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Digitalisierung als Herausforderung für Schule, Religionsunterricht und Kirche Warum es nicht reicht, die »neuen Medien« als Chance für den Unterricht zu sehen 1 von Markus Ihle und Beate Allmenröder 10 Schönberger Hefte 1/15 Fachdidaktische Impulse Die Menschheit erlebt heute die bislang umfassendste technische Re- volution. Die Digitalisierung betrifft noch umfassender alle Lebensberei- che als die Erfindung des Buchdrucks, weil ohne sie auch die Basis unseres Lebens gefährdet ist : Ohne Digitali- sierung keine Lebensmittelproduk- tion, keine Aufbereitung von Trink- wasser, keine Öl-, Strom-, Gasliefe- rung, keine gefüllten Supermarktre- gale. Wie der Taucher von der Sauer- stoffzufuhr und die Astronautin von komplexer Raumfahrttechnik, hängt unser Leben von digitaler Technik ab. Diese Entwicklung wird von einigen, fast monopolistischen Weltkonzernen rasant in alle Lebensbereiche vor- angetrieben, sodass der Gedanke kommt, dass Computer zu lebensnot- wendigen äußeren Körperorganen des Menschen werden : Die moderne Ergänzung zu Augen, Herz, Lunge . . . Hat sich eine Gesellschaft schon einmal so umfassend von einer einzi- gen Technik abhängig gemacht ? Was passiert, wenn die Computersteue- rung ganz ausfällt ? Wenn digitale Bausteine meines Autos ausfallen, kann ich aufs Fahrrad steigen, aber der ÖPNV funktioniert nur computerbasiert. Statt einer E- Mail kann ich wieder Briefe schreiben, aber sie kommen nicht an. Meine im PC gespeicherten Texte kann ich ohne digitale Hilfe nicht lesen. Habe ich das Wichtigste in gedruckter Form ? Ohne digitale Technik »würde nicht nur unsere gesamte öffentliche Infra- struktur zusammenbrechen, wir könn- ten auch große Teile des Mensch- heitswissens nicht mehr nutzen, denn es wäre ohne die computerisierte Übersetzung aus dem Binärcode nicht mehr zugänglich« 2 . Total digital ! Digitale Technik : Die Verwandlung des Menschen in Zahlen Digitale Technik basiert auf dem Binärcode und Algorithmen , mathe- matisch formulierte Handlungsanwei- sungen, die die Software für alle Computer gestalten. Algorithmen ent- wickeln sich selbstständig weiter (»Künstliche Intelligenz«) und ent- scheiden immer öfter alleine. Weit- reichende Entscheidungen können unabhängig vom Menschen gefällt werden. Mit den Algorithmen ist die Mathe- matik zu der Basiswissenschaft ge- worden. Das Leben wird in Zahlen um- gewandelt. Scheinbar jede Lebens- regung lässt sich in Zahlen darstellen, in Datenbanken speichern und mit anderen Daten verbinden. Leben wird berechenbar. Der Mensch wird in Zahlen verwandelt. Und die Maschine urteilt über ihn. Religion in der Digitalmoderne : Der angebissene Apfel Wenn Menschen mit Hilfe von Reli- gion ihr Leben deuten und gestalten, wenn der RU Kompetenzen der Le- bensdeutung vermitteln soll, dann muss sich Kirche und Schule auch die- sen neuen Entwicklungen des Lebens stellen. Dann müssen gute und schlechte Erfahrungen in der Digital- moderne zum Thema und unter theo- logischer, ethischer, anthropologi- scher und ökonomischer Perspektive reflektiert werden. Seit dem Biss in die Frucht des Baumes der Erkenntnis wissen wir um Gut und Böse, wissen, dass wir mit unseren Händen Gutes und Böses tun können, dass also auch jedes Werkzeug, jede Technik gut und böse genutzt werden kann. Mit dem Auto gab es auch den Ver- kehrsunfall, mit dem Flugzeug den Absturz. Seit jener Erkenntnis im Garten Eden lastet die Verantwor- tung schwer auf dem Menschen. Wenn Apple mit dem Symbol des an- gebissenen Apfels leichtes, paradie- sisches und erkenntnisreiches Leben verspricht, dann wird der lebenser- fahrene biblische Hinweis auf den Verlust des Paradieses durch die Ver- antwortungslast einfach verschwie- gen. Belastungen passen nicht ins Eva isst Apple © H. J. Dam ______________________________________ 1 Der Text geht u. a. auf den Workshop »Schulentwicklung in der Digitalmoderne« bei der Schulseelsorge-Jahreskonferenz 2014 zurück. 2 Henning Lobin, Engelbarts Traum. Wie der Computer uns Lesen und Schreiben ab- nimmt, 2014, S. 18

