16
BARMER digital Digitalisierung des Gesundheitswesens aus der Perspektive der BARMER Hätten wir uns vor nur zehn Jahren vorstellen können, dass das Mobiltelefon heute am wenigsten zum Telefonieren genutzt wird? Selbst im Urlaub ver- zichtet man auf das Mitnehmen einer Kamera – im Mobiltelefon ist sie inte- griert und macht gute Bilder. Übrigens auch von der Arbeitsunfähigkeitsbe- scheinigung, die per Foto an die BARMER übermittelt werden kann. Die Digitalisierung ist längst in unserem Alltag angekommen und betrifft alle Lebensbereiche. Mit dem technischen Fortschritt im Alltag sind die Kundener- wartungen hinsichtlich Bequemlichkeit, Verfügbarkeit und Service gestiegen. Sie ändern sich durch neue, digitale Angebote radikal. Das gilt sowohl für die Dienstleistungen einer Krankenkasse als auch für die medizinische Versor- gung. Das Gesundheitswesen hinkt in der Digitalisierung (noch) hin- terher Im Vergleich zu anderen, ebenfalls stark regulierten Branchen wie Finanz- und Versicherungsdienstleister sind Ärzte, Pharmaindustrie, Krankenhäuser und Kassen noch (zu) wenig digitalisiert. Hürden für die Digitalisierung des Gesundheitswesens sind zum einen die starke Fragmentierung des Systems und seiner Akteure und zum anderen hohe regulatorische Hemmnisse. Au- ßerdem sind die Kosten und der Nutzen sehr ungleich verteilt. Ein trauriges Beispiel dafür ist die elektronische Gesundheitskarte (eGK), die immer noch nicht den Stand erreicht hat, für den sie eigentlich konzipiert war. Die Ham- burger Senatorin für Gesundheit und Verbraucherschutz, Cornelia Prüfer- Storcks, hat die eGK jüngst als den ‚“Berliner Flughafen des Gesundheits- wesens“ bezeichnet. Sondernewsletter zum Norddeutschen Dialog Oktober 2017 Digitalisierung des Gesund- heitswesens aus der Perspektive der BARMER Auf dem Weg zu Alpha Centau- ri: Gesundheitsversorgung 2030 3D Druck von Arzneimitteln: Neue Möglichkeiten zur patientenindividuellen Versorgung Erinnerungen an die Zukunft: Arzneimittelversorgung 4.0 Digitalisierung und vernetzte Gesundheit: Aktueller Stand der ärztlichen Diskussion Künstliche Intelligenz im Ge- sundheitswesen - Nur Risiken oder auch Chancen? Inhalt 1 3 8 11 13 15 Kontakt Wolfgang Klink [email protected] Telefon: 0800 333004 656-631 Mobil: 0170 761 47 48 www.barmer.de www.twitter.com/BARMER_SH

Digitalisierung des Gesundheitswesens aus der Perspektive ......Digitalisierung und vernetzte Gesundheit: Aktueller Stand der ärztlichen Diskussion Künstliche Intelligenz im Ge-sundheitswesen

  • Upload
    others

  • View
    2

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

  • BARMER digital

    Digitalisierung des Gesundheitswesens aus der Perspektive der BARMER Hätten wir uns vor nur zehn Jahren vorstellen können, dass das Mobiltelefon heute am wenigsten zum Telefonieren genutzt wird? Selbst im Urlaub ver-zichtet man auf das Mitnehmen einer Kamera – im Mobiltelefon ist sie inte-griert und macht gute Bilder. Übrigens auch von der Arbeitsunfähigkeitsbe-scheinigung, die per Foto an die BARMER übermittelt werden kann. Die Digitalisierung ist längst in unserem Alltag angekommen und betrifft alle Lebensbereiche. Mit dem technischen Fortschritt im Alltag sind die Kundener-wartungen hinsichtlich Bequemlichkeit, Verfügbarkeit und Service gestiegen. Sie ändern sich durch neue, digitale Angebote radikal. Das gilt sowohl für die Dienstleistungen einer Krankenkasse als auch für die medizinische Versor-gung. Das Gesundheitswesen hinkt in der Digitalisierung (noch) hin-terher Im Vergleich zu anderen, ebenfalls stark regulierten Branchen wie Finanz- und Versicherungsdienstleister sind Ärzte, Pharmaindustrie, Krankenhäuser und Kassen noch (zu) wenig digitalisiert. Hürden für die Digitalisierung des Gesundheitswesens sind zum einen die starke Fragmentierung des Systems und seiner Akteure und zum anderen hohe regulatorische Hemmnisse. Au-ßerdem sind die Kosten und der Nutzen sehr ungleich verteilt. Ein trauriges Beispiel dafür ist die elektronische Gesundheitskarte (eGK), die immer noch nicht den Stand erreicht hat, für den sie eigentlich konzipiert war. Die Ham-burger Senatorin für Gesundheit und Verbraucherschutz, Cornelia Prüfer-Storcks, hat die eGK jüngst als den ‚“Berliner Flughafen des Gesundheits-wesens“ bezeichnet.

    Sondernewsletter zum Norddeutschen Dialog

    Oktober 2017

    Digitalisierung des Gesund-heitswesens aus der Perspektive der BARMER Auf dem Weg zu Alpha Centau-ri: Gesundheitsversorgung 2030 3D Druck von Arzneimitteln: Neue Möglichkeiten zur patientenindividuellen Versorgung Erinnerungen an die Zukunft: Arzneimittelversorgung 4.0 Digitalisierung und vernetzte Gesundheit: Aktueller Stand der ärztlichen Diskussion Künstliche Intelligenz im Ge-sundheitswesen - Nur Risiken oder auch Chancen?

    Inhalt 1

    3

    8

    11

    13

    15

    Kontakt Wolfgang Klink [email protected] Telefon: 0800 333004 656-631 Mobil: 0170 761 47 48 www.barmer.de www.twitter.com/BARMER_SH

