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WISSEN AUS ERSTER HAND VERFAHRENSTECHNIK 2/2007 M AX P LANCK F ORSCHUNG 53 Manche chemischen Prozesse verhalten sich wie gutmütige Monster: Sie lassen sich zwar bändigen, sind aber kaum berechenbar – und kosten die chemische Industrie daher Millionen. KAI SUNDMACHER und seine Mitarbeiter am MAX-PLANCK-INSTITUT FÜR DYNAMIK KOMPLEXER TECHNISCHER SYSTEME vereinfachen solche widerborstigen Verfahren radikal. Dabei genügt manchmal ein Schritt, wo die Industrie bislang zwei braucht. T eppichböden, Regenjacken, Da- menstrümpfe – die Liste der Produkte, in denen Nylonfasern ver- arbeitet sind, ist lang. Mehr als vier Millionen Tonnen des zähen und fes- ten Polyamids stellt die chemische Industrie jährlich her – über mehrere teilweise schwierige Stufen. Einen dieser bislang aufwändigen Prozess- schritte effektiver zu gestalten spart große Mengen Energie, Rohstoffe und natürlich Geld. Genau das ist unser Ziel – genauer gesagt, ein Etappenziel. Denn der Produktionsweg für Nylon ist nur ein Beispiel, an dem wir unsere Metho- den anwenden. Am Ende möchten lagen, um die Prozessintegration zu erleichtern, kennt man noch nicht. Daher gehen Chemie-Ingenieure der- zeit meist so vor: Sie lassen einen Re- aktionsschritt auf dem Weg zum ge- wünschten Produkt ablaufen, trennen das Zwischenprodukt ab, reinigen es und leiten damit den zweiten Reakti- onsschritt ein. So kommt, wie beim Nylon, leicht eine Folge von einem halben Dutzend Reaktionen zusam- men, die sich mit der jeweils anschlie- ßenden Separation abwechseln. Unter Separation versteht man alle denkbaren Methoden, um ein Pro- dukt aus einem Reaktionsgemisch zu isolieren und zu reinigen. Das ist nö- tig, weil eine chemische Reaktion nur sehr selten ausschließlich die ge- wünschte Verbindung liefert. Ganz abgesehen davon enthalten Reakti- onsgemische oft Katalysatoren oder andere Hilfsstoffe – und die Lösungs- mittel, in denen die meisten Reakti- onen stattfinden, muss man auch wieder loswerden. Als eine Möglichkeit, Prozesse zu intensivieren, versuchen wir daher Reaktion und Separation gleichzeitig ablaufen zu lassen. Wir rütteln also an dem Prinzip der unit operations, demzufolge diese beiden Schritte immer nacheinander stattfinden. Für diese Form der Prozessintegration gibt es verschiedene Möglichkeiten. Eine ist die reaktive Destillation, die wir auf dem Weg zum Cyclohexanol respektive zum Nylon einsetzen. Wenn Chemiker ein Stoffgemisch destillieren, nutzen sie aus, dass die meisten Flüssigkeiten bei unterschied- Kurzer Prozess im chemischen Reaktor wir ein Schema entwickelt haben, das wir auf alle Herstellungsprozesse anwenden können. Dabei geht es uns nicht darum, chemische Verfahren um zwei bis drei Prozent zu optimie- ren. Wir möchten die Effizienz im Idealfall um mehrere Größenord- nungen steigern. Wir nennen das Prozessintensivierung. Wir widmen uns dabei vor allem solchen Prozes- sen, in denen Komplikationen beson- deren Aufwand mit sich bringen – weil entweder die Reaktion nicht ordentlich verläuft oder besonders gefährlich ist oder weil sich die Pro- dukte nur schwer trennen lassen. Um solch einen Prozess deutlich zu intensivieren, reicht es nicht, hier die Temperatur etwas zu verändern und dort den Druck ein wenig zu er- höhen. Dafür müssen wir alles in einem solchen Verfahren hinterfra- gen: die Energiequellen, die Lösungs- mittel, Katalysatoren, natürlich auch Druck und Temperatur. Aber vor allem, ob wir den Prozess nicht völ- lig anders aufbauen müssen. Ob wir nicht einen ganz anderen Reaktions- weg verfolgen können, um das ge- wünschte Produkt am Ende effizi- enter zu produzieren. Ob wir etwa von anderen Ausgangsstoffen ausge- hen können. Oder ob nicht ein Schritt reicht, wo die chemische Industrie bislang zwei macht. Manchmal ist es aber auch sinnvoll, einen zusätz- lichen Reaktionsschritt einzubauen, wenn der gesamte Prozess damit un- term Strich effizienter wird. Solch ein chemischer Umweg soll uns etwa helfen, Cyclohexanol einfacher her- zustellen, einen Ausgangsstoff des Nylons. Seine Produktion ist derzeit noch verbesserungsfähig. WARUM ZWEI SCHRITTE, WENN EINER REICHT? Dass wir Cyclohexanol trotz eines chemischen Umwegs am Ende effizi- enter produzieren, liegt auch daran, dass wir dabei manche Prozessschritte zusammenfassen. Wir bezeichnen das als Prozessintegration. Das klingt erst einmal nahe liegend, ist aber im De- tail sehr kompliziert. Viele chemische, physikalische und technische Grund- An einem Terminal steuert Hannsjörg Freund die Reaktiv- destillation, die Patrick Siegmund (linkes Bild) inspiziert. FOTOS: BASTIAN EHL