Digitalisierung als Herausforderung für Schule, … · 2018-09-24 · Digitalisierung der Schule Auch Schule verändert sich in der Digitalmoderne. Wer bestimmt und gestaltet die

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Digitalisierung als Herausforderungfür Schule, Religionsunterricht und Kirche

Warum es nicht reicht, die »neuen Medien« als Chance für den Unterricht zu sehen1

von Markus Ihle und Beate Allmenröder

10 Schönberger Hefte 1/15Fachdidaktische Impulse

Die Menschheit erlebt heute diebislang umfassendste technische Re-volution. Die Digitalisierung betrifftnoch umfassender alle Lebensberei-che als die Erfindung des Buchdrucks,weil ohne sie auch die Basis unseresLebens gefährdet ist : Ohne Digitali-sierung keine Lebensmittelproduk-tion, keine Aufbereitung von Trink-wasser, keine Öl-, Strom-, Gasliefe-rung, keine gefüllten Supermarktre-gale. Wie der Taucher von der Sauer-stoffzufuhr und die Astronautin vonkomplexer Raumfahrttechnik, hängtunser Leben von digitaler Technik ab.Diese Entwicklung wird von einigen,fast monopolistischen Weltkonzernenrasant in alle Lebensbereiche vor -angetrieben, sodass der Gedankekommt, dass Computer zu lebensnot-wendigen äußeren Körperorganendes Menschen werden : Die moderneErgänzung zu Augen, Herz, Lunge . . .

Hat sich eine Gesellschaft schoneinmal so umfassend von einer einzi-gen Technik abhängig gemacht ? Waspassiert, wenn die Computersteue-rung ganz ausfällt ?

Wenn digitale Bausteine meinesAutos ausfallen, kann ich aufs Fahrradsteigen, aber der ÖPNV funktioniertnur computerbasiert. Statt einer E-Mail kann ich wieder Briefe schreiben,aber sie kommen nicht an. Meine imPC gespeicherten Texte kann ich ohnedigitale Hilfe nicht lesen. Habe ich dasWichtigste in gedruckter Form ?

Ohne digitale Technik »würde nichtnur unsere gesamte öffentliche Infra-struktur zusammenbrechen, wir könn-ten auch große Teile des Mensch-heitswissens nicht mehr nutzen, dennes wäre ohne die computerisierteÜbersetzung aus dem Binärcode nichtmehr zugänglich«2. Total digital !

Digitale Technik : Die Verwandlungdes Menschen in Zahlen

Digitale Technik basiert auf demBinärcode und Algorithmen , mathe-matisch formulierte Handlungsanwei-

sungen, die die Software für alleComputer gestalten. Algorithmen ent-wickeln sich selbstständig weiter(»Künstliche Intelligenz«) und ent-scheiden immer öfter alleine. Weit -reichende Entscheidungen könnenunabhängig vom Menschen gefälltwerden.

Mit den Algorithmen ist die Mathe-matik zu der Basiswissenschaft ge-worden. Das Leben wird in Zahlen um-gewandelt. Scheinbar jede Lebens-regung lässt sich in Zahlen darstellen,in Datenbanken speichern und mitanderen Daten verbinden. Leben wirdberechenbar. Der Mensch wird inZahlen verwandelt. Und die Maschineurteilt über ihn.

