Die Zeit: Ein Reaktor, der nicht spaltet

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  • 8/8/2019 Die Zeit: Ein Reaktor, der nicht spaltet

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    18. November 2010 DIE ZEIT N o 47 85

    Ein Reaktor, der nicht spaltetBis Pater Karl kam, interessierte sich niemand fr sterreichs einziges Kernkraftwerk. Heute ist der nie betriebene Meiler eine Sehenswrdigkeit VON JOHANNES SCHWEIKLE

    REISEN

    Der Zisterzienser-Mnch Pater Karl in der Schleuse des AKW Zwentendorf. Fhrungsteilnehmer fotografieren sich mit Aussicht auf die Donau

    Pater Karl steht auf der Kanzel. Dassthlerne Gelnder ist in einem Oran-ge aus den siebziger Jahren lackiert.

    ber ihm tun sich hundert kreisrundeffnungen auf, rtselhafte Stbe ragen

    aus der Decke. In seiner randlosen Brille spiegelnsich Bndel von silbrig glnzenden Rohren. Mitstaunenden Augen schaut er sich um, sein Blickbleibt an der Doppelschleuse hngen. Die gepan-zerten Luken sehen aus wie Riesenbullaugen. Icherwarte, dass gleich Captain Kirk auftaucht, sagtder Mann im schwarz-weien Habit. Er ist nichtzum ersten Mal auf dieser Kanzel, schttelt abernoch immer verwundert den Kopf. So was wiehier gibts nur hier.

    Zwei Meter unter ihm steht Stefan Zach. Er trgtein rotes Poloshirt mit dem Logo der EVN, der Ener-gieversorgung Niedersterreich. Mit frhlicherMiene erklrt der Unternehmenssprecher, dassdiese Kanzel eine Steuerstabwechselbhne ist. Vonhier werden die Steuerstbe zwischen den Brennele-menten in den Reaktor eingefahren. Man muss sichjetzt aber keine Sorgen machen, denn das Kernkraft-werk in Zwentendorf bei Wien ist keine Sekunde inBetrieb gewesen. Nichts strahlt hier, die grteGefahr droht von der Schleuse. Die gepanzertenLuken, die diesen Raum im Notfall abriegeln, sind

    mit Grafit geschmiert. Diese Flecken kriegen Sienie wieder raus, sagt Zach, da hilft nur noch dieGewandschere. Seine Warnung nutzt aber nichts,denn die fnfzig Rentner, die heute den Reaktorbesichtigen, drngen ohne Rcksicht auf Janker undPopelinejacken in den engen Antriebsraum.

    Das unterscheidet uns von anderen:Wir bauen erst und fragen dann

    sterreichs einziges Atomkraftwerk steht direktan der Donau. Der viereckige, mit grauem Eternitverkleidete Klotz ragt 64 Meter ber die flacheFlussaue. In seinem Schlagschatten flattert einerot-wei-rote Fahne ber einem Kinderspielplatz,daneben steht eine Holzhtte. An dieser Jausen-station machen jeden Sommer ein paar TausendRadfahrer Rast der Donauradweg fhrt direktam Werksgelnde vorbei. Zu Beginn der Fhrunghat Stefan Zach die Teilnehmer in einem Neben-gebude empfangen und gebeten, falls ntig,gleich hier noch einmal auf die Toilette zu gehen.Das Kernkraftwerk hat zwar 1050 Rume, aberkein Klo. Die Fkalien eines Reaktortechnikers imDienst gelten als radioaktiver Mll. Den mssteman eigens entsorgen. Deshalb ist in einem Kern-kraftwerk alles verboten, was Spa macht: Essen,Trinken, Rauchen.

    Dann referiert Zach die Geschichte von Zwen-tendorf. Siemens hat diesen Siedewasserreaktorgebaut, 1978 war er fertig. Die Brennelementewaren gekauft, 200 Mitarbeiter eingestellt, manhtte nur noch auf den Knopf drcken mssen.Whrend des Baus uerten sich kritische Stimmengegen die Kernenergie. Kanzler Bruno Kreisky liedas Volk abstimmen. Er war sich seiner Sache sosicher, dass er seine politische Zukunft an das Kraft-werk knpfte: Wer ihn wolle, msse dafr sein.

    Das war ein Fehler. Im Volk herrschte Fortschritts-euphorie, es gab noch keine grne Bewegung. Aberdie Rechte mochte den Linken Kreisky nicht. Sostimmte sterreich am 5. November 1978 mit50,47 Prozent gegen sein betriebsbereites Kernkraft-werk, das umgerechnet eine Milliarde Euro gekostethatte. Das unterscheidet uns von vielen Lndern,sagt Stefan Zach trocken. Wir bauen erst und fragendann, was mit dem Bau geschehen soll.

