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TREFFPUNKT FORSCHUNG | 70 | © 2008 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.chiuz.de Chem. Unserer Zeit, 2008, 42, 66 – 71 NANOPARTIKEL | DNA-Kräne und -Baumaterial Die Natur benutzt die wohldefinierte Doppelhelixstruktur zur effizien- ten und erstaunlich fehlersicheren Informationsverarbeitung. Im Labor kann man dieses Prinzip allerdings auch auf den Kopf stellen und die Sequenzinformation der DNA so manipulieren, dass gewünschte Struktur- elemente und sogar mechanisch steuerbare Maschinenteile entstehen. Statische DNA-Konstrukte gibt es be- reits seit Anfang der 1990er Jahre, als Nadrian Seeman anfing,Würfel und andere geometrische Formen aus dem Erbmaterial aufzubauen. Doch jüngst kam Bewegung in dieses Ge- biet. Zunehmend nutzen Forscher nicht nur die starre Doppelhelix- struktur sondern auch die Beweglich- keit und Dynamik des DNA-Moleküls für immer neue Zwecke. Die Arbeitsgruppe von Hermann Gaub an der LMU in München ent- wickelte zum Beispiel auf der Grund- lage des Rasterkraftmikroskops (AFM) einen DNA-Kran, der moleku- lare Baumaterialien aus einem Lager aufgreifen und an einer Baustelle ab- setzen kann. Die Münchner Forscher demon- strierten ihren Kran mittels eines Flu- oreszenzfarbstoffs, dessen Bewegun- gen sich unter dem Mikroskop leicht verfolgen ließen. Die Farbstoff-Last war mit zwei verschiedenen DNA- Strängen gekoppelt, wobei der eine der Haftung an der Unterlage (durch Bindung des komplementären Ge- genstrangs), sowie der andere der Bindung an den AFM-Arm dient, wel- cher praktisch den beweglichen Arm des Krans darstellt. Beim Aufgreifen der Ladung machten die Forscher sich zunutze, dass die DNA-Doppelhelix durch Scherkräfte leicht aufgetrennt wer- den kann. Die Zugkraft des Krans wirkte quer zu der Achse der Helix, welche die Last am Boden hielt, und somit konnten sie diese leicht anhe- ben. Beim Absetzen der Last hin- gegen waren die Helices in gleicher Richtung orientiert, und die ge- wünschte Änderung wurde durch die verschiedene Länge – und damit Bindungsstärke – des Doppelstrangs erreicht [1]. Auf diese Weise schrieben die Forscher einen winzigen Buchstaben „M“ mit 400 fluoreszierenden Einzel- molekülen, wobei die Zielsteuerung mit einer Genauigkeit von etwa 10 Nanometern gelang.Wenn dieser Kran auf nanotechnologischen „Bau- stellen“ zum Einsatz kommt, kann man zur Lagerhaltung auf die bereits etablierte Technik der DNA-Arrays (oder DNA-Chips) zurückgreifen, an die man nahezu beliebige molekulare Bausteine koppeln kann. Während auf Gaubs Baustelle alles mit geordneter und von Menschen- hand gelenkter Bewegung abläuft, nutzten zwei andere Forscherteams die chaotische Molekularbewegung und dynamische Umordnung der DNA-Doppelstränge zur Ausbildung hochgradig organisierter Strukturen. Gleichzeitig, aber unabhängig voneinander, beschäftigten sich die Gruppen von Oleg Gang am Brook- haven National Laboratory im US- Bundesstaat New York [2] und von Chad Mirkin an der Northwestern University in Evanston [3], Illinois, mit dem bisher ungelösten Problem, Nanopartikel, etwa kolloidales Gold, mit Hilfe von programmierten DNA- Verbindungsstücken zu wohlgeord- neten dreidimensionalen Gittern zu arrangieren. Beide Teams benutzten Gold-Par- tikel und versahen jeweils die Hälfte der Teilchen (A) mit einer bestimm- ten DNA-Sequenz und die andere Hälfte (B) mit dem komplementären Gegenstrang.Auf diese Weise konn- ten A-Teilchen mit B-Teilchen Bindun- gen eingehen, aber keine der beiden Teilchenarten konnte sich an ihres- gleichen binden. Beide Arbeitsgruppen fanden übereinstimmend heraus, dass hohe Flexibilität der DNA-Anhängsel zu ge- ordneten Strukturen führte. So er- wies es sich als erforderlich, zwi- schen dem Nanoteilchen und der DNA-Sequenz, die den Doppelstrang bildete, ein flexibles Verbindungs- stück einzubauen. Überdies funktio- nierten die Experimente bei leichter Erwärmung besser, also unter Bedin- gungen, bei denen die DNA-Doppel- helix einem dynamischen Gleichge- wicht zwischen Auflösung und Neu- bildung unterliegt. Unter diesen günstigen Bedingun- gen fanden die US-Forscher,dass sich die mit beweglichen DNA-Armen aus- gestatteten Teilchen bereitwillig ge- genseitig an die Hand nahmen und sich so zu dem Chemiker wohlbe- kannten Strukturen zusammenlager- ten, nämlich je nach Versuchsbedin- gungen entweder zu kubisch-flächen- zentrierten oder kubisch-raumzen- trierten Kristallgittern. Ebenso wie der DNA-Kran ist die- ses Kristallgitter auch ein möglicher Ausgangspunkt für bisher ungeahnte neue Methoden der Manipulation von Molekülen.Aufgrund der nötigen Länge und Flexibilität der DNA-Arme bestehen die neuartigen Kristalle zu über 90% aus Wasser – dieser Leer- raum wird sich gewiss mit interessan- ten Anwendungen ausfüllen lassen. [1] S. K.Kufer et al., Science 2008, 319, 594. [2 D. Nykypanchuk et al., Nature 2008, 451, 549. [3] S. Y. Park et al., Nature 2008, 451, 553. Michael Groß www.michaelgross.co.uk Mit der Spitze ei- nes Rasterkraft- mikroskops las- sen sich an DNA- Stränge gekop- pelte Moleküle aufnehmen und auf einer „Monta- gefläche“ (rechts) nanometergenau wieder absetzen. [Bild: LMU München]

