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Peter W. Atkins, Julio de Paula: Kurzlehrbuch Physikalische Chemie — 2019/8/12 — Seite 3 — le-tex FOKUS 1 Die Eigenschaften der Gase Ein Gas ist eine Form von Materie, die einen belie- bigen Behälter stets vollständig ausfüllt. In den fol- genden Abschnitten werden wir die Eigenschaften von Gasen charakterisieren, deren Kenntnis im weiteren Verlauf des Textes vorausgesetzt wird. 1.1 Das ideale Gas Ein „ideales Gas“ ist ein vereinfachendes, idealisiertes Konzept zur Beschreibung von Gasen. Die Zustands- gleichung des idealen Gases kann aus experimentellen Befunden gewonnen werden, die durch das Boyle’sche Gesetz, das Charles’sche Gesetz und durch das Avoga- dro’sche Prinzip beschrieben werden. 1.1.1 Die Zustandsgleichung des idealen Gases; 1.1.2 Anwendungen der Zustandsgleichung des idealen Gases; 1.1.3 Mischungen von Gasen: Der Partialdruck 1.2 Die kinetische Gastheorie Ein zentraler Aspekt der Physikalischen Chemie ist es, Modelle für das Verhalten von Molekülen aufzustel- len, um die beobachteten Phänomene erklären zu kön- nen. Ein Paradebeispiel hierfür ist die Ableitung eines Modells für das Verhalten der Moleküle (oder Atome) eines idealen Gases, die sich in ständiger, ungerichte- ter Bewegung befinden. Dieses Modell ist die Grund- lage für die molekulare, kinetische Gastheorie. Sie lie- fert nicht nur eine Erklärung für die Gasgesetze, son- dern sie kann auch benutzt werden, um die mittlere Geschwindigkeit zu berechnen, mit der sich Moleküle in einem Gas bewegen, sowie deren Abhängigkeit von der Temperatur. Das Modell erlaubt darüber hinaus, Geschwindigkeitsverteilungen sowie deren Abhängig- keit von Molekülmasse und Temperatur anzugeben. 1.2.1 Der Druck eines Gases; 1.2.2 Die mittlere Ge- schwindigkeit der Gasmoleküle; 1.2.3 Die Maxwell’sche Geschwindigkeitsverteilung; 1.2.4 Diffusion und Effusi- on; 1.2.5 Intermolekulare Stöße 1.3 Reale Gase Das ideale Gas ist ein ausgezeichneter Ausgangspunkt für die Betrachtung aller Gase, und dessen Eigenschaf- ten werden uns bei der Betrachtung der Thermody- namik und der Kinetik immer wieder begegnen. Al- lerdings weicht das tatsächliche Verhalten von „rea- len Gasen“ von diesen idealisierten Eigenschaften ab. Daher beschäftigen wir uns in diesem Abschnitt mit der Interpretation dieser Abweichungen, und wir ver- feinern das Modell, indem wir die Effekte molekula- rer Anziehungs- und Abstoßungskräfte berücksichti- gen. Die Diskussion realer Gase ist ein weiteres Bei- spiel dafür, dass einfache Modellvorstellungen bald an ihre Grenzen stoßen, jedoch durch Berücksichtigung weiterer Aspekte und Verfeinerung der Theorie den Beobachtungen in der realen Welt angepasst werden können. 1.3.1 Intermolekulare Wechselwirkungen; 1.3.2 Die kritische Temperatur; 1.3.3 Der Kompressionsfaktor; 1.3.4 Die Virialgleichung; 1.3.5 Die van-der-Waals- Gleichung; 1.3.6 Die Verflüssigung von Gasen Anwendungen Das ideale Gasgesetz und die kinetische Gastheorie finden Anwendung bei der Betrachtung der Vorgänge in einem einzelnen Reaktionsgefäß, oder sogar auf ei- nem ganzen Planeten. Im Exkurs „Anwendung 1: Um- weltwissenschaft – Die Bedeutung der Gasgesetze für das Wetter“ am Ende dieses Fokus werden wir sehen, wie die Gasgesetze dazu benutzt werden, um meteo- rologische Phänomene zu beschreiben und zu verste- hen. Kurzlehrbuch Physikalische Chemie, 5. Auflage. Peter W. Atkins, Julio de Paula. © 2020 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Published 2020 by WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA.

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Peter W. Atkins, Julio de Paula: Kurzlehrbuch Physikalische Chemie — 2019/8/12 — Seite 3 — le-tex

FOKUS 1

Die Eigenschaften der GaseEin Gas ist eine Form von Materie, die einen belie­bigen Behälter stets vollständig ausfüllt. In den fol­gendenAbschnittenwerdenwir die Eigenschaften vonGasen charakterisieren, deren Kenntnis im weiterenVerlauf des Textes vorausgesetzt wird.

1.1 Das ideale Gas

Ein „ideales Gas“ ist ein vereinfachendes, idealisiertesKonzept zur Beschreibung von Gasen. Die Zustands­gleichung des idealen Gases kann aus experimentellenBefunden gewonnen werden, die durch das Boyle’scheGesetz, das Charles’sche Gesetz und durch das Avoga­dro’sche Prinzip beschrieben werden.

1.1.1 Die Zustandsgleichung des idealen Gases;1.1.2 Anwendungen der Zustandsgleichung des idealenGases; 1.1.3 Mischungen von Gasen: Der Partialdruck

1.2 Die kinetische Gastheorie

Ein zentraler Aspekt der Physikalischen Chemie ist es,Modelle für das Verhalten von Molekülen aufzustel­len, umdie beobachteten Phänomene erklären zu kön­nen. Ein Paradebeispiel hierfür ist die Ableitung einesModells für das Verhalten der Moleküle (oder Atome)eines idealen Gases, die sich in ständiger, ungerichte­ter Bewegung befinden. Dieses Modell ist die Grund­lage für die molekulare, kinetische Gastheorie. Sie lie­fert nicht nur eine Erklärung für die Gasgesetze, son­dern sie kann auch benutzt werden, um die mittlereGeschwindigkeit zu berechnen, mit der sichMolekülein einem Gas bewegen, sowie deren Abhängigkeit vonder Temperatur. Das Modell erlaubt darüber hinaus,Geschwindigkeitsverteilungen sowie derenAbhängig­keit von Molekülmasse und Temperatur anzugeben.

1.2.1 Der Druck eines Gases; 1.2.2 Die mittlere Ge­schwindigkeit der Gasmoleküle; 1.2.3 DieMaxwell’scheGeschwindigkeitsverteilung; 1.2.4 Diffusion und Effusi­on; 1.2.5 Intermolekulare Stöße

1.3 Reale Gase

Das ideale Gas ist ein ausgezeichneter Ausgangspunktfür die Betrachtung allerGase, und dessen Eigenschaf­ten werden uns bei der Betrachtung der Thermody­namik und der Kinetik immer wieder begegnen. Al­lerdings weicht das tatsächliche Verhalten von „rea­len Gasen“ von diesen idealisierten Eigenschaften ab.Daher beschäftigen wir uns in diesem Abschnitt mitder Interpretation dieser Abweichungen, und wir ver­feinern das Modell, indem wir die Effekte molekula­rer Anziehungs- und Abstoßungskräfte berücksichti­gen. Die Diskussion realer Gase ist ein weiteres Bei­spiel dafür, dass einfacheModellvorstellungen bald anihre Grenzen stoßen, jedoch durch Berücksichtigungweiterer Aspekte und Verfeinerung der Theorie denBeobachtungen in der realen Welt angepasst werdenkönnen.

1.3.1 Intermolekulare Wechselwirkungen; 1.3.2 Diekritische Temperatur; 1.3.3 Der Kompressionsfaktor;1.3.4 Die Virialgleichung; 1.3.5 Die van-der-Waals-Gleichung; 1.3.6 Die Verflüssigung von Gasen

Anwendungen

Das ideale Gasgesetz und die kinetische Gastheoriefinden Anwendung bei der Betrachtung der Vorgängein einem einzelnen Reaktionsgefäß, oder sogar auf ei­nem ganzen Planeten. Im Exkurs „Anwendung 1: Um­weltwissenschaft – Die Bedeutung der Gasgesetze fürdas Wetter“ am Ende dieses Fokus werden wir sehen,wie die Gasgesetze dazu benutzt werden, um meteo­rologische Phänomene zu beschreiben und zu verste­hen.

Kurzlehrbuch Physikalische Chemie, 5. Auflage. Peter W. Atkins, Julio de Paula.© 2020 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA. Published 2020 by WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA.

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Peter W. Atkins, Julio de Paula: Kurzlehrbuch Physikalische Chemie — 2019/8/12 — Seite 4 — le-tex

4 1 Die Eigenschaften der Gase

1.1 Das ideale Gas

MotivationDie Gleichungen, die das Verhalten eines idealen Ga-ses beschreiben, bilden die Grundlage zur Ableitungvieler, komplexerer Gesetze der Physikalischen Che-mie. Das ideale Gasgesetz ist darüber hinaus einegute erste Näherung, um das Verhalten realer Gasezu beschreiben.

SchlüsselideenDas ideale Gasgesetz, das eine Reihe empirischerBeobachtungen zusammenfasst, beschreibt die Ei-genschaften eines realen Gases umso präziser, jenäher sich der Druck eines Gases null nähert.

VoraussetzungenDie einzige Voraussetzung zum Verständnis diesesAbschnitts ist die Kenntnis der SI-Einheiten und ihrerUmrechnung, wie in „Toolkit 1: Größen und Einhei-ten“ beschrieben.

Den genauen Zustand einer gasförmigen Substanz­probe können wir durch die Angabe derWerte folgen­der Größen charakterisieren:

p (der Druck der Probe),V (das Volumen der Probe),T (die Temperatur der Probe),n (die Stoffmenge in der Probe).

Diese vier Größen sind wie folgt definiert:Das Volumen V ist der dreidimensionale Raum­

inhalt, den eine Substanz einnimmt. Volumen wirdin Quadratmetern m3 angegeben, bzw. in Bruchtei­len hiervon, wie z. B. Kubikdezimeter dm3 (1 dm3 =10−3 m3) oder Kubikzentimeter (1 cm3 = 10−6 m3).HäufigwerdenVolumina in den nicht-SI-Einheiten Li­ter (1 L = 1 dm3) bzw. Milliliter (1mL = 1 cm3) ange­geben.Der Druck p ist definiert als das Verhältnis aus der

Kraft F, geteilt durch die Fläche A, auf welche dieseKraft wirkt:

Druck = KraftFläche

oder p = FA

. (1.1)

In einemGas wird die Kraft, gemessen inNewton (N)mit 1N = 1 kgm s−2, durch Stöße der Atome oderMoleküle des Gases auf die Wand des Behälters her­vorgerufen, wie wir in Abschn. 1.2 im Detail bespre­chen werden. Die SI-Einheit des Drucks ist das Pas­cal (Pa), wobei 1 Pa = 1Nm−2 = 1 kgm−1 s−2. DasPascal entspricht ungefähr dem Druck, den eine Mas­se von 10mg auf 1 cm2 an der Erdoberfläche ausübt –

es ist also eine sehr „kleine“ Einheit. Dies führt da­zu, dass es häufig angebracht erscheint, den Druck inanderen Einheiten anzugeben. Eine der am häufigs­ten verwendeten Alternativen ist das Bar (bar), wobei1 bar = 105 Pa; das Bar ist zwar keine SI-Einheit, aberes ist eine allgemein akzeptierte und weit verbreite­te Abkürzung für 105 Pa. Der Atmosphärendruck aufder Erde, demwir normalerweise ausgesetzt sind, ent­spricht ungefähr 1 bar. Eine ähnliche, ältere Einheit,die diesen Umstand noch genauer berücksichtigt, istdie physikalische Atmosphäre (atm), wobei 1 atm =101 325 Pa ist. Man beachte, dass der Druck bei 1 atmetwas höher ist als bei 1 bar (ca. 1 %).Temperatur ist die Eigenschaft eines Objekts, die

bestimmt, in welche Richtung Energie in Form vonWärme abgegeben wird, wenn es mit einem ande­ren Objekt in Kontakt gebracht wird: der Energie­fluss verläuft stets vom wärmeren zum kälteren Ob­jekt. Bei Angabe der thermodynamischen Tempera­tur T , die auch „absolute Temperatur“ genannt wird,ist die niedrigste mögliche Temperatur als T = 0 defi­niert; sie wird in der EinheitKelvin (K) angegeben. DieDefinition der Kelvin-Skala basiert ferner auf demsogenannten „Tripelpunkt“ von Wasser; bei 273,16Kexistieren flüssiges Wasser, Eis und Wasserdampf ne­beneinander im Gleichgewicht. Der Gefrierpunkt vonWasser liegt nur unwesentlich niedriger, nämlich bei273,15K. In der Praxis wird darüber hinaus die besserbekannte Celsius-Skala verwendet, das Symbol fürdie Temperatur ist dann θ (theta). Die Celsius-Skalahängt mit der Kelvin-Skala durch folgende Beziehungzusammen:

θ°C

= TK

− 273,15 . (1.2)

Eine Temperaturänderung von 1Kelvin ist gleich großwie eine Temperaturänderung um 1Grad Celsius. Aufder Celsius-Skala gefriert Wasser bei 1 atm Druck bei0 °C, und der Siedepunkt liegt bei knapp 100 °C.Die Stoffmenge n ist die Anzahl von Atomen oder

Molekülen N in einer Probe, ausgedrückt als einVielfaches der Avogadro-Konstanten, NA = 6,022 ×1023 mol−1. Die Einheit der Stoffmenge ist das Mol(mol):

n = NNA

. (1.3)

In der Praxiswird die Stoffmenge aus derMassem undder molaren Masse M einer Substanz berechnet, ge­mäß n = m∕M. Im Labor sprechen Chemiker nochhäufig von der Molzahl oder Molmenge; diese Aus­drucksweise ist jedoch inoffiziell und veraltet.Wenn eine Probe in kleinere Einzelproben aufgeteilt

wird, und eine untersuchte Größe der Gesamtprobe

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Peter W. Atkins, Julio de Paula: Kurzlehrbuch Physikalische Chemie — 2019/8/12 — Seite 5 — le-tex

51.1 Das ideale Gas

sich nun aus der Summe dieser Größe in den Einzel­proben ergibt, spricht man von einer extensiven Grö­ße. Bespiele dafür sind die Masse m oder das Volu­men V . Wenn eine Größe hingegen auch in den Ein­zelproben unverändert bleibt, spricht man von einerintensiven Größe. Die Summe dieser Größe in denEinzelproben wäre also ungleich der Größe in der ur­sprünglichen, ungeteilten Probe. Beispiele dafür sinddie Temperatur und der Druck. DieDichte d, mit d =m∕V , ist ebenfalls eine intensive Größe, da sie in al­len Einzelproben gleich groß wäre wie in der ungeteil­ten Gesamtprobe. Alle molaren Größen, Xm = X∕n,bei denen sowohl X als auch n extensive Größen sind,stellen intensive Größen dar.Ein überraschender experimenteller Befund besagt:

Die Größen p, V , T und n sind nicht unabhängig von­einander. Wir können zum Beispiel nicht willkürlicheine Probe von 0,555mol Wasser innerhalb eines Vo­lumens von 100 cm3 in einen Zustand bei 100 kPa und500K versetzen. Es wird experimentell gefunden, dassein solcher Zustand nicht existiert. Geben wir Stoff­menge, Volumen und Temperatur vor, so müssen wir

einen bestimmten Druck akzeptieren (für den obenangeführten Fall etwa 230 kPa). Das gilt prinzipiell füralle Substanzen, unterschiedlich sind nur die Wertedes Drucks, der sich jeweils einstellt, wenn man diedrei anderen Größen vorgibt. Wir wollen den experi­mentellen Befund verallgemeinern: Jede Substanz ge­horcht einerZustandsgleichung, einer Gleichung derForm

p = f (n, V, T) . (1.4)

Diese Gleichung besagt, dass der Druck eine Funktionder Stoffmenge, desVolumens und der Temperatur ist.Wenn wir diese drei Größen kennen, dann kann auchder Druck nur einen ganz bestimmten Wert haben.Die Zustandsgleichungen der meisten Substanzen

kennen wir nicht, so dass wir gewöhnlich keinen ex­pliziten Ausdruck für den Druck in Abhängigkeit vonden anderen Größen angeben können. Bestimmte Zu­standsgleichungen hingegen sind bekannt, insbeson­dere die Zustandsgleichung eines Gases bei niedrigemDruck, die sich als besonders einfach und sehr nütz­lich erweist. Sie wird verwendet, um ebenso das Ver­

Toolkit 1: Größen und Einheiten

Das Ergebnis einerMessung ist einephysikalische Grö-ße (zum Beispiel eine Masse oder eine Dichte), die alsVielfaches einer vereinbarten Einheit angegeben wird:

Physikalische Größe = Zahlenwert × Einheit .

Wir können Einheiten wie algebraische Größen behan-deln, können sie miteinander multiplizieren, durch siedividieren und sie gegeneinander kürzen. Der Ausdruck(physikalische Größe) / Einheit ist einfach der Zahlen-wert unserer Messung, das heißt eine dimensionsloseZahl. Wir könnten die Masse eines Objektes mit m =2,5 kg oder auch mit m∕kg = 2,5 angeben. Obwohl essich bewährt hat, ausschließlich SI-Einheiten aus deminternationalen Maßeinheitensystem (SI) zu verwen-den, werden historisch bedingt auch einige nicht-SI-Einheiten nach wie vor verwendet und akzeptiert. Phy-sikalische Größen werden kursiv gesetzt oder mit grie-chischen Buchstaben benannt (z. B. m für die Masse,μ für das chemische Potenzial); alle Einheiten und de-ren Präfixe werden steil gesetzt, um eine Unterschei-dung von denGrößen zu ermöglichen (z. B.m fürMeter,μm für Mikrometer).Im SI-System wurden alle Einheiten auf sieben Basis-einheiten zurückgeführt, die im Anhang in Tab. A2.1aufgeführt sind. Alle anderen physikalischen Größensind in Zusammensetzungen dieser Einheiten darstell-bar und werden in abgeleiteten Einheiten angege-ben. Die wichtigsten sind im Anhang in den Tab. A2.2

und A2.3 aufgeführt. Die Molarität (formeller auch alsStoffmengenkonzentration bezeichnet), also die Men-ge einer Substanz dividiert durch das von ihr einge-nommene Volumen, wird beispielsweise angegeben inmol dm−3, alsodurchdie Kombinationder Einheiten fürStoffmenge und Volumen. Einige abgeleitete Einheitenhaben spezielleNamenund Symbole, auf diewir einge-hen werden, sobald sie im Rahmen dieses Buches ver-wendet werden.Einheiten können mit einem Präfix für eine Zehnerpo-tenz versehenwerden. Die am häufigsten verwendetenPräfixe sind im Anhang in Tab. A2.4 aufgeführt. Folgen-de Beispiele verdeutlichen ihre Verwendung:

1 nm = 10−9 m , 1 ps = 10−12 s , 1 μmol = 10−6 mol .

Potenzenwirken sich sowohl auf die Präfixe als auch aufdie Einheit aus:

1 cm3 = 1 (cm)3 = 1(10−2 m)3 = 10−6 m3 .

Beachten Sie, dass 1 cm3 nicht 1 c(m3) bedeutet. Wennwir numerische Berechnungen durchführen, notierenwir die Zahlenwerte von Größen am besten ebenfalls inwissenschaftlicher Schreibweise, also in Zehnerpoten-zen nach dem Schema:

n,nnn × 10n .

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6 1 Die Eigenschaften der Gase

halten der Atmosphäre zu beschreiben wie das vongasförmigen Reaktionsprodukten. Ferner dient dieseGleichung zur Lösung von Problemen in der chemi­schen Verfahrenstechnik. Sogar zur Modellierung desAufbaus von Sternen und Gasplaneten, wie z. B. Jupi­ter und Saturn, kann sie herangezogen werden.

1.1.1 Die Zustandsgleichung des idealen Gases

Die Experimente von Robert Boyle im siebzehntenJahrhundert und dessen Nachfolgern führten zur For­mulierung der Zustandsgleichung des idealen Ga­ses:

pV = nRT (1.5a)

(Diese Beziehung hat die Form von Gl. (1.4), wenn wirsie zu

p = nRTV

(1.5b)

umformen.) Die (molare) Gaskonstante R wird ex­perimentell bestimmt und besitzt für alle Gase dengleichen Wert. Sie kann durch eine Berechnung vonR = pV∕(nT) aus experimentellen Daten für ein Gasbei unterschiedlichen Drücken und eine anschließen­de Extrapolation der Daten auf p = 0 bestimmt wer­den. Weiterhin ist die Gaskonstante aus Messungender Schallgeschwindigkeit (die von R abhängt) zu­gänglich. In Tab. 1.1 ist derWert für die Gaskonstantein verschiedenen Einheiten angegeben.Die Bezeichnung „Zustandsgleichung des idealen

Gases“ drückt aus, dass dieses Gesetz eine Idealisie­rung der Zustandsgleichungen ist, denen Gase eigent­lich gehorchen. Es wird insbesondere gefunden, dasssich das Verhalten aller Gase umso besser durch die­sesGesetz beschreiben lässt, je niedriger derDruck ist.Daher ist Gl. (1.5a) ein Beispiel für ein Grenzgesetz:Die Näherung wird immer besser, je weiter der Druckabnimmt, und imGrenzfall p → 0 wird das Gesetz ex­akt befolgt.Eine hypothetische Substanz, für die Gl. (1.5a) bei

allen Drücken gültig wäre, wird ideales Gas genannt.

Ein wirklich existierendes Gas, ein reales Gas, verhältsich mehr und mehr wie ein ideales Gas, je weiter derDruck auf null reduziert wird. In der Praxis zeigen diemeisten Gase bereits bei normalem Luftdruck auf Hö­he des Meeresspiegels (p ≈ 100 kPa) ein nahezu idea­les Verhalten. Sofern nicht ausdrücklich etwas anderesangegeben ist, werden wir innerhalb dieses Buchs al­le Gase als ideal betrachten. Das nichtideale Verhaltenrealer Gase kann auf Anziehungen und Abstoßungenzwischen denMolekülen zurückgeführt werden (sieheAbschn. 1.3), die es in einem idealen Gas nicht gibt.Die Zustandsgleichung des idealen Gases vereinigt

drei Beziehungen, die eine gegenseitige Abhängigkeitvon jeweils zwei der vier Größen p, V , T und n ange­ben. Die erste Gleichung, das Boyle’sche Gesetz, be­schreibt den Zusammenhang zwischen p und V :

Bei konstanter Temperatur und Stoffmenge ist derDruck eines Gases umgekehrt proportional zu dessenVolumen.

In mathematischer Schreibweise lautet das Boyle’scheGesetz:

Bei konstantem T und n gilt p ∝ 1V

(1.6)

Wir können sehr einfach nachweisen, dass Gl. (1.5a)mit dem Boyle’schen Gesetz vereinbar ist. Dazu be­handeln wir n und T als Konstanten. Dann ergibt sichfür pV auch ein konstanter Wert, so dass p ∝ 1∕Vist. Das Boyle’sche Gesetz besagt, dass sich der Druckeines Gases verdoppelt, wenn es bei konstanter Tem­peratur und Stoffmenge auf die Hälfte des ursprüngli­chen Volumens komprimiert wird. Abbildung 1.1 ver­anschaulicht das Boyle’sche Gesetz in Form eines Dia­gramms. Aufgetragen sind experimentell bestimmteWerte des Drucks als Funktion des Volumens bei ver­schiedenen Temperaturen (bei konstanter Stoffmen­ge n) und die jeweils vom Boyle’schen Gesetz vorher­gesagtenKurven. Jede einzelne Kurve ist eine Isother­me, denn sie gibt die Änderung einer Größe (in die­sem Fall des Drucks) bei einer einzelnen konstantenTemperatur an. DiesemDiagramm ist nicht ohne wei­teres anzusehen, ob das Boyle’sche Gesetz für den ge­

Tab. 1.1 Die Gaskonstante in verschiedenen Einheiten.

