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© Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben (z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden. Dok 5 Das Feature Faked Science Ein Feature über Manipulation und Betrug in der Wissenschaft O-TON: Ankunft bei Diederik Stapel in Tilburg, Niederlande / Keith Jarrett Klaviermusik spielt im Hintergrund Stapel: Hallo. Knetsch: Hallo. Guten Morgen. Stapel: Good Morning. How are you? Knetsch: Fine. Stapel: Come in. Knetsch: I have my suitcase with me. Stapel: (lacht) Did you sleep in a… Knetsch: … in a small hotel in the centre. It’s a nice town. Stapel: Ja, ja, it’s very nice. Knetsch: It’s beautiful. It’s a nice town. Stapel: Ja, now, now, now. Knetsch: It’s the first time that I’m here in the Netherlands. Stapel: Oh really? Knetsch: Ja, I don’t know it. I live in the South, in Munich. It’s far away. Stapel: You’ve never been in Amsterdam or Den Hague? Knetsch: No (lacht). But I must go. Stapel: Ja. Erzählerin: Zu Besuch beim Sozialpsychologen Diederik Stapel in Tilburg, Holland. Ich bin etwas aufgeregt: O-TON: Interview Diederik Stapel in Tilburg, Niederlande / Keith Jarrett Klaviermusik spielt im Hintergrund Stapel: You want some coffee or tea or something? Knetsch: Yes.

Dok 5 Das Feature Faked Science Ein Feature über ... · PDF fileO-TON: Interview Diederik Stapel in Tilburg, Niederlande, Keith Jarrett darunter Knetsch: Who controlled you?

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© Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben

(z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden.

Dok 5 – Das Feature Faked Science – Ein Feature über Manipulation und Betrug in der Wissenschaft O-TON: Ankunft bei Diederik Stapel in Tilburg, Niederlande / Keith Jarrett Klaviermusik spielt im Hintergrund Stapel: Hallo.

Knetsch: Hallo. Guten Morgen.

Stapel: Good Morning. How are you?

Knetsch: Fine.

Stapel: Come in.

Knetsch: I have my suitcase with me.

Stapel: (lacht) Did you sleep in a…

Knetsch: … in a small hotel in the centre. It’s a nice town.

Stapel: Ja, ja, it’s very nice.

Knetsch: It’s beautiful. It’s a nice town.

Stapel: Ja, now, now, now.

Knetsch: It’s the first time that I’m here in the Netherlands.

Stapel: Oh really?

Knetsch: Ja, I don’t know it. I live in the South, in Munich. It’s far away.

Stapel: You’ve never been in Amsterdam or Den Hague?

Knetsch: No (lacht). But I must go.

Stapel: Ja.

Erzählerin:

Zu Besuch beim Sozialpsychologen Diederik Stapel in Tilburg, Holland. Ich bin etwas aufgeregt: O-TON: Interview Diederik Stapel in Tilburg, Niederlande / Keith Jarrett Klaviermusik spielt im Hintergrund Stapel: You want some coffee or tea or something?

Knetsch: Yes.

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© Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.

Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben

(z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden.

Stapel: Coffee?

Knetsch: Äh. What you drink.

Staqpel: Coffee?

Knetsch: Coffee? Ok.

Erzählerin:

Tilburg ist eine 200.000-Einwohnerstadt, wo die Studenten auf Fahrrädern zur

Uni radeln und die Menschen in gemütlichen Backstein-Häusern wohnen. So

auch Diederik Stapel.

O-TON: Interview Diederik Stapel, Fortsetzung Stapel: Do you know, what is this?

Knetsch: No. What’s the…

Stapel: It’s the Köln Concert.

Knetsch Köln Concert.

Stapel: Köln. Cologne.

Knetsch: Ah, jajaja.

Stapel: From Keith Jarrett.

Knetsch: From Keith Jarrett, yes.

Stapel: He’s very famous.

Knetsch: Ja, it’s famous.

Rest als Atmo unter Text

Erzählerin:

Wir setzen uns auf die Bistrostühle in der trendigen Küche und trinken Kaffee.

Im Verlauf des Gesprächs sehr viel Kaffee.

An diesem Küchentisch saß Diederik Stapel nachts am Computer und tippte

Daten ein. Er erfand sie einfach.

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Sprecherin:

Faked Science.

Ein Feature über Manipulation und Betrug in der Wissenschaft.

Von Gabriele Knetsch.

O-TON: Interview Diederik Stapel, Fortsetzung Stapel: When I started as a scientist I believed in the magic of

science…

OV: Als ich als Forscher begann, glaubte ich an die Magie der

Wissenschaft.

Stapel: I thought everything was wonderful and ideal and this is the way

to find answers..

OV: Das ist der Weg, um Antworten zu finden!

Stapel: And then you enter the world of science and you enter the

practice.

OV: Die Wahrheit zu den drängenden Fragen des Lebens!

Stapel: But the practice is not ideal!

OV: Aber die Praxis ist eben nicht ideal.

Stapel: It’s like when you …

OV: Genau wie in einer Ehe!

Stapel: You think the world is wonderful and you marry and then you

have all of these problems. I’s not about finding the truth.

OV: Ich merkte: hier geht es gar nicht um Wahrheit.

Stapel: It’s about publishing papers.

OV: Es geht darum Artikel zu veröffentlichen.

Knetsch: But when started the point that you were more in the

falsifying…

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Erzählerin: OV

Wann fingen Sie an zu fälschen? -

Stapel: Yeah, I don’t know.

Knetsch: What did you…

Stapel: It slowly happened. It slowly happened

Erzählerin:

Wenn Diederik Stapel heute am Küchentisch sitzt, denkt er über Gott, die Welt

und die Wissenschaft nach.

O-TON: Interview Diederik Stapel, Fortsetzung Stapel: I’m not a professor any more and I was a doctor, but I gave

back my…

OV: Ich bin kein Professor mehr. Ich gab meinen Doktor-Titel

zurück, weil ich dachte: als Doktor sollte man gute

Wissenschaft treiben und das habe ich nicht getan.

Stapel: …and I am not worthy of that title…

OV: Dann ist mein Titel auch nichts wert.

Stapel: It was a big media thing…

OV: Es war ein großes Medien-Ereignis. Alle schrieben, wie

schlimm ich war und wie falsch das alles war.

Stapel: …how bad I was and how awful it was what I did.

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Erzählerin:

40 Notizbücher hat der Forscher a.D. mit seiner winzigen Handschrift

vollgeschrieben. Seit Ende 2011 - da wurde er von der Universität Tilburg

fristlos entlassen.

O-TON: bei Diederik Stapel in Tilburg, Niederlande

Stapel: Whatever I do , now, people will notice and say, well you are

not allowed to do this…

OV: Was auch immer ich mache, die Leute sagen: Du bist Diederik

Stapel. Halt den Mund.

Stapel: Or whatever it is, If I apply for a job, or I write a book. .

OV: Ob ich mich um einen Job bewerbe oder ein Buch schreibe.

Stapel: …they know me, and …

OV: Jeder kennt mich. Ich soll meine Stimme möglichst nicht

erheben.

Stapel: Of course the solution is to go away. Literally by…

OV: Eine Lösung wäre: wegzugehen.

Stapel: …committing suicide. Or by moving to another country or …

OV: Ich könnte Selbstmord begehen oder in ein anderes Land

gehen.

Stapel: …being a ghost.

OV: Quasi als Geist leben.

MUSIK, darüber

Erzählerin:

Die Geschichte des Diederik Stapel handelt von einem Mann, der alles hatte –

und alles verlor. Sie handelt aber auch von einem Fälscher, der ein System in

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(z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden.

Frage stellt, das Spitzenforschung verspricht – und Fake produziert. Wie kann

ein Wissenschaftler vor den Augen seiner Kollegen Jahre lang Daten erfinden,

ohne dass sein Betrug auffällt? Ist Stapel ein Einzelfall – oder – viel

beunruhigender – ein Symptom für ein krankes System? Ein System, dem

Guten und Wahren verpflichtet, in dem es jedoch Fehlverhalten gibt. Und

Manipulation. Sogar Fälschung und Betrug. Die Abgrenzung ist nicht einfach

bei Faked Science.

Atmo, Empfang Eröffnung mit Musik

Ich fliege nach Boston zur größten Wissenschaftskonferenz der Welt, zur

AAAS – der „American Association of the Advancement of Science“. Dort

suche ich Antworten auf diese Frage.

