42
In den Aufgabenstellungen werden unterschiedliche Operatoren (Arbeitsan- weisungen) verwendet; sie weisen auf unterschiedliche Anforderungsbereiche (Schwierigkeitsgrade) hin und bedeuten, dass unterschiedlich viele Punkte erzielt werden können. Die Lösungen zeigen beispielhaft, welche Antworten die verschiedenen Operatoren erfordern. Alles Wissenswerte rund um die Abiprüfung finden Sie im Buch im Kapitel „Prüfungsratgeber und Prüfungsaufgaben“. Originalklausuren mit Musterlösungen zu weiteren Fächern finden Sie auf www.duden.de/abitur in der Rubrik „SMS Abi“. Das Passwort zum Download befindet sich auf der vorderen Umschlagklappe. Die Veröffentlichung der Abitur-Prüfungsaufgaben erfolgt mit Genehmigung des zuständigen Kultusministeriums. Das Schnell-Merk-System fürs Abi – aufschlagen, nachschlagen, merken Buch … Prüfungswissen für Oberstufe und Abitur systematisch aufbereitet nach dem SMS-Prinzip Extrakapitel mit Prüfungsaufgaben zu allen Unterrichts- einheiten, zu Operatoren und Anforderungsbereichen … und Download Originalklausuren mit Musterlösungen als Beispiele für den Umgang mit Operatoren kostenlos auf www.duden.de/abitur Für die Fächer Deutsch, Englisch, Mathematik, Geschichte, Biologie, Chemie, Physik sowie Politik und Wirtschaft Originalklausur mit Musterlösung Abitur Geschichte Aufgabe I: Nationalsozialismus Aufgabe II: Industrialisierung Aufgabe III: Internationale Politik im 19./20. Jahrhundert Aufgabe IV: Deutschland seit 1945

Docworks 300DPI Pdf - lernhelfer.de · Prüfungsfach: Geschichte (Bayern 2007) Autorin: Krista Düppengießer Aufgabenstellung I 1. Aufgabe ... Sozialpolitik (Urlaub, Arbeitsschutz,

  • Upload
    lambao

  • View
    215

  • Download
    0

Embed Size (px)

Citation preview

In den Aufgabenstellungen werden unterschiedliche Operatoren (Arbeitsan-weisungen) verwendet; sie weisen auf unterschiedliche Anforderungsbereiche (Schwierigkeitsgrade) hin und bedeuten, dass unterschiedlich viele Punkte erzielt werden können. Die Lösungen zeigen beispielhaft, welche Antworten die verschiedenen Operatoren erfordern.

Alles Wissenswerte rund um die Abiprüfung finden Sie im Buch im Kapitel „Prüfungsratgeber und Prüfungsaufgaben“.

Originalklausuren mit Musterlösungen zu weiteren Fächern finden Sie auf www.duden.de/abitur in der Rubrik „SMS Abi“. Das Passwort zum Download befindet sich auf der vorderen Umschlagklappe.

Die Veröffentlichung der Abitur-Prüfungsaufgaben erfolgt mit Genehmigung des zuständigen Kultusministeriums.

DasSchnell-Merk-SystemfürsAbi– aufschlagen,nachschlagen,merken

Buch…

■ Prüfungswissen für Oberstufe und Abitur ■ systematisch aufbereitet nach dem SMS-Prinzip ■ Extrakapitel mit Prüfungsaufgaben zu allen Unterrichts- einheiten, zu Operatoren und Anforderungsbereichen

…undDownload■ Originalklausuren mit Musterlösungen als Beispiele für den Umgang mit Operatoren ■ kostenlos aufwww.duden.de/abitur

Für die Fächer Deutsch, Englisch, Mathematik, Geschichte,Biologie, Chemie, Physik sowie Politik und Wirtschaft

Originalklausurmit Musterlösung

AbiturGeschichteAufgabeI: NationalsozialismusAufgabeII: IndustrialisierungAufgabeIII: Internationale Politik im 19./20. JahrhundertAufgabeIV: Deutschland seit 1945

Aus urheberrechtlichen Gründen kann die Karikatur hier nicht veröffentlicht werden. Sie finden sie im Internet unter dem Link: http://germanhistorydocs.ghi-dc.org/sub_image.cfm?image_id=1478&language=german.

© Dudenverlag, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim, 2008 1

Musterlösungen für die Prüfungsaufgaben Abitur Prüfungsfach: Geschichte (Bayern 2007) Autorin: Krista Düppengießer

Aufgabenstellung I

1. Aufgabe Ausgangslage: Die Gebietsabtretungen des Versailler Vertrages hatten den Verlust der größten Rohstoffquellen (Eisenerz, Blei), der Agrarüberschussgebiete Westpreußen und Posen und 7 % der Industrieunternehmen bedeutet. Als im Oktober 1929 die Weltwirtschaftkrise ausbrach, wurden die Auslandsanleihen aus Deutschland abgezogen und brach der internationale Handel zusammen. Die auf Deutschland übergreifende Krise konnte von den Präsidialregierungen Brüning, von Papen und von Schleicher nicht gemildert werden, die Arbeitslosenzahl stieg 1932 auf über 6 Mill.. Diese dramatische ökonomische Verschlechterung beschleunigte den Aufstieg der NSDAP. Grundzüge: Die Nationalsozialisten hatten allerdings kein geschlossenes wirtschaftspolitisches Konzept. Seit der Entmachtung der SA stellten sie die kapitalistische Privatwirtschaft nicht infrage. Doch griffen sie dirigistisch in den Arbeitsmarkt, das Preis-Lohn-Gefüge, die Rohstoff- und Kapitalmärkte und einzelne Produktionsbereiche wie den Schiffs- und Flugzeugbau ein. Diese Eingriffe verstärkten sich kontinuierlich bis zur Kriegswirtschaft. Wehrwirtschaft: Die Ziele der Phase der sog. Wehrwirtschaft (1933-1936) waren die Erlangung der Autarkie und die Kriegsvorbereitung. 1916/37 war die Arbeitslosigkeit beseitigt, vor allem durch Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, bes. das „Unternehmen Reichsautobahn“, und den verpflichtenden Reichsarbeitsdienst. 1935 gegründet, erfasste er die männlichen Jugendlichen zwischen 19 und 24 Jahren, ab dem 1.9.1939 auch weibliche. Bis 1941 verteilte er diese Arbeitskräfte überwiegend an zivile Projekte und die Landwirtschaft, danach mehr und mehr an militärische Projekte. Die Mitbestimmung der Arbeiter wurde abgeschafft, die Gewerkschaften aufgelöst (2.5.1933) und Unternehmer und Arbeiter in der Deutschen Arbeitsfront in einer „Betriebgemeinschaft“ zusammengeschlossen (20.1.1934 Auflösung der Betriebsräte). Statt gewerkschaftlicher Mitbestimmung und Tarifautonomie leitete nun der „Führer des Betriebs“ seine „Gefolgschaft“. Zum Ausgleich für die Entmündigung gab es eine erfolgreiche betriebliche Sozialpolitik (Urlaub, Arbeitsschutz, Wohnungsbau) und das Freizeitangebot der Unterorganisation „Kraft durch Freude“: Theater, Film, Ausstellungen, Sport, Tanz,

© Dudenverlag, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim, 2008 2

Massentourismus, Weitererbildung. Auch die Landwirtschaft wurde gleichgeschaltet, Forstwirtschaft, Gartenbau, Fischerei, Jagd, Genossenschaften, Landhandel u. a. wurden im Zentralverband des „Reichsnährstands“ 1933 zwangsweise zusammengefasst. Inflationspolitik: Bis 1936 schien der versprochene Wirtschaftsaufschwung vollbracht, doch schon ab 1933 wurden die Arbeitsbeschaffung und die Rüstung durch die Notenpresse realisiert. Der Reichsbankpräsident Hjalmar Schacht ermöglichte den Umlauf von Sonderwechseln, die von der Reichsbank gedeckt wurden. Dazu wurde eine Scheinfirma gegründet, die Metallurgische Forschungsgesellschaft, hinter der Siemens, Gutehoffnungshütte, Krupp und Rheinmetall standen. 11, 9 Milliarden Reichsmark an Rüstungsausgaben wurden von 1934-1938 durch Mefo-Wechsel gedeckt. Die Goldreserven der Österreichischen Nationalbank wurden schon am Tag nach dem Anschluss vom 12.3.1938 auf die Deutsche Reichsbank übertragen, weiter wurden die Devisen- und Goldbestände durch einen direkten Warenaustausch von deutschen Industriegütern gegen Rohstoffe aus osteuropäischen Ländern geschont. Vierjahresplan: Jedoch waren nach beinahe vier Jahren Wehrwirtschaft die volkswirtschaftlichen Reserven an Rohstoffen und Nahrungsmitteln erschöpft. Da die Aufrüstung aber ohne zusätzliche Rohstoffe nicht, wie von Hitler gefordert, gesteigert werden konnte, verkündete dieser im September 1936 den „Vierjahresplan“. Schwerpunkt der Wirtschat sollte die Rüstung werden, unter Verzicht der Bevölkerung auf Konsumgüter, durch Rohstoffkontingentierung, Investitionen und Lenkung des Arbeitseinsatzes. „Beauftragter für den Vierjahresplan“ wurde Hermann Göring, der Oberbefehlshaber der Luftwaffe. Unter Ausklammerung der Rentabilität und unter dem Protest der Hüttenindustrie wurde angestrebt, in vier Jahren die Armee einsatzfähig und die Wirtschaft kriegsfähig zu machen.

2. Aufgabe Das Titelbild der „AIZ“ Nr. 42 vom 16.10.1932 zeigt in der linken Hälfte der Fotomontage einen beleibten Mann von der rechten Seite. Von Kopf und Beinen sind nur Ansätze zu sehen, der Rücken ist vom Bildrand abgeschnitten. Der Mann trägt einen dunklen Anzug, in der rechten Hand hält er mehrere Geldnoten. Auf der vorderen kann man die Zahl 1000 erkennen. Die rechte obere Ecke der Fotomontage ist mit dem Impressum der Zeitung gefüllt. Unter ihm steht: „Der Sinn des Hitlergrusses:“. Das rechte untere Bildviertel zeigt Hitler von der rechten Seite, ohne Unterkörper. Er blickt geradeaus, also Richtung rechten Rands, und hat die Rechte zum Hitlergruß so erhoben, dass die Geldscheine seine Hand berühren. Zwischen den Personen steht: “Motto: Millionen stehen hinter mir!“ Über dem gesamten unteren Rand steht: „Kleiner Mann bittet um große Gaben“. Alle Wörter sind aus Großbuchstaben gebildet. Der Künstler John Heartfield behauptet mit dieser Fotomontage eine Verbindung zwischen der NSDAP und der Großindustrie. Der „große“ Mann steht für Großindustrielle, die Hitlers Aufstieg mit ihren Zuwendungen finanziert haben sollen. Diese These wird durch den Doppelsinn des Mottos verstärkt. Heartfield gibt damit eine typische Einschätzung aus kommunistischer Perspektive wieder. Dass Großindustrielle wie Siemens und Krupp mit dem NS-Staat paktiert haben, ist aber auch in der „bürgerlichen“ Geschichtsschreibung unumstritten. Bestes Beispiel sind die I.G. Farben, in den dreißiger Jahren der größte europäische Konzern. 1932 unterstützte er den Wahlkampf der NSDAP mit der höchsten Einzelspende von 400 000 Reichsmark und stimmte im Dezember der „Agrarkartellierung“ zu, einem Interessenausgleich zwischen Industriellen und Großagrariern, der einen Pakt „der Wirtschaft“ mit den Nationalsozialisten besiegelte.1941 ließ die I.G. Farben in Auschwitz eine Bunafabrik von den Häftlingen des eigens dafür errichteten KZ Monowitz, Auschwitz III, erbauen. Eine Tochtergesellschaft der

© Dudenverlag, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim, 2008 3

I.G. Farben und der Degussa AG vertrieb das Schädlingsbekämpfungsmittel Zyklon B, das in den Gaskammern von Auschwitz eingesetzt wurde. In dem totalitären Staat war eine Instrumentalisierung durch das Regime unvermeidbar, doch musste sie nicht so weit gehen. Umstritten ist, ob die (meisten) Großindustriellen eine besondere Affinität zur kleinbürgerlichen NSDAP hatten. Die meisten ihrer Wähler waren Arbeiter und Angestellte.