R Einheit Typische Anwendung

8,314 47 J K−1 mol−1 Fundamentale Anwendungen8,314 47 kPa dm3 K−1 mol−1 Volumen in Litern (bzw. dm3) angegeben8,20574 × 10−2 dm3 atmK−1 mol−1 Druck in Atmosphären und Volumen in Litern (bzw. dm3) angegeben62,364 dm3 Torr K−1 mol−1 Druck in Torr und Volumen in Litern (bzw. dm3) angegeben1,987 21 cal K−1 mol−1 In der Kalorimetrie, Daten in Kalorien (cal) angegeben

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71.1 Das ideale Gas

steigendeTemperatur

Volumen, V

Dru

ck, p

Abb. 1.1 Das Volumen eines gasförmigen Stoffs nimmtmitsteigendemDruck ab. Bei konstanter Temperatur entsprichtder Verlauf des Drucks in Abhängigkeit vom Volumen einerHyperbel, wenn das Verhalten des Gases durch das Boyle’scheGesetz beschriebenwird. Jede Kurve stellt den Zusammen-hang zwischen Druck und Volumen bei einer einzelnen Tem-peratur dar und wird daher Isotherme genannt.

1/Volumen, 1/V

Dru

ck, p

gemessen

ideales Gas

Abb. 1.2 Die Gültigkeit des Boyle’schen Gesetzes kann in ein-facher Weise durch eine Auftragung des Drucks als Funktionvon 1∕V bei konstanter Temperatur überprüft werden. Ist dasBoyle’sche Gesetz erfüllt, so ergibt sich eine Gerade. Das Dia-gramm zeigt, dass die bei höheren Drücken vorhandene Ab-weichung der gemessenenWerte (rote Linie) von idealem Ver-halten (blaue Linie) zusehends verschwindet, wenn der Druckverringert wird. Bei hinreichend kleinen Drücken bzw. großenVolumina liegen die Messdaten auf der blauen Geraden, denndas Verhalten realer Gase wird dann vom Boyle’schenGesetzrichtig wiedergegeben.

samten Druckbereich gültig ist. Tragen wir hingegenp als Funktion von 1∕V auf, erhalten wir gerade Li­nien, so wie wir es aufgrund des Boyle’schen Gesetzesauch erwartenwürden (siehe Abb. 1.2). Es ist gewöhn­lich besonders einfach, eine Beziehung zu überprü­fen, wenn man die experimentellen Daten so aufträgt,dass sich eine Gerade ergeben sollte. In „Toolkit 2: Li­neare Beziehungen und Graphen“ sind die Grundla­gen der linearen Auftragung physikalischer Größenbeschrieben.

Toolkit 2: Lineare Beziehungen und Graphen

Es ist oft sehr schwierig, allein anhand von Kurven-verläufen mit bloßem Auge zu entscheiden, ob eineBeziehung zwischen zwei Größen über den gesamtenbetrachteten Größenbereich gilt. Daher bietet es sichan, die Gültigkeit des postulierten mathematischenZusammenhangs zweier physikalischer Größen x undy zu überprüfen, indem man eine Auftragung wählt,bei der sich ein linearer Graph ergibt. Die allgemeineGleichung einer Geraden lautet

y = mx + b .

In diesem Ausdruck ist m die Steigung der Geradenund b ist der y-Achsenabschnitt (bei x = 0). Daraus er-gibt sich ein positiver Wert für m bei einer von linksnach rechts ansteigenden Geraden (mit steigendemx); analog ergibt sich ein negativer Wert für m bei ei-ner von links nach rechts absteigenden Geraden. DieGröße y ist linear abhängig von x, wenn die Beziehungder allgemeinen Geradengleichung y = mx + b folgt.Wenndie lineare Beziehungdarüber hinausdurchdenNullpunkt geht, dieGeradengleichung sich also zu y =mx vereinfacht, dann ist y linear proportional zu x.Die horizontale und die vertikale Achse der graphi-

schenAuftragung sollten reine Zahlenwerte repräsen-tieren, indem man die aufgetragenen physikalischenGrößen durch ihre Einheiten teilt (wie zuvor in „Tool-kit 1: Größen und Einheiten“ beschrieben). Um zumBeispiel das Volumen eines Gases gemessen in Kubik-dezimetern (= Litern) gegen die Temperatur gemes-sen in Kelvin aufzutragen, trägt man V∕dm3 gegenT∕K auf. Sowohl die Steigung der Geraden als auchder Achsenabschnitt sind dann reine – also dimen-sionslose – Zahlen, und die Einheiten von m und bmüssen entsprechend der gewählten Auftragung in-terpretiert werden. Obschon die Einheiten vonm undb im oben genannten Beispiel unmittelbar einleuch-tend sein dürften, ist es hilfreich, sich für komplizierte-re Fälle ein allgemeines, systematisches Vorgehen zuüberlegen:Bezeichnen wir die Einheit der Größe y mit Y (im

oben genannten Beispiel ist Y = dm3) und die Einheitder Größe xmit X (im Beispiel ist X = K). Dann könnenwir die Geradengleichung y = mx+ bwie folgt schrei-ben:

(y∕Y)Y = m(x∕X)X + b

[im Beispiel wird V = mT + b zu

(V∕dm3) dm3 = m(T∕K)K + b]Wir teilen nun die allgemeine Gleichung durch Y:

(y∕Y) = m(x∕X)X∕Y + b∕Y[im Beispiel: (V∕dm3) = m(T∕K) K∕dm3 + b∕dm3]

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8 1 Die Eigenschaften der Gase

was (nach Vereinfachung des ersten Terms) gleichbe-deutend ist mit

y∕Y = (mX∕Y)x∕X + b∕Y[im Beispiel: V∕dm3 = (mK∕dm3)T∕K + b∕dm3]

Bei der nun folgenden Auftragung der dimensionslo-sen Größe y∕Y gegen die dimensionslose Größe x∕Xerhalten wir eine Gerade mit dem Achsenabschnittb∕Y und der SteigungmX∕Y (siehe Abb. T1). Nun las-sen sich aus den reinen Zahlenwerten für den Achsen-abschnitt unddie Steigung, die demGraphen entnom-menwerden, die gewünschtenWerte von b undm er-mitteln:

b∕Y = Achsenabschnitt,

alsob = Achsenabschnitt × Y

mX∕Y = Steigung,

alsom = Steigung × Y∕X = Steigung × YX−1

[im Beispiel: b = Achsenabschnitt × dm3 und

m = Steigung × dm3∕K = Steigung × dm3 K−1]

y/Y

x/X00

Achsenabschnitt

Änderungvon y/Y

Änderungvon x/X

Steigung = (Änderu

ng von y/Y)/(Änderung von x/X)

Abb. T1

Die zweite experimentelle Beobachtung, die sich inder Zustandsgleichung des idealen Gases ausdrückt,ist das Charles’sche Gesetz, das den Zusammenhangzwischen V und T beschreibt:

Bei konstantem Druck und konstanter Stoffmenge än­dert sich das Volumen eines Gases proportional zur ab­soluten Temperatur.

In mathematischer Schreibweise:

Bei konstantem p und n gilt V ∝ T (1.7)

Somit führt bei konstantem Druck eine Verdopplungder Temperatur auf der Kelvin-Skala (beispielsweisevon 300 auf 600K, entsprechend einer Erhöhung von27 auf 327 °C) zu einer Verdopplung des Volumens.

Temperatur,

Volu

men

,V

gemessen

ideales Gas

steigenderDruck

0

Abb. 1.3 Dieses Diagramm veranschaulicht das Charles’scheGesetz und zeigt, dass das Volumen eines Gases bei konstan-temDruck linear von der Temperatur abhängt. Beim Auftragender Werte gegen die Celsius-Temperatur (wie hier gezeigt) er-geben sich für alle Gase Geraden, die bei Extrapolation nachV = 0 Schnittpunktemit der θ-Achse bei einer Celsius-Tempe-ratur von −273,15 °C besitzen. Diese Temperatur sollte dem-nach die tiefste sein, auf die ein Körper abgekühlt werdenkann.

Nun können wir überprüfen, ob Gl. (1.5a) mit demCharles’schen Gesetz vereinbar ist. Hierzu formenwirGl. (1.5a) zunächst in V = nRT∕p um. Wenn nun so­wohl die Stoffmenge n als auch der Druck p konstantsind, gilt tatsächlich: V ∝ T . Dies ist in Abb. 1.3 dar­gestellt.Die dritte Eigenschaft von Gasen, die durch Gl.

(1.5a) ausgedrückt wird, ist das Avogadro’sche Prin­zip. Es gibt den Zusammenhang zwischen V und n an:

Bei vorgegebener Temperatur und vorgegebenemDruckenthalten gleiche Volumina eines Gases die gleiche An­zahl Moleküle.

Das bedeutet, dass 1,00 dm3 (1,00 L) Sauerstoff bei100 kPa und 300K genauso viele Moleküle enthält wie1,00 dm3 Kohlendioxid oder 1,00 dm3 eines beliebiganderen Gases bei gleicher Temperatur und gleichemDruck. Dieses Prinzip impliziert, dass sich das Vo­lumen einer Probe verdoppelt, wenn wir die Anzahlder Moleküle verdoppeln, Temperatur und Druck je­doch konstant halten. Daher können wir für das Avo­gadro’sche Prinzip auch schreiben:

Bei konstantem p und T gilt V ∝ n (1.8)

Dieses Ergebnis kann in einfacherWeise aus Gl. (1.5a)abgeleitet werden, wenn wir p und T als Konstantenbehandeln. Avogadros Hypothese ist in der Tat eherein Prinzip als ein Gesetz, denn es wurde nicht ausexperimentellen Befunden abgeleitet, sondern basiertauf der Modellvorstellung eines Gases als Ansamm­lung einer Vielzahl von Molekülen.

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91.1 Das ideale Gas

Das Molvolumen Vm einer beliebigen Substanz(nicht nur eines Gases) entspricht dem Volumen, dasvon einem Mol dieser Substanz eingenommen wird:

Molvolumen = Volumen der ProbeStoffmenge

, Vm = Vn

.

(1.9a)

Für ein idealesGas gilt n = pV∕RT . Eine Kombinationbeider Gleichungen liefert

Vm = Vn

= VpV∕(RT)

= 1p∕(RT)

= RTp

. (1.9b)

Mit diesem Ausdruck können wir dasMolvolumen ei­nes beliebigen (idealen) Gases aus dessen Druck undTemperatur bestimmen. Außerdem zeigt Gl. (1.9b),dass alle Gase bei gegebener Temperatur und gegebe­nem Druck das gleiche Molvolumen haben, wenn siesich ideal verhalten.

Illustration 1.1: Das Molvolumen eines idealenGases

Zur Berechnung desMolvolumens eines idealen Ga­ses bei 298,15K und 100,0 kPa aus Gl. (1.9b) istes sinnvoll, denjenigen Wert für die Gaskonstan­te R zu verwenden, bei dem die Einheiten bereitsin den vorgegebenen Dimensionen angegeben sind(hier: Volumen in Kubikdezimeter, Stoffmenge inMol,Druck inKilopascal). In diesemFallewählenwirR = 8,314 47 dm3 kPaK−1 mol−1. Damit ergibt sich:

Vm =

R⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞

8,314 47 dm3 kPaK−1 mol−1 ×

T⏞⏞⏞⏞⏞

298,15K100,0 kPa⏟⏞⏞⏟⏞⏞⏟

p

= 8,314 47 × 298,15100,0

dm3 kPaK−1 mol−1 KkPa

= 24,79 dm3 mol−1 .

Diese Vorgehensweise erlaubt es, die Einheiten imletzten Schritt einfach zu kürzen.

Selbsttest 1.1Berechnen Sie das Molvolumen eines idealen Gasesbei 0,0 °C und 1,000 atm.

[Antwort: 22,41 dm3 mol−1]

Die Werte in Tab. 1.2 zeigen, dass die Folgerung, dassdas Molvolumen aller Gase bei derselben Temperaturund demselben Druck identisch sind, solange sie sich

Tab. 1.2 Molvolumina von Gasen bei Standardtemperatur undStandarddruck (298,15K und 1bar).

Gas Vm∕(dm3 mol−1)

Ideales Gas 24,7896a)

Ammoniak 24,8Argon 24,4Kohlendioxid 24,6Stickstoff 24,8Sauerstoff 24,8Wasserstoff 24,8Helium 24,8

a) Vm = 22,4140dm3 mol−1 bei 0 °C und 1 atm.

ideal verhalten, für die meisten Gase unter normalenBedingungen (normaler Luftdruck von etwa 100 kPaund Raumtemperatur) annähernd zutrifft.Chemiker und Physiker geben Daten zu Gasen

häufig bei sogenannten Standardbedingungen bzw.Normbedingungen an. Dabei sind u. a. zu unterschei­den:

• Standardbedingungen (SATP, engl. „standard ambi­ent temperature and pressure“, gemäß IUPAC):Temperatur T⊖ = 25 °C (= 298,15K); Druck p⊖ =1 bar (= 100 kPa)

• Normbedingungen (STP, engl. „standard temperatu­re and pressure“, gemäß DIN 1343):Temperatur Tn = 0 °C (= 273,15K); Druck pn =1 atm (= 101,325 kPa)

Hinweis Standardbedingungen sollten nicht ver­wechselt werden mit den Standardzuständen vonSubstanzen, die in Abschn. 2.5 vorgestellt werden.

Das Molvolumen eines idealen Gases bei Standard­bedingungen beträgt 24,79 dm3 mol−1 (siehe auch Il­lustration 1.1). Dieser Wert bedeutet, dass 1mol ei­nes idealen Gases bei Standardbedingungen (SATP)ein Volumen von ungefähr 25 Litern einnimmt (waseinem Würfel von ca. 30 cm Kantenlänge entspricht).BeiNormbedingungen (STP) beträgt dasMolvolumeneines idealen Gases lediglich 22,41 dm3 mol−1 (sieheauch Selbsttest 1.1).

1.1.2 Anwendungen der Zustandsgleichungdes idealen Gases

Im Anschluss werden wir zwei grundlegende An­wendungen der Zustandsgleichung des idealen Gases(Gl. (1.5a)) besprechen:

1. die Berechnung des Drucks eines Gases bei ge­gebenen Werten für Temperatur, Stoffmenge undVolumen.

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10 1 Die Eigenschaften der Gase

2. die Berechnung vonDruckänderungen als Folge ei­ner Änderung der Bedingungen.

Berechnungen dieser Art sind die Grundlage für wei­tergehende Überlegungen. Meteorologen beispiels­weise stellen solche Überlegungen an, um die Ände­rungen inderAtmosphäre zu verstehen, diewirWetternennen (siehe „Anwendung 1: Umweltwissenschaft –Die Bedeutung der Gasgesetze für das Wetter“).

Beispiel 1.1: Berechnung eines Gasdrucks

Bestimmte Bakterien, die an den Wurzeln mancherHülsenfrüchte leben, können den Stickstoff aus derAtmosphäre in eine für Pflanzen verwertbare Formumwandeln. Ein Chemiker, der dieses Phänomen un­tersucht, benötigt den Druck in Kilopascal, der von1,25 g gasförmigem Stickstoff in einem Glaskolbenmit einem Volumen von 250 cm3 bei 20 °C hervor­gerufen wird.

Vorgehensweise Wir müssen das ideale Gasgesetz(Gl. (1.5a)) so umformen, dasswir für die unbekannteGröße (den Druck p) einenAusdruck erhalten, in denwir die bekannten Werteeinsetzen können:

Dru

ck,

p

Volumen, V00

p = nRTV

.

Um diesen Ausdruck an­wenden zu können, benöti­gen wir die Stoffmenge an Stickstoffmolekülen (inmol), die wir aus der angegebenen Masse und derMolmasse über den Zusammenhang n = m∕M er­halten.Weiterhin müssen wir die Temperatur in Kel­vin umrechnen, indem wir 273,15 zur Celsius-Tem­peratur addieren. Ein bezüglich der Einheiten vonDruck und Volumen (kPa bzw. cm3) geeigneter Wertvon R kann Tab. 1.1 entnommen werden (bedenkenSie dabei, dass 103 cm3 = 1 dm3 ist).

Lösung Die Stoffmenge an N2-Molekülen (Mol­masse 28,02 gmol−1) beträgt

nN2= m

MN2

=1,25 g

28,02 gmol−1

= 1,2528,02

mol = 0,0446mol .

Die Temperatur der Probe ist

T∕K = 20 + 273,15 ,also: T = (20 + 273,15)K = 293,15K

Somit ergibt sich der Druck gemäß p = nRT∕V zu

p =

n⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞0,0446mol×

R⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞

8,314 47 × 103 cm3 kPaK−1 mol−1 ×

T⏞⏞⏞⏞⏞

293,15K250 cm3⏟⏞⏟⏞⏟

V

= 0,0446 × 8,314 47 × 103 × 293,15250

kPa

= 435 kPa .

Beachten Sie, dass sich auch Einheiten wie gewöhnli­che Zahlen herauskürzen. Hätte das Ergebnis für denDruck in einer anderen Einheit angegeben werdensollen, verwendet man einfach den entsprechendenWert für R aus Tab. 1.1.

Hinweis Es ist sinnvoll, die Berechnung des Zahlen­werts erst ganz amEnde durchzuführen, und zwar ineinem einzigen Schritt. Auf dieseWeise werdenRun­dungsfehler minimiert.

Selbsttest 1.2Berechnen Sie den Druck, den Kohlendioxidgas miteinerMasse von 1,22 g in einemGlaskolbenmit einemVolumen von 500 cm3 bei 37 °C erzeugt.

[Antwort: 143 Pa]

In manchen Fällen kennen wir den Druck eines Gasesunter bestimmten Bedingungen und sollen nun denDruck der gleichen Probe unter anderen Bedingungenangeben. Dazu wenden wir die Zustandsgleichung desidealen Gases wie folgt an. Wenn Anfangsdruck, An­fangstemperatur und Anfangsvolumen durch p1, T1und V1 gegeben sind, dann folgt nach einer Divisiondurch die Temperatur auf beiden Seiten von Gl. (1.5a)

p1V1T1

= nR .

Wenn wir jetzt eine neue Temperatur T2 und ein neu­es Volumen V2 vorgeben, ergibt sich mit p2 auch einneuer Druck. Nun schreiben wir Gl. (1.5a) in der Form

p2V2T2

= nR .

Da R eine Konstante ist und sich die Stoffmenge desGases nicht geändert hat, stimmen die Werte vonnR auf der rechten Seite beider Gleichungen überein.Deshalb können wir beide Gleichungen zu einer ein­zigen Gleichung zusammenfassen:

p1V1T1

=p2V2T2

. (1.10)

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111.1 Das ideale Gas

Wir können diesen Ausdruck umformen, um eine un­bekannte Größe (beispielsweise p2) aus den bekann­ten Größen zu berechnen, zum Beispiel:

p2 =p1V1T1

×T2V2

=V1V2

×T2T1

× p1

und

V2 =p1V1T1

×T2p2

=p1p2

×T2T1

× V1 .

Illustration 1.2: Die kombinierte Gasgleichung

Gegeben sei eine Gasprobe mit einem Ausgangsvo­lumen von 15 cm3, die von 25 auf 1000 °C erhitztwurde und deren Druck von 10,0 auf 150,0 kPa er­höht wurde. Damit ergibt sich für das Endvolumen:

V2 =

p1⏞⏞⏞⏞⏞10,0 kPa150,0 kPa⏟⏞⏞⏟⏞⏞⏟

p2

×

T2⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞(1000 + 273,15)K(25 + 273,15)K⏟⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏟⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏟

T1

×

V1⏞⏞⏞

15 cm3

= 4,3 cm3 .

Selbsttest 1.3Berechnen Sie den Druck eines Gases, dessen Volu­men von 20 auf 10 dm3 komprimiertwird, und das von100,0 auf 25 °C abgekühlt wird. Der Ausgangsdruckvor der Kompression betrage 1 bar.

[Antwort: 1,60 bar]

1.1.3 Mischungen von Gasen: Der Partialdruck

Im frühen neunzehnten Jahrhundert leitete John Dal­ton aus einer Reihe von Experimenten einen Zusam­menhang ab, den wir als dasDalton’sche Gesetz ken­nen:

Der Druck einer Mischung idealer Gase entspricht derSumme der Drücke, den jedes Gas bei gleicher Tempe­ratur allein in dem Gefäß ausüben würde:

p = pA + pB + … (1.11)

p J ist hierbei der Druck, den ein Gas J ( J = A, B, … )bei gleicher Temperatur ohne Vorhandensein der an­deren Gase in dem Gefäß hervorrufen würde. DasDalton’sche Gesetz gilt genau genommen nur für Mi­schungen idealer Gase und nur dann auch für Mi­schungen realer Gase, wenn die Drücke so niedrigsind, dass man ideales Verhalten annehmen kann. In

kPa kPa kPa5 20 25

A B A+B

pA pB pA + pB

Abb. 1.4 Die Partialdrücke pA und pB entsprechen den Drü-cken, die die beiden idealen Gase A und B jeweils einzeln imgleichen Gefäß (also bei gleichemVolumen) und bei gleicherTemperatur ausüben. Der Gesamtdruck einer Mischung aus Aund B ergibt sich bei konstanter Temperatur aus der Summeder beiden Partialdrücke.

guter Näherung ist es jedoch in denmeisten Fällen an­wendbar. Abbildung 1.4 illustriert das Dalton’sche Ge­setz.DerPartialdruck p J eines Gases (real oder ideal) ist

definiert als

p J = x J × p . (1.12)

Die Größe x J wird als Stoffmengenanteil (in der äl­teren Literatur auch als Molenbruch) bezeichnet. DerStoffmengenanteil der Komponente J gibt das Ver­hältnis der Stoffmenge an Molekülen dieser Kompo­nente zurGesamtstoffmenge an.Wenn eineMischungnA Moleküle A, nB Moleküle B usw. enthält, wobei nJdie Stoffmenge der Komponente J symbolisiert, dannbeträgt der Stoffmengenanteil an J (mit J = A, B, … )

Stoffmengenanteil der Komponente J

=Stoffmenge der Komponente J

gesamte Stoffmenge aller Moleküle,

x J =nJ

n=

nJ

nA + nB + ….

(1.13a)

Der Stoffmengenanteil ist eine dimensionslose Größe,da sich die Einheit Mol in Zähler und Nenner heraus­kürzt. Für eine binäre Mischung (eine Mischung auszwei Komponenten) vereinfacht sich der allgemeineAusdruck zu

xA =nA

nA + nB, xB =

nBnA + nB

, xA + xB = 1 .

(1.13b)

Ist nur Komponente A vorhanden, dann gilt xA = 1und xB = 0. Ist hingegen nur Komponente B vorhan­den, dann gilt xB = 1 und xA = 0.Wenn eineMischungmit gleichen Stoffmengen an A und B vorliegt, giltxA = 1

2 und xB = 12 (siehe Abb. 1.5).

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12 1 Die Eigenschaften der Gase

A

B

xA = 0,708

xA = 0,375

xB = 0,292

xB = 0,625

Abb. 1.5 Stoffmengenanteile der Substanzen A und B in bi-nären Mischungen verschiedener Zusammensetzung. Dieeinzelnen Felder (84 Quadrate) symbolisieren Mischungen ausinsgesamt 48 Molekülen: Gelbe Quadrate stehen für ein ein-zelnes Molekül A, grüne Quadrate für ein einzelnesMolekül B.

Beispiel 1.2: Berechnung von Partialdrücken

Eine Probe trockener Luft mit der Masse 100,0 gbesteht zu 75,5 g aus N2, zu 23,2 g aus O2 und zu1,3 g aus Ar. Geben Sie die Stoffmengenanteile sowiedie Partialdrücke der drei einzelnen Gase bei einemLuftdruck von 100 kPa an.