O-Ton AAAS, Boston, USA

Weibl. Stimme: Ten fifteen should be sitting down. If you are ten fifteen you

should be there….

Als Atmo weiter, darüber

Erzählerin:

Bei der AAAS geben sich Nobelpreisträger die Klinke in die Hand.

Talentscouts suchen nach begabtem Nachwuchs.

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O-Ton AAAS, Rosaly

Rosaly: Hi everyone. My name is Rosaly, and I teach mathematics at ^

Harvard University. and I’m here to tell you about math.

Erzählerin:

Forscher stellen bahnbrechende Erkenntnisse vor, die die Menschheit retten.

Man trifft sich abends zu Häppchen beim Empfang und informiert sich über die

neuesten Trends in der Welt der Wissenschaft. Vor dem gigantischen,

glasverspiegelten Kongresszentrum Heynes Convention Center protestieren

Wissenschaftler auf Science Marches gegen den Faktenfeind Donald Trump –

drinnen üben sich die Kollegen in Selbstdarstellung.

O-TON AAAS, Rosaly, Fortsetzung

Rosaly: What does all that mean? How much are you paying compared

to other opportunities? Are you really confident that you’re

getting the best highspeed Internet plan for your houshold for

example? This is everyday maths.

Erzählerin:

Kamera läuft! „Share your science!“ heißt ein Training für Forscher, die ihre

Wissenschaft bestmöglich verkaufen wollen. „Communication“ ist ein Top-

Thema auf der AAAS.

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O-TON AAAS, Workshop Communication

Grimm: I think about my grandmother. My grandmother likes to read,

she is interested in scientific topis. But if she took a science

course, it was a a long, long, time ago. So Im trying to think of

her when I’m writing because I want her to understand it.

MUSIK

Erzählerin:

Wenn meine Großmutter versteht, was die schwierigen physikalischen

Formeln oder die Zahlenreihen einer Studie bedeuten, dann auch mein

Drittmittelgeber, mein Förderer, mein Politiker oder mein Sponsor. Der

Gelehrte im Elfenbeinturm, der jahrelang an einer kniffligen Frage vor sich

hintüftelt, gehört der Vergangenheit an. Der aktuelle Wissenschaftler ist auch

der Salesmanager einer durchrationalisierten Daten-Produktion.

O-TON AAAS, Workshop Communication, Fortsetzung

Grimm: Don’t underhype. You’r doing important work, you’re doing cool

work. Don’t be shy telling people why it’s cool and why it’s

important. For promotion – don’t be shy to promote your work.

MUSIK

Erzählerin:

Allein in Deutschland fließen 90 Milliarden Euro im Jahr in Forschung und

Entwicklung. Ein Drittel davon kommt von Bund und Ländern. Die Konkurrenz

um diese gigantische Sahnetorte wird härter. Natürlich geht es bei

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Spitzenforschung um Erkenntnis. Wissenschaft wird aber zunehmend zu einer

Ware, die gehandelt wird. Der Erfolg dabei hängt nicht unwesentlich von den

Zeitschriften ab, die die Artikel veröffentlichen.

O-TON David Grimm

Grimm: Well, scoops, we really like scoops. We really like to have

exclusives, but often we don’t because when it’s a big story –

like a researcher says they cured cancer, right? You are not

gonna get the scoop on that. Everyone is gonna be covering it.

OV: Wir lieben solche Knüller wirklich. Wenn ein Forscher sagt, er

hat Krebs geheilt, ist das ein toller Scoop. Alle Medien werden

das berichten.

Grimm: What we really try as journalists to find …

OV: Solche Geschichten suchen wir als Magazin. Wir ermuntern die

Wissenschaftler, solche Ergebnisse direkt an die Journals zu

bringen.

Grimm: But journals love that, because that can become a scoop for

them.

SOUNDDESIGN, darüber

Erzählerin:

David Grimm, der Enkel jener wissbegierigen Großmutter, arbeitet für die

berühmteste Wissenschaftszeitschrift der Welt – „Science“: Für eine

Veröffentlichung in „Nature“ oder „Science“ zahlen Universitäten den Autoren

schon mal einen fünfstelligen Betrag.

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O-TON David Grimm

Grimm: For some scientists that makes their career, you know….

OV: Manche Wissenschaftler machen dadurch ihre Karriere.

Grimm: and so, you’re being published in big journals like Science and

Nature…

OV: Wer in Science oder Nature veröffentlicht, bekommt vielleicht

eine Professur oder einen tollen Job.

Grimm: We are still hearing that this Science-paper or that Nature-

paper was transformational for their career.

Erzählerin:

Die heimliche Währung im globalen Forschungsbusiness aber sind die

Impact-Faktoren – sie sind bares Geld wert. Je häufiger ein wissenschaftlicher

Artikel zitiert wird, desto mehr Impact-Faktoren bekommt der Forscher.

Berühmte Magazine wie „Science“ werden häufiger zitiert als das Tübinger

Tagblatt. Je mehr Impact-Faktoren ein Forscher anhäuft, desto besser sein

Ranking in Berufungskommissionen. Desto höher sein Gehalt, das er sich wie

ein Industriemanager selbst aushandelt. Desto mehr Klinikbetten bekommt

seine Uni. Und desto mehr staatliche Fördergelder fließen an sein Institut.

MUSIK

O-TON, Karin Röder, Jens Förster, Doppelkopf, Am Tisch mit Jens

Förster, „Konsum Souveräner“

Röder: Heute ist der Sozialpsychologe Jens Förster zu Gast. Ich heiße

Karin Röder. Haben Sie, um zu haben? Oder sind Sie, um zu

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sein? Oder sind Sie, um zu haben? Oder haben Sie, um zu

sein? Zugegeben, etwas verwirrend, diese Fragen, doch unser

heutiger Doppelkopf-Gast hat das Verhältnis von Haben und

Sein untersucht. Und was das Haben mit dem Sein macht, hat

er ausführlich in seinem gleichnamigen Buch nieder

geschrieben. Herzlich willkommen, Professor Jens Förster.

Förster: Guten Morgen, Frau Röder.

Erzählerin:

Jens Förster ist ein Kollege von Diederik Stapel in Deutschland, weltweit

vielleicht nicht ganz so berühmt, aber immerhin „einer der einflussreichsten

Psychologen seiner Generation“, urteilte die Deutsche Gesellschaft für

Psychologie. Mich fasziniert an Jens Förster, wie er komplexe Wissenschaft in

ein, zwei Sätzen auf den Punkt bringt. Eloquent, charmant, sympathisch. Ein

Professor zum Anfassen! Gern gesehener Gast in Talk Shows, Experte und

Sachbuchautor: Wie kommen Menschen zu ihren Vorurteilen? Steigern sie

durch Sex ihre Kreativität oder ihr analytisches Denken? Und: „Was das

Haben mit dem Sein macht“. Mit populären Themen wie diesen stillt Förster

wie kein zweiter die Sehnsucht der Deutschen nach dem Experten, der ihnen

die Welt erklärt.

O-Ton Joachim Funke

Funke: Das ist natürlich eine Strahlkraft, der man sich nicht entziehen

kann, wo man denkt, wow, da hat einer eine tolle Theorie

entwickelt und bringt hier einen Beleg dafür und dort einen

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(z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden.

Beleg, das ist eigentlich tolle Wissenschaft. Wo man sagt, so

möchte man gerne die Sozialpsychologie weiter führen.

Erzählerin:

Der Sozialpsychologe Joachim Funke von der Universität Heidelberg hat den

„Fall Förster“ von Anfang an mitverfolgt. 2012 bekam Försters Glanz erste

Kratzer. Ein Whistleblower hatte sich an die Universität Amsterdam gewandt

mit dem Verdacht auf „wissenschaftliches Fehlverhalten“. Die Daten seien zu

„linear“ – sprich: zu schön um wahr zu sein.

O-Ton Interview Joachim Funke

Funke: Da werden bestimmte Prognosen bemacht, wie sich die Daten

unter einer Bedingung verhalten sollen, und dass sie das exakt

so tun wie vorhergesagt, in genau der perfekten Form, da denkt

man, wow, das ist aber extrem selten. Iin der Natur sind

Linearität wirklich seltene Fälle. Knetsch: Belegen die Daten

also genau die These, die er vorher aufgestellt hat?

