirkenden Asmorth, der seine Waffe wieder gesichert und in den Gürtel geschoben hatte. Auch Kapitän Sojul, sonst sehr sparsam mit lobenden Worten, brüllte ihm vom Steuer her seine Anerkennung zu.

Malthor ging zu ihm. »Du hast gesehen, daß wir die Raubfische

vom Schiff fernhalten können. Wie wäre es, wenn du einige deiner Leute zum Ruder tau­chen ließest, um es zu reparieren? Wir be­schützen sie.«

Sojul erklärte sich nach einigem Überle­gen damit einverstanden.

Er bestimmte drei Julkas. Sie hatten an der Reling gestanden und gesehen, was As­morth mit seiner Waffe erreichte. Das schien ihnen Zuversicht einzuflößen, denn sie argu­mentierten nicht. Mit Werkzeugen versehen, kletterten sie an der herabgelassenen Leiter ins Wasser, nachdem der Motor abgestellt worden war.

Malthor und Asmorth bezogen am Heck ihre Stellungen. Das Schiff lag nun ruhig und machte keine Fahrt. Die noch immer leichte Dünung behinderte die Sicht kaum, zumal das Wasser unwahrscheinlich klar war. Bis zum Grund hinab allerdings konnte man hier nicht sehen.

Aber man sah die drei Julkas, die wie die Fische hinabtauchten und sich an dem be­schädigten Ruder zu schaffen machten.

Sojul gesellte sich zu den beiden Arkoni­den.

»Die Sturmfront kommt näher«, teilte er ihnen mit.

In der Tat schien die trübe Luftschicht hö­her geworden zu sein, und ein wenig dunk­ler. Es war fast windstill, eine nicht unge­wöhnliche Erscheinung vor einem Orkan. Das war auf fast allen Welten ähnlich.

Asmorth deutete aufs Meer hinaus. »Ich glaube, die Raubfische kommen«,

sagte er und legte den Lauf seiner Waffe auf die Reling, um ruhiger zielen zu können. »Wir müssen aufpassen.«

Malthor tat es ihm nach, während Sojul neugierig zusah.

Clark Darlton

Die Fische schwammen fast an der Ober­fläche und waren daher gut zu erkennen. Sie näherten sich mit relativ hoher Geschwin­digkeit, so, als hätten sie ihre Beute längst gewittert. Etwa hundert Meter vom Schiff entfernt schwärmten sie aus und schossen dann aus verschiedenen Richtungen heran.

Malthor und Asmorth eröffneten gleich­zeitig das Feuer, und es dauerte keine fünf Sekunden, da trieben die gierigen Räuber mit dem Bauch nach oben in der Dünung. Einer allerdings hatte wohl einen größeren Bogen gemacht und kam von der Seite. Ei­ner der Julkas rief den Arkoniden eine War­nung zu. Malthor reagierte schnell und konnte den Angreifer wenige Meter vor sei­nem Ziel noch erwischen.

»Deine Leute werden einen leichten elek­trischen Schlag verspürt haben«, sagte er zu Sojul. »Hoffentlich haben sie sich nicht zu sehr erschreckt.«

Sie hatten noch zwei weitere Angriffe ab­zuwehren, dann schienen die Raubfische be­griffen zu haben, daß ihnen von diesem Schiff aus eine tödliche Gefahr drohte. Es tauchten keine mehr auf. Allerdings bestand noch immer die Gefahr, daß sie nun von der Tiefe her angriffen, aber zum Glück kehrten die drei Julkas an Bord zurück und melde­ten, daß sie das Ruder wieder richtig befe­stigt hätten. An dem Leck allerdings sei nichts zu machen.

Sojul gab ihnen ein paar Stunden dienst­frei und kehrte zum Ruder zurück, um es auf seine Tüchtigkeit zu überprüfen. Er warf den Motor an und legte das Schiff auf Kurs. Nach kurzer Zeit teilte er mit, daß er zufrie­den sei.

Gegen Mittag war fast ein Drittel des Himmels mit der grau gefärbten Wolken­schicht bedeckt. Der Wind frischte allmäh­lich auf.

Malthor und Asmorth beobachteten das Naturschauspiel, während Sojul alles Be­wegliche an und unter Deck vorsorglich be­festigen ließ.

»Ich glaube, er übertreibt ein wenig«, meinte Asmorth.

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»Hm, ich weiß nicht. Schließlich kennt er dieses Meer besser als wir. Vielleicht sollten wir doch versuchen, mit Hilfe unserer Aus­rüstung die Stadt anzumessen und ihm den richtigen Kurs verraten.«

»Lieber nicht, Malthor. Sie kennen schon unsere Waffen, das reicht. Wenn die Julkas erfahren, was wir noch alles bei uns haben und was wir damit anfangen können, werden sie noch verrückter darauf, uns alles abzu­nehmen. Je weniger sie wissen, desto bes­ser.«

»Vielleicht hast du recht. Heben wir uns das für den Notfall auf.«

Und dann stand der Rand der Wolke ge­nau über dem Schiff im Zenit.

*

Für einen Augenblick trat völlige Wind­stille ein, dann brach der Orkan los. Er kam mit solcher Plötzlichkeit und Wucht, daß sich der plump gebaute Lastkahn auf die Seite legte und zu kentern drohte. Dann aber richtete er sich wieder auf und stellte den Bug gehorsam gegen den Wind.

Sojul und zwei seiner Männer hielten das Ruder. Der Motor lief mit voller Kraft, aber Malthor war überzeugt, daß sie keinen Me­ter vorankamen.

Neben Asmorth lag er geduckt hinter eini­gen Vorbauten, die gegen den Sturm und die Brecher einigermaßen Schutz boten.