Vorgehensweise Um die Stoffmengenanteile be­rechnen zu können, müssen wir zunächst aus denMassen der einzelnen Gase die Stoffmengen (in mol)berechnen. Hierzu benötigen wir die MolmassenMJ für jede Substanz J , sowie den ZusammenhangnJ = mJ∕MJ , wobei mJ die Masse der Substanz Jin der Probe ist. DurchEinsetzen derWerte in Gl.(1.13a) lassen sich dieStoffmengenanteile be­rechnen, und mit diesenWerten können wir dannmithilfe von Gl. (1.12) diePartialdrücke berechnen.

Lösung Die Stoffmengen von N2, O2 und Ar betra­gen

nN2=

mN2

MN2

=75,5 g

28,0 gmol−1 = 2,696…mol

nO2=

mO2

MO2

=23,2 g

32,0 gmol−1 = 0,725…mol

nAr =mArMAr

=1,3 g

39,9 gmol−1 = 0,032…mol

Die gesamte Stoffmenge n ist

n = 2,696…mol + 0,725…mol + 0,032…mol= 3,454…mol .

Der Stoffmengenanteil der N2-Moleküle ist, gemäßGl. (1.13a),

xN2=

nN2

n= 2,696…mol

3,454…mol= 0,781 .

BerechnetmandieseWerte nun in gleicherWeise fürdie anderen beiden Komponenten, ergibt sich für O2ein Stoffmengenanteil von 0,210 und für Ar 0,0094.Bei dem angegebenen Druck von 100 kPa folgt ausGl. (1.12) ein Partialdruck für Stickstoff von

pN2= xN2

× p

= 0,781 × (100 kPa) = 78,1 kPa .

Für die anderen beiden Komponenten ergibt sich inanaloger Weise

pO2= 21,0 kPa und pAr = 0,94 kPa .

Wenn wir ideales Verhalten voraussetzen, so würdejedes einzelne dieser Gase nach Überführung in ei­nen Behälter gleicher Größe unter einem Druck ste­hen, der dem jeweils berechneten Partialdruck ent­spricht.

Selbsttest 1.4Der Partialdruck des Luftsauerstoffs spielt eine wichti­ge Rolle für den Sauerstoffgehalt und damit das Lebenim Wasser sowie für die Absorption des Sauerstoffsdurch das Blut beim Atmen. Berechnen Sie die Par­tialdrücke in einer Gasprobe, die aus 2,50 g Sauerstoffund 6,43 g Kohlendioxid bei einem Gesamtdruck von88 kPa besteht.

[Antwort: 31 kPa, 57 kPa]

Für eine Mischung idealer Gase können wir den Par­tialdruck der Komponente J als ihren Beitrag zumGesamtdruck identifizieren. Daher erhalten wir durchEinsetzen von p = nRT∕V in Gl. (1.12)

p J = x J × p = x J × nRTV

=nJ RTV

.

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131.1 Das ideale Gas

Somit erzeugt die Stoffmenge nJ der Komponente Jin einem ansonsten leeren Gefäß den Druck p J =nJ RT∕V . Das bedeutet, dass der Partialdruck derKomponente J gemäß der Definition in Gl. (1.12) ge­nau dem Druck des Gases J im Dalton’schen Gesetzentspricht, wenn sich alle Gase in der Mischung idealverhalten. Auch wenn sich die Gase nicht ideal verhal­ten, sind deren Partialdrücke durchGl. (1.12) gegeben.Diese Definition kann also auf alle Gase angewendetwerden. Somit gilt auch für reale Gase, dass die Sum­me aller Partialdrücke dem Gesamtdruck entspricht,da die Summe aller Stoffmengenanteile denWert 1 er­gibt. Allerdings ist in diesem Fall der Partialdruck ei­nes einzelnen Gases nicht mehr der Druck, den dasGas ohne das Vorhandensein der anderen Gase aus­üben würde.

Schlüsselkonzepte

1. Eine physikalische Größe bezeichnet man als ex­tensiv, wenn ihr Wert der Summe der Einzelwerteentspricht, durch die sie geteilt werden kann. An­derenfalls handelt es sich umeine intensiveGröße.

2. Eine Zustandsgleichung ist eine Gleichung, dieeine Beziehung zwischen dem Druck, dem Volu­men, der Temperatur und der Stoffmenge einerSubstanz herstellt.

3. Die Zustandsgleichung des idealen Gases, pV =nRT , basiert auf dem Boyle’schen Gesetz (p ∝1∕V ), demCharles’schen Gesetz (V ∝ T) und demAvogadro’schen Prinzip (V ∝ n).

4. Das Dalton’sche Gesetz besagt, dass der Gesamt­druck einerMischung idealer Gase der Summe derDrücke entspricht, den jedesGas bei gleicherTem­peratur allein in dem Gefäß ausüben würde.

5. Der Partialdruck eines Gases ist definiert als p J =x J × p, wobei x J der Stoffmengenanteil desGases Jin der Mischung und p der Gesamtdruck ist.

Anwendung 1: Umweltwissenschaft – Die Bedeutung der Gasgesetze für das Wetter

Die Atmosphäre ist die mit Abstand größte Gasmenge,die uns zugänglich ist. Alle Bestandteile dieser Gasmi-schung sind in Tab. A1 aufgeführt. Ihre Zusammenset-zung wird innerhalb gewisser Grenzen durch Diffusionund Konvektion in FormvonWinden (insbesondere vonWirbeln, also lokalen Turbulenzen) konstant gehalten.Druck und Temperatur hingegen hängen von der Hö-he und von regionalen Einflüssen ab. Dies gilt beson-ders für die Troposphäre (die „Wetterschicht“), die un-

Tab. A1 Zusammensetzung der Erdatmosphäre.

Verbindung Anteil inVolumenprozent Massenprozent

Stickstoff, N2 78,08 75,53Sauerstoff, O2 20,95 23,14Argon, Ar 0,93 1,28Kohlendioxid, CO2 0,031 0,047Wasserstoff, H2 5,0 × 10−3 2,0 × 10−4

Neon, Ne 1,8 × 10−3 1,3 × 10−3

Helium, He 5,2 × 10−4 7,2 × 10−5

Methan, CH4 2,0 × 10−4 1,1 × 10−4

Krypton, Kr 1,1 × 10−4 3,2 × 10−4

Stickstoffmonoxid, NO 5,0 × 10−5 1,7 × 10−6

Xenon, Xe 8,7 × 10−6 3,9 × 10−5

Ozon, O3: Sommer 7,0 × 10−6 1,2 × 10−5

Winter 2,0 × 10−6 3,3 × 10−6

terste Schicht der Erdatmosphäre mit einer Höhe vonetwa 11 km.Auf Höhe des Meeresspiegels beträgt die Tempe-ratur im Durchschnitt 15 °C, in 11 km Höhe beimÜbergang zur nächsthöheren Schicht der Atmosphä-re, der Tropopause, ist sie bereits auf −57 °C gefal-len. Wird die Temperatur in Kelvin angegeben, fälltdiese Temperaturänderung weniger auf. Die Tem-peratur liegt zwischen 288 und 216K, ihr Mittel-wert beträgt 268 K. Wenn wir annehmen, dass überdie gesamte Höhe der Troposphäre diese mittlereTemperatur herrscht, dann besteht folgender Zusam-menhang zwischen dem Druck p und der Höhe h:

p = p0 e−h∕H .

Diese Gleichung wird barometrische Höhenformel ge-nannt. p0 bezeichnet den Druck auf Höhe des Mee-resspiegels. H ist eine Konstante, die mit der mittlerenMolmasse M und der durchschnittlichen Temperatur Tüber die Beziehung H = RT∕Mg zusammenhängt. DerWert von H beträgt ungefähr 8 km. Diese Formel be-rücksichtigt das Ergebnis des „Wettstreits“ zwischen derpotenziellen Energie der Gasmoleküle im Schwerefeldder Erde und denMischungseffekten, die durch thermi-scheBewegungenhervorgerufenwerden; siewurdeaufBasis einer Boltzmann-Verteilung abgeleitet (siehe Ein-leitung dieser Anwendung, sowie Abschn. 12.1). Abbil-dung A1 zeigt, wie der Luftdruck gemäß der barome-

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14 1 Die Eigenschaften der Gase

trischen Höhenformel mit steigender Höhe abnimmt.Der Kurvenverlauf gibt diewirklichenDruckverhältnissein der Atmosphäre recht gut wieder, selbst in Regionendeutlich oberhalb der Troposphäre. Die barometrischeHöhenformel besagt, dass Druck und Dichte der Luft ineiner Höhe h = H × ln(2) (etwa 6 km) halb so groß wieauf Höhe des Meeresspiegels sind.

0 0,5 1Druck, p/p0

24

18

12

6

0

Höh

e, h

/km

Abb. A1 Abhängigkeit des Luftdrucks von der Höhegemäß der barometrischen Höhenformel.

Regionale Veränderungen von Druck, Temperatur undZusammensetzung in der Troposphäre bestimmen un-ser „Wetter“. Wir wollen im Folgenden einige typischeVorgängebetrachten, die zudiesenÄnderungenbeitra-gen. Heiße Luft hat bei gleichem Druck eine geringereDichte als kalte Luft und steigt deshalb nach oben. Mitzunehmender Höhe nimmt der Druck ab und die Luftexpandiert adiabatisch (d. h. ohneWärmeaustauschmitder Umgebung), so dass ihre Temperatur sinkt (sieheAbschn. 1.3.6). Da kalte Luft nicht so viel Wasser auf-nehmen kann wie warme Luft, entstehen aus der über-schüssigen Luftfeuchtigkeit Wolken. Eine starke Bewöl-kung kann also mit aufsteigender Luft, ein klarer Him-mel oftmals mit absteigender Luft erklärt werden.Luftbewegungen in großer Höhe können dazu führen,dass die Zahl der Gasmoleküle pro Volumeneinheit inmanchen Regionen über den durchschnittlichen Wertsteigt, in anderendafür unter diesenWert fällt. Auf dieseWeise entstehenHochdruckgebiete („Hochs“ oder Anti-zyklonen) und Tiefdruckgebiete („Tiefs“ oder Zyklonen).Auf einer typischenWetterkarte (siehe Abb. A2) werdendie entsprechendenGebietemit den BuchstabenHundT bezeichnet. Die eingezeichnetenLinien verbindenOr-te, andenendergleicheDruckherrscht, undwerden Iso-baren genannt. Die Regionen der Erde, in denenwir be-vorzugt Hoch- oder Tiefdruckgebiete vorfinden, heißenHochdruckgürtel bzw. Tiefdruckrinnen.

Abb. A2 TypischeWetterkarte am Beispiel des Festlands vonNordamerika vom 6. Mai 2014.

Horizontale Druckunterschiede verursachen Luftströ-me, die wir Winde nennen. Aufgrund der Rotation derErde von Westen nach Osten werden Winde auf dernördlichen Erdhalbkugel nach rechts, auf der südlichenErdhalbkugel hingegen nach links abgelenkt. In derSummewerden dieWinde also nachWesten abgelenkt,während sie von Gebieten langsamer Rotation (an denPolen) in Richtung der Gebiete mit schnellerer Rotation(am Äquator) strömen. In großer Höhe bewegenWindesich nahezu parallel zu den Isobaren. Die Tiefdruckge-biete liegen auf der Nordhalbkugel links, auf der Süd-halbkugel rechts der Windrichtung (siehe Abb. A3). Na-he der Erdoberfläche sind die Windgeschwindigkeitengeringer. Daher verläuft die Windrichtung dort senk-recht zu den Isobaren vom Hoch- zum Tiefdruckge-biet. Die unterschiedlichenWindrichtungen führen da-zu, dass die Luft auf der nördlichen Hemisphäre spiral-förmig im Uhrzeigersinn aus einem Hoch heraus undgegen den Uhrzeigersinn in ein Tief hinein strömt.

T

T

N

S

Wind

Rotation

Abb. A3 Horizontale Strömungsrichtung der Luft relativzu einem Tiefdruckgebiet auf der nördlichen und auf dersüdlichen Erdhalbkugel.

Der Gasverlust von Hochdruckgebieten durch Windewird ausgeglichen, indem Luft in großer Höhe nach-strömt und anschließend nach unten absinkt. Wir wis-sen bereits, dass dieser Vorgang für die Abnahme derBewölkung bis hin zu einem wolkenlosen Himmel ver-

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151.2 Die kinetische Gastheorie

antwortlich ist. Ferner nehmen Dichte und Tempera-tur der Luft mit abnehmender Höhe zu. Aus diesemGrund sind Hochdruckgebiete mit hohen Temperatu-ren auf der Erdoberfläche verbunden. Im Winter kannes passieren, dass die kalte Luft nahe der Erdoberflä-che ein komplettes Absinken der Luft aus großer Höheverhindert. Dann befindet sich eine warme Luftschicht

über einer kalten Luftschicht. Wir sprechen in so einemFall von einer Inversionslage. Auch an Orten mit einerbesonderen geographischen Lage wie beispielsweiseLos Angeles ist ein Luftaustausch unter Umständen nureingeschränkt möglich. Dies kann zu einer Zunahmeder Konzentration photochemischer Schadstoffe, auchSmog genannt, in der kalten Luftschicht führen.

1.2 Die kinetische Gastheorie

MotivationEine wichtige Aufgabe in der Physikalischen Chemieist die Entwicklung von strengen Theorien, die auchexperimentell überprüfbare quantitative Aussagenerlauben, aus einfachen qualitativenModellvorstel-lungen. Die kinetische Gastheorie ist ein exzellentesBeispiel für diese Vorgehensweise, und sie liefertdarüber hinaus eine wichtige Erkenntnis für die Dis-kussion von Reaktionsgeschwindigkeiten in der Gas-phase (siehe Abschn. 6.4).

SchlüsselideenEin Gas besteht aus Molekülen von vernachlässigbargeringer Größe, die sich kontinuierlich und ungeord-net bewegen. Stoßen Moleküle zusammen, gehor-chen diese Kollisionen den Gesetzen der klassischenMechanik.

VoraussetzungenSie sollten mit dem Verhalten idealer Gase vertrautsein, wie es durch das ideale Gasgesetz beschriebenwird (siehe Abschn. 1.1), sowie mit der Definitionvon Druck als eine Kraft, die auf eine Fläche wirkt.Diejenigen Gesetze der klassischen Mechanik, dieSie zum Verständnis benötigen, sind in „Toolkit 3:Impuls und Kraft“ angegeben, und die Eigenschaf-ten von Exponentialfunktionen werden in „Toolkit 4:Exponential- und Gaußfunktionen“ beschrieben.

Die kinetische Gastheorie ist ein Beispiel dafür, wieaus Beobachtungen der Zustandsänderungen idealerGase ein Modell abgeleitet werden kann, das Vorher­sagen über das Verhalten der einzelnen Gasmolekülezulässt. Die Theorie basiert auf drei Annahmen:

1. Ein Gas besteht aus Molekülen, die sich kontinu­ierlich und ungeordnet bewegen.

2. Die Größe eines Moleküls (der Moleküldurchmes­ser) ist vernachlässigbar gering im Vergleich zurStrecke, die im Mittel zwischen zwei Stößen zu­rückgelegt wird.

3. Die Moleküle wechselwirken nicht miteinander,außer bei elastischen Stößen.

Bei einem „elastischen“ Stoß bleibt die Translations­energie der Moleküle vor und nach der Kollision un­verändert (es wird also keine Energie zur Anregungvon Vibrationen oder Rotationen verwendet). Soferndie Annahme zutrifft, dass zwei Moleküle, solange sienicht zusammen stoßen, nicht miteinander wechsel­wirken, hat dies zur Konsequenz, dass die potenziel­le Energie der Moleküle (ihre Lageenergie) nicht vonihren gegenseitigen Abständen abhängt. Sie kann da­her gleich null gesetzt werden. Die Gesamtenergie ei­ner Gasprobe ergibt sich aus der Summe der kineti­schen Energien (der Bewegungsenergien) aller Mole­küle. Daraus folgt, dass die Gesamtenergie eines Gasesumso größer ist, je schneller sich die Moleküle bewe­gen, das heißt, je größer die Summe der kinetischenEnergien aller Moleküle ist.

1.2.1 Der Druck eines Gases

Im Rahmen der kinetischen Gastheorie kann der kon­stante Druck eines Gases auf die Zusammenstöße derMoleküle mit der Gefäßwand zurückgeführt werden.Jeder Stoß ruft kurzzeitig eine Kraft auf die Wandhervor. Da jedoch viele Milliarden Stöße pro Sekundestattfinden, wirkt im Grunde eine konstante Kraft aufdie Wand. Daher übt das Gas auch einen konstantenDruck aus. Auf der Grundlage diesesModells kann einZusammenhang zwischen Druck, Molmasse M undVolumenV einesGases hergeleitetwerden (siehe auchHerleitung 1.1):

p = nMc23V

. (1.14)

c ist die quadratisch gemittelte Geschwindigkeitder Moleküle. Diese Größe ist definiert als die Qua­dratwurzel aus dem Mittelwert der Quadrate der Ge­schwindigkeiten v der einzelnen Moleküle. Wenn also

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16 1 Die Eigenschaften der Gase

ein Gas aus N Molekülen mit den Geschwindigkeitenv1, v2, … , vN besteht, dann quadrieren wir alle Ge­schwindigkeiten, bilden die Summe über alle Quadra­te und teilen diese Summe durch die Gesamtzahl allerMoleküle, um den Mittelwert (bezeichnet mit ⟨… ⟩)zu erhalten. Im letzten Schritt berechnen wir dann dieQuadratwurzel des Mittelwerts:

c = ⟨v2⟩1∕2 =

(v21 + v21 + ⋯ + v2N

N

)1∕2

. (1.15)

Herleitung 1.1: Die kinetische Gastheorie

Die Entwicklung eines Modells besteht gewöhnlichaus einer Reihe von Schritten; jeder Schritt basiertauf einer klaren Vorstellung des zu Grunde liegen­den physikalischen Bilds, in diesem Fall also auf derVorstellung eines Gases als einer Ansammlung vonMassenpunkten, die sich kontinuierlich und unge­ordnet bewegen. Die entscheidenden quantitativenBeziehungen, die wir benötigen, sind die Gleichun­gen der klassischen Mechanik (siehe „Toolkit 3: Im­puls und Kraft“).

Schritt 1: Berechnung der Änderung des Impulses einesTeilchens beim Stoß auf die Wand.Betrachten wir zunächst die Anordnung in Abb. H1.Ein Teilchen mit der Masse m bewegt sich miteiner Geschwindigkeitskomponente vx parallel zurx-Achse (vx > 0 entspricht einer Bewegung nachrechts und vx < 0 einer Bewegung nach links). Wenndieses Teilchen mit der rechten Wand zusammen­stößt und dabei reflektiert wird, dann ändert sichdessen Impuls von +m|vx| vor dem Stoß auf −m|vx|

|vx|Δt

x

Fläche, A

erreichtdieWandnicht

erreichtdieWand

Abb. H1 Modell für die Berechnung des Drucks eines ide-alen Gases gemäß der kinetischen Gastheorie. Der Über-sichtlichkeit halber ist hier nur die x-Komponente der Ge-schwindigkeit dargestellt (die beiden anderen Komponentenändern sich nicht, wenn das Molekül mit der Wand zusam-menstößt). Alle Moleküle innerhalb der schattierten Flächeerreichen die Wand im Zeitintervall Δt, wenn sie in RichtungWand fliegen.

nach dem Stoß (wenn es sich mit der gleichen Ge­schwindigkeit in die entgegengesetzte Richtung be­wegt). Die Betragsstriche bedeuten, dass das Vorzei­chen des umschlossenen Wertes immer positiv ist,also z. B. | − 3| = 3. Die x-Komponente des Impul­ses ändert sich daher bei jedem Stoß um 2m|vx|(die y- und die z-Komponente ändern sich nicht).Wenn nun in einem Zeitintervall Δt viele Molekü­le mit der Wand zusammenstoßen, dann entsprichtdie Gesamtänderung des Impulses dem Produkt ausder Impulsänderung für ein einzelnes Molekül undderAnzahl derMoleküle, die dieWand innerhalb desZeitintervalls erreichen.

Schritt 2: Berechnung der Anzahl der Stöße auf dieWand im Zeitintervall Δt.Da ein Molekül mit der Geschwindigkeitskompo­nente vx im Zeitintervall Δt eine Entfernung von|vx|Δt parallel zur x-Achse zurücklegen kann, sto­ßen alle Moleküle innerhalb eines Abstands |vx|Δtmit der Wand zusammen, vorausgesetzt, sie fliegenin RichtungWand.Wenn dieWand die Fläche A hat,werden somit alle Teilchen im Volumen A × |vx|ΔtdieWand erreichen (wenn sie in RichtungWand flie­gen). Die Teilchenzahldichte, die Anzahl der Teil­chen dividiert durch das Gesamtvolumen, beträgtnNA∕V (n ist die Gesamtstoffmenge aller Molekü­le im Behälter, V ist das Volumen des Behälters undNA ist die Avogadro-Konstante). Daher ergibt sichdie Anzahl der Moleküle im Volumen A|vx|Δt zu(nNA∕V ) × A|vx|Δt. Zu jedem Zeitpunkt bewegtsich die eine Hälfte der Teilchen von links nachrechts und die andere Hälfte von rechts nach links,so dass die mittlere Stoßzahl auf die Wand im Zeit­intervall Δt durch den Ausdruck 1

2nNAA|vx|Δt∕Vgegeben ist.

Schritt 3: Berechnung der Kraft, die im ZeitintervallΔt auf die Wand ausgeübt wird.Die Gesamtänderung des Impulses im Zeitinter­vall Δt ergibt sich aus dem Produkt der Zahl der Stö­ße auf dieWand und der Impulsänderung 2m|vx| fürein einzelnes Molekül:

Impulsänderung =

Anzahl der Stöße⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞nNAA|vx|Δt

2V×

Impulsänderungbei einem Stoß⏞⏞⏞2m|vx|

=n

M⏞⏞⏞mNA Av2xΔt

V=

nMAv2xΔtV

.

Im letzten Schritt wurde die Beziehung M = mNAverwendet. Nun können wir die Kraft als zeitliche

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171.2 Die kinetische Gastheorie

Änderung des Impulses berechnen:

Kraft =ImpulsänderungZeitintervall

=nMAv2x

V.

Schritt 4: Berechnung des Drucks, der durch dieseKraft auf die Wand ausgeübt wird.Somit ergibt sich der Druck als Quotient aus Kraftund Fläche (also nach Division durch A) zu

Druck =nMv2xV

.

Da sich nicht alle Moleküle mit der gleichen Ge­schwindigkeit bewegen, entspricht der messbareDruck p dem Mittelwert dieser Größe (bezeichnetmit ⟨… ⟩). Somit gilt

p =nM

⟨v2x⟩

V.

Wir wollen nun den Zusammenhang zwischen demDruck und der quadratisch gemittelten Geschwin­digkeit c ableiten. Für die Geschwindigkeit v eineseinzelnenMoleküls gilt v2 = v2x + v2y + v2z . Da die qua­dratisch gemittelte Geschwindigkeit als c = ⟨v2⟩1∕2

definiert ist (siehe Gl. (1.15)), ergibt sich folgende Be­ziehung:

c2 = ⟨v2⟩=⟨v2x⟩

+⟨v2y⟩

+⟨v2z⟩

.

Da sich die Moleküle aber völlig regellos bewegen,sind alle drei Mittelwerte identisch. Somit gilt c2 =3⟨v2x⟩ beziehungsweise ⟨v2x⟩ = 1

3 c2. Gleichung (1.14)

ergibt sich nun unmittelbar, wenn wir diese Bezie­hung in p = nM⟨v2x⟩∕V einsetzen.