Funke: Ganz klar, so fein belegen sie sie, dass eigentlich nicht schöner

im Lehrbuch gemalt werden könnte.

SOUNDDESIGN, darüber

Erzählerin:

Ich bin irritiert. Der Psychologie-Guru, der deutschlandweit durch die

Talkshows tourt, soll ein Fälscher sein? Oder ist er ein unschuldiges Opfer,

das verleumdet wird?

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Erzählerin: Zitat, Email:

„Sehr geehrter Herr Förster. Ich recherchiere derzeit zum Thema

"Wissenschaftliches Fehlverhalten" für ein Hörfunk-Feature. Wäre es

möglich, mit Ihnen ein Interview zu diesem Thema zu machen, in dem

Sie Ihre Position darlegen können?

Zitator Förster:

„Sehr geehrte Frau Knetsch, sehr gerne können wir einmal telefonieren. Es ist

sicherlich wichtig, auch die Opfer von Verleumdungen zu Wort kommen zu

lassen.“

GERÄUSCH: Telefon Freizeichen

Erzählerin:

Telefonat mit Jens Förster, 8.11. 2016 – Gesprächsprotokoll: Kein

Schuldeingeständnis; Statistiker der Universität Amsterdam hätten seine

Daten überprüft – jedoch mit fragwürdigen Methoden.; ein Interview komme

derzeit nicht in Frage – wegen seiner Bewerbung um eine Professur in

Bochum; aber im Prinzip gerne, wenn die Professur durch ist.

MUSIK, darüber

Erzählerin:

Es geht im Fall Jens Förster um viel Geld – um fünf Millionen. Mit 5 Millionen

Euro ist die Humboldt-Professur ausgestattet, die ihm 2013 zugesagt wird. Mit

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der Humboldt-Professur lockt der Staat deutsche Spitzenforscher aus dem

Ausland zurück in die Heimat. Diese höchstdotierte Auszeichnung in der

Bundesrepublik wird von der Alexander-von-Humboldt-Stiftung an besonders

herausragende Wissenschaftler verliehen. Die Ruhruniversität Bochum hatte

daher ein großes Interesse, Jens Förster von der Universität Amsterdam

abzuwerben – zu besten Konditionen:

O-TON Interview Joachim Funke, Fortsetzung

Funke: Natürlich ist das ein Schmuck für jede Universität, jemanden zu

haben, der internationale Anerkennung genießt, der hochrangig

publizieren kann, der tolle Theorien entwickelt und obendrein

noch viel Geld mitbringt. Die Alexander-von-Humboldt-

Professur ist mit 5 Millionen Handgeld ausgestattet. Das ist ja

nicht ganz wenig. In heutigen Zeiten ist man manchmal froh, ein

Forschungsprojekt genehmigt zu bekommen, wo man in 3

Jahren 100.000 Euro bekommt.

Knetsch: Kriegt man mit einer ganz normaler Forschung, wo mal hier was

streut und mal da was streut und die Ergebnisse nicht ganz so

klar sind, auch so eine 5-Millionen-Professur?

Funke: Das ist ganz unwahrscheinlich. Und ist das wirklich alles Gold

was glänzt, oder reiben wir da ein bißchen und hinter der

goldenen Oberfläche kommt dann eben auch ein bißchen Blei

zum Vorschein.

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MUSIK, darüber

Erzählerin:

Wie im Profifußball werben sich die Universitäten die besten Spieler

gegenseitig ab. Die Spitzengehälter für Topforscher, Leistungszulagen und die

gut gepolsterte Forschungs-ausstattung zahlt aber nicht ein privater

Fußballverein – sondern in der Regel der Steuerzahler. Um Peanuts geht es

hier nicht. 2,8 Milliarden Euro beispielsweise vergibt die Deutsche

Forschungsgemeinschaft, die DFG, jährlich. Sie ist aus Bundes- und

Landesmitteln finanziert. In der selben Größenordnung liegt das Jahresbudget

der staatlich geförderten Max-Planck-Gesellschaft. Vier Milliarden Euro

fließen jedes Jahr an die Helmholtz-Gesellschaft. Rund 30 Milliarden Euro

öffentlicher Gelder flossen laut Statistischem Bundesamt 2016 in

Wissenschaft und Forschung. Dazu kamen noch 60 Milliarden aus der

Wirtschaft. Betrug in der Wissenschaft ist also kein Kavaliersdelikt – sondern

Verschwendung von Geldern. Auch von Steuergeldern. Wenn nicht gar

Veruntreuung.

SOUNDDESIGN

ATMO: AAAS, Seminar „Rigor“, kurz frei, dann über Text

Erzählerin:

Auf der diesjährigen Wissenschaftskonferenz AAAS in Boston steht – neben

all dem Glamour - ein etwas unschönes Thema auf der Agenda: „Rigor“- die

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Zuverlässigkeit von Forschungsergebnissen . Die Branche ist geschockt.

Denn jüngste Studien kamen zu dem Schluss: viele Forschungsergebnisse

lassen sich gar nicht „replizieren“. Das heißt: wird das Experiment genau so

wiederholt, wie es der Forscher beschrieben hat, kommt etwas ganz anderes

heraus. Wie verlässlich sind denn nicht replizierbare Schlaganfallstudien oder

Forschungen für Krebsmedikamente dann überhaupt?

O-TON: AAAS Judith Kimble

Kimble: Patients depend on good studies…

OV: Patienten sind abhängig von guten Studien.

Kimble: And from my point of view, since I’m a basic scientist…

OV: Und die medizinischen Forscher hängen erst recht ab von

zuverlässigen Medikamentenstudien ab, damit sie wissen,

welche Medikamente sie einsetzen sollen.

Kimble: … A lot of money is being spent on trying to make drugs…

OV: Aber es wird viel Geld ausgegeben für Medikamente, die von

vorneherein überhaupt keine Chance haben zu wirken, weil sie

auf Forschung basieren, die nicht korrekt ist. Das ist wirklich

besorgniserregend.

Kimble: … It’s very worrying.

Atmo AAAS Konferenz

Erzählerin:

Am Rande eines Workshops zum Thema „Rigor and Reproducibility“ treffe ich

die Medizinprofessorin Judith Kimble - und Michael Lauer, den Direktor des

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National Institutes of Health – einer der wichtigsten staatlichen Förderer

medizinischer Forschung in den USA:

O-TON: AAAS Michael Lauer

Lauer: In some respects science has a credibility gap….

OV: Die Wissenschaft leidet gerade an einer Glaubwürdigkeitskrise.

Lauer: We’re not coming up with new cures….

OV: Viel Geld wird für die Wissenschaft ausgegeben, aber wir

bringen keine neuen Heilungsmethoden. Oder: viel

Wissenschaft wird geleistet – aber ihre Ergebnisse sind nicht

reproduzierbar.

Lauer: This is very frustrating. I’t’s very frustrating for the public…

OV: Das ist frustrierend für die Öffentlichkeit.

Lauer: They are wondering what are they getting for their tax paying

money?

OV: Was bekommt sie denn überhaupt für ihre steuerbezahlten

Dollars?

MUSIK, darüber

Knetsch: Hi Brian, nice to meet you.

Nosek: Nice to meet you as well, Gabriela.

Erzählerin:

Wie eine Bombe schlug vor zwei Jahren die Replikations-Studie des

Sozialpsychologen Brian Nosek ein. Er gilt auch unter Kritikern als seriös.

Nosek hatte 100 psychologische Studien wiederholt. Nur 36 Mal kam Nosek

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zu dem gleichen Ergebnis wie die Autoren, in allen anderen Fällen nicht. Unter

letzteren war auch eine Studie von Jens Förster.

MUSIK fadeout

O-TON: AAAS Brian Nosek

Lauer: Since that study came out in 2015…

OV: Seit dieser Studie 2015 haben wir ähnliche Replikations-

Studien in anderen Wissenschaften durchgeführt. Wir haben

gerade unsere Studie in der Krebsforschung abgeschlossen.

Die ersten fünf Studien, bei denen wir berühmte Ergebnisse in

der Krebsforschung wiederholten. Wir kamen zu ganz

ähnlichen Ergebnissen wie in der Psychologie – obwohl wir

unser Bestes gaben.

Erzählerin:

Vielleicht nicht alles Fake – aber offenbar auch nicht alles korrekt.

