63
5/21/2018 DiplomarbeitPaulBley-slidepdf.com http://slidepdf.com/reader/full/diplomarbeit-paul-bley 1/63  andreas schmidt DIPLOMARBEIT PAUL BLEY - stilistische Entwicklungen und Bedeutung !r die "eschichte des #a$$ DIPLOMARBEIT IM DIPLOMSTUDIENGANG MUSIKERZIEHUNG, FACHBEREICH MUSIK DER HOCHSCHULE DER KÜNSTE BERLIN  VORGELEGT IM JUNI 1998 VON A%DREA& &'(MIDT AUS BERLIN "UTA'(TER PROF. DAVID FRIEDMAN PROF. ELMAR BUDDE

Diplomarbeit Paul Bley

Embed Size (px)

Citation preview

  • andreas schmidt

    DIPLOMARBEIT

    PAUL BLEY -

    stilistische Entwicklungen und Bedeutung

    fr die Geschichte des Jazz

    DIPLOMARBEIT IM DIPLOMSTUDIENGANG MUSIKERZIEHUNG, FACHBEREICH MUSIK

    DER HOCHSCHULE DER KNSTE BERLIN

    VORGELEGT IM JUNI 1998 VON

    ANDREAS SCHMIDT

    AUS BERLIN

    GUTACHTER

    PROF. DAVID FRIEDMAN

    PROF. ELMAR BUDDE

  • INHALT

    1. Paul Bley: eine Biographie 2. Thesen 2.1 In dem Augenblick... 2.2 ...erkennen, erschaffen und bearbeiten.2.3 Die Suche nach dem Augenblick...2.4 das Unsichtbare zum Leben zu erwecken. 2.5 Unaussprechliches...2.6 auszusprechen. 3. Stilistische Entwicklung Paul Bleys3.1 1932 1950 Out of nowhere3.2 1950 1957 Alone again3.3 1957 1959 Turning point3.4 1959 1963 Virtuosi3.5 1963 1969 Mr Joy 3.6 1969 1974 Open to love 3.7 1974 1983 Fragments 3.8 1983 - Conversation with the goose 4. Musikalische Betrachtungen des Werkes4.1 Form4.2 Melodie4.3 Rhythmus4.4 Klangfarbe 4.5 Harmonie4.6 Transkriptionen 5. Die Begriffe instant composing und instant arranging5.1 Wortbedeutung und bersetzung ins Deutsche5.2 Wortkombinationen5.3 Wortbedeutung und bersetzung ins Englische5.4 Wortkombinationen 5.5 Augenblicke, Antworten und Aufgaben5.6 Instant Composition aus der Sicht einiger Musiker 6. Paul Bleys Bedeutung fr die Geschichte des Jazz6.1 Einflsse auf Musiker und Musikstile6.2 Visionen und Ausblicke

    7. Gesprch Andreas Schmidt - Paul Bley, Hamburg, 21.3.1994 8. Bibliographische Hinweise 9. Diskographie 10. Beiheft mit Transkriptionen und CD mit Hrbeispielen I - XXX

  • Ich bedanke mich bei meinen Eltern fr jede Untersttzung in den vielen Jahren meines Studiums, dem Jazz-InstitutDarmstadt, Gregoire Peters, der mit mir im Internet surfte, Antje Schreiner fr noch mehr inter-nette Momente undAugenblicke, Paul Bley fr die vielen schnen Stunden mit Musik, Gesprchen und Faxen und seiner Frau Carol Goss,Gary Peacock und Steve Swallow fr das lange Gesprch und Interesse an dem Thema Paul Bley und instantcomposition, Lee Konitz fr noch mehr Informationen, Hans Ldemann fr Wort und Musik, Cline Rudolph frjahrelanges Mit-Interesse und Hilfe zum Thema Leben im Allgemeinen, Anka Suckow fr die stimmigeAuseinandersetzung mit mir und dem Computer, Muriel Ernestus fr die sprachlichen Aufmunterungen meinerGedanken, Tim Sund fr die Richie-Beirach-Materialien, Sedal Sardan und dem A-Trane-Team, bei denen ich all meineLaunen und Wnsche in Tne verwandeln konnte, Dirk Klling fr promptes Erscheinen an der Bildflche, David Leefr das nette Fax, den gesamten Jazz-Studenten und Professoren fr Untersttzung und Verstndnis, Franz Bauer,Daniel Oertel und Britta-Ann Flechsenhar fr die uns gegenseitig aufmunternden Worte, Paul Kleber fr jedesUmsetzen meiner/unserer Ideen in Tne, COPY WORLD fr die Verwirklichung meiner Wnsche,... ...undbesonders bei Gabriele Raik fr die gemeinsamen Stunden unserer Seelen in der Welt der Sprache: Musik.

    Andreas Schmidt

  • 1. Paul Bley: eine Biographie

    Der Pianist Paul Bley wurde am 10. November 1932 in Kanada in der Stadt Montreal, Qubec, geboren. SeineMutter, Betty Marcovitch, emigrierte von Bukarest nach Montreal als sie noch ein Teenagerwar.

    Bley erlernte das Geigenspiel mit fnf Jahren und gab Konzerte ab seinem siebten Lebensjahr.

    Er erfuhr im Alter von 8 Jahren, da er ein Adoptivkind und seine leibliche Mutter, Lucy Archambaud, dasDienstmdchen im Hause Bley war. Im gleichen Jahre hatte er einen leichten Nervenzusammmenbruch und gab dieGeige zugunsten des Klaviers auf.

    Er bekam bei verschiedenen Lehrern Klavierunterricht. Ein Franzose lie ihn beim Spielen gefllte Wasserglser aufder Handoberflche balancieren.

    Sein Junior Diploma machte Bley am McGill Conservatory im Jahre 1943, wo er neben der normalenSchulausbildung auch klassische Musik und Solffegio studierte. In dieser Zeit war er bereits im Besitz etlicherJazzplatten und spielte nach Gehr die Arrangements und Soli von Woody Herman mit.

    Im Alter von dreizehn Jahren formierte er ein Quartett und spielte als Buzzy Bley in Clubs und Sommerhotels imGebiet der Laurentian Mountains.

    Oscar Peterson war in Montreal ein berhmter Pianist und gab, nachdem ihn Norman Granz nach Amerika geholthatte, sein Engagement 1949 in der Alberta Lounge an Bley weiter, weil Bley fter als Gastmusiker dieses Trios mitPeterson, Ozzie Roberts (Ba) und Clarance Jones (Schlagzeug) mitgewirkt hatte.

    Bley spielte in seinem letzen Jahr an der High-School mit der Rhythmus Gruppe von Peterson in der Alberta Lounge.

    1950 ging Bley zu Dirigier- und Kompositionsstudien an die Juillard School of Music in New York.

    An einem der ersten Abende in NewYork hrte er zwei Konzerte: Im Downbeat Club die Gruppe mit Charlie Parker,Miles Davis, Bud Powell und Curley Russell, und im Three Deuces Lennie Tristano mit Lee Konitz, Warne Marsh,Peter Ind und Al Levitt. I learned that I knew almost nothing about jazz.[1]

    Bley pendelte in den folgenden Jahren zwischen Montreal und New York. Er schlo an der Juillard School of Musicim Jahre 1953 seine Studien ab.

    Paul Bley besuchte die Samstag Sessions bei Lennie Tristano, der neben Bud Powell einer der grten Einfle frsein Klavierspiel werden sollte.

    Bley spielte bei Jam Sessions in einem Club auf der 54ten Strae, wo er neben Charlie Parker auch Charles Minguskennenlernte.

    Noch whrend seiner Studienzeit organisierte Bley zusammen mit dem Pianisten Keith White in Montreal einenJazz Workshop, der an dem Modell der Drama Workshops orientiert war. Amerikanische Jazzmusiker wurdeneingeladen mit ihnen zu spielen. Diese Kooperative von ca. einem Dutzend Bandleadern aus Montreal spielte jedenSamstagnachmittag in dem Chez Paree Club, wo sich auch die Gelegenheit fr Bley ergab, mit Charlie Parkeraufzutreten. Das Konzert am 5. Februar 1953 wurde vom CBFT-Fernsehsender mitgeschnitten und dokumentiert:Die ersten Soli von Paul Bley, die auf Tontrgern erschienen sind.

    Weitere Musiker beim Montreal Jazz Workshop waren u.a. Stan Kenton, Sonny Rollins und Allen Eager.

    In Montreal bekam Bley einen Anruf von Charles Mingus. Er bat ihn, bei einer Aufnahmesitzung seines Oktetts dieAufgabe des Dirigenten zu bernehmen. Damit verbunden organisierte Mingus auch noch eine Aufnahmesitzung imTrio zusammen mit Art Blakey: Die erste offizielle LP unter dem Namen von Paul Bley, aufgenommen am30.11.1953 und erschienen auf dem Debut-Label von Charles Mingus: Introducing Paul Bley.

    Fr einige Wochen hatte Bley eine eigene Band mit Jackie McLean, Donald Byrd, Arthur Taylor und Doug Watkinsund spielte in einem Klub mit Namen Copa City.

    1957 ging Paul Bley nach Los Angeles und spielte mit dem Trompeter Herbie Spanier aus Toronto totally freesets[2] im Crescendo Club von Gene Norman. Weitere Musiker, die er aus New York mitnahm, waren seinezuknftige Frau Carla Borg und eine Rhythmusgruppe mit Hal Gaylor (Ba) und Lennie McBrowne (Schlagzeug), dieeine College Tour unternahmen, bevor sie sich in L.A. niederlieen.

    Charlie Haden ersetzte bald Hal Gaylors Platz und zusammen mit Dave Pike am Vibraphon spielte das Quartett einlngeres Engagement im Hillcrest Club auf dem Washington Boulevard in L.A.. Diese Band nahm fr das Label vonGene Norman eine LP mit dem Titel Solemn Meditation (Herbst 1957) auf.

    Im Oktober 1958 lernte Bley Ornette Coleman und Don Cherry kennen, die anstelle von Dave Pike die allabendlichenKonzerte im Hillcrest Club mitgestalteten. Dieses musikalisch einschneidende Erlebnis beeinflute Bleys Klavierspielund seine Denkweise.

    1959 begaben sich Paul und Carla Bley mit einem Zwischenstop an der Lennox School of Music auf den Weg nach

  • New York. Paul Bley nahm dort an einer Jam Session teil, bei der sich unter anderen Jimmy Giuffre, OrnetteColeman, George Russell unter den Zuhrern befanden.

    Fr Bley ergab sich eine Platteneinspielung in New York unter Russells Namen (Jazz in the Space Age, Herbst1959) mit Bill Evans als zweitem Pianisten.

    Bley arbeitete ab 1959 mit Steve Swallow im Duo, um kurze Zeit spter zusammen mit Jimmy Giuffre eines dereinflureichsten Trios kammermusikalischer, improvisierter Musik zu grnden. 1961/62 wurden in Amerika undEuropa Tourneen unternommen sowie drei LPs eingespielt. Grtenteils Kompositionen von Giuffre, aber auchStcke von Carla Bley waren im Repertoire.

    1962, nach der Auflsung des Giuffre Trios, machte Bley seine erste stilbildende LP: Footloose mit Pete La Roca(Schlagzeug) und Steve Swallow (Ba).

    1963 folgte eine Zusammenarbeit mit Gary Peacock und Paul Motian. Das entstandene Album wurde Anfang der70er Jahre bei dem europischen Label ECM verffentlicht und setzte richtungsweisende Klang- und Spielideen.

    1963 spielte Paul Bley fr ein knappes Jahr mit Sonny Rollins zusammen. Die Platte Sonny meets Hawk enthltradikale Ideen zum Umgang mit Jazzstandards und war neben Footloose die wichtigste spielkonzept-prgende Plattefr den ab 1965 auf der Jazzszene erscheinenden jungen Keith Jarrett.

    1964 grndete sich in New York die Jazz Composers Guild. Bei Konzerten im Cellar Cafe kam die sich etablierendeAvantgarde mit Musikern wie Archie Shepp, Michael Mantler, Sun Ra, Roswell Rudd, Steve Lacy, Milford Graves undPaul Bley zusammen.

    In dieser Zeit spielte Bley Konzerte und machte Plattenaufnahmen mit Musikern der dem energetischen Spielzuzuordnenden New Yorker Szene. Auerdem ergaben sich Kontakte zu Poeten und Malern wie z.B. Paul Haines undMichael Snow.