Toolkit 3: Impuls und Kraft

Die Geschwindigkeit v eines Teilchens ist definiertals die Änderung der Position pro Zeit. Die gerichte-te Geschwindigkeit v (engl.: „velocity“) ist eine vek-torielle Größe, und besitzt somit sowohl einen Be-trag als auch eine Richtung. Teilchen können sich imdreidimensionalen Raum durchaus mit derselben Ge-schwindigkeit, jedoch in unterschiedliche Richtungenbewegen. Die gerichtete Geschwindigkeit kann alsVektorpfeil dargestellt werden, wobei der Betrag (die„Länge“) des Vektors die Geschwindigkeit v, und dieRichtungskomponenten vx , vy und vz die Vektorkoor-

dinaten entlang der jeweiligen Raumachse bezeich-nen (Abb. T1). Dabei handelt es sich um gerichte-te Komponenten: vx = +5m s−1 bedeutet, dass sichein Körper entlang der x-Achse („nach rechts“) be-wegt, wohingegen vx = −5m s−1 bedeutet, dass sichder Körper in die entgegengesetzte Richtung („nachlinks“) bewegt. Die „Länge“ des Vektorpfeils (die Ge-schwindigkeit v) gehorcht dabei dem Satz des Pytha-goras, d. h. der Betrag der Hypotenuse ergibt sich ausdem Quadrat der einzelnen Komponenten des Vek-tors gemäß:

v2 = v2x + v2y + v2z

v

vx vy

vz

Länge v⎛ ⎨ ⎝

Abb. T1

Die Konzepte der klassischen Mechanik finden ihrenAusdruck in der Definition des Impulses p eines Teil-chens, der definiert ist als

p = mv .

Der Impuls berücksichtigt also ebenfalls die Ge-schwindigkeit als vektorielle Größe (mit Ausbreitungs-richtung). Teilchen derselbenMasse, die sichmit iden-tischer Geschwindigkeit v bewegen, jedoch in unter-schiedliche Raumrichtungen, besitzen also auch un-terschiedliche Impulse.Die Beschleunigung a (engl: „acceleration“) ist die

Änderung der (gerichteten) Geschwindigkeit pro Zeit.Ein Teilchen beschleunigt, wenn sich die Geschwin-digkeit seiner Bewegung erhöht. Ebenso spricht manvoneiner Beschleunigungdes Teilchens,wennder Be-trag seiner Geschwindigkeit zwar unverändert bleibt,sich jedoch seine Bewegungsrichtung ändert.Nach dem zweiten Newton’schen Axiom ist die Be-

schleunigung eines Teilchens der Masse m proportio-nal zu der Kraft, die auf das Teilchen wirkt:

F = ma .

Damv der Impuls ist, und a die zeitlicheÄnderungderGeschwindigkeit, entspricht ma der zeitlichen Ände-rung des Impulses. Anders formuliert können wir alsofeststellen, dass die Kraft, die auf ein beschleunigtesTeilchenwirkt, gleich der Änderungsrate des Impulsesist. Das zweite Newton’sche Axiom zeigt, dass die Be-schleunigung in derselbenRaumrichtung verläuftwie

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18 1 Die Eigenschaften der Gase

die Kraft, die auf ein Teilchen wirkt. In einem isolier-ten System, auf das keine externen Kräfte einwirken,findet also keinerlei Beschleunigung statt. Diese Fest-stellung ist nichts anderes als der Impulserhaltungs-satz: der Impuls eines Teilchens bleibt konstant erhal-ten, solange keine (externe) Kraft auf ihn einwirkt.

Auf den ersten Blick scheint die quadratisch gemittel­te Geschwindigkeit ein eher sonderbares Maß für diemittlere Geschwindigkeit der Moleküle zu sein. DieBedeutung dieser Größe wird jedoch klar, wenn wirden Zusammenhang zwischen der Masse m, der Ge­schwindigkeit v und der kinetischen Energie Ekin ei­nes Moleküls betrachten: Ekin = 1

2mv2. Das bedeutet,dass die mittlere kinetische Energie ⟨Ekin⟩, der Mit-telwert der kinetischen Energien allerMoleküle, durchden Ausdruck 1

2mc2 gegeben ist. Daraus folgt unmit­telbar

c =(2⟨Ekin⟩

m

)1∕2. (1.16)

Das bedeutet, dass c als Maß für die mittlere ki­netische Energie der Gasmoleküle verstanden wer­den kann. Ein etwas anschaulicheres Maß für die Ge­schwindigkeiten auf molekularer Ebene ist diemittle­re Geschwindigkeit c der Moleküle:

c =v1 + v2 + ⋯ + vN

N. (1.17)

Für eine sehr große Zahl an Molekülen ist die mittlereGeschwindigkeit etwas kleiner als die quadratisch ge­mittelte Geschwindigkeit. Der exakte Zusammenhanglautet

c =( 83π

)1∕2c ≈ 0,921c . (1.18)

Für einfache Abschätzungen oder qualitative Betrach­tungen können wir beide Größen als Maß für diedurchschnittliche Geschwindigkeit verwenden. Fürgenaue quantitative Berechnungen hingegen müssenwir streng zwischen quadratisch gemittelter und mitt­lerer Geschwindigkeit unterscheiden.

Illustration 1.3: Quadratisch gemittelte Werte

Bei einer Radarkontrolle wurden folgende Ge­schwindigkeiten gemessen: 45,0 (5), 47,0 (7), 50,0 (9),53,0 (4), 57,0 (1) kmh−1. Die Zahl der Autos mit derjeweiligen Geschwindigkeit ist in Klammern ange­geben. Die quadratisch gemittelte Geschwindigkeit c

der Autos ist gemäß Gl. (1.15) gegeben:

c =⎧⎪⎨⎪⎩

5 × (45,0 kmh−1)2 + 7 × (47,0 kmh−1)2

+⋯ + 5 × (57,0 kmh−1)2

5 + 7 + ⋯ + 5

⎫⎪⎬⎪⎭1∕2

= 50,2 kmh−1

Selbsttest 1.5Berechnen Sie die mittlere Geschwindigkeit c der Au­tos (nach Gl. (1.18)).

[Antwort: 46,2 kmh−1]

1.2.2 Die mittlere Geschwindigkeitder Gasmoleküle

Wir formen nun Gl. (1.14) so um, dass die Ähnlich­keit zur Zustandsgleichung des idealen Gases (pV =(nRT)) ersichtlich ist:

pV = 13nMc2 . (1.19)

Wir wollen nun annehmen, dass die aus der kineti­schen Gastheorie abgeleitete Gl. (1.14) tatsächlich dieZustandsgleichung des idealen Gases ist. Dann kön­nen wir die rechte Seite dieser Gleichung mit nRTgleichsetzen und erhalten

13nMc2 = nRT .

Nach Division durch n auf beiden Seiten der Glei­chung ergibt sich unmittelbar

13Mc2 = RT .

Diese Beziehung ist sehr nützlich, denn wir könnennun einen Ausdruck für die quadratisch gemittel­te Geschwindigkeit der Gasmoleküle in Abhängig­keit von der Temperatur und der Molmasse des Ga­ses angeben, indem wir zunächst c = 3RT∕M berück­sichtigen und auf beiden Seiten die Quadratwurzelziehen:

c =(3RT

M

)1∕2. (1.20a)

Kombinieren wir diesen Ausdruck mit Gl. (1.18), er­haltenwir für diemittlereGeschwindigkeit derGas­moleküle

c =( 83π

)1∕2×(3RT

M

)1∕2=(8RTπM

)1∕2. (1.20b)

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191.2 Die kinetische Gastheorie

Illustration 1.4: Die quadratisch gemittelte unddie mittlere Geschwindigkeit von Molekülen

Setzt man in Gl. (1.20a) die Molmasse von O2(32,0 gmol−1, entspricht 3,20 × 10−2 kgmol−1 inSI-Basiseinheiten) und eine Temperatur von 298K(25 °C) ein, so ergibt sich eine quadratisch gemittelteGeschwindigkeit von

cO2=

⎧⎪⎪⎨⎪⎪⎩3 ×

R⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞

8,3145 J K−1 mol−1 ×

T⏞⏞⏞

298K3,20 × 10−2 kgmol−1

⏟⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏟⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏟M

⎫⎪⎪⎬⎪⎪⎭

1∕2

= 482m s−1 .

Um die Einheiten einfacher kürzen zu können, wur­de hierbei 1 J = 1 kgm2 s−2 berücksichtigt, und Mwurde in SI-Basiseinheiten angegeben.DiesesVorge­hen ist häufig hilfreich zur einfacheren Berechnungder Werte. Für die mittlere Geschwindigkeit ergibtsich nach Gl. (1.18)

cO2= 0,921 × 482m s−1 = 444ms−1 .

Eine analoge Berechnung der quadratisch gemittel­tenGeschwindigkeit vonN2 ergibt c = 515m s−1. DieSchallgeschwindigkeit in Luft hat einen vergleich­bar großen Wert (346m s−1 bei 25 °C). Dieser Sach­verhalt ist leicht zu verstehen, denn Schallwellensind Druckänderungen, die durchMolekülbewegun­gen übertragen werden. Daher können wir erwarten,dass die Ausbreitungsgeschwindigkeit einer Schall­welle ungefähr der mittleren Molekülgeschwindig­keit entspricht, die sie benötigen, um dabei ihre Po­sition zu verändern.

Selbsttest 1.6Berechnen Sie die quadratisch gemittelte Geschwin­digkeit c von H2 bei 25 °C.

[Antwort: 1920m s−1]

Aus den Gln. (1.20a) und (1.20b) kann ein wichtigerZusammenhang abgeleitet werden:

Sowohl die quadratisch gemittelte Geschwindigkeit alsauch die mittlere Geschwindigkeit der Gasmolekülesind zur Quadratwurzel der Temperatur proportional.

Daher führt eine Verdopplung der Temperatur (aufder Kelvin-Skala) zu einer Erhöhung dermittleren undquadratisch gemittelten Geschwindigkeit um jeweilsden Faktor 21∕2 = 1,414.

Illustration 1.5: Einfluss der Temperatur aufdie Geschwindigkeit von Molekülen

Die quadratisch gemittelteGeschwindigkeit vonMo­lekülen sei bezeichnet mit c(T). Die Abkühlung derLuft von 25 °C (298K) auf 0 °C (273K) verringert diequadratisch gemittelteGeschwindigkeit derMolekü­le um den Faktor

c(273K)c(298K)

=(273K298K

)1∕2= 0,957 , mit c ∝ T1∕2 .

An einem kalten Tag ist die quadratisch gemittelteGeschwindigkeit der Luftmoleküle etwa 4% geringerals an einem warmen Tag.

Selbsttest 1.7UmwelchenFaktor ändert sich diemittlereGeschwin­digkeit der Luftmoleküle?

[Antwort: um denselben Faktor 0,957]

1.2.3 Die Maxwell’scheGeschwindigkeitsverteilung

Bisher haben wir uns nur mit dermittlerenGeschwin­digkeit der Moleküle in einem Gas befasst. Die Mole­küle bewegen sich jedoch nicht alle mit der gleichenGeschwindigkeit: Manche besitzen eine geringere alsdie durchschnittliche Geschwindigkeit, während sichandere kurzzeitig deutlich schneller bewegen. Stö­ße der Moleküle untereinander führen gewöhnlichzu Änderungen der einzelnen Geschwindigkeiten. Sokann ein langsames Molekül durch einen Zusammen­stoß mit einem schnellen Molekül deutlich an Ge­schwindigkeit gewinnen, während das schnellere Mo­lekül abgebremst wird. Die Vielzahl der Stöße bewirkteine ständige Umverteilung der Geschwindigkeiten,denn jedesMolekül in einemGas stößt unter Normal­bedingungen etwa einmal pro Nanosekunde (1 ns =10−9 s) auf ein anderes Molekül.Der mathematische Ausdruck für die Wahrschein­

lichkeit P (engl.: „probability“), die uns den Anteil derMoleküle in einem bestimmten Geschwindigkeitsbe­reich angibt, wird Geschwindigkeitsverteilung ge­nannt. So können wir ausrechnen, dass bei 20 °Cvon 1000 O2-Molekülen 19 Moleküle eine Geschwin­digkeit zwischen 300 und 310m s−1 besitzen (P =19∕1000 = 0,019) und 21 Moleküle eine Geschwin­digkeit zwischen 400 und 410ms−1 (P = 21∕1000 =0,021). Die genaue Form der Verteilung wurde vonJames Clerk Maxwell gegen Ende des neunzehn­ten Jahrhunderts abgeleitet und wird deshalb Max­well’sche Geschwindigkeitsverteilung (auch Max­

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20 1 Die Eigenschaften der Gase

well-Boltzmann-Verteilung) genannt. Der mathema­tische Ausdruck, der den Anteil P aller Moleküle ineinem schmalen Geschwindigkeitsbereich zwischenv und v + Δv angibt (zum Beispiel zwischen 300und 310m s−1, entsprechend v = 300m s−1 und Δv =10m s−1), lautet

P(v, v + Δv) = ρ(v)Δv mit

ρ(v) = 4π( M2πRT

)3∕2v2e−Mv2∕(2RT) . (1.21a)

ρ ist der griechische Buchstabe Rho. Die oben angege­benen Werte wurden mithilfe von Gl. (1.21a) berech­net. EinenÜberblick zu Exponentialfunktionen findenSie in „Toolkit 4: Exponential- und Gaußfunktionen“.

Toolkit 4: Exponential- und Gaußfunktionen

Eine Exponentialfunktion der Form e−ax hat an derStelle x = 0 den Wert 1. Mit zunehmendem x nimmtder Funktionswert immer weiter ab und geht imGrenzfall x → ∞ gegen null. Diese Funktion geht mitzunehmendem x umso schneller gegen null, je größerder Wert von a ist.Die Exponentialfunktion e−ax2 wird auch Gauß-

funktion genannt. Auch diese Funktion hat an derStelle x = 0 denWert 1 und gehtmit zunehmendem xgegen null. Im Vergleich zur Funktion e−ax nimmt dieGaußfunktion bei kleinen x-Werten langsamer undbei größeren x-Werten schneller ab.

0

00

1

1

1

2

2

2

−1−2−3−4−5

0

1

x

x 3

3

3

4

4

5

5

7

8

9

10

6

e−x

e−x2

Abb. T1

In Abb. T1 sind die Kurvenverläufe beider Funktionsty-pen dargestellt, und auch ihr Verhalten bei negativenWerten für x ist gezeigt. Beide Funktionen haben ander Stelle x = 0 den Wert 1, die Exponentialfunktiongeht jedoch für x → −∞ gegen unendlich. Die Gauß-funktion verläuft in ihremMaximumbei x = 0 symme-trisch zur x-Achse und nähert sich dann schnell demWert null an für x → ±∞.

Beachten Sie, dass die Funktion ρ(v) eineWahrschein­lichkeitsdichte ist, nicht dieWahrscheinlichkeit selbst.Die Wahrscheinlichkeit, mit der Moleküle eine Ge­schwindigkeit besitzen, die im Bereich v bis v + Δvliegt, ist gegeben durch das Produkt aus ρ(v) und desBetrages von Δv. Streng genommen ist Gl. (1.21a) nurdann gültig, wenn der Geschwindigkeitsbereich Δvunendlich klein gewählt wird, geschrieben als Diffe­renzial dv, denn nur in diesem Fall kann ρ(v) im unter­suchten Bereich als konstant angesehen werden. Da­her lautet die formale mathematische Schreibweisevon Gl. (1.21a)

P(v, v + dv) = ρ(v) dv . (1.21b)

Obwohl Gl. (1.21a) kompliziert erscheint, kann maneinige wichtige Merkmale doch relativ leicht erken­nen. In der Physikalischen Chemie müssen wir in derLage sein, den Sinngehalt einer Formel zu erfassen.Die Fähigkeit, qualitative und quantitative Zusam­menhänge aus einer mathematischen Formel abzule­sen, ist wesentlich wichtiger als die bloßeKenntnis derFormel selbst. In diesem Sinn wollen wir Gl. (1.21a)Schritt für Schritt analysieren.

• Da P(v, v + Δv) proportional zum betrachtetenGeschwindigkeitsbereich Δv ist, steigt die Wahr­scheinlichkeit, dass eine Geschwindigkeit inner­halb dieses Bereiches liegt, mit dem Betrag vonΔv an. Wenn wir also den Bereich Δv um eineGeschwindigkeit herum verdoppeln (wobei er aberstets schmal bleibenmuss), verdoppelt sich auch derAnteil der Moleküle, die in diesem Geschwindig­keitsbereich liegen.

• Gleichung (1.21a) enthält als Faktor die abfallen­de Exponentialfunktion e−Mv2∕2RT . Als Konsequenzmuss derAnteil derMolekülemit extremgroßerGe­schwindigkeit sehr klein sein, da die Funktion e−ax2

für große Werte von ax2 sehr klein wird.• Der Faktor M∕2RT im Exponenten von e−Mv2∕2RT

ist groß für Gase mit einer großen Molmasse M,und für große Werte von M geht die Exponential­funktion schneller gegen null. Daher ist es unwahr­scheinlich, schwere Moleküle mit einer sehr hohenGeschwindigkeit zu finden.

• Das Gegenteil ist der Fall, wenn eine hohe Tempe­ratur T herrscht: Dann ist der Faktor M∕2RT imExponenten klein, was zu einem relativ langsamenAbfall der Exponentialfunktion gegen null mit stei­gendem v führt. Das bedeutet, dass wir bei höhererTemperatur auch einen größerenAnteil sehr schnel­ler Moleküle erwarten können.

• Der Faktor v2 vor der Exponentialfunktion geht fürabnehmende Werte von v gegen null. Daher wird

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211.2 Die kinetische Gastheorie

niedrigeTemperatur

hoheTemperatur

Geschwindigkeit, s

Anz

ahl M

olek

üle

Abb. 1.6 Die Maxwell’sche Geschwindigkeitsverteilung fürGase mit gleicher Molmasse bei unterschiedlichen Tempera-turen. Mit steigender Temperatur wächst die Breite der Vertei-lung, zudem wird die quadratisch gemittelte Geschwindigkeit,deren Wert für zwei Fälle durch die Lage der vertikalen Linieangezeigt wird, zu höherenWerten hin verschoben.

stets nur ein sehr kleiner Anteil der Moleküle einesehr geringe Geschwindigkeit besitzen.

• Die restlichen Faktoren in Gl. (1.21a) (der Klammer­ausdruck sowie der Faktor 4π) sorgen dafür, dassdie Wahrscheinlichkeit, ein Molekül mit einer be­liebigen Geschwindigkeit im gesamten Geschwin­digkeitsbereich von null bis unendlich zu finden,gleich 1 ist.

In Abb. 1.6 sind die Maxwell’schen Verteilungenfür ein bestimmtes Gas (also für eine konstante Mol­masse M) bei verschiedenen Temperaturen darge­stellt. Wir sehen, dass sich nur ein geringer Anteil al­ler Moleküle mit sehr kleiner oder sehr großer Ge­schwindigkeit bewegt, wie wir bereits aus Gl. (1.21a)folgern konnten. Ferner können wir erkennen, dassmit steigender Temperatur der Anteil an Molekülenmit sehr großenGeschwindigkeiten deutlich zunimmtund dass der abfallendeTeil der Verteilung zu höherenGeschwindigkeiten hin verschoben ist. Dieser Zusam­menhang spielt eine wichtige Rolle für die Geschwin­digkeit chemischer Reaktionen in der Gasphase (sie­he Abschn. 6.4), denn es hängt auch von den Energien(und damit den Geschwindigkeiten) der Moleküle ab,ob ein Zusammenstoß zu einer Reaktion führt.Abbildung 1.7 zeigt die Maxwell’schen Verteilungen

für Gase mit unterschiedlichen Molmassen bei kon­stanter Temperatur. Wir sehen, dass sich schwereMo­leküle bei gleicher Temperatur im Durchschnitt mitgeringeren Geschwindigkeiten fortbewegen als leich­te Moleküle. Weiterhin ist die Verteilung für schwereMoleküle merklich schmaler, was dazu führt, dass dieGeschwindigkeiten der allermeisten Moleküle nahebei der mittleren Geschwindigkeit liegen. Im Gegen­satz dazu besitzen leichteMoleküle (wie etwaH2) eine

hoheMolmasseniedrigeMolmasse

Geschwindigkeit, s

Anz

ahl M

olek

üle

Abb. 1.7 Die Maxwell’sche Geschwindigkeitsverteilung fürGase mit unterschiedlichenMolmassen bei konstanter Tem-peratur. Für Gase mit geringer Molmasse liegt eine breite Ge-schwindigkeitsverteilung vor, so dass sich ein bedeutenderAnteil aller Moleküle mit einer viel größeren als der quadra-tisch gemitteltenGeschwindigkeit bewegt. Für Gase mit hoherMolmasse hingegen ist die Verteilung der Geschwindigkeitendeutlich schmaler, so dass die Geschwindigkeit eines sehr gro-ßen Teils aller Moleküle nahe bei der quadratisch gemitteltenGeschwindigkeit liegt, deren Werte für zwei Fälle durch dievertikalen Linien angezeigt werden.

hohemittlere Geschwindigkeit, und die Verteilung ih­rer Geschwindigkeiten ist sehr breit: Viele Molekülebewegen sich deutlich schneller als der Durchschnitt,viele aber auch deutlich langsamer. Diese Tatsache istvon Bedeutung für die Zusammensetzung der Atmo­sphäre von Planeten, denn ein signifikanter Teil al­ler leichten Moleküle besitzt eine genügend hohe Ge­schwindigkeit, um der Gravitationsanziehung zu ent­fliehen. Das ist einer der Gründe für den geringen An­teil an Wasserstoff (H2, Molmasse M = 2,02 gmol−1)und Helium (He, M = 4,00 gmol−1) in der Erdatmo­sphäre.

1.2.4 Diffusion und Effusion

AlsDiffusion bezeichnen wir einen Vorgang, bei demsich die Moleküle unterschiedlicher Stoffe im Laufeder Zeit aufgrund ihrer Eigenbewegung vermischen,und zwar ohne mechanische Einwirkung (z. B. durchRühren). Wenn zwei Festkörper Kontakt untereinan­der haben, diffundieren die Atome des eines Festkör­pers in den anderen und umgekehrt, allerdings nuräußerst langsam. Die Diffusion der Atome eines fes­ten Stoffs in ein flüssiges Lösungsmittel geht deutlichschneller vonstatten, muss jedoch oft durch Umrüh­ren oder Schütteln beschleunigt werden (dann han­delt es sich aber nicht mehr um eine reine Diffusion).Mit Abstand am schnellsten findet Diffusion von Ga­sen statt. Das erklärt die weitgehend einheitliche Zu­sammensetzung der Atmosphäre. Gase werden aus ei­

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Peter W. Atkins, Julio de Paula: Kurzlehrbuch Physikalische Chemie — 2019/8/12 — Seite 22 — le-tex

22 1 Die Eigenschaften der Gase

ner Vielzahl örtlich begrenzter Quellen an die Atmo­sphäre abgegeben. Die Gasmoleküle diffundieren vonder Quelle weg und verteilen sich im Laufe der Zeitin der Umgebung. Im Allgemeinen wird der Vermi­schungsprozess durch Luftbewegungen beschleunigt.Das Entweichen eines Gases aus einem Gefäß durchein kleines Loch, zum Beispiel aus einem Reifen odereinem aufgeblasenen Ballon, bezeichnet man als Effu­sion (siehe Abb. 1.8).

(a)

(b)

Abb. 1.8 (a) Der Begriff Diffusion bezeichnet die Ausbreitungvon Molekülen einer Substanz in einen Raum, der ursprüng-lich von einer anderen Substanz eingenommenwurde. Durchdie Bewegung der Moleküle beider Substanzen diffundiertjede Substanz in die jeweils andere hinein. (b) Der Begriff Ef-fusion bezeichnet das Entweichen von Molekülen aus einemGefäß durch ein kleines Loch.