O-TON: AAAS Brian Nosek, Fortsetzung

Lauer: That’s sort of the corrosive part of this culture that everyone

feels slave to the culture of exciting, sexy results...

OV: Die Wissenschaftler fühlen sich verpflichtet, sexy Ergebnisse

abzuliefern, damit die Magazine sie veröffentlichen. Die

Zeitschriften meinen, sie müssten sexy Befunde drucken, weil

sie sie sonst ihre Impact-Faktoren verlieren.

Lauer: … And everybody is unhappy with the system….

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OV: Und alle sind unglücklich mit diesem System.

Lauer: … But no one feels in power to change it.

MUSIK

Erzählerin:

Zurück nach Holland zu Diederik Stapel. Stapel hat viele Artikel in berühmten

Journals veröffentlicht. Etliche auch in „Science“ – die waren alle gefälscht.

O-TON: Interview Diederik Stapel in Tilburg, Niederlande / Keith Jarrett Klaviermusik spielt im Hintergrund Stapel: If I try to explain it to people, friends, or another scientist…

OV: Ich versuche es immer wieder Freunden zu erklären.

Stapel: … who ask me, well, Diederik, why? Andt often…

OV: Sie fragen mich: Diederik, warum ist das so wichtig für dich

gewesen?

Stapel: You were already a good scientist.

OV: Du warst doch schon ein guter Wissenschaftler.

Stapel: It’s about addiction. It’s about the kick of..

OV: Es war eine Sucht. Der Kick, etwas ganz Tolles

herauszufinden.

Stapel: …about being taken serious, about being part of a group.

MUSIK, darüber

Erzählerin:

Diederik Stapel hat 54 gefälschte Artikel zurückgezogen. Vielleicht beunruhigt

sein Fall auch deshalb so viele Menschen, weil die wissenschaftliche

Selbstkontrolle in seinem Fall komplett versagt hat.

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(z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden.

O-TON: Interview Diederik Stapel, Fortsetzung

Knetsch: Who profited – only you or your institute as well, because it is

very prestigious to have a scientist who publishes in big

journals?

Erzählerin: OV, darüber

Wer profitierte von Ihren Fälschungen?

Stapel: Yes, I think that’s part of the problem, why that went so

amazingly wrong.

OV: Das war ja das Problem: ich tat, was allen gefiel.

Stapel: And nobody noticed is because I was doing things everybody

liked.

Erzählerin:

Weil irgendwo an den Unis noch mehr Stapels schlummern könnten. Und weil

der Übergang zum Betrug schleichend ist.

O-TON: Interview Diederik Stapel, Fortsetzung

Knetsch: How did you get published your first paper in Science?

Erzählerin, OV:

Wie haben Sie Ihren ersten Artikel in Science veröffentlicht?

O-TON: Interview Diederik Stapel, Fortsetzung

Stapel: Well, it was a paper with fabricated data. So it was a total fraud.

OV: Es war ein totaler Betrug.

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Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben

(z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden.

Stapel: I got published because they thought it was a great discovery, it

was an important finding. And it was done, experiments were

performed in an interesting novel creative way.

MUSIK, darüber

Erzählerin:

Sein Fälscher-Meisterstück war die Utrechter Müllmänner-Studie. Stapels

These: Menschen, die sich besonders nach Strukturen und Ordnung sehnen,

sind anfälliger für Vorurteile.

O-TON: Interview Diederik Stapel, Fortsetzung Stapel: I was stupid and I was dumb. And.. I don’t know. I mean, I was

impatient.

OV: Ich war dumm und ungeduldig.

Knetsch: It could have worked? -

Erzählerin: OV

Es hätte klappen können?

Stapel: It could have worked. It could have worked. Yes…

OV: Ja, Aber ich war verliebt in die Schönheit meiner Idee.

Stapel: Yes, but I didn’t wanna test it.I was afraid that it didn’t work.

OV: Ich wollte sie nicht testen, weil ich Angst hatte, dass meine

Hypothese nicht funktionierte.

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(z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden.

Erzählerin:

Das Setting war aufregend: der Forscher befragte während des Müllmänner-

Streiks am Utrechter Bahnhof Reisende nach ihren Vorurteilen - inmitten von

Pappbechern, Schmutz und Chaos. Leider fand die Befragung niemals statt.

O-TON: Interview Diederik Stapel, Fortsetzung

Stapel: This is the tragedy!

Knetsch: Could you have published the same paper, if the results hadn’t

been so clear.

Erzählerin: OV

Hätten Sie den Artikel sonst in Science veröffentlichen können?

Stapel: No. No. If I didn‘ have the results in the railway station, it would

never have been in Science. –

OV: Er wäre niemals in Science veröffentlicht worden. Die

Forschungsidee wäre dieselbe, aber die Umsetzung wäre viel

weniger sexy.

Stapel: …less sexy, less interesting.

Knetsch: And why was it so important for you to publish in Science? –

Erzählerin: OV

Warum wollten Sie unbedingt in Science veröffentlichen? -

Stapel: Because I wanted to be part of something big, of the scientific

community. I wanted to be taken serious.

OV: Ich wollte wichtig sein in der Wissenschaft.

Stapel: Let’s got some more coffee, yes? -

Knetsch: Ok.

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(z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden.

Stapel: Uff. (lacht).

MUSIK

SOUNDDESIGN, darüber

Erzählerin:

Die Faktenlage zum Thema Betrug in der Wissenschaft ist dünn. Der Forscher

Daniele Fanelli wertete anonyme Befragungen von Forschern aus und kam zu

dem Schluss: knapp zwei Prozent hatten nach eigener Aussage schon mal

Ergebnisse gefälscht, ein Drittel von ihnen geschönt. Die Biomedizinerin

Elisabeth Bik hat 20.000 wissenschaftliche Artikel im Zeitraum zwischen 1995

und 2014 überprüft und festgestellt, dass knapp vier Prozent davon gefälschte

Bildpublikationen enthielten – mit einem deutlichen Anstieg seit dem Jahr

2003. Ab da machten digitale Techniken wie Photoshop das Betrügen

besonders leicht. Der Stanford-Professor John Ioannidis ist der Meinung, 80

Prozent der präklinischen Studien seien Müll – die Forschungsgelder würden

in diesem Bereich zu 85 Prozent für nichtgeeignete Studien verschwendet

werden.

Für Deutschland gibt es keine Daten zu wissenschaftlichem Fehlverhalten.

Die Universitäten und Forschungseinrichtungen erheben sie nicht. Eine

zentrale Stelle, die die Kontrolle hat, existiert nicht. Gemeinsam mit Kollegen

des Bayerischen Rundfunks von BR Data und BR Recherche, wollen wir

selbst Daten erheben. Wir schreiben 281 deutsche Universitäten und

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(z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden.

Forschungseinrichtungen an – und warten gespannt auf die Reaktionen zu

unserer Umfrage „Real Science“.

SOUNDDESIGN

ATMO: Bahnhof Bonn , darüber

Erzählerin:

Um einen Einblick in das Ausmaß von Fälschung zu bekommen, besuche ich

den Psychologen und Journalisten Rolf Degen in Bonn. Er holt mich vom

Bahnhof ab.

O-TON: Interview Rolf Degen

Degen: Wissen Sie, momentan sind meine Kontakte in der

Wissenschaftswelt eher weltweit. Seitdem ich mich engagiere in

der Bekämpfung von Wissenschaftsbetrug und

Unregelmäßigkeiten in der Wissenschaft ist das internationale

Zusammenarbeiten noch notwendiger geworden.

Knetsch; Das ist global oder, das Ganze?

Degen: Das ist global.

Rest als Atmo unter Text

Erzählerin:

Rolf Degen twittert zum Thema Wissenschaftsbetrug. Morgens beim

Frühstückkaffee sucht er gerne nach gefälschten Studien im Netz.

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O-TON: Interview Rolf Degen, Fortsetzung

Degen: Das fängt eigentlich damit an, dass ich vor vielen Jahren damit

begonnen habe, mit großer Freude und Begeisterung

Psychologie zu betreiben. Ich habe es wirklich aus Leidenschaft

getan. Das Privileg über die ganz großen Fragen des Lebens

nachdenken zu dürfen empfand ich immer etwas Großartiges.