WISSEN AUS ERSTER HAND im T chemischen Reaktor · Reaktor leiten, für den es neben der ersten Anlage noch Platz gibt. Dort wollen wir ACE zu Cyclohexanol spalten. Doch erst einmal

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WISSEN AUS ERSTER HAND VERFAHRENSTECHNIK

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Manche chemischen Prozesse verhalten sich wie gutmütige Monster: Sie lassen sich zwar

bändigen, sind aber kaum berechenbar – und kosten die chemische Industrie daher Millionen.

KAI SUNDMACHER und seine Mitarbeiter am MAX-PLANCK-INSTITUT FÜR DYNAMIK

KOMPLEXER TECHNISCHER SYSTEME vereinfachen solche widerborstigen Verfahren radikal.

Dabei genügt manchmal ein Schritt, wo die Industrie bislang zwei braucht.

Teppichböden, Regenjacken, Da-menstrümpfe – die Liste der

Produkte, in denen Nylonfasern ver-arbeitet sind, ist lang. Mehr als vier Millionen Tonnen des zähen und fes-ten Polyamids stellt die chemische Industrie jährlich her – über mehrere teilweise schwierige Stufen. Einen dieser bislang aufwändigen Prozess-schritte effektiver zu gestalten spart große Mengen Energie, Rohstoffe und natürlich Geld.

Genau das ist unser Ziel – genauer gesagt, ein Etappenziel. Denn der Produktionsweg für Nylon ist nur ein Beispiel, an dem wir unsere Metho-den anwenden. Am Ende möchten

lagen, um die Prozessintegration zu erleichtern, kennt man noch nicht. Daher gehen Chemie-Ingenieure der-zeit meist so vor: Sie lassen einen Re-aktionsschritt auf dem Weg zum ge-wünschten Produkt ablaufen, trennen das Zwischenprodukt ab, reinigen es und leiten damit den zweiten Reakti-onsschritt ein. So kommt, wie beim Nylon, leicht eine Folge von einem halben Dutzend Reaktionen zusam-men, die sich mit der jeweils anschlie-ßenden Separation abwechseln.

Unter Separation versteht man alle denkbaren Methoden, um ein Pro-dukt aus einem Reaktionsgemisch zu isolieren und zu reinigen. Das ist nö-tig, weil eine chemische Reaktion nur sehr selten ausschließlich die ge-wünschte Verbindung liefert. Ganz abgesehen davon enthalten Reakti-onsgemische oft Katalysatoren oder andere Hilfsstoffe – und die Lösungs-mittel, in denen die meisten Reakti-onen stattfi nden, muss man auch wieder loswerden.

Als eine Möglichkeit, Prozesse zu intensivieren, versuchen wir daher Reaktion und Separation gleichzeitig ablaufen zu lassen. Wir rütteln also an dem Prinzip der unit operations, demzufolge diese beiden Schritte immer nacheinander stattfi nden. Für diese Form der Prozessintegration gibt es verschiedene Möglichkeiten. Eine ist die reaktive Destillation, die wir auf dem Weg zum Cyclohexanol respektive zum Nylon einsetzen.