Ihre ursprüngliche Aufgabe hatten sie so gut wie vergessen. Keiner von ihnen glaubte noch daran, daß ihnen andere Arkoniden ge­folgt waren. Hinzu kam, daß sie gar nicht anders hätten handeln können, ohne sich noch mehr in Gefahr zu begeben. Ihre einzi­ge Hoffnung war, eine schwimmende Stadt zu erreichen, auf der so etwas wie die Obrig­keit der Julkas sein mußte. Diese um Hilfe gegen Akon-Akon zu bitten, war alles, was sie noch tun konnten.

Wer aber war diese Obrigkeit? Darüber hatten sie bisher noch nichts erfahren kön­nen.

Ein neuer Brecher überschüttete sie mit

Meerwasser. Sie klammerten sich mühsam fest, und als

sie wieder sehen konnten, stellten sie zu ih­rem Schrecken fest, daß am Ruder nur noch zwei Julkas standen.

Der dritte war verschwunden. »Bleib liegen«, sagte Asmorth und be­

gann, nach vorn zu kriechen, obwohl immer neue Brecher über Bord kamen. »Ich bin dünner …«

Malthor wollte ihn daran hindern, aber es war schon zu spät. Asmorth war bereits au­ßer Reichweite, und das Heulen des Sturmes verschluckte jedes Wort. Er duckte sich wie­der und klammerte sich fest, um nicht über Bord gespült zu werden.

Es schien Ewigkeiten zu dauern, bis As­morth zurückkehrte. Erschöpft ließ er sich in die Mulde fallen und hielt sich an den Auf­bauten fest. Er mußte brüllen, damit Malthor ihn verstand.

»Es war Sojul! Der Brecher schleuderte ihn gegen den Mast und dann ins Meer. Er ist verloren, denn niemand kann ihm hel­fen.«

»Sojul!« Malthor war ehrlich er­schrocken, denn er hatte längst begriffen, daß der Kapitän der einzige Julka war, der richtig mit dem Schiff umgehen konnte. »Ausgerechnet! Was nun?«

»Nichts! Wir müssen warten, bis der Sturm abflaut. Am Horizont wird es bereits heller. Noch ein oder zwei Stunden, dann ist er vorbei.«

»Die beiden Julkas am Steuerruder – was ist mit ihnen?«

»Sie haben es festgebunden und sich selbst auch. Mehr ist nicht zu machen.«

»Hoffentlich gibt es hier keine Klippen.« Das war eine Hoffnung, die Asmorth teil­

te. Schwer stampfte das Schiff gegen die im­

mer höher anrollenden Wogen, über die es träge dahinglitt, um so schneller wieder in das nachfolgende Wellental hinabzugleiten. Mehr als nur einmal wurde fast das ganze Deck überflutet und alles, was nicht fest ver­täut war, über Bord gespült.

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Nach einer Stunde begann der Sturm ab­zuflauen, wie Asmorth es vorausgesagt hat­te. Allerdings würde es noch lange dauern, bis sich das Meer beruhigte.

Sie hangelten sich vor zum Ruder. Einer der Julkas machte einen halbwegs intelligen­ten Eindruck. Eine Verständigung war mög­lich.

»Der Kapitän ist tot«, teilte er mit. »In einem solchen Sturm finden die Raub­

fische reiche Beute. Wir konnten ihm nicht helfen.«

»Du kennst den Kurs zur nächsten Stadt?« fragte Malthor.

»Wir fahren in der ursprünglichen Rich­tung weiter, ich weiß auch nicht mehr als Sojul. Wir können nur hoffen.«

Asmorth sagte: »Gerlo, wir haben keine andere Wahl, als

ihnen zu helfen, sonst treiben wir noch wo­chenlang auf dem Meer herum. Mit dem Massetaster müßte es gelingen, die nächste schwimmende Stadt zu orten.«

»Ich fürchte, du hast recht, Jörn. Erledige das aber in der Kabine und überbringe mir die Daten. Ich will versuchen, den Kurs hier oben zu korrigieren.«

Asmorth begab sich schwankend von Deck.

Es war ein Glück, daß es fast windstill ge­worden war, wenn auch noch immer Bre­cher über die Reling spülten und das Deck überfluteten. Allmählich wagten sich auch die anderen Julkas wieder aus ihren Ver­stecken hervor und begannen damit, die schlimmsten Schäden zu beheben. Den Ver­lust ihres Kapitäns nahmen sie mit stoischer Ruhe zur Kenntnis.

Ihnen schien es egal zu sein, ob sie ihr Ziel in einem Tag oder erst in drei Monaten erreichten.

Asmorth kehrte nach einiger Zeit an Deck zurück.

»Die Entfernung läßt sich nicht genau be­stimmen, da die Werte aus mir nicht erklär­baren Gründen ständig schwanken. Aber ich habe die Richtung. Wir müssen den Kurs um fast fünfzig Grad ändern.«

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»Schön, ich will versuchen, das den Jul­kas klarzumachen.«

Es gelang ihm wider Erwarten ohne lange Diskussion. Die Wasserwesen schienen in dieser Hinsicht ein unbegrenztes Vertrauen zum Können der beiden Fremden zu haben.

Die Demonstration der Waffen hatte einen großen Eindruck hinterlassen.

Der neue Kurs wurde angesteuert und das Ruder entsprechend fixiert. Das Schiff konn­te jetzt nur noch durch die langen Wellen und Wasserströmungen abgetrieben werden. Alle zwei Stunden wollte Asmorth neue Messungen vornehmen.

Malthor ging vor zum Heck und gab As­morth einen Wink, ihm zu folgen. Es be­stand nun keine Brechergefahr mehr, wenn das Schiff auch noch heftig auf und ab schwankte. Aber die Wogen waren niedriger und breiter geworden, wie bei einer starken Dünung.