Ich habe die Antworten nie groß hinterfragt. In all den Jahren

war es eigentlich kaum notwendig, jemals in den Methodenteil

zu schauen bis dann vor einigen Jahren innerhalb von ganz

kurzer Zeit die ganz ganz schreckliche Ernüchterung

eingetreten ist. Ich gehörte zu einer Gruppe von Leuten, die

immer größer wird, die feststellte, dass ganz schrecklich viele

Dinge in den Wissenschaften im Argen liegen. Dass viele

Studien bei weitem nicht so zuverlässig sind, wie es für den

Laien möglicherweise erscheinen mag, und dass es leider,

leider auch spektakuläre Fälle von Betrügereien gibt.

Erzählerin:

Degen liefert seine Recherchen an „Retraction Watch“, das ist die wichtigste

Plattform, die weltweit über wissenschaftliches Fehlverhalten berichtet. Seit es

im Internet Plattformen wie Retraction Watch, Vroni Plag oder PubPeer gibt,

steigt die Quote der aufgedeckten Betrugsfälle spürbar an. Aufdecker wie

Degen übernehmen extern eine Kontrolle, wo der Wissenschaftsbetrieb selbst

oft versagt.

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(z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden.

O-TON: Interview Rolf Degen, Fortsetzung

Degen: Es ist einfach so, dass, wenn Sie anfangen sich damit zu

beschäftigen, Sie überrascht sein werden, mit welchem

unglaublichen Ideenreichtum betrogen wird. Ich habe selber of

gesagt, es wäre schön, wenn Wissenschaftler die gleiche

Kreativität, die sie auf ihre Betrügereien anwenden, auf ihre

ehrenwerte Forschung anwenden würden. Es gibt das

klassische Muster der Datenfabrikation, das sind die

schlimmsten Fälle.

Erzählerin:

Sprich: Daten, die komplett erfunden sind.

O-TON: Interview Rolf Degen, Fortsetzung

Degen: Dann gibt es die kleinen Formen, die wir questionable research

practices nennen. Die kleinen Frisierereien, von denen man

mittlerweile glaubt zu wissen, dass das 70 Prozent aller

Wissenschaftler machen.

Erzählerin:

Einzelne Ergebnisse, die weggelassen oder geschönt werden, weil sie der

eigenen Hypothese widersprechen. Ist das gängige Praxis? Manipulation?

Oder gar Betrug?

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O-TON: Interview Rolf Degen, Fortsetzung

Degen: Eine andere der neuesten Methoden ist, Koautoren zu stehlen.

Man nimmt Koautoren, die Rang und Namen haben, und tut so,

als seien diese an dem betreffenden Manuskript beteiligt

gewesen.

MUSIK, darüber

Erzählerin:

Ein paar weitere Tricks aus dem Fälscher-Labor: Zitierkartelle von

Wissenschaftlern, die sich gegenseitig erwähnen, um ihre Impact-Faktoren

hochzujagen. Erfundene Gutachten renommierter Experten, um in die

berühmten Journals zu kommen. Autoren, die gar nicht mitgearbeitet haben,

aber auf dem Paper stehen – oft der Chef, der die Fördermittel an Land zieht

und daher sein eigenes Punkte-Konto aufbessern will. Am kreativsten scheint

die Branche aber bei der Manipulation von Bildpublikationen zu sein - gern

verwendet in der Biomedizin. Geschönt wird per Mausklick: Abbildungen von

Mikroskop-Aufnahmen, elektrophysiologischen Spuren oder sogenannte

Western Blots, die Proteine sichtbar machen können. Digitale Bilder werden

kopiert, verdoppelt, gestreckt, gedreht – oder in Artikel eingebaut, bei denen

es um ein ganz anderes Thema geht.

Rolf Degen verwandelte sich vom faszinierten Wissenschaftler in einen

desillusionierten Kritiker. 2014 informierte er die Humboldt-Stiftung über den

Vorwurf wissenschaftlichen Fehlverhaltens gegen Jens Förster.

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(z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden.

O-TON: Interview Rolf Degen, Fortsetzung

Degen: Der Fall Förster ist sowieso sehr schwierig, weil er ist ja nicht

beim Betrügen erwischt worden. Sondern es sind Statistiker

gewesen, die sich seine Daten angeschaut haben.

Normalerweise streuen Daten nach Zufall, denn jede

Versuchsperson macht die Sachen ein klein wenig anders als

die andere. Das führt dazu, dass es eine Art Trommelfeuer von

unterschiedlichen Daten gibt. Nun war es aber bei Förster so:

seine Daten gaben kein Trommelfeuer, sie gaben einen

geraden Strich.

Knetsch: Das ist eben nur ein Indiz, ein statistisches Indiz, das er

leugnet. Er selbst bleibt dabei, die Daten sind richtig.

MUSIK, darüber

O-TON: TV-Show, Jens Förster, Einleitung in das Schubladen-Denken

Moderatorin: Und wenn Sie jetzt bei Professor das Vorurteil haben, ein

gesetzter Mann, eher bißchen konservativ, dann darf ich Ihnen

jetzt Prof. Jens Förster direkt und live vorstellen. –

Förster: Danke schön. Guten Tag. (Klatschen). Dankeschön für die

Einladung in diese wunderbare Veranstaltung, denn ich denke

tatsächlich, dass in den Medien eine Basis oder eine Chance

liegt, Vorurteile anzugehen, aber auch Vorurteile zu vermitteln.

SOUNDDESIGN, darüber

Erzählerin:

Während in Wissenschaftskreisen spekuliert wird, wie Förster zu seinen

phantastischen Daten kam, tourt er durch Radiotalks und Fernsehshows und

plaudert über Haben und Sein, über Vorurteile, über das Schubladendenken,

und – neuerdings - über Krisen im Leben und ihre Bewältigung.

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GERÄUSCH: Telefon Freizeichen, darüber

Erzählerin:

Auf die Humboldt-Professur hat Förster 2015 freiwillig verzichtet, als die

Stiftung ankündigte, den Vorwürfen nachzugehen. Die Bochumer Top-

Professur bekam er daraufhin nur vertretungsweise. Gleich drei

Kommissionen prüften die Vorwürfe auf wissenschaftliches Fehlverhalten –

zwei in Holland, eine in Deutschland. Das Ehrengericht der Deutschen

Gesellschaft für Psychologie schloss mit Förster einen Deal. Er sollte zwei

auffällige Artikel zurückziehen – dafür verzichtete das Ehrengericht auf einen

Schuldspruch.

O-TON: Anrufbeantworter Jens Förster

Stimme: Hallo, das ist der Anrufbeantworter von Jens Förster in Köln.

Sie können nach dem Signalton eine Nachricht hinterlassen.

Vielen Dank und auf Wiederhören. (Piepton).

Knetsch: Guten Tag, hier ist Gabriele Knetsch vom Bayerischen

Rundfunk. Wir haben schon vor einiger Zeit telefoniert. Es ging

damals um die Vorwürfe wegen eines Fälschungsverdachts. Da

hatten Sie mir in Aussicht gestellt, dass wir dieses Jahr ein

Interview machen könnten. (…) Ich würde mich sehr freuen,

wenn Sie sich bei mir melden würden. Und würde mich noch

mehr freuen über ein Interview mit Ihnen. Danke schön. Auf

Wiederhören.

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MUSIK

Erzählerin:

Inzwischen trudeln erste Antworten auf unsere BR-Umfrage „Real Science“

ein. Zwei Drittel der 281 angeschriebenen Ombudsleute haben teilgenommen.

Wir haben offenbar einen Nerv getroffen. Die Ombudspersonen sind

Ansprechpartner für alle, die Vorwürfe wissenschaftlichen Fehlverhaltens

vorzubringen haben. Man spürt die Unruhe, die Sorge um den guten Ruf

deutscher Wissenschaft: Viele Ombudsleute und Pressestellen schicken uns

Kommentare mit.

Die Antworten an uns ergeben: Von 1.124 Anfragen an Ombudsleute an

deutschen Universitäten und Forschungseinrichtungen wurden 246

Verdachtsfälle weiter verfolgt. In fünf Jahren. Wie viele von ihnen dann

letztendlich tatsächlich als wissenschaftliches Fehlverhalten eingestuft

werden, haben die Universitäten meist nicht erfasst. Ist die Forschung in

Deutschland nun eine heile Welt? Oder kommt Betrug in der Wissenschaft

einfach nur selten ans Tageslicht?

Sprecher 2, Gesprächsprotokoll, Ombudsmann

„Gesprächsprotokoll, anonymer Ombudsmann, 13. März 2017.“

SOUNDDESIGN, darüber

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Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben

(z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden.