    Ein nicht auf Schallplatte dokumentiertes Quartett mit Gary Peacock als Leiter spielte 1964 im Take 3 in New Yorkmetrisch freie Musik. Albert Ayler (Saxophon), Sunny Murray (Schlagzeug) und Paul Bley komplettierten das Quartettund die rhythmisch offenen Kompositionen stammten von Carla Bley.

    1966 verffentlichte das kleine, unabhngige Avantgarde Label ESP Trio-Einspielungen mit Bley, Steve Swallow undBarry Altschul. Das Trio spielte zwischen 1965 und 1968 mit wechselnden Bassisten Konzerte im europischenRaum. Es verknpfte lyrisches, freitonales Balladenspiel mit energetischerem, in time-konzipiertem Spiel.

    1969 interessierte sich Bley fr die neu entwickelten Synthesizer von Robert Moog und setzte diese bei einemAuftritt zusammen mit seiner neuen Lebenspartnerin Annette Peacock in der New Yorker Philharmonic Hall ein. DieBley/Peacock Synthesizer Show machte um 1970 einige Aufnahmen, bei denen rockigere Grooves mit sparsamen,melodischen, auf diversen Synthesizern gespielten Improvisationen verknpft wurden. Auerdem wurde die StimmeAnnette Peacocks elektronisch verfremdet.

    Ein fr das Soloklavierspiel bahnbrechendes Album (Open, to Love) entstand am 11.9.1972 in Oslo fr ECM mitManfred Eicher (einem ehemaligen Bassisten) als Produzenten. Die Kompositionen stammten von Carla Bley undAnnette Peacock. Metrisch freie Stcke wurden durch die Entdeckung der Langsamkeit[3]zu Klangerlebnissen, diemit dem Herausheben von Obertnen des Steinway Flgels eine fr das Label und das Spiel Bleys zukunftsweisendeKlangsthetik mitinitiiert haben.

    In den 70er Jahren grndete Paul Bley sein Label Improvising Artists Incoperation, welches Musiker produzierteund aufnahm, die ohne kompositorische Vorlagen im Studio arbeiteten (arbeiten sollten). Platten mit Sun Ra, MikeNock und Ran Blake entstanden, sowie eigene Produktionen, wie das Album Quiet Song mit Jimmy Giuffre und BillConnors. Diese am 14.11.1974 entstandene Platte gewann den Kritikerpreis Prix du Jazz.

    Ebenfalls 1974 entstanden Aufnahmen mit den noch unbekannten Musikern Pat Metheny und Jaco Pastorius.

    Ein Hauptmerkmal in Bleys Spiel jener Jahre, der gleichzeitige Einsatz von akustischem Klavier und Fender Rhodesbzw. Synthesizer, findet sich am deutlichsten bei der Band Scorpio (Dave Holland (Ba) und Barry Altschul(Schlagzeug)). Eine im Oktober/November 1972 aufgenommene Platte dokumentiert das sehr anschaulich.

    Zusammen mit seiner Lebenspartnerin Carol Goss ist Bley seit Mitte der 70er Jahre an multimedialenAusdrucksformen interessiert. Beide produzierten die ersten Jazz- und Musikvideos und arbeiteten an dem Einsatzvon Live Video Art in Verbindung mit Improvisierter Musik (in ihrem Besitz sind mehr als 30 unverffentlichteVideos).

    Das Improvisationsmodell instant composing, welches Bleys Musik prgt, fand zu einer ausgefeilten Reife.

    In den 80er Jahren widmete sich Bley hauptschlich musikalischen Begegnungen, die nur von kurzer Dauer waren,und unter anderem als Aufnahmen bei diversen Labels dokumentiert sind. Bei Steeplechase gab es dem Bebopreferenz-erweisende Aufnahmen mit Standards, die erstmalig einen stark retrospektiven Aspekt in dem Spiel vonPaul Bley zeigen.

    Soul Note dokumentierte Begegnungen mit John Scofield, Paul Motian, Charlie Haden oder auch Solo-EinspielungenBleys, die Momentaufnahmen aus dem Leben von Paul Bley zeigten.

    In den Jahren 1986/87 existierte eine Band mit John Surman (Baklarinette, Saxophon), Bill Frisell (Gitarre), PaulMotian (Schlagzeug) und Bley als Bandleader am Klavier. Es entstanden zwei Einspielungen bei ECM, die unter

  • anderem bekanntes Material von Carla Bley und Annette Peacock enthielten. Hauptmerkmal ist das vonManierismen befreite, der reinen Musik dienende Zusammenspiel der Gruppe, dessen Klangbild durch die lyrischeSpielweise von Surman und Frisell mitgeprgt wurde. Improvisationen, die sich von Ton zu Ton entwickelten.

    Neben vielen Wiederbegegnungen mit Musikern aus Bleys Vergangenheit, wie z.B. ausgedehnte Duo-Konzerte undAufnahmen mit Gary Peacock ist das Zusammenkommen des Jimmy Giuffre Trios ein besonderer Moment. Dasavantgardistische Trio setzte einige Jahre seine leise Revolution fort, die leider durch die Krankheit Giuffres Mitte der90er Jahre beendet wurde. Das Programm bestand aus freien, aus dem Moment heraus komponierten Stckenund Standards in einer jeweils frischen und sehr weise anmutenden Interpretation. Die erste Plattensitzung fr dasLabel owl fand im Dezember 1989 statt.

    Die 90er Jahre sind von unberschaubarer Aktivitt. Ein neues Moment im Leben Bleys war der Eintritt alsLehrkraft in das New England Conservatory, an dem er einmal in der Woche unterrichtet. Dort geht es ihm mehr umden philosophischen Hintergrund des Musizierens als um die pianistische Ausbildung.

    In den 90er Jahren entstehen allein 14 Einspielungen fr Steeplechase.Bei den neueren Labels just in time undpostcards erscheinen zum grten Teil die fr Bley spezifischen aus dem Stehgreif gespielten musikalischenBegegnungen, unter anderem eine solo CD, die auf den Einsatz eines Synthesizers zurckgreift.

    ECM dokumentiert 1994 eine Begegnung Bleys mit Evan Parker (Saxophon) und Barre Phillips (Ba), eine Hommagean das Giuffre Trio der 60er Jahre.

    Der Flgelhornist, Komponist und Arrangeur Franz Koglmann zieht Bley mehrfach zu Plattenaufnahmen heran.1995 entsteht eine der Wiener Schule respekt-zollende Einspielung mit Hans Koch (Saxophon, Baklarinette),Koglmann und Paul Bley und im gleichen Jahr eine CD-Produktion mit Gary Peacock, Franz Koglmann und Paul Bley,die die Musik Annette Peacocks (um)spielt (erschienen bei hat ART).

    In seinem 66ten Lebensjahr strahlt Bley eine heitere Gelassenheit aus, philosophiert in diversen Interviews berseine Anschauung des Musik-Geschfts und reist um die Welt.

    If I thought for a moment that there was nothing new to be done, whether it was playing a tune in a different way ortaking Schnbergs atonality as a premise for a project, then I would happily retire to the country and enjoy thecompany of my children and come out only for those events that were really useful.[4]

    Paul Bley lebt seit ca. 15 Jahren zusammen mit Carol Goss und den zwei Kindern in Cherry Valley, NY. EineTochter (16 Jahre) spielt auf dem im Haus befindlichen Klavier (upright) - nach Bleys Worten besser als er selbst. Er,der dort noch nie das Instrument angerhrt hat. Frei nach seinem Motto: Practise makes perfect. Imperfect isbetter, oder Rehearsals are counterproductive. Repetition is a downward spiral.[5]

    Vom 2.Juli bis 29.Juli 1998 ist eine Europa-Tournee mit Charlie Haden (Ba) und Lee Konitz (Saxophon) geplant.

    Im Herbst 1998 erscheint in den USA Paul Bleys Autobiographie. Zusammen mit dem Kanadischen Bassisten undJournalisten David Lee ist in den letzen 10 Jahren Material dafr gesammelt worden.

    The reason we play is to contribute new information to the pool of recorded works. What to play, is the question,not how to play. The answer to what to play is... .[6]

  • 2. Thesen

    2.1 In dem Augenblick...

    Der Mensch wei nichts ber sein Morgen - aber er drstet nach Sicherheit. Festhalten. Regungslosigkeit bedeutet,da Leben erlischt - die Drehung der Erde anhalten - den Fisch im Wasser nicht schwimmen lassen. Atem anhalten.Sterben. Die Angst des Lebewesens vor dem Unbekannten, nicht die Bequemlichkeit, macht das Leben einfach. DasUnbequeme und Fremde bringt die ntige Gelassenheit im Menschen an den Tag. Offen sein fr das nicht zuErwartende... den Jetzt-Zustand akzeptieren. Den Platz im Leben finden, an dem agiert und nicht ausgeharrt wird.Situationen begreifen und intuitiv die Regeln des Lebens nutzen, um im Flu mit der Natur zu sein. Die Aktion derEvolution bringt die Reaktion. Vorranschreiten. Entwickeln. Vom Urknall zu Charlie Parker. Jeder Moment des Lebenswidmet sich dem Zuknftigen. Sensibles Wahrnehmen der noch nicht gelebten Augenblicke.

    Der Mensch wird im 21. Jahrhundert nicht die Neuheiten des 20. Jahrhunderts benutzen, sondern immer nachFortschritt drngen. Der Knstler kann sich dafr entscheiden, die Vergangenheit so schnell wie mglich zuabsorbieren, um der Erste zu sein, der Neuentstehendes aufnimmt und sensualisiert. Mit dem Gestern beschftigtzu sein, heit, das Jetzt nicht bemerken zu knnen. Alles was bereits entdeckt wurde, alles was der Knstler schonkann, gehrt in die Vergangenheit. Das Morgen bringt das Neue. Die Situation, in der der Mensch und Knstler sichbefindet, spontan und im Augenblick erkennen und geschehen lassen. Nicht (be)greifen, sondern das Wissen um denMoment aufnehmen - dem Unbekannten ein Stck des Weges folgen.

    2.2 ...erkennen, erschaffen und bearbeiten.

    Der Mensch selbst ist morgen noch der Gleiche. Er erschafft sich nicht von Neuem, sondern bearbeitet seinenVerstand. Er lt den Tag und das bereits Existierende am Leben teilhaben. Das Vergangene wird in Bewegunggesetzt und integriert in einem im Jetzt existierenden, weisen Lebewesen - die Aufgabe ein Werk lebendig zu halten.

    2.3 Die Suche nach dem Augenblick...

    Wo befindet sich das Unerwartete? Hat der Mensch genug Mut, sich der Angst vor dem Versagen zu stellen? EineTat ohne doppelten Boden, Versicherungen und Erfolgsgarantie.

    Paul Bley: So anything you dont know how to do is something you wanna do, which means that when you take ajob tomorrow night, if it calls for something you know how to play, youd say: no thank you I cant make that job.Cause I know how to do that, why would I wanna spend tomorrow doing something I already know how to do? But callme tomorrow for a job I dont know how to do and that I dont qualify for and Im not ready at, for I have no ideasabout, thats the job you wanna do tomorrow night. Because the other tomorrow night youll know something morethan you did in the beginning. Thats the payment.[7]

    2.4 ...das Unsichtbare zum Leben zu erwecken.

    Die Momente der Kreativitt sind fortgesplt, wenn nicht ein kleines Abbild die Schnheit fr die Ewigkeit erhlt. DieWelt ist voll von Zeugnissen der Zeit, die eine Skizze des Lebens zeichnen. Jede Epoche kommuniziert mit ihremJetzt und wirft Schatten in die Zukunft. Visionen, die von sensiblen Naturen aufgegriffen und weitergedacht werden....der Mensch, der vom Schnheitssinn geleitet ist, verwandelt ein zuflliges Ereignis in ein Motiv, das er der Partiturseines Lebens einbeschreibt. Er nimmt es wieder auf, wiederholt es, variiert und entwickelt es weiter, wie einKomponist... .[8]

    Paul Bley: And so the question is why not go forward into an area where there might be room for you as an artist,instead of trying to find some little corner of something thats over. So the question is, what is your canvas. What willthe canvas be and how will it evolve in the near term, and can you prepare to work with that canvas or how in factcan you get the canvas right away and become the worst canvas - the worst electronic canvas person in the world?But at least you have it at home and youre working on it.[9]

  • 2.5 Unaussprechliches...