Wenn Chemiker ein Stoffgemisch destillieren, nutzen sie aus, dass die meisten Flüssigkeiten bei unterschied-

Kurzer Prozess im chemischen Reaktor

wir ein Schema entwickelt haben, das wir auf alle Herstellungsprozesse anwenden können. Dabei geht es uns nicht darum, chemische Verfahren um zwei bis drei Prozent zu optimie-ren. Wir möchten die Effi zienz im Idealfall um mehrere Größenord-nungen steigern. Wir nennen das Prozessintensivierung. Wir widmen uns dabei vor allem solchen Prozes-sen, in denen Komplikationen beson-deren Aufwand mit sich bringen – weil entweder die Reaktion nicht ordentlich verläuft oder besonders gefährlich ist oder weil sich die Pro-dukte nur schwer trennen lassen.

Um solch einen Prozess deutlich zu intensivieren, reicht es nicht, hier die Temperatur etwas zu verändern und dort den Druck ein wenig zu er-höhen. Dafür müssen wir alles in einem solchen Verfahren hinterfra-gen: die Energiequellen, die Lösungs-mittel, Katalysatoren, natürlich auch Druck und Temperatur. Aber vor allem, ob wir den Prozess nicht völ-lig anders aufbauen müssen. Ob wir nicht einen ganz anderen Reaktions-weg verfolgen können, um das ge-wünschte Produkt am Ende effi zi-enter zu produzieren. Ob wir etwa von anderen Ausgangsstoffen ausge-hen können. Oder ob nicht ein Schritt reicht, wo die chemische Industrie bislang zwei macht. Manchmal ist es aber auch sinnvoll, einen zusätz-lichen Reaktionsschritt einzubauen, wenn der gesamte Prozess damit un-term Strich effi zienter wird. Solch ein chemischer Umweg soll uns etwa helfen, Cyclohexanol einfacher her-zustellen, einen Ausgangsstoff des Nylons. Seine Produktion ist derzeit noch verbesserungsfähig.

WARUM ZWEI SCHRITTE, WENN EINER REICHT?

Dass wir Cyclohexanol trotz eines chemischen Umwegs am Ende effi zi-enter produzieren, liegt auch daran, dass wir dabei manche Prozessschritte zusammenfassen. Wir bezeichnen das als Prozessintegration. Das klingt erst einmal nahe liegend, ist aber im De-tail sehr kompliziert. Viele chemische, physikalische und technische Grund-

An einem Terminal steuert Hannsjörg Freund die Reaktiv-destillation, die Patrick Siegmund (linkes Bild) inspiziert.

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Unter welchen Bedingungen wir dabei am besten zum Cyclohexanol kommen, untersuchen wir derzeit. Auch hier haben wir das Problem, dass Cyclohexen und Ameisensäure sich nicht gut ineinander lösen. Da-für bilden sie unter bestimmten Be-dingungen ein Azeotrop – eine Mi-schung, in der beide Komponenten bei derselben Temperatur verdamp-fen. In einer Destillation lassen sie sich also nicht trennen.

Damit wir ACE dennoch während der Reaktion abdestillieren können, müssen wir den Prozess richtig steu-ern. Schon der Start ist entscheidend: In welchen Mengen liegen die Aus-gangsstoffe vor? Wie hoch sind Tem-peratur und Druck? Diese Faktoren bestimmen, welches Produkt entsteht und wie viel. Erst gehen wir diesen Fragen im Labor nach. Mit den dort gewonnenen Ergebnissen simulieren wir, wie wir den Prozess optimal füh-ren können – zumindest im Labor. Um sie an die Bedingungen einer großindustriellen Anlage anzupas-sen, untersuchen wir den Prozess an-schließend in einer miniaturisierten Industrieanlage, die wir in unserem Technikum aufgebaut haben.