Erzählerin:

Einige Kommentare haben einen klaren Tenor – ein paar Ombudsleute

sprechen von einer hohen Dunkelziffer, von eigenen Erlebnissen, wie in den

Labors betrogen wird, und davon, dass der Betrug nur selten Folgen hat..

Sprecher 2, weiter:

„Ich bin selbst Fachmann auf dem Gebiet der Lebenswissenschaften und

habe mitbekommen, dass Kollegen meines Instituts genau zu meinem Gebiet

publiziert haben. Doch sie verwendeten unangemessene Methoden. Die

statistische Auswertung stimmte nicht. Und die Ergebnisse waren falsch

interpretiert worden. Ich kann nicht sagen, ob hier bewusst gefälscht wurde

oder die Ergebnisse geschönt waren. Ich bat die Kollegen, ihre Ergebnisse zu

korrigieren. Aber ich wurde nicht gehört. Gehe ich in die Chefetage? Man

signalisierte mir: „Nimm es doch nicht so ernst!“. Ich bin mir nicht sicher, ob

die Chefetage wirklich an einer Aufdeckung interessiert ist. Es geht um

Drittmittel, die das Institut dringend braucht. Einige Projekte liegen in der

Größenordnung von einer Million Euro. Hätten die Kollegen ihre Ergebnisse

korrigiert, stünden möglicherweise die Fördermittel auf dem Spiel! Der

Ehrliche ist der Dumme!“

MUSIK

O-TON: Uni, wo ist der Ombudsmann?

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Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben

(z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden.

Knetsch: Entschuldigung, wo geht’s bitte zum Ombudsmann?

männl.: Oh, da kann ich Ihnen leider nicht weiterhelfen.

Knetsch: Ombudsmann. Der Universität.

männl.: Ich weiß, dass es einen gibt, aber ich weiß nicht wo der ist.

Knetsch: Dankeschön.

MUSIK

Erzählerin:

Universitäten sind eine Welt für sich – ein abgeschlossenes, hierarchisches

System, vom untersten Doktoranden bis zum Professor, bestenfalls ein Star.

Es gibt in Deutschland kein übergeordnetes Gremium, das wissenschaftliche

Einrichtungen prüft. Den Universitäten obliegt es selbst, Verdachtsfällen

nachzugehen. Meist sitzen in den Kommissionen nicht einmal externe

Gutachter, sondern Kollegen der eigenen Universität. Die Sanktionen

verhängen sie selbst.

SOUNDDESIGN

O-TON: Uni, wo ist der Ombudsmann? Fortsetzung

Knetsch: Entschuldigung, ich such den Ombudsmann. Der Universität.

Wo sitzt der?

männl.: Keine Ahnung.

Knetsch: Keine Ahnung?

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(z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden.

männl.: Tut mir leid.

Knetsch: Und was der ist? Nein.

Erzählerin:

Fälle wissenschaftlichen Fehlverhaltens fliegen häufig auf, weil sich ein

Whistleblower an die zuständige Universität wendet – jemand, der genau zu

derselben Thematik forscht wie der Betrüger. Oft will er anonym bleiben. Der

Sozialpsychologe Joachim Funke, Jens Försters Kollege an der Universität

Heidelberg, ist selbst Ombudsmann und damit Ansprechpartner für Fälle von

wissenschaftlichem Fehlverhalten.

O-TON Interview Joachim Funke

Funke: Man braucht eine Kultur des Whistleblowings, dass diejenigen,

die sich beschweren, nicht sofort nieder gemacht werden und

Schaden daraus ziehen, dass sie etwas kritisch sehen. Dafür

braucht man Regulationsmechanismen, wie man im Vorfeld

Fälle aufgreifen kann.

: Natürlich ist es für eine Universität auch kein Ruhmesblatt,

solche Fälle an die Öffentlichkeit zu tragen, weil natürlich das

Ideal aufrechterhalten wird, an der Uni wird nur ehrenwert

geforscht.

Deshalb versuchen wir diese Fälle intern zu regeln, um das

gute Bild, das wir in der Öffentlichkeit geben wollen, nicht zu

sehr zu beschädigen.

Knetsch: Reicht das als Kontrollmechanismus? Können Sie das

überhaupt leisten?

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Funke: Als Kontrollmechanismus ist das sicher nicht ausreichend. Ich

würde gar nicht so sehr auf Kontrolle setzen. Für mich ist

Vertrauen nach wie vor ein wichtiges Grundprinzip.

Erzählerin:

Wie alle Ombudsleute in Deutschland erfüllt Joachim Funke diese Aufgabe

ehrenamtlich – neben seiner eigentlichen Arbeit als Professor. Als

Ombudsmann hat er kein eigenes Zimmer, keine eigene Sekretärin oder gar

eigene Rechercheure, die ihm bei der Aufklärung behilflich sein könnten. Hegt

er einen Verdacht, leitet er den Fall an die Untersuchungskommission der

Universität weiter. Dort sitzen Professoren, die die Forschung eines

möglicherweise betrügerischen Kollegen ebenfalls ehrenamtlich überprüfen –

in ihrer Freizeit, neben ihrer eigenen Forschung. So sieht die Qualitäts-

kontrolle im deutschen Wissenschaftsbetrieb aus. Die Wissenschaft

kontrolliert sich selbst – wenn sie sich kontrolliert.

O-TON: TV Jens Förster, Was das Haben mit dem Sein zu tun hat,

Youtube

Förster: (Musik, darüber) Als Psychologe interessiert mich, warum

Menschen unglücklich sind und wie Menschen ein zufriedenes

Leben haben können. Und in dem Buch bin ich der Frage

nachgegangen, ob wir dazu materielle Güter oder Geld

tatsächlichen brauchen. Und ich bin da zu erstaunlichen

Ergebnissen gekommen: Nämlich dass uns eine Wanderung in

der Natur oder das Betrachten von Kunstwerken genau

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denselben Kick geben können wie ein Paar schöner neuer

Schuhe. (Musik).

Erzählerin:

2015 hatte Försters einstiger Arbeitgeber, die Universität Amsterdam bei drei

Statistikern ein Gutachten in Auftrag gegeben. Sie sollten sämtliche Artikel

Försters aus der Amsterdamer Zeit – 24 insgesamt – überprüfen. Die

Statistiker kamen zu dem Ergebnis: Acht davon stehen unter starkem

Verdacht auf „geringe wissenschaftliche Wahrhaftigkeit“, auf drei weitere trifft

dies möglicherweise zu.

O-TON: Telefoninterview Rolf Degen

Knetsch: Hallo Herr Degen.

Degen: Hallo Frau Knetsch.

Knetsch: Bin gleich online und wollte jetzt nochmal kurz das Procedere

mit Ihnen besprechen. Und wir wollen den Whistleblower im

Fall Förster ja schützen, daher machen wir das Interview per

Mail an Sie. Ich stelle die Fragen an Sie und Sie leiten die

Fragen an den Whistleblower weiter.

Degen: Ich gebe Ihnen hiermit eine eidesstattliche Versicherung, dass

ich die von Ihnen gestellten Fragen und die Antworten des

Whistleblowers nicht verändern werde. Das wärs dann natürlich

am besten, wenn Sie die gleich auf Englisch stellen würden.

Erzählerin:

Rolf Degen verschafft mir den Kontakt zu jenem Whistleblower, der den Fall

Jens Förster ins Rollen gebracht hat.

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Erzählerin/ Sprecher: Email Interview Whistleblower (WB) und Gabriele

Knetsch (G.K.)

G.K. Hi Dr. X, good morning.

WB: Good morning. I’m glad that you are interested in the Jens Förster case.

It is important to inform the public.

G.K. Warum müssen wir dieses Interview anonym führen?

WB. Wenn ich als Whistleblower bekannt werde, wird das meiner Karriere

schaden und meinen Studenten. Es ist wahrscheinlich, dass Förster und

seine Freunde zurückschlagen.

G.K. Was würde passieren, wenn Sie Ihre Identität enthüllen würden?