3. Aufgabe M2: Der Führer der SA, Ernst Röhm, erläutert in einem in Auszügen vorliegenden Artikel vom Juni 1933 den Unterschied zwischen der „nationalen Erhebung“ und der eigentlichen nationalsozialistischen Revolution. Die „nationale Erhebung“, nämlich die Machtergreifung, die er vom 30.1.-21.3. 1933 (ohne das Ermächtigungsgesetz!) datiert, sei vollzogen. Als äußeres Zeichen nennt er die Tatsache, dass jetzt „(v)on allen Bastionen der Macht im Staat, über allen Stätten der Arbeit“ Hakenkreuzbanner wehten (Z. 2f). Anders als nach der Novemberrevolution 1918 stünden Staat und Revolutionäre, Armee und SA sowie SS Seite an Seite (Z. 4-8). Doch „vereinzelte Spießer und Nörgler“ (Z. 11) stellten die Präsens von SA und SS nach der Machtergreifung in Frage (Z. 11-16). Diese hätten den „Sinn der deutschen Revolution“ (Z. 19) nicht begriffen und seien mit Zeichen und symbolträchtigen Handlungen wie dem Tag von Potsdam, Fackelzügen, Aufmärschen, Standarten und Fahnen zufrieden (Z. 17-32). Aber das Ziel der „deutschen Revolution“ (Z. 39) sei noch nicht erreicht, weshalb SA und SS weiter kämpfen müssten. Als Ziel gibt Röhm an: „ein neues, in einer geistigen Revolution aus nationalistischem und sozialistischem Geiste wiedergeborenes Deutschland“ (Z. 34f). Dafür kämpften „die kämpferisch-geistigen Willensträger der deutschen Nation“ (Z. 9f), „(d)enn die braune Armee ist das letzte Aufgebot der Nation, das letzte Bollwerk gegen den Kommunismus“ (Z. 41f). M3: Der Reichskanzler und „Führer“ der NSDAP, Adolf Hitler, erklärt am 6.7.1933 vor den Reichsstatthaltern die nationalsozialistische Revolution für beendet. In einer in Auszügen vorliegenden Amtlichen Mitteilung darüber erfährt man, dass mit der Beseitigung der politischen Parteien die „äußere Macht“ (Z. 7) errungen sei, nur die „letzten Überreste der Demokratie“ (Z. 3) wie Abstimmungsmethoden und Mehrheitsentscheidungen seien noch zu eliminieren (Z. 1-5). Der „freigewordenen Strom der Revolution“ müsse nun „in das sichere Bett der Evolution“ hinüber geleitet werden (Z. 15f). Darunter versteht Hitler in erster Linie die Erziehung zur nationalsozialistischen Staatsauffassung (Z. 7f. 16-18). Zudem führt er aus, dass diese innerliche Akzeptanz des NS-Staates nicht von heute auf morgen zu verlangen sei. Insbesondere im Bereich der Wirtschaft sei das Können wichtiger als die politische Einstellung (Z. 19-22). Da wirtschaftliche Stärke der machtpolitischen Stabilität förderlich sei, müssten die Reichsstatthalter verhindern, dass „Organisationen“ oder „Parteistellen“ (Z. 27f), rein aus ideologischen Kategorien, ökonomische Personalentscheidungen träfen (Z. 25-29). Dafür seien allein die Reichsregierung bzw. der Reichswirtschaftsminister zuständig (Z. 29f). Zum Schluss (Z. 31-35) betont er den nationalsozialistischen Zentralismus: „Alle Macht liegt bei der Reichsgewalt“ (Z. 31); diese setzt Hitler mit „dem deutschen Volksbegriff“ gleich (Z. 33-35).

© Dudenverlag, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim, 2008 4

Vergleich: Die Zielsetzungen beider Nationalsozialisten sind identisch: sie wollen die innere Vollendung der nationalsozialistischen Revolution, die politische Zustimmung und Unterstützung des deutschen Volks, das Leben der Nation im nationalsozialistischen Geiste. Doch in puncto der Begrifflichkeit sind ihre Positionen gegensätzlich. Röhm behauptet, dass mit der Machtergreifung erst ein Etappensieg „auf dem Wege der deutschen Revolution“ erreicht sei (Z. 1). Hitler erklärt die Revolution für abgeschlossen. Der Grund für diesen Gegensatz liegt in den unterschiedlichen Intentionen beider. Der SA-Chef will die Bedeutung von SA und SS gegen Widerstand verteidigen. Offensichtlich gibt es bereits eine öffentliche, bes. von konservativer Seite, und vielleicht auch eine innerparteiliche Opposition gegen die selbstbewusste, brutale und barbarische SA; ein Konflikt mit der SS ist hier noch nicht erkennbar. Röhm setzt auf den Antikommunismus in Bevölkerung und Partei, indem er die Schlägertruppen der NSDAP zum letzten Bollwerk gegen den Kommunismus erklärt (Z. 41f). Hitler will übereifrige Parteimitglieder oder Beamte davon abhalten, bei wirtschaftpolitischen Personalentscheidungen die ökonomische Kompetenz der Betroffenen zu missachten. Daneben möchte er Wirtschaftsvertreter beruhigen, die Repressionen befürchten. 1933 arrangierte sich die NSDAP offiziell mit dem existierenden marktwirtschaftlichen System und seine Vertretern. Bemerkenswert offen demonstriert der „Führer“ die antidemokratische Ausrichtung der Partei. Das konnte er sich offensichtlich eher leisten als ein Vorgehen gehen den „Kapitalismus“.

4. Aufgabe In Bezug auf die Machtübernahme der NSDAP findet man Argument, die für eine Revolution sprechen, und gegenteilige. Unterschiedliche Einschätzungen sind statthaft. Es kommt auf die Anzahl, die Plausibilität und das Gewicht der vorgebrachten Argumente an. Die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler einer Koalitionsregierung (30.1.1933) durch den Reichspräsidenten entsprach der Weimarer Verfassung. Darauf folgte eine „legale Revolution“, die die Nationalsozialisten selbst „Machtergreifung“ nannten:

Februar 1933 Aufhebung von Grundrechten, Verfolgung politischer Gegner 21.3. Werben um bürgerliche und konservative Schichten am „Tag von Potsdam“ 23.3. Ausschaltung des Reichstags durch das „Ermächtigungsgesetz“ April „Gleichschaltung“ der Exekutive Januar/Februar Beseitigung des föderativen Aufbaus des Reiches Frühjahr Errichtung eines Einparteienstaates Juni/Juli 1934 Beseitigung innerparteilicher Rivalen nach dem „Röhm-Putsch“ 3.7. „Gleichschaltung“ der Judikative, Einführung des „Führerrechts“ 2.8. Übernahme des Reichspräsidentenamts durch Hitler unter dem Titel „Führer und Reichskanzler“, Vereidigung der Reichswehr auf Hitler persönlich statt auf die Verfassung.

Bemerkenswert sind das Tempo der Umformung einer Demokratie in eine Diktatur und der schwache Widerstand dagegen.

© Dudenverlag, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim, 2008 5

Aufgabenstellung II

1. Aufgabe Die Voraussetzungen für die Industrialisierung Bayerns waren wie überall freie Märkte, eine ausreichende Kapitalkraft, eine ausreichende Rohstoffbasis und die Nutzung technischer Erfindungen. Die Industrielle Revolution begann in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts im wirtschaftliberalen Großbritannien und erreichte ab 1830 Deutschland und Bayern. Der wissenschaftliche und technische Fortschritt bewirkten eine Mechanisierung der Textilproduktion, die Nutzung von Kohle zur Erzeugung von Dampfkraft und die maschinelle Fertigung im Fabriksystem. Die traditionellen Produktions- und Verteilungsmethoden - Handwerk, Manufaktur, Verlagssystem - wurden verdrängt. Bayerns Industrialisierung verlief im Vergleich zu anderen Regionen und Ländern Deutschlands sehr schleppend. Denn es hatte für die Industrialisierung schlechte Voraussetzungen:

rohstoffarme Randlage schlechte Infrastruktur kaum Angebot an billigen Arbeitsplätzen agrarisch- und handwerklich geprägte Gesellschaft langsames Bevölkerungswachstum.

Aufgrund der hauptsächlich agrarisch strukturierten Bevölkerung, des Erbrechts (Realteilung) sowie des hohen Heiratalters wuchs die Bevölkerung in Bayern langsamer als in den anderen deutschen Gebieten. In Bayern waren die meisten Menschen auch nach 1830 im Agrarsektor beschäftigt. Durch die Nutzung des Fortschritts in Technik und Chemie (Mäh- und Dreschmaschinen, künstlicher Dünger) und die Einführung der Fruchtwechsel- statt der Dreifelderwirtschaft stieg die landwirtschaftliche Produktion an. Dennoch kam es wegen des gleichzeitigen Bevölkerungswachstums bei Missernten zu Hungersnöten. Die Kleinstaaterei des Deutschen Bundes hemmte die Industrialisierung. Der bayrische Gegensatz zu Preußen führte zu Verhandlungen mit den anderen süddeutschen Staaten zwecks Gründung eines süddeutschen Zollvereins mit einem einheitlichen Zollraum. Doch schlossen sich 1828 nur Bayern und Württemberg zum ineffizienten Süddeutschen Zollverein zusammen. 44 % seiner Einnahmen wurden für Verwaltungskosten aufgebraucht. Der Sog des größeren Wirtschaftsraums ließen ihn 1833 mit Preußen und Hessen-Darmstadt einen Einigungsvertrag abschließen, 1834 ging der Süddeutsche dann im Deutschen Zollverein auf. Beispiele für erste Industrialisierungsschritte waren die Gründung der Eisengießerei und Maschinenfabrik Klett & Co. in Nürnberg 1837/42 sowie die Errichtung einzelner Betriebe der Chemie- und Farbenindustrie in Nürnberg, Fürth, Schweinfurt und in Oberfranken. 1848-1870/71verlief die Industrialisierung nur punktuell. Der Rücktritt von Ludwig I. (1786-1868, reg. 1825-1848) und die Thronbesteigung Maximilians II. (1811-1864, reg. 1848-1864) im Gefolge der Märzrevolution von 1848 brachten eine Aufwertung des "vierten Standes", was sich auch in der Gewerbe- und Industrieförderung manifestierte: Obgleich der neue König dem Fabrikwesen reserviert gegenüberstand, schuf er bereits im Jahr 1848 einen Unterstützungsfond für industrielle Zwecke und mit dem Staatsministerium des Handels und der öffentlichen Arbeiten einen Vorläufer des heutigen Wirtschaftsministeriums. 1851 begann der Eisenbahnbau in Bayern. Wichtige Verbesserungen der Rahmenbedingungen folgten, als nach der Thronbesteigung von Ludwig II. (1845-1886, reg. 1864-1886) 1864 die bayerische Staatsregierung die wirtschaftliche Liberalisierung vorantrieb und das Banken- und Börsenwesen zunehmend den Kredit- und Kapitalmarkt für industrielle Interessen attraktiv machten. In der Pfalz ragt 1865 die Gründung der BASF heraus. Zwischen 1854 und 1870 entstanden in Bayern