  • 2

    Das Gesundheitswesen wird zum Marktplatz Die Digitalisierung ermöglicht es den Patienten, eine aktivere Rolle einzu-nehmen. Und die Kunden nehmen die neuen Angebote an. Allein der Anteil an Wearables (engl. tragbare Datenverarbeitung) wächst jährlich um 27 Prozent. Immer mehr Menschen nutzen Schritt- und Kalorienzähler und messen ihren Puls oder auch ihren Schlafzyklus. Ärzte können bewertet werden (z. B. Jameda, BARMER Arztnavi), Preisvergleiche nichtverschrei-bungspflichtiger Medikamente durchgeführt und Termine beim Arzt online vereinbart werden. Die Patienten handeln zunehmend selbstbestimmt. Kundenerwartungen Kunden erwarten digitale Produkte und Services, die ihnen tatsächliche Mehrwerte und Entlastungen bringen. Sie erwarten eine moderne Gesund-heitsversorgung und vertrauen auf eine einheitliche Qualität über alle Kanä-le. Dabei wollen sie selbst entscheiden, wie und wo sie mit einer Kranken-kasse in Kontakt treten. Einfache Anliegen müssen über alle Kanäle erledigt werden können. Der mündige Patient möchte darüber hinaus aktiv in die Versorgung einbezogen werden, seine Daten sammeln und einsehen kön-nen und digitale Angebote selbst wählen. Den Wandel mitgestalten Dass die Digitalisierung das Gesundheitswesen stark verändern wird, steht außer Frage. Die Akteure müssen sich die Frage stellen, ob sie den Wandel gestalten oder Getriebene sein wollen. Die BARMER hat sich entschieden, Gestalter des digitalen Wandels zu sein und in den Bereichen digitale medi-zinische Innovationen, digitale Serviceangebote und digitale Organisations- und Prozessstrukturen neue Angebote entwickelt und Arbeitsabläufe opti-miert. Am Beispiel Telemedizin wird deutlich, wie dies konkret in der Praxis ausse-hen kann: Das BARMER-Programm PädExpert ist ein telemedizinisches Konsiliararztsystem, das die Arbeit von allgemeinen Kinderärzten und Fach-ärzten bei schwierigen medizinischen Fragestellungen vernetzt. Über eine geschützte Online-Kommunikation kann sich der Kinder- und Jugendarzt während der Behandlung mit dem fachärztlich tätigen Pädiatrie-Experten (z. B. Kinder-Rheumatologe, Kinder-Hämatologe) zur Diagnostik- und The-rapieunterstützung austauschen. Dies verbessert die Behandlung und spart Zeit und Wege. Digitale Service-Angebote Mittlerweile gibt es bei der BARMER eine Reihe von digitalen Service-An-geboten. In erster Linie sind die Apps zu nennen, mit denen einfache Anlie-gen schnell erledigt werden können (z. B. das eingangs erwähnte Fotogra-fieren und Übersenden von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen. Außerdem können u. a. bestimmte Leistungsanträge ausgefüllt oder persönliche Daten geändert werden). Über die BARMER-Teledoktor-App stehen medizinische Experten rund um die Uhr Rede und Antwort – per Telefon, per Chat sowie per Messenger-Funktion: Damit können Dateien oder Fotos an den Tele-doktor hochgeladen und versandt werden. Mit der Termin-Funktion können Versicherte im Rahmen des Wartezeitenmanagements Anfragen senden, Termine vorverlegen oder neu vereinbaren. In vielen Bereichen sind Organisations- und Prozessstrukturen bei der BARMER bereits digitalisiert. Intelligente Prozesse ermöglichen es, dass bestimmte Routine-Aufgaben ohne das Eingreifen von Mitarbeitern erledigt werden (Dunkelverarbeitung). Das Effizienzpotential von eHealth-Lösungen wird laut PwC-Studie immer-hin auf 39 Mrd. Euro beziffert. Das sind ca. 12 Prozent der gesamten GKV-Kosten des Jahres 2014. Es wäre mehr als wünschenswert, diesen Betrag in die Versorgung der Patienten investieren zu können.

    BARMER I Norddeutscher Dialog I Okt. 2017

    „Kunden erwarten digitale Produkte und Services, die Ihnen tatsächliche Mehrwerte und Entlastungen bringen.“ Frank Liedtke, Landesgeschäftsführer der BARMER in Hamburg

    © Bild: BARMER

    © Bild: BARMER

  • 3

    Digitale Kooperationen Die BARMER geht neue Wege, um Innovationen zu fördern. Dazu ist sie eine Kooperation mit einem europaweit tätigen Venture Capital Fonds eingegan-gen, um sich aktiv an der Entwicklung von Innovationen zu beteiligen. Damit kann eine große Anzahl an vielversprechenden Geschäftsideen frühzeitig gesichtet werden. Gleichzeitig bringt die BARMER ein großes Maß an Erfah-rungen über die Funktionsweise und die Anforderungen des Gesundheits-systems ein. Dies ist wichtig, damit das Ziel erreicht werden kann: Gesund-heitsinnovationen voranzutreiben und vielversprechenden Lösungen zur Marktreife zu verhelfen. Neue Diagnose- und Behandlungsmethoden In der Medizin ist der Fortschritt schon angekommen. Neue Diagnose- und Behandlungsmethoden setzen sich mehr und mehr durch. Telemedizinische Unterstützung, Videosprechstunden, der Austausch von Röntgenbildern, Fernabfragen von Schrittmachern oder Diabeteslesegeräten ist keine Sci-ence Fiction mehr sondern Realität. Auch die eingangs angesprochenen Wearables übernehmen medizinisch sinnvolle Funktionen: so kann die dauerhafte Erfassung der Medikamenten-einnahme erleichtert werden und „vernetzte“ Textilien können vor einem Herzinfarkt warnen. Experten vermuten, dass bald Sensoren marktreif sind, die z. B. an der Unterseite einer Smart Watch platziert sind – und mithilfe von Licht den Blutzuckerwert auf der Haut bestimmen können. Der nächste Schritt: ein Wearable, das automatisch die richtige Menge Insu-lin verabreicht. Darüber hinaus würde diese Technik es in Zukunft ermögli-chen, viele weitere Körperwerte von außen zu bestimmen. Unter dem Stichwort „Internet der Dinge“ gibt es bereits sensorunterstützte Wohnräume mit elektronischer Assistenz, die es beispielsweise älteren Menschen ermöglichen, länger in den eigenen vier Wänden wohnen zu blei-ben. Für diese Menschen ist auch die zunehmende Sensorik und Intelligenz in künstlicher Robotik, z. B. mit Exoskeletten, eine Möglichkeit, um länger als bisher selbstbestimmt leben zu können. Es gibt viele erfolgversprechende Ansätze, wie die Gesundheit und die Mo-bilität erfolgreich länger erhalten bleiben kann. Hören wir nicht auf, auch in Zukunft die Gesundheit weiter zu denken.