WB. Ich werde bekannt als Betrugsjäger und Querulant. Die Leute werden

unsere Forschung durch die Brille der Betrugsjäger sehen. Das ist nicht

der Fall. Wir versuchen die Wissenschaft zu verbessern. Tatsächlich ist

es für mich sehr stressig, der Whistleblower im Förster-Fall zu sein. Es

hat mich Nerven und Zeit gekostet, die ich lieber in meine Forschung

hätte stecken sollen. Die Leute in Berufungskommittees könnten mir

eine schlechtere Bewertung geben. Förster-Freunde begutachten

vielleicht meine Aufsätze in den Peer Reviews für die Zeitschriften

schlechter.

G.K. Jens Förster sieht sich selbst als Opfer.

WB. Wenn er ein unschuldiges Opfer ist – warum hat er dann den drei

Kommissionen, die seinen Fall untersucht haben, nicht gesagt, wo die

Rohdaten sind?

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G.K. Jens Förster ist aber nach wie vor Professor an der Ruhruniversität.

WB. Ich denke mir, die Universität Bochum hat kein wirkliches Interesse

daran, den Fall im Detail zu studieren. Sie haben den Fall nie untersucht

– und sich auch nicht an mich gewandt. Obwohl ich sie kontaktiert habe.

Außerdem wollte die Uni die Humboldt-Professur bekommen. Fünf

Millionen sind viel Geld und hätten der Universität ein großes Prestige

verliehen.

Es gibt kein offizielles Gremium, das wissenschaftliches Fehlverhalten

unabhängig und ernsthaft untersucht!

G.K. Thank you, Dr. X.

SOUND

O-TON Interview Joachim Funke, Fortsetzung

Knetsch: Die Whistleblower können bei Ihnen anonym sein? –

Funke: Ja. Whistleblower können anonym bleiben. Ab einer

bestimmten Stufe es Verfahrens sicher nicht mehr. Aber so weit

wie möglich achten wir die Schutzbedürftigkeit von

Whistleblowern. Das ist nötig, weil wenn wir nicht diese

Schutzfunktion haben, würde sich niemand aus den unteren

Chargen einer Hierarchie trauen, über die höheren Chargen

Schlechtes zu sagen, weil man Angst hat, bei der nächsten

Stellenverlängerung wird mir das wieder aufs Brot geschmiert.

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Erzählerin:

Ein Whistleblower-Schutzgesetz existiert in Deutschland nicht – Standards,

wie Hochschulen mit den Beschwerden umgehen, auch nicht.

MUSIK

Zurück nach Holland, zu Diederik Stapel.

O-TON: Interview Diederik Stapel in Tilburg, Niederlande, Keith Jarrett

darunter

Knetsch: Who controlled you? –

Erzählerin: OV Wer kontrollierte Sie? -

Stapel: Badly not that many people.

OV: Mich kontrollierten zuwenig Leute.

Stapel: (lacht.) Yeah. Yeah. ..And you can also ask, why didn’t people

not tell my or take me on the shoulder, Hey Diederik, I mean…

OV: Warum haben sie mir nicht über die Schulter geschaut und

gesagt, Hey Diederik, da stimmt doch was nicht?

Stapel: It is because it was invisible….

OV: Weil es nicht sichtbar war. Ich fälschte auf clevere Art und

Weise. Jetzt sieht man, dass es gar nicht so clever war.

Stapel: And of course they didn’t expect this….

OV: Aber damals erwartete eben niemand, dass ich fälschen würde.

Knetsch: But you had coauthors..

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Erzählerin: OV

Aber Sie hatten ja Ko-Autoren.

Stapel: I was the boss. I was the powerful person. They were not.

OV: Ja. Aber ich war der Boss.

Knetsch: How did they discover your falsification?

Erzählerin: OV

Wie wurde Ihre Fälschung entdeckt?

Stapel: It was to good to be true. They started to investigate. An

assistant professor, a postdoc and a student. And they did the

proper investigation.

OV: Sie war zu schön, um wahr zu sein. Ein Lehrbeauftrager, ein

Doktorand und ein Student begannen nachzuforschen. Sehr

klar und sehr genau haben sie entdeckt: Schau dir die Daten an

– das kann nicht wahr sein! (…) Sie wandten sich an einen

Kollegen von mir. Ich leugnete. Einen Tag später hatte ich

einen Termin beim Dekan und ich sagte: Ja, alles stimmt. Ich

habe alles gefälscht. Nicht nur die letzten Monate. Das ging

über Jahre.

Stapel: … And then two days later I was fired…

OV: Zwei Tage später wurde ich gefeuert.

Knetsch: Why didn’t you deny?

Erzählerin: OV

Warum haben Sie nicht geleugnet? -

Stapel: It was too big. It was too big. I felt dirty, I felt wrong. I wanted to

stop this. It was awful.

OV: Es war zu groß. Ich fühlte mich schmutzig. Es sollte aufhören!

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Erzählerin: OV

Did you know that you were wrong? –

Stapel: Yeah, yeah. Yeah. So it was a releave – in a sense.

OV: Mein Leben änderte sich komplett. Es ist nicht schön und nicht

glücklich. Aber zumindest ist es ein Leben in Wahrheit.

Stapel: Now my life is truthful.

O-TON TV-Show Förster, Bloß keine Vorurteile, Nachtcafe, 19.5. 2012

Moderator: (Musik.) Herzlich Willkommen aus dem Nachtcafé aus dem

Schloss in Ludwigsburg. (Applaus). Haben Sie Vorurteile? Ich

bin mir ziemlich sicher. Sie auch. Klischees, Stereotypen von

anderen Menschen stecken tief in uns allen. Doch was richten

Sie in uns an? Bloß keine Vorurteile, heißt das Thema, über

das wir heute diskutieren wollen.

MUSIK, überblendet mit Telefon Freizeichen

O-TON Anruf Jens Förster Anrufbeantworter

Stimme: Hallo, das ist der Anrufbeantworter von Jens Förster in Köln.

Sie können nach dem Signalton eine Nachricht hinterlassen.

Vielen Dank und auf Wiederhören. (Piepton).

Knetsch: Guten Tag, Herr Förster, hier ist Gabriele Knetsch vom BR.

Hoffe, dass Sie gut aus dem Urlaub zurück gekommen sind.

(…) Ich habe gesehen, dass Sie auch als Buchautor sehr aktiv

sind (…) und wollte nachfragen, was aus der Professur

geworden ist. Und ob Sie zu einem Interview bereit wären. (…)

Herzlichen Dank. Wiederhören.

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Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben

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O-TON Interview Markus Denzler

Denzler: Jens Förster ist einer der führenden deutschen

Sozialpsychologen. Eine Zeitlang war er in Holland an der

Universität von Amsterdam. Die haben ihn aus Bremen

weggeholt, weil er so erfolgreich war. Die sind nach Bremen

gekommen und haben versucht, ihn wegzuholen. Die wollten

ihn haben aufgrund seines Erfolges bei Veröffentlichungen und

Einwerbung von Drittmitteln.

MUSIK, darüber

Erzählerin:

Markus Denzler, Professor für Sozialpsychologie an der Hochschule des

Bundes in Haar, ist ein freundlicher, junger Mann. Er erzählt viel von

Leistungsorientierter Mittelvergabe – kurz: LOM, von Verträgen, die genau

vorschreiben, wie viel Drittmittel ein Professor einwerben muss und von

Impact-Faktoren, die er braucht, um das Geld zu beschaffen. Die

Universitäten finanzieren ihre Forschung heute zu 30 Prozent über Drittmittel

– Gelder externer Financiers, die man irgendwie an Land ziehen muss.

O-TON Interview Markus Denzler, Fortsetzung

Knetsch: Wie misst sich der Erfolg?

Denzler: Von Forschern?

Knetsch: Ja.

Denzler: An der Anzahl der Publikationen und der Anzahl der

eingeworbenen Drittmittel.

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Erzählerin:

Markus Denzler war Försters früherer Assistent in Bremen. Er hat die Daten

für die umstrittenen Studien erhoben – beziehungsweise ein Heer von

studentischen Hilfskräften dabei angeleitet. Nach einem fließbandmäßigen

Verfahren generierte das Team um Jens Förster den Rohstoff, aus dem die

Ware Wissenschaft gemacht wird.

Denzler: Wir haben 2-3 mal im Jahr – wir nannten das - Batterien

durchgeführt, Experimentalbatterien, in denen die Probanden

ins Labor für 1-2 Stunden kamen und dort 1-2 Stunden lang an

ganz unterschiedlichen Studien teilgenommen haben.