© Dudenverlag, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim, 2008 6

insgesamt 111 neue Aktiengesellschaften. Nach wie vor war Bayern aber noch stark agrarisch und handwerklich geprägt. Erst 1870/71-1918 kann man von einer ersten Industrialisierungswelle in Bayern sprechen. Die Einbindung Bayerns in das Kaiserreich bedeuteten für die bayerische Wirtschaft freie, aber auch größere Märkte mit mehr Druck durch mehr (Weltmarkt-) Konkurrenten als zuvor durch den Freihandel im Zollverein, mit Einführung der Mark bald aber auch die Vorteile einer einheitlichen und stabilen Währung. Der Rückgang des Eisenbahnbaus im Gefolge der Gründerkrise und der Wegfall von Schutzzöllen wirkten sich zunächst negativ aus. Doch die ab 1880 immer schneller werdende Hochindustrialisierung im Deutschen Reich erfasste nun auch die bisher nur punktuell vorhandenen industriellen Kerngebiete Bayerns.

2. Aufgabe M1: Der Kaiserslauterer Arbeiter-Verein beantwortet die im Titel der Erläuterung seiner Eingabe an die bayrische Abgeordnetenkammer von 1870 gestellte Frage positiv: Der neue (Z. 4f) Stand der Fabrikarbeiter kann und darf vom Staat Hilfe fordern. Die Rechtsprechung falle als Instanz aus, weil es noch keine gesetzlichen Bestimmungen gebe, die die Arbeitsbedingungen für die Arbeiter regelten (Z. 6-9, 14-18). Dieser Mangel mache den Unternehmer zum „unumschränkte(n) Herr(en) über seiner Arbeiter“ (Z. 19). Es sei also eine gesetzliche Regelung notwendig (Z. 27-29) zum Schutz von Leben und Gesundheit der Arbeiter, bei Unfällen und Entlassungen (Z. 20-26). Der Verein schlägt außerdem die Einsetzung staatlich besoldeter Fabrikinspektoren vor, die unangemeldet die Fabriken kontrollieren, die Beschwerden der Arbeiter prüfen und ggf. Behörden melden, die Maßnahmen zur Gesundheitspflege, die Sicherheit am Arbeitsplatz und die Leistungen der Unterstützungs- und Pensionskassen prüfen sollen (Z. 30-44). Sollten letztere nicht ausreichen, könnten die Fabrikanten zur Schließung der Lücken verpflichtet werden (Z. 44f). Als wirtschaftliche Vorstellung wird im letzten Absatz (Z. 46-50) der Primärquelle deutlich, dass die Verfasser vom Privateigentum ausgehen (Z. 48-50). M2: Die Karikatur aus der sozialdemokratischen Zeitschrift „Der Wahre Jacob“ von 1892 trägt den Titel „Vorwärts, mit Dampf“, zu lesen mittig unterhalb des oberen Bildrandes. Er bezieht sich auf die in der Bildmitte befindliche, bis in den Hintergrund reichende Eisenbahn. Mehrere Waggons, die auf ihren Dächern Aufschriften tragen, werden von einer Dampflok gezogen. Auf deren Tender steht: „Acht Stunden Arbeit“; die Aufschriften der ersten drei Wagen sind: „Deutschland“, „Frankreich“ und „England“. Oben auf dem Tender ist eine leuchtende Laterne befestigt, es wird eine dunkle, sich im Hintergrund auflösende Dampfwolke von der Lokomotive produziert. Ein kampfbereiter Stier mit einer Glocke um den Hals stellt sich auf dem Gleis mit gesenktem Kopf der Eisenbahn entgegen. Auf seinem Rücken steht: „Kapitalismus“. In der linken Bildhälfte erkennt man einen gewundenen Weg zu einem Ort (Kirchturm, zerstörter größerer Turm, Gebäude). Die rechte Bildhälfte zeigt einen in Stücke zerborstenen Grenzstein einer Landesgrenze auf einem Grasuntergrund. Die Karikatur glorifiziert aus sozialdemokratischer Sicht die Industrialisierung als Befreiung von feudalen Verhältnissen (Ortschaft), Kleinstaaterei (Grenzstein) und vom Kapitalismus (Stier). Der Kapitalismus, wohl die Fabrikanten, habe keine Chance, die Dynamik der internationalen Arbeiterbewegung (Eisenbahn) aufzuhalten Die Laterne kann als Sinnbild für das Streben der Arbeiterbewegung nach Bildung und dadurch verbesserten Berufschancen gedeutet werden. Die Forderung nach einem Acht-Stunden-Tag zeigt das Selbstbewusstsein der organisierten Arbeiterbewegung. Als wirtschaftliche Vorstellung liegt der Primärquelle sozialistisches Gedankengut zugrunde, was die Opposition von Arbeiterbewegung und Kapitalismus bzw. den Hinweis auf die Internationalität der Arbeiterbewegung erklärt.

© Dudenverlag, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim, 2008 7

Vergleich: Einschätzung der Rolle bei der Verbesserung der Arbeitsbedingungen:

M1 M2

Staat: entscheidender Faktor bedeutungslos bis feindlich

Arbeiterbewegung: durch Zusammenschluss wichtiger Faktor

entscheidender Faktor

Unternehmer: Hemmnis, Gegner Hemmnis, Gegner Historisches Bewusstsein nicht revolutionär:

„Stand“, „Untertanen“ evtl. revolutionär: internationale Solidarität der Proletarier

3. Aufgabe Die Sekundärquelle M3 zeigt die Entwicklung der durchschnittlichen Arbeitszeit deutscher Industriearbeiter 1830-1923. In den Dezennien von 1830-1910 ist die tägliche Arbeitszeit von 15 auf 10, 25 Stunden gesunken. Die prozentuale Abnahme gegenüber dem vorigen Zeitraum ist nicht linear, wird aber im gesamten Zeitraum geringer (von 13, 3 % 1861-1870 auf 2, 4 % 1901-1910). Ab 1911 sind kürzere Zeitspannen erfasst: 1911-1914 10 Stunden (2, 4 % Abnahme), 1915-1918 ohne Angaben, was sich durch den Ersten Weltkrieg erklärt, 1919-1923 8 Stunden (20 % Abnahme). In den ersten Zeitraum 1830-1860 fallen die Frühindustrialisierung (ab ca. 1830) und die erste industrielle Wachstumsphase ab 1850. Die Arbeitsbedingungen des entstehenden „vierten Standes“ waren noch nicht geregelt, es herrschte sozusagen ein Wildwuchs-Kapitalismus. 1861-1870 bildete die Arbeiterbewegung Vereinigungen aus, so die Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV) 1863, der staatliche Hilfe und das allgemeine und gleiche Wahlrecht zur Durchsetzung der Interessen der Arbeiter forderte. Sein Vorsitzender Ferdinand Lassalle setzte auf die Selbsthilfe der Arbeiter in Form von Produktivgenossenschaften. Seit 1850 wurden gewerbliche Genossenschaften gegründet, Einkaufs-, Verkaufs- und Vorschussvereine. 1869 wurde im Norddeutschen Bund die Koalitionsfreiheit eingeführt, damit begann die gewerkschaftliche Organisation der Arbeiterschaft. Nach Berufssparten gegliedert, schlossen die Gewerkschaften mit den Unternehmern Verträge über Löhne, Arbeitsschutz und eben Arbeitszeiten. Ebenfalls 1869 gründeten Wilhelm Liebknecht und August Bebel die marxistische Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP), die eine revolutionäre Umkehr der Besitz- und Machverhältnisse anstrebte. Die Verringerung der täglichen Arbeitszeit von 15 auf 13, 1871-1880 auf 12 Stunden ist sicher auch ein Ergebnis der Verbands- und politischen Organisation der Arbeiter. 1875 vereinigten sich der ADAV und die SDAP zur Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAP). Die neue Partei betrieb eine reformerische, pragmatische Praxis bei einer marxistischen Programmatik. 1881-1890 sank die Arbeitszeit auf 11 Stunden. Ab 1882/84 entstanden evangelische und katholische Arbeitervereine, die ihren Mitgliedern ein soziales Netz und ein Bildungsprogramm boten. 1883 setzte im Kaiserreich auch die bismarcksche Sozialgesetzgebung ein (1883 Krankenversicherung, 1884 Unfallversicherung, 1889 Alters- und Invalidenversicherung). In den drei Dekaden von 1881- 1910 halbiert sich die prozentuale Abnahme gegenüber dem vorigen Jahrzehnt, das Tempo der Verbesserung nimmt ab. Von 1901-1910 zu 1911-1914 nimmt die Dauer der Arbeitszeit nur um 15 Minuten ab, der Wert der Abnahme stagniert. Diese Verlangsamung korreliert mit der Entwicklung der Mitgliederzahlen sozialistischer freier Gewerkschaften in Deutschland (M4). Seit 1869 steigt die Mitgliederzahl, verdoppelt

© Dudenverlag, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim, 2008 8

sich 1878-1888, verfünffacht sich fast von 1888 bis 1898. Von 1898 zu 1908 findet mehr als eine Verdreifachung statt, während die Arbeitszeit beinahe stagniert; von 1908 zu 1913 verringert sich der Anstieg, doch ist er weiterhin größer als die geringe Arbeitszeitreduzierung. Eine Parallele beider Tendenzen liegt erst in den Anfangsjahren der Weimarer Republik vor. Ein Vergleich beider Materialien ergibt keinen signifikanten Zusammenhang zwischen der Entwicklung der Arbeitszeit und dem Anwachsen der organisierten Arbeiterschaft. 1888/98, 1898/1908, 1908/13 wächst die Mitgliederzahl weitaus stärker, als sich die Arbeitszeit reduziert. Diese stagniert im Gegenteil. Andere Faktoren müssen für die Entwicklung der Arbeitszeit ausschlagend sein.

4. Aufgabe Die relativ offene Aufgabenstellung lässt die Bearbeitung mehrerer sozialpolitischer Maßnahmen in der Geschichte der BRD zu, z. B. „Wirtschaftswunder“ der 50er Jahre: Modell: sozialer Kapitalismus Der Wirtschaftsminister Ludwig Erhard (CDU) etablierte die „soziale Marktwirtschaft“, in der der Wirtschaftsliberalismus mit den Geboten eines Sozialstaats vereinigt werden sollte. Zum wirtschaftlichen Erfolg trugen bei:

die gute Ausbildung vieler Arbeiter und der Zustrom qualifizierter Arbeitnehmer aus der DDR

das bis 1955 unverändert niedrige Lohnniveau die Hilfe durch den Marshall-Plan die günstige Entwicklung der Weltwirtschaft.