Religion in der Digitalmoderne : Der angebissene Apfel

Wenn Menschen mit Hilfe von Reli-gion ihr Leben deuten und gestalten,wenn der RU Kompetenzen der Le-bensdeutung vermitteln soll, dannmuss sich Kirche und Schule auch die-sen neuen Entwicklungen des Lebensstellen. Dann müssen gute undschlechte Erfahrungen in der Digital-

moderne zum Thema und unter theo-logischer, ethischer, anthropologi-scher und ökonomischer Perspektivereflektiert werden. Seit dem Biss indie Frucht des Baumes der Erkenntniswissen wir um Gut und Böse, wissen,dass wir mit unseren Händen Gutesund Böses tun können, dass alsoauch jedes Werkzeug, jede Technikgut und böse genutzt werden kann.Mit dem Auto gab es auch den Ver-kehrsunfall, mit dem Flugzeug denAbsturz. Seit jener Erkenntnis imGarten Eden lastet die Verantwor-tung schwer auf dem Menschen.Wenn Apple mit dem Symbol des an-gebissenen Apfels leichtes, paradie-sisches und erkenntnisreiches Lebenverspricht, dann wird der lebenser-fahrene biblische Hinweis auf denVerlust des Paradieses durch die Ver-antwortungslast einfach verschwie-gen. Belastungen passen nicht ins

Eva isst Apple© H. J. Dam

______________________________________

1 Der Text geht u. a. auf den Workshop»Schulentwicklung in der Digitalmoderne«bei der Schulseelsorge-Jahreskonferenz2014 zurück.2 Henning Lobin, Engelbarts Traum. Wieder Computer uns Lesen und Schreiben ab-nimmt, 2014, S. 18

Geschäftsprinzip. (Übrigens : Eine Un-tersuchung der zahlreichen religiösenAnspielungen der Apple-Werbungkann den RU bereichern.)

Auch wenn Apple, Google und Codas Gegenteil suggerieren : Das Lebenin der Digitalmoderne mag in einzel-nen Bereichen leichter werden, dieLast der Verantwortung nimmt jedochtäglich zu. Darauf hinzuweisen, istkein »Kulturpessimismus«, sondernprophetische und seelsorgerliche Auf-gabe der Kirche !

Da die Sonnenseiten digitaler Tech-nik überall angepriesen werden, sollhier der Blick auf einige Erfahrungender Schattenseite fokussiert werden.Digitaltechnik-Kritiker werden gerneals »Kulturpessimisten« in die Eckegestellt. So betonen wir eine Selbst-verständlichkeit : Auch dieser Artikelwurde am PC geschrieben und perMail übermittelt. Wir machen Digital-fotos, hören CDs und genießen vieleVorteile dieser Technik ! Dennoch dür-fen wir die Gefahren nicht ausblen-den.

Digitalisierung der Schule

Auch Schule verändert sich in derDigitalmoderne. Wer bestimmt undgestaltet die Schulentwicklung undwohin führt sie ? Welche Zeichennehmen wir wahr und wie sind sie zudeuten ?

Derzeit nehmen einige Schulen aneinem vom hessischen Wirtschafts-ministerium propagierten Versuchteil, das »Fehlzeiten-Management«über eine zentrale Datenbank auf ei-nem Server »in einem modernen Re-chenzentrum des professionellen Ser-verhosting Anbieters Host Europe«3

zu gestalten. Dabei verwenden sieeine Software der SmartKomm GmbH,die mit dem Verkauf von Schul-Web-portalen Geld verdient. Die Fehlzeitender SuS werden hier vom Klassen-raum aus eingetragen. Dieses Systemlässt sich um ein »elektronischesKlassenbuch, Notenbuch« und »Schul-Intranet« erweitern. »Es handelt sichum die bahnbrechende Optimierungder Kommunikation, des Austauschesund des gemeinsamen Nutzens vonDokumenten und Inhalten und der Er-ledigung verwalterischer Aufgaben.Alles in einem System, von überall zu-gänglich – auch von zu Hause aus«(Eigenwerbung4). Die Algorithmen

sind in der Lage, automatisch Mah-nungen zu versenden und (aus Ein-zelnoten errechnete ?) Zwischenzeug-nisse zu erstellen, die auch von denEltern einsehbar sind, so dass sieüber die Leistungen ihrer Kinder stän-dig informiert sind.

Im Folgenden beschränken wir unsauf knappe Beobachtungen und Fra-gen :

• Wie wird Schule, wenn die »Klas-senräume und Hörsäle von einst totsind«, weil die Lernräume der Zu-kunft nicht mal Großraumbüros,sondern virtuell sein werden, wiees Michel Serres prognostiziert ?7

• Was sage ich einer 17-jährigenSchülerin, die im Seelsorge-Ge-spräch mitteilt : »Mit meiner Mutterkann ich nicht reden, die ist immerin Facebook.« ?