    Die Gedanken der Literaten werden ber die Schrift transportiert. Die Worte der Schriftsteller erzeugen Bilder undGefhle beim Leser. Der Rezipient verarbeitet, und wird Gelesenes durch Bewegungen, Zeichnungen oderGefhlsuerungen nicht wiedergeben knnen. Umschreibungen fern von der wortgetreuen Wiederholung gebenweder die vllige Reaktion des Lesers wieder, noch die Intention des Schreibenden. Selbst das Buch in den Hndendes Kufers ist nur ein Abbild der inneren Wirklichkeit des schaffenden Knstlers. Das Papier mit seinen Wortenbedarf des Lesers, um lebendig zu werden. Das Theaterstck wird vom Interpreten zum Leben erweckt, um demEmpfnger die Botschaften zu bermitteln, die der Interpret aus dem Werk herausliest. Die Leinwand desSchrifstellers. Bilder der Momente. Pinsel, Farben und Wasser (be)schreiben nie gesehene Welten, die demKnstler nah vor Augen sind. Der Betrachter kann in dem Objekt die Stimme der Lebendigkeit hren. Stumm sprichtdas Bild ber seine Meinungen des Lebens. Die Wirklichkeit des Sehens wartet vergebens auf Erklrungen. DieSkulpturen, Tnze, Gesichter, Sonnenaufgnge... . Berhrungen warten auf das wirkliche Fhlen, Essen auf denGeschmack und Dfte auf den Geruch. Und Musik auf den Klang. Hren des zu Ton gewordenen Lebens.Unbeschreibbar.

    2.6 ...auszusprechen.

    Gary Peacock: The last chord of a peal, the final judge is nothing you can think. Its only what youre going to hear. ...thats why its the best not to say anything. ...when you move into free playing, if you use language you get kind ofstuck in your head. And music is definitely transverbal. What happens is that you have to listen with the words in onedomain and than you move into a domain in which words are not gonna work and if you bring the words with you intothe music domain than you are in thought - you are not in music anymore. So thats the problem. Both Paul and Irecognized that which... ...is never rehearsed and never discussed.[10]

    Paul Bley sagt: But in terms of being useful over a life time its very counterproductive to talk about music andrehearse music.[11] Dennoch reden viele ber und um Musik herum. Es folgen Beschreibungen, Assoziationen,bersetzungen in eine andere Sprache. Vom Klang zum Wort. Auch wenn das ganze Universum durchquert wrde,der Weg ist viel weiter. Und doch so kurz: Musik beschreibt Musik.

  • 3. Stilistische Entwicklungen Paul Bleys

    3.1 1932 1950 Out of nowhere

    Die Pianisten Glenn Gould und Paul Bley wurden im gleichen Jahr in Kanada zur Welt gebracht. Beider musikalischeAusbildung hatte die europische klassische Musik als Schwerpunkt. Paul Bley entwickelte eine groe Affinitt zumgesanglichen Gestus durch seinen Violinunterricht, welchen er zwischen 1937 und 1940 bekam. Glenn GouldsEltern waren Snger, was ihn aus eigenem Impuls veranlate die gehrten Melodien am Klavier nachzuspielen. PaulBley wurde der kantable, fr das Komponieren aus dem Augenblick prdestinierte, Glenn Gould, der aus demMoment interpretierende, seine Kontrapunkte in das Klavier singende Pianist.

    Beide Knstler suchten das improvisierende Leben, welches ihnen den Weg zur Bedeutung in der Musik zeigensollte. Gould hatte als Ausgangspunkt den selbstgebastelten, einen tiefen Sitz mglich machenden Klavierstuhl, dersich ehrerbietend mit seinem Spieler dem Geheimnis des Instrumentes und der Musik von unten nhern sollte. Bleyhingegen dominierte und triumphierte ber den Flgel mit Hilfe eines ihn erhebenden Telefonbuches. Die Tneflossen aus hchsten Hhen durch seinen Krper und Arme, von Geisterhand erdachte Kompositionen, in dasInstrument. Mit 11 Jahren hatte Bley sein junior diploma und besa bereits berdurchschnittliche Kenntnisse berdas klassische Musik-Repertoire. In den frhen Jahren wechselte er fters die Klavierlehrer. Er konnte qualitativenUnterricht erkennen, die Methoden die ihn voranbrachten wurden weiter vertieft.

    In Montreal war es die Norm musikalische Wunderkinder heranzubilden. Ein anderer Pianist, Oscar Peterson,hatte sich schon in der Jazzszene etabliert und nahm einigen Einflu auf die musikalischen Aktivitten Paul Bleys.

    Um 1945 besa Bley eine grere Plattensammlung und konnte die Arrangements und Soli der Woody HermanBand mitspielen, ohne zu transkribieren, also schriftlich festzuhalten, sondern mit Hilfe des inneren Ohrs. Die erstenAnzeichen fr sein spteres Interesse fr die Schallplatte bzw. die rege Aufnahmettigkeit, ein Medium, welches dieMusik fixiert und in der Zeit transportieren kann. Ohne Notenmaterial auszukommen wurde sogar als Credo seiner,in den 70er Jahren existierenden Plattenfirma erhoben.

    Der Proze des Nachahmens brachte ihn zum Formieren eines Quartetts, welches tanzbare Musik spielte undwahrscheinlich auch Improvisationen der Musiker enthielt. Bley wurde bekannter als Paul Buzzy Bley, welches sichentweder auf seinen Klavierstil oder auf seine Umtriebigkeit beziehen konnte. Bley zog es als eine Art Maskottchenzu der afroamerikanischen Community Montreals und konnte in den folgenden Jahren des fteren mit derRhythmusgruppe Petersons in der Alberta Lounge jammen. Frei nach seinem im Hinterkopf existierenden Ziel,immer mit besseren Musikern zusammenzuspielen. Wahrscheinlich strtze Bley sich geradezu in ihn fremdeSituationen um durch den Akt der Bewltigung dieser, als etwas besserer und professionellerer Pianist und Musikerhervorzugehen.

    Seine Prsenz und Nachdrcklichkeit in der Jazzszene ermglichten es ihm fr das letzte Jahr auf der High Schooleinen permanenten Job anzunehmen. Als Peterson Montreal verlie, nahm sich die verbleibende RhythmusgruppeBley als Nachfolger. Vermutlich spielte er eine Art bluesigen Swing. 1949 war er der ihm hchstmglichen Stellungals Jazz Musiker in Montreal nahegekommen, was fr ihn bedeutete Neuland zu erkunden. Die Schulzeit hinter sichlassend, nherte er sich dem in dieser Periode wichtigsten Ort des Geschehens: New York City, und begann einStudium an der Juillard School of Music.

    3.2 1950 1957 Alone again

    Dank der Grozgigkeit einer New Yorker Sngerin, die Paul Bley in Montreal kennengelernt hatte, konnte er in denersten Tagen bei ihrer Familie in Brooklyn unterkommen. So herzlich aufgenommen zu werden, machte es Bleyleicht, sich von seiner Heimat zu lsen. Musikalisch gesehen mute er zugeben das When I arrived in New York Iwas definitly the worst player in town.[12] Die Jazz-Szene in New York war 1950 noch sehr lebendig. Der Bebophatte seinen Zenit erreicht. Charlie Parker, Miles Davis, Bud Powell, Dizzy Gillespie, Thelonious Monk, Max Roachbestimmten und verkrperten den Zeitgeist Manhattens.

    Neben dieser afroamerikanischen Gemeinschaft gab es fast unbemerkt eine Reihe von weien Musikern, die einenStil etablierten, der von den Kritikern als Cool Jazz bezeichnet wurde. Musiker wie Gil Evans, Lennie Tristano, LeeKonitz, Warne Marsh und Gerry Mulligan bildeten aus einer Mischung von Bebop und der shtetik Lester Youngseinen Musizierstil der rhythmisch/energetisch ein wenig gedmpft erschien, aber keineswegs cool im Sinne vonemotionsarm eingestuft werden konnte. Die Klangfarben nherten sich dem europischen Ideal. Kontinuitt undLinearitt waren stilistische Merkmale dieser Stilepoche. Harmonien und Melodien orientieren sich an derpolyphonen Spielweise der deutschen Barockmusik. Paul Bley hrte diesen beiden Pole Bebop und Cool Jazz mitoffenen Ohren zu und fhlte, wie dringend er seinen musikalischen Horizont erweitern mute, um in dieser Stadtbestehen zu knnen.

  • Die beiden Pianisten Bud Powell und Lennie Tristano sind als wichtigster Einflu Paul Bleys zu sehen. Ersterenlernte Bley wahrscheinlich in einem Klub auf der West 54th Sreet kennen, wo Charlie Parker spielte und sich eineGruppe von Musikern traf, die als The New Jazz Society bekannt war. Barry Ulanov war der Organisator dieserTreffen. Neben Parker, der an den Wochenenden spielte, gab es in der Woche Konzerte der Charles Mingus Band.Diese fing damals bereits an mit greren kompositorischen Formen und Besetzungen zu experimentieren.

    Komposition und Dirigieren waren auch die Fcher, die Bley an der Juillard School of Music belegte, wo er bis1953 studieren sollte. Unter den Mitstudenten befanden sich u.a. Phil Woods und Teo Macero. Bley besa bereitseinige Erfahrung im Leiten einer Band, und es ergab sich die Mglichkeit fr die Klasse von John Higginsverschiedene Musikerkonstellationen auszuprobieren. Bleys erste Jahre in New York waren der Beschftigung mitder Jazz Tradition gewidmet. Zitat Bley: ...young jazzmen today are listening hard to the schools of the past. Theyretrying to select the best features of each of them and assimilate them into their own playing. For instance, I havetapes of records by Louis, Roy, Blanton, Christian, Lester and a lot of others. We carry them around with us and playthem whenever we get the chance.[13] Es zeigt sich, wie Bley fremde Musik mit den Ohren aufnahm. Sie aufsog undzu etwas eigenstndigem verarbeitete.

    In den Semesterferien begab sich Bley zurck nach Montreal, um dort mit Keith White den Jazz Workshop zugrnden. Hier ergab sich fr Bley die Gelegenheit Jazzmusiker aus New York einzuladen und mit ihnen zu spielen. Daer Charlie Parker schon kennengelernt hatte, ergab sich 1953 die Mglichkeit eines gemeinsamen TV Auftritts inMontreal. Das Tondokument belegt die technische Reife Bleys und zeigt seinen souvernen Umgang mit dem Bebop.Ein nicht zu berhrender Einflu Bud Powells zeigt sich in seinem Spiel. Dennoch sind bei genauerem HinhrenIndividualismen seiner Phrasierung zu erkennen. Die Phrasierung der Achtel-Noten ist tendenziell gerader als beiBud Powell (das knnte der Einflu Lester Youngs und Tristanos sein), und die Phrasierung ist weicher und flssigerals bei den anderen Pianisten dieser Zeit.

    Nach Aussage Bleys ist das wichtigste Element bei einem Spieler der Sound. Melodisch bewegt er sich noch starkim Rahmen des Bebop-Vokabulars. Die Wahl der Stcke sind Jazzstandards aus dem Bandbuch der Charlie Parker-Combos. Einen besonderen Einflu haben die Balladen Parkers, die Bley lebenslang begleiten sollen. Stcke wie Dont blame me, Loverman, I cant get started, Out of nowhere u.a. spielt er noch heute. Das gesangliche Vorstelleneiner Melodie mit gleichzeitigem abstrahieren derselben ist Bleys wie auch Parkers Spezialitt. ber das Spielen mitParker sagt Bley: Accompanying him was a shock because of the volume. He played about three times louder than Ihar ever heard anyone play. You cant tell how loud he played from listening to the recordings... . ...another problemwas that Bird was several bars ahead of you. When you were in the middle of a chorus, he was always starting thenext section... ...well, anticipating. Melodically leading. Hed be starting the turnaround for the last eight bars whileyou were still finishing the bridge. It was a kind of race between Parker and the other instruments to see who couldget to the next section first.[14]und His favourite idea was to be playing Brooklyn in January and it would be verycold and for the first number hed play 52nd street Theme as fast as he could play it.

    Diese Beobachtungen Bleys geben Aufschlu ber sein eigenes Spiel. Er bernahm die Idee des mit 100% Energiezu spielenden melodischen Statements und klingt in dem Spiel der rechten Hand sehr kristallin und durchdringend.

    Mit dem Antizipieren von Akkordverbindungen und dem spielerischen Umgang mit der Form setzt er sich ab Mitteder 50er Jahre auseinander.