»Mir ist etwas aufgefallen, Jörn. Hast du nicht auch bemerkt, daß die Julkas von einer gewissen Lethargie ergriffen worden sind? Ich meine, erst seit Sojul über Bord gegan­gen ist.«

»Lethargie?« Asmorth schüttelte den Kopf. »Sie kamen mir eigentlich schon im­mer etwas eigenartig vor. Ich will damit sa­gen, sie waren phlegmatisch, gleichgültig, was immer auch geschah. Ihnen schien alles ziemlich egal zu sein. Ist es das, was du meinst?«

»Ungefähr, ja. Aber seit Sojuls Ver­schwinden hat sich das verstärkt. Vielleicht deshalb, weil sie die Führung verloren ha­ben.«

Als Asmorth nichts sagte, fügte er hinzu: »Und noch etwas ist mir aufgefallen,

Jörn: Rein zufällig habe ich eben auf diesen gelben Fleck geachtet, den sie auf der Kopf­spitze sitzen haben. Er wird blasser. Ob das etwas mit der Lethargie zu tun hat?«

»Dieser gelbe Fleck hat mir schon Sorgen bereitet«, gab Asmorth zu. »Sicher ist es ein Organ, aber welchen Zweck mag es erfül­len?«

Malthor zuckte die Schultern. Er sah hin­

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auf zum Himmel. Die Sonne war längst wie­der zum Vorschein gekommen und ein be­achtliches Stück weitergewandert, aber es würde noch mindestens sieben Stunden dau­ern, ehe sie unterging. Dann begann eine neue, lange Nacht.

*

Den ganzen Nachmittag über war ständig einer von ihnen an Deck und überwachte den Julka am Ruder, der den Anweisungen des »Passagiers« anstandslos folgte. Das Meer war ruhiger geworden, und man konn­te schon wieder die Raubfische erkennen, die das Schiff begleiteten.

Es war noch immer nicht möglich, die Entfernung zu der schwimmenden Stadt zu bestimmen, wenn die Richtung auch ein­wandfrei zu erkennen war. Das aber auch nur, wenn dieser Teil des Masseorters funk­tionierte und nicht etwa defekt war.

Nachdem Asmorth Malthor abgelöst hat­te, überprüfte er den Kurs und klopfte dem Julka am Steuer lobend auf die Schulter, dann legte er sich vorn beim Bug auf die Holzplanken und ließ sich von der sinken­den Sonne bescheinen. Das gleichmäßige Tuckern des Motors wirkte einschläfernd, aber er versuchte wach zu bleiben. Er konnte jedoch nicht verhindern, daß er manchmal für einige Sekunden regelrecht eindöste.

Als er wieder einmal aufsah, war der Platz hinter dem Steuerruder leer.

Der Julka war verschwunden. Asmorth blieb wie erstarrt sitzen, denn er

fand keine Erklärung für das Phänomen. Daß der Julka seinen Platz freiwillig verlas­sen hatte, war einfach undenkbar. Das tat kein Steuermann, der die Verantwortung für alles Leben an Bord eines Schiffes trug. Was aber sollte sonst die Ursache für das seltsa­me Verhalten des Julkas sein?

Es hatte bereits zu dämmern begonnen. Asmorth erhob sich und ging zum Ruder, das noch immer festgebunden war. Das Schiff lief einigermaßen auf Kurs, und der Wind war zu schwach, es abtreiben zu las­

sen. Von dem Julka war keine Spur zu ent­

decken. Asmorth blieb am Ruder und rief nach

den anderen. Zuerst rührte sich nichts, dann hörte er ein

Geräusch. Jemand kam die Treppe hoch, die fürchterlich knarrte, dann erschien Malthor.

»Du brüllst, daß selbst ein Saurier erwa­chen würde. Was ist denn nun schon wieder los?«

Asmorth berichtete, was geschehen war. Malthors Gesicht wurde ernst.

»Ich gehe nach unten und nehme mir den Burschen mal vor. Disziplinlosigkeit wollen wir erst gar nicht einreißen lassen. Sie sind von uns abhängig, also können wir auch Ge­horsam verlangen. Ich schicke dir sofort einen Ersatz hoch.«

Er verschwand in der Luke, und dann ent­fernte sich das Knarren auf der Treppe. As­morth lauschte und konnte ihn rufen hören. Dann trat plötzlich Stille ein.

Vom Bug her näherten sich drei Gestal­ten. Asmorth hatte sie vorher nicht gesehen. Wahrscheinlich waren sie aus der Vorderlu­ke an Deck gekommen und wollten sehen, was passiert war. Er legte seine rechte Hand auf den Griff der Waffe und wartete, denn irgend etwas an den drei Julkas erschien ihm verdächtig. Ihr Gang war schwerfällig und fast torkelnd, so, als wären sie betrunken.

Erst als sie dicht vor ihm standen, sah er, daß sich ihr Äußeres gegen früher verändert hatte. Sie waren dicker geworden, aufgedun­sen und unförmig. Hände und Füße waren so dick geschwollen, daß die Gliedmaßen kaum noch zu erkennen waren.

Asmorth wich unwillkürlich einen Schritt zurück.

»Was ist? Seid ihr krank?« fragte er, weil ihm nichts anderes einfiel.

Er erhielt keine Antwort. Einer der drei wandte sich einfach ab und torkelte zur Re­ling, lehnte sich dagegen und beugte sich weit über, so, als sei ihm schlecht geworden. Dann verlor er das Gleichgewicht und stürz­te über Bord.

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46 Clark Darlton

Asmorth war zu keiner Bewegung fähig und starrte nur sprachlos auf die Stelle, an der eben noch der Julka gestanden hatte. Erst als die beiden anderen sich langsam in Bewegung setzten und ebenfalls zur Reling gehen wollten, kam Leben in ihn.

Er stürzte hinter ihnen her und griff nach ihren Armen, um sie aufzuhalten. Mit eini­ger Verblüffung mußte er feststellen, daß sie ihn mit Leichtigkeit abschüttelten und dann ignorierten. Außerdem wurden sie wieder beweglicher, so, als hätten sie keine Zeit mehr zu verlieren.