• Wie kann ich Jugendlichen helfen,die von sich selber schreiben, »dassmeine Internetnutzung schon fastan Sucht grenzt« ?

• Welche Folgen hat es für unserenBerufsstand, wenn die FrankfurterRundschau titelt : »Tablets stattLehrer« ?8

• Wie ist es zu bewerten, wenn an ei-nigen amerikanischen Schulen dieJugendlichen im SportunterrichtFitnesstracker-Armbänder tragenmüssen, mit denen die Lehrer dieHerzfrequenz ihrer Schüler messen– und danach die Noten nach Fit-ness-Stand vergeben ?9

• Was bedeutet es für unsere Zu-kunft, wenn aufgrund neuer Text-produktionsprogramme, die unsOrthografie, Zeichensetzung, diegesamte Grammatik abnehmen undsogar einen bestimmten Sprachstilvorschlagen, kein Jugendlichermehr all das erlernen muss ? Wieverändert sich unser Denken undHandeln, wenn wir über korrekteSchriftsprache nicht mehr nachden-ken müssen, weil sie der Computerschon weiß ?10

Schönberger Hefte 1/15 11Fachdidaktische Impulse

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3 http://www.schul-webportal.de/sicher-heit_support_service/sicherheit.html4 http://www.schulwebportal.de/was_ist_ein_swp.html (Zugriff am 13. 02. 2015)5 Vgl. »Diesmal sind die Daten das Gold«(Henri de Castries, Chef des Axa-Konzerns,französischer Weltmarktführer der Ver -sicherungsbranche), Süddeutsche Zeitung,9. Februar 2015, S. 20.6 Vgl. Frank Schirrmacher, Payback, 2009,S. 44 f und 99 und Frankfurter AllgemeineZeitung, 7. 3. 20147 Vgl. Michel Serres, Erfindet euch neu !Eine Liebeserklärung an die vernetzte Ge-neration, 2013, S. 34 f8 Frankfurter Rundschau, 12. 9. 20139 Vgl. Süddeutsche Zeitung, 21. 8. 2014

–––––––––––––» –––––––––––––Entlastung : »Nach 4 Tagen ohneInternet und Smartphone hatte ichdas Gefühl, dass mein Körper undsogar mein Gehirn eine erheblichgroße Entlastung hatten und dassich einen mehr nachdenkenden und

klareren Verstand hatte.«(Schüler, 24)

Bindungslos :»Viele Menschen entwickeln ihreIndividualität nur noch über dasInternet und verlieren darüber dieBindung zu ihrem wahren Sein, ihrer

Spiritualität und ihrer Kultur.«(Schüler, 18 )

–––––––––––––« –––––––––––––Was bedeutet es, wenn Algorith-

men pädagogische Entscheidungenübernehmen ? Was bedeutet es, dassSuS-Daten auf einem externen Servereines kommerziellen Anbieters ge-speichert sind, wenn Daten »das Goldder Digitalmoderne«5 sind ? Eine zen-trale Datenbank kann gehackt undverkauft werden. Interesse an Datenvon Berufsschülern ist schon von Aus-bildungsbetrieben signalisiert wor-den. »Derzeit sollen sie keinen Zu-gang zum Server haben«, wurde unsgesagt. Werden diese Daten spätereinmal bei Bewerbungen zu Ableh-nungen führen, ohne dass die Bewer-ber davon erfahren ?

Diese Daten geben nebenbei auchInformationen über die Arbeitsquan-tität und -qualität der Lehrenden. Der»gläserne Schüler« führt unweigerlichzum »gläsernen Lehrer«, bei demdann die Lehrinhalte und -methodenanalysierbar und Arbeitszeit, Ausfallund Verspätungen minutengenau ab-rechenbar werden. »Lohn nach Leis-tung« wird dann in der Schule ein -facher. »Digitaler Taylorismus« ist inden USA üblich. Kündigungen werdenvom Computer entschieden, ohnedass der Chef einbezogen werdenmuss.6 Die Umwandlung des Arbeits-lebens in Algorithmen : Sonnen- oderSchattenseite der Digitalisierung ?

12 Schönberger Hefte 1/15Fachdidaktische Impulse

• Wie reagieren wir auf die Unkon-zentriertheit vieler SuS, die nebenihrer Beschäftigung mit Whatsappund Facebook gleichzeitig auch amUnterricht teilnehmen ?