    Auf dem Weg zu Alpha Centauri: Gesundheitsversorgung 2030

    BARMER I Norddeutscher Dialog I Okt. 2017

    © Bild: Julica Bracht/RWI Prof. Dr. Boris Augurzky. Leiter des Kompe-tenzbereichs „Gesundheit“ am RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung e.V. in Essen

    © Bild: 13FTStudio/fotolia.com

    © Bild: BARMER

  • 4

    Projekts ist der Starphysiker Stephan Hawking. Auch Facebook-Gründer Mark Zuckerberg unterstützt das Vorhaben. Das Sternsystem ist 4,4 Licht-jahre entfernt. Das bedeutet, selbst Licht braucht über vier Jahre, um dort anzukommen. Herkömmliche Sonden sind zu langsam und bräuchten eine Ewigkeit zu Alpha Centauri. Es bedarf daher Sonden, die zumindest einen relevanten Bruchteil der Lichtgeschwindigkeit erreichen. Die Herausforde-rungen zur Realisierung dieser Vision sind gewaltig. Die Auseinandersetzung damit wird Jahre dauern. Sollten sie gemeistert werden, könnte es noch vor dem Jahr 2030 zum Start kommen. Während hier mit großem Einsatz von Wagniskapital ehrgeizige Visionen angegangen werden, überlegt man im deutschen Gesundheitswesen statt-dessen, ob Rezepte auf Papier nicht weiterhin besser seien als in elektroni-scher Form. Während Deutschland der einen Milliarde Euro für die misslun-gene Entwicklung der elektronischen Patientenakte nachtrauert, haben die USA seit 2009 rund 30 Milliarden Dollar in die Entwicklung der IT-Landschaft im Gesundheitswesen investiert. Während die Bundesländer jährlich 2,7 Milliarden Euro für Krankenhausinvestitionen bereitstellen, baut Dänemark für 5,8 Milliarden Euro Superkrankenhäuser – ein Betrag, der auf deutsche Verhältnisse übertragen 80 Milliarden Euro entspräche (Klinik Markt inside 03/2016). Technischer Fortschritt könnte aufgrund des aufkommenden enormen Fi-nanzierungsdrucks im Laufe der 2020er Jahre verstärkt Einzug in das Ge-sundheitswesen halten, und Trends jenseits der demografischen Entwick-lung könnten an Bedeutung gewinnen. Welche könnten diese sein? Unser aller Fantasie ist naturgemäß begrenzt, weil wir nur auf Erfahrungen aus der Vergangenheit, nicht aber aus der Zukunft zurückgreifen können. Es sind völlig neuartige Produkte und Leistungen zu erwarten, die das Potenzial haben, die Art und Weise der Leistungserbringung im Gesundheitswesen auf den Kopf zu stellen. Im Folgenden sollen drei Kategorien von Produkten unterschieden werden:

    1 Heute schon existierende Produkte, die jedoch noch nicht oder nur ansatzweise den Weg ins Gesundheitswesen gefunden haben,

    2 Produkte, die in den nächsten Jahren sehr wahrscheinlich zu erwar-ten sind und

    3 Produkte, die noch mehr den Charakter von „Fiction“ als „Science“ haben.

    Die Nachfrage wacht auf: Präferenzen der Bürger & Patienten Neben einer veränderten Bevölkerungsstruktur mit einer spürbar anderen Nachfrage nach Gesundheitsleistungen unterliegen auch die Präferenzen der Bürger und Patienten einem Wandel. Der Patient wird informierter. Heute verfügt er über den Zugang zu weit mehr Informationen als noch vor 15 Jahren. Das Internet ist allgegenwärtig, und es enthält eine Menge Wis-sen über Medizin und Themen rund um die Gesundheit. Auch wenn sich da-runter viel Halbwissen befindet, so wird der moderne Patient dieses mit zu seinem Arzt nehmen und darauf aufbauend Fragen und Forderungen stel-len. Einige Patienten werden außerdem zu „Forschern“. Sie sammeln über sogenannte „Wearables“ eigene Gesundheitsdaten in enger zeitlicher Abfol-ge, wie sie kein Arzt zur Verfügung haben kann. Damit wird der Patient Teil eines Analyseprozesses: Er bringt die nötigen Daten mit, die der Arzt an-schließend analysiert. Hieraus entstehen ganz neue Forderungen an die Mediziner. Im Zweifel bringt der Patient sogar schon mögliche Diagnosen mit und erwartet vom Arzt nur noch eine Bestätigung oder geeignete Thera-pieempfehlungen. Die Kommunikation darüber beschränkt sich aber nicht auf den Arzt und Patienten. Menschen mit Gesundheitsinformationen tauschen sich in sozia-len Netzwerken aus. Über die Vernetzung von sehr vielen Patienten, die

    BARMER I Norddeutscher Dialog I Okt. 2017

    „Während die Bundesländer jährlich 2,7 Milliarden Euro für Krankenhausinvestiti-onen bereitstellen, baut Dänemark für 5,8 Milliarden Euro Superkrankenhäuser – ein Betrag, der auf deutsche Verhält-nisse übertragen 80 Milliarden Euro ent-spräche.“ Klinik Markt inside 03/2016

    © Bild: pict rider/fotolia.com

    „Im Zweifel bringt der Patient sogar schon mögliche Diagnosen mit und erwartet vom Arzt nur noch eine Bestätigung oder geeignete Therapie-empfehlungen.“ Prof. Dr. Boris Augurzky

  • 5

    jeweils für sich genommen Experten ihrer eigenen Krankheit sind, kann ein gepooltes Expertenwissen entstehen, eine Art Schwarmintelligenz. Es kommt zu einer Wissensgenerierung außerhalb des herkömmlichen Ge-sundheitswesens. Im Ergebnis stehen dem Arzt viel aufgeklärtere Patienten gegenüber. Verändertes Anspruchsverhalten Ein verändertes Anspruchsverhalten entwickelt sich indessen nicht nur in Bezug auf die medizinische Leistung, sondern auch in Bezug auf sämtliche Services rund um die Medizin. In anderen Branchen erfährt der Patient, wie reibungslos viele Prozesse in elektronischer Form funktionieren. Er erhält elektronische Flugtickets, die er nur mit seinem Smartphone nutzt. Er kauft sich termingebundene Leistungen elektronisch ein, bestellt Produkte im Internet, führt Videokonferenzen durch, kann Filme „streamen“ und vieles mehr. Irgendwann fragt er sich, wieso er eigentlich kein elektronisches Re-zept auf dem Smartphone erhält, wieso in manchen Arztpraxen die Warte-zimmer voll sind, obwohl ein fester Termin vereinbart wurde, wieso man nicht über E-Mail mit der Arztpraxis kommunizieren und beispielsweise La-borergebnisse austauschen kann. Der Patient wird bequemere und effektivere Prozesse einfordern, wie er sie auch außerhalb der Medizin kennt. Er wird nach telemedizinischen Angebo-ten suchen, wenn Anfahrtswege zur Arztpraxis zu umständlich sind und zu viel Zeit in Anspruch nehmen. Das Angebot könnte dann sogar überregional oder weltweit zur Verfügung stehen. Letztendlich werden immer weniger die Ärzte oder die Selbstverwaltung des Gesundheitswesens entscheiden, welche Regeln gut für den Patienten sind, sondern mehr und mehr der Pati-ent selbst. Der künftige Patient dürfte insgesamt aufgeschlossener gegen-über digitalen Prozessen und Produkten sein und sie von Ärzten und Kran-kenhäusern einfordern. Er dürfte aber auch aufgeschlossener gegenüber modernen Technologien sein. Schon heute könnten sich rund 83 Prozent der Bundesbürger vorstellen, einen Service-Roboter zu Hause zu nutzen, wenn sie dadurch im Alter län-ger in den eigenen vier Wänden wohnen könnten. Das geht aus einer Um-frage hervor, die das Meinungsforschungsinstitut forsa im Auftrag des Bun-desministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) anlässlich der Hannover Messe 2016 durchgeführt hat (BMBF 2016). Neue Produkte existieren, werden nur noch nicht genutzt Not macht erfinderisch. So fliegt in Malawi das Blut per Drohne zum AIDS-Test, wie Die WELT am 30.3.2016 berichtet: „Statt in Wochen oder Monaten kann ein Testergebnis nun innerhalb von nur fünf Tagen vorliegen. Babys werden ebenfalls getestet, und die Resultate müssen rasch vorliegen, da Neugeborene noch keine eigenen HIV-Antikörper entwickelt haben.“ Eine solch mobile Versorgung erlaubt es, entlegene oder bislang infrastruk-turell unerschlossene Gebiete mit grundlegenden Angeboten zu versorgen. Im dünn besiedelten Oberbergischen Land mit durchaus passablem Stra-ßennetz sind dagegen die Strecken zu lang. Der Arzt verbringt dort mehr Zeit im Pkw als beim Patienten. So berichtet Die WELT vom 11. März 2016 über den Landarzt Thomas Aßmann, der sagt: „25 Minuten Anfahrt, fünf Minuten beim Patienten und 25 Minuten Rückweg – das ist hier auf dem Land ganz normal.“ Leider nimmt die Zahl der Landärzte ab. „Dann hatte er eine Idee, wie er sich die mühsamen Anfahrtswege sparen und dadurch mehr Zeit für die Patienten haben kann.“ Wenn ein älterer, wenig mobiler Patient untersucht werden muss, fährt ein Versorgungsassistent mitsamt einem Telemedizinrucksack los, der unter anderem ein Blutdruckmessgerät, ein Pulsoximeter und ein Drei-Kanal-EKG-Gerät