DNA-Kräne und -Baumaterial

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T R E F F P U N K T FO R SC H U N G |

70 | © 2008 Wiley-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim www.chiuz.de Chem. Unserer Zeit, 2008, 42, 66 – 71

N A N O PA R T I K E L |DNA-Kräne und -BaumaterialDie Natur benutzt die wohldefinierte Doppelhelixstruktur zur effizien-ten und erstaunlich fehlersicheren Informationsverarbeitung. Im Laborkann man dieses Prinzip allerdings auch auf den Kopf stellen und die Sequenzinformation der DNA so manipulieren, dass gewünschte Struktur-elemente und sogar mechanisch steuerbare Maschinenteile entstehen.

Statische DNA-Konstrukte gibt es be-reits seit Anfang der 1990er Jahre, alsNadrian Seeman anfing,Würfel undandere geometrische Formen ausdem Erbmaterial aufzubauen. Dochjüngst kam Bewegung in dieses Ge-biet. Zunehmend nutzen Forschernicht nur die starre Doppelhelix-struktur sondern auch die Beweglich-keit und Dynamik des DNA-Molekülsfür immer neue Zwecke.

Die Arbeitsgruppe von HermannGaub an der LMU in München ent-wickelte zum Beispiel auf der Grund-lage des Rasterkraftmikroskops(AFM) einen DNA-Kran, der moleku-lare Baumaterialien aus einem Lageraufgreifen und an einer Baustelle ab-setzen kann.

Die Münchner Forscher demon-strierten ihren Kran mittels eines Flu-oreszenzfarbstoffs, dessen Bewegun-gen sich unter dem Mikroskop leichtverfolgen ließen. Die Farbstoff-Lastwar mit zwei verschiedenen DNA-Strängen gekoppelt, wobei der eineder Haftung an der Unterlage (durchBindung des komplementären Ge-genstrangs), sowie der andere derBindung an den AFM-Arm dient, wel-cher praktisch den beweglichen Armdes Krans darstellt.