• Nicht alle SuS können sich Internetleisten und besitzen außer demSmartphone einen PC mit entspre-chender Software und Drucker.Wie reagieren wir auf die »digitale«Spaltung unserer Schülerschaft ?

Ob Smartboards, e-learning, Goo-gle als Schulkalender und Smartpho-nes im Unterricht mehr nützen alsschaden, muss vor allem pädagogischdiskutiert und entschieden werden.Auch hier gilt : Nicht alles, was mach-bar ist, ist gut.

Allein mit diesem Aufgabenblattlässt sich eine abwechslungsreicheSuS-orientierte Einheit »Erfahrungenin der Digitalmoderne« gestalten.

Da wir an anderer Stelle zahlreicheArbeitsblätter zum Thema veröffent-licht haben12, sollen hier nur einigeneue Aspekte mit Material themati-siert werden : Ein Phänomen ist die»Vermessung des Lebens« durch di-gitale Hilfsmittel, das in M3 bearbeitetwird. Dass Technikbegeisterung ge-fährlich sein kann und deshalb Ri-sikoabwägung erforderlich macht,wird in M2 am Beispiel der »Pedo-skope« erarbeitet: Röntgengeräte ( ! ),mit denen bis ca. 1960 in Schuhge-schäften der exakte Sitz von Schuhenfestgestellt wurde und manchesKrebsopfer gefordert haben. »DasWichtigste an einer neuen Technolo-gie ist die Frage, wie sie die Menschenverändert«, stellt der InternetpionierJaron Lanier auch in Bezug auf dieDigitalmoderne fest.13

Bei ihren Selbstbeobachtungenstellen viele Jugendliche fest, dasssie zum Smartphone greifen, wennLangeweile droht. »Ist Langeweileschlecht ?« fragt M4 und lädt mit demfranz. Schriftsteller Daniel Pennacauch zu »praktischen« Langeweile-übungen ein.

Dass sich auch das Liebeslebendigital verändert, zeigen Stichwortewie »e-mail für Dich«, »Sexting« und»youporn«. Psychotherapeuten undSexualwissenschaftler fordern dieSchulen auf, Jugendliche auch bei die-sen Themen zu begleiten. Sehr gutesMaterial dazu bietet klicksafe.de un-ter »Let’s talk about Porno« ! Dass dasintime Liebes-Erleben Jugendlicherdurch den freien Internet-Zugangauch zu allen Arten von Pornos unterDruck gerät und einer Normierung un-terliegt, ist vielfältig nachzulesen. M5beschreibt eine »webbasierte Liebe«einer 14-Jährigen, M6 zitiert eine Psy-chotherapeutin zum Pornokonsum.

M7 (Umweltbelastung durch das In-ternet) und M8 (»Die neue Macht-struktur der Tablet-Computer«) neh-men andere Aspekte der Digitalisie-rung auf.

Unsere Aufgabe

Mit der glänzenden Oberfläche derTouchscreens eröffnen sich unerwar-tete didaktische Möglichkeiten, da-

hinter verbergen sich aber auchungelöste Fragen und ein Raubtier-Kapitalismus, der viele Opfer fordert.Mit e-learning, Klassen-Whats app-Gruppen, Tabletklassen und »Goo-gle«-Recherche schicken wir die unsanvertrauten Kinder und Jugendlichenin ein Terrain, dessen Risiken und Ge-fahren wir selber nicht durchschauenkönnen, weil die erforder liche Risiko-abschätzung mit dem Tempo der tech-nischen Entwicklungen nicht Schritthalten kann. Einen Wandertag imWald mit Giftschlangen und hungri-gen Hyänen würden wir ablehnen.

Schulen verführen SuS dazu, ihreDaten Großkonzernen zu überlassen,deren ethische, ökologische und steu-erlich korrekte Verhaltensweisen invielen Fällen höchst fragwürdig sind.Und welche entwicklungspsychologi-schen, hirnorganischen, anthropolo-gischen Veränderungen sich durch dieintensive Nutzung der »Gadgets« er-geben, ist noch längst nicht erforscht.