Ehe Asmorth sich erneut aufraffen konn­te, hatten sie die Reling erreicht und spran­gen gleichzeitig hinab in das vorbeigleitende und von der Bugwelle aufgewühlte Meer. Wie zwei Steine versanken sie in der Tiefe und tauchten nicht mehr auf.

Asmorth rannte zur Luke. »Gerlo! Komm hoch! Sie sind verrückt

geworden!« Er hörte Malthor etwas antworten, ver­

stand aber kein Wort. Dann tauchte ein Julka auf, taumelte auf ihn zu, schob ihn mit einer achtlosen Gebärde zur Seite und stürzte sich ebenfalls über Bord.

Auch er war unförmig und aufgedunsen. »Gerlo! Komm doch endlich!« Als er abermals keine Antwort erhielt, lief

er die Treppe hinab, bis er Malthor deutli­cher hörte. Hastig eilte er den halbdunklen Gang entlang bis zum Aufenthaltsraum der Mannschaft. In ihm brannte schon Licht.

Malthor stand in der Tür und drehte sich um, als er Asmorth bemerkte. Er deutete in den Raum und sagte nichts.

Auf ihren primitiven Lagern ruhten die restlichen Julkas, ausnahmslos so verformt wie die vier, die sich in die See geworfen hatten. Ihre Glieder waren angeschwollen, und sie reagierten nicht auf die beschwören­den Worte, die Malthor ihnen zugerufen hat­te. Einige schienen sogar zu schlafen.

»Was ist los mit ihnen?« fragte Asmorth und wagte kaum zu atmen. »Sind sie krank?«

»Keine Ahnung. Jedenfalls hat ihre Le­

thargie nun ihren Höhepunkt erreicht.« »Lethargie? Das ist doch kein Grund, sich

freiwillig zu ertränken. Vier sind schon über Bord gesprungen, und ich habe es nicht ver­hindern können.«

Malthor zog Asmorth mit sich auf den Gang und bis hinauf aufs Deck.

»Wir können nichts tun, Jörn, denn wir wissen absolut nichts über sie und ihre Le­bensgewohnheiten. Und in ihrem Zustand wage ich es auch nicht, sie zu paralysieren. Vielleicht ist es wirklich eine ansteckende Krankheit, und sie müssen sich ins Meer stürzen, um sie nicht in die schwimmenden Städte zu bringen. Mit den Burschen ist je­denfalls nichts mehr anzufangen.«

Sie beschlossen, daß einer von ihnen das Ruder übernehmen und der andere schlafen sollte. Um die Julkas wollten sie sich nicht mehr kümmern, denn die scheinbaren Selbstmorde konnten zu Riten gehören, die den Arkoniden unbekannt waren. Vielleicht war das Hinabtauchen ins Meer auch das einzige Mittel, die rätselhafte Krankheit zu bekämpfen, wenn auch dabei der Tod durch die Raubfische als Risiko miteinbezogen werden mußte.

Noch bevor Asmorth sich in die Kabine zurückziehen konnte, erschienen wieder zwei Julkas und verschwanden im Meer. Niemand hinderte sie daran. Es war, als hät­te auch die beiden Arkoniden eine gewisse passive Lethargie ergriffen.

Malthor kümmerte sich nur noch um den Kurs und benutzte nun auch selbst den Mas­seorter. Der Mond war aufgegangen und spendete kärgliches Licht. Ab und zu ver­nahm der Arkonide das Aufklatschen eines Körpers im Wasser, ein Geräusch, an das er sich allmählich gewöhnte, wenn es auch das gewohnte gleichmäßige Tuckern des Motors auf unheimliche Art und Weise unterbrach.

Gegen Mitternacht kam Asmorth, um ihn abzulösen. Sie wechselten nur wenige Wor­te.

Als der Morgen dämmerte, und als Malt­hor wieder die Wache am Ruder übernahm, befanden sich noch vier aufgedunsene und

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nicht mehr ansprechbare Julkas in der Ge­meinschaftskabine.

Das Schiff lag richtig auf Kurs. Ein neuer Tag brach an. Was würde er bringen …?

7.

Gegen Mittag füllten sie Treibstoff nach, den sie im Lagerraum fanden. Die Tanks waren nahezu leer. Malthor schätzte, daß der Motor noch zwei oder drei Tage lief. Wenn sie bis dahin ihr Ziel nicht erreicht hatten, würden sie hilflos auf dem Meer treiben und eine sichere Beute des nächsten Sturmes werden.

Malthor begann es zu bereuen, das Flug­aggregat nicht mitgenommen, sondern in der Hütte gelassen zu haben. Wie hatte er nur so leichtsinnig sein können? Aber es war wohl mehr Übervorsicht gewesen, tröstete er sich.

Die letzten vier Julkas waren schweigend über Bord gegangen.

Malthor und Asmorth waren nun allein auf dem Schiff.

Bis auf das zum Glück immer noch gleichmäßig bleibende Tuckern des Motors herrschte Totenstille auf dem Schiff. Nur wenn man vorn an Deck stand, hörte man auch das Rauschen der Bugwelle. Ab und zu tauchten wieder die Raubfische auf, aber sie schienen träge und faul zu sein – so als wä­ren sie satt.