Beim Aufgreifen der Ladungmachten die Forscher sich zunutze,dass die DNA-Doppelhelix durchScherkräfte leicht aufgetrennt wer-den kann. Die Zugkraft des Kranswirkte quer zu der Achse der Helix,welche die Last am Boden hielt, undsomit konnten sie diese leicht anhe-ben. Beim Absetzen der Last hin-gegen waren die Helices in gleicherRichtung orientiert, und die ge-wünschte Änderung wurde durchdie verschiedene Länge – und damitBindungsstärke – des Doppelstrangserreicht [1].

Auf diese Weise schrieben dieForscher einen winzigen Buchstaben„M“ mit 400 fluoreszierenden Einzel-molekülen, wobei die Zielsteuerungmit einer Genauigkeit von etwa 10 Nanometern gelang.Wenn dieserKran auf nanotechnologischen „Bau-stellen“ zum Einsatz kommt, kannman zur Lagerhaltung auf die bereitsetablierte Technik der DNA-Arrays(oder DNA-Chips) zurückgreifen, andie man nahezu beliebige molekulareBausteine koppeln kann.

Während auf Gaubs Baustelle allesmit geordneter und von Menschen-hand gelenkter Bewegung abläuft,nutzten zwei andere Forscherteamsdie chaotische Molekularbewegungund dynamische Umordnung derDNA-Doppelstränge zur Ausbildunghochgradig organisierter Strukturen.

Gleichzeitig, aber unabhängigvoneinander, beschäftigten sich dieGruppen von Oleg Gang am Brook-haven National Laboratory im US-Bundesstaat New York [2] und vonChad Mirkin an der NorthwesternUniversity in Evanston [3], Illinois,mit dem bisher ungelösten Problem,Nanopartikel, etwa kolloidales Gold,mit Hilfe von programmierten DNA-

Verbindungsstücken zu wohlgeord-neten dreidimensionalen Gittern zuarrangieren.

Beide Teams benutzten Gold-Par-tikel und versahen jeweils die Hälfteder Teilchen (A) mit einer bestimm-ten DNA-Sequenz und die andereHälfte (B) mit dem komplementärenGegenstrang.Auf diese Weise konn-ten A-Teilchen mit B-Teilchen Bindun-gen eingehen, aber keine der beidenTeilchenarten konnte sich an ihres-gleichen binden.

Beide Arbeitsgruppen fandenübereinstimmend heraus, dass hoheFlexibilität der DNA-Anhängsel zu ge-ordneten Strukturen führte. So er-wies es sich als erforderlich, zwi-schen dem Nanoteilchen und derDNA-Sequenz, die den Doppelstrangbildete, ein flexibles Verbindungs-stück einzubauen. Überdies funktio-nierten die Experimente bei leichterErwärmung besser, also unter Bedin-gungen, bei denen die DNA-Doppel-helix einem dynamischen Gleichge-wicht zwischen Auflösung und Neu-bildung unterliegt.

Unter diesen günstigen Bedingun-gen fanden die US-Forscher, dass sichdie mit beweglichen DNA-Armen aus-gestatteten Teilchen bereitwillig ge-genseitig an die Hand nahmen undsich so zu dem Chemiker wohlbe-kannten Strukturen zusammenlager-ten, nämlich je nach Versuchsbedin-gungen entweder zu kubisch-flächen-zentrierten oder kubisch-raumzen-trierten Kristallgittern.

Ebenso wie der DNA-Kran ist die-ses Kristallgitter auch ein möglicherAusgangspunkt für bisher ungeahnteneue Methoden der Manipulationvon Molekülen.Aufgrund der nötigenLänge und Flexibilität der DNA-Armebestehen die neuartigen Kristalle zuüber 90% aus Wasser – dieser Leer-raum wird sich gewiss mit interessan-ten Anwendungen ausfüllen lassen.

[1] S. K.Kufer et al., Science 22000088, 319, 594.[2 D. Nykypanchuk et al., Nature 22000088, 451,

549.[3] S. Y. Park et al., Nature 22000088, 451, 553.

Michael Großwww.michaelgross.co.uk

Mit der Spitze ei-nes Rasterkraft-mikroskops las-sen sich an DNA-Stränge gekop-pelte Moleküleaufnehmen undauf einer „Monta-gefläche“ (rechts)nanometergenauwieder absetzen.[Bild: LMU München]