    Bis 1953 hat Bley mit vielen Musikern der afroamerikanischen Szene gespielt. Sonny Rollins, Jackie McLean undCharles Mingus machten allein klanglich einen groen Eindruck auf Bley. Die ntige intellektuelle Auseinandersetzungmit der Musik hatte er an der Julliard School of Music und den ffentlichen Unterrichtsstunden bei Lennie Tristano.Bley war fasziniert von der Schnelligkeit Tristanos und erkannte in dessen Spiel die Mglichkeit Melodien zu bilden,die nicht in direktem Zusammenhang mit den Harmonien stehen. Tristano benutze in seinen Kompositionen undImprovisationen superimposed harmonies die durch den Melodieverlauf beschrieben werden, aber nicht imharmonischen Grundgerst vorkommen. Bley beschftigte sich mit diesem Thema[15]einige Jahre spter.

    Nach seinem Juillard-Studium geht er vorlufig nach Montreal zurck, wird aber von Mingus erneut nach New Yorkgebeten um bei einer Plattenaufnahme zu dirigieren.

    Fr debut records, die eigene Plattenfirma von Charles Mingus, nahm Paul Bley seine erste Trio Platte auf. Eineschnell zusammengestellte Session, wo Paul Bley nachmittags seinen Flieger nach Montreal erreichen mute. Hierzeigt sich der Reifeproze Bleys, der 9 Monate vorher bei der Parker Aufnahme schon erkennbar war. Derpersnliche Stil Bleys ist entwickelt und der individuelle Umgang mit dem Blues wird in den folgenden Jahrenverfeinert werden (Sponaneus Combustion, Beau Diddley (siehe Transkriptionen)).

    Lennie Tristanos Einflu auf Bley wurde auf eine indirekte Weise 1954 dokumentiert. Es entstanden Aufnahmen imTrio mit Percy Heath bzw. Peter Ind am Ba, letzterer in den Tristano-Zirkel involviert, wie auch der Schlagzeuger AlLevitt. Stilistisch ist das Album in etwa mit der Mingus-Session vergleichbar und die Improvisationen sind ein weniglnger. Wenn man das Stck 52nd Street Theme mit der Einspielung von Bud Powell aus dem Jahr 1949 vergleicht,werden die Parallelen deutlich.

    Die Interpretation des Themas Time on my hands ist melodisch frei angelegt und zeigt die fr Paul Bley typischelaid back-Phrasierung (siehe Transkription).

    Bis 1957 hielt sich Paul Bley in New York auf und gelangte an die Grenzen des Bebop: ...and try to write musicwithout a chordal center. Im also interested in using the pre-Bach forms... .[16] In New York spielte 1956 der nochan Bud Powell und George Shearing erinnernde Bill Evans, sowie ein enfant terrible der Jazz Szene: Cecil Taylor, der

  • einen noch um vieles klangorientierteren und perkussiveren Klavierstil als Thelonious Monk pflegte, und mehr vonArnold Schnbergs Klangwelt beeinflut war, als der des Bebop.

    Mit der Gewiheit in New York das erreicht zu haben, was ihn einst dorthin fhrte, beschlo er mit seinerzuknftigen Frau Carla Borg nach Los Angelos aufzubrechen. Die Beweggrnde knnten der Ruf dieser Szenegewesen sein dort freie und neue Spielformen des Jazz anzutreffen. Bley erreichte L.A. Anfang 1957 in Begleitungvon Hal Gaylor (Ba), Lennie McBrowne (Schlagzeug) und Carla Borg (Pianistin und Komponistin) nach einer CollegeTour durch die USA.

    3.3 1957 1959 Turning point

    Das erste Engagement hatte Bley im Crescendo Club von Gene Norman Anfang 1957. Nach Bleys Angaben spielteer dort im Duo mit einem Trompeter aus Toronto totally free sets[17], allerdings scheint das doch eine etwaspltzliche stilistische Kehrtwendung.

    Tatsache ist, das Bley bald den Bassisten Charlie Haden kennenlernte, der zwischen 1955 und 1957 amWestlake College of Music ein (Jazz)-Musikstudium begann. Bald spielte Haden mit Art Pepper, Hampton Hawes,Chet Baker und gab das Studium auf.

    Die Band, welche im Hillcrest Club ein festes Engagement bekam bestand aus Bley, Haden, McBrowne und DavePike am Vibraphon. Fr das Label von Gene Norman ergaben sich im Herbst 1957 Aufnahmen, die den FortschrittBleys der letzen 3 Jahre dokumentiert. Deutlich abstrahiert ist die Spielweise der beiden Blues, bei denen Bley dieIdee der superimposed harmonies anwendet (Birks Works und Beau Diddley (Transkription)).

    Die Begegnung Ornette Colemans und Paul Bleys erfolgte im September 1958, zwei in hnliche Richtungen sichentwickelnde Musiker. Charlie Haden lernte Coleman Anfang 1958 kennen. Coleman war seit 1953 in L.A. aktiv, d.h.er spielte mit einer Handvoll Musikern bei privaten Sessions. Mit dabei waren Don Cherry, Ed Blackwell, Billy Higgins,Bobby Bradford und einigen anderen.

    Das melodische Konzept kann grob in zwei Hauptmerkmale unterteilt werden: Auf der Tradition des Bebopbasierende Melodien, die oft keinen Bezug zu den original Harmonien des Stckes haben, keine Reharmonisationen,sondern spontane Erweiterungen der Tonalitt, die Coleman zu den Banoten eines Stckes hrte.

    Das zweite Merkmal ist der mikrotonale Umgang mit Tnen. In Relation zum wohltemperieten System schwer zuerfassenende subtile Nuancen der Intonation, im Innern gehrt und nach auen gebracht. Vergleichbar mit dergesanglichen Interpretation des Blues, welche dem Saxophonisten durch seine Rhythm and Blues Zeit Ende der40er Jahre sehr vertraut war.

    Im Oktober und November 1958 ergab es sich, in neuer Besetzung das Material Colemans im Hillcrest Club zuspielen. Don Cherry (Trompete) kannte die Kompositionen seit August 1956, hatte mit Ornette Coleman imDezember 1957 in Vancouver gespielt (damals aufgenommen und gesendet von der Radio Station CFUN) und imFebruar und Mrz 1958 fr Contemporary Records eine Platte aufgenommen. Diese Coleman-Kompositionen ausden Jahren 1950-1953 probte die Band um Paul Bley, Ornette Coleman, Don Cherry, Charlie Haden und BillyHiggins (Schlagzeug) jeden Tag, um sie abends im Hillcrest Club aufzufhren. Privatmitschnitte von Bleydokumentieren diese Auftritte.

    Fr Bley und auch Haden ffnete sich ein neuer musikalischer Kosmos. Die Lsung freier spielen zu knnen war,ein Tempo beizubehalten und die Leerformen mit Tnen des Momentes zu fllen. Pltzlich ergaben sich neuartigeMglichkeiten der Kommunikation. Die Melodien wurden nicht durch die Harmonien bestimmt, sondern waren alsKontrapunkt, zu der sich von selbst entwickelnden, improvisierten Balinie zu verstehen. Ein gegenseitigesAufeinandereingehen und Zuhren machte alle Spieler zu - der Musik Verantwortung zollenden -selbstbestimmenden, individuellen Persnlichkeiten. Der erste Schritt in eine Richtung ist getan, wo alle Mitspieler ander zu realisierenden Endform beteiligt sind. Aus dem Stehgreif, ohne vorherige Absprache sich entwickelnde,improvisierte Kompositionen: instant compositions.

    Gary Peacock umschreibt diesen Vorgang als Its more like you are responsable for the music but there is a partthat youre realizing that is not something you autored, this is something that manifest and you were there to beresponsable for.[18]

    Das Klavier bei den Aufnahmen aus dem Hillcrest Club klingt wie ein Fremdkrper. Untersttzende Akkordegehren eindeutig nicht zum Spielkonzept Colemans, aber Bley greift in seinen unbegleiteten Soli die Freiheitsidee inbezug zum Klavierspiel auf sehr eigenstndige Art und Weise auf. Die Rhythmusgruppe setzt teilweise aus, weil das(verstimmte[19] upright-) Klavier nicht das ntige Durchsetzungsvermgen besitzt. Das Wegfallen desSchlagzeugers ermglicht es Bley nun mit der time flexibler umzugehen.

    Bei dem Stck When will the Blues leave ist in Bleys Improvisation ein interessanter Moment zu beobachten. Erfngt sein Solo unbegleitet an (die melodische Phrase des Schluteils von Cherry und Coleman paraphrasierend,einen halben Ton tiefer aufgreifend) und improvisiert ber die 12-taktige Form des Blues. Harmonisch offengestaltet, setzt das Schlagzeug bei einem rhythmisch komplizierteren Moment ein und es dauert einige

  • Viertelschlge bis die Form dadurch geklrt wird, da Bley die Komposition Donkey von Carla Bley an- und zu Endespielt. Auffllig ist bei diesem Thema der Gebrauch der Halbton/Ganztonskala auf den Stufen I und IV und dasIntervall der groen Septime. Billy Higgins spielt einige der Themenrhythmen mit. Er scheint das Stck bereits zukennen. Die Verwendung der HTGT-Skala wird in Bleys Improvisationen noch mehrmals Verwendung finden. Unteranderem seine 1961 aufgenommene Komposition Carla basiert darauf, die eine Metamorphose des Carla-Bley-Stckes es. Es stellt sich die Frage, wer diese melodische Idee als erster hatte.

    Das Spiel Paul Bleys zeigt Einflsse des melodische Konzept Ornette Colemans, u.a. die Verwendung vondiatonischen (auch pentatonischen) Medodiesegmenten die an jeder beliebigen Stelle in einer frei gewhlten Tonarterscheinen knnen. Im Gegensatz zu der Bebop-Spielweise, wo der Pianist sich scheinbar selber beim Solierenbegleitet, gelingt es Bley darauf zu verzichten. Er spielt offener mit Gefhl fr den Raum. Pausen bringen Spannung inden Improvisationsablauf, der Zuhrer ist gleichsam erstaunt ber den Moment der Fortsetzung einer Phrase, wieBley selbst.

    Ein fr Bleys Zukunft wichtiges Spielkonzept prgendes Element ist die Einmaligkeit einer Interpretation. Er sagt:Ornette had some very interesting ideas that we all loved. For example, you didnt have to play tunes the same wayeach night. That was new then. Tunes could be rerhythmized; there was no end to the ways you could play a phrase.You could make sixteenth notes into half notes and vice versa.[20] Eine sehr wichtige Ausgangsbasis fr denanderen groen Themenbereich: dem instant arranging. 1958 ist damit noch nicht so offen umgegangen worden,wie das Zitat den Anschein erweckt.[21] Die Stcke werden so gespielt, wie sie Ornette Coleman schon ein halbesJahr vorher und auch spter aufgenommen hat.

    Der Aufwand, was die Probenarbeit betrifft, ist damals enorm gewesen. Die Band probte jeden Nachmittag undspielte Abends sechs Tage die Woche ihr wechselndes Programm. Der Fokus war auf die Improvisation gerichtetund die Stcke teilweise bis zu 20 Minuten lang. Bei einer so risikoreichen Spielweise mu der Gehalt derImprovisationen entsprechend lange auf dem hohen Ideenniveau gehalten werden. Die Limitierungen die die Lngevon Schellacks oder Langspielplatten, die im Studio aufgenommen wurden mit sich brachten, konnten beim Live-Konzert berwunden werden. Das Medium diktiert die Form der Musik.

    Als die Band sich auflste, da die Musik fr den Klub nicht mehr haltbar war, spielte Bley in allen ihn sichanbietenden musikalischen Konstellationen. Er hatte fr kurze Zeit eine Band mit Scott LaFaro (Ba) und BobbyHutcherson (Vibraphon).

    Coleman und Cherry gingen an die Lennox School of Music und Paul Bley entschlo sich von einem Moment zumanderen L.A. zu verlassen, da es dort keine ihn knstlerisch herausvordernden Situationen mehr gab. Er begab sichmit seiner Frau nach Lennox und spielte dort auf der Session des Abschlukonzertes, wo ihn Jimmy Giuffre undGeorge Russel hrten. Zitat Bley: I had a chance once again to see if I could relate what Id learned.[22]Bezeichnener Weise spielte er einen Blues. Diese Gelegenheit gehrt zu werden, verhalf Bley spter in New Yorkleichter Fu zu fassen. Auerdem wurde er von Ran Blake Steve Swallow vorgestellt.

    3.4 1959 1963 Vituosi

    Die Anwesenheit von Ornette Coleman an der Lennox School of Music hat zu Auseinandersetzungen gefhrt. Nebenden Skeptikern waren es vor allem Giuffre, Russell und John Lewis, die sich fr Coleman und Cherry einsetzen. Sowie noch 10 Jahre davor der Bebop als avantgardistisch galt, war jetzt mit einer erneuten Umwltzung derMusikszene zu rechnen. Bebop verkrperte den Zirkel von schwarzen Musikern, die sich gegen das rassistischesoziale Umfeld auflehnten. Eine Art Untergrundbewegung, die auch eine gewisse Intoleranz der weien Szeneentgegenbrachte.