»Ich verstehe das alles nicht«, gab Malt­hor zu, als sie beide neben dem Ruder saßen und ihre Konzentrate verzehrten, die be­denklich zur Neige gingen. »Erst diese Krankheitsmerkmale, dann hinein ins Meer. Seltsam ist auch, daß sich die gelben Dinger auf dem Kopf vorher verfärbten. Ich fürchte, dahinter steckt mehr, als wir ahnen.«

»Es kann eine Seuche gewesen sein«, ver­mutete Asmorth. »Jedenfalls fühle ich mich unschuldig und kann nur hoffen, wir erwi­schen den Bazillus nicht – wenn es ein Ba­zillus ist.«

»Und noch etwas ist merkwürdig.« Malt­hor sah nachdenklich hinauf in den klaren

Himmel von Ketokh. »Alles begann erst mit dem Tod Sojuls. Als er nicht mehr an Bord war, setzte die Lethargie ein. Dann kam das andere.«

»Vielleicht gibt es da wirklich einen Zu­sammenhang.«

»Vielleicht.« Sie schwiegen. Es gab nicht mehr viel zu

sagen. Vor ihnen lag eine ungewisse Zu­kunft, und selbst dann, wenn sie die schwimmende Stadt erreichten, war nicht si­cher, ob sie einen freundlichen Empfang er­hielten. Wahrscheinlicher war das Gegenteil.

Sorge bereitete ihnen auch der Gedanke an Atlan und Akon-Akon und damit an die entstehende Siedlung. Es war durchaus mög­lich, daß man diese inzwischen überfallen hatte.

War das wirklich geschehen, so würde es schwer sein, die Julkas in den schwimmen-den Städten davon zu überzeugen, daß ihre Hilfe benötigt wurde.

Asmorth stand schweigend auf und ging zum Heck. Der weiße Schaumstreifen, der von der Schraube hervorgerufen wurde, schien sich bis zum Horizont zu erstrecken. Bei seinem Anblick kam es dem Techniker so vor, als sei es plötzlich kühler geworden. Er kehrte zu seinem Gefährten zurück und teilte ihm seine Beobachtungen mit.

»Stimmt!« erwiderte Malthor auf seine diesbezügliche Frage. »Es ist in der Tat käl­ter geworden. Dabei steht die Sonne fast im Zenit. Aber auf diesem verrückten Planeten scheint so ziemlich alles möglich zu sein.«

Asmorth ging nun vor zum Bug und späh­te angestrengt in Fahrtrichtung. Mehrmals wischte er sich über die Augen, als könne er nicht richtig sehen, aber dann wußte er, daß er sich nicht täuschte.

»Da vorn ist etwas«, sagte er zu Malthor. »Die Stadt?« Asmorth schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, daß es die schwimmen-

de Stadt ist. Es sieht vielmehr wie eine nied­rige, weiße Mauer aus, die jemand mitten durch das Meer gezogen hat. Wir fahren ge­nau darauf zu.«

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»Eine weiße Mauer?« Malthor schüttelte ungläubig den Kopf. »Das muß ich mir an­sehen. Von hier aus ist die Aussicht nicht so gut.«

Es dauerte eine Weile, bis auch er den dünnen, hellen Streifen entdeckte, der den Horizont teilte. Bei den hier vorherrschen­den Temperaturen war es unsinnig, an eine Eisdecke zu glauben, aber genauso sah es aus.

»Was glaubst du, was es ist?« fragte As­morth ungeduldig und auch beunruhigt.

»Warte es ab!« riet Malthor. Je mehr Zeit verging, desto breiter wurde

der Streifen. So ähnlich war es auch vor dem Sturm gewesen, nur war die Wolke da grau und dunkel gewesen, aber nicht so weiß wie jetzt. Außerdem wehte ein gleichmäßiger Wind, und er kam aus einer anderen Rich­tung.

»Eine Nebelbank«, sagte Malthor schließ­lich, und fast klang es ein wenig erleichtert. »Natürlich, das ist Nebel, und was für einer! Er reicht vom rechten bis zum linken Hori­zont, und wir müssen hindurch, wenn wir nicht restlos die Orientierung verlieren wol­len.«

Asmorth nahm wieder einige Messungen mit seinen Instrumenten vor, dann meinte er:

»Die Masse, von der wir fest annehmen, daß sie eine der schwimmenden Städte ist, liegt genau in Fahrtrichtung. Eigentlich kann nicht viel passieren, wenn wir blind weiter­fahren. Hindernisse gibt es hier wohl kaum.«

»Das meine ich auch. Wir würden nur Zeit verlieren.«

Die Nebelbank wurde nun in allen Einzel­heiten deutlicher sichtbar. Mit der Unterseite lag sie dicht auf der Meeresoberfläche und füllte sogar die Lücken der Wellentäler aus, die allerdings nur sehr flach liefen. Nach oben gab es lange und kurze Abzweiger, die in den blauen Himmel ragten und sich sche­menhaft verloren. Malthor schätzte die Dicke auf etwa dreihundert Meter, obwohl er sich dabei gewaltig irren konnte. Aber auch eine Höhe von nur zehn Meter hätte genügt, das Schiff völlig im Nebel ver-

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schwinden zu lassen. »Wir müssen die Geschwindigkeit dros­

seln«, riet Asmorth. »Wenn ein Hindernis auftaucht, haben wir keine Zeit mehr zum Stoppen.«

»Hindernis?« Malthor machte ein ungläu­biges Gesicht. »Was für ein Hindernis? Die schwimmende Stadt vielleicht?«

»Zum Beispiel …« »Na und? Ich wäre froh, wenn wir in den

nächsten zehn Minuten an den Gestaden die­ser schwimmenden Stadt stranden würden. Dann wären wir endlich am Ziel – was im­mer das auch sein mag.«

»Oder Klippen und Inseln!« »Wir haben auf der ganzen Fahrt keine

einzige Klippe oder Insel gesehen, auch kein anderes Schiff. Also?«

Asmorth zuckte die Achseln. »Na schön, fahren wir mit Höchstge­

schwindigkeit hinein in die Nebelbank. Du bist der Kapitän jetzt. Aber wenn ich dich wieder ablöse, habe ich das Kommando. Einverstanden?«

»Einverstanden!« Es war eigentlich das erste Mal, daß die

beiden sich ernsthaft stritten, und uneins wa­ren. Auf der anderen Seite respektierte der eine den Standpunkt des anderen, und so konnte es zu keiner echten Auseinanderset­zung kommen.