Die Diffusions- und Effusionsraten von Gasen neh­men mit steigender Temperatur zu, denn beide Pro­zesse werden durchMolekülbewegungen hervorgeru­fen. Aus dem gleichen Grund steigt die Geschwindig­keit beider Prozesse mit abnehmender Molmasse derGase an. Eine einfache mathematische Abhängigkeitvon der Molmasse finden wir aber nur für die Effu­sionsrate, da bei der Effusion im Normalfall nur eineMolekülsorte betrachtet wird, während an einer diffu­sionsbedingten Vermischung mindestens zwei unter­schiedliche Gase beteiligt sind. Mit der Diffusion wer­den wir uns erst in Abschn. 6.7 eingehender befassen.Aus experimentellen Beobachtungen zur Abhängig­

keit der Effusionsrate eines Gases von seiner Molmas­se leitete Thomas Graham 1833 das Graham’sche Ef­fusionsgesetz ab:

Bei konstantem Druck und konstanter Temperatur istdie Effusionsrate eines Gases umgekehrt proportionalzur Quadratwurzel der Molmasse des Gases:

Effusionsrate ∝ 1M1∕2 . (1.22)

Die Effusionsrate entspricht der Anzahl anMolekülen(der Stoffmenge in mol), die pro Sekunde aus demGe­fäß entweicht, und sie ist proportional zur Fläche derÖffnung, durch die die Moleküle entweichen: im Fol­genden gehen wir davon aus, dass die Fläche der Öff­nungen grundsätzlich identisch ist, wenn wir zwei Ef­fusionsraten miteinander vergleichen.

Illustration 1.6: Das Graham’sche Effusionsgesetz

Das Verhältnis der Effusionsraten von molekula­remWasserstoff (MolmasseM = 2,016 gmol−1) undKohlendioxid (M = 44,01 gmol−1) beträgt unter derVoraussetzung, dass beide Gase den gleichen Druckund die gleiche Temperatur aufweisen,

Effusionsrate von H2Effusionsrate von CO2

=

(MCO2

MH2

)1∕2

=(44,01 gmol−1

2,016 gmol−1

)1∕2

= 4,672 .

Die Masse des im gleichen Zeitraum aus dem GefäßentweichendenKohlendioxids ist größer als dieMas­se des entweichendenWasserstoffs, denn obwohl et­wa fünfmal so viele Wasserstoffmoleküle pro Zeit­einheit das Gefäß verlassen, ist die Masse eines Mo­leküls Kohlendioxid mehr als zwangzigmal so großist wie die eines Wasserstoffmoleküls.

Hinweis Wenn Sie nur den Begriff Rate verwenden,sollten Sie stets angeben, welche Größe sich zeitlichändert, denn der Begriff Rate allein ist nicht eindeu­tig. In diesem Fall handelt es sich um eine Änderungder Stoffmenge beziehungsweise der Zahl der Mole­küle. Der Begriff Effusionsrate bezeichnet genau dieseGröße.

Selbsttest 1.8Nehmen Sie an, dass 5,0 g Argon durch Effusion ent­weichen.WelcheMasse Stickstoffwürde unter densel­ben Bedingungen entweichen?

[Antwort: 4,2 g]

Die hohe Effusionsrate von Gasen mit einer sehr klei­nen Molmasse wie Wasserstoff und Helium ist derGrund dafür, warum diese sehr leicht durch porö­se Gefäßwände (zum Beispiel aus Gummi) entwei­chen. Die unterschiedlichen Effusionsraten durch po­röse Barrieren macht man sich auch bei der Herstel­lung von Kernbrennstäben aus Uran zu Nutze, bei derdas seltenere, spaltbare Isotop 235U (Anteil 0,720%)vom wesentlich häufigeren 238U getrennt wird. Dabei

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231.2 Die kinetische Gastheorie

wird das Uran in die leicht flüchtige, feste VerbindungUranhexafluorid überführt. Die unterschiedlichen Ef­fusionsraten von 235UF6 und 238UF6 führen nun zu ei­nerAnreicherung des leichteren Isotops. Da allerdingsdas Verhältnis der Molmassen beider Substanzen le­diglich 1,008 beträgt, ist die Effusionsrate von 235UF6nur um den Faktor 1,0081∕2 = 1,004 größer. Aus die­sem Grund sind tausende solcher Effusionsprozessenotwendig, um eine signifikante Anreicherung zu er­zielen.Das Graham’sche Effusionsgesetz ergibt sich in ein­

facherWeise aus der kinetischen Gastheorie, denn diemittlere Geschwindigkeit c der Gasmoleküle ist nachGl. (1.20a) umgekehrt proportional zur Quadratwur­zel der Molmasse. Da die Effusionsrate, die Zahl derpro Zeiteinheit durch ein Loch austretenden Molekü­le, proportional zur Anzahl der Moleküle ist, die die­se Öffnung erreichen (und damit auch proportional zuderen Geschwindigkeit), ist die Effusionsrate ebenfallsumgekehrt proportional zu M1∕2.

1.2.5 Intermolekulare Stöße

Die Strecke, die ein Molekül im Durchschnitt zwi­schen zwei Stößen zurücklegt, wird mittlere freieWeglänge λ (lambda) genannt. Die mittlere freieWeglänge der Moleküle in Flüssigkeiten entsprichtnur einem Bruchteil ihres eigenen Durchmessers, dasie unmittelbar auf ein benachbartes Molekül treffen,sobald sie ihre Position auch nur einen Bruchteil ih­res eigenenDurchmessers verändern. In Gasen hinge­gen kann die mittlere freieWeglänge mehrere hundertMoleküldurchmesser betragen.Wennwir uns dieMo­leküle in einem Gas als Tennisbälle vorstellen, dannwäre die mittlere freie Weglänge typischerweise in et­wa so groß wie die Länge eines Tennisplatzes. Wie wirin der folgenden Herleitung 1.2 sehen werden, beträgtdie mittlere freie Weglänge eines Moleküls in einemidealen Gas

λ = kT21∕2σ p

(1.23)

wobei σ (sigma) denStoßquerschnitt bezeichnet, alsodiejenige Fläche eines Moleküls, die am Stoß beteiligtist. Wenn wir nun einen Stoß definieren als ein Ereig­nis, bei dem sich zweiMoleküle bis auf einenbestimm­tenAbstand d nähern, demMoleküldurchmesser (alsodas Zweifache ihres Radius), dann gilt σ = πd2 (sieheAbb. 1.9).

Herleitung 1.2: Die mittlere freie Weglänge

Zur Berechnung der mittleren freien Weglänge ge­hen wir davon aus, dass ein Molekül im Verlauf sei­

Durchmesser, d

Radius, d

Abb. 1.9 Um das Stoßverhalten der Moleküle eines idealenGases quantitativ beschreiben zu können, betrachtetman dieMoleküle als Zentren von Kugeln mit dem Durchmesser d.Ein Molekül stößt mit einem anderen zusammen, wenn sichletzteres in einem Zylinder mit dem Radius d befindet undsich beide Moleküle parallel zur Zylinderachse aufeinander zubewegen. Der Stoßquerschnitt eines Moleküls entspricht derQuerschnittsfläche πd2 des Zylinders.

ner Bewegung durch den Raum mehrfach mit ande­ren Molekülen zusammenstößt. Es gilt

λ =mittlere zurückgelegte Weglänge

mittlere Anzahl der Stöße.

Sowohl den Zähler als auch der Nenner in dieserGleichung müssen wir nun durch mathematischeTerme ausdrücken, die physikalische Größen enthal­ten. Beide Komponenten hängen von der mittlerenGeschwindigkeit der Moleküle ab.

Schritt 1: Formulierung des Zählers.Diese Formulierung ist einfach: innerhalb eines Zeit­intervalls Δt legt einMolekül dieWegstrecke l = cΔtzurück.

Schritt 2: Formulierung des Nenners.Im selben Zeitintervall Δt durchläuft das Moleküleinen Zylinder mit dem Volumen σcΔt. Sofern sichein weiteres Molekül innerhalb des Zylinders befin­det, kommt es zum Stoß. Wenn wir die Partikelzahl­dichte des Gases mit N bezeichnen, dann ergibt sichdie Anzahl der Kollisionen aus demProdukt aus demdurchlaufenen Volumen mal Partikelzahldichte, alsoσcΔtN . Allerdingsmüssen wir berücksichtigen, dasssich nicht nur das stoßende Molekül bewegt, son­dern auch dessen Stoßpartner. Daher sollten wir ge­nauer anstelle von c von der mittleren relativen Ge­schwindigkeit derMoleküle crel sprechen, und für dieAnzahl der Stöße schreiben: σcrelΔtN .

Schritt 3: Formulierung der Partikelzahldichte.Die Partikelzahldichte ist N = N∕V . Aus dem idea­len Gasgesetz, pV = nRT mit n = N∕NA (NA ist dieAvogadro-Konstante), ergibt sich, dass n∕V = p∕RTist. Daraus folgt N∕V = nNA∕V = pNA∕RT . Wennwir noch bedenken, dass R = NAk ist (mit der Boltz­mann-Konstanten k), dann ergibt sich N = p∕kT .

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24 1 Die Eigenschaften der Gase

Schritt 4: Berechnung der mittleren relativen Ge­schwindigkeit.Es existiert eine einfache Beziehung zwischen dermittleren Geschwindigkeit und der mittleren relati­ven Geschwindigkeit: um sie zu finden, müssen wirdieMolmasse einesMoleküls in Gl. (1.20b) durch diereduzierte (molare) Masse ersetzen. Wie wir an an­derer Stelle noch sehen werden, wird die reduzierteMolareMasse μ in Gleichungen verwendet, in denendie relative Bewegung von Partikeln betrachtet wird.Für Partikel der Massen mA bzw. mB gilt

μ =mAmB

mA + mB.

Für zweiMolekülemit identischenMassenm gilt da­her für die reduzierte Masse μ = 1

2m, und die re­duzierte molare Masse ist 1

2M. Mit Gl. (1.20b) folgt,dass

crel =

(8RT

π × 12M

)1∕2

= 21∕2(8RTπM

)1∕2= 21∕2c

und daher ergibt sich die mittlere Anzahl der Stößeim Zeitintervall Δt zu 21∕2σcΔtN .

Schritt 5:Kombination der Terme für Zähler undNen­ner.Für diemittlere freieWeglänge ergibt sich schließlich

λ = cΔt21∕2σΔtN

= 121∕2σN

= kT21∕2σ p

.

Dies entspricht Gl. (1.23).

Die Stoßrate eines Moleküls, also die mittlere An­zahl der Stöße pro Molekül und Zeiteinheit, wird alsStoßzahl z bezeichnet. Der Kehrwert der Stoßzahl1∕z entspricht der Zeit, die ein Molekül im Durch­schnitt zwischen zwei Stößen im freien Flug zurück­legt.Wenn einMolekül beispielsweise imMittel zehn­mal pro Sekunde mit anderen Molekülen zusammen­stößt, dann hat die Stoßzahl den Wert 10 s−1 und diemittlere Zeit zwischen zwei Stößen beträgt 1

10 s. Bei1 atm und Raumtemperatur stößt ein Molekül etwaeine Milliarde Mal pro Sekunde mit anderen Mole­külen zusammen (z = 109 s−1), daher beträgt die Zeitzwischen zwei Stößen unter diesen Bedingungen imDurchschnitt etwa 1 ns.Wenn wir die mittlere freie Weglänge λ, also die im

Mittel während eines freien Flugs zurückgelegte Stre­cke, durch die Zeit 1∕z zwischen zwei Stößen dividie­ren, solltenwir einemittlere Geschwindigkeit derMo­leküle erhalten. Es folgt, dass diemittlere freieWeglän­

ge und die Stoßzahl wie folgt zusammenhängen:

crel =

λ⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞mittlere freie Weglänge

Zeit zwischen zwei Stößen⏟⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏟⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏟

1∕z

= λ1∕z

= λz (1.24)

Mit der Definition für λ aus Gl. (1.23) und crel = 21∕2c(siehe Herleitung 1.2) ergibt sich

z =crelλ

= 21∕2ckT2

1∕2σ p

=2σ pckT

und daher, durch Kombination mit Gl. (1.20b), für dieStoßzahl (ideales Gas):

z =2σ pkT

(8RTπM

)1∕2. (1.25)

Illustration 1.7: Die mittlere freie Weglänge

Mit den Angaben aus Tab. 1.3 und Gl. (1.23) könnenwir die mittlere freie Weglänge von O2-Molekülenbei Standardtemperatur und Standarddruck (SATP,25 °C, 1 bar) berechnen:

λ =

k⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞

1,381 × 10−23 J K−1 ×

T⏞⏞⏞

298K21∕2 × 0,40 × 10−18 m2

⏟⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏟⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏟σ

× 1,00 × 105 Pa⏟⏞⏞⏞⏞⏞⏟⏞⏞⏞⏞⏞⏟

p

= 1,381 × 10−23 × 29821∕2 × 0,40 × 10−18 × 1,00 × 105

JPam2

= 7,3 × 10−8 m = 73 nm .

Wir haben hier die Beziehungen 1 J = 1 Pam3 und1 nm = 10−9 m verwendet. Unter diesen Bedingun­gen beträgt die Stoßzahl 8,6 × 109 s−1. Das bedeutet,jedes Molekül stößt 8,6 Milliarden Mal pro Sekundemit einem anderen zusammen.

Selbsttest 1.9Wie groß ist die Stoßzahl für Cl2-Moleküle in einerChlorgas-Probe unter denselben Bedingungen?

[Antwort: 10 ns−1]

Auch an dieser Stelle wollen wir einige wichtigeZusammenhänge aus den Ausdrücken für λ und z(Gln. (1.23) bis (1.25)) ableiten:

• Aus der Proportionalität λ ∝ 1∕p ergibt sich: Diemittlere freie Weglänge nimmt ab, wenn der Druckzunimmt.

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251.3 Reale Gase

Tab. 1.3 Stoßquerschnitte einiger Atome und Moleküle.

Spezies σ∕nm2

Argon, Ar 0,36Ethen, C2H4 0,64Benzol, C6H6 0,88Methan, CH4 0,46Chlor, Cl2 0,93Kohlendioxid, CO2 0,52Wasserstoff, H2 0,27Helium, He 0,21Stickstoff, N2 0,43Sauerstoff, O2 0,40Schwefeldioxid, SO2 0,58

1 nm2 = 10−18 m2.

Eine Zunahme des Drucks bedeutet, dass bei kon­stanter Temperatur in einem bestimmten Volumenmehr Moleküle vorhanden sind. Dadurch reduziertsich die mittlere freie Weglänge, denn das einzel­ne Molekül trifft häufiger auf andere Moleküle undlegt zwischen zwei Stößen eine kürzere Strecke zu­rück. So sinkt beispielsweise die mittlere freie Weg­länge vonO2-Molekülen von 73 auf 36nm,wenn derDruck bei 25 °C von 1,0 auf 2,0 bar verdoppelt wird.

• Aus der Proportionalität λ ∝ 1∕σ ergibt sich: Diemittlere freie Weglänge nimmt mit zunehmendemStoßquerschnitt der Moleküle ab.Wenn dieMoleküle einen größeren Stoßquerschnittbesitzen, nimmt die Wahrscheinlichkeit für Kolli­sionen mit anderen Molekülen zu, folglich verrin­gert sich auch die mittlere freieWeglänge. Der Stoß­querschnitt σ von Benzolmolekülen (0,88 nm2) istetwa viermal so groß wie der von Heliumatomen(0,21 nm2), bei gleichem Druck und gleicher Tem­peratur ist deshalb die mittlere freie Weglänge vonBenzolmolekülen viermal kürzer (siehe Tab. 1.3).

• Aus der Proportionalität z ∝ p ergibt sich:Die Stoß­zahl steigt, wenn der Druck zunimmt.Bei gleicher Temperatur benötigt ein Molekül in ei­nemdichteren, komprimiertenGaswenigerZeit, bises auf ein benachbartes Molekül trifft. Dadurch er­höht sich bei zunehmendem Druck die Stoßzahl.So führt die Verdopplung des Drucks von Sauer­stoffgas auch zu einer Verdopplung der Stoßzahl derO2-Moleküle, z. B. von 8,6 × 109 s−1 unter SATP-Bedingungen (siehe Illustration 1.7) auf 17× 109 s−1

bei Erhöhung des Drucks auf 2,0 bar (und konstan­ter Temperatur).

• Aus denProportionalitäten z ∝ c und c ∝ 1∕M1∕2 er­gibt sich: Schwere Moleküle stoßen pro Zeiteinheit

seltener mit anderen zusammen als leichte Molekü­le, sofern ihr Stoßquerschnitt identisch ist.Schwere Moleküle bewegen sich bei gleicher Tem­peratur im Mittel langsamer als leichte Moleküle.Daher ist auch ihre Stoßzahl geringer, d. h. sie kol­lidieren seltener mit anderen Molekülen.

Schlüsselkonzepte

1. Die kinetische Gastheorie berücksichtigt aus­schließlich die kinetische Energie der Gasmolekü­le.

2. Wichtige Ergebnisse dieses Modells sind die abge­leiteten Beziehungen für den Druck und die qua­dratisch gemittelte Geschwindigkeit.

3. Sowohl die quadratisch gemittelte Geschwindig­keit als auch die mittlere Geschwindigkeit vonMolekülen sind proportional zur Quadratwurzelder Temperatur, und umgekehrt proportional zurQuadratwurzel der Molmasse.

4. Die Maxwell’sche Geschwindigkeitsverteilunggibt für jede beliebige Temperatur den Anteil derMoleküle eines Gases an, die Geschwindigkeiteninnerhalb eines bestimmten Bereiches besitzen.

5. Das Graham’sche Effusionsgesetz besagt, dassbei vorgegebenemDruck undTemperatur die Effu­sionsrate eines Gases umgekehrt proportional zurQuadratwurzel der molaren Masse der Gasmole­küle ist.

6. Die Stoßzahl ist definiert als die Anzahl der Kol­lisionen eines Moleküls innerhalb eines Zeitinter­valls geteilt durch die Dauer dieses Intervalls.

7. Diemittlere freie Weglänge ist die durchschnitt­liche Wegstrecke, die ein Molekül zwischen zweiStößen zurücklegt.

1.3 Reale Gase

MotivationReale Gase weichen in ihrem Verhalten von der Mo-dellvorstellung des idealen Gases ab, und es ist wich-tig diese real existierenden Eigenschaften beschrei-ben zu können. Diese Abweichungen vom idealenVerhalten erlauben es, einen tiefer greifenden Ein-blick in die Natur der Wechselwirkungen zwischenMolekülen zu gewinnen. Die Berücksichtigung undBeschreibung dieser Wechselwirkungen ist darüberhinaus ein exzellentes Beispiel für die Verfeinerungvon theoretischen Modellvorstellungen in der Physi-kalischen Chemie.

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26 1 Die Eigenschaften der Gase

SchlüsselideenAnziehungs- und Abstoßungskräfte zwischen Gas-molekülen sind die Ursache für das nicht-ideale Ver-halten der Isothermen und das kritische Verhaltenrealer Gase.

VoraussetzungenDieser Abschnitt baut auf unserer Diskussion deridealen Gase in Abschn. 1.1 auf, und wir werden da-raus weitergehende Überlegungen ableiten. Hierzubenötigen wir ein neues mathematisches Werkzeug,die Differenzialrechnung, die es uns ermöglicht,Wendepunkte im Verlauf von Kurven zu identifizie-ren. Dieses wichtige mathematische Verfahren wirdin „Toolkit 5: Differenzialrechnung“ vorgestellt.

Bei unseren Überlegungen in Abschn. 1.2 zur kine­tischen Gastheorie haben wir vorausgesetzt, dass ineinem idealen Gas die mittlere freie Weglänge λ derGasmoleküle wesentlich größer als ihr Durchmesser dist; d betrachten wir dabei als denjenigen Abstand, beidem sich die Moleküle miteinander in Kontakt befin­den sollen:

Bedingung für das ideale Verhalten eines Gases: λ≫ d.

Aufgrund des großenmittleren Abstands derMolekü­le trägt in einem idealen Gas nur die kinetische En­ergie der molekularen Bewegung zur Gesamtenergiebei, während die potenzielle Energie aus intermoleku­laren Wechselwirkungen keinen Beitrag liefert. In derRealität treten solche Wechselwirkungen bei hinrei­chend kleinemAbstand derMoleküle auf, daher ist dieVernachlässigung der potenziellen Energie nur eineNäherung, und wir müssen unser Modell erweitern.In der Physikalischen Chemie bauen komplexe The­orien häufig auf einfacheren Modellvorstellungen auf,die sukzessive verfeinert werden, um sie mit den be­obachteten Ergebnissen weitergehender Experimentein Einklang zu bringen.

1.3.1 Intermolekulare Wechselwirkungen

Wir können zwei verschiedene Formen der Wechsel­wirkung zwischen Molekülen unterscheiden, anzie­hende und abstoßende. Moleküle mit vergleichsweisegroßemAbstand (einige Moleküldurchmesser) zieheneinander an. Dies ist die Ursache dafür, dass Gase beiniedrigen Temperaturen zu Flüssigkeiten kondensie­ren. Unterschreitet die Temperatur eines Gases einenbestimmten Wert, dann reicht die kinetische Energieder Moleküle nicht mehr aus, um den Anziehungs­kräften der Nachbarn entgegenzuwirken, und dieMo­

leküle halten sich gegenseitig fest.Wenn zweiMolekü­le hingegen miteinander in engen Kontakt kommen,stoßen sie einander ab. Die abstoßende Wechselwir­kung ist der Grund dafür, dass Flüssigkeiten und Fest­körper ein definiertes Volumen besitzen und nicht ineinen winzigen Punkt zusammenfallen.Intermolekulare Wechselwirkungen – die Anzie­

hung und Abstoßung vonMolekülen – tragen zur po­tenziellen Energie und damit auch zur Gesamtener­gie eines Gases bei. Wenn sich Moleküle einander nä­hern, kommt es zu einer anziehenden Wechselwir­kung und, damit verbunden, zu einer Absenkung derGesamtenergie: Anziehende Wechselwirkungen leis­ten einen negativen Beitrag zur Gesamtenergie. Beihinreichend kleinem Abstand der Moleküle setzenabstoßende Wechselwirkungen ein, die zu einer Er­höhung der Gesamtenergie führen und somit einenpositiven Beitrag leisten. Abbildung 1.10 zeigt denallgemeinen Verlauf der intermolekularen potenziel­len Energie in Abhängigkeit vom Abstand. Anziehen­de Wechselwirkungen (negativer Beitrag zur Gesamt­energie) sind imBereich größererAbstände dominant,abstoßende Wechselwirkungen (positiver Beitrag zurGesamtenergie) im Bereich kleiner Abstände.Die Wechselwirkungen der Moleküle untereinan­

der haben auch einen Einfluss auf die makroskopi­schen Eigenschaften und damit die Zustandsgleichun­gen der Gase. So entspricht beispielsweise der Verlaufvon Isothermen realer Gase nicht der Vorhersage desBoyle’schen Gesetzes. Dies trifft insbesondere für ho­he Drücke und tiefe Temperaturen zu, denn bei die­sen Bedingungen spielen die Wechselwirkungen eine

pote

nzie

lle E

nerg

ie 0

0 Kernabstand

Anziehung dominiertAbstoßungdominiert

Abb. 1.10 Abhängigkeit der potenziellen Energie vom Ab-stand zweier Moleküle. Eine große positive potenzielle Energiebei sehr kleinen Abständen ist ein Anzeichen für stark absto-ßendeWechselwirkungen. Bei etwas größeren Abständen(einigeMoleküldurchmesser) dominieren anziehendeWech-selwirkungen und die potenzielle Energie ist negativ. Sind dieMoleküle weit voneinander entfernt, so wechselwirken sienicht mehr miteinander, und die potenzielle Energie ist null.