DRESSUR EINES GUTMÜTIGEN MONSTERS

Gut drei Meter hoch ragt dort ein Re-aktor empor, der sich mit beiden Ar-men noch gut umfassen ließe. In hand-breitem Abstand fühlen wir mit Temperatur- und Drucksensoren in den Reaktionsraum. Der eigentliche, mit Isoliermaterial dick eingepackte Reaktionsraum ist nicht einmal so weit wie das Abfl ussrohr einer Dachrinne. In seinem Inneren haben wir der Län-ge nach Metallnetze übereinander ge-schichtet, die teilweise mit dem Kata-lysator gefüllt sind. Um Kopf und Fuß der Säule gruppieren sich Pumpen und Messgeräte sowie jeweils zwei fassför-mige Tanks mit Fenster. Im oberen Tank reichert sich die Ameisensäure an, die wir aus dem Reaktionsgemisch abdestilliert haben. Im unteren Tank sammelt sich hauptsächlich ACE.

Dort bleibt das Zwischenprodukt derzeit auch. Später möchten wir es

aber in einen zweiten, ganz ähnlichen Reaktor leiten, für den es neben der ersten Anlage noch Platz gibt. Dort wollen wir ACE zu Cyclohexanol spalten. Doch erst einmal müssen wir den ersten Schritt in den Griff bekom-men. Was wir dabei lernen, ließe sich direkt auf den industriellen Maßstab übertragen. Dort fände die Reaktion jedoch in einem Gefäß statt, das min-destens einen Meter und nicht einige wenige Zentimeter weit ist.

Die Daten, die wir bei der reak-tiven Destillation im Technikum sammeln, helfen uns, die Prozesse prinzipiell zu verstehen und unsere Simulationsmodelle zu verfeinern. Zusammen mit unseren Kollegen aus der Gruppe von Achim Kienle benut-zen wir diese Modelle, um optimale Prozessführungsstrategien für solche chemischen Prozesse zu entwickeln. Außerdem können wir mit dieser Vorgehensweise auch ermitteln, ob sich auch andere chemische Umset-zungen für eine Prozessintegration wie die reaktive Destillation eignen.

Sucht die chemische Industrie die optimalen Bedingungen, um einen bestimmten Stoff herzustellen, ist sie oft noch auf Empirie angewiesen. Das heißt: Sie probiert aus und fi ndet mit etwas Glück die Bedingungen, unter denen ihre Anlage ordentlich arbeitet. Doch wehe, es ändert sich nur eine Kleinigkeit. Dann passiert manchmal

lichen Temperaturen sieden. Erhitzen sie ein Gemisch verschiedener Flüssig-keiten langsam, verdampfen die ein-zelnen Komponenten daraus im Ideal-fall nacheinander, angefangen bei der mit dem niedrigsten Siedepunkt. Nur: Um zu destillieren, müssen wir heizen. Da ergibt sich ein Ansatzpunkt zur Prozessintegration. Denn viele Stoffe reagieren nur bei höheren Tempera-turen miteinander oder setzen sogar Energie als Wärme frei. Diese Wärme nutzen wir, um das Reaktionsgemisch schon während der chemischen Um-setzung zu destillieren.

Das ist besonders sinnvoll, wenn das gewünschte Produkt bei der niedrigs-ten Temperatur aus dem Reaktionsge-misch entweicht: Wir sparen nicht nur die Energie, um die Destillation nach der Reaktion anzutreiben, und verklei-nern die Anlagen. Die Reaktion läuft in unserem Sinn auch viel besser, weil sich dann viel mehr von dem ge-wünschten Produkt bildet.

Chemische Reaktionen erreichen gewöhnlich ein Gleichgewicht, in dem Ausgangsstoffe und Produkte in einem bestimmten Verhältnis vorlie-gen. Dieses Verhältnis ist nur von der Temperatur abhängig und ansonsten konstant. Nur wenige Reaktionen lau-fen so lange, bis alle Ausgangsstoffe zu den Produkten reagiert sind. Man-che erreichen schon bei der Hälfte ihr Gleichgewicht, manche früher und

manche später. Entfernen wir das ge-wünschte Produkt jedoch ständig, er-reicht die Reaktion ihr Gleichgewicht nicht. Sie läuft ihm hinterher, indem sie ständig ein neues Produkt bildet.