    Der West Coast-Stil wurde in den 50er Jahren sehr populr. Das revolutionre, grostdtische Element NewYorks wich der sonnigen Relaxtheit Kaliforniens. Ausnahmen besttigen die Regel. Interessanterweise reiftenOrnette Coleman Ideen in der West Coast-Szene zu ihrer vorlufigen Blte. Er spielte lyrisch, und eine gemigtereRhythmusgruppe pate besser als eine nervse.

    Das nderte sich bei Coleman Anfang der 60er Jahre, als er nach New York ging. Die zaghaftenMusikkonventionen sprengenden Versuche in den 50er Jahren der West Coast Musiker brauchten denGrostadtflair, um zu emotionalen Tiefen vorzudringen, wie es sich in den 60er Jahren bei Coleman, Giuffre und Bleyeinstellte. Diese Tiefe bedeutete allerdings nicht notwendigerweise einem Rckgriff auf Spielenergie in Form vonDynamik, Tempo und Dichte, wie sie der Bebop hufig verwendete. Auch wenn Giuffre sich von Coleman in dasfreiere Konzept einfhren lie, kam wenig spter etwas sehr eigenstndiges heraus.

    Ein Zitat von Gunther Schuller ber die Lennox Zeit: ...they (Giuffre und Coleman) went off into this nice little roomand started jamming. Ornette took the lead and Giuffre was sort of listening pensively. Eventually he just came inthere and played the wildest, craziest music... .[23] Giuffre selbst uert sich ber diese Zeit folgendermaen: Thewonderful thing... ...is that it has nothing to do with ideas or the musical content, it has to do with the statement - andwhen somebody gets to this point where he can be this free and this sure in his statement, then its just a matter ofhis speaking... ...he has just thrown out the bugaboos about being afraid of what hes going to sound like.[24]

  • Die Kombination Paul Bley und Steve Swallow sollte der erste Schritt sein, um zu einer neuen Musizierrichtungaufbrechen zu knnen. Ab Ende 1959 wurde Swallow, der Dixieland spielte und zaghafte Bebop-Schritte unternahm,von Bley in die Welt des offeneren/freieren Spiels eingefhrt. Carla Bley schrieb zu dieser Zeit sehr vieleKompositionen. In Kombination mit Standards, vor allem Balladen, probten Bley und Swallow fast jeden Tag umanschlieend bei den diversen Loft-Sessions vorbeizuschauen und mitzuspielen. Bley spielte dann eine eherkonventionelle Begleiterrolle und brach in seinen Soli zu anderen Ufern auf.

    Eine Variante fr den Umgang mit Standards war, zum Beispiel die Formteile der Komposition nicht in derReihenfolge zu spielen, in der sie normalerweise erscheinen. Anstatt nach AABA zum ersten A-Teil zu gehen, spielteer sofort den B-Teil, was melodisch und harmonisch eindeutig zu hren war und Swallow sofort wute, wo Bley in derForm war. Beim Duo-Spiel wurden die Themen der Standards nicht verwendet, sondern ber die Harmonienimprovisiert. Diese wurden verfremdet oder erweitert, da der Eindruck eines neuen Stckes entstand. Mit dem Ziel,da nichts bei einer weiteren Version des Stckes beibehalten wurde, sondern mglichst bei Null angefangenwerden sollte.

    Die Stcke von Carla Bley hingegen hatten fr die Improvisationsteile keine Form oder Harmonien mehr, sondernwurden er-improvisiert. In der Improvisation folgte sozusagen A auf B, C, D, E etc., d.h. Wiederholungen vonFormteilen wurden zugunsten von jeweils neuen Ideen aufgegeben.

    Die kompositorischen Neuerungen von Russell, Mingus und Schuller Ende der 50er Jahre zeigten den Weg ausdem AABA-Dilemma, aber Bley meint: ...these were things that were handled by composers and therin lay theproblem. It was an improvising problem, over and above a composition problem. So a composer could writesomething that wasnt 32 bars. But as soon as he let someone take a solo on it, it would become metrical, a, 8 barsystem or what have you.[25]

    Bley arbeitete an der von Konventionen und Symmetrien befreiten Improvisationsform. Das geht zurck auf dieErkenntnisse, die er aus der Begegnung mit Ornette Coleman zog. Bley erleutert sehr detailliert seineNeuorientierung in folgender uerung: ...dont forget Ornette took on rhythmically the loosening up of thedominance of the single meter beat so that youd have multirhythms happening. Or something that wasnt evenconsidered rhythm, just slower or faster than the beat. That type of rhythmic suppleness was unheard of prior tohim. For me, it was a question of techniques. I could play on simple triads, I could play modally, now - could I play free?It was a question of stretching your consciousness, to allow yourself to be fearless in the fact that you could get backcorrectly. Could you go to a place that had relevance to the history of jazz? You could always sit down and rumblearound on an instrument but would it mean something to a perspective based on say, King Oliver? As well as whoelse was around the scene. These were techniques so I didnt hold one style over another. I didnt have somethingto give up anything to acquire something. It was my specific interest in being able to weave a seamless threadthrough the history of jazz, involving any and all of what I thought were valid and future mainstream pursuits. So theability to recognize this music when it happened.[26]

    Erkennbar sind die Voraussetzungen fr einen fundierten Musiker. Zugespitzt formuliert, mu ein Knstler sich biszu seinem eigenen Stil durch die Epochen durcharbeiten, um als Metamorphose einer frheren Initialzndungerkannt und anerkannt zu werden. Er ist dann befhigt sich in einem anderen Metier oder Stil auf persnliche undprofessionelle Art mitzuteilen. Nicht zu verwechseln mit einer profillosen Chamleonhaftigkeit, wo nur das Handwerkperfekt ausgefhrt wird.

    Gary Peacock uert sich zu Bleys Entwicklung: Paul had and still does a tremendous musical history in terms ofunderstanding playing harmonies playing through changes and all that stuff. He finished that... ...he always had a deepsense of musicality. He is simply not controlled by the necessity to have a particular form or to play particularchords. He is free to play those if he wants when it comes up.[27]

    Bleys fundiertes Wissen und Knnen ber den Jazz bis 1960 erkannte auch George Russell, als er ihn in Lennoxspielen hrte. Wenige Wochen nach Bleys Ankunft lud Russell ihn zu einer Plattensession ein, wo es zu einerBegegnung mit Bill Evans kam. Russell komponierte fr ein kleines Orchester und zwei Pianisten dreifragmentarische Stcke und ein ca. 10-mintiges Werk The Lydiot. Bei dem dreigeteilten Titel Chromatic UniversePart I - III lt Russell die Pianisten ber verschiedene brodelnde Rhythmus-patterns (im 7/4 Takt) einenmusikalischen Dialog spielen. Der Ba spielt eine jeweils festgelegte Phrase, die Tonalitt und Form umreien, unddie Pianisten improvisieren frei von formalen und harmonischen Zwngen. Das fr Bill Evans untypische offeneKonzept gelingt beiden Spielern ausnahmslos. Als gemeinsames Hintergrundwissen wird die Tristano Schule undnatrlich das Lydian Chromatic Concept of Tonal Organization for Improvisation von George Russell herangezogen.

    1960 spielte Paul Bley kurze Zeit mit Mingus zusammen, dokumentiert auf den Platten Pre-bird und Mingus. Beidem Stck Lock Em Up spielt Bley bei einem schnellen Blues (Halbe = 176) ein Solo. Teilweise begleitet durch dieRhythmusgruppe geht Bley harmonisch und vor allem rhythmisch sehr eigene Wege. Bei dem Stck WeirdNightmare ist eine Sngerin zu hren und Paul Bley spielt bei einigen Stellen mit einer Hand die Saiten abdmpfendeperkussive Klnge. Bei Eclipse ist ein unbegleitetes Solo zu hren, bei dem Bleys eigentlicher Klavierstil ganz dem, inder Mingus und Ellington Tradition stehenden Stil weicht. Bei seinem Solo in Take the A-Train bringt die linke HandReferenzen an Ellington wobei die Melodien der rechten Hand eine Mischung aus Tradition und Avantgardeaufweisen. Die Einflsse von Monk und Ellington kommen bei dieser Art eckigem Klavierspiel besonders gut heraus.Der Umgang mit den spannungsreichen Pausen, der die beiden genannten Pianisten leicht identifizierbar macht, hatauch bei Bley einiges bewirkt.

    Das letzte grere Ereignis des ersten Jahres in New York ist das Zusammentreffen von Jimmy Giuffre mit dem

  • Duo Bley/Swallow. Giuffre kannte Bley aus Lennox, war dem New Thing aufgeschlossen und hatte seit einiger Zeitnicht mehr mit seinem Trio (Jim Hall und Bob Brookmeyer) gearbeitet. Er hat neue Stcke komponiert, diewomglich schon auf die Mitwirkung von Bley zugeschnitten waren. Experimente mit 12-Ton-Reihen und Anleihen anden Komponierstil von Schnberg und Webern setzen den dazugehrigen Improvisationsstil voraus um als Einheit zuwirken. Die naheliegende Entscheidung war, sich mit Paul Bley zusammenzutun. Swallow sagt ber Bley und seineBeschftigung mit zeitgenssischer klassischer Musik: ...Carla and Paul... ...we were also listening to classical music.All he wanted to do is to absorb the vocabulary of the music with his ear in order to be able to use it in his instantcomposing... ...he has an excellent ear.[28]

    Als das Trio sich zusammenfand wurde ausgiebig geprobt. Bley war kein besonders guter Vom-Blatt-Spieler und dieMusik von Giuffre war extrem schwierig. Eine feste Gruppe wurde gegrndet, die sich eingehend ber das Gedankenmachte, was nach dem Spielen eines abstrakten Themas bei der Improvisation zu geschehen habe. Swallow: ...so wespent a lot of time learning these tunes... ...50% talk... ...more than usual... ...cause we were really unsure where weare going... ...there is a metapher... ...a train that lays his own track... ...that was what the Trio was.[29]NochmalSwallow: ...asking such questions as: How can we play at a given rate of speed, but without fixed tempo? For howlong is it possible to improvise without reference to a tonic pitch? Whats the longest unbroken melody we can play?We developed in rehearsal methods of improvising together that honored the particular piece we were playing andwere specific to that piece. We would stop mid-song to question some aspect of what we were doing.[30] ZweiCarla Bley Kompositionen sind auf der ersten Plattenaufnahme des Trios vom 27.1.61 und dem 1.3.61 zu hren, diewie Giuffre sagt: Besides being lovely in themselves, they open new vistas for us to extemporize upon.[31]

    Ein breites Repertoire von Stcken fliet zusammen mit einer stilistisch einheitlichen Spielweise des Trios. BleysIntention zu einem freieren Improvisationskonzept zu gelangen, stt auf offene Ohren. Auch wenn der Leader desTrios Giuffre ist, sind die Einflsse von Ornette Coleman via Paul Bley immanent. Ohne Schlagzeuger zu spielen, gibtjedem Spieler die rhythmische Verantwortung fr das eigene Spiel. Diese Neuerung wurde nicht von Coleman,sondern von Giuffre in die Band gebracht. Seine Trios der 50er Jahre bestanden aus Saxophon/Klarinette, Gitarreund Ba und spter eine Ventilposaune anstelle des Basses. Diese Gruppen hatten sehr deutlich Groove-bezogengespielt. Es sollte versucht werden durch subtilere Spielweisen den Intensittslevel einer SchlagzeugbesetzenGruppe beizubehalten und auf leiserem Niveau neuere Dimensionen des Zusammenspiels zu entdecken. ManfredEicher von ECM nennt das: power can come from a quiet place. Das Trio mit Bley und Swallow wirkte sicheinflureich auf den ECM Sound aus. In den 90er Jahren wiederverffentlichte ECM zwei der Giuffre Trio-Platten von1961.