Die sozialen Verhältnisse wurden insbesondere durch den Lastenausgleich stabilisiert: Schrittweise wurde eine Vermögensumverteilung zwischen den Flüchtlingen und Vertriebenen, die durch den Krieg Vermögen verloren hatten, und denen, die von diesen Verlusten verschont geblieben waren, vorgenommen. Der Lastenausgleich trug maßgeblich zur Integration der ca. 10 Mio. Flüchtlinge und Vertriebenen bei. Wirtschafts- und Sozialpolitik der sozialliberalen Regierung (1969-1982): Ausbau des Sozialstaats

Verdoppelung der Sozialausgaben in fünf Jahren Rentenreform Erweiterung der betrieblichen Mitbestimmung als Reaktion auf die Wirtschaftskrise 1973 zwei Stabilitätspakte.

Die Wirtschaftkrise ist, da die Stabilitätsmaßnahmen nicht konsequent durchgeführt wurden, nicht bewältigt worden. Arbeitslosigkeit und Inflation stiegen an. Im Gefolge der Wirtschaftkrise wurden dueie grenzen des Sozialstaats diskutiert.

Wirtschafts- und Sozialpolitik der christlich-liberalen Regierung (1982-1998): Modell: subsidiärer Sozialstaat Die Wirtschafts- und Beschäftigungskrise konnte mit dem Übergang von der nachfrage- zu einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik überwunden werden durch

Einsparungen bei den Sozialausgaben (Streichung des sozialen Wohnungsbaus und des Schüler-BAföG, Kürzung der Rentenerhöhungen)

Kürzungen bei der steuerlichen Förderung von Betrieben Förderung von Eigeninitiative und Wettbewerb Steuerentlastungen für Unternehmer Verringerung staatlicher Eingriffe in die Wirtschaft.

Eine deutliche Senkung des Ölpreises auf dem Weltmarkt und ein günstiger Dollarkurs unterstützten diese Maßnahmen, so dass es trotz bleibender hoher Arbeitslosigkeit zu einem

© Dudenverlag, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim, 2008 9

Wirtschaftsaufschwung kam, der die BRD zu einem der weltweit führenden Exportländer machte. Erörterung der Bedeutung staatlicher Sozialpolitik: Die Sozialpolitik in der BRD gehört zum zentristischen Typ, in dem umfangreiche staatliche Leistungen mit verbandsförmiger, betrieblicher und privater Sozialpolitik kombiniert werden. Ein aus beitragsfinanzierter Sozialversicherung bestehender Kern wird durch Versorgungs- und Fürsorgesysteme ergänzt. Hierbei werden die Statusunterschiede aus dem Erwerbsleben in den Sozialleistungen stark reproduziert, was während einer Regierungsbeteiligung der SPD durch Umverteilungen abgeschwächt wird. Nahezu alle abhängigen Erwerbstätigen, die meisten Selbstständigen und die große Mehrheit der Angehörigen versicherter Erwerbspersonen sind dadurch weitgehend geschützt. Diese Sozialpolitik ist in der Bevölkerung und trotz des Wettbewerbs in den Parteien verankert. Die Fixierung der Sozialstaatlichkeit im Grundgesetz war in der deutschen Verfassungsgeschichte eine Innovation, die allerdings eine katholisch-soziale, obrigkeitlich-paternalistische, sozialdemokratische und liberale Vorgeschichte im Kaiserreich hat. Die Leistung des Sozialstaats in der BRD ist die Integration und Homogenisierung der Bevölkerung, die Überwindung von den gesellschaftlichen Konsens sprengenden materiellen Ungleichheiten. Doch das sozialstaatlich zu befolgende Gebot, die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet zu wahren (Art. 72 Abs. 2 Nr. 3 GG) wird sich in den neuen Ländern selbst bei sehr hohen Wachstumsraten auch in diesem Jahrzehnt nicht erfüllen lassen. Die mit dem Beitritt der neuen Bundesländer entstandenen, in der alten Bundesrepublik unbekannten regionalen Disparitäten in den Einkommens- und Lebensverhältnissen bedeuteten das vorläufige Ende der Verwirklichung relativer Gleichheit in einem allgemeinen Wohlstand. Damit ist dem (west-)deutschen Sozialstaat die Legitimität entzogen, ein neuer politischer Konsens über seine Grundprinzipien muss geführt werden. Im Kaiserreich konnte die Sozialpolitik die Arbeiterschaft dagegen nicht für den Staat gewinnen. Die Sozialdemokratie blieb in der Opposition.

Aufgabenstellung III

1. Aufgabe Nach der französischen Niederlage 1871 war das Verhältnis Frankreichs zu Deutschland vom Gedanken der Revanche bestimmt. Das war der bestimmende Faktor für Bismarcks Außenpolitik. Bis 1890 verfolgte und erreichte die Außenpolitik des Deutschen Reiches das Ziel der Friedenswahrung. Maßgeblich hierbei war der Reichskanzler Bismarck, der in seiner Außenpolitik von der Prämisse ausging, dass eine weitere Machtsteigerung Deutschlands zu einem Krieg in Europa führen müsse. Deshalb entwickelte er ein kompliziertes Bündnissystem zur Sicherung des Friedens. Seine Grundgedanken waren:

Als besondere Gefährdungen für das Deutsche Reich sah Bismarck seine Mittellage und die unversöhnliche Feindschaft Frankreichs an.

Das Deutsche Reich war „saturiert“, es strebte keine weitere territoriale Ausdehnung an.

Im Verhältnis zu den anderen Mächten betrieb er eine situationsbezogene, wendige Politik und ließ sich vertraglich nicht starr festlegen.

Als weltpolitische Konstanten kalkulierte er immer ein die Rivalität zwischen England und Russland sowie zwischen Österreich und Russland auf dem Balkan.

Daraus leitet er seine bündnispolitischen Ziele ab: die Isolierung Frankreichs und

© Dudenverlag, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim, 2008 10

die Vermeidung einer Koalition mehrer Staaten gegen Deutschland. Alle anderen europäischen Mächte außer Frankreich sollten auf Deutschland als Vermittler in ihren Interessenkollisionen angewiesen sein. Diesen Zielen dienten folgende Bündnisse:

1873(-1881) Dreikaiserbündnis mit Österreich und Russland zur Abwehr republikanischer und sozialistischer Bestrebungen; gemeinsames Vorgehen beim Angriff einer anderen Macht (Frankreich)

1879(-1918) Zweibund mit Österreich zur gegenseitigen Hilfe bei einem russischen Angriff; Neutralität beim Angriff einer anderen Macht (Frankreich, Italien)

1881(-1887) Dreikaiservertrag mit Österreich und Russland als Erneuerung des Dreikaiserbündnisses; gegenseitige Neutralität im Kriegsfall

1882(-1914) Dreibund mit Österreich und Italien zur gegenseitigen Hilfe bei einem Angriff Frankreichs

1887(-1890) Rückversicherungsvertrag mit Russland zur gegenseitigen Neutralität bei einem Angriff durch eine andere Macht; deutsche Unterstützung der russischen Meerengeninteressen (im „geheimen Zusatzprotokoll“), Widerspruch zum Zweibund.

Diese Grundsätze in Bezug auf die Isolierung Frankreichs wurden nach der Entlassung des Reichskanzlers 1890 aufgegeben. Auf Grund seiner Außen- und Bündnispolitik seit 1890 war Deutschland zunehmend in Isolation geraten, bis es nur noch Österreich-Ungarn als zuverlässigen Bündnispartner besaß. Dagegen hatte sich Frankreichs Isolation aufgelöst. Mit Russland war es seit 1892 verbündet, mit England glich es die kolonialpolitischen Rivalitäten aus. Deutschland verärgerte England, indem es dessen imperialistische Interessen und sein Selbstverständnis als führende Seemacht ignorierte. Schließlich einte Deutschlands Großmachtgehabe die anderen europäischen Mächte:

1898-1901 Deutschland lehnt mehrere Bündnisangebote Englands ab, da man eine Verständigung Englands mit Russland oder Frankreich für unmöglich hält

1898 Faschodakrise: Nach Truppenberührungen bei Faschoda am oberen Nil grenzen England und Frankreich ihre Interessensphären ab (oberes Niltal an England, westlicher Sudan an Frankreich)

1899 Sudanvertrag: England und Frankreich grenzen ihre Interessensphären in Zentralafrika ab

1902 Interessenausgleich zwischen Frankreich und Italien in Nordafrika (Marokko an Frankreich, Tripolis an Italien): Aufweichung des Dreibunds

1904 Entente cordiale zwischen England und Frankreich: Bekräftigung des Interessenausgleichs in Afrika

1907 Interessenausgleich zwischen England und Russland in Asien. Im Ersten Weltkrieg waren Frankreich und Deutschland Gegner. Nach der deutschen Niederlage 1918 rächte sich Frankreich für die Schmach von Versailles 1871 mit einer unversöhnlichen Haltung bei den Friedensverhandlungen, insbesondere in der Frage der Reparationen, wo es den Vorsitz hatte. Die Revision des Versailler Friedensvertrags war das übergeordnete Ziel aller Regierungen der Weimarer Republik. Zwischen Frankreich und Deutschland gab es keine Annäherung, also suchte Deutschland den Ausgleich mit einem andern Kriegsgegner, dem seit der Oktoberrevolution 1917 ebenfalls geächteten Russland. Der am 16.4.1922 zwischen dem Deutschen Reich und Russland abgeschlossene Rapallo-Vertrag stellt nach 1918 den ersten Schritt einer deutschen Außenpolitik dar. Langfristig war mit ihm die Revision der Ostgrenze mit der Option militärischer Gewaltanwendung angestrebt. Also mussten sich bes. Frankreich und Polen durch ihn brüskiert fühlen, mittelbar führte er u. a. 1923 zur französischen und belgischen Besetzung des Rheinlandes. Schon 1921 waren einzelne Städte im Rheinland und Ruhrgebiet von französischen Soldaten besetzt worden. Ende 1922 war Deutschland mit Sachlieferungen im Rahmen der Reparationen an Frankreich und Belgien in einen geringfügigen Rückstand geraten. Deshalb

© Dudenverlag, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim, 2008 11

besetzten französische und belgische Truppen das ganze Ruhrgebiet als „produktives Pfand“ (11.1.1923). Daraufhin stellte die Reichsregierung unter Wilhelm Cuno alle Reparationszahlungen ein und rief die Bevölkerung zum passiven Widerstand auf. Doch dessen ökonomische Folgen, die Verschärfung der Wirtschaftskrise und die Steigerung der kriegsbedingten Inflation zur Hyperinflation, trugen zum Rücktritt der Regierung bei und veranlassten die neue Regierung (seit 13.8.1923), die Große Koalition (SPD, Zentrum, DDP und DVP) unter dem Reichskanzler Gustav Stresemann, den „Ruhrkampf“ abzubrechen (26.9.1923). Nach der Einigung auf den Dawes-Plan (1924), der die Höhe der von Deutschland zu zahlenden Reparationen festlegte, wurde das Ruhrgebiet 1925 geräumt.