Es war ein unheimliches Gefühl, als sie genau auf die weiße Mauer zufuhren, die sich vor ihnen auftürmte. Mit den ersten Ne­belfetzen, die an ihnen vorbeizogen, kam ei­ne nasse, unangenehme Kälte, die sie zu­sammenschaudern ließ. Asmorth hatte dienstfrei, aber er verzichtete darauf, in die Kabine zu gehen. Er stand vorn am Bug, während Malthor beim Ruder und der Ma­schine blieb, um diese im Notfall sofort stoppen zu können.

Dann bohrte sich das Schiff in die plötz­lich kompakt wirkende, weiße Masse, und von einer Sekunde zur anderen ging, jede Sicht verloren. Asmorth sah ein, daß es sinn­los war, nach einem eventuellen Hindernis Ausschau zu halten. Er konnte den wenige

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Meter entfernten Malthor nur noch als sche­menhaften Schatten erkennen.

Vorsichtig tappte er bis zum Ruder. Es war, als ginge er durch Watte, und seine Stimme klang seltsam hohl, als er sagte:

»Gerlo, du bist verrückt, wenn du das Tempo nicht verringerst!«

Bald darauf tuckerte der Motor etwas langsamer.

»Viel Sinn hat es kaum, Jörn. Überzeuge dich lieber, ob der Massetaster noch arbeitet. Ich fürchte, er gibt falsche Werte an, aber das hängt auch davon ab, welchen Durch­messer die Nebelbank hat.«

Asmorth beschäftigte sich mit den Instru­menten und teilte dann das Ergebnis mit:

»Die Stadt liegt vor uns, daran kann kein Zweifel bestehen. Leider kann ich weder die Entfernung zu ihr noch die Dicke der Nebel­wand bestimmen. Aber die Richtung stimmt.«

»Mehr brauchen wir vorerst nicht.« Asmorth machte in diesem Augenblick

den entscheidenden Fehler, das Gerät wieder abzuschalten, statt auch die anderen Rich­tungen zu kontrollieren. So nur konnte es geschehen, daß er keine Werte des Objekts erhielt, das in einem Winkel von nahezu neunzig Grad auf das Schiff zukam.

Dieses Objekt war ein anderer Lastkahn, allerdings fast doppelt so groß wie der von Sojul. Geschwindigkeit und Kurs der beiden Schiffe war derart, daß eine Kollision unver­meidlich bleiben mußte, wenn sich daran nichts änderte.

Genau zweitausend Meter vor ihrem Bug kreuzten sich die beiden Linien …

*

»Ich gehe jetzt nach unten«, sagte As­morth. Der Nebel hatte ihn bis auf die Haut durchnäßt. Er zitterte vor Kälte. »Du hast mehr Fett und frierst nicht so.«

»Geh nur, du kannst hier ohnehin nichts mehr tun.«

Malthor konnte ihn nur ein paar Meter weit sehen, dann verschluckte ihn der Nebel.

Er hörte ihn die Treppe hinuntergehen, dann trat wieder Stille ein.

Nach einer Weile glaubte Malthor, der Motor liefe nicht mehr so regelmäßig wie immer. Sollte der Treibstoff schon aufge­braucht sein? Das war so gut wie unmöglich. Aber vielleicht war eine der Leitungen ver­stopft.

Nur jetzt nicht! dachte er erschrocken. Meine Hände sind jetzt schon so klamm, daß sie kaum das Ruder halten können.

Zum Glück war das nicht notwendig, denn das Ruder war festgebunden. An sich war das ein sträflicher Leichtsinn, denn er hätte es im Notfall kaum lösen können, we­nigstens nicht sehr schnell.

Wurde der Motor lauter? Er lauschte, und dann war ihm, als habe

das Schiff plötzlich zwei statt nur einem Motor, und der andere lief ein wenig schnel­ler.

Die Erkenntnis dessen, was wirklich ge­schah, traf ihn wie ein Schlag. Er begriff, daß er tatsächlich das Geräusch eines zwei­ten Motors hörte, aber es kam aus einer ganz anderen Richtung, nämlich von rechts. Und es näherte sich mit unheimlicher Geschwin­digkeit.

Ein anderes Schiff fuhr direkt auf sie zu! »Jörn!« brüllte Malthor, so laut er konnte.

»Asmorth! Komm an Deck, schnell!« Mit seinen steifen Fingern versuchte er,

den Knoten des Seils zu lösen, mit dem er das Steuerruder festgebunden hatte. Als sei­ne Bemühungen nicht fruchteten, fiel ihm das Messer ein, das im Gürtel steckte. Er riß es aus der Scheide und zerschnitt das Seil.

Aber es war zu spät. Asmorth stolperte an Deck. »Was ist los, Gerlo?« Seine Frage war überflüssig, denn in die­

sem Moment geschahen zwei Dinge gleich­zeitig: Das Tuckern des anderen Motors war so laut geworden, daß es nicht mehr über­hört werden konnte, und aus dem dicken Ne­bel tauchte plötzlich wie aus dem Nichts ein riesiger, schwarzer Schatten auf.

Und das dritte Ereignis einige Sekunden

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später war das fatalste. Knirschend bohrte sich der Bug des ande­

ren Schiffes in die Breitseite von Sojuls Kahn und schnitt ihn glatt in zwei Hälften.

Malthor sah die Bordwand des fremden Schiffes nur zwei oder drei Meter vor seinen Füßen an sich vorbeigleiten. Er glaubte so­gar, die Schatten einiger Besatzungsmitglie­der erkennen zu können und begann sofort zu rufen, um sie auf sich aufmerksam zu machen.

Dann begannen sie schnell zu sinken. »Ins Wasser und wegschwimmen!« rief

Asmorth und ließ seinen Worten die Tat fol­gen.