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271.3 Reale Gase

besonders große Rolle. Abbildung 1.11 zeigt einige ex­perimentell bestimmte Isothermen von Kohlendioxid.Obwohl die gemessenen Isothermen denjenigen desidealenGases (Abb. 1.1) bei hohenTemperaturen (undniedrigen Drücken, außerhalb des in Abb. 1.11 gezeig­ten Ausschnitts) durchaus ähneln, sind doch erhebli­che Unterschiede für Temperaturen unter 50 °C undDrücke oberhalb von 1 bar vorhanden.

1.3.2 Die kritische Temperatur

Um den genauen Verlauf der Isothermen in Abb. 1.11zu verstehen, befassen wir uns mit der Isotherme bei20 °C und folgen ihrem Verlauf von Punkt A bis F:

• AmPunkt A ist dasKohlendioxid gasförmig, und dieKurve verläuft wie die Isotherme eines idealen Ga­ses.

Toolkit 5: Differenzialrechnung

Die erste Ableitung einer Funktion y(x) wird symboli-siert mit dy∕dx. Sie gibt die Steigung der Funktion anjedem Punkt der Kurve an (Abb. T1). Ein positiver Wertfür die erste Ableitung bedeutet einen Anstieg der Kur-ve von links nach rechts (bei größer werdendem x); einnegativer Wert für die erste Ableitung bedeutet einenAbfall der Kurve; wenn die erste Ableitung null ist, be-sitzt die Kurve an der untersuchten Stelle ein Maximumoder ein Minimum (und verläuft parallel zur x-Achse).

dy/dx < 0

dy/dx > 0

dy/dx = 0

dy/dx = 0

x

y

Abb. T1

Eine wichtige Beziehung zur Bildung der ersten Ablei-tung einer Funktion ist:

dxn

dx= nxn−1

Wenndiebetrachtete Funktiondie allgemeineForm y=mx2 + b besitzt, folgt daraus für die erste Ableitung – dasowohl m als auch b Konstanten sind: dy∕dx = 2mx. Indiesem Fall vergrößert sich also die Steigung mit stei-gendem x immer weiter. Die oben angegebene Bezie-hung für dxn∕dx gilt auch, wenn n negativ ist, wie infolgendem Beispiel (die erste Ableitung für die Funkti-on 1∕x nach x):

ddx

1x

=d(1∕x)dx

= d

n = −1⏞⏞⏞

(x−1)dx

=

n⏞⏞⏞

−x

n−1⏞⏞⏞

−2

= − 1x2

Die ersten Ableitungen für zwei wichtige Funktionenlauten:

ddx

eax = aeaxddx

ef (x) =(df (x)dx

)ef (x)

Zwei weitere, fundamentale Ergebnisse sind:

ddx

1a + bx

= − b(a + bx)2

ddx

1(a + bx)2

= − 2b(a + bx)3

Die Ergebnisse für komplexere Funktionen werden in„Toolkit 11: Ableitungsregeln“ in Abschn. 4.1 bespro-chen.Die zweite Ableitung einer Funktion erhaltenwir, wenndas Ergebnis der ersten Ableitung erneut abgeleitetwird, geschriebend2y∕dx2. Beispiel: die ersteAbleitungder Funktion y = mx2 + b lautet 2mx, die zweite Ab-leitung derselben Funktion ist 2m. Für die Übungen indiesem Buch sollten Sie wissen, dass

d2

dx21

a + bx= d

dx

{− b

(a + bx)2

}= 2b2

(a + bx)3

ist. Ein positiver Wert für die zweite Ableitung bedeu-tet, dass die Funktion an der untersuchten Stelle einMi-nimum besitzt (Kurvenverlauf ∪-förmig); ein negativerWert bedeutet hingegen, dass die Funktiondort einMa-ximumbesitzt (Kurvenverlauf∩-förmig).Wenndie zwei-te Ableitung null ist, liegt ein Wendepunkt vor, an demdie „Biegung“ der Kurve ihre Richtung ändert (Abb. T2).

d2y/dx2 > 0

d2y/dx2 < 0 d2y/dx2 = 0

x

y

Abb. T2

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Peter W. Atkins, Julio de Paula: Kurzlehrbuch Physikalische Chemie — 2019/8/12 — Seite 28 — le-tex

28 1 Die Eigenschaften der Gase

140

120

100

80

60

40

20

0

Dru

ck, p

/bar

0 0,2 0,4 0,6

A

BCDE

Fkritischer Punkt

50 °C

40 °C

0 °C

20 °C

31,04 °C (Tk)*

Abb. 1.11 Experimentell bei unterschiedlichen Tempera-turen bestimmte Isothermen von Kohlendioxid. Die kriti-sche Isotherme ist die Isotherme bei der kritischen TemperaturTk = 31,04 °C.

• Komprimieren wir das Gas in einem Gefäß mit be­weglichem Kolben so lange, bis wir auf der Isother­me den Punkt B erreichen, so steigt der Druck in gu­ter Näherung gemäß dem Boyle’schen Gesetz.

• Wir können die Kompression fortsetzen, bis das Gasschließlich den Zustand C erreicht.

• Ab jetzt können wir den Kolben in das Gefäß hin­eindrücken, ohne dass sich der Druck ändert (inAbb. 1.11wird dieser Vorgang durch eine horizonta­le Linie zwischen den Punkten C und E dargestellt).

• Um das Volumen der Substanz von Punkt E nachPunkt F weiter zu reduzieren, muss der Druck ganzerheblich erhöht werden.

Dieses Verhalten entspricht genau den Erwartungenbei Kondensation eines Gases von Punkt C bis hin zueiner Flüssigkeit am Punkt E. Wenn die Gefäßwändedurchsichtig wären, dann könnten wir den gesamtenKondensationsprozess beobachten:

• Am Punkt C beginnt das Gas damit sich zu verflüs­sigen.

• Die Kondensation ist abgeschlossen, wenn Punkt Eerreicht wird, und der Kolben befindet sich auf derFlüssigkeitsoberfläche.

• Für die weitere Kompression der (jetzt flüssigen)Substanz vomPunkt E weiter zu Punkt F sind erheb­lich größere Druckänderungen erforderlich. Dieszeigt, welche Kräfte überwunden werden müssen,um eine Flüssigkeit auch nur um einen geringen Be­trag zu komprimieren.

Betrachtenwir nun die intermolekularenWechselwir­kungen, die eine Erklärung für das beobachtete Ver­halten liefern:

• Die Abnahme des Volumens zwischen C und E hateine Verkleinerung der intermolekularen Abstän­de zur Folge, was zu einer deutlichen Verstärkungder anziehendenWechselwirkungen und somit zumÜbergang in den flüssigen Aggregatzustand führt.

• Im Übergang von E nach F wird versucht, Molekü­le, die bereits in engem Kontakt zueinander stehen,nochweiter zu komprimieren und die immer stärkerwerdenden Abstoßungskräfte zwischen den Mole­külen zu überwinden.

ImVerlauf der Kondensation (beispielsweise im Zu­stand D) liegt die Substanz sowohl als Gas als auchals Flüssigkeit vor. Beide Aggregatzustände sind durcheine deutlich sichtbare Oberfläche voneinander ge­trennt (Abb. 1.12). Auch bei geringfügig höherenTem­peraturen (zum Beispiel bei 30 °C) ist es möglich,durch eine Erhöhung des Drucks eine Änderung desAggregatzustands herbeizuführen. Die Umwandlungtritt jedoch erst bei größeren Drücken auf. Zudemist es schwieriger, die Trennfläche genau zu erken­nen, denn die Dichte des Gases ist wegen des hohenDrucks fast genauso groß wie die Dichte der Flüs­sigkeit. Bei einer Temperatur von 31,04 °C (304,19K)scheint sich das Kohlendioxid-Gas kontinuierlich inden kondensierten Zustand umzuwandeln, und es istkeine Trennfläche zwischen den beiden Aggregatzu­ständen zu erkennen. Diese Temperatur wird als kri­tische Temperatur Tk bezeichnet. Sobald die Tem­peratur einer Substanz mindestens so groß ist wie ih­re kritische Temperatur, liegt unabhängig vom Druckimmer eine einzige Materieform vor, es gibt also keineTrennungmehr zwischenFlüssigkeit undGas.EinGaskann nur dann durch Druckerhöhung zu einer Flüssig­

steigende Temperatur

T < Tk T ≈ Tk T > Tk

Abb. 1.12 Wird eine Flüssigkeit in einem abgedichteten Be-hälter erhitzt, nimmt die Dichte der flüssigen Phase ab, dieDichte der Gasphase nimmt zu (linker und mittlerer Behälter;die Dichteänderung der jeweiligen Phase ist durch unter-schiedliche Schattierungen angedeutet). Wenn die kritischeTemperatur erreicht ist, sind die Dichten beider Phasen gleich,und die Grenzfläche verschwindet (rechter Behälter). Ein sol-cher Behälter muss hohen Drücken und Temperaturen stand-halten können: Der Dampfdruck von Wasser beträgt bei derkritischen Temperatur von 373 °C bereits 218 atm.

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291.3 Reale Gase

Tab. 1.4 Kritische Temperaturen einiger Gase.

Kritische Temperatur Tk/°C

EdelgaseHelium, He –268 (5,2 K)Neon, Ne –229Argon, Ar –123Krypton, Kr –64Xenon, Xe 17

HalogeneChlor, Cl2 144Brom, Br2 311

Kleine anorganische MoleküleAmmoniak, NH3 132Kohlendioxid, CO2 31Wasserstoff, H2 –240Stickstoff, N2 –147Sauerstoff, O2 –118Wasser, H2O 374

Organische VerbindungenBenzol, C6H6 289Methan, CH4 –83Tetrachlormethan, CCl4 283

keit kondensiert werden, wenn die Temperatur des Ga­ses unterhalb der kritischen Temperatur liegt.Wenn wir uns in Abb. 1.11 auf die kritische Iso­

therme – also diejenige Isotherme bei der kritischenTemperatur Tk – konzentrieren, erkennen wir, dassdie Volumina der Substanz in den Zuständen C und Eidentisch sind und in einem einzelnen Punkt, demsogenannten kritischen Punkt, zusammen treffen.Den zugehörigen Druck nennt man den kritischenDruck pk, und das zugehörige Volumen das kritischemolare Volumen Vk der Substanz. Zusammen mitder kritischen Temperatur Tk (siehe Tab. 1.4) nenntman diese drei Größen auch die kritischen Konstan­ten einer Substanz. Aus Tab. 1.4 können wir z. B. ent­nehmen, dass Stickstoffgas oberhalb einer Temperaturvon 126K (–147 °C) nicht verflüssigt werden kann. DiekritischeTemperaturwird gelegentlich verwendet, umzwischen den Begriffen „Dampf“ und „Gas“ zu unter­scheiden:

• Wir bezeichnen die Gasphase einer Substanz alsDampf, wenn ihre Temperatur unterhalb der kri­tischen Temperatur liegt. Dampf kann durch Kom­pression alleine verflüssigt werden.

• Wir bezeichnen die Gasphase einer Substanz alsGas, wenn ihre Temperatur oberhalb der kritischenTemperatur liegt. Gas kann durch Kompression al­leine nicht verflüssigt werden.

Daher ist Sauerstoff bei Raumtemperatur ein echtesGas, während es sich bei der Gasphase vonWasser beiRaumtemperatur um einen Dampf handelt.Wennwir einGas bei einerTemperatur oberhalb der

kritischenTemperatur komprimieren, erhaltenwir eindichtes fluidesMedium, das sich in vieler Hinsicht wieeine Flüssigkeit verhält – seine Dichte beispielswei­se ist vergleichbar mit der einer Flüssigkeit, und eskann als Lösungsmittel wirken. Trotzdem kann mandas Fluid nicht als Flüssigkeit ansehen, denn es füllt ei­nen Behälter stets vollständig aus (wie ein Gas), und esist nicht durch eine deutlich sichtbare Oberfläche vonder Gasphase getrennt. Es handelt sich aber aufgrundder hohen Dichte auch nicht um ein Gas. Ein sol­ches Medium nennt man überkritisches Fluid. Eini­ge Stoffe im überkritischen Zustand werden in techni­schen Prozessen als Lösungsmittel eingesetzt. So dientüberkritisches Kohlendioxid (scCO2) zur Extraktiondes Coffeins aus Kaffee. Ein Vorteil dieses Verfahrensist, dass es keine unerwünschten, möglicherweise gif­tigenRückstände gibt. Gegenwärtig sind überkritischeFluide auch deshalb von großem Interesse, weil siebei gewissen technischen Verfahren anstelle von Flu­orchlorkohlenwasserstoffen (FCKW) eingesetzt wer­den können, denn FCKW sind für ihren schädigen­den Einfluss auf die Umwelt bekannt. Da (überkriti­sches) Kohlendioxid entweder direkt aus der Atmo­sphäre oder (durch Fermentation) aus erneuerbarenorganischenQuellen gewonnenwerden kann, wird dieNettobelastung der Atmosphäre durch Kohlendioxidnicht weiter erhöht.

1.3.3 Der Kompressionsfaktor

Eine nützlicheGröße zurCharakterisierung realerGa­se ist der Kompressionsfaktor Z. Er ist definiert alsdas Verhältnis der Molvolumina eines realen und ei­nes idealen Gases bei gleicher Temperatur und glei­chem Druck:

Z =Vm

V idealm

. (1.26a)

In einem idealen Gas ist Vm = V idealm , also gilt stets

Z = 1. Daher ist die Abweichung des Kompressions­faktors Z von 1 ein Maß für die Abweichung des Ver­haltens eines Gases von der Idealität.Das Molvolumen eines idealen Gases ist nach

Gl. (1.9b) in Abschn. 1.1 gegeben mit V idealm = RT∕p,

daher lässt sich die Definition von Z umschreiben zu

Z =Vm

V idealm

=Vm

RT∕p=

pVmRT

. (1.26b)

Abbildung 1.13 zeigt, wie sich der Kompressionsfak­tor verschiedener realer Gase in Abhängigkeit vom

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30 1 Die Eigenschaften der Gase

Kom

pres

sion

sfak

tor,

Z

00

1

2

200 400 600 800Druck, p/bar

H2

CH4

C2H4

NH3

ideales Gas

Abb. 1.13 Druckabhängigkeit des Kompressionsfaktors Z fürverschiedene Gase bei 0 °C. Für das ideale Gas gilt unabhängigvom Druck stets Z = 1. Bei dieser Temperatur zeigt von denhier aufgeführten Gasen nur Wasserstoff im gesamten Druck-bereich ein positives Abweichen vom idealen Verhalten. Alleanderen Gase weichen bei hohen Drücken ebenfalls positiv,bei niedrigen Drücken hingegen negativ vom idealen Verhal-ten ab. Negative Abweichungen vom Verhalten des idealenGases sind eine Folge der Dominanz anziehenderWechselwir-kungen, bei positiven Abweichungen dominieren abstoßendeWechselwirkungen. Der Verlauf der Kurve Z(p) hängt von derTemperatur ab.

Druck ändert. Bei niedrigen Drücken ist der Kom­pressionsfaktor einiger Gase (zum Beispiel Methan,Ethan und Ammoniak) kleiner als 1; das bedeutet,die Molvolumina dieser Gase sind bei gleicher Tem­peratur und gleichem Druck kleiner als das Molvo­lumen des idealen Gases. Für diese Gase dominierenbei moderaten Drücken anziehende Wechselwirkun­gen, die eine Verringerung der intermolekularen Ab­stände und damit auch des Gesamtvolumens verursa­chen. Der Kompressionsfaktor aller Gase ist bei hohenDrücken stets größer als 1, für manche Gase (Wasser­stoff in Abb. 1.13) sogar im gesamten Druckbereich.Der Verlauf der Kurve Z(p) hängt von der Tempera­tur ab. Bei Z > 1 ist das Molvolumen des realen Gasesbei gleicher Temperatur und gleichem Druck größerals dasMolvolumendes idealenGases. Bei hohenDrü­cken sind die intermolekularen Abstände klein, daherdominieren abstoßende Wechselwirkungen, die eineweitere Kompression des Gases erschweren. Bei Was­serstoffmolekülen sind die anziehenden Wechselwir­kungen so schwach, dass bereits bei geringen Drückendie abstoßenden Wechselwirkungen dominieren.

Illustration 1.8: Der Kompressionsfaktor

Ein Gas nehme bei T = 250K und p = 15 atm einmolares VolumenVm ein, das um 12% geringer ist alsman es bei idealem Verhalten erwarten würde. Alsoist

Vm − V idealm

V idealm

= − 12100

.

Daraus folgt

Vm

V idealm

− 1 = −0,12 , also

Z =Vm

V idealm

= 1 − 0,12 = 0,88 .

Da Z = 0,88 < 1 ist, können wir schließen, dass an­ziehende Wechselwirkungen in der Gasprobe domi­nieren.

Selbsttest 1.10Ein Gas nehme bei T = 350K und p = 12 atm ein mo­lares Volumen Vm ein, das um 12% größer ist als manes bei idealem Verhalten erwarten würde. BerechnenSie den Kompressionsfaktor unter diesen Bedingun­gen, sowie das Molvolumen des Gases. Dominieren inder Gasprobe anziehende oder abstoßende Wechsel­wirkungen?

[Antwort: Z = 1,12; Vm = 2,7 dm3 mol−1;Abstoßung ist dominant]

1.3.4 Die Virialgleichung

Wir können die Abweichung des Kompressionsfak­tors Z vom „idealen“Wert 1 dazu verwenden, eine em­pirische, also eine auf experimentellen Befunden ba­sierende, Zustandsgleichung aufzustellen. Wir wollenannehmen, dass sich Z für reale Gase als eine Summesehr vieler Terme, beginnend mit dem Summanden 1,darstellen lässt:

Z = 1 + BVm

+ CV 2m

+ … (1.27a)

Die Koeffizienten B, C, . . . werden als Virialkoeffizi­enten bezeichnet: B ist der zweite Virialkoeffizient, Cder dritte usw. Der erste Virialkoeffizient (A) ist gleich1. Das Wort „virial“ ist vom lateinischen Wort „vis“(Kraft) abgeleitet, und soll die Bedeutung der intermo­lekularen Kräfte für das Verhalten der Gase zum Aus­druck bringen. Die Virialkoeffizienten B, C usw. wer­den gelegentlich auch mit den Symbolen B2, B3 usw.bezeichnet. Die Koeffizienten sind vonGas zuGas ver­schieden und hängen von der Temperatur ab. Es ist inder Physikalischen Chemie weit verbreitet, ein untergewissen Einschränkungen gültiges Gesetz (hier Z = 1für Gase bei sehr großen Molvolumina) als Näherungeines komplizierteren und universelleren Zusammen­hangs anzusehen. In vielen Fällen kann der Gültig­keitsbereich des einfachen Gesetzes durch zusätzlicheTerme schrittweise erweitert werden.

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311.3 Reale Gase

Der wichtigste zusätzliche Term auf der rechten Sei­te von Gl. (1.27a) ist der zweite Term, der propor­tional zu 1∕Vm ist, denn unter den meisten Bedin­gungen (bei geringem Druck) kann der Term C∕V 2

mwegen C∕V 2

m ≪ B∕Vm vernachlässigt werden. Dannbestimmt im Wesentlichen der zweite Virialkoeffizi­ent die Abhängigkeit des Kompressionsfaktors vomDruck bzw. Molvolumen. Es gilt

Z = 1 + BVm

(1.27b)

Aus den Verläufen der Kurven in Abb. 1.13 könnenwir auf die Vorzeichen der Virialkoeffizienten B und Cschließen. Wir können folgern, dass B für Wasserstoffwegen Z > 1 positiv, für Methan, Ethan und Ammo­niak hingegen wegen Z < 1 negativ ist. Das gilt natür­lich nur für diejenige Temperatur, die den dargestell­tenKurven zuGrunde liegt.Mit zunehmendemDruckund damit abnehmendem V 2

m steigt der Einfluss desdritten Summanden C∕V 2

m. Für positive Werte von Cist daher der Kompressionsfaktor bei hohen Drückenfür alle Gase größer als 1 (Abb. 1.13). Um die Viri­alkoeffizienten eines Gases zu bestimmen, muss zu­nächst der Kompressionsfaktor in Abhängigkeit vomDruck oderMolvolumen gemessen werden. Anschlie­ßend kann ein Satz von Virialkoeffizienten durch ma­thematische Anpassungsverfahren so bestimmt wer­den, dass der Verlauf von Z über den gesamtenDruck-bzw. Volumenbereich möglichst gut wiedergegebenwird.Die Virialkoeffizienten hängen von der Tempera­

tur ab. Bei der sogenannten Boyle-Temperatur TBwird B = 0, dann vereinfacht sich Gl. (1.27b) zu Z =1 und das Gas zeigt über einen engen Bereich vonMolvolumina ideales Verhalten. Die Boyle-Tempera­tur von Stickstoff ist 327,2 K (54,1 °C), und für Koh­lendioxid 714,8K (441,6 °C). Bei der Boyle-Tempera­tur sind die anziehenden und abstoßenden Wechsel­wirkungen gleich groß und heben sich daher gegen­seitig auf.Wir wollen nun Gl. (1.27a) in Form einer Zu­

standsgleichung angeben. Durch Kombination mitGl. (1.26b), Z = pVm∕(RT), erhalten wir

pVmRT

= 1 + BVm

+ CV 2m

+ …

Wenn wir beide Seiten mit RT∕Vm multiplizieren undzusätzlich Vm durch V∕n ersetzen, ergibt sich folgen­der Ausdruck für p:

p = nRTV

(1 + nB

V+ n2C

V 2 + …)

. (1.28)

Gleichung (1.28) wird Virialgleichung genannt. Beisehr geringen Drücken sind wegen des entsprechend

großen Molvolumens die Terme nB∕V und n2C∕V 2

sehr klein und können, wie auch alle noch folgen­den Summanden, vernachlässigt werden. Daher gehtdie Virialgleichung im Grenzfall sehr kleiner Drücke(p → 0) in die Zustandsgleichung des idealen Gasesüber (vgl. Gl. (1.5b)).

Illustration 1.9: Die Virialgleichung

Das Molvolumen von NH3 beträgt 1,00 dm3 mol−1

bei p = 36,2 bar und T = 473K.Wennwir davon aus­gehen, dass bei diesen Bedingungen die Virialglei­chung als p = (RT∕Vm)(1+B∕Vm) geschriebenwer­den kann, gilt

B =(pVmRT

− 1)Vm .

Daraus ergibt sich folgender Wert für den zweitenVirialkoeffizienten B:

B =⎛⎜⎜⎜⎝

36,2 bar⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞

36,2 × 105 Pa ×

1,00 dm3 mol−1⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞⏞

1,00 × 10−3 m3 mol−1

8,3145 J K−1 mol−1 × 473K

⎞⎟⎟⎟⎠× 1,00 × 10−3 m3 mol−1

= −79,5 × 10−6 m3 mol−1 = −79,5 cm3 mol−1 .

(Beachten Sie, dass die Einheit J im Nenner gegenPam3 = J im Zähler gekürzt wurde.)

Selbsttest 1.11Der zweite Virialkoeffizient für NH3 beträgt B =−45,6 cm3 mol−1 bei T = 573K. Berechnen Sie beidieser Temperatur den Druck, bei dem das Molvolu­men von Ammoniak 1,00 dm3 mol−1 beträgt.