    BARMER I Norddeutscher Dialog I Okt. 2017

    „Schon heute könnten sich rund 83 Prozent der Bundesbürger vorstellen, einen Service-Roboter zu Hause zu nut-zen, wenn sie dadurch im Alter länger in den eigenen vier Wänden wohnen könnten.“ Ergebnis einer Umfrage im Auftrag des Bun-desministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) 2016

    © Bild: Tatiana Shepeleva/fotolia.com

  • 6

    Sich anbahnende Revolutionen: mittelfristig zu erwartende Produkte

    BARMER I Norddeutscher Dialog I Okt. 2017

    „25 Minuten Anfahrt, fünf Minuten beim Patienten und 25 Minuten Rückweg – das ist hier auf dem Land ganz normal.“ Landarzt Thomas Aßmann

    „Exoskelette erlauben älteren Menschen eine Ausweitung ihrer eigenen Mobili-tät.“ Prof. Dr. Boris Augurzky

    © Bild: lolloy/fotolia.com

  • 7

    Künstliche Intelligenz Bei künstlicher Intelligenz (KI) geht es nicht ausschließlich um stures schnel-les Rechnen, sondern vor allem um Lernfähigkeit. Das bedeutet, dass sich ein System ständig neu verdrahten muss. Eine KI fängt an wie ein Baby – also für Außenstehende unbeholfen. Sie muss in der Lage sein, Muster er-kennen und aus Erfahrungen lernen zu können. Dann kann sie sich zu einem Expertensystem weiterentwickeln, das zum Beispiel im Gesundheitsbereich mit gezielten Fragen und Antworten eine Diagnose liefert, die auf der Erfah-rung von zahllosen Ärzten weltweit basiert. Kann eine KI von Ärzten lernen, klein anfangen und irgendwann sogar besser als Ärzte werden? Wird man irgendwann verblüfft feststellen, dass sie im medizinischen Bereich Lösun-gen findet, die Menschen nicht beachten oder nicht zu erkennen trainiert haben, und dass Ärzte von dem Programm profitieren und sich dadurch ef-fektiv steigern könnten? Es scheint wahrscheinlich, dass im Jahr 2030 Ärzte aktiv von künstlicher Intelligenz unterstützt werden. Sie können dadurch nicht nur auf die gesamten medizinischen Erkenntnisse weltweit zurück-greifen – tagesaktuell. Sie würden auch fundierte Unterstützung bei der Diagnosefindung und der Erarbeitung und Priorisierung von Therapievor-schlägen erhalten. Das noch Denkbare Bereits heute sind weltweit Milliarden von Menschen untereinander digital vernetzt. Während Nachrichten von Mensch zu Mensch über Kontinente vor Jahrhunderten noch Wochen unterwegs waren, sind es heute nur Bruchteile von Sekunden. Durch inzwischen sehr kleine Speicherchips lassen sich au-ßerdem Dinge miteinander vernetzen, woraus allmählich ein „Internet der Dinge“ entstehen würde. Dinge können dabei Maschinen, Geräte, aber auch die eigene Kleidung oder die eigene Wohnung sein. In ferner Zukunft geht man vermutlich online, sobald man sich anzieht. Oder betritt man das mit Sensoren ausgestattete Badezimmer, finden automatisch Scans statt, um kleinste Krebszellen zu entdecken, Jahre bevor sich überhaupt ein Tumor bildet. Permanent könnten Unregelmäßigkeiten etwa im Herzschlag oder in der Atmung überprüft werden, um rechtzeitig vor einem gesundheitsge-fährdenden Ereignis präventiv eingreifen zu können. Über Chip-Implantate direkt am oder im Menschen kann eines Tages sogar der Mensch Teil des Internets werden. Es entstünde ein Internet der Dinge und der Menschen. Die Gesundheitsversorgung 2030 Ein Szenario für das Jahr 2030 könnte wie folgt aussehen. Die Medizin hat längst Einzug in die Wohnzimmer der Menschen gehalten. Die Kommunika-tion zwischen Arzt und Patient funktioniert ganz selbstverständlich über Videoschaltung beziehungsweise über Geräte zur Erzeugung einer virtuellen Realität, in der sich Arzt und Patient virtuell gegenüberstehen – wohl auch unter Inanspruchnahme von künstlicher Intelligenz. Das einstige Fernbe-handlungsverbot erzeugt nur noch ein müdes Lächeln. Das ärztliche Rezept wird selbstverständlich elektronisch ausgestellt, und wenn das Arzneimittel nicht gleich im 3D-Drucker zu Hause produziert wird, bringt es im Laufe des Tages eine Drohne aus der Luft vorbei. Wenn der Betroffene es wünscht, werden all seine einzunehmenden Arzneimittel aufgelistet und er wird rechtzeitig daran erinnert, wann sie einzunehmen sind. Ohnehin ist das Zu-hause im Jahr 2030 ein Smart Home, das es älteren Menschen erlaubt, sehr lange in ihrer gewohnten häuslichen Umgebung verbleiben zu können.

    Behandlun-gen, die direkt am Körper vorgenommen werden müssen. Sie befinden sich weiter vom Wohnort der Patienten entfernt, als dies heute der Fall ist. Im Gegenzug ermöglicht diese Zentralisierung exzellente Qualität.