    Wie aber kommt der Mnch ins Atomkraft-werk? Karl Wallner, 47 Jahre alt, ist gro und schaut

    offen in die Welt. An seinem Kinn spriet ein dn-ner Bart. Pater Karl gehrt zu den Zisterziensernder Abtei Heiligenkreuz im Wienerwald. An derdortigen Hochschule unterrichtet er katholischeDogmatik. Bekannt geworden ist er jedoch durcheine CD mit gregorianischen Gesngen, die er mitseinen Mitbrdern aufgenommen hat. Diese schaff-te es in die Top Ten der britischen Popcharts. Alseine Monsterwelle des ffentlichen Interesses berdie Mnche zu branden drohte, holten sie sich Ratbei dem PR-Profi Stefan Zach. Seine Tipps warenrettend, sagt Pater Karl.

    Irgendwann erzhlte der Pater dem Pressespre-cher, dass er 1978 gegen sein Kraftwerk protestier thabe. Dann schaus dir doch mal an, sagte Zach.Ob er auch ein paar Freunde mitbringen drfe,fragte Wallner. Und so machte das Stift Heiligen-kreuz dieses Frhjahr einen Ausflug ins Kernkraft-werk. 120 Mnche und Studenten kamen, der Abtsegnete die Anlage, und weil das Interesse so growar, bietet die EVN seit diesem geistlichen Probelaufffentliche Fhrungen an. Und der Pater hat sichzum Botschafter von Niedersterreich ernennenlassen. Seine Mission besteht darin, das Bundesland

    jenseits der Heurigen-Klischees zu zeigen. Da passtZwentendorf ins Bild.Die Fhrungen finden berwiegend im Konjunk-

    tiv statt. Hier htte jeder Angestellte ein Dosimeterbekommen, das die Strahlung anzeigt, erklrt Zachan der Schleuse am Eingang. Im Nebenraum httendie Angestellten sich umgezogen. ber nie benutz-ten Waschbecken hngt eine Garnitur Doppelripp-Unterwsche in Orange. Die auffllige Farbe solltedaran erinnern, die kontaminierte Unterhose nachder Arbeit auszuziehen. Sie wre dann mit der brigenArbeitskleidung im Kraftwerk gewaschen worden.

    Als 1986 in Tschernobyl der Atomreaktor ex-plodierte, da sahen wir das als spte Besttigung fr

    unseren Volksentscheid, sagt Stefan Zach. DerSprecher des Energieversorgers bekennt offen, dasser gegen Kernkraft ist. Als Aktivisten von Greenpeace

    gefragt haben, ob sie an der Fassade des Kraftwerksdas Abseilen ben drften, hat er Ja gesagt. Aberwir sind hier nicht alle einer Meinung. Der HerrSieberer ist, glaube ich, ein berzeugter Anhngerder Atomkraft. Karl Sieberer fhrt die zweite Hlf-te der Gruppe. Die Flure, Aufzge und Treppen-huser sind zu eng fr 50 Personen auf einen Schlag.Sieberer ist Elektrotechniker, 1978 war er 22 Jahrealt und stolz wie Bolle. Er ha tte eine Stelle im Kraft-werk, dem die Zukunft zu gehren schien, undfhlte sich den Kollegen aus der Wasserkraft turm-hoch berlegen. Wir waren die Gtter der E-Wirt-schaft, sagt er, und noch immer tue ihm das Herzweh, wenn er zur Fhrung durch seinen Beinahe-

    Arbeitsplatz eingeteilt werde. Aber Sieberer hadertnicht. Er ist in der Volksabstimmung unterlegenund hat seinen Frieden mit dem Thema gemacht.

    Der Besucher aus Deutschland staunt darber,wie sterreich den Konflikt um die Kernkraft gelsthat. Statt sich ber Castor-Transporte zu echauf-fieren, statt geologische Details von undichten End-lagern zu diskutieren, schlendern in diesem atomarbefriedeten Land Gegner und Befrworter derKernspaltung rmel an rmel durch die langen,

    beigefarben gestrichenen Flure. Schulter an Schul-ter passieren sie Stahlwnde, die Flugrost angesetzthaben. Wir waren eher dagegen, sagt der Leiterder Seniorengruppe jovial. Eine weihaarige Frau,auf einen Krckstock gesttzt, sagt: Jo eh.