    Nachdem das Trio bei Verve noch eine Platte einspielte (August 1961), ging es auf ausgedehnte Europatournee. Inden USA und speziell bei der Plattenfirma Verve, stie die Musik auf Migunst. Klub-Betreiber wollten den altenSound des Trios haben und es kam sogar vor, da Konzert-Engagements frhzeitig abgebrochen werden muten. InEuropa wurde teilweise in Slen gespielt, und die Aufnahmen, die davon erhltlich sind, dokumentieren die grereAkzeptanz, die der Gruppe entgegengebracht wurde. Das kompositorische Material bestand ausschlielich aus denbereits aufgenommenen Stcken. Eine Suite, die Giuffre extra fr die Deutschland Tournee komponiert hatte,kompletierte das Repertoire. Zu 90% auskomponiert, ist der Neue Musik-Einflu deutlich erkennbar, aber gleichzeitigbesitzt das Werk improvisatorischen Gestus. Der improvisierte Teil des Stckes ist nur schwer auszumachen, da dieMusiker mit der freitonalen Spache souvern umzugehen verstehen. Die Strukturen der Improvisationen ...wasalways open. Exept when we played standards. Than we reconstructed standards.[32]

    Als einzigen Standard hatte das Trio Goodbye von Gordon Jenkins im Repertoire. Ein Stck, welches BennyGoodman als Abschlunummer spielte und in der Interpretation des Giuffre-Trios eine melancholisch, zerbrechlicheSchnheit ausstrahlte. Die Melodie wird teilweise vom Ba gespielt und die harmonischen Erweiterungen Bleysweisen auf, die fr das Standardspiel neuen Interpretationsmglichkeiten, hin. Auf der einen Seite gibt es diedurchkomponierten Themen von Giuffre und Carla Bley, die in Tempo und Intensitt Variationen unterworfen sind.Demgegenber, die quasi improvisatorische Auffassung der Interpretaion von Material aus dem Broadway-Repertoire.

    Diese Art der Interpretationsmglichkeiten wurde von Bley und Swallow in der sporadischen Zusammenarbeit mitDon Ellis dokumentiert. Die am 20. und 21. April 1961 aufgenommene Platte wurde erst sehr viel spterverffentlicht, dokumentiert aber das Standardspiel, welches Bley und Swallow Anfang der 60er Jahre praktizierthaben. Verglichen mit Aufnahmen des gleichen Jahres des Bill Evans Trios (mit LaFaro und Motian), ist einUnterschied der Auffassungsgabe deutlich auszumachen.

    Beim Evans Trio dominiert das melodische Ausspielen der Harmonien, mit bezug zur Tradition von Bud Powell undHorace Silver. Der Schlagzeuger spielt einen konstanten Rhythmus, der dynamisch so differenziert ist, da dieMelodien von Klavier und Ba deutlich zum tragen kommen. Reine Begleitfunktion erfllt er dennoch nicht. DerUnterschied zu den Schlagzeugern der 40er und 50er Jahre ist der beim Spielen implizierte melodische Bogen, derdas Schlagzeug vom Perkussionsinstrument zum Melodieinstrument werden lt. Der Ba erfllt nur teilweise dietraditionelle walking-Funktion und geht kontrapunktisch auf das Spiel Evans ein. Alles geschieht im Bereich der aufder Bebop-Tradition beruhenden Spielweise ber tonleitereigende Akkorde und deren chromatisch erweitertenTonvorrates. Es handelt sich auch hier um ein kontrapunktisches Spielkonzept, allerdings ist der Einflu derdamaligen Avantgarde nicht erkennbar. Interpretationsweisen die Evans bald darauf in eine Sackgasse geratenlieen, da das Moment der berraschung einem stilistischen Klischee Platz machte. Die Spielintensitt undEntdeckungsfreudigkeit und Risikobereitschaft gab es 1967 bei einem einmaligen Zusammentreffen mit JackdeJohnette (Schlagzeug) und Ende der 70er Jahre im Trio mit Marc Johnson (Ba) und Joe LaBarbera

  • (Schlagzeug). Ansonsten war das Trio in den 60er und 70er Jahren eher dem Mainstream zuzuschreiben, dierichtungsweisenden Klaviertrios dieser Zeit wurden die von Paul Bley, Keith Jarrett und Chick Corea.

    Bei den Interpretationen von Standards erweitert Bley hingegen zum einen die rhythmischen Mglichkeiten durchein flexibles, teilweise keinen zum Grundmetrum erkennbaren Bezug des Spiels der rechten Hand. Eine Artrhythmisches auf- und abschwellen, welches allerdings nie den Bezug zum Grundmetrum verliert. Spannung undEntspannung durch mannigfaltige Plazierungen der einzelnen Noten. Und das bereits Erwhnte, Spontaneerfhlen/erhren von zustzlichen Harmonien, die die Ursprungstonaltitt verlassen. Kombiniert mit Melodien, diesich durch innere Folgerichtigkeit auszeichnen, aber ebenfalls stark aus dem vorgegebenen Harmonischen Rahmenherausfallen. All dies ist der starke Einflu Ornette Colemans.

    Das Sprengen der Form beim freien Spiel, geschieht beim Standardspiel auf der Don Ellis Platte nicht. Dies scheintDon Ellis zuzuschreiben zu sein, 1963 geht Bley mit den AABA-Formen (und deren Variationsformen) schonbedeutend offener um und nach Aussage Swallows hat Bley schon Ende der 50er Jahre die Formteile intuitivumgruppiert.

    Die Tradition des Pianisten ist es, harmonisch eindeutig zu spielen. Bei Ornette Coleman ist die Rolle des Pianistenneu definiert worden. Harmonische Leerformen bentigen auch entsprechende Begleitung (oder gerade nicht) desPianisten. Paul Bley nhert das Standardspielen dieser Leerformen an, welche beim Interpretationsvorgang jeweilsaufgefllt bzw. unvorhergesehende Wendungen nehmen. Dennoch wird von einem Interpretationsvorganggesprochen, der die in den Kompositionen enthaltenen Mglichkeiten offenlegt und scheinbar ohne das Wissen desUrhebers auch schon intendiert waren.

    Diese mystische Flexibilit des Tin Pan Alley-Material aus den 20er bis 50er Jahren macht es mglich denInterpreten gleichzeitig als dienenden und neuesschaffenden Musiker erscheinen zu lassen. Richie Beirach uertsich sinngem, da je einfacher die Struktur des Stckes, desto verschiedenartigere Variationsmglichkeiten seinerBearbeitung sich ihm anbieten. Kompositionen von zum Beispiel Wayne Shorter, Horace Silver oder Keith Jarrett werden meistens nur vom Komponisten selbst aufgenommen, und Interpretationsversuche anderer Interpretenwirken oft wie Kopien des Originals. Ausnahmen sind Komponisten wie Thelonious Monk und Duke Ellington, die,obwohl mit ihrer Musik identifiziert, auch anderen Interpreten gengend Freiraum lassen, um die eigenen Facettenihres Spiels deutlich werden zu lassen.

    Der Bruch mit Harmonien, Tonalitt und Form bei Coleman und dem Giuffre Trio nhert sich dem Extrem, wozustzlich der Rhythmus gnzlich aufgehoben wird und teilweise auf Kompositionsvorlagen ganz verzichtet werden:Die Platte Free Fall, aufgenommen am 10.10.1962, bei dem Columbia-Label. Hier spielt das Giuffre Trio nur bei dreivon zehn Stcken in voller Besetzung. Es gibt Klarinettensolos und Duos von Klarinette und Ba (1961 beim Don EllisAlbum existieren auch einige Solos und Duos). Bleys Spielweise erreicht, den bis dahin tonalittsbezogenabstraktesten Grad. Den Akt des Improvisierens ohne thematische Vorgaben gibt es allerdings nur bei den Soli undDuos ohne Bley.

    Der Verzicht auf thematisches Material als Improvisationsgrundlage im Kontext der jazzgeschichtlichenEntwicklung ist erstmalig (berhmte Ausnahme: die Stcke Intuition und Digression vom Lennie Tristano Quintett ausdem Jahr 1949). Selbst die Kollektivimprovisation Ornette Coleman auf der Platte Free Jazz verwendetthematisches Material. Die radikale Musizierhaltung des Giuffre Trios (der sonst so noch alles vershnliche Grooveist auch verschwunden) lt die Gruppe kaum ein Publikum, geschweige denn Veranstalter, fr Konzerte gewinnen.Steve Swallow sagt: ...we began a residency in a coffee house on Bleeker Street, playing for whatever money wascollected at the door. We disbanded on a night we each made 35 cents.[33] Bley und Swallow wurden kurzfristigdurch Barre Phillips (Ba) und Don Friedman (Klavier) ersetzt, aber Giuffre gab das Konzept bald auf und widmetesich eingehender seiner Lehrttigkeit.

    Bley und Swallow hingegen grndeten mit Pete LaRoca ein Trio und spielten 1962 und 1963 ein fr dasKlaviertriospiel bahnbrechendes Album ein: Footloose fr Savoy aufgenommen. Bleys Einflu auf Keith Jarrett wirddeutlich in folgendem Zitat: A record Ive listened to a thousand times is Footloose by Paul Bley.[34] Diefreiheitliche Musizierhaltung des Trios ist als Weiterentwicklung des Bill Evans Triokonzeptes zu sehen. Dasthematische Material besteht aus Kompositionen von Paul und Carla Bley und einem Blues von Ornette Coleman,das heit die Improvisationsformen sind offen angeleget, gem Bleys Aussage I was interested in liberating usfrom barlines and chorus lenghts, and in liberating the harmony of the trio and the open palette of the solo. The soloin the middle of the written music was wide open from A to Z.[35]

    Das rhythmisch offene Konzept des Giuffre Trios bertrug Bley noch nicht auf das Klaviertrio. Er sah dieMglichkeiten noch nicht ausgeschpft, auerdem gab es zu diesem Zeitpunkt noch keinen Schlagzeuger, der dieAufgabe eines metrumfreien Farbentrommlers erfllen knnte. Bley sieht die Rolle der Bassisten like Mingus andSteve Swallow, youre talking about bass players that perform a rhythmic function. But when you talk about ScottieLaFaro and Gary Peacock, it gets a little more interesting. Youre talking about bass players literally playing a linear,melodic part.[36]

    Bley lernte Gary Peacock Ende der 50er Jahre noch in L.A. kennen. Die erste Begegnung auf Schallplatte fand imJuli 1962 in L.A. statt. Ein Quartett-Projekt von Don Ellis mit Eigenkompositionen und Standards. Die Kompositionensind teilweise sehr schwierig. In Bezug zur Probenarbeit mit Bley erinnert sich Peacock, da bei dieser Band eineinziges mal geprobt wurde.[37]

    Anfang der 60er Jahre hat Bley, nachdem er viele Standards auswendig kannte, das Giuffre Material zeitintensiv

  • geprobt hatte und die Kompositionen von Carla Bley und Ornette Coleman auch in- und auswendig kannte, den Restseines Lebens so gut wie keine neuen Kompositionen in sein Repertoire aufgenommen. Einerseits weil er keineProbenarbeit zulassen wollte, andererseits, weil er nicht mit Notenmaterial umgehen wollte. Ein Notenblatt, das istdoch im wahrsten Sinne eine Trennwand zwischen dir und dem Publikum. Es hlt dich ab vom eigentlichen zentralenPunkt des Spiels: sozusagen deinen Sound vom Podium ins Publikum zu werfen. Aber gewi nicht mit der Nase aufdem Papier. Das sind Gewohnheiten, die man aus Grnden der Zweckmigkeit aufgegeben hat. Was dann, wennman per Bahn und Flugzeug von Auftritt zu Auftritt eilt und die Noten liegen gelassen hat? Wenn man Notenbraucht, dann hat man ein Problem, wenns gar keine gibt, dann ist man frei... .[38] Bei dem Trio Projekt von DonEllis wurden nur Standards gespielt (wo kein Notenmaterial bentigt wurde).

    1963 kam es zur Begegnung von Paul Motian und Gary Peacock mit Paul Bley. Zum ersten mal wurde mitStandards auf sehr offene Art umgegangen und das Klaviertrio-Format in seinen Mglichleiten ausgelotet. Bei derImprovisation ber I cant get started wird auf der Plattenhlle der Originaltitel nicht verwendet. Da weder dieMelodie auftaucht, noch die Form AABA beibehalten wird und die Harmonien stark variieren, gibt Bley diesem Stckden Titel Getting Started (Transkription). Die Tradition der Umbenennung von Standards gibt es sptestens seit derBebop-ra, wo neue Melodien ber Standard-Harmonien komponiert wurden. Der Musiker konnte die Urheberrechteund den damit verbundenen finanziellen Zuschu fr sich in Anspruch nehmen. Musiker wie Lennie Tristano, LeeKonitz, Charles Mingus, Charlie Parker u.a. haben sich dieser Art der Standard Interpretation gewidmet. Neu bei Bleyist, da keine vorher auskomponierte Melodie verwendet wird, sondern beim gesamten Stck improvisiert wird. Einanderer Meister dieser Art ist Lee Konitz. Der Begriff fr diesen Umgang mit Standards ist instant arranging -augenblickliche Bearbeitung.