    BARMER I Norddeutscher Dialog I Okt. 2017

    „Das ärztliche Rezept wird selbstver-ständlich elektronisch ausgestellt, und wenn das Arzneimittel nicht gleich im 3D-Drucker zu Hause produziert wird, bringt es im Laufe des Tages eine Droh-ne aus der Luft vorbei.“ Prof. Dr. Boris Augurzky

    © Bild: Elnur/fotolia.com

  • 8

    Dieses Mehr an Qualität führte dazu, dass Bürgerproteste bei der Verlage-rung von Krankenhauskapazitäten in die Zentren weitgehend ausblieben. Begünstigt wurde dies durch selbstfahrende Autos, die die nötige Mobilität gerade für ältere Menschen schufen, durch eine Professionalisierung der Notfallversorgung und durch die zunehmend besser werdende virtuelle Kontaktaufnahme mit Ärzten und Apothekern im eigenen Smart Home. Sollte eine reale Behandlung im Gesundheitszentrum nötig sein, bleiben die Patienten mit ihren Angehörigen auch gerne virtuell in Kontakt. Oder wer möchte, kann bei einem durchschnittlichen Aufenthalt von inzwischen nur noch vier Tagen im Gesundheitszentrum seinen Angehörigen im Hotel ne-benan unterbringen. Mittlerweile leisten Patienten mit völliger Selbstverständlichkeit eine Eigen-beteiligung für medizinische Leistungen. Wer früher ein eigenes Auto selbst finanziert hatte, finanziert heute sein Exoskelett selbst. Bei vielen Leistun-gen ist nicht mehr klar abgrenzbar, ob sie rein konsumtiver oder rein medizi-nischer Natur sind. Aber auch die sinkende Zahl an Beitragszahlern tat ihr Übriges dazu. Während mit den Errungenschaften der modernen Technik und Medizin im Jahr 2030 die flächendeckende Vergreisung in Deutschland ausgeblieben ist, bewegen sich die Mikrosonden noch immer im toten inter-stellaren Raum auf ihrem Weg zu Alpha Centauri. 2040 dürften sie mit ihrer Ankunft völlig neue Welten erblicken und die nächste Revolution auslösen … Hinweis: Dieser Text ist eine gekürzte Fassung des Originaltextes. Die unge-kürzte Fassung können Sie hier lesen: www.barmer.de/p006232. Der Vor-trag von Herrn Prof. Augurzky ist hier abrufbar: www.barmer.de/p006229.

    Dr. Julian Quodbach

    3D Druck von Arzneimitteln Neue Möglichkeiten zur patienten-individuellen Versorgung

    Jeden Tag werden tausende hochqualitative Darreichungsformen herge-stellt und abgegeben. Nicht jeder Wirkstoff kann aber in Apotheken verar-beitet werden. Das Risiko für die herstellende Person kann aufgrund von nicht gegebenen räumlichen Voraussetzungen zu hoch sein, oder aber die Dosierung ist so gering, dass sie nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit sichergestellt werden kann. Dazu kommen Einschränkungen in der Auf-brauchfrist. Ein Großteil der in Krankenhausapotheken hergestellten Zytos-

    BARMER I Norddeutscher Dialog I Okt. 2017

    © Bild: privat Dr. Julian Quodbach, Institut für Pharmazeuti-sche Technologie und Biopharmazie, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

    © Bild: momius/fotolia.com

  • 9

    tatika wird in flüssiger Form verarbeitet, was nur eine kurze Aufbrauchfrist ermöglicht. Ein Verfahren, mit dem verschiedenste Wirkstoffe bei gegebe-ner Laufzeit präzise dosiert und verarbeitet werden können, existiert derzeit noch nicht für die pharmazeutische Herstellung. Einen sehr aussichtsreichen Kandidaten um diese Lücke zu schließen stellt der 3D Druck dar. Mittels 3D Druck können fast alle denkbaren Objekte in unterschiedlichen Größen verhältnismäßig kostengünstig hergestellt wer-den. So lässt sich eine gegebene Darreichungsform am Computer designen und mit der gewünschten Dosis auf Knopfdruck drucken. Durch das Erlö-schen verschiedener Patente wurde die dafür nötige Technik nicht nur für Enthusiasten erschwinglich, sondern auch für die pharmazeutische Grund-lagenforschung. Schichtaufbau Für die Herstellung von Darreichungsformen kommen derzeit vier Techni-ken in Frage. Der Pulverdruck, das selektive Lasersintern (SLS), die Schmelz-schichtung, auch Fused Filament Fabrication (FFF) genannt und die Mikro-extrusion. Allen Techniken ist gemein, dass das dreidimensionale Objekt aus dünnen Schichten Schicht-für-Schicht aufgebaut wird. Die Techniken unter-scheiden sich in den verwendbaren Ausgangsstoffen und darin, wie die Schichten zusammengefügt werden. Beim Pulverdruck wird eine gleichmä-ßige, dünne Pulverschicht mit einer Bindemittellösung bedruckt. Das Binde-mittel verklebt die einzelnen Partikel zu einer durchgehenden Schicht. Der Wirkstoff kann in diesem Fall dem Pulver untergemischt oder in der Binde-mittellösung gelöst vorliegen. Für die Verteilung der Lösung werden häufig Druckköpfe aus Tintenstrahldruckern verwendet. Nachdem die erste Schicht fertig gedruckt ist, wird eine weitere Pulverschicht aufgetragen und das Verfahren beginnt von neuem, bis das Objekt schichtweise gedruckt wurde. Die von der FDA zugelassene Tablette Spritam mit dem Wirkstoff Levetira-cetam wird mit diesem Verfahren industriell hergestellt. SLS verwendet kei-ne Bindemittellösung um die Pulverpartikel zu verbinden, sondern einen Laser, der punktuell eine erhöhte Temperatur auf dem Pulverbett erzeugt und das Pulver zusammenschmilzt. Auch in diesem Fall wird nach Vollen-dung einer Schicht eine neue Pulverschicht aufgetragen und der Prozess von neuem begonnen. Die am weitesten erforschte Technik ist FFF, bei der dünne, wirkstoffbeladene Polymerstränge (Filamente) im Druckkopf aufge-schmolzen werden und das geschmolzene Polymer gezielt zu einzelnen Schichten auf einem Druckbett abgelegt wird. Das Druckbett wird anschlie-ßend ein Stück nach unten verfahren und der Druck der nächsten Schicht beginnt. Die Mikroextrusion ist der FFF sehr ähnlich. Nur, dass in diesem Fall keine Filamente benötigt werden, sondern Polymer und Wirkstoff in einer Kartusche gemeinsam aufgeschmolzen werden. Das Polymer wird durch eine kleine Öffnung gedrückt und ebenfalls auf einem Druckbett platziert.

    Mikro-extrusion eine Tablette mit fünf Wirkstoffen gedruckt, die mit unterschiedli-chen Kinetiken freisetzen [1].