2. Aufgabe Intention: In der gekürzt vorliegenden Rede auf einer Sitzung des Zentralvorstands der DVP am 22.11.1925 will der Reichsaußenminister Gustav Stresemann die Verträge von Locarno gegen Kritik aus Deutschland und seiner Parteifreunde rechtfertigen. Zusammenfassung: Im ersten Abschnitt (Z. 1-10) der Primärquelle legt Stresemann dar, dass die „Ketten“ (Z. 3) des Versailler Vertrages nicht abgeschüttelt werden könnten, doch gemildert. Angesichts der gegenwärtigen Machtverhältnisse könne der Vertrag zwar nicht aufgehoben, aber statt zu einer Verewigung der Entente cordiale der Gegner Deutschlands, England und Frankreich, zu einem „Gegenseitigkeitsvertrag“ (Z. 10) abgeändert werden. Im folgenden Abschnitt (Z. 11-29) führt der DVP-Vorsitzende aus, dass mit den Verträgen von Locarno zwar der deutsche „Verzicht auf Krieg, Einfall oder Invasion gegenüber Frankreich“ (Z. 12) beschlossen worden sei, dass aber die durch den Friedensvertrag geschaffenen Machtverhältnisse einen Krieg gegen Frankreich nur zur „völlige(n) Zertrümmerung Deutschlands in jeder Beziehung“ (Z. 15f) führen lassen würden, also dieses Revisionsmittel ausfalle. Im Gegenteil zwängen die Locarno-Verträge den mächtigen Rivalen Frankreich, auf die „Gewaltpolitik“ (Z. 20) Ludwigs XIV. zu verzichten, nämlich die Rheingrenze aufzugeben. Der deutsche Verzicht auf Elsass-Lothringen bedeute die „Sicherung des deutschen Rheinlandes“ (Z. 24). Im dritten Abschnitt (Z. 30-54) betont der Redner den vorläufigen Charakter dieses und aller Verträge. Die Deutschen sollten die gegenwärtigen Grenzziehung im Westen pragmatisch sehen und den Verzicht auf Elsass-Lothringen als psychologische Belohnung der Zurückhaltung Frankreichs begreifen. Im letzten Abschnitt (Z. 55-67) verwahrt sich Stresemann dagegen, die Verträge von Locarno als „freiwillige Anerkennung“ (Z. 57f). des „Gewaltakt(s) von Versailles“ (Z. 57) aufzufassen. Dieser werde bestehen bleiben, doch seinen Geist könne man verändern, z. B. durch den Eintritt Deutschlands in den Völkerbund. Auf solchen Wegen könne Deutschland den Versailler Vertag aushöhlen. Interpretation: Stresemann will seine Zuhörer, deren nationaler Stolz durch den Deutschland hart und moralisch (§231) strafenden Versailler Vertrag verletzt ist, davon überzeugen, dass es bei den gegebenen Machtverhältnissen keinen anderen Weg zur Revision dieses Vertrages gebe als den der Verhandlung und vertraglichen Bindung. Im „do, ut des“-Verfahren stimme die Deutschland in den Verträgen von Locarno zwar der Westgrenze zu, binde aber dadurch Frankreich, das mit dem Vertragsabschluss auf seine Expansionspläne in Bezug auf das Rheinland verzichte. Der Außenminister plädiert mit seiner Rede quasi für eine Bismarcksche Realpolitik. Der territoriale status quo könne nur durch Diplomatie und Kommunikation, wie im Völkerbund möglich, verändert werden, das ist seine Überzeugung. Parteipolitisch enthält die Rede einen Hieb gegen den „rechten“ Rivalen DNVP (Z. 50). Sie richtet sich in erster Linie an die eigene Partei. Die DVP schwankte in ihrer Haltung zur Republik und trug die Verträge von Locarno, an denen ihr Vorsitzender maßgeblich beteiligt war, nicht mit.

© Dudenverlag, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim, 2008 12

Innenpolitisch will der überzeugte Vernunftrepublikaner die 1925 eingetretene Stabilisierung der Weimarer Republik verstärken und der Hetze von rechts gegen den Versailler Vertrag und die „Erfüllungspolitiker“ entgegentreten. Seit der Währungsreform (November 1923) besserte sich die wirtschaftliche Lage, der Dawes-Plan (Februar 1924) stellte einen Fortschritt in der Lösung der Reparationsfrage dar. Die innenpolitische Situation hatte sich seit 1923 beruhigt, doch die Wunden des Niederlage und die mangelnde Akzeptanz der Republik blieben virulent, wie sich auch in der Wahl des kaiserlichen Generalissimus Paul von Hindenburg zum Reichspräsidenten (26.4.1925) zeigt. Stresemann möchte zwar den Versailler Vertrag revidieren, doch friedlich und im Rahmen der Weimarer Republik.

3. Aufgabe Die Revision von Versailles musste das außenpolitische Ziel der Weimarer Republik sein. Der maßgebliche Außenpolitiker der Weimarer Republik, Gustav Stresemann (DVP, RK 1923, Außenminister 1923-1929), strebte die Aussöhnung mit Frankreich und eine friedliche Revision der Ostgrenze an. Seine Ziele waren die internationale Friedenssicherung, die Lösung der Reparationenfrage, die Räumung des Rheinlands und die „Korrektur der Ostgrenze“ (Zitat Stresemann). Diesen Zielen dienten

schon 1922, vor Stresemann, der Rapallo-Vertrag zwischen Deutschland und Russland: gegenseitiger Verzicht auf Reparationen, die Regelung der beiderseitigen Wirtschaftsbeziehungen (Meistbegünstigung) und die Aufnahme diplomatischer Beziehungen, mit dem Ziel, Deutschland aus der Isolation nach der Niederlage im ersten Weltkrieg zu befreien und Druck auf die Westmächte zwecks Revision des als ungerecht bewerteten Versailler Friedensvertrags auszuüben.

1925 die Verträge von Locarno zwischen Deutschland, Frankreich, Belgien, Polen und der Tschechoslowakei: Akzeptanz von Deutschlands Westgrenze, Ausschluss einer gewaltsamen Änderung der Grenze zu Polen, mit dem Ziel der Aussöhnung mit Frankreich

1926 der Berliner Vertrag zwischen der UdSSR und dem Deutschen Reich: Freundschaft und Neutralität, ohne Stoßrichtung gegen Polen, im Kontext der Konzentration der UdSSR auf innere Probleme („Aufbau des Sozialismus in einem Land“), mit dem Ziel, die Beziehungen zu intensivieren

die Aufnahme Deutschlands in den Völkerbund (1926); damit war die Isolierung Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg beendet.

Damit waren die Aussöhnung mit Frankreich, die Räumung des Rheinlands und die internationale Friedenssicherung erreicht. Die Reparationen wurden sukzessive gemindert:

Januar 1921 Konferenz von Paris: Festlegung de deutschen Reparationsschuld auf 226 Mrd. Goldmark, zu zahlen in 42 Jahresraten

Mai 1921 Konferenz in London: Senkung der deutschen Reparationen auf 132 Mrd. Goldmark

Februar 1924 Dawes-Plan: Deutschland soll bis 1928 5, 4 Mrd., dann jährlich bis zu 2, 5 Mrd. Goldmark zahlen, keine Abmachung über die Laufzeit; Deutschland darf als internationaler Kreditnehmer auftreten

Juni 1930 Young-Plan: bis 1988 soll Deutschland 34, 5 Mrd. zahlen. Vergleicht man diese Entwicklung mit den Ausgangsbedingungen der Weimarer Republik, kann man nur zu einem Ergebnis kommen: Der Friedensvertrag, ein Diktat, wurde im Spiegelsaal von Versailles am 28.6.1919 von der deutschen Delegation unterzeichnet. Die Wahl des Ortes war die französische Revanche für die Gründung des Kaiserreichs. Er enthielt folgende Bestimmungen für Deutschland:

© Dudenverlag, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim, 2008 13

Gebietsabtretungen: an Frankreich: Elsass-Lothringen an Polen: Posen, Teile Westpreußens und Oberschlesien (nach Volksabstimmung) an Litauen: das Memelgebiet an die Tschechoslowakei: das Hultschiner Ländchen (nach Volksabstimmung) an Belgien: Eupen-Malmedy (nach Volksabstimmung) das Saargebiet sollte für 15 Jahre unter Völkerbundsverwaltung gestellt werden das linksrheinische Gebiet wurde in drei Zonen bis zu 15 Jahren von den Alliierten besetzt

alle Kolonien mussten abgegeben werden; Abrüstung:

Reduzierung der Reichswehr auf 100 000 Soldaten fast völlige Auflösung der Marine Verbot des Besitzes schwere Waffen Abschaffung der Wehrpflicht Schaffung einer entmilitarisierten Zone 50 km östlich des Rheins Reparationszahlungen in noch festzulegender Höhe.

Am meisten empörte die Deutschen aber der sog. Kriegsschuldartikel (§ 231), in dem die alleinige Schuld am Ersten Weltkrieg den Mittelmächten zugesprochen wurde. Der Vertrag diente insbesondere dem Sicherheitsbedürfnis Frankreichs und stellt den Tiefpunkt in den deutsch-französischen Beziehungen vor dem Zweiten Weltkrieg dar. Gemessen an ihrer Ausgangssituation, war die Weimarer Außenpolitik eindeutig erfolgreich. Die Republik war in den Kreis der europäischen Mächte zurückgekehrt.

4. Aufgabe Beschreibung: Die Karikatur in der Satirezeitschrift Simplicissimus vom 14.4.1935 zeigt in der Bildmitte einen schwarzen, schattenhaften Adler in einem Vogelkäfig. Ihn umstehen fünf unterschiedlich große, in Umrissen gezeichnete Männer in französischer Uniform. Auf dem napoleonischen Dreizack auf ihren Köpfen stehen, von links nach rechts, in je einem Kreis die Großbuchstaben B, E, F, R und I. Der kleine, vom linken Bildrand abgeschnittene Mann (B) hat einen dunklen Schnurrbart, der rechts neben ihm stehende größere ‚E’ Koteletten. Vor den beiden sitzt auf einem Esel ein hagerer Soldat (F), der dem Betrachter ein scharfes Profil von rechts zeigt. Vorne rechts neben dem Käfig steht ein kleiner Mann (I) mit dunklen Locken, Schnauzbart und Bartwuchs am Kinn, hinter ihm ein hünenhafter Soldat R mit bärenartigen Gesichtszügen. Die drei Gestalten in der linken Hälfte halten einen Degen in einer Hand (‚B’ und ‚E’ in der rechten, ‚F’ in der linken). ‚I’ trägt den Degen an der linken Seite und hat die linke Hand um einen Beilgriff gelegt, der in einem Rutenbündel steckt. Dieses ist an einen Gitterstab des Käfigs gelehnt. Die große Gestalt rechts hinten stützt sich mit dem ausgesteckten rechten Arm auf ein Bajonett. ‚R’ und ‚F’ fassen mit der freien Hand in den Brustschlitz ihrer Uniformen. Auf dem Vogelkäfig sitzt auf einer Bombe ein Hahn, der seinen Kopf reckt und kräht. Unten ist Gras gezeichnet, zu dem hin der Esel seinen Kopf geneigt hat. Der Hintergrund ist leer. Der Untertitel der Karikatur lautet: „Die Gewalt unseres großen Napoleon komme ringsum über Alle gegen einen!“. Interpretation: M2 ist betitelt: „Wunschtraum französischer Chauvinisten“. Das Thema der Karikatur ist das Verhältnis von Frankreich, Russland, England, Belgien und auch Italien zu Deutschland. Die Gestalten verkörpern diese Länder, ihre Größe steht für ihre Macht, außer bei ‚F’. Der „Italiener“ ist zudem durch das Amtsabzeichen der Liktoren des Römischen Reichs kenntlich