    Im Jahre 1963 wurde der Free Jazz zu einem in New York umsichgeifenden Phnomen, das etlicheInstrumentalisten hervorbrachte, die frei von Harmonien, Form und teilweise auch schon Rhythmus spielten.Allerdings besaen nicht alle das ntige Fundament um das freie Spielen als Ausdrucksform ihrer Wahl erscheinenzu lassen. In dieser revolutionren Zeit war der Bezug zur Tradition eher verpnt. Sehr viel spter nderte sich dieSituation und Musiker wie Archie Shepp, Pharoah Sanders, Sunny Murray u.a. widmeten sich der Tradition.Referenzen an den Blues, Gospel, Thelonious Monk und auch an das Tin Pan Alley-Material sind neue Bezugspunktegeworden.

    Der Saxophonist Sonny Rollins hat Anfang der 60er Jahre mit Musikern aus dem Ornette Coleman-Kreiszusammengespielt und einige Ideen der jngeren Generation in sein Spiel bernommen. Bei der Suche nach einemPianisten ergab sich fr Bley die Mglichkeit ein Jahr lang mit Rollins Standards zu spielen. Er sagt ber diese Zeit:...and it was an incredible experience in terms of strength and endurance. Now, if Ive ever played anything, from thebeginning of the first time I ever played to last night, I can play that again if I choose to, and for as long as necessary. Ideveloped this capacity for endurance out of pain, playing with Sonny Rollins, and it has stood me in good stead.[39]

    Ein Treffen der Generationen ist die Platte Sonny meets Hawk, wo durch die stilistischen Kontraste von Rollins,Coleman Hawkins und Paul Bley eine besondere Art der Spannung entsteht. Klar erkennbar bei allen Spielern ist derBezug und das Wissen zur Tradition. Bei dem berhmten Solo von Bley ber All the things you are (Transkription)wird deutlich wie klar sein Personalstil ausgereift ist. Eine traditionell agierende Rhythmusgruppe liefert den Teppichfr einen Flug ber die Harmonien. ...where no one would know what the standard was exept the bass player, who, ifhe heard the bottom note of the chord the pianist was playing, would agree he was in the right place, but by listeningreal hard could superimpose on top of the harmony, the standard, a totalfreedom.[40]

    3.5 1963 1969 Mr Joy

    Bleys Ideen, und die vieler anderer Avantgardemusiker, brachten unbewut eine Neudefinierung derRhythmusgruppenttigkeit in Bewegung: sie anzugleichen an den Stil der Solisten. Den Schlagzeuger von der Rolledes Timekeepers zu befreien. Die Situationen ohne Schlagzeug ergaben bereits Aufschlu ber die mgliche Rolledes Trommlers. Wenn es mglich ist, ohne ein festes Tempo Melodien zu spielen, miteinander zu improvisieren,dann mu der Zeitpunkt der musikalischen Idee whrend ihrer Entwicklung frei gewhlt werden knnen. Ohne sichauf den vorhersagbaren Rhythmus zu beziehen, der die Plazierung der Noten automatisch in Relation setzt.

    Aus der sich zunehmend verbreitenden powerplay-Szene gingen Schlagzeuger wie Sunny Murray und MilfordGraves hervor. In der Band von Gary Peacock wurde Bleys Stil mit dem von Albert Ayler und Sunny Murraykonfrontiert. In dieser Zeit (1964) grndete sich auch die Jazz Composers Guild mit Bley als Mitinitiator. Einegrere Gruppe von Musikern arbeitete an neuen Mglichkeiten, die die Komposition und Improvisation bietenknnten.

    Ein Aspekt dieser Arbeit krisallisierte sich bei Bley heraus: das Musikmachen noch mehr auf die Improvisationenauszurichten. Diese berschritten in ihrer Dauer die bisherigen Grenzen. Vor allem sind die Improvisationsteile nichtmehr formal oder harmonisch gebunden, sondern entwickeln sich beim Spielen. Die Instrumentation fr dieseSpielideen wurde bei Bley wieder das Klaviertrio. Als Ausgangsmaterial dienten immer noch Kompositionen von CarlaBley, Ornette Coleman und neuerdings auch von Annette Peacock.

  • Zwischen 1964 und 1969 entwickelte sich Bleys Trio Konzept zu einem eigenstndigen, in-sich-geschlossenenMusikstil. Die Aufgabe der formalen Zwnge entwickelte sich aus den Ideen Ornette Colemans. DasThemenausgangsmaterial wurde manchmal auf nur wenige Takte begrenzt, soda die Improvisation 99% desStckes ausmachte und kaum noch Bezug zur Komposition haben mute. Die Improvisation selber wurde zureigentlichen Komposition. If you just play it there is nothing to lose. Cause youre playing it. There is no pencil thereis no paper, there is nothing to interfere with the process of realizing the tune. So the next time you get on the pianowrite one as you play. Doesnt have to be exactly the same on the outchorus if youre gonna have an A to Zphilosophy about improvising, then why would you wanna have Z B A. There is nowhere in stone as to say: A has tofollow Z. How about just A to Z. Forget about A, cause when its over its over. Give up A please. The audience wouldlove it if you gave it up.[41]

    Das Problem der Realisation des instant composing bei Konzerten und Plattenaufnahmen lag in den 60er Jahrenimmer noch an den Produzenten und dem Publikum: die Plattenindustrie brauchte noch den Bezug zumtraditionelleren Thema-Variations Konzept. Und das Publikum wird von den Medien manipuliert - es war noch nichtvllig offen fr die Entscheidungen des Knstlers. ...most of the recordings that are available from the 50s on thatso called free music or avant garde mostly wouldnt put them out if there wasnt something... ...so the CDs that areavailable now from that period have to be understood in terms of social and cultural demands. Which allowed atleast the music to be played. In music and art there is always gonna be a certain population of people who are goingto support a given genre or mode of expression. Its just a number of people and the size of the population that cansupport that by coming out and listen to or buying the CDs.[42]

    Der Bruch mit den Normen in den 60er Jahren geschah allerdings so drastisch, da das Publikum und dieKnstler ein groes Selbstbewutsein entwickelten und sich politisch und kulturell zu neuen Ufern bewegten. EinigeBeispiele, wie das Aufkommen der Flower Power-Zeit und die damit verbundene Befreiung von gesellschaftlichenZwngen, zeigen wie sehr die Angst vor dem Moment dem Vertrauen in das Jetzt gewichen ist. Die brgerlichenKonventionen wichen Selbstvertrauen und Selbstbestimmung im Umgang mit Menschen, Drogen, Musik, BildeneKunst, Kleidung, Politik etc.

    Die Studentenunruhen in den USA ab 1965 gegen die militrische Kriegsbeteiligung im Vietnamkrieg weisen aufAktion und Mitbestimmung des Brgers hin. Auch wenn die USA die militrischen Aktionen 1968 wie Richard Nixonversprochen hatten noch nicht beendeten, gab es einige auenpolitische Vernderungen gegenber denkommunistischen Gromchten. Nixon und Henry Kissinger waren fr diese Entspannungsbemhungenverantwortlich. Seit 1973 ist der Militrdienst in den USA freiwillig, die 60er Jahre entwickelten das Energiepotentialfr die darauffolgenden Jahrzehnte bis hin zu den Abrstungsverhandlungen und den weltweiten ffnungen in den90er Jahren.

    Die Befreiungsbemhungen der afroamerikanischen Staatsbrger spiegelt sich in der Black Power-Bewegung der60er Jahre wieder. Ob mit oder ohne Gewalt, da Volk in den USA versuchte die Miverhltnisse aufzudecken und zundern. Diskriminierungen sind allerdings bis zum heutigen Tag, auch weltweit, nicht wegzudenken. In den 60erJahren bewegte sich die Kunst-Szene hin zu provokativeren Ausdrucksformen und Vernderungen. Paul Bley wendetsich vorbergehend der elektronischen Musik zu (1969/70).

    Seine Klaviertrios in den 60er Jahren allerdings kommen mit einem stilleren Gestus aus, als die Revolutionen umihn herum annehmen lassen. Er besinnt sich auf die Gesanglichkeit des Klavierspielens, auf sensibles und interaktivesAustauschen von musikalischen Gedanken. Im Vergleich mit dem afroamerikanischen Sturm um ihn herum lt sichseine Musik mehr dem europischen Klangidealen zuordnen, als den spezifischen Jazz-Kriterien in Hinblick auf Klang,Rhythmus und Dynamik. Seine Musik scheint intellektualisiert und verhaltener.

    Als Ausgangspunkt die Bebop-Tradition und die Neuerungen Colemans verwendend entwickelten sich die Stile vonJohn Coltrane, Miles Davis, Ornette Coleman, Eric Dolphy und Charles Mingus zu energetischen Spielauffassungen.Diese Energie ist auch bei Cecil Taylor, Archie Shepp, Albert Ayler und dem Musikerpool um Muhal Richard Abramsin Chicago zu finden. Energie, da heit nicht unbedingt Zorn und Protest. Parallel und sich teilweise berschneidentbildeten Paul Bley, Ran Blake, Michael Mantler, Chick Corea, Herbie Hancock, Lee Konitz, Charlie Haden, DennyZeitlin u.a. einen Musizierstil, der sich vor allem von den Neuerungen Lennie Tristanos Ende der 40er Jahrebeeinfluen lie und sich eingehend mit dem Spiel von Standards beschftigt.

    Dokumentiert sind die mannigfaltigen musikalischen Ereignisse der 60er Jahre auf unzhligen Aufnahmen, dieneben den althergebrachten Stilen vor allem das Neue prsentierten. John Coltrane, Miles Davis und Charles Lloydwaren die erfolgreichsten Vertreter der Avantgarde-Szene, wobei deren Spiel sich noch in traditionelleren Bahnenbewegte. Der Untergrund mit Musikern wie Ayler, Taylor, Bley etc. kmpfte finanziell teilweise ums berleben. UmMusik dieser Knstler dokumentieren zu knnen, grndeten sich Eigeninitiativen. Das Label ESP hat einen groenKatalog von Musik, die kommerziell vllig unverwertbar erscheint. Paul Bley nahm bei diesem Label zwei Platten auf.Die restlichen, wenigen, zwischen 1964 und 1969 entstandenen Aufnahmen wurden teilweise erst spterverffentlicht.

    Die Musiker, welche mit Bley spielten, waren auf einige wenige beschrnkt. Der Schlagzeuger Barry Altschul spieltemit Bley zwischen 1965 und 1968 bei fast allen Konzerten die das Trio gab. Die Bassisten waren Steve Swallow,Gary Peacock und vor allem Mark Levinson, der in den 90er Jahren bekannt werden sollte als Tonmeister mit einereigenen direct to two mikes-Aufnahmephilosophie, die aus den 40er und 50er Jahren herrhrt.

    In Seattle entstand 1968 das Paul Bley-Album Mr Joy mit Gary Peacock am Ba und Billy Elgart am Schlagzeug.Das seit 1963 unverndert gebliebene Material klingt kompakt dargeboten, stilistisch einheitlich und wie der Titel

  • andeuted, sehr frhlich. Das rhythmische Element kommt verstrkt zum Einsatz. Gerade das Umspielen der time unddie damit verbundene Spannung und Entspannung, macht den Reiz des Klaviertrios oder einer vergleichbarenBesetzung aus. Das gnzlich vom Metrum befreite Spiel mit einem Schlagzeuger, lt diesen tatschlich nur zumKlangfarben und Melodien spielenden Musiker werden. Das jazzspezifische Element Rhythmus geht verloren. (Mr Joyist eines der Alben, welches Richie Beirach beeinflut hat.[43] Die Linie Beirach-Bley lt sich zurckverfolgen, weilbeide Pianisten bei Lennie Tristano Unterricht hatten.)

    Das metrumfreie Balladenspiel im Klaviertrio gelangte zu einem Hhepunkt bei der 1967 entstandenenAufnahme von Virtuosi mit Peacock und Altschul. Deutlich zeigt sich die Tendenz zur Langsamkeit, dem Spiel mitlangen musikalischen Bgen und weniger Aktion, Dissonanzen und Konsonanzen als spannungssteuerndes Element.ber die Zeit zwischen dem Bebop-Spielen und dem verlangsamten Denken/Fhlen sagt Bley: I was interested inpreparing a double ballad album - one piece per side on a four-sided album. I had a great deal of trouble doing it atthe time, but it led me to a sort of ballad decade. There was a period that I worked to get as slow as I could. Finally,when I could play slowly for as long as I wanted or as short as I wanted, by that time I think the soup god enoughspice and I thought I should just start performing.[44] Dies bezieht sich einerseits auf das in zwei Hlften geteilteBalladen Album (Virtuosi bei I.A.I. und Ballads bei ECM, welche erst in den 70er Jahren verffentlicht wurden),andererseits auf die Zeit von 1964 bis 1967. Nachdem die Aufnahmen fertig waren und Bley die Herausforderunggemeistert hatte, begab er sich gem seiner Philosophie ihm unbekannte Dinge zu erforschen auf die Suche nachrhythmischeren und ab 1969 elektronischen Variantionsmglichkeiten des Klaviertriospiel.