INGENIEURE HINTERFRAGEN SELTEN DIE CHEMIE

Die Reaktivdestillation drängt sich also beinahe auf, wenn das ge-wünschte Produkt am leichtesten aus dem Reaktionsgemisch entweicht. Manchmal auch, wenn es bis zum Schluss im Reaktionsgemisch bleibt oder wenn andere Charakteristika einer Reaktion die destillative Tren-nung erleichtern. Doch diese physi-kalischen und chemischen Charakte-ristika richten sich selten danach, ob sie eine Reaktivdestillation möglich machen. Dann untersuchen wir, ob wir die Reaktion verändern können, damit sie sich für eine Reaktivdestil-lation eignet. Oft müssen wir dabei ein seit Jahrzehnten etabliertes Ver-fahren umkrempeln.

Gewöhnlich hinterfragen Verfah-renstechniker eine chemische Reakti-on nur ungern. Sie nehmen die Che-mie als gegeben hin und bauen darum eine Anlage. Oft mit gutem Grund. Denn sie können sich auch mehr Pro-bleme einhandeln, als sie lösen, wenn sie die Reaktion verändern. Das geht nur mit sehr guter Kenntnis der Che-mie. Die hat uns auch geholfen, als wir über den Prozess der Cyclohexa-nol-Synthese nachgedacht haben.

Diese Synthese startet – wie viele chemische Prozesse – beim Erdöl, aus dem in Raffi nerien neben vielen anderen Stoffen Benzol entsteht. Um zum Cyclohexanol zu gelangen, wird das Benzol in vielen Anlagen zuerst mit Wasserstoff und dann mit Sauer-stoff umgesetzt. Gerade der letzte Schritt ist gefährlich – die Reaktion lief in einem Chemiewerk im bri-tischen Flixborough im Jahre 1974 außer Kontrolle, die Anlage explo-dierte, 28 Menschen starben. Außer-dem lässt sich Cyclohexan nur in ge-ringen Konzentrationen umsetzen, damit nicht zu viele Nebenprodukte entstehen; die Anlage ist sehr auf-wändig und die anschließende Des-tillation kostet viel Energie.

Das waren für die japanische Firma Asahi Chemical genügend Gründe, ei-nen neuen Prozess zu entwickeln: Sie setzt Benzol auch mit Wasserstoff um, aber nur teilweise, nämlich zum Cyc-lohexen. Dann reicht Wasser, um aus

dem Zwischenprodukt Cyclohexanol herzustellen. Die Reaktion verläuft je-doch alles andere als vollständig: Sie erreicht ihr Gleichgewicht schon, wenn erst 14 Prozent umgesetzt sind. Und das auch nur mit großen Mengen Ka-talysator, der als fein verteilter Fest-stoff im Reaktionsgemisch schwimmt. Slurry, zu deutsch Schlamm, nennen Chemiker so ein Gemisch. Der Reak-tionsschlamm nutzt die Apparatur stark ab, lässt sich schwer pumpen und schlecht trennen.

Viel gewonnen wäre schon, wenn man den Katalysator in einem fein-maschigen dreidimensionalen Netz fi xieren könnte, statt ihn in Form feiner Partikel im Reaktionsgemisch verteilen zu müssen. Dann könnten wir den Prozess auch in einer Reak-tivdestillationskolonne fahren. Doch der Katalysator des Asahi-Prozesses eignet sich dafür nicht, weil er nur als feines Pulver aktiv genug ist. Das lässt sich aber nicht in Drahtnetze füllen. Die Suche nach einem geeig-neten Katalysator ist also eine Her-ausforderung. Dass sich Wasser und Cyclohexen nicht ineinander lösen, sich also wie Öl und Wasser in zwei fl üssige Phasen spalten, verkompli-ziert die Suche zusätzlich. Denn die beiden Substanzen reagieren natür-lich nur dann ordentlich, wenn sie sich am Katalysator treffen. Da der Katalysator hydrophil ist, also vor-zugsweise vom Wasser benetzt wird, kommt das Cyclohexen nicht an die Katalysatoroberfl äche heran. Daher verläuft diese direkte Hydratisierung auch extrem schlecht.