[Antwort: 45,5 bar]

1.3.5 Die van-der-Waals-Gleichung

Die Virialgleichung ist eine äußerst zuverlässige Zu­standsgleichung. Ihr Nachteil besteht darin, wenig an­schaulich zu sein. Wir können nicht auf den erstenBlick erkennen, warum Gase vom idealen Verhal­ten abweichen oder zu Flüssigkeiten kondensieren.Im Jahr 1873 formulierte der holländische PhysikerJohannes van der Waals die nach ihm benannte genä­herte Zustandsgleichung. Die van-der-Waals-Glei­chung ist keine exakte Zustandsgleichung, zeigt je­doch in sehr anschaulicher Weise, wie die intermo­lekularen Wechselwirkungen zu Abweichungen vomidealen Verhalten beitragen, und ist ein weiteresBeispiel für eine mathematische, quantitativ nach­

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32 1 Die Eigenschaften der Gase

r 2r

Ausschluss-volumen

Abb. 1.14 Wird ein Molekül als eine Kugel mit dem Radius rund dem Volumen VMolekül = 4

3πr3 behandelt, dann können

sich zwei Moleküle maximal bis auf den Abstand 2r annähern.Das bedeutet, dass eine Kugel um ein Molekül mit dem Ra-dius 2r und dem Volumen 8VMolekül für andere Moleküle nichtzugänglich ist (siehe auch Herleitung 1.3).

prüfbare Beziehung auf der Basis eines tragfähigenModells.Aufgrund der abstoßenden Wechselwirkung kön­

nen zwei Moleküle einander nicht beliebig nahe kom­men, das heißt, ein bestimmter intermolekularer Ab­stand kann nicht unterschritten werden. Das einzelneMolekül kann sich also nicht innerhalb des gesamtenVolumens V frei bewegen. Wir müssen daher V umeinen bestimmtenWert reduzieren. Das zu subtrahie­rende Volumen ist proportional zur Zahl der Mole­küle und zum Volumen, das jedes einzelne Molekülausschließt, also für andere Moleküle unzugänglichmacht (Abb. 1.14). Wir können somit den Einfluss derabstoßenden Kräfte berücksichtigen, indem wir in derZustandsgleichung des idealen Gases V durch V − nbersetzen. Die Proportionalitätskonstante b beschreibtden Zusammenhang zwischen der Volumenabnahmeund der Stoffmenge des Gases. Wie wir in der folgen­den Herleitung 1.3 zeigen werden, hängt b mit demVolumen eines einzelnen Moleküls wie folgt zusam­men:

b ≈ 4VMolekülNA . (1.29)

Herleitung 1.3: Das Ausschlussvolumen einesGases

DasVolumen einer Kugelmit demRadius R ist 43 πR

3.Wenn wir Moleküle als starre Kugeln betrachten,wie in Abb. 1.14 gezeigt, können sich zwei Molekü­le nur bis auf einen Abstand von 2r annähern, dennVMolekül = 4

3πr3. Daher beträgt das Ausschlussvo­

lumen 43π(2r)3 = 8( 43πr

3), bzw. 8VMolekül. Das Aus­schlussvolumen bezogen auf ein einzelnes Molekülbeträgt exakt die Hälfte, also 4VMolekül. Damit ergibtsich das Ausschlussvolumen für einMolGasmolekü­le zu b ≈ 4VMolekülNA, was Gl. (1.29) entspricht.

Wir erhalten auf diesem Weg aus p = nRT∕V einemodifizierte Form der Zustandsgleichung des idealenGases:

p = nRTV − nb

.

Diese Zustandsgleichung entspricht noch nicht derkompletten van-der-Waals-Gleichung, da der Einflussanziehender Wechselwirkungen nicht berücksichtigtist. Wir können sie aber bereits zur Beschreibung desVerhaltens vonGasen verwenden, wenn die abstoßen­den Wechselwirkungen dominant sind. Bei niedrigenDrücken ist das GesamtvolumenV desGases sehr vielgrößer als das Ausschlussvolumen der Moleküle. Die­sen Sachverhalt gebenwir in der Form V ≫ nb an. Dasbedeutet, dass nb gegen V im Nenner des Bruchs ver­nachlässigt werden kann, so dass sich wieder die Zu­standsgleichung des idealen Gases ergibt.

Hinweis Es ist immer sinnvoll zu überprüfen, ob wirein bekanntes Gesetz erhalten, wenn wir eine aufge­stellte Gleichung durch plausible physikalische Nähe­rungen vereinfachen.

Während abstoßende Wechselwirkungen einen Ein­fluss auf das Volumen haben, in dem sich dieMolekülefrei bewegen können, bewirken anziehende Wechsel­wirkungen eine Veränderung des Drucks. Wir wollenannehmen, dass die anziehende Kraft auf ein einzelnesMolekül proportional zur Konzentration n∕V des Ga­ses ist. DieMoleküle werden durch anziehendeWech­selwirkungen abgebremst und prallen daher seltenerundmit geringererWucht auf dieWände desGefäßes.Wir können also erwarten, dass sich der Druck umeinen Betrag verringert, der proportional zum Qua­drat der molaren Konzentration ist: Beide Effekte –die Zahl der Stöße auf die Wand nimmt ab, gleichzei­tig werden die Stöße schwächer – tragen jeweils einenFaktor n∕V zur Verringerung des Drucks bei. Um denZusammenhang in Form einer Gleichung angeben zukönnen, führen wir die Proportionalitätskonstante aein und erhalten

Druckabnahme = a ×( nV

)2.

Wir fassen nun unsere Teilergebnisse zu einer Zu­standsgleichung zusammen, die die Einflüsse von ab­stoßenden und anziehenden Wechselwirkungen be­rücksichtigt:

p = nRTV − nb

− a( nV

)2. (1.30a)

Dies ist die van-der-Waals-Gleichung. Um die Ähn­lichkeit zur Zustandsgleichung des idealen Gases

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331.3 Reale Gase

pV = nRT deutlich zu machen, können wir sie um­formen, indem wir den zweiten Term auf der rechtenSeite durch Addition auf die linke Seite bringen, wasp + an2∕V 2 ergibt, und dann auf beiden Seiten derGleichung mit V − nb multiplizieren:(

p + an2

V 2

)(V − nb) = nRT . (1.30b)

Wir haben die van-der-Waals-Gleichung anhand phy­sikalischer Überlegungen aus der Zustandsgleichungdes idealen Gases abgeleitet. Hierzu haben wir das Ei­genvolumen der Moleküle sowie den Einfluss der in­termolekularen Kräfte betrachtet. Die van-der-Waals-Gleichung kann auch auf andere Art hergeleitet wer­den, aber der von uns eingeschlagene Weg ist sehranschaulich. Er hat darüber hinaus den Vorteil, dasswir die van-der-Waals-Konstanten a und b einfüh­ren konnten, ohne ihnen eine konkrete physikalischeBedeutung zuschreiben zu müssen. In der Tat sind aund b eher als empirische Parameter aufzufassen, dasheißt, es ist nicht möglich, diese Parameter quantita­tiv auf molekulare Eigenschaften zurückzuführen. Dievan-der-Waals-Konstanten sind von Gas zu Gas ver­schieden, jedoch im Unterschied zu den Virialkoeffi­zienten von der Temperatur unabhängig. In Tab. 1.5sind die van-der-Waals-Konstanten einiger Gase an­gegeben. Aus der Art, wie wir die van-der-Waals-Glei­chung abgeleitet haben, folgt:

• Die van-der-Waals-Konstante a (der Parameter fürdie anziehenden Wechselwirkungen) sollte großsein für Moleküle, die einander stark anziehen.

• Die van-der-Waals-Konstante b (der Parameter fürdie abstoßenden Wechselwirkungen) sollte großsein für Moleküle, die eine große Ausdehnung be­sitzen.

Tab. 1.5 Van-der-Waals-Konstanten einiger Gase.

Substanz a(102 kPadm6 mol−2)

b(10−2 dm3 mol−1)

Luft 1,4 0,039Ammoniak, NH3 4,225 3,71Argon, Ar 1,355 3,20Kohlendioxid, CO2 3,658 4,29Ethan, C2H6 5,580 6,51Ethen, C2H4 4,612 5,82Helium, He 0,0346 2,38Wasserstoff, H2 0,2452 2,65Stickstoff, N2 1,370 3,87Sauerstoff, O2 1,382 3,19Xenon, Xe 4,192 5,16

0,1 1 10reduziertes Volumen, V/Vk

1,5

1,5

11

0,5

0

redu

zier

ter D

ruck

, p/p

k

0,8

Abb. 1.15 Berechnete van-der-Waals-Isothermen. Druckund Volumen sind auf den Achsen in Einheiten des kritischenDrucks pk (pk = a∕(27b2)) bzw. des kritischen Volumens Vk(Vk = 3b) angegeben. Die zu den einzelnen Isothermen gehö-rigen Temperaturen sind in der Form T∕Tk (Tk = 8a∕(27Rb))angegeben. Die zu T∕Tk = 1 gehörige Isotherme ist die kriti-sche Isotherme, also die Isotherme bei der kritischen Tempera-tur.

In Abb. 1.15 sind einige Isothermen gezeigt, diemit­hilfe der van-der-Waals-Gleichung für unterschied­liche Temperaturen berechnet wurden. Durch einenVergleich mit experimentell bestimmten Isothermen(Abb. 1.11) könnenwir beurteilen, wie gut dieseNähe­rungsgleichung das Verhalten realer Gase beschreibt.Alles in allem werden die gemessenen Isothermenrecht gut reproduziert, abgesehen von demwellenarti­gen Verlauf, den die genäherten Isothermen unterhalbder kritischen Temperatur zeigen. Man nennt diesenAbschnitt einer Isotherme van-der-Waals-Schleife.Das von den van-der-Waals-Schleifen vorhergesagteVerhalten ist physikalisch unsinnig, da innerhalb be­stimmter Bereiche eine Erhöhung des Drucks zu einerVolumenzunahme führen müsste. Deshalb kann mandie van-der-Waals-Schleifen durch geeignete horizon­tale Linien ersetzen (Abb. 1.16). Die van-der-Waals-Konstanten in Tab. 1.5 wurden durch eine Anpassungder berechneten Kurven an die Verläufe gemessenerIsothermen bestimmt.Aus Abschn. 1.3.1 wissen wir bereits, dass der Ver­

lauf der Isothermen realer Gase umso besser der Zu­standsgleichung des idealenGases entspricht, je höherdie Temperatur und je geringer derDruck ist.Wir wol­len nun prüfen, ob die van-der-Waals-Gleichung die­sen Sachverhalt richtig wiedergibt. Wenn wir auf derrechten Seite von Gl. (1.30a) einen hinreichend ho­hen Wert für T einsetzen, ist der zweite Term sehrviel kleiner als der erste und kann daher vernachläs­sigt werden. Ferner ist bei genügend kleinen Drückendas Ausschlussvolumen nb deutlich kleiner als dasVolumen V des Gases, so dass wir den Nenner im

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34 1 Die Eigenschaften der Gase

0,1 1 10reduziertes Volumen, V/Vk

1,5

1

0,5

0

redu

zier

ter D

ruck

, p/p

k

Abb. 1.16 Die physikalisch sinnlosen van-der-Waals-Schlei-fen können durch horizontale Linien ersetzt werden, die dieSchleifen in zwei gleich große Flächen einteilen. Die Isother-men, die sich nach dieser Korrektur ergeben, ähneln sehr starkden experimentellen Isothermen.

ersten Term durch V ersetzen können. Die van-der-Waals-Gleichung geht somit für hohe TemperaturenundniedrigeDrücke in dieZustandsgleichungdes ide­alen Gases (p = nRT∕V ) über. Dies liegt daran, dassbei sehr hohen Temperaturen die kinetische Energieder Moleküle bei weitem die potenzielle Energie derWechselwirkungen übersteigt. Außerdem ist das Vo­lumen eines Gases unter diesen Bedingungen eben­falls sehr groß, unddieMoleküle verbringenderart vielZeit im stoßfreien Flug, dass ihr Eigenvolumen ver­nachlässigt werden kann.Der Virialkoeffizient B (siehe Abschn. 1.3.4) kann

ebenfalls mit den van-der-Waals-Konstanten in Ver­bindung gebracht werden. Zunächst schreiben wir dieideale Gasgleichung (Gl. (1.5b)) wie folgt um:

p = nRTV − nb

− a( nV

)2= nRT

V

( VV − nb

− naRTV

)= nRT

V

(1

1 − nb∕V− a

RTV∕n

)= nRT

V

(1

1 − b∕Vm− a

RTVm

).

Wenn wir nun annehmen, dass b∕Vm ≪ 1 ist undwir darüber hinaus die Näherung 1∕(1 − x) ≈ 1 + xberücksichtigen (siehe „Toolkit 6: Reihenentwicklungund Näherungen“), dann erhalten wir mit x = b∕Vm:

p = nRTV

(1 +

b − a∕RTVm

).

Durch Vergleich dieses Ausdrucks mit der Virialglei­chung (Gl. (1.28)) erhalten wir

B = b − aRT

. (1.31)

Der Virialkoeffizient B ist positiv, wenn b > a∕RTgilt (Abstoßung dominiert), und er ist negativ für b <a∕RT (Anziehung dominiert), wie bereits zu Beginnangenommen. Die Boyle-Temperatur (bei der B = 0ist) stellt sich ein, wenn b = a∕RT ist (abstoßende undanziehende Wechselwirkungen sind gleich groß). Dasist der Fall bei TB = a∕Rb.

1.3.6 Die Verflüssigung von Gasen

Ein Gas kondensiert zur Flüssigkeit, wenn es auf eineTemperatur unterhalb des Siedepunkts, dessen Lagevom Druck abhängt, abgekühlt wird. Wenn wir bei­spielsweise Chlorgas bei einem Druck von 1 atm ver­flüssigen wollen, müssen wir es auf eine Tempera­tur unterhalb von −34 °C abkühlen. Das kann durchein Kältebad aus Trockeneis (festes Kohlendioxid) er­reicht werden. Da die Temperatur des Kältebads dieSiedetemperatur des Gases unterschreiten muss, istdieses einfache Verfahren bei Gasen mit niedrigenSiedepunkten wie Sauerstoff (−183 °C) oder Stickstoff(−196 °C) praktisch nicht mehr durchführbar.Ein alternatives technisches Verfahren beruht auf

derWirkung intermolekularer Kräfte. Aus Abschn. 1.2wissen wir bereits, dass die quadratisch gemittelte Ge­schwindigkeit der Moleküle eines Gases proportionalzur Quadratwurzel der Temperatur ist (Gl. (1.20a),c ∝ T1∕2). Eine Verringerung dieser Geschwindigkeithat daher eine Abnahme der Temperatur zur Folge.Wenn wir die Molekülgeschwindigkeiten so weit er­niedrigen, dass sich die Teilchen aufgrund der anzie­henden Wechselwirkungen nicht mehr voneinanderlösen können, geht das Gas in den flüssigen Aggregat­zustand über.Um den physikalischen Hintergrund dieses Verfah­

rens besser verstehen zu können, stellen wir uns zu­nächst einen Ball vor, der in die Luft geworfen wird:Der Ball wird wegen der Erdanziehung mit zuneh­menderHöhe langsamer, und seine kinetische Energiewird in potenzielle Energie umgewandelt. Wir wissenbereits, dass auch Moleküle einander anziehen. Die­se Wechselwirkung beruht zwar nicht auf der Gra­vitationswechselwirkung, aber der Effekt ist derselbe.Wie der Ball mit zunehmender Entfernung zur Erdelangsamer wird, sollten auch die Geschwindigkeitender Moleküle abnehmen, wenn diese sich voneinan­der entfernen. Wenn wir ein Gas expandieren lassen,nimmt das Volumen zu, und daher steigt auch derAbstand der Moleküle untereinander. Wenn wir ver­hindern, dass bei diesem Vorgang Wärme von außenzugeführt wird, nimmt die Temperatur des Gases ab.Wenn dem Gas ein größeres Volumen zur Verfügunggestellt wird, müssen sich die einzelnen Moleküle vonden anziehenden Kräften ihrer Nachbarmoleküle lö­

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351.3 Reale Gase

sen, um das gesamte Volumen ausfüllen zu können.Das erfordert jedoch eine Umwandlung von kineti­scher in potenzielle Energie und führt somit zu einerVerlangsamung der Moleküle. Wegen der Abnahmeder mittleren Geschwindigkeit der Moleküle ist dasGas nun kälter als vor der Expansion.Technisch realisiert man diesen Vorgang, indem

man ein komprimiertes Gas durch ein „Drosselven­til“, eine sehr feine Öffnung, strömen lässt. Aufgrunddes Druckunterschieds expandiert das Gas und kühltsich dabei ab. Dies wird als Joule-Thomson-Effektbezeichnet. Der Effekt wurde zuerst von James Joule(ihm zu Ehren ist die Einheit der Energie benannt) undWilliam Thomson (dem späteren Lord Kelvin) beob­achtet und untersucht. Dieses Verfahren funktioniertnur für reale Gase, bei denen anziehende intermole­kulare Wechselwirkungen dominieren. Wenn die Mo­

leküle im Wesentlichen einander abstoßen, wird beieiner Expansion des Gases potenzielle in kinetischeEnergie umgewandelt und die Geschwindigkeiten derMoleküle nehmen imMittel zu. Daher führt der Joule-Thomson-Effekt für Gase mit einem Kompressions­faktor Z > 1 zur Erwärmung, wenn das Gas expan­diert.In der technischen Praxis zur Verflüssigung vonGa­

sen lässt man dieses mehrere Expansions- und Kom­pressionsschritte in einer sogenannten Linde-Kühl­maschine (siehe Abb. 1.17) durchlaufen. In jedemSchritt wird das Gas immer weiter abgekühlt, strömtnun demnoch komprimiertenGas entgegen und kühltdieses bereits vor der Expansion weiter ab. Nachmeh­reren Expansionsschritten hat sich das Gas so weit ab­gekühlt, dass es zur Flüssigkeit kondensiert.

Toolkit 6: Reihenentwicklung und Näherungen

Es istmöglichundoft äußerst nützlich, eine Funktion alsReihenentwicklung zu formulieren in der Form

f (x) = c0 + c1x + c2x2 + …

wobei c0, c1, c2, … konstante Koeffizienten sind. Diefolgenden Reihenwerden in der PhysikalischenChemiehäufig benötigt; während (a) für alle x gilt, sind die Rei-hen in (b), (c) und (d) nur für |x| < 1 wohldefiniert. Diehinter dem Rundungszeichen (≈) angegebenen Nähe-rungen sind nur gültig, wenn x ≪ 1 ist (Abb. T1).

(a) ex = 1 + x + 12x2 + 1

6x3 − ⋯ ≈ 1 + x

(b) (1 + x)−1 = 1 − x + x2 − ⋯ ≈ 1 − x

(c) ln(1 + x) = x − 12x2 + 1

3x3 − ⋯ ≈ x

(d) (1 + x)1∕2 = 1 + 12x − 1

8x2 + ⋯ ≈ 1 + 1

2x

Alle vier dieser Ausdrücke sind Spezialfälle der allge-meinen Taylorreihe. Ähnliche Näherungen für weitereFunktionen kann man über die Vorschrift

f (x) = f (0) +(dfdx

)0x +

(d2fdx2

)0x2 + …

gewinnen, wobei der tiefgestellte Index 0 bedeutet,dass die Ableitungen an der Stelle x = 0 gebildet wer-den sollen.

1 − x

x x

x x

1 + x(1 + x)−1

1 − x + x2ex

ln(1 + x)

x (1 + x)1/2

1 + x12

(a) (b)

(c) (d)

1

0,95

0,9

0,85

0,800 0,05 0,050,1 0,10,15 0,15 0,20,2

00 0,05 0,1 0,15 0,2 0 0,05 0,1 0,15 0,2

1

1

1,05

1,1

1,1

1,15

1,2

1,25

1,02

1,04

1,06

1,08

0,05

0,1

0,15

0,2

Abb. T1

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36 1 Die Eigenschaften der Gase

Wär

emet

ausc

her

Kompressor

Drossel-ventil

Flüssigkeit

kaltesGas

Abb. 1.17 Die Funktionsweise einer Linde-Kühlmaschine. Daskomprimierte Gas wird vor der Expansion im Gegenstromver-fahren abgekühlt, bevor es durch das Drosselventil strömt. Dasbereits expandierte Gas übernimmt die Rolle des Kühlmittels.Auf diese Weise werden beim Expansionsschritt immer tiefereTemperaturen erreicht, bis schließlich die Verflüssigung desGases eintritt.

Schlüsselkonzepte

1. Das Ausmaß der Abweichungen eines Gases vonidealem Verhalten wird im Kompressionsfaktorzusammengefasst.

2. Die Virialgleichung ist eine empirische Erweite­rung des idealen Gasgesetzes, die das Verhaltenrealer Gase in einem bestimmten Bereich äußererBedingungen beschreibt.

3. Aus den Isothermen eines realen Gases lassen sichdie Konzepte des Dampfdrucks und des kriti­schen Verhaltens ableiten.

4. Ein Gas kann alleine durch Erhöhung des Drucksverflüssigt werden, solange seine Temperatur un­terhalb oder exakt bei seiner kritischen Tempera­tur liegt.

5. Die van-der-Waals-Gleichung ist eine theoreti­sche Zustandsgleichung für realeGase, die von denbeiden van-der-Waals-Konstanten a bzw. b ab­hängt, die anziehende bzw. abstoßende intermole­kulare Wechselwirkungen berücksichtigen.

6. Als Joule-Thomson-Effekt bezeichnet man dasAbkühlen eines Gases, wenn es ohne Zufuhr vonWärme expandiert, nachdem es durch einDrossel­ventil geströmt ist.

Übungsteil Fokus 1 – Gase

Übungen

Behandeln Sie alle Gase als ideal, sofern nicht aus­drücklich etwas anderes verlangt ist.

Abschnitt 1.1 – Das ideale Gas

1.1.1 Geben Sie die Drücke (a) 108 kPa in Torr,(b) 0,975 bar in atm, (c) 22,5 kPa in atm, (d) 770Torrin Pascal an.

1.1.2 Welchen Druck übt gasförmiger Stickstoff miteiner Masse von 3,055 g bei 32 °C in einem Gefäß miteinem Volumen von 3,00 dm3 aus?

1.1.3 Eine Probe gasförmigen Neons mit einer Mas­se von 425mg nimmt bei 77K ein Volumen von6,00 dm3 ein. Wie groß ist der Druck des Gases?

1.1.4 Überraschenderweise wirkt Stickstoffmon­oxid (NO) im menschlichen Körper als Neurotrans­mitter. Um dieses Phänomen zu untersuchen, wirdStickstoffmonoxid in einem Gefäß mit einem Volu­men von 300,0 cm3 aufgefangen. Bei 14,5 °C beträgtder Druck des Gases 34,5 kPa. Wie groß ist die Stoff­menge an NO-Molekülen?

1.1.5 In Haushaltsgeräten zur Erzeugung von Spru­delwasser werden Stahlzylinder eingesetzt, die mitKohlendioxid gefüllt sind. Diese Zylinder haben einVolumen von 250 cm3. Ein voller Zylinder hat eineMasse von 1,04 kg, und –wenn er leer ist – eineMassevon 0,74 kg.Wie groß ist der Druck des Kohlendioxid­gases bei 20 °C?

1.1.6 Man untersucht die Wirkung hoher Drückeauf (auchmenschliche) Organismen, um beispielswei­se mögliche Gefahren des Tiefseetauchens besser ab­schätzen zu können. Welcher Druck ist notwendig,um 1,00 dm3 Luft bei 25 °C und 1,00 atm bei gleicherTemperatur auf ein Volumen von 100 cm3 zu kompri­mieren?

1.1.7 Behälter, die Gase unter Druck enthalten, sindgewöhnlich mit einem Warnhinweis ausgestattet, dasie unbedingt vor hohenTemperaturen geschützt wer­denmüssen. Eine Sprühdose, deren Treibgas bei 18 °Ceinen Druck von 125 kPa ausübt, wird in ein Feuer ge­worfen. Wie groß ist der Druck des Gases, wenn dieTemperatur der Dose auf 700 °C angestiegen ist?

1.1.8 An Orten, die tief unter dem Meeresspiegeloder auf der Mondoberfläche liegen, müssen wir denzur Atmung benötigten Sauerstoff in komprimierterForm in Sauerstoffflaschenmit uns führen. BerechnenSie den Druck von gasförmigem Sauerstoff, der aus­gehend von einem Volumen von 7,20 dm3 bei 101 kPaauf ein Volumen von 4,21 dm3 komprimiert wird.