© Dudenverlag, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim, 2008 14

gemacht, der „Russe“ durch seine Übergröße und seine Gesichtszüge (riesiges, rückständiges Land). Die einheitliche Uniform, die alle tragen, das Sitzen des „Franzosen“ auf einem Esel (adliger Kavallerist gegenüber Fußsoldaten) sollen die Anführerschaft Frankreichs im außenpolitischen Verhältnis zu Deutschland darstellen. Dabei wird diese Nation dadurch herabgesetzt, dass sie nur auf einem unedlen Esel reitet, den man mit Dummheit verbindet. Der napoleonische Gestus, den der „Franzose“ ausführt und der „Russe“ nachahmt, sollen auf ein Machtstreben Frankreichs in napoleonischen Ausmaß hinweisen. Dass Frankreich der chauvinistische Hauptaggressor sei, sollen besonders der Hahn, der das Symboltier Frankreichs ist (lat. Gallia irrigerweise von lat. gallus = Hahn) und die Bombe, um die er seine Krallen gelegt hat, versinnbildlichen. Der Karikaturist unterstellt dem europäischen Ausland und inbesondere dem „Erzfeind“ Frankreich, Deutschland gefangen zu halten und in seiner Existenz zu bedrohen. Überprüfung: Diese Einschätzung hält einer kritischen Überprüfung nicht stand. Die Weimarer Außenpolitik hatte zu einer Lockerung der Fesseln des Versailler Vertrages geführt. Auch der NS-Staat machte die Revision von Versailles zu seiner außenpolitischen Agenda. Doch sein eigentliches Ziel war die Vorbereitung und Führung eines Kriegs zur Eroberung neuen „Lebensraums“ im Osten bzw. letztlich die deutsche Weltherrschaft. Der Ideologie entsprechend, kannte die nationalsozialistische Außenpolitik Friedlichkeit nur als Mittel, nicht als Ziel. In einem Wechselspiel von Friedensbeteuerungen und der Schaffung vollendeter „Heimführungen“, „Anschlüsse“ und Annexionen erstrebte Hitler die Revision des Versailler Vertrags und die „Eroberung neuen Lebensraums“. Dazu dienten die Stationen seiner Außenpolitik bis 1935:

14.10.1933 Austritt aus dem Völkerbund: Kampfansage an die Versailler Ordnung 26.2.1934 Nichtangriffspakt mit Polen: Schwächung des französischen Bündnissystems

17.1.1935 Wiedereingliederung des Saarlands 16.3.1935 Wiedereinführung der allgemeine Wehrpflicht: Bruch des Versailler Vertrages, Aufrüstung

18.6.1935 deutsch-britisches Flottenabkommen: Bruch des Versailler Vertrages, Aufrüstung

Diese Absage an den Geist von Locarno und die Überzeugungen Stresemanns dokumentiert:

7.3.1936 Kündigung der Locarno-Verträge, Einmarsch ins entmilitarisierte Rheinland: Bruch des Versailler Vertrages.

Hitler ignorierte die erreichte Verbesserung des deutsch-französischen Verhältnisses. Er ging von der unversöhnlichen Feindschaft der Franzosen aus, als hätte es seit 1871 keine Entwicklung gegeben. Diese falsche Sicht hat der Karikaturist übernommen.

Aufgabenstellung IV

1. Aufgabe Kapitulation: Am 7./9.5.1945 kapitulierte die Wehrmacht bedingungslos vor der Anti-Hitler-Koalition der USA, UdSSR, Großbritanniens und Frankreichs, Japan am 2.9.1945. Außenpolitisch war Deutschland völlig isoliert, als Kriegsverursacher geächtet und von der staatlichen Auflösung bedroht. In mehreren Konferenzen bereiten die Alliierten trotz des Misstrauens von Churchill gegen Stalin gemeinsam über die europäische und deutsche Nachkriegsordnung. Dazu gehören die:

© Dudenverlag, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim, 2008 15

Konferenz von Jalta (4.2.-11.2.1945): Bildung einer provisorischen polnischen Regierung, Curzon-Linie (Demarkationslinie zwischen Polen und Sowjetrussland, vom britischen Außenminister George Curzon 1920 nach dem Polnisch-sowjetischen Krieg vorgeschlagen) als polnische Ostgrenze, Frankreich als vierte Besatzungsmacht mit einer eigenen Zone

Potsdamer Konferenz (17.7.-2.8.1945): Nordostpreußen mit Königsberg an die UdSSR, Bestätigung der Curzon-Linie, dafür deutsche Ostgebiete bis Oder und Neiße unter polnische Verwaltung, Ausübung der Regierungsgewalt in Deutschland durch die Siegermächte, seine Einteilung in Besatzungszonen, Bildung des Alliierten Kontrollrats (Oberbefehlshaber), Entmilitarisierung, Entnazifizierung, Demokratisierung, Reparationen und Demontagen.

Das Ergebnis der Konferenzen für Deutschland war dieses: Auslöschung Deutschlands als Völkerrechtssubjekts territoriale Verluste (ca. ein Viertel des Gebiets von 1937) Flucht und Vertreibung von ca. 12 Mio. Deutschen, vor allem aus den Gebieten östlich von Oder und Neiße und aus der Tschechoslowakei mit Duldung oder Zustimmung der Westalliierten

Bildung von vier Besatzungszonen und vier Berliner Sektoren. Am 30.8.1945 wurde in Berlin der Alliierte Kontrollrat errchtet, aus den vier Oberbefehlshabern, ihren Vertretern und einem Koordinationsausschuss. Mit der Direktive Nr. 24 leitete der Kontrollrat die systematische Entfernung von „Nationalsozialisten“ aus öffentlichen Ämtern und Führungspositionen in der Wirtschaft ein. Das Saargebiet wurde französischer Verwaltung unterstellt und in der Folge Frankreich wirtschaftlich, unter Vorbehalt, angegliedert. Entstehung des Ost-West-Konflikts: Nach dem Zweiten Weltkrieg dehnte die UdSSR ihr Staatsgebiet durch große Annektionen nach Westen aus. Die nicht annektierten Staaten Ost- und Mitteleuropas, die von der Roten Armee besetzt waren, wurden Stalins Vorstellungen entsprechend bis 1948 in kommunistische „Volksdemokratien“ umgewandelt. Sie waren politisch, militärisch und ökonomisch von der UdSSR abhängig. Im westlichen Lager erhoben die USA, die das Atomwaffenmonopol besaßen und die stärkste Wirtschaftsmacht waren, den Anspruch auf die politische Führung. Diesem Anspruch ordneten sich die westeuropäischen Staaten, die sich von der Expansion des Kommunismus bedroht fühlten, bereitwillig unter. Bis zum Tode Stalins (5.3.1953) war das Verhältnis der beiden Blöcke von Konfrontation geprägt. Wichtig bis 1947 sind vor allem folgende Ereignisse:

Truman-Doktrin (12.3.1947) Marshall-Plan (5.6.1947)

Teilung Deutschlands: Schon während des Krieges hatte sich abgezeichnet, dass die Anti-Hitler-Koalition wegen der weltanschaulichen Gegensätze zwischen den westlichen Alliierten und Stalin auseinander brechen werde. Die Weltgeschichte stand nach 1945 im Zeichen des Kalten Krieges. In ihm standen zwei von einer Supermacht dominierte Blöcke einander feindlich gegenüber, der westliche und der Ostblock. In Mitteleuropa und bes. im geteilten Deutschland stießen sie unmittelbar aufeinander. Nach 1945 konkurrierten die USA und die UdSSR zunächst vor allem in Europa, nach 1960 vor allem in Afrika, Asien und Lateinamerika um die Vorherrschaft. Die deutsche Frage wurde ein Teil des Ost-West-Konflikts. Jeder Versuch, sie zu lösen, scheiterte an der Gegensätzlichkeit der Haltungen der Hegemonialmächte zu ihr: die USA sahen die BRD als den einzigen rechtmäßigen deutschen Staat an; die UdSSR ging von der Zwei-Staaten-Theorie aus, der Gleichrangigkeit beider Teilstaaten. Im Frühjahr 1946 wurde auf der Pariser Außenministerkonferenz deutlich, dass die Zukunft Deutschlands in den Ost-West-Konflikt einbezogen war: Die USA wiesen Forderungen der UdSSR nach Reparationen aus den Westzonen für ihre stark zerstörte Wirtschaft zurück, die UdSSR verhinderte die wirtschaftliche Vereinigung der amerikanischen mit der britischen

© Dudenverlag, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim, 2008 16

Zone. Daraufhin erklärte der US-Außenminister James F. Byrnes in einer Rede (26.9.1946), dass es nun keinen amerikanischen Isolationismus mehr gebe, und stellte Deutschland die Wiedervereinigung (der Zonen) oder wenigstens eine möglichst große Vereinigung in Aussicht. SBZ: Bereits während der Verhandlungen über Deutschlands Zukunft schuf die Rote Armee mit der Vertreibung der Deutschen aus den Gebieten östlich von Oder und Neiße vollendete Tatsachen. Nach der Kapitulation übernahm in der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) die Sowjetische Militäradministration (SMAD) die Besatzungsgewalt. Dort setzte sie nicht nur die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz um, sondern wandelte Staat und Gesellschaft nach dem Muster der UdSSR um. Die Absicht Stalins war es dabei, die SBZ in den Sicherheitsgürtel der kommunistischen Satellitenstaaten zu integrieren. Dazu ergriff die SMAD zum einen ökonomisch-soziale Maßnahmen:

„Bodenreform“ (September 1945 bis Frühjahr 1946): entschädigungslose Enteignung von Betrieben und Grundbesitz von „Nazi- und Kriegsverbrechern“ und ab einem Großgrundbesitz von über 100 ha

Enteignung von Industriebetrieben und Versicherungen und ihre Umwandlung in „volkseigene Betriebe“ (VEB)

und zum anderen über politische Maßnahmen: Besetzung einflussreicher Verwaltungsposten mit Mitgliedern der KPD, die in Moskau geschult worden waren

Zwangsvereinigung von KPD und SPD zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED, 21./22.4.1946)

Westzonen: Die spätere BRD wurde während der Besatzungszeit in die westliche Ordnung einbezogen worden. Die Beschlüsse der Potsdamer Konferenz wurden durchgeführt:

November 1945-Oktober 1946 Nürnberger Prozesse gegen 24 Hauptverantwortliche der NS-Verbrechen

Besetzung von Ämtern in Politik und Verwaltung vorwiegend mit Gegnern des NS-Regimes

ab Herbst 1945 Zulassung von Parteien Januar 1947 Zusammenschluss der amerikanischen und britischen Zone zur Bizone 5.6.1947 Marshall-Plan: Die USA bieten allen europäischen Ländern ein Hilfsprogramm für den Wiederaufbau der Wirtschaft an; die UdSSR zwingt ihre Satellitenstaaten und die SBZ, die Hilfe abzulehnen.

Amerikanische Zone: Hier galt der Grundsatz, die Demokratisierung von unten nach oben durchzuführen.