So sind wir auf die Idee gekommen, einen Umweg zu gehen, bei dem wir Cyclohexen mit Ameisensäure zu-nächst in Ameisensäurecyclohexyl-ester (kurz: ACE) umwandeln. Diese Reaktion läuft um ein Vielfaches schneller ab. Mit Wasser verwandeln wir ACE anschließend in Cyclohexa-nol. Die Ameisensäure bereitet also den Weg zum Cyclohexanol vor, wir nennen sie einen reaktiven Entrainer. Den Katalysator für diese Reaktionen können wir in ein Drahtkissen füllen – und den ganzen Prozess als reaktive Destillation konzipieren.

Nur dosiert erhält Luftsauerstoff in diesem Festbett-Membranreaktor der Abteilung Seidel-Morgenstern Zutritt.

Chemie in der Röhre: Linyi Zhang aus der Abteilung Seidel-Morgenstern kontrolliert die Säulen eines chromatografi schen Reaktors. Darin trennt sich ein Produkt schon während der Reaktion ab.

Cyclohexen

Ameisensäurecyclo-hexylester (ACE)

AS

Manchmal lohnt sich ein Umweg: etwa wenn die Magdeburger Forscher Cyclohexanol aus Cyclohexen über Ameisensäurecyclo-hexylester herstellen.

Zwei gekoppelte Reaktivdestil-lationskolonnen vereinfachen die Produktion von Cyclohexanol – sie machen die separate Trennung von Ausgangsstoffen und Produkten überfl üssig.

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gar nichts mehr oder etwas, was kei-ner gewollt hat. In einer unserer Ko-operationen mit der Industrie haben wir so ein „gutmütiges Monster“, wie die Kollegen des Unternehmens ihren Prozess nannten, schon einmal ken-nengelernt – und gezähmt.

Immer wieder weigerte sich dieses Monster, sich so zu verhalten, wie es die Verfahrentechniker wünschten. Als wir den Prozess dann systema-tisch untersuchten, stellten wir fest, dass es sich nur unter sehr eng ge-steckten Bedingungen zahm ver-hielt. Unsere theoretischen Untersu-chungen haben dann ein Rezept geliefert, mit denen die Verfahrens-techniker den Prozess bändigen konnten.

Um Modelle zu entwickeln, die nicht nur einen Prozess ordentlich abbilden, sondern für viele Prozesse gelten, müssen wir sehr viele che-mische und physikalische Effekte ins Kalkül ziehen, die sich zudem auf vielfältige Weise gegenseitig beein-fl ussen. So gerät auch ein Modell schon mal zum Monster, wenn auch einem mathematischen. Dabei be-trachten wir nicht Prozesseinheiten, wie sie die Industrie defi niert – etwa die Reaktion und die Destillation.

Wir verfolgen vielmehr einen neuen Ansatz. Wir hatten nämlich die Idee, diese Prozesseinheiten in elementare physikalisch-chemische

Funktionen zu zerlegen. Von diesen gibt es nur fünf: Ein Prozess will mit den Ausgangsstoffen gefüttert wer-den. Diese müssen zueinander fi n-den und bedürfen eventuell einer Aktivierung. Sobald sie miteinander reagiert haben, müssen die Produkte getrennt werden. Und schließlich müssen wir die Energiebilanzen dieser Funktionen berücksichtigen: Einige verbrauchen Energie, andere setzen sie frei.

Die Modelle, die wir aus diesen Funktionen konstruieren, liefern uns dann die Richtlinien, ob und wie wir einen Prozess intensivieren können. So lassen sich positive Energiebi-lanzen ausnutzen, etwa in einer Re-aktivdestillation. Doch auch andere Funktionen als der Energietransport und die Separation lassen sich ver-knüpfen. Unsere Kollegen aus der Abteilung von Andreas Seidel-Mor-genstern aktivieren chemisch und trennen gleichzeitig – in einem chro-matografi schen Reaktor.

Bei der Chromatografi e leiten Che-miker ein Gemisch verschiedener Flüssigkeiten oder eine Lösung un-terschiedlicher Substanzen langsam durch ein säulenförmiges Gefäß. Das ist mit feinen Körnern eines sorgfäl-tig gewählten Feststoffs gefüllt, an dem die einzelnen Komponenten des Gemisches unterschiedlich gut haf-ten. Wenn der Mix nun langsam

durch die Säule wandert, scheiden sich seine Komponenten an verschie-denen Stellen oder gar nicht ab.