In dieser Unsicherheit muss we-nigstens »Kirche in der Schule« Ver-antwortung übernehmen, wenn schondie Bildungsbürokratie auf dieserWelle mitsurft. Ein »Wir-haben-es-nicht-gewusst« kann nicht gelten,weil Hinweise auf Gefahren und Kritikan der Digitalisierung zahlreich ver-öffentlicht sind.______________________________________

10 Vgl. Henning Lobin, Engelbarts Traum.Wie der Computer uns Lesen und Schrei-ben abnimmt, 201411 Nur M1 und M2 sind hier abgedruckt.Die anderen, siehe www.schoenberger-hefte.de12 Markus Ihle, Schattenseiten, in : BRU-Magazin 61/2014, S. 22-29, z.T. auch :http://bru-magazin.de/bru/Heft61_2014.php13 Jaron Lanier, Gadget. Warum die Zukunftuns noch braucht. 2010, S. 14

–––––––––––––» –––––––––––––Suchtpotential :

»Mein Cousin sagte am Weihnachts-abend per SMS seiner Mutter ab,weil er in seinem Videospiel›World of Warcraft‹ ein neuesLevel erreichen wollte.«

(Schüler, 24)

Kommunikation :»Zwar wird den ganzen Tag langgechattet mit Leuten, die sichim Internet Freunde nennen,

doch wenn man sich auf der Straßetrifft, wird nicht viel gesprochen.Ein kurzes ›Hallo – wie geht’s ?‹

Und das war esdann auch schon.«

(Schülerin, 19 )

–––––––––––––« –––––––––––––Und im Religionsunterricht ?

Erfahrungen in und mit der Digital-moderne gehören zum Alltag der SuS.Der RU sollte daran anknüpfen undden Jugendlichen Wahrnehmungs-und Deutungshilfen zur Verfügungstellen. Dabei hat sich die Methode»Hausarbeit mit Referat« bewährt(M1). Aus 17 Themenvorschlägen aus-wählend sollen die SuS einen Aspektdes Lebens in der Digitalmodernewahrnehmen, untersuchen, eine präg-nante Stellungnahme formulieren undzur Diskussion stellen. Der Beurtei-lungsbogen M1 a11 sollte den SuS be-kannt sein, damit sie sich bei ihrenVorbereitungen daran orientierenkönnen.

Beate Allmenröderist Schulpfarrerinund -seelsorgerinan der beruflichenWilly-Brandt-Schulein Gießen.

Markus Ihle istSchulpfarrer und-seelsorger an dergewerblich-techni-schen Theodor-Litt-Schule in Gießen.

Schönberger Hefte 1/15 13Materialblatt M1

Bitte wähle eine Aufgabe aus, von der Du Dir interessante Erkenntnisse für Dich selbst und für die Klasse versprichst.Mehrere Personen können auch das gleiche Thema wählen. Fasse Deine Erkenntnisse in einer prägnanten Stellung-nahme zusammen. Deine Arbeit soll schriftlich abgegeben und der Klasse mündlich vorgestellt werden. Der Umfangder schriftlichen Arbeit soll mindestens zwei Din-A4-Seiten umfassen. Bitte achte auch auf die äußere Form, korrekteRechtschreibung und exakte Quellenangaben !

M1 Erfahrungen in der »Digitalmoderne«

1. Mache ein persönliches Experiment:Vergleicheeinen 24-Stunden-Zeitraum mit Internet mit einem 24-Stunden-Zeitraum ohne Internet. Beobachte und notieregenau. Beschreibe Deine Erfahrungen, bewerte sie undformuliere mögliche bzw. notwendige Konsequenzen. (Be-denke: Informiere, bevor Du offline gehst, Deine Inter-net-Kommunikationspartner . . . )

2. Menthal-App : Menthal ist eine interessanteApp, die Aufschluss über das eigene Smartphone-Ver-halten gibt. Wer hat sie entwickelt und warum ? Menthalspeichert minutengenau Dein Smartphone-Verhalten.Was lernst Du durch sie über Dich ?

3. »Geheimnisse, Intimität und Schweigepflicht«oder »Ich habe nichts zu verbergen !«: »Ich habe nichtszu verbergen !« oder »Wer nichts zu verbergen hat, ist einarmer Mensch !« Verfasse eine Erörterung, in der Du zu-nächst beide Aussagen je einzeln darstellst, bevor Du dieArgumente gegeneinander stellst und zu einem eigenenUrteil kommst.