    3.6 1969 1974 Open to Love

    1969 entdeckte Bley als einer der ersten Musiker den Synthesizer fr die improvisierte Musik. Immer auf der Suchenach Neuem erzhlte ihm Don Heckmann von den Instrumenten, die Robert Moog baute.[45] Noch im gleichen Jahrprsentierte Bley die erste Live-Performance eines Synthesizers in New York. Zusammen mit seiner damaligen FrauAnnette Peacock grndete er die Bley/Peacock Synthesizer Show, eine Gruppe, die mit wechselnden Bassisten undSchlagzeugern bis 1973 bestand. Die erste Platte von 1969, Revenge: The Bigger The Love, The Greater The Hateprsentierte neue Kompositionen (von Annette Peacock), den Einsatz von Synthesizern in Verbindung mit derStimme Annette Peacocks und Groove-orientiertes Spiel der Rhythmusgruppe.

    1970/71 folgte ein Trio-Album Bleys, bei dem er u.a. den ARP-Synthesizer einsetzt. Es wird die Waage gehaltenzwischen rockigen Grooves und freiem Balladenspiel mit stark klangorientiertem Charakter. Bei zwei Stcken benutztBley nur das Klavier. Die augenscheinlichste Eigenart der frhen Synthesizer war, da der Ton dynamisch auf einemNiveau bleibt. Es ergibt sich der Effekt des statisch ausgehaltenen Tons beliebiger Lnge. Phrasierungen sind schwererkennbar. Bei den langsamen Stcken setzt Bley vor allem verzerrte und glissandierende Klnge ein, den Eindruckeiner aus dem Lot geratenen Sngerin erreichend. Die meisten Melodien sind auerdem einstimmig gehalten. DieMusik, die ich machen mchte, soll klar und durchsichtig sein, einfach - man soll sie durchschauen knnen. Sie sollnicht zu dicht und komplex sein. Wissen Sie, ich spiele gerne Linien, die meine Kollegen, mein Bassist oderSchlagzeuger, genau verfolgen knnen. Ich stehe nicht so auf den berwltigenden Klang.[46]

    Der klischeehafte, weichsplende Klangmischmasch bleibt aus. Gezielt eingesetzt und durch die dynamischePrsenz hat der Synthesizer das Durchsetzungsvermgen eines Blsers. Auf die Frage, ob es durch den Synthesizerund seinen Klang eine Revolution im Jazz geben wird antwortet Bley: Es wird ihn weiterfhren. ...elektrischverstrken heit nicht automatisch lauter werden.[47] Zum Zeitpunkt dieser Aussage (1970) war Bley noch zweiJahre entfernt von seiner Rckkehr zum akustischen Spiel. Die Begeisterung fr die Mglichkeiten legten sich rasch,da er erkannte, da nur der parallele Gebrauch von elektronischen und akustischen Instrumenten befriedigendwirken kann. Aber: ...specifically about the silences, I spend some playing synthesizer, and synthesizer, you touch anote and even go out and have a coffee, its still playing when you come back, you know. So you come to the pianoafter a year or two of playing synthesizer, you say Oh, what happened to the music? I touched the note and thisgoing baaah, its gone, you know. ...so you wont tolerate this. I have to keep working, I have to keep pushing notesbecause this instrument disappears as you touch it.[48]

    Bley wollte die langen Noten durch nahe Mikrofonierung des Flgels simulieren und gelangte so zu mehrAufmerksamkeit in bezug zum Obertonklang einer einzelnen Note. Aber vorerst arbeitete er mit den Mglichkeitendes Synthesizers und versuchte, einen eigenen Klang darauf zu finden. Da in der improvisierten Musik (Avantgarde)das Instrument selten eingesetzt wurde, gelangte Bley als erster zu einer geschichtlich unbelasteten, neuen undpersnlichen Ausdruckspalette.

    Ein Konzert in Rotterdam 1970 brachte Bley und Annette Peacock mit dem enfant terrible Han Benninkzusammen. (Anm.: Dieser spielte bereits seit einigen Jahren Schlagzeug in der Gruppe von Misha Mengelberg. DerInstant Composers Pool, eine Vereinigung von hollndischen Musikern, widmet sich einer extrem vom traditionellenJazz- Idiom gelsten Improvisationsweise. Aber Mengelberg und Bennink kennen die Tradition, sie spielten 1964 mitEric Dolphy und gelangten ab den 80er Jahren immer mehr zu den Wurzeln des Jazz zurck. Stcke von TheloniousMonk und Anleihen an die Swing-ra verbinden sich mit optisch sehr humoristisch anmutenden Performances sehreigenen Charakters.) Als kompositorisches Material wurden Stcke von Peacock in die freien, aus dem Stehgreifentstandenen Improvisationen miteingeflochten.

  • Bley lernte in dieser Zeit in Europa viele Musiker kennen, lebte auch teilweise dort. In wieweit dieeuropische/deutsche Free Jazz-Szene sein Spiel beeinflute, lt sich nicht eindeutig sagen. Die deutschen Musikerwaren teilweise mit der Tradition des Jazz wenig vertraut, hatten aber das instant composing-Spiel konsequentausgearbeitet und sich vor allem auf die klanglichen und energetischen Mglichkeiten konzentriert. Als Einflu galthier das Spiel von Albert Ayler, Cecil Taylor und anderen. Ein europischer Zornesausbruch stand demMusikestablishment, wie auch den gesellschaftlichen Normen gegenber.

    Das bereits erwhnte Phnomen der Langsamkeit und der Stille im Spiel von Paul Bley entwickelte sich einerseitsaus dem Ehrgeiz, einen Kontrast zum Bebop-Spiel zu finden, andererseits kommt die ab den 70er Jahreneintretende Stille von dem Auskosten der Klangentwicklung eines Klaviertons. Ein Plattenlabel, welches sich mitdiesen beiden Eigenschaften in den 70er Jahren identifizierte, ist ECM (European Contemporary Music). Einer derdrei Mitbegrnder dieser sthetik war neben Keith Jarrett und Chick Corea vor allem Paul Bley. Manfred Eicher, derProduzent und Grnder von ECM, war Bassist bevor er Anfang der 70er Jahre das Label grndete. Die spiel- undklangsthetischen Modelle fand er in dem Jimmy Giuffre Trio und in den Klavier-Trios Bleys. 1971 spielten Corea undJarrett ihre Soloalben ein.

    Als Bley am 11.9.72 in dem Studio in Oslo war, ergab sich das bereits geschilderte Experiment mit derMikrofonierung des Flgels. Seine erste Klaviersolo-Aufnahme erfllte einerseits die sthetischen VorstellungenEichers, andererseits kamen alle Ideen Bleys zur Verwirklichung. Kompositionen von Carla Bley und Annette Peacockwaren Sprungbretter fr in sich geschlossene freie Improvisationen, die den Themen folgte (oder auch vorranging:Ida Lupino (siehe Transkription)). Das Stck Started folgt nach genauerem Hinhren dem Grundgerst von I cantget started. Eine augenblickliche Bearbeitung eines Standards, die diesmal so weit abstrahiert wurde, da eigentlichnur noch Fragmente einiger Harmonien zu erkennen sind. Das Stck Harlem basiert auf dem zweitaktigenEinleitungspattern, welches Bley bei dem Stck I remember Harlem (von Roy Eldridge) verwendet, aufgenommen1958 auf Solemn Meditation. Bei den freien Improvisationen kommt der Einsatz von angezupften Saiten im Flgel zurAnwendung (Closer und Nothing Ever Was, Anyway. Siehe Transkriptionen). Diese Technik kommt vereinzelt bei1961 entstandenen Aufnahmen mit Jimmy Giuffre zum Einsatz. Beim Solospiel ist dieses leisere Ereignis natrlichdeutlicher wahrzunehmen und auch nach belieben einsetzbar.

    Das Aufnahmeverfahren im Arne Bendiksen-Studio in Oslo (unter Tonmeister Jan Erik Kongshaug, der spter fastalle weiteren Aufnahmen des Labels betreuen wird) ist von so professioneller Qualitt, da im Vergleich die frhenEinspielungen Bleys kaum den spezifischen Klang seines Spiels vermitteln konnten. Nun kommen, auch durch dieReife des Menschen Bley bedingt (er ist knapp 40 Jahre alt), Klnge zum Vorschein die von kristalliner und einfacherSchnheit sind (Bleys Konsum von Marihuana verlangsamte die Reaktionszeit/Wahrnehmung).

    Nur vier Wochen nach den in Oslo entstandenen Aufnahmen ging Bley mit Dave Holland und Barry Altschul insStudio und spielte ein weiteres Meisterwerk ein (Scorpio). Diesmal kamen Synthesizer, Fender Rhodes undakustisches Klavier in einer mit sich selbst kommunizierenden Art zum Einsatz. Die melodischen Linien auf demeinen Keyboard werden auf einem anderen fortgesetzt, als ob es drei Pianisten in der Band gbe. Gewichen ist dieZurckhaltung. Gespielt wird mit einer hrbaren Freude, einer Intensitt die auch durch den Bezug zum konstantenRhythmus geschrt wird.

    Ein anderes interessantes Phnomen ist zu beobachten: das stilistische Ausrichten auf das Image des jeweiligenPlattenlabels. ESP bevorzugte den Free Jazz, Milestone (Paul Bley Synthesizer Show und Scorpio) den Groove und beiECM ist die nordische Stille und Melancholie meistens die Vorgabe fr die aufnehmenden Knstler - stark vereinfachtausgedrckt. Blue Note steht fr afroamerikanischen Bebop/Hardbop und z.B. Steeplechase und Concord in den80er Jahren fr Mainstream. Paul Bley ist durch seine Flexibilitt in der Lage, den verschiedenen Ansprchengerecht zu werden, ohne seine Identitt zu verlieren, und wird auf all seinen Einspielungen leicht identifiziert.

    3.7 1974 1983 Fragments

    Das Jahr 1974 bringt einschneidene Vernderungen im privaten und knstlerischen Leben Paul Bleys. Seine neueLebensgefhrtin Carol Goss ist bildende Knstlerin und Video Artist im Speziellen. Beide grnden eine Firma, dieAudio- und Video-Aufnahmen produzieren (Improvising Artists Incoperation). Electricity leads to video. Our philosophyis improvising, per se. Improvise the picture just as you improvise the sound: Video synthesis.[49] Sie entwerfen dasPlatten-Layout, whlen die Knstler aus, die sie produzieren wollen und erheben das Credo von I.A.I. zu denAufnahmebedingungen, die im Studio oder im Konzert herrschen sollten. Die Vision vom mutimedialen Knstlerentsteht. Nicht nur der Hrsinn, sondern auch die Optik werden beim Konsumenten angesprochen. Mehr als 30Konzertproduktionen von Bild und Ton entstehen in den nchsten 10 Jahren. Dies sind die ersten Musikvideos,vergleichbar mit einigen Produktionen von MTV in den 90er Jahren. Nicht nur abgefilmte Konzerte, sondern inKlangqualitt und Kamerafhrung anspruchsvolle Kunstwerke, mit unter anderem elektronisch verfremdetenBildern.

    Die erste wichtige Produktion von (und mit) Paul Bley auf seinem eigenen Label ist Quiet song mit Jimmy Giuffre(Klarinette, Flte und Saxophon) und Bill Connors (Gitarre). In Soli, Duetten und Trios wird (bis auf eine Ausnahme,Goodbye von Gordon Jenkins) ausschlielich aus dem Moment heraus komponiert. Das allgemeine Klangbild istverhalten, kammermusikalisch und doch voller Intensitt. Frei von jeglichem musikalischen Beiwerk wird im

  • tonalen/modalen Rahmen kontrapunktisch improvisiert. Alle Stimmen sind gleichgewichtig, Melodien gehenineinander ber oder werden von einem anderen Instrument aufgegriffen und fortgesetzt. Der Klang des FenderRhodes (neben dem Flgel) wird sparsam eingesetzt, teilweise Bafunktionen