Mit dieser Methode lässt sich auch ein Gemisch trennen, das sich erst bei einer Reaktion in der Säule bildet. Dann sprechen wir von einem chro-matografi schen Reaktor. Volker Zahn untersucht darin die Spaltung von Es-tern. Diese chemischen Verbindungen aus Säuren und Alkoholen geben vie-len Früchten ihr Aroma. Sie in ihre Bestandteile zu zerlegen ist in vielen industriellen Prozessen notwendig.

Für den chromatografi schen Reak-tor eignet sich die Esterspaltung be-sonders gut, weil dabei zwei Produkte aus einem Ausgangsstoff entstehen, der am Ende möglichst völlig ver-schwunden sein sollte. Allerdings muss Zahn die Reaktion mit einem Katalysator befl ügeln. Dabei wendet er einen Trick der Prozessintegration an: Er wählt einen Katalysator, der die Produkte gleichzeitig trennt. Mit diesem beschichtet er die feinen Kör-ner in der Chromatografi e-Säule. Und auch Zahn hat im Technikum einen chromatografi schen Reaktor aufge-baut, um den Prozess unter industri-ellen Bedingungen zu testen.

EINE LEINE FÜR ZÜGELLOSEN SAUERSTOFF

Prozessintegration heißt aber nicht nur, Produkte gleich bei der che-mischen Reaktion zu trennen. Auch effektive Methoden, Ausgangsstoffe vorsichtig zu dosieren, lassen sich mit ihrer chemischen Aktivierung verbinden. Das ist sinnvoll, wenn sich die Chemie in einem herkömm-lichen Reaktor nur schlecht beherr-schen lässt. Wenn sich etwa zwei Substanzen nur bis zu einem gewis-sen Grad chemisch miteinander ein-lassen sollen, ihrer Natur nach diese Grenze aber gern überschreiten.

Sauerstoff ist eine Substanz, die ihr chemisches Verlangen kaum zü-geln kann. Von Kohlenwasserstoffen kann er ein paar Wasserstoff-Atome abzupfen oder sie auch gezielt in komplexere Verbindungen verwan-deln, wie sie die chemische Industrie braucht. Meistens zerreißt er aber

das ganze Molekül, sodass nur noch Kohlendioxid übrig bleibt. Nur über eine vorsichtige Dosierung lässt er sich bändigen. Membranen, die den Sauerstoff nur in Maßen zu den Koh-lenwasserstoffen strömen lassen, machen das möglich.

Die Abteilung von Andreas Seidel-Morgenstern beschäftigt sich mit porösen keramischen Membranen. Diese funktionieren bei allen Tempera-turen, lassen aber neben Sauerstoff auch Stickstoff passieren, wenn man den Sauerstoff aus der Luft verwendet, ohne vorher den Stickstoff abzutren-nen. Liisa Rihko-Struckmann erforscht dagegen Reaktoren mit Festelektrolyt-membranen. Die arbeiten zwar erst über 600 Grad Celsius optimal, lassen sich aber so konzipieren, dass sie nur bestimmte Ionen, etwa Sauerstoff-ionen, durchlassen. Zudem bietet ein solcher Reaktor den Vorteil, Energie nicht als oft nutzlose Wärme, sondern als elektrischen Strom freizusetzen – eine Art Dreingabe zu einem besser handhabbaren Prozess.

Als Spezialfall eines solchen Membranreaktors kann man auch eine Brennstoffzelle ansehen. Bei dieser geht es nur darum, möglichst effi zient Strom zu produzieren. Mit Membranreaktoren lassen sich gleich-zeitig jedoch auch wichtige Stoffe produzieren – das hoffen wir jeden-falls. Liisa Rihko-Struckmann oxidiert in einem solchen elektrochemischen Membranreaktor (EMR) das Brenngas Butan zu Maleinsäureanhydrid. Da-raus stellt die chemische Industrie Po-lyester, aber unter anderem auch Ten-side für Waschmittel her.

In einem EMR versorgt die Ka-thode den Sauerstoff zunächst mit Elektronen, sodass Sauerstoff-Ionen entstehen. Die Sauerstoff-Ionen dif-fundieren anschließend in gezielt eingestellter Konzentration durch die Membran, sodass sie Butan partiell oxidieren. Dabei werden Elektronen frei, die über einen Stromkreis zu-rück zur Kathode fl ießen. Die kera-mischen Materialien zu fi nden, die Sauerstoffi onen passieren lassen, ist immer noch eine Herausforderung für die Materialentwicklung.