    BARMER I Norddeutscher Dialog I Okt. 2017

    © Bild: Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf 3D Druck mittels Mikroextrusion am Institut für Pharmazeutische Technologie und Bio-pharmazie an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf

    © Bild: AA+W/fotolia.com

  • 10

    Acetylsalicylsäure und Hydrochlorothiazid werden schnell freigesetzt, Aten-olol, Ramipril und Pravastatin über 12 Stunden. Durch eine individuelle Do-sisanpassung jedes Wirkstoffes könnte so die Compliance aufgrund einer geringeren Anzahl an täglich einzunehmenden Tabletten und potentiell we-niger Nebenwirkungen verbessert werden. Die Produktion von individuellen Dosen aus einem Ausgangsmaterial wurde von Pietrzak et al. demonstriert [2]. Die Forscher verwendeten Theophyllin als Modellarzneistoff und haben Dosen zwischen 60 mg und 300 mg hergestellt. In ersten Veröffentlichungen wurden auch die Möglichkeiten zur gezielten Modifikation der Freisetzungsrate aufgezeigt. Eine Veränderung der Frei-setzungsrate durch Veränderung der Filamentzusammensetzung haben Alhijjaj et al. beschrieben [3]. Für eine alltägliche Anwendung ist die Variati-on der Ausgangssubstanzen jedoch nicht möglich. Welche Möglichkeiten die Kombination von Polymeren mit verschiedenen Eigenschaften bietet, haben Sun und Soh gezeigt [4]. Sie haben aus einem wasserunlöslichen Polymer eine Hülle gedruckt und anschließend mit wirkstoffhaltigem Polymer aufge-füllt. In diesem Fall bestimmt ausschließlich die konstante Oberflächenero-sion des wirkstoffhaltigen Polymers die Freisetzung des Wirkstoffs. Durch Variation der Form der unlöslichen Hülle konnte die Fläche des ero-dierenden Polymers zu gegebenen Zeiten verändert werden. Damit konnten Freisetzungsprofile realisiert werden, die mit gängigen Herstellungsverfahren undenkbar sind. Beispielsweise wurde ein sinusförmiger Freisetzungsverlauf erhalten. In einem anderen Beispiel wurde zu Beginn nur sehr wenig Arzneistoff freigesetzt. Im Sinne der Chronopharmakolo-gie könnte eine Tablette mit einem so modifizierten Frei-setzungsprofil morgens genommen werden, den Großteil des Wirkstoffes aber erst nachmittags freisetzen. Der 3D Druck bietet faszinierende Möglichkeiten für die patientenindividuelle Pharmakotherapie. Sei es eine ge-naue Dosierung des Wirkstoffs oder eine präzise Beein-flussung des Freisetzungsprofils, wie sie bisher unmöglich waren. Die Technik ist bisher allerdings noch sehr jung. Klinische Studien, die einen Benefit gegenüber traditionel-len Darreichungsformen demonstrieren, stehen noch aus. Dennoch zeigt diese Technik auf, in welche Richtung sich der Arzneimittelmarkt in den nächsten Jahrzehnten verlagern könnte. 1. Khaled, S., et al., 3D printing of five-in-one dose combination polypill

    with defined immediate and sustained release profiles. Journal of controlled release, 2015. 217: p. 308-314.

    2. Pietrzak, K., A. Isreb, and M. Alhnan, A flexible-dose dispenser for immediate and extended release 3D printed tablets. European journal of pharmaceutics and biopharmaceutics, 2015. 96: p. 380-387.

    3. Alhijjaj, M., P. Belton, and S. Qi, An investigation into the use of poly-mer blends to improve the printability of and regulate drug release from pharmaceutical solid dispersions prepared via fused deposition modeling (FDM) 3D printing. European journal of pharmaceutics and biopharmaceutics, 2016. 108: p. 111-125.

    4. Sun, Y. and S. Soh, Printing Tablets with Fully Customizable Release Profiles for Personalized Medicine. Advanced materials, 2015. 27(47): p. 7847-7853.

    BARMER I Norddeutscher Dialog I Okt. 2017

    © Bild: logos2012/fotolia.com

    © Bild: PhotoSG/fotolia.com

  • 11

    © Bild: privat Dr. Michael Baehr, Leitung der Klinikapothe-ke des Universitätsklinikums Hamburg Ep-pendorf

    Dr. Michael Baehr

    Erinnerungen an die Zukunft Arzneimittelversorgung 4.0 Nach Infektionsgefahren stellen Medikationsfehler das größte Risiko für Krankenhauspatienten dar. Nach validen Schätzungen wird mit ca. 200.000 Krankenhauseinweisungen aufgrund von Medikationsfehlern und 10.000 bis 24.000 Todesfällen aufgrund von unerwünschten Arzneimittelereignis-sen pro Jahr in Deutschland gerechnet. Gründe für Lücken bei der Arzneimit-teltherapiesicherheit sind gestiegene medizinische Komplexität bei veralte-ten Strukturen und überkommenen papierbasierten Prozessen. Für eine optimale Arzneimitteltherapiesicherheit ist neben einem elektroni-schen Verordnungsprogramm ein ganzheitlicher Versorgungsprozess wich-tig. Während im Jahr 2017 Schlagworte wie „Digitale Gesundheit“, „Krankenhaus 4.0“ und die „Watson-Ära“ erst diskutiert werden, hat das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) bereits 2009 begonnen, einen geschlossenen, digitalen Medikationsprozess, den sogenannten Closed Loop Prozess, einzuführen und ihn in den Folgejahren flächende-ckend ausgerollt. Kernstück ist ein Verschreibungssystem für Medikamente, das innerhalb einer komplett elektronischen Patientenakte etabliert wurde. Durch die gleichzeitige Einführung einer Unit-Dose-Versorgung ist dieses System mit der pharmazeutischen Logistik der Krankenhausapotheke gekoppelt. Dar-über hinaus kontrollieren klinische Apotheker den Medikationsprozess auf allen Ebenen der Versorgung. Fester Bestandteil dieses Konzepts ist die werktägliche pharmazeutische Kurvenvisite auf den Stationen. Alle neuen Verordnungen werden von einem klinischen Apotheker nach festgelegten Kriterien im digitalen Workflow ge-prüft und für die weitere logistische Verarbeitung freigegeben. Die im papierlosen Prozess auf diese Weise freigegebenen Verordnungen werden an Verpackungsautomaten in der Apotheke weitergeleitet. Die Ver-abreichung der Arzneimittel wird ebenfalls elektronisch durch das Pflege-personal auf Station dokumentiert, womit der Medikationskreislauf ge-schlossen wird. Nach einem klaren Zeitplan, der sich an den Visitenzeiten orientiert, werden heute täglich ca. 15.000 Units in der Apotheke produziert. Die Lieferungen enthalten Medikamente zur ersten Abendgabe für die nächsten 24 Stunden. Dabei sind orale Medikamente einzeln in Tüten verpackt und mit allen wich-tigen Daten wie Name der Station, Zimmernummer, Handels- und Freiname des Arzneimittels, Hinweis zur Einnahme sowie Datum und Gabezeit verse-hen. Zusätzlich ist ein QR-Code aufgedruckt, über den per Smartphone die gesamte Packungsinformation (Beipackzettel) mit allen sicherheitsrelevan-ten Informationen abgerufen werden kann. Darüber hinaus werden auch alle einzeln dosierten, nicht oralen Präparate, wie Ampullen, Injektionsflaschen, Fertigspritzen etc. patientenbezogen ge-liefert. Um 16.00 Uhr verlassen alle Sendungen die Apotheke, so dass dem Pflegedienst genug Zeit bleibt, um Medikamente zur ersten Abendgabe zu verteilen. Vor der Gabe werden die Lieferungen durch den Pflegedienst kontrolliert und in der Software dokumentiert. Dabei müssen eventuelle Änderungen, die das System deutlich anzeigt, berücksichtigt werden. Können Arzneimit-tel nicht gegeben werden, wird dies ebenfalls im System unter Angabe des