    Im Atomkraftwerk gibt es keine Stockwerke. ImAufzug werden Hhenmeter angezeigt. Bei 39,4steigt die Gruppe aus und geht zur Brennelement-wechselbhne. Von hier fllt der Blick in das Herzder Finsternis: einen grauen Zylinder, 20 Meter tief,gut 5 Meter dick, oben offen. Dies ist der Reaktor-druckbehlter, hier wren die Atome gespaltenworden. Der Reaktordeckel steht daneben, auf dreiSulen aufgebockt. Er besteht aus geschmiedetemStahl und strahlt eine monstrse Faszination aus.Man kann sich drunterstellen und sich gruseln: Waswre, wenn einer der drei schenkeldicken Stahlbol-zen brechen wrde? Dann wre man unter einer 60Tonnen schweren Kuppel lebendig begraben.

    Zwentendorf steht wie kein zweiter Ort insterreich fr ein permanentes Scheitern, sagtStefan Zach. Es gab Plne, die Anlage zu einemGaskraftwerk umzursten. Friedensreich Hundert-wasser wollte ein Museum der fehlgeleiteten Tech-nologien einrichten. Das graue Monument derSinnlosigkeit zog auch Udo Proksch magisch an.Der zwielichtige Unternehmer, der sein Leben imGefngnis beschloss, hatte unter anderem einenVerein der Senkrechtbegrabenen gegrndet. DasFreigelnde um den Reaktor dnkte ihn der rechteOrt, Verstorbene in durchsichtigen Behltern aus-zustellen. Hollywood wollte im leer stehendenKraftwerk einen Film drehen, Dolph Lundgrensollte die Welt vor Atomterroristen retten. Dannging die Produktionsgesellschaft pleite.

    Im Winter geht gar nichts.Das Kraftwerk hat keine Heizung

    Das Parlament in Wien verabschiedete 1999 ein-stimmig ein Gesetz fr ein atomfreies sterreich.Trotzdem verdient die EVN mit ihrem Kernkraft-werk Geld. Sie verkauft Ersatzteile nach Deutsch-land, die Reaktoren in Brunsbttel, Philippsburgund Krmmel sind hnlich gebaut. Und die Be-treiber von Atomkraftwerken in aller Welt schi-cken ihre Mitarbeiter zur Schulung. Sie kommenaus Deutschland genauso wie aus Indien undben hier den Wechsel von Brennelementen.

    Die Inder knnten auch an einer Anlage in Li-tauen ben, sagt Zach, aber die wollen am Wo-chenende nach Wien. An der Auenhaut desgrauen Riesen hngen quadratmeterweise blaueZellen. Sie produzieren Solarenergie. Gemeinsammit der TU Wien entwickelt die EVN in ihrem

    Atomkraftwerk die Photovoltaikanlagen weiter.Einer der Rentner, offenkundig Hausbesitzer,zeigt Interesse: Lsst sich schon sagen, welcheModule die besseren san?

    Die Fhrungen durch das Geisterkraftwerk sindein Renner geworden. Die EVN kann die Nach-frage nicht bewltigen, es gibt Wartelisten. Und im

    Winter geht gar nichts. Dann khlen die Rumezwischen den 1,2 Meter dicken Stahlbetonmauernaus. Und das Kraftwerk, das 1,7 Millionen Haus-halte mit Strom versorgen sollte, hat keine Heizung.

    Wenn der Reaktor im Betrieb wre, wrde die An-lage Dampf erzeugen, und es wre warm genug.

    Hier sehen Sie ein wunderschnes Stck ster-reichischer Zeitgeschichte, sagt Pater Karl. Erkommt gern nach Zwentendorf. Zum einen erinnertdieser Ort ihn an den Protest seiner Jugend. Vorallem aber ist er fr ihn ein Symbol. Der grne

    Mnch ist stolz darauf, dass sterreich seinen Son-derweg jenseits der Atomenergie gefunden hat. Ichbin froh, dass ich nicht in Deutschland lebe. WennGste ber die Geschichte von der Volksabstimmungschmunzeln, ficht ihn das nicht an. A bisserl bldgelaufen ist das schon, sagt Pater Karl. Aber wirmssen uns fr diese Ruine nicht schmen.

    Zwentendorf liegt 40 Kilometer nordwestlich vonWien. Die kostenlosen Fhrungen finden jedenFreitag statt, sind jedoch fr dieses Jahr bereits aus-gebucht. Nach der Winterpause beginnen sie wiederim Mrz. Anmeldung unter www.zwentendorf.com

    www.zeit.de/audio

    Fotos(Ausschnitte):PhilippHorakfrDIEZEIT/www.p

    hilipphorak.com

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    ZwentendorfWien

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