4. »Googeln oder was ?« Es gibt viele Suchmaschi-nen neben Google. Warum gibt es die Meinung, »dassman Google besser nicht benutzen« sollte ? RecherchiereVor- und Nachteile einzelner Suchmaschinen und formu-liere eine gut begründete Empfehlung.

5. Cookies und Co.:Wenn unsere Daten für die Fir-men »das Gold der Digitalmoderne« sind, sollte man mitseinen Daten bewusst umgehen. Informiere Dich überden Wert von Daten und erstelle eine Liste mit Tipps, wieman auf seine Daten besonders gut aufpassen kann.

6. Bilder-Ausstellung: Gestalte eine Ausstellungmit mind. 10 eigenen Fotos/Bildern, die über das »Lebenin der Digitalmoderne« Auskunft geben und zum Nach-denken anregen. Formuliere zu jedem Bild einen kurzenText.

7. »Blood in your mobile«: Recherchiere unter wel-chen Bedingungen zuerst die Rohstoffe für digitale Tech-nik gewonnen und danach Smartphones hergestellt wer-den. Bedenke dabei die Stichworte »Gerechtigkeit« und»Menschenwürde«. Was können wir tun ?

8. AGBs von Facebook: Erläutere die neuestenFacebook-AGBs mit eigenen ( ! ) Worten und beschreibedie Konsequenzen. Was ist für Dich warum ok ? Wo siehstDu Probleme ?

9. Pro und Contra Internet: Interviewe jeweils min-destens einen Menschen, der die Digitalisierung negativ,und einen, der sie positiv bewertet. Berichte von diesenGesprächen und erstelle eine Pro-Contra-Liste ihrerArgumente.

10. Innenstadt oder Internet? Vergleiche Vor- undNachteile des Online-Shoppings mit dem Einkaufen ineinem Laden. Bedenke die Konsequenzen und beachteauch den Begriff des »Prosumenten«. Wäge ab und gibeine begründete Empfehlung.

11. Kosten des Internets :Wer trägt die Kosten desInternets, auch wenn es scheinbar kostenlos ist ?

12. Pflegeroboter: Stell Dir vor, Du liegst hilflos imKrankenhaus. Statt der Krankenschwester kommt einPflegeroboter . . .

13. Sucht: Warum fordern Erziehungsratgeber dieEltern dazu auf, ihren Kindern nachts das Handy abzu-nehmen ? Erläutere und nimm Stellung.

14. Unsozial : Welche Erfahrungen hast Du mit»unsozialem Verhalten in sozialen Netzwerken« (Streit,Stress, Mobbing . . . ). Was folgerst Du daraus ?

15. Umwelt :Wie umweltfreundlich sind die digitalenMedien ? Was sind die ökologischen Kosten des Internets?(Herstellung der Geräte, Energiebilanz des Internets,Stromverbrauch einer Google-Anfrage . . . )

16. Verhaltensregeln : Erarbeite einen »Knigge« fürdie digitale Welt (Höflichkeitsformen bei der digitalenKommunikation ? Wann sollte man sein Handy ausschal-ten ? . . . )

17. ? ? ? : Arbeite zu diesem M1-Thema nach Deineneigenen Ideen.

Themen für eine Hausarbeit mit Referat

M2 Erfahrungen in der »Digitalmoderne«

14 Schönberger Hefte 1/15Materialblatt M2

Technikbegeisterung kann gefährlich sein . . . !

Röntgengeräte im Schuhgeschäft

Rund 40 Jahre lang galt ein technischer Apparat als schier unverzichtbar für den Kauf von Schuhen – dassogenannte »Pedoskop«. Um die Passgenauigkeit des Schuhwerks zu überprüfen, wurden die Füße der Kund-schaft, insbesondere die schnell wachsenden Kinderfüße, in den radioaktiven Schuh-Durchleuchtungsapparatmanövriert.