Malthor hechtete hinter ihm her, um nicht von dem entstehenden Strudel in die Tiefe gezogen zu werden. Das andere Schiff war längst im Nebel verschwunden, aber das Tuckern seines Motors war verstummt.

»Wo bist du, Jörn?« »Hier!« Sie fanden sich wieder und klammerten

sich an einer Holzplanke fest, die ihnen ein gütiges Schicksal zutrieb. Im Vergleich zu dem Nebel war das Meerwasser fast warm. Unter ihren Füßen war ein Abgrund, in dem die Raubfische lebten, und um sie herum war nichts als undurchdringlicher Nebel.

Das Tuckern des Motors setzte wieder ein, langsam und zögernd. Es schien aus verschiedenen Richtungen zu kommen, nä­herte sich einmal und entfernte sich dann wieder. Der Kapitän des anderen Schiffes hatte zweifellos die Suche nach den Überle­benden des gerammten und gesunkenen Fahrzeugs aufgenommen.

Malthor und Asmorth brüllten aus Leibes­kräften, um die Rettungsaktion zu unterstüt­zen. Bei der geringen Sicht konnte es nur ein Zufall sein, wenn man sie fand.

Einmal glitt der dunkle Schatten ganz dicht an ihnen vorbei, aber niemand hörte ihr Rufen. Dann waren sie wieder allein in der Wasserwüste und dem Nebel. Malthor begann heiser zu werden.

Dann verstummte der Motor abermals. Stille trat ein. Die beiden Arkoniden konn-

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ten aber die Julkas sprechen hören. Der Ne­bel trug den Schall weit.

Dann war ein Platschen zu hören, und wieder Stimmen. Die Julkas hatten ein Boot zu Wasser gelassen, um die Suche nach den Überlebenden intensiver gestalten zu kön­nen. Wahrscheinlich trauten sie sich nicht, selbst ins Wasser zu springen. Sie hatten wohl Angst vor den Raubfischen.

Ruderschläge! Malthor begann wieder zu rufen. Er be­

nutzte sogar einige Worte der Julkasprache. Auch Asmorth bemühte sich, die nahen Ret­ter auf sich aufmerksam zu machen.

Endlich tauchte der Schatten des Bootes auf. Es näherte sich den Schiffbrüchigen nur sehr vorsichtig, und dann reckten sich ihnen die Arme mehrerer Julkas entgegen.

Man zog sie an Bord, wo man sie aller­dings mit Verwunderung und dann voller Mißtrauen betrachtete. Es war nicht unbe­dingt ein sehr freundlicher Empfang, aber die beiden Arkoniden waren viel zu er­schöpft, jetzt darauf zu achten.

Erst als die Julkas damit begannen, nach weiteren Überlebenden zu suchen, raffte sich Malthor auf und machte ihnen verständ­lich, daß es keine Überlebenden mehr gab. Er spürte, daß nun das Mißtrauen noch grö­ßer wurde, aber er hatte keine Lust, weitere Erklärungen abzugeben. Wenigstens jetzt noch nicht.

Vom Schiff her kamen in regelmäßigen Zeitabständen mißklingende Signaltöne, um dem Boot die Richtung anzugeben. Die Jul­kas begannen zu rudern, auf das Signal zu.

Mit einigen Schwierigkeiten kletterten Malthor und Asmorth an Bord, wo sie von anderen Julkas in Empfang genommen wur­den. Ein breitgebauter Bursche schien der Kapitän zu sein, denn er begann sofort da­mit, die Geretteten auszufragen. Malthor versuchte, ihm zu antworten, und er verstand sogar, was man von ihm wissen wollte.

Wo die Besatzung des gesunkenen Schif­fes sei?

Die Verständigung war mühevoll, fast un­möglich. Das Mißtrauen der Julkas wurde

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immer größer. Asmorth begann sogar zu vermuten, daß man sie am liebsten wieder ins Meer geworfen hätte. Doch dazu kam es zum Glück nicht, denn plötzlich drängte sich einer der Julkas durch die Herumstehenden und rief in einem verständlichen Gemisch von Arkonisch und der Julkasprache:

»Die beiden Freunde!« Er kam näher und klopfte den beiden Arkoniden auf die Schul­ter. »Ich bin es, Tossel! Ich wollte euch in der Stadt treffen …«

Der Kapitän stellte ihm einige Fragen, und dann diente Tossel als Dolmetscher.

Endlich konnten Malthor und Asmorth berichten, was geschehen war. Sie schilder­ten die geheimnisvolle Krankheit in allen Einzelheiten und verschwiegen auch das merkwürdige Endresultat nicht.

Tossel sagte: »Wir hörten von dieser Erscheinung, aber

es gibt keine Erklärung dafür. Versucht euch zu erinnern, jede Kleinigkeit ist wichtig für uns.«

Malthor entsann sich des gelben Flecks auf der Kopfspitze, der im fortschreitenden Stadium verblaßte.

Als Tossel das hörte, schien er zu er­schrecken. Unwillkürlich glitt seine Hand über seinen eigenen Fleck, aber er sagte nichts mehr. Er gab lediglich dem Kapitän einen Wink, der daraufhin zur Maschine zu­rückkehrte und sie anwarf.

Das Schiff setzte seine Fahrt durch den Nebel fort.

*

Malthor und Asmorth stellten fest, daß noch mehr Julkas an Bord waren, die sie kannten. Sie waren ebenfalls im Haus von Fitschel gewesen, als dieser das Gastmahl zu Ehren der beiden Fremden gab.

Außerdem hielt Tossel noch eine Überra­schung für sie bereit.