    BARMER I Norddeutscher Dialog I Okt. 2017

    © Bild: Klinikapotheke des Universitätsklinikums Ham-burg Eppendorf

    Orale Medikamente sind einzeln in Tüten verpackt und mit allen wichtigen Daten ver-sehen.

  • 12

    Grundes dokumentiert. So stehen jeder Berufsgruppe alle Informationen zum aktuellen Stand der Medikation zur Verfügung. Nach mehrjähriger Erfahrung ist der digitale und stark automatisierte Pro-zess heute mit hoher Akzeptanz etabliert. Insbesondere Pflegekräfte profi-tieren von der Arbeitsentlastung und genießen es, einen fehlerträchtigen Prozess an die Apotheke abgegeben zu haben. Die Effektivität des geschlossenen digitalen Versorgungsprozesses in Bezug auf die Medikationssicherheit wurde im Rahmen einer Studie* getestet. Hierzu wurden auf zwei Stationen des UKE insgesamt 3.111 Medikationen analysiert. Davon wurden 95,6 Prozent über die Unit-Dose-Versorgung der Apotheke und 4,4 Prozent - überwiegend Bedarfsmedikation - manuell durch Pflegende gestellt. Insgesamt wurden bei beiden Stationen 49 Abweichungen ermittelt. Das entspricht einer Abweichungsrate von nur 1,6 Prozent. Bei 2.981 Medikati-onen, die auf das Unit-Dose-Verfahren entfielen, betrug die Abweichung lediglich 0,7 Prozent. Bei den 130 manuell gestellten Arzneimitteln wurden demgegenüber 28 Abweichungen registriert, was einer Abweichungsquote von 21,5 Prozent entspricht. Im traditionellen, papier- und vorratsschrank-basierten Versorgungssystem liegtdie Diskrepanzrate nach einer analogen Studie** bei 56 Prozent. Das Ergebnis zeigt, dass der papierlose, elektronische Arzneimittelversorgungspro-zess dem traditionellen stationären Verfahren überlegen ist und zu mehr Sicherheit in der Medikamentenversorgung von Patienten führt. Darüber hinaus wurde deutlich, dass die Unit-Dose-Versorgung eine wesentliche Rolle für die Fehlervermeidung führt und auch in einem Krankenhaus der Maximalversorgung effektiv organisiert werden kann. Hierbei kommt es primär auf die Kopplung von elekt-ronischer Verordnung und patientenorientier-ter Logistik an. Der geschlossene Medikationsprozess bietet schließlich die besten Voraus-setzungen für die Umsetzung des E-Health-Gesetzes und unterstützt das Entlassmanagement, denn über ein Aufnahmetool der Medikationssoftware kann der QR-Code des bundeseinheitlichen Medikationsplans (BMP) gele-sen und die Hausmedikation fehlerfrei in das Krankenhaussystem übertra-gen werden. Automatische Algorithmen unterstützen den Arzt während der Anamnese bei der Umstellung der Hausmedikation auf Präparate des Kran-kenhauses. Bei Entlassung wiederum kann automatisch auf die Hausmedi-kation zurückgestellt werden, so dass der aktualisierte BMP, das Entlassre-zept und der Arztbrief auf einer kongruenten Basis erstellt werden können. * Baehr M, van der Linde A, König R, Melzer S, Langebrake C, Groth- Tonberge C, Hug MJ. Kopplung von elektronischer Verordnung und patientenorientierter Logistik - Signifikante Verbesserung der Arznei mitteltherapiesicherheit. KHP 35:110-117 (2014) ** Groth-Tonberge C, Häckh G, Strehl E, Hug M. Führt die elektronische Verordnung zu einer erhöhten Arzneimitteltherapiesicherheit? Kran kenhauspharmazie 33:476-479 (2012)

    BARMER I Norddeutscher Dialog I Okt. 2017

    © Bild: Klinikapotheke des Universitätsklinikums Ham-burg Eppendorf

    Die im papierlosen Prozess freigegeben Ver-ordnungen werden an Verpackungsautoma-ten in der Apotheke weitergeleitet.