1.1.9 Eine Probe Heliumgas nimmt bei 22,2 °C einVolumen von 1,00 dm3 ein. Auf welche Temperaturmuss das Gas abgekühlt werden, wenn das Volumenauf 100 cm3 verringert werden soll?

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37Übungsteil Fokus 1 – Gase

1.1.10 DerAuftrieb einesHeißluftballons beruht da­rauf, dass sich die Luft in der Ballonhülle beim Er­wärmen ausdehnt und dadurch ihre Dichte abnimmt.Auf welche Temperatur, ausgehend von 315K, musseine gegebene Luftmenge aufgeheizt werden, damitdas Volumen um 25% zunimmt?

1.1.11 Auf Höhe desMeeresspiegels nimmt eine be­stimmte Masse Luft bei einemDruck von 104 kPa undeiner Temperatur von 21,1 °C ein Volumen von 2,0m3

ein. Wie groß ist das Volumen der gleichen Luftmas­se in höheren Regionen der Atmosphäre bei Wertenfür Druck und Temperatur von (a) 52 kPa, −5,0 °C und(b) 880Pa, −52,0 °C?

1.1.12 Die Verschmutzung der Atmosphäre ist einProblem, das in den letzten Jahren sehr viel Aufmerk­samkeit erregt hat. Nun sind aber nicht alle Schad­stoffe industriellen Ursprungs. Vulkanische Aktivitä­ten sind eine nicht zu vernachlässigende Quelle fürLuftschadstoffe. Der Vulkan Kilauea auf Hawaii zumBeispiel emittiert 200 bis 300 t Schwefeldioxidgas proTag (1 t = 1000 kg). Wie groß ist das Volumen des täg­lich ausgestoßenen Gases, wenn es bei einer Tempera­tur von 800 °C und einem Druck von 1,0 atm abgege­ben wird?

1.1.13 Berechnen Sie die Stoffmengenanteile (Mo­lenbrüche) der Komponenten einer Mischung aus56 g Benzol (C6H6) und 120 g Methylbenzol (Toluol,C6H5CH3).

1.1.14 Um die Atmosphäre eines anderen Plane­ten nachzubilden, wird eine Gasmischung aus 320mgMethan, 175mg Argon und 225mg Stickstoff herge­stellt. Bei 300K beträgt der Partialdruck des Stick­stoffs 15,2 kPa. Berechnen Sie (a) das Volumen und(b) den Gesamtdruck der Gasmischung.

Abschnitt 1.2 – Die kinetische Gastheorie

1.2.1 Berechnen Sie mithilfe der kinetischen Gas­theorie die quadratisch gemittelte Geschwindigkeitvon (a) N2-, (b)H2O-Molekülen in der Erdatmosphärebei 273K.

1.2.2 Berechnen Sie die mittlere Geschwindigkeitvon (a) Heliumatomen und (b) CH4-Molekülen bei(i) 79K, (ii) 315K und (iii) 1500K.

1.2.3 Ein Synthesegas (auch „Syngas“ genannt) be­steht aus einem Gemisch aus Wasserstoff und Koh­lenmonoxid. Berechnen Sie die relative Rate, ausge­drückt in Molekülen pro Sekunde, mit der die H2-undCO-Moleküle aus einemZylinder entweichen, dereine kleine Öffnung besitzt.

1.2.4 In einem Zylinder befindet sich Gas zum Be­trieb eines CO2-Lasers, ein Gemisch aus jeweils glei­chen Anteilen von Kohlendioxid, Stickstoff und He­lium. Wie groß ist die Masse des durch eine Öff­nung entweichenden Stickstoffs bzw. Heliums, wennim gleichen Zeitraum 1,0 g Kohlendioxid entwichenist?

1.2.5 Bei welchem Druck entspricht die mittlerefreie Weglänge von Argonatomen (σ = 0,36 nm2) bei25 °C dem Durchmesser einer Kugel mit einem Volu­men von 1,0 dm3?

1.2.6 Für die Untersuchung photochemischer Pro­zesse in den oberen Schichten der Atmosphäre benö­tigen wir in der Regel die Stoßzahlen verschiedenerAtome und Moleküle. In einer Höhe von 20 km betra­gen Temperatur und Druck 217K bzw. 0,050 atm.Wiegroß ist diemittlere freieWeglänge vonN2-Molekülen(σ = 0,43 nm2) unter diesen Bedingungen? Wie vie­le Stöße pro Sekunde finden in dieser Höhe zwischenden N2-Molekülen statt?

1.2.7 Wie oft stößt ein Argonatom (Stoßquer­schnitt σ = 0,36 nm2) in 1,0 s bei einer Temperatur von25 °C und einem Druck von (a) 10 bar, (b) 100 kPa und(c) 1,0 Pa mit anderen Atomen zusammen?

1.2.8 Wie hängt die mittlere freieWeglänge derMo­leküle von der Temperatur des Gases ab, wenn dasGasvolumen konstant bleibt?

1.2.9 DieAusbreitung vonAbgasen durch dieAtmo­sphäre wird im Wesentlichen durch Winde, teilweiseaber auch durch die Diffusion der Moleküle hervor­gerufen. Die Geschwindigkeit des letzteren Prozesseshängt davon ab, wie weit sich ein Molekül bewegt, be­vor es mit einem anderen Molekül zusammenstößt.Berechnen Sie die mittlere freie Weglänge eines zwei­atomigen Moleküls mit σ = 0,43 nm2 in Luft bei 25 °Cund (a) 10 bar, (b) 103 kPa und (c) 1,0 Pa.

Abschnitt 1.3 – Reale Gase

1.3.1 Der kritische Punkt von Ammoniakgas, NH3,liegt bei 111,3 atm, 72,5 cm3 mol−1 und 405,5 K. Be­rechnen Sie den Kompressionsfaktor am kritischenPunkt. Was lässt sich aus dem Ergebnis schließen?

1.3.2 In der folgenden Tabelle sind die kritischenKonstanten für Methan, Ethan und Propan angege­ben. Berechnen Sie aus diesen Daten die Kompressi­onsfaktoren am kritischen Punkt für diese drei Gase.Was können Sie aus den berechneten Werten erken­nen?

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Peter W. Atkins, Julio de Paula: Kurzlehrbuch Physikalische Chemie — 2019/8/12 — Seite 38 — le-tex

38 1 Die Eigenschaften der Gase

pk∕atm Vk∕(cm3 mol−1) Tk∕K

Methan, CH4 45,6 98,7 190,6Ethan, C2H6 48,6 260 562,7Propan, C3H8 41,9 200 369,8

1.3.3 Berechnen Siemithilfe der Virialgleichung denDruck, den 1,00mol CH4 bei 273K in einem Vo­lumen von 1,00 dm3 ausübt. Bei dieser Tempera­tur besitzt der zweite Virialkoeffizient B den Wert−53,6 cm3 mol−1. Gehen Sie davon aus, dass die Vi­rialgleichung nach dem zweiten Term abbricht.

1.3.4 Das Molvolumen von Sauerstoff, O2, beträgt3,90 dm3 mol−1 bei 10,0 bar und 200 °C. Gehen Sie da­von aus, dass die Virialgleichung nach dem zweitenTerm abbricht, und berechnen Sie den zweiten Viri­alkoeffizienten B für Sauerstoff bei dieser Temperatur.

1.3.5 Die Virialgleichung lässt sich in Abhängigkeitvom Druck auch schreiben als: Z = 1 + B′ p + … Diekritischen Konstanten für Wasser, H2O, sind pk =218, 3 atm, Vk = 55,3 cm3 mol−1 und Tk = 647, 4 K.Gehen Sie davon aus, dass die oben angegebene Formder Virialgleichung nach dem zweiten Term abbricht,und berechnen Sie den zweiten Virialkoeffizienten B′

für Wasser bei der kritischen Temperatur.

1.3.6 Berechnen Sie den Druck, den 1,0mol C2H6ausübt, wenn Sie Ethan (a) als ideales Gas, (b) alsvan-der-Waals-Gas betrachten, und zwar jeweils un­ter den folgenden Bedingungen: (i) bei 273,15Kin 22,414 dm3, (ii) bei 1000K in 100 cm3. Verwen­den Sie zur Berechnung die Werte aus Tab. 1.5 inAbschn. 1.3.5.

1.3.7 Wie zuverlässig sind die Werte, die Sie durchAnwendung der idealen Gasgleichung erhalten imVergleich zur Anwendung der van-der-Waals-Glei­chung? Berechnen Sie hierzu die Differenz der Drü­cke, die sich aus der van-der-Waals-Gleichung undder Zustandsgleichung des idealen Gases für 10,00 gKohlendioxid in einemGefäßmit einem Volumen von100 cm3 bei 25,0 °C ergeben.

1.3.8 Ein Gas gehorcht der van-der-Waals-Glei­chung mit der Konstante a = 0,50m6 Pamol−2. DasVolumen beträgt 5,00 × 10−4 m3 mol−1 bei 273K und3,0MPa. Berechnen Sie aus diesen Angaben die van-der-Waals-Konstante b. Wie groß ist der Kompressi­onsfaktor dieses Gases bei den angegebenen Wertenfür Temperatur und Druck?

1.3.9 Berechnen Sie die Boyle-Temperatur für Koh­lenstoffdisulfid, CS2, aus den gegebenen van-der-Waals-Konstanten a = 11,77 dm6 barmol−2, b =0,076 85 dm3 mol−1.

Verständnisfragen

1.1 Beschreiben Sie, wie die von Boyle, Charles undAvogadro durchgeführten Experimente zur Formulie­rung der Zustandsgleichung des idealen Gases führ­ten.

1.2 Erläutern Sie den Begriff „Partialdruck“ undbeschreiben Sie, warum das Dalton’sche Gesetz einGrenzgesetz ist.

1.3 Erklären Siemithilfe der kinetischen Gastheorie,warum der Anteil leichter Gase, wie H2 und He, in derErdatmosphäre gering ist im Vergleich zu schwererenGasen wie O2, CO2 und N2.

1.4 Erklären Sie mithilfe einer molekularen Modell­vorstellung die Temperaturabhängigkeit der Diffusi­ons- und Effusionsraten von Gasen.

1.5 Erläutern Sie die Abhängigkeit des Kompressi­onsfaktors von Druck und Temperatur. BeschreibenSie, wie man aus dieser Abhängigkeit Informationenüber die intermolekularen Wechselwirkungen in rea­len Gasen gewinnen kann.

1.6 Welche Bedeutung haben die kritischen Kon­stanten eines Gases?

1.7 Beschreiben Sie die einzelnen Schritte, die zurAufstellung der van-der-Waals-Gleichung führen.

Aufgaben

1.1 Eine Taucherglocke hat an Deck eines Schiffs ei­nen Luftraum von 3,0m3. Wie groß ist das Volumendes Luftraums in 50m Wassertiefe, wenn die Was­sertemperatur mit der Temperatur der Luft auf Höhedes Meeresspiegels übereinstimmt? Nehmen Sie einemittlere Dichte desMeerwassers von 1,025 g cm−3 an.

1.2 Wetterballons werden auch heute noch einge­setzt, um Informationen über die Atmosphäre und dasWetter zu erhalten. Im Jahr 1782 ließ Jacques Charleseinen mit Wasserstoff gefüllten Ballon von Paris aus25 kmweit in die französische Landschaft fliegen.Wiegroß ist die Dichte von Wasserstoff relativ zur Dichteder Luft bei gleicher Temperatur und gleichemDruck?Welche Nutzlast kann von einem Ballon mit 10 kgWasserstoff transportiertwerden,wenndie Eigenmas­se des Ballons vernachlässigt wird?

1.3 Ein Wetterballon hat bei 20 °C auf Höhe desMeeresspiegels einen Radius von 1,5m. Nach Errei­chendermaximalenHöhe dehnt sich der Ballon auf ei­nen Radius von 3,5m aus. Welcher Druck herrscht in­nerhalb des Ballons, wenn die Temperatur −25 °C be­trägt?

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39Übungsteil Fokus 1 – Gase

1.4 Wasser hat bei der Temperatur des Bluts einenDampfdruck von 47Torr. Wie groß ist der Partial­druck der trockenen Luft in der Lunge bei einem Ge­samtdruck von 760Torr?

1.5 Trockene Luft besteht, bezogen auf die Masse,zu 75,53% aus Stickstoff, und zu 23,14% aus Sauer­stoff. Der übrigeMassenanteil setzt sich aus Edelgasenzusammen, hauptsächlich Argon. Wie groß sind dieStoffmengenanteile (Molenbrüche) der drei genann­ten Gase?

1.6 Die Bestimmung der Dichte eines Gases oderDampfes gibt in guter Näherung Aufschluss über sei­ne Molmasse. Die Dichte einer gasförmigen Substanzin einem Glaskolben wurde bei 330K und 25,2 kPa zu1,23 g dm−3 bestimmt. Welche Molmasse besitzt dasuntersuchte Gas?

1.7 Bei der experimentellen Bestimmung der Mol­masse eines Gases wurden 250 cm3 der Substanz in ei­nenGlaskolbenüberführt.DerDruck beträgt 152Torrbei 298K und die Masse des Gases wurde zu 33,5mgbestimmt. Welche Molmasse besitzt das untersuchteGas?

1.8 Ein Behälter mit einem Volumen von 22,4 dm3

enthält 2,0mol H2 und 1,0mol N2 bei 273,15K. Be­rechnen Sie (a) die Partialdrücke und (b) den Gesamt­druck der Gasmischung.

1.9 Ein Glaskolbenmit einem Volumen von 1,0 dm3

enthält 1,0 × 1023 H2-Moleküle. Wenn der Gasdruck100 kPa beträgt, wie groß ist dann (a) die Tempera­tur des Gases und (b) die quadratisch gemittelte Ge­schwindigkeit der Moleküle? (c) Wäre die Temperatureine andere, wenn es sich um O2-Moleküle handelnwürde?

1.10 Ein Methanmolekül kann als sphärische Kugelmit einemRadius von 0,38 nm angesehenwerden.Wieviele Stöße erleidet jedes einzelne CH4-Molekül, wennsich eine Stoffmenge von 0,10mol bei 25 °C in einemKolben von 1,0 dm3 Volumen befindet?

1.11 Methanmoleküle, CH4, können als sphärischeKugeln betrachtet werden, die einen Stoßquerschnittvon σ = 0,46 nm2 besitzen. Geben Sie eine Näherungfür den Wert der van-der-Waals-Konstante b an, in­dem Sie das molare Ausschlussvolumen der Methan­moleküle berechnen.

1.12 Eine Probe von 0,200mol Cl2 (g) befindet sichin einem Behälter mit 250 cm3 Volumen. Bei einerTemperatur von 500K übt das Gas einen Druck von3,06MPa, und bei 1000K von 6,54MPa aus. Berech­nen Sie die Werte der van-der-Waals-Konstanten aund b für Chlorgas.

1.13 Die kritischen Konstanten hängen mit denvan-der-Waals-Konstanten über folgende Beziehun­gen zusammen: pk = a∕(27b2), Vk = 3b und Tk =8a∕(27Rb). Für Ethan lauten die kritischen Konstan­ten pk = 48,20 atm, Vk = 148 cm3 mol−1 und Tk =305,4K. BerechnenSie die van-der-Waals-Konstantenfür Ethangas und geben Sie einen Näherungswert fürden Molekülradius an.

1.14 Durch Messungen bei 273K wurden dieVirialkoeffizienten von Argon bestimmt zu B =−21,7 cm3 mol−1 und C = 1200 cm6 mol−2. Wie großsind die Werte der korrespondierenden Konstanten aund b in der van-der-Waals-Gleichung?

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Das Symbol ‡ bedeutet, dass die Anwendung von Dif­ferenzial- oder Integralrechnung erforderlich ist.

1.1‡ Mithilfe der Differenzial- und Integralrechnungkann die Maxwell-Boltzmann-Verteilung, ρ(v), de­taillierter analysiert werden. (a) Die gemittelte Ge­schwindigkeit von Molekülen nach der Maxwell-Boltzmann-Verteilung ist gegeben durch das Integral∫∞0 vρ(v) dv. Zeigen Sie mithilfe der Maxwell’schenGeschwindigkeitsverteilung, dass die mittlere Ge­schwindigkeit derMoleküle in einemGasmit derMol­masse M bei einer Temperatur T durch den Aus­druck (8RT∕πM)1∕2 gegeben ist. (Hinweis: Verwen­den Sie ein Integral der Form ∫∞

0 x2n+1e−ax2 dx =n!∕2an+1.) (b) Zeigen Sie durch Analyse des Inte­grals ∫∞

0 v2ρ(v) dv, dass die quadratisch gemittelte Ge­schwindigkeit derMoleküle in einemGasmit derMol­masseM bei einer Temperatur T durch den Ausdruck(3RT∕M)1∕2 gegeben ist. (Hinweis: Verwenden Sie einIntegral der Form ∫∞

0 x2ne−ax2 dx = (1× 3×⋯× (2n−1)∕2n+1a2)(π∕a)1∕2.) (c) Die Geschwindigkeit, bei derdieMaxwell’scheGeschwindigkeitsverteilung denma­ximalenWert annimmt, ergibt sich aus der Bedingungdρ(v)∕dv = 0. Leiten Sie einen Ausdruck für die wahr­scheinlichste Geschwindigkeit der Moleküle in einemGas mit der MolmasseM bei einer Temperatur T her.(d) Berechnen Sie den Anteil aller N2-Moleküle, diesich bei 500K mit einer Geschwindigkeit zwischen290 und 300m s−1 bewegen.

1.2 Die kinetische Gastheorie ist immer dann gül­tig, wenn die Größe der einzelnen Teilchen gegenüberihrer mittleren freien Weglänge vernachlässigt wer­den kann. Das Verhalten der dichten Materie im In­neren der Sterne mit der kinetischen Gastheorie unddem Modell des idealen Gases korrekt beschreibenzu wollen, erscheint daher auf den ersten Blick einevöllig absurde Idee zu sein. Im Zentrum der Sonne

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Peter W. Atkins, Julio de Paula: Kurzlehrbuch Physikalische Chemie — 2019/8/12 — Seite 40 — le-tex

40 1 Die Eigenschaften der Gase

zum Beispiel ist die Dichte um den Faktor 150 grö­ßer als die Dichte des flüssigen Wassers, auf halbemWeg zur Sonnenoberfläche sind beide Dichten in et­wa gleich groß. Nun liegt aber die Materie im In­neren der Sterne als Plasma vor. Dieser besondereAggregatzustand zeichnet sich dadurch aus, dass Elek­tronen und Atomkerne getrennt voneinander vorlie­gen, es existieren also keine Atome mehr. Da die Son­ne im Wesentlichen aus Wasserstoff und Helium be­steht, liegen im Plasma der Sonne Teilchen mit derGröße von Wasserstoff- und Heliumkernen vor, de­ren Durchmesser ungefähr 10 fm beträgt. Eine mittle­re freie Weglänge von 0,1 pm reicht dann aus, um dasKriterium für die Gültigkeit der kinetischen Gastheo­rie und der Zustandsgleichung des idealen Gases zuerfüllen. Wir können also (näherungsweise) die Glei­chung pV = nRT als Zustandsgleichung zur Beschrei­bung des Sterneninneren verwenden. (a) BerechnenSie den Druck, der auf halbem Weg zum Zentrumder Sonne herrscht. Wenn wir annehmen, dass dasInnere der Sonne zum allergrößten Teil aus ionisier­ten Wasserstoffatomen besteht, dann herrscht dorteine Temperatur von 3,6MK und die Dichte der Son­ne ist mit 1,20 g cm−3 etwas größer als die Dichte desflüssigen Wassers. (b) Kombinieren Sie das Ergebnisaus Teilaufgabe (a) mit dem Ausdruck, den die kine­tische Gastheorie für den Druck liefert. Zeigen Sie,dass der Druck p des Plasmas mit der Dichte der ki­netischen Energie, ρkin = Ekin∕V , der kinetischen En­ergie der Moleküle in einer Region geteilt durch dasVolumen der betrachteten Region, über die Beziehungp = 2

3ρkin zusammenhängt. (c) Wie groß ist die Dich­te der kinetischen Energie auf halbemWeg zum Zen­trum der Sonne? Vergleichen Sie das Ergebnis mit derDichte der (translatorischen) kinetischen Energie inder Erdatmosphäre an einem warmen Tag (25 °C), dienur 1,5 × 105 Jm−3 (0,15 J cm−3) beträgt. (d) In et­wa 5 Milliarden Jahren wird sich unsere Sonne in ei­nen Roten Riesen verwandeln. Dieser Vorgang ist un­ter anderem damit verbunden, dass sich die dann imWesentlichen aus Helium bestehende Kugel im Zen­trum der Sonne zusammenzieht und dabei sehr starkaufheizt. Das führt nicht nur dazu, dass die Fusions­rate steigt und der Wasserstoff schneller verbrauchtwird, sondern auch zu Fusionsreaktionen, bei denenschwerere Atomkerne wie zum Beispiel Kohlenstoff­kerne entstehen. Der äußere Teil der Sonne hinge­

gen bläht sich auf und kühlt ab. Nehmen Sie an, dassauf halbemWeg zum Zentrum des Roten Riesen eineSchicht vorliegt, die zum größten Teil aus völlig io­nisierten Kohlenstoffatomen und Elektronen bestehtund eine Dichte von 1200 kg cm−3 aufweist. Wie großist der Druck an dieser Stelle bei einer Temperaturvon 3500K? (e) Wie groß wäre der Druck bei glei­cher Temperatur und Dichte, wenn der Rote Rieseaus Teilaufgabe (d) aus neutralen Kohlenstoffatomenbestünde anstatt aus Kohlenstoffkernen und Elektro­nen?

1.3 Durch Reihenentwicklung kann eine mathema­tische Funktion der Form (1 − x)−1 ausgedrückt wer­den als Potenzreihe 1 + x + x2 + … , solange x <1 ist. (a) Geben Sie die van-der-Waals-Gleichung inForm einer Virialentwicklung in Potenzen von 1∕Vman. (b) Die Boyle-Temperatur ist definiert als diejenigeTemperatur, bei der der zweite Virialkoeffizient B fürein van-der-Waals-Gas den Wert null annimmt. Ver­wenden Sie den in Teilaufgabe (a) abgeleiteten Aus­druck für B, um einen Ausdruck für die Boyle-Tem­peratur in Abhängigkeit von den van-der-Waals-Kon­stanten a und b abzuleiten. (c) Berechnen Sie dieBoyle-Temperatur für Kohlendioxid, CO2, ausgehendvon den Werten a = 3,610 atmdm6 mol−2 und b =4,29 × 10−2 dm3 mol−1.

1.4‡ Mithilfe der Differenzial- und Integralrechnungkann eine Beziehung zwischen den kritischen Kon­stanten und den Parametern a und b eines van-der-Waals-Gases abgeleitet werden. Der kritische Punkteines van-der-Waals-Gases entspricht genau dem Sat­telpunkt der kritischen Isotherme. An diesem Punktgelten somit die Bedingungen dp∕dVm = 0 (die Stei­gung der Isotherme ist null) und d2 p∕dV 2

m = 0 (dieKrümmung der Isotherme ist null). (a) BerechnenSie diese beiden Ableitungen mithilfe von Gl. (1.30a)und leiten Sie für die kritischen Größen jeweils einenAusdruck in Abhängigkeit von den van-der-Waals-Konstanten her. (b) Zeigen Sie, dass der Kompres­sionsfaktor am kritischen Punkt den Wert 3

8 an­nimmt. (c) Für Stickstoffdioxid, NO2, nehmen dievan-der-Waals-Konstanten folgende Werte an: a =5,354 dm6 barmol−1 und b = 0,044 24 dm3 mol−1. Be­rechnen Sie die Werte der kritischen Konstanten undzeigen Sie, dass der Kompressionsfaktor am kritischenPunkt denWert 3

8 annimmt.