DAS REGLEMENT DER REAKTION

Außerdem brauchen wir aber einen Katalysator, um die chemische Gier des Sauerstoffs zu bändigen. Dieser Katalysator sorgt dafür, dass Sauer-stoff und Butan nur zu Maleinsäure-anhydrid reagieren. Damit er die Re-aktion gut vermitteln kann, braucht er eine große Oberfl äche. Und wir müssen ihn so hinter der Membran anbringen, dass sich die Ausgangs-stoffe bei ihm treffen. Schließlich müssen wir auch die Elektroden nahe am Reaktionsgeschehen platzieren. Inzwischen haben wir einen Weg gefunden, Membran, Katalysator und Elektroden so zusammenzubinden, dass dazwischen auch feine Poren für das Butan bleiben.

Nun untersuchen wir, in welchem Verhältnis wir Butan und Sauerstoff miteinander umsetzen müssen, so- dass wir möglichst viel Maleinsäue-reanhydrid erhalten. Und ob wir die beiden Gase kontinuierlich strömen lassen sollten oder schubweise. Si-

muliert haben wir verschiedene Sze-narien bereits. Demnach müssen wir den EMR noch weiterentwickeln, damit er anderen Verfahren überle-gen ist.

Welche Methode effi zienter ist, hängt nicht nur bei der Wahl zwi-schen verschiedenen Membranre-aktoren von vielen Details ab. Die Art der chemischen Reaktion, die Eigenschaften der beteiligten Stof-fe, die Mengen, die produziert wer-den müssen, und vieles mehr ent-scheidet darüber, welches Verfahren ökonomisch und ökologisch am sinnvollsten ist. Und die richtige Wahl wird oft schwierig sein. Wir möchten dazu beitragen, die Pro-zessentwicklung mit Modellen zu systematisieren, damit ein che-mischer Prozess nicht nur ein ex-perimenteller Glücksgriff ist. Dabei wollen wir auch Optionen berück-sichtigen, die in der chemischen Industrie noch nicht etabliert sind – sich aber vielleicht als viel effi zi-enter erweisen. ●

Hier ist Gold, was glänzt – an der Elektrode einer Brennstoffzelle reagiert Wasserstoff mit Sauerstoff und erzeugt dabei Strom. Die grüne Membran sorgt für die richtige Dosierung.

Passt perfekt: Liisa Rhiko-Struckmann überprüft das Herzstück eines elektrochemischen Membranreaktors.

PROF. DR.-ING. KAI SUND-MACHER, 42, sucht in der Verfahrenstechnik nach neuen Wegen. Seit 1999 hat er einen Lehrstuhl an der Otto-von-Guericke-Universität in Magdeburg inne. 2001 wurde er zum Direktor am dortigen

Max-Planck-Institut für Dynamik komplexer technischer Systeme berufen. Hier erforscht er die Möglichkeiten, physikalisch-chemische Prozesse zu intensivieren – die Prozessinteg-ration ist eines der Mittel, die er dafür nutzt.

HANNSJÖRG FREUND, 33, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Dy-namik komplexer tech-nischer Systeme in Magdeburg. Sein For-schungsschwerpunkt liegt im Bereich der Pro-

zessintensivierung. Zusammen mit Prof. Sundmacher arbeitet er derzeit an einer neuen, theoretisch fundierten Systematik für die Beschreibung, Analyse und den Ent-wurf effi zienter chemischer Prozesse.

PETER HERGERSBERG, 36, ist Chemiker und Redak-teur der MAXPLANCKFOR-SCHUNG. Sein besonderes Interesse gilt Quanten-phänomenen, die unser Weltbild umkrempeln. Dass die Gruppe von Kai Sundmacher Herge-

brachtes infrage stellt, reizte auch ihn an der Prozessintensivierung. Und dass Verfah-renstechnik Wissenschaftsjournalisten ge-wöhnlich als zu sperrig gilt – obwohl sie wirtschaftlich von großer Bedeutung ist.

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