Die Julkas hatten eine kleine Kabine für die Geretteten frei gemacht, in der sie den Rest der Reise verbringen sollten. Nicht als Gefangene, sondern als Gäste. Tossel tauch­

te etwas später auf und nahm Platz. Er deu­tete auf die Tür und meinte:

»Sie bleibt unverschlossen, aber der Kapi­tän bittet euch, in der Kabine zu bleiben. Wir werden bald die schwimmende Stadt er­reichen. Dort erfahrt ihr mehr. Und noch et­was:

Ich habe das Paket mitgebracht, das ihr in der Hütte versteckt hattet.«

Malthor ergriff seinen Arm. »Die Ausrüstung? Wo konntest du sie fin­

den?« »Es war einfach, Freund. Und ich dachte

mir, vielleicht könnt ihr sie brauchen. Ist da auch der Apparat dabei, mit dem man flie­gen kann?«

»Woher weißt du das?« »Ich habe Geschichten gehört«, wich Tos­

sel aus. Malthor sah keinen Sinn darin, es abzu­

streiten. »Ja, der Apparat ist dabei, aber es ist ge­

fährlich, ihn zu berühren, wenn man ihn nicht kennt. Jedenfalls danke ich dir sehr, daß du ihn gebracht hast. Bei der Ausrü­stung ist auch Essen für uns, außerdem Werkzeug. Vielleicht können wir dir auch einmal helfen.«

»In der Stadt bestimmt nicht«, gab Tossel zurück, und es klang nicht nur geheimnis­voll, sondern auch voller Sorge.

Als sie allein waren, fragte Asmorth: »Was hältst du von allem? Warum haben

sie Angst vor der Stadt, und gehen trotzdem hin? Irgend etwas ist merkwürdig daran. Vielleicht haben sie auch nur Angst vor den geheimnisvollen Herrschern, von denen wir so gut wie nichts wissen.«

»Wir werden es erfahren«, vermutete Malthor.

Sie hatten die Kleidung ausgezogen und getrocknet, zwischendurch ein wenig ge­schlafen und dann gegessen. Draußen auf dem Meer begann es dunkler zu werden, aber der Nebel war noch immer da.

In ein oder zwei Stunden begann die Nacht.

Dann aber wurden Rufe laut, ein Signal­

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horn ertönte. Oben an Deck war das Tram­peln vieler Füße zu hören. Tossel erschien in der Kabinentür.

»Die Stadt! Man kann sie sehen …!« »Dürfen wir an Deck?« »Kommt!« Malthor und Asmorth ließen sich das

nicht zweimal sagen. Sie liefen hinter Tossel her, der so stark watschelte, daß man jeden Augenblick befürchten mußte, er kippe um. Wahrscheinlich behinderten ihn die Schwimmhäute beim Gehen.

Es war schon dämmerig, aber der Nebel war verschwunden. Wie eine weiße Wand lag er hinter dem Heck des Schiffes.

Vor dem Bug aber strahlten die Lichter der Stadt.

Sie lag wie eine riesige Insel vor dem Schiff, mit gewaltigen Hochbauten und ge­wagten Konstruktionen, die ein Gebäude mit dem anderen verbanden. Einen richtigen Strand schien es nicht zu geben. Die Häuser standen einfach im Wasser.

Sie schwammen! Vergeblich versuchten Malthor und As­

morth das Rätsel zu lösen. Es war ihnen klar, daß derartig große und hohe Gebäude nicht einfach im Meer schwammen. Auf ir­gend etwas mußten sie stehen.

Auf dem Meeresgrund vielleicht? Tossel gab keine Antwort, als sie ihn frag­

ten. Überhaupt schien er schweigsamer ge­worden zu sein. Machte er sich Sorgen um das Schicksal seiner fremden Freunde?

Und wenn ja, warum? Das Schiff fuhr mit verringerter Ge­

schwindigkeit auf die Stadt zu. Zwei weit ins Meer hinausragende Molen – ob auch sie auf der Wasseroberfläche schwammen? – verrieten den Hafen. An ihren Köpfen brannten weithin sichtbare Leuchtfeuer.

Der Kapitän gab Tossel einen Wink und sagte etwas, das die Arkoniden nicht ver­standen.

Tossel kam zu ihnen. »Geht zurück in die Kabine, Freunde. Der

Kapitän will es so.«

Clark Darlton

»Warum denn? Wir haben nicht die Ab­sicht, wegzulaufen.«

»Ihr müßt tun, was der Kapitän sagt. Kommt!«

Sie warfen einen letzten Blick auf die Lichter der Stadt, die im Meer schwamm und keinen Strand hatte, dann folgten sie Tossel, der auf diesem Planeten ihr einziger Freund zu sein schien.

Als sie auf ihren Betten saßen und es draußen vor dem kleinen Bullauge dunkel wurde, sagte Malthor:

»Ich weiß nicht, was uns bevorsteht, aber ich glaube nicht mehr daran, daß die Julkas uns gegen Akon-Akon helfen werden. Sie scheinen ihre eigenen Probleme zu haben. Es ist gut, daß wir Tossel kennen.«

»Ich fürchte, er kann uns auch nicht hel­fen, Gerlo. Er scheint eine Art Gefangener zu sein – wie alle Julkas. Aber wessen Ge­fangenen sind sie …?«

Malthor sah durch das Bullauge die ersten Lichter auftauchen.

»Ich weiß es nicht.« Die Bordwand scheuerte gegen die Mole,

dann gab es einen Ruck. Das Schiff war am Ziel angelangt. Dann trat Ruhe ein. Asmorth streckte sich auf seinem Bett

aus. »Was immer auch geschieht, Atlan wird

uns herausholen. Er läßt niemanden im Stich.«

Das hoffte Malthor auch. Sie konnten beide nicht ahnen, daß Atlan

noch mehr in der Tinte steckte als sie selbst. Und Fartuloon war ebenfalls ein Gefange­

ner. Die Lage war hoffnungslos. Ketokh drohte, ein Planet ohne Rückkehr

zu werden …

ENDE

E N D E