In der Zeit von 1920 bis 1960 kam kein gehobenes Schuhgeschäft ohne ein »Pedoskop« aus. Mithilfe derSchuh-Röntgen-Apparate überprüften Verkäufer die Passgenauigkeit der Schuhe und erbrachten den bild -lichen Beweis, wie der Fuß im Schuh saß. Vor allem Kinderfüße kamen in den zweifelhaften Röntgen-Genuss,um den Nachwuchs nicht etwa in zu enge Fußbekleidung zu zwängen. Die drei Sichtfenster erlaubten es Junior,Mum und dem Schuhverkäufer, gleichzeitig einen Blick auf das Schuhwerk samt den durchleuchtenden Füßenzu werfen und verteilte die radioaktive Strahlung gleichmäßig an die Schaulustigen. Für die Kinder waren diesichtbar gemachten Knochen ein echtes Highlight, das den vermeintlich langweiligen Schuhkauf in ein leib -haftiges Science Fiction Abenteuer verwandelte. Schon bald avancierten die »Pedoskope« zum reinen Freizeit-spaß, für den Mädchen wie Jungen bedenkenlos Schlange standen.

Röntgen, Edison und das »Pedoskop«

Bereits Ende des 19. Jahrhunderts entdeckte der deutsche Wilhelm Conrad Röntgen eine gewisse X-Strah-lung, die in Kombination mit Phosphorverbindungen einen ionisierenden Leuchteffekt erzielte und vor allemdie Medizin revolutionierte. Wenig später entwickelte der berühmte Thomas Edison das »Pedoskop«.

Röntgengeräte als Freizeitspaß

Schnell waren Röntgen-Apparate insbesondere auf Gesellschaften der Upperclass der letzte Schrei: Inominösen Röntgen-Shows fotografierte man alles, was einem vor die Röhre kam, am liebsten die eigenenKnochen. Zwar vermochte die Kunde von gesundheitlichen Folgen die internationale Euphorie über die leuch-tenden Knochen zu trüben, doch bot sie dieser keinen Einhalt. Allein Edisons Forschung fand ein rasches Ende,als sein Chefassistent, Clarence Dally, erst seine rechte Hand und später sein Leben in Folge der regelmäßigenBestrahlung einbüßte. Zur gleichen Zeit priesen Werbeslogans »Pedoskope« als unverzichtbares Hilfsmittelbeim Schuhverkauf.

vgl. http://www.shoepassion.de/blog/fluoroskope-im-schuhgeschaeft (Zugriff am 13. 2. 2015)

Hintergründe – Sachinfo :

A. »Meine Großtante und mein Großonkel hatten ein Schuhgeschäft und sind beide an Krebs gestorben …« www.shoepassion.de/blog/fluoroskope-im-schuhgeschaeft (Zugriff am 13.02.2015)

B. »Die Missachtung des Strahlenschutzes führte zum Beispiel bei Militärangehörigen, die in den 1950er bis zu den 1980er Jahren an mangelhaft abgeschirmten Radargeräten Dienst taten, zu Gesundheitsschäden.«vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Roentgenstrahlung (Zugriff am 11.02.2015)

C. »Das Wichtigste an einer neuen Technologie ist die Frage, wie sie die Menschen verändert.«Jaron Lanier, Gadget. Warum die Zukunft uns noch braucht. 2010, S. 14

D. [Notwendig ist eine sorgfältige und gewissenhafte] »Risikoabwägung, bei der die Vor- und Nachteile gegen- einander aufzurechnen sind. Was überwiegt unterm Strich, wenn man alle Folgen berücksichtigt – der gesell-schaftliche Gewinn oder Verlust ? Die Ausweitung oder die Verheerung der Moral ? Die Förderung sozialer Spal-tungen oder die Förderung von Solidarität ? Niemand bestreitet, dass die Atomenergie, da der Vorrat an nicht-erneuerbaren Energien nun mal rapide zu Ende geht, die drohende Energiekrise vermeiden helfen könnte.Und doch erwägen die Regierenden der meisten mächtigen Länder nach Fukushima ernsthaft die Abschaltungaller Atomkraftwerke.«Zygmunt Bauman, In: Daten, Drohnen, Disziplin - Ein Gespräch über flüchtige Überwachung, 2013, S. 125

Aufgaben :

1. Erläutere mit eigenen Worten am Beispiel des »Pedoskops«, warum Technikbegeisterung gefährlich sein kann.

2. Warum fragen viele Menschen nicht nach den Nachteilen, bevor sie sich auf eine neue Technologie einlassen ?Gestaltet in Dreiergruppen ein Plakat.

3. Was sollte sich jeder selber fragen, bevor er eine neue Technik benutzt ? Formuliert Tipps.