19.9.1945 Konstituierung der Länder Bayern, Württemberg-Baden und Hessen 17.10.1945 Errichtung eines „Länderrats des amerikanischen Besatzungsgebietes“ aus den Ministerpräsidenten der drei Länder

15.11.1945 Selbstverwaltungsrecht für Gemeinden und Kreise 26.12.1945 erste freie Kommunalwahlen 1946 Landtagswahlen.

Britische und Französische Zone: 1946 entstanden in der britischen Zone die Länder Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein (beide August) sowie Niedersachsen (November), in der französischen Rheinland-Pfalz, Württemberg-Hohenzollern und Süd-Baden. Diese Länder hatten wesentlich weniger Selbstverwaltungsbefugnisse als die in der amerikanischen Zone.

© Dudenverlag, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim, 2008 17

2. Aufgabe 2.1 Das Gericht führt vier Gründe an, warum es den Angeklagten im Entnazifizierungsverfahren als Mitläufer eingestuft hat:

1) Seine Parteizugehörigkeit datiere erst vom 1.12.1938 und sei eine zwangsläufige Folge seiner Mitgliedschaft in der Sudetendeutschen Partei, die nach der Abtretung der Sudetengebiete (Münchener Konferenz 29.9.1938) bzw. dem deutschen Einmarsch in diese (1.10.1938) mit der NSDAP zwangsvereinigt worden sei. Zudem habe der Angeklagte nur den Status eines Anwärters innegehabt (Z. 15-21).

2) Schwerer wiegt für die Beurteilung seine Mitgliedschaft in der SA vom Frühjahr 1939 an, vom 1.6. (Z. 16 oder 1.7. Z. 29)-1.10.1939 als Oberscharführer. Aber diesen Dienst habe er nicht ausgeübt, weil der Parteiapparat im Sudetengau erst im Aufbau begriffen gewesen sei. Danach sei der Angeklagte in die Wehrmacht eingetreten und darauf in Kriegsgefangenschaft geraten. Der Spruchkammer lägen keine belastenden Aussagen bezüglich der SA-Mitgliedschaft vor. Für den Betroffenen spreche dagegen seine Aufrichtigkeit diesbezüglich (Z. 23-37).

3) Ausführlich legt das Gericht dar, dass der Angeklagte einem befreundeten jüdischen „Mischling“ (Z. 39) geholfen habe, sein Studium abzuschließen und den Erlös aus der Zwangsliquidierung seines Großbetriebs zu erhalten, und dessen Familie energisch unterstützt habe. Dieser Zeuge und andere hätten darüber hinaus die unpolitische Haltung des Angeklagten bestätigt (Z. 38-57).

4) Als vierter Grund wird in der Urteilsbegründung die gegenwärtige elende materielle Lage des seiner Heimat geflohenen Angeklagten genannt, der als „Kriegsopfer“ (Z. 59) alles verloren habe und doch seine ganze Kraft „zum Wiederaufbau eines demokratischen Deutschlands voll einsetzen“ (Z. 62f) wolle (Z. 58-63).

Folgende Aspekte können im Hinblick auf die einzelnen Entlastungsgründe im Urteil der Spruchkammer angeführt werden: ad 1): Über die Mitgliedschaft in der NSDAP hat der Angeklagte in der Tat nicht selbst entschieden, doch er ist selbstständig der nationalistischen Sudetendeutschen Partei beigetreten, die unter ihrem Vorsitzenden Konrad Henlein die Selbstständigkeit der Sudetendeutschen Gebiete forderte und sich von Hitler instrumentalisieren ließ.

ad 2): Der Angeklagte führt idealistische Motive für den Eintritt in die SA an. Das bedeutet, dass er sich vom Nationalsozialismus angezogen fühlte oder sich verführen ließ. Allerdings entlastet ihn, dass er die Position des Oberscharführers de facto nicht ausgeübt hat.

ad 3) Die Hilfe für den jüdischen Freund bezeugt Mut und die Ablehnung des nationalsozialistischen Antisemitismus. Der Angeklagte hat mit seiner Unterstützung viel riskiert.

ad 4) Dass der Betroffene nach der Niederlage und dem Verlust der „Ostgebiete“ zu den Vertriebenen zählt, ist für die Spruchkammer ein Entlastungsgrund. Das ist juristisch kein haltbares Argument, denn gegenwärtige Not entbindet nicht von Schuld aus der Vergangenheit. Diese Begründung zeigt deutlich, dass die Spruchkammern mehr am „Wegräumen“ der Trümmer des Dritten Reiches interessiert waren, am Wiederaufbau, als an einer gründlichen Aufarbeitung der Vergangenheit. Diese Haltung kann ihnen zum Vorwurf gemacht werden.

Insgesamt handelt es sich bei dem Angeklagten wohl um einen zwar nationalistischen, doch eigentlich unpolitischen, im Persönlichen solidarischen Menschen, der nicht aktiv nationalsozialistische Verbrechen begangen hat. Deshalb kann seine Einstufung als Mitläufer nachvollzogen werden. Es muss aber die Tendenz zur Verharmlosung in den Spruchkammerverfahren festgestellt werden.

© Dudenverlag, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim, 2008 18

2.2 Darstellung der Entnazifizierung Entnazifizierung, die Zerschlagung der NSDAP und die Ahndung der nationalsozialistischen Kriegsverbrechen in den Nürnberger Prozessen waren die logische Folge der Schuld, die Hitler-Deutschland auf sich geladen hatte. Allerdings behandelten die Westmächte die Entnazifizierung bald als eine politische Säuberung, während die UdSSR die konsequente politische Säuberung in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) mit einer grundlegenden ökonomischen, gesellschaftlichen und politischen Umwälzung verband. In der SBZ instrumentalisierte die Sowjetische Militäradministration (SMAD) die Entnazifizierung zur Ausschaltung von Adel, Großbauerntum und Besitzbürgertum. Sonderkammern der Landgerichte urteilten über politischer Straftaten verdächtige Personen. Im Unterschied zur amerikanischen Zone wurde nicht die ganze Bevölkerung der Entnazifizierung unterworfen, aber politische Gegner in Internierungslager eingewiesen. Mit Befehl vom 26.2.1948 wurde diese Entnazifizierung in der SBZ für beendet erklärt. Die DDR propagierte offiziell eine Antifaschismus-Doktrin, mit der alleine die BRD mit dem Nationalsozialismus in Verbindung gebracht wurde. Westzonen: Von den ca. 180 000 Inhaftierten in den drei westlichen Besatzungszonen wurden bis zum 1. Januar 1947 ca. 86.000 aus den Lagern entlassen. Bis 1947 waren in der britischen Zone 64 500 Personen inhaftiert, in der französischen 18 963 und in der amerikanischen 95 250. Am 13. Mai nahmen mit Genehmigung der amerikanischen Militärregierung die ersten Spruchkammern ihre Tätigkeit auf. In den westlichen Zonen wurden 5025 Verurteilungen ausgesprochen, davon 806 Todesurteile, von denen 486 vollstreckt wurden. Über die 2,5 Millionen Deutsche, deren Verfahren bis 31. Dezember 1949 durch die Entnazifizierungsspruchkammern entschieden war, wurde wie folgt geurteilt: 1, 4 % Hauptschuldige oder Belastete, 54 % Mitläufer, bei 34,6 % Einstellung des Verfahrens, bei 0, 6 % Anerkennung als Regimegegner. Die amerikanische Militärregierung betrieb in ihrer Besatzungszone zunächst selbst eine engagierte, aber auch sehr bürokratische Entnazifizierung. Jeder Erwachsene musste einen Bogen mit 131 Bögen ausfüllen, nach dem man in die folgenden fünf Gruppen eingeteilt wurde: Hauptschuldige, Belastete (Aktivisten, Militaristen, Nutznießer), Minderbelastete, Mitläufer und Entlastete. Diese Einstufung Beschuldigter in fünf Verstrickungsgradkategorien wurde in den anderen westlichen Besatzungszonen übernommen. Da die Einstufung oberflächlich durchgeführt wurde, entgingen viele Täter ihrer Strafe. Seit 1947 wurden mit der Verabschiedung von sog. Entnazifizierungsgesetzen unter teilweiser Verantwortung der neu gebildeten Länder auch mit Deutschen besetzte Spruchkammern hinzugezogen. Diese verurteilten in mehr als 900 000 Verfahren die Betroffenen in erster Instanz, gegen die Berufung bei der Berufungskammer eingelegt werden konnte. Sühnemaßnahmen waren u. a. Haftstrafe bis zu 10 Jahren, Vermögensentziehung, Amtsverlust, Berufsverbot, Geldbußen oder Aberkennung des Wahlrechts. In der britischen Zone fand dagegen eine begrenztere Entnazifizierung, bezogen auf die auf Eliten, bes. die Justiz, nach einem Skalensystem von 1-5 statt. Die Kategorien 3-5 (leichtere Fälle) wurden dabei von deutschen Entnazifizierungsausschüssen bearbeitet. Für die Aburteilung von Angehörigen verbrecherischer NS-Organisationen wie beispielsweise der SS, der Waffen-SS, des SD wurden deutsche Spruchgerichte eingerichtet. Als Strafe wurden in der Mehrheit der Fälle die Internierungshaft angerechnet oder Geldbußen verhängt. Nach der Gründung der BRD (24.5.1949) übernahm diese die Entnazifizierung ganz. Am 15.12.1950 verabschiedete der Bundestag Empfehlungen an die Bundesländer für eine einheitliche Beendigung des Entnazifizierungsverfahrens, 1954 wurde sie zuletzt in Bayern eingestellt. In den Nürnberger Prozessen wurde von 1945-1949 von einem Internationalen Militärtribunal (IMG) oder von amerikanischen Militärgerichten die Ahndung von nationalsozialistischen Verbrechen unternommen. Vor dem von den USA, der UdSSR, England und Frankreich

© Dudenverlag, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim, 2008 19

besetzten IMG wurde am 18.10.1945 in Berlin Anklage gegen 24 „Hauptkriegsverbrecher“ erhoben. Dieser Hauptprozess endete mit 12 Todesurteilen, sieben Haftstrafen und drei Freisprüchen. Die SS, der SD, die Gestapo und die Führungsgremien der NSDAP wurden als verbrecherische Organisationen eingestuft, nicht aber die Reichsregierung, der Generalstab, das OKW und die SA. In den Folgeprozessen wurden 177 Einzelpersonen angeklagt, z. B. wegen medizinischer Versuche an KZ-Häftlingen, der Euthanasie-Aktion., der Beschäftigung ausländischer Zwangsarbeiter, Erschießungen im Partisanenkrieg und der Anwendung des Kommissarbefehls. Im Vordergrund stand der Holocaust. Von 24 Todesurteilen wurden 12 vollstreckt, 35 Angeklagte wurden freigesprochen, die verhängten Haftstrafen bis 1956 aufgehoben. Problematisch war, dass von den drei relevanten Verbrechenskomplexen nur Kriegsverbrechen vom geltenden Völkerrecht erfasst waren. Die „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ waren grundsätzlich schon lange strafbar, wurden jetzt aber erst als völkerrechtliche Verbrechen definiert. Zweifelhaft war allerdings, ob nach dem bis 1945 geltenden Völkerrecht die deutschen Angriffskriege als „Verbrechen gegen den Frieden“ strafbar waren. Mit dieser Kategorie entwickelten die Nürnberger Prozesse das Völkerrecht weiter, mit einer Resolution vom 11.12.1946 übernahmen die UN diese neuen Prinzipien. Doch enthielten die Prozesse politische Justiz, was ihre Wirkung auf die deutsche Öffentlichkeit beeinträchtigte und verstießen gegen den Rechtsgrundsatz „Nulla poena sine lege“(keine Strafe ohne – vorher dafür geltendes – Gesetz). Man konnte sie als Siegerjustiz sehen. Problematik der Entnazifizierung in den Westzonen: Hier können unterschiedliche Aspekte diskutiert werden, je intensiver, desto besser. Angesprochen werden sollten u. a.:

Uneinheitlichkeit der Durchführung in den drei Zonen große Zahl der Freisprüche Oberflächlichkeit bzw. Formalismus des Verfahrens Folge der totalitären Diktatur: Beteiligung an NS-Organisationen schwierig zu vermeiden

Interesse der Deutschen, die eigene Schuld zu verharmlosen Beeinflussung der Entnazifizierung durch den beginnenden Kalten Krieg.