  • 13

    Dr. Franz Joseph Bartmann

    Digitalisierung und vernetzte Gesundheit – Aktueller Stand der ärztlichen Diskussion Die kontroverse Debatte in der Deutschen Ärzteschaft über Digitalisierung im Gesundheitswesen ist seit Jahren geprägt von – teils irrationalen – Ängsten und Befürchtungen und Missverständnissen im Hinblick auf den Digitalisierungsprozess an sich. Gelebte Erfahrung mit Digitalisierung, außer den zahlreichen erst durch digi-tale Prozesse möglichen Diagnostik- und Behandlungsverfahren, gibt es derzeit vor allem im Administrations- und Abrechnungsbereich mittels Krankenhausinformations- (KIS) und Praxisverwaltungssystemen (PVS). Beides trägt kaum oder nur mittelbar zur Verbesserung der unmittelbaren Patientenversorgung bei und wird, vor allem von Krankenhausärzten, als Übertragung von Dokumentations- und Verwaltungstätigkeit in ihrem Ar-beitsbereich erlebt. Von weiteren Digitalisierungsschritten befürchtet man eher eine weitere Be- als Entlastung. Die Diskussion der vergangenen Jahre drehte sich vor allem um den Ersatz bzw. die Weiterentwicklung bestehender, bisher analoger Verfahren der Kommunikation zwischen Ärzten untereinander und mit ihren Patienten. Die elektronische Speicherung von Notfalldaten und Medikationsplänen auf der elektronischen Gesundheitskarte (eGK), der elektronische Versand von Arzt-briefen über die Telematikinfrastruktur (TI), Videokonsultation zwischen Patient und Arzt und der gemeinsame Zugriff auf ePatientenakten wird, trotz fortbestehender Skepsis und Proteste, in absehbarer Zeit selbstver-ständlicher Bestandteil ärztlichen Tuns sein. Die aktuellen Entscheidungen und Beschlüsse des Deutschen Ärztetages in Freiburg im Mai dieses Jahres (s. u.) lassen eine zunehmende Einsicht in diese zwangsläufige Entwicklung erwarten. Das eigentlich spannende zukünftige Feld der Digitalisierung, mit teilweise disruptiven Elementen im Hinblick auf die Rollenverteilung zwischen Arzt und Patient, wird durch neue diagnostische und therapeutische Verfahren mittels Sensoren, Big Data und Künstlicher Intelligenz gekennzeichnet sein. Die bisherige absolute Dominanz des Arztes bei der Erkennung und Erfas-sung von Krankheitszuständen und die Zuordnung von Symptomen zu defi-nierten Krankheitsentitäten verlagert sich potenziell in Richtung der Infor-mationserfassung und –verarbeitung in der Hand des Patienten, vielfach bereits im Vorfeld erkenn- und körperlich wahrnehmbarer Erkrankungs-symptome. Weltweit engagieren sich Start-up-Unternehmen in der Entwicklung dafür verwertbarer Produkte. Multinationale Unternehmen der Informations- und Kommunikationsbranche (IKT) wittern neue lukrative Absatzfelder und Ge-schäftsmodelle. Noch sind die Anwendungsfelder und Möglichkeiten in ihrer ganzen Konsequenz nur in Ansätzen erkennbar. Die möglichen Konsequen-zen werden aber durchaus von Teilen der Ärzteschaft ernsthaft diskutiert und in Überlegungen zu künftig neuen Berufsbildern überführt. Exempla-risch die Aussage eines Allgemeinmediziners in einer der zahlreichen Dis-kussionsrunden: „Sobald ich erkenne, dass IBM-Watson die besseren Diag-nosen macht, werde ich meinen ärztlichen Schwerpunkt komplett verlagern in Richtung des Lotsen und Navigators meiner Patienten im Hinblick auf die daraus erwachsenden Konsequenzen und Behandlungsoptionen.“

    BARMER I Norddeutscher Dialog I Okt. 2017

    © Bild: Ärztekammer Schleswig-Holstein Dr. Franz Joseph Bartmann, Präsident der Ärztekammer Schleswig-Holstein

    „Sobald ich erkenne, dass IBM-Watson die besseren Diagnosen macht, werde ich meinen ärztlichen Schwerpunkt komplett verlagern in Richtung des Lot-sen und Navigators meiner Patienten im Hinblick auf die daraus erwachsen-den Konsequenzen und Behand-lungsoptionen.“ Aussage eines Allgemeinmediziners

  • 14

    Die Kernaussagen des Ärztetages im Einzelnen:

    BARMER I Norddeutscher Dialog I Okt. 2017

    © Bild: goodluz/fotolia.com

  • 15

    Mascha Minou Lentz

    Künstliche Intelligenz im Gesund-heitswesen – Nur Risiken oder auch Chancen? Was passiert, wenn Gesundheitsdaten mit künstlicher Intelligenz wie „Cognitive Computing“ verarbeitet werden? Kann mit dem Einsatz von kognitiver Technologie die Arbeit im Gesundheitswesen verbessert wer-den? Oder besteht die Gefahr, dass der technische Fortschritt zu weit in den Vordergrund und dafür die Gesundheitsversorgung des Menschen mehr und mehr in den Hintergrund tritt? Kognitive Technologien, wie etwa das sogenannte „Cognitive Computing“, nehmen in immer mehr Unternehmensbereichen Einzug. Bei Krankenver-sicherungen helfen maschinelle kognitive Dokumentenanalysen und em-phatische Chatbots dabei, die Prozesse zu automatisieren. Die kognitive Analyse von Patientenakten kann Krankenhausärzte dabei unterstützen, einen schnelleren und strukturierten Überblick über den Gesundheitszu-stand des Patienten zu erhalten sowie auf Basis von Behandlungsempfeh-lungen die Therapie-Entscheidung zu treffen. Dabei ist wichtig, dass die letztendliche Therapie-Entscheidung zu jeder Zeit in den Händen des Arz-tes liegt. Im Rahmen der Versorgung von Demenzpatienten kann mit Hilfe kognitiver Technologien wie beispielsweise dem Einsatz von Robotik-Lösungen dazu beigetragen werden, dass die Patienten länger im häusli-chen Umfeld versorgt werden können. Kognitive Robotik-Lösungen kön-nen zum Beispiel an die tägliche Medikamenteneinnahme erinnern, Gefah-ren erkennen und direkt melden sowie eine Form von Kommunikation und Interaktion (beispielsweise Denksportaufgaben etc.) bieten. In welchem Umfang sollen künstlich intelligente Technolo-gien Einfluss auf den Menschen nehmen? Der rasant fortschreitende technologische Fortschritt sowie die Herausforderungen des demografischen Wan-dels fordern einen kritischen politischen und gesellschaft-lichen Diskurs. Es gilt, Risiken wie auch Chancen sorgfäl-tig abzuwägen und sich der Thematik der Einsatzmöglich-keiten von künstlicher Intelligenz im Gesundheitswesen offen zu stellen. Hierbei sind auch ethische Gesichtspunk-te nicht zu vernachlässigen. Jeder sollte sich mit der Frage auseinandersetzen, in welchem Umfang und in welchen Bereichen es sinnvoll oder kritisch sein kann, wenn künst-lich intelligente Technologien Einfluss auf das Leben eines Menschen nehmen.

    © Bild: IBM

    BARMER I Norddeutscher Dialog I Okt. 2017

    © Bild: IBM

    © Bild: IBM Mascha Minou Lentz Ärztin Associate Partner IBM Deutschland

  • 16

    BARMER I Norddeutscher Dialog I Okt. 2017

    Unser Service Presseinfos, Grafiken und Reporte zur Versorgungsforschung gibt’s

    im Presseportal: www.barmer.de/presse und www.barmer.de/presse-sh

    Aktuelle und ältere Ausgaben unseres Newsletter Standort Info für

    Schleswig-Holstein und Abonnement: www.barmer.de/p006182 Das BARMER online-Magazin: www.barmer-magazin.de

    Folgen Sie uns auf Twitter für tagesaktuelle Gesundheitsnews:

    www.twitter.com/BARMER_Presse www.twitter.com/BARMER_SH

    Digitalisierung desGesundheitswesens aus derPerspektive der BARMERAuf dem Weg zu Alpha Centauri:Gesundheitsversorgung 20303D Druck von Arzneimitteln - Neue Möglichkeiten zur patientenindividuellen VersorgungErinnerungen an die Zukunft - Arzneimittelversorgung 4.0Digitalisierung und vernetzte Gesundheit – Aktueller Stand derärztlichen DiskussionKünstliche Intelligenz im Gesundheitswesen – Nur Risiken oder auch Chancen?