3. Aufgabe: 3.1 Darlegung der Thesen Schilys Der Bundestagsabgeordnete Otto Schily konstatiert in einer in Auszügen vorliegenden Rede aus dem Jahr 1984, dass das deutsche Volk durch die Verbrechen der nationalsozialistischen Epoche seine nationale Identität verloren habe: „Die verbrecherische Übersteigerung des deutschen Machtanspruchs im Dritten Reich und dessen Selbstzerstörung“ (Z. 27) hätten für unabsehbare Zeit „zur Zweistaatlichkeit des deutschen Volkes geführt“ (Z. 29). Das Streben nach einem nationalen Einheitsstaat bewertet der Grünen-Politiker in dieser Primärquelle als einen Irrweg, der Chauvinismus, Hegemonialanspruch und Militarismus in Deutschland befördert habe. Zwischen dem Kaiserreich und dem Dritten Reich macht Schily dabei keinen Unterschied (Z.21-25). Im Gegenteil müssten die Deutschen „den Nationalstaatsgedanken überwinden“ (Z. 15-20). Stattdessen hätten sie sich nach dem Zweiten Weltkrieg auf den wirtschaftlichen Neubeginn konzentriert und die Vergangenheit vernebelt (Z. 29f, 38-51). Zwar sei der Wiederaufbau (in der BRD) eine beachtliche Leistung, doch habe man dabei „den westlichen Industrialismus auf den Altar erhoben“ (Z. 42-45) und „die innere und äußere Katastrophe mit dem Wohlstandsflitterkram… überdeckt“ (Z. 46f). Schily mahnt die Deutschen dazu, sich von der Selbstzufriedenheit der Restauration abzuwenden und die radikale Neubesinnung von 1945 wieder zu beginnen. Er ruft also dazu auf, „das Vermächtnis von Auschwitz“ (Z. 51f)

© Dudenverlag, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim, 2008 20

anzunehmen (Z. 48-51). Nur aus der bewussten Polarisierung zur eigenen nationalsozialistischen Geschichte, in „Gedächtnis und Gewissen“ (Z. 12) könnten die Deutschen eine neue Identität gewinnen (Z. 1f, 11-14). Diese dürfe keine nationale sein, sondern solle geistig und kulturell beschaffen sein. Im Ost-West-Konflikt sollten die Deutschen eine Mittlerstellung einnehmen. (Z. 18-20, 34-37). Angemerkt sei der für Westdeutsche vor der Vereinigung typische Fehler, von „den Deutschen“ zu sprechen, wenn nur die Deutschen in der BRD gemeint sein können. Erläuterung der innen- und deutschlandpolitischen Situation um 1984 In der, der Großen Koalition nachfolgenden, sozialliberalen Ära (1969-1982) hatte sich eine gewisse Liberalisierung und Demokratisierung in der Gesellschaft vollzogen durch z. B.:

die Senkung des Wahlalters von 21 auf 18 Jahre die Bildungsreform zur Verbesserung der Chancengleichheit eine Reform des Ehe- und Familienrechts (Gleichberechtigung der Geschlechter, bei Scheidung Zerrüttungsprinzip)

eine „Liberalisierung“ des Strafrechts (Resozialisierung statt Feststellung von Schuld und Sühne)

die Erweiterung der betrieblichen Mitbestimmung im neuen Betriebsverfassungsgesetz den Ausbau des Sozialstaats.

Der Regierung Schmidt/Genscher (1974-1982) gelang die Stabilisierung der Wirtschaft, die durch die Kosten dieser innenpolitischen Reformen unter Willy Brandt und die Ölkrise von 1973 erschüttert worden war. Dennoch stiegen die Arbeitslosenzahl und Staatsverschuldung. Allerdings reagierte der Staat wehrhaft auf den Terror der radikalisierten 68er; 1972 beschlossen die Ministerpräsidenten der Länder den sog. Extremistenerlass (Routinekontrolle der Zugehörigkeit zu einer extremistischen Vereinigung bei Bewerbern für den öffentlichen Dienst). Die Abwehrt der meisten terroristischen Anschläge fiel in die Regierungszeit Schmidt/Genscher (ab 1976) mit dem Höhepunkt der Entführung einer Lufthansa-Maschine nach Mogadischu in Somalia durch die Rote-Armee-Fraktion (RAF), um inhaftierte Terroristen freizupressen. Die Standhaftigkeit der Bundesregierung und der Sympathieverlust in der öffentlichen Meinung führten schließlich zur Kapitulation der RAF in den 90er Jahren. Die sozialliberale Koalition hielt im Streit um die Nachrüstung auch am NATO-Doppelbeschluss, der Stationierung atomarer Mittelstreckenwaffen in Europa bei gleichzeitigen Abrüstungsverhandlungen als Gegengewicht gegen die 1976 begonnene Aufstellung sowjetischer SS-20-Mittelsteckenraketen fest. Die dagegen protestierende Friedensbewegung konnte die Bündnistreue der BRD nicht erschüttern, der Doppelbeschluss wurde von der folgenden Regierung Kohl im November 1983 ratifiziert. Aus dieser Protestbewegung gingen die 1980 gegründeten „Grünen“ hervor, eine neue, ökologisch ausgerichtete, das Parteienspektrum erweiternde Partei, der der Redner angehörte. Der innerparteiliche Streit in der SPD um die Nachrüstung, der Anstieg der Arbeitslosenzahl und der Sozialleistungen wie der Staatsverschuldung veranlassten die FDP, im Oktober 1982 aus der Koalition auszutreten. CDU/CSU und FDP stürzten Helmut Schmidt durch ein konstruktives Misstrauensvotum; Helmut Kohl (CDU) wurde Bundeskanzler, Hans-Dietrich Genscher (FDP) blieb Vize-Kanzler und Außenminister. Kohl trat die Kanzlerschaft mit dem Schlagwort der „geistig-moralischen Wende“ an: Wirtschafts- und Sozialpolitik: Die Wirtschafts- und Beschäftigungskrise konnte mit dem Übergang von der nachfrage- zu einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik überwunden werden durch

Einsparungen bei den Sozialausgaben (Streichung des sozialen Wohnungsbaus und des Schüler-BAföG, Kürzung der Rentenerhöhungen)

Kürzungen bei der steuerlichen Förderung von Betrieben Förderung von Eigeninitiative und Wettbewerb Steuerentlastungen für Unternehmer Verringerung staatlicher Eingriffe in die Wirtschaft.

Eine deutliche Senkung des Ölpreises auf dem Weltmarkt und ein günstiger Dollarkurs unterstützten diese Maßnahmen, so dass es trotz bleibender hoher Arbeitslosigkeit zu einem

© Dudenverlag, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim, 2008 21

Wirtschaftsaufschwung kam, der die BRD zu einem der weltweit führenden Exportländer machte. Deutschlandpolitik: Trotz der Unterstützung des NATO-Doppelbeschlusses, der Stationierung neuer bodengestützter nuklearer Mittelstreckenwaffen bei gleichzeitigem Angebot von Abrüstungsverhandlungen an die UdSSR (Dez. 1979), setzte die christlich-liberale Koalition die Ostpolitik fort. Entwicklung in der DDR: In der Ära Honecker (1971-1989) etablierte sich die DDR als international respektierter Staat, 1973 wurde sie in die UNO aufgenommen und beteiligte sich 1975 an der Unterzeichnung der KSZE-Schlussakte in Helsinki. Im „real existierenden Sozialismus“ bemühte sich das Regime, den Lebensstandard der Bevölkerung anzuheben, um den Erfolg des Sozialismus zu demonstrieren und die Bevölkerung ruhig zu stellen. Tatsächlich stieg das Realeinkommen. Doch entsprach ihm kein verbessertes Warenangebot. Zwar waren Grundnahrungsmittel staatlich bezuschusst und billig, aber alles, was darüber hinausging, war teuer oder nicht erhältlich. Unter Honecker expandierte das Ministerium für Staatssicherheit enorm und kontrollierte die Menschen im Sinne des totalitären Führungsanspruchs der SED. Da die Hebung des Lebensstandards mit Devisen erkauft werden musste, über die die DDR auf Grund der eingeschränkten Handelsbeziehungen mit dem Westen nicht in ausreichendem Maße verfügte, verschuldete sie sich im Westen immer stärker, bis sie zu Beginn der 80er Jahre zahlungsunfähig war. Die Milliardenkredite der Bundesregierung Kohl/Genscher verzögerten allerdings den Staatsbankrott bis 1998. Mitte der 80er Jahre wurde die Opposition lauter und stärker. 3.2 Auseinandersetzung mit Schilys Thesen Den Thesen ist teils zuzustimmen, sie sind teils irrig: Die von Schily geäußerten Thesen sind ein typischer Reflex der Friedensbewegung. Sie zeugen von mangelndem historischem Wissen (keine Unterscheidung zwischen der „Qualität“ des Nationalismus im Kaiserreich und im Dritten Reich, Kontinuitätsthese) und politischer Naivität (BRD als „Mittler“ im Ost-West-Konflikt). Andererseits greifen sie in der Vorstellung einer deutschen „Kulturnation“ auf Ideale der Romantik und deutschen Klassik zurück (s. das Schiller-Zitat). Zuzustimmen ist ihm in dem Befund, dass die Deutschen in der BRD in der Nachkriegszeit die nationalsozialistische Vergangenheit verdrängt haben und dass deren Aufarbeitung Mängel aufweist. Nachvollziehbar ist auch seine Kritik an der Vergötzung des Kapitalismus. Zuzustimmen ist ihm auch darin, dass nur mit der Annahme der eigenen Vergangenheit eine gesunde Identität eines Volkes gelingen kann. Erörterung/Diskussion der Aspekte der nationalen Identität der Deutschen: Angesichts der offenen Aufgabenstellung können hier nur Vorschläge gemacht werden. Diskutiert werden könnten: die These vom deutschen Sonderweg die Vorstellungen der Romantik und Klassik von der deutschen Kulturnation die Gründe für die Ausbreitung faschistischer und totalitärer Regime in Europa in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die liberal-nationale Bewegung im 19.Jahrhundert die Notwendigkeit supra-nationaler Institutionen die Gründe für den Aufstieg der NSDAP und ihre „Machtergreifung“.

© Dudenverlag, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim, 2008 22

Die hier abgedruckten Lösungsvorschläge sind nicht die amtlichen Lösungen des zuständigen Kultusministeriums. Impressum: Alle Rechte vorbehalten. Nachdruck, auch auszugsweise, vorbehaltlich der Rechte die sich aus den Schranken des UrhG ergeben, nicht gestattet. © Dudenverlag, Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG, Mannheim 2008 Redaktionelle Leitung: Simone Senk Redaktion: Christa Becker Autorin: Krista Düppengießer