Erzählerin:

120 Probanten, meist Studierende vom Campus in Bremen, arbeiteten

nacheinander ein ganzes Set von Studien weg – mal ging es um Aggression,

mal um Kreativität und mal ums Schubladendenken.

O-TON Interview Markus Denzler

Denzler: Derselbe macht alles, also nicht jeder allers, die Hundeaufgabe

in Kreativität, dann bißchen scharfe Soße abfüllen in der

nächsten Studie, dann am Computer sitzen und Dreiecke und

Rechtecke beurteilen, so war so ein typisches Setting.

Erzählerin:

Drei von acht beanstandeten Artikeln hat Jens Förster zurückgezogen. Bei

einem war Markus Denzler Koautor.

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O-TON Interview Markus Denzler

Denzler: Ich kam erst später bei dem Artikel dazu, beim Schreiben. Da

ist es mir in der Tat nicht aufgefallen, als ich die Daten gesehen

habe. (…) Jetzt würden bei mir nach dem ganzen Procedere

die Alarmglocken schrillen und ich würde sagen: die Daten

würde ich nie veröffentlichen, weil man für lineare Daten einen

Riesenärger bekommt. Nur aufgrund dieser möglichen

Erklärung zu schließen, das einzige, was es erklären kann, ist

Fehlverhalten, das überzeugt mich auch nicht. (…) Keiner

unterstellt jetzt Förster, er hätte die Daten bewußt linear

gefälscht.

MUSIK, darüber

Erzählerin:

Genau dies tut das Nationale Komitee zur Integrität der Forschung in den

Niederlanden, LOWI genannt.

Zitator, Urteil, LOWI

„Das Nationale Komitee kommt zu der unvermeidbaren Schlussfolgerung,

dass eine Manipulation an den Forschungsdaten stattgefunden haben muss.

Das kann nicht durch schlampige Wissenschaft erklärt werden. Jemand muss

Eingriffe an den Daten vorgenommen haben.“

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Erzählerin:

In den Niederlanden gibt es – anders als in Deutschland – ein neutrales,

übergeordnetes Gremium, das wissenschaftliche Betrugsfälle unabhängig von

den Universitäten untersucht. Statistiker haben eine Studie Försters auf ihre

Plausibilität überprüft. Seither ficht Jens Förster eine Methoden-Schlacht aus,

die an Don Quijotes Kampf gegen Windmühlenflügel erinnert. Aber wo sind

seine sogenannten Rohdaten? Jene Antworten, die Hunderte von

Testpersonen in den Computer eingetippt haben?

O-TON Interview Markus Denzler

Denzler: Da kann ich nur das sagen, was er gesagt hatte, dass er die mit

nach Amsterdam genommen hat und dann auf Grundlage der

Anweisung der damaligen Vorsitzenden der

Psychologieabteilung Agneta Fischer die Daten weggeworfen

hat.

Knetsch: Die Papierdaten?

Denzler: Die Papierdaten, ja. Und es ist ja auch nicht so, dass alle Daten

verschwunden sind. Gerade in der ersten Untersuchung hat er

ja auch computerisierte Daten untersucht.

Knetsch: Aber die Computerdaten liegen vor, oder wie?

Denzler: Soweit ich weiß, liegen für die Studien, um die es ging, auch die

Computerdaten vor.Die wurden ja gar nicht untersucht. Die

haben sich ja gar nicht die Mühe gemacht, überhaupt die

ganzen Datensätze sich anzuschauen.

SOUND, Telefon Freizeichen, darüber

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O-TON: Anrufbeantworter Jens Förster

Stimme: Hallo, das ist der Anrufbeantworter von Jens Förster in Köln.

Sie können nach dem Signalton eine Nachricht hinterlassen.

Vielen Dank und auf Wiederhören. (Piepton).

Knetsch: Guten Tag, Herr Förster, Gabriele Knetsch, Bayerischer

Rundfunk. Es geht nochmal um meine Recherche für das

Feature. Gestern habe ich mich mit Ihrem ehemaligen

Kollegen, mit dem Herrn Denzler getroffen. Denzler hat die

Universität Amsterdam schwer angegriffen und den Vorwurf

geäußert, die Uni hätte die Rohdaten gar nicht angesehen,

sondern nur eine statistische Aufarbeitung der veröffentlichten

Daten betrieben. Er sagte, dass die Daten vorhanden seien auf

dem Computer. Trifft das zu? Herzlichen Dank und Alles Gute!

Auf Wiederhören. Gabriele Knetsch.

MUSIK, darüber

Erzählerin:

Die Rohdaten sind beim Verdacht auf Wissenschaftsbetrug das, was im

Kriminalfall das blutige Messer ist: der Beweis. Genau aus diesem Grund

fordern inzwischen immer mehr Wissenschaftler, dass die Daten aufbewahrt

und öffentlich zugänglich gemacht werden.

Bereits 2015 redete der Wissenschaftsrat Tacheles. Er gab ein

Positionspapier zu Faked Science heraus, das er – politisch korrekt –

„Empfehlungen zu wissenschaftlicher Integrität“ nennt. „Aufgrund der Brisanz

des Themas“ fordert er die Universitäten dringend auf zu handeln. Die

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Datenaufbewahrung soll internationalen Standards angepasst werden. Der

Rat schlägt ein unabhängiges nationales Gremium vor, das Ombudsleute

unterstützt, fordert mehr Geld für ihre Ausstattung und mahnt Standards an,

um Betrüger zu verfolgen.

Nichts davon ist umgesetzt – heißt es auf Nachfrage.

SOUNDDESIGN, darüber

Erzählerin:

Antwortmail von Jens Förster:

Sprecher 2, Email von Jens Förster

„4. April 2017. Liebe Frau Knetsch, es tut mir leid, dass ich Ihnen bisher nicht

geantwortet habe. Aber ich habe mich entschieden, vor allem aus

gesundheitlichen Gründen, von einem Interview abzusehen. Zu Ihrer Frage,

was die Datenaufbewahrung angeht: Ja, ich habe die Daten in SPSS an die

Universität Amsterdam weitergegeben und Statistikern zur Verfügung gestellt.

Wer mir etwas vorwirft, hat schlichtweg keine Ahnung von Methodenlehre. Mit

freundlichen Grüßen und viel Erfolg für die Sendung, Jens Förster.“

Erzählerin:

Antwortmail Universität Amsterdam:

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Sprecher 2, Email Universität Amsterdam

„4. April 2017. Herr Förster hat uns die Rohdaten nicht zur Verfügung gestellt.

Wir konnten die Originaldaten nicht überprüfen. Mit anderen Worten: Herr

Förster hatte die Rohdaten nicht mehr, weil er sie Jahre zuvor vernichtet

hatte.“

SOUNDDESIGN

O-TON Interview Markus Denzler

Knetsch: Wenn es jetzt doch Fälschung wäre? Tatsächlich?

Denzler: Ja das wäre schrecklich. Das wäre ganz schrecklich. A

persönlich, weil ich ihm ja vertraue und davon ausgehe, es ist

keine Fälschung. Und es wäre auch schrecklich für die

Forschung – weil er hat auch ganz viel Forschung aufgebaut.

Das wäre insgesamt natürlich schwierig.

Erzählerin:

Ob Jens Förster die Professur auf Lebenszeit in Bochum bekommt, will er

nicht sagen. Die Universität auch nicht. Hinter den Kulissen ist der Fall jedoch

längst entschieden: Man braucht nur die Stellenausschreibung zu lesen:

Gesucht ist kein Experte im Schubladendenken, sondern ein Bewerber mit

„erkennbarem Bezug zur Wirtschaftspsychologie“. Also nicht Förster. Die

Ruhr-Universität Bochum kann den Fall Jens Förster ganz diskret ad acta

legen. Fern der Öffentlichkeit. Das Wort Wissenschaftsbetrug fällt dabei nicht.

Jens Förster tourt jetzt als Sachbuchautor durchs Land. Druckfrisch

erschienen ist sein „Kleiner Krisenkiller“.

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MUSIK

O-TON: Interview mit Diederik Stapel in Tilburg, Niederlande / Keith

Jarrett

Knetsch: You have been an amitious person?

Erzählerin: OV

Sie waren ehrgeizig?

Stapel: Yeah.

Knetsch: You liked it. It was fine.

Stapel: Yeah. (lacht). It’s addictive.

Knetsch: And now?

Stapel: It’s not fine. (lacht wieder). It’s terrible.

Erzählerin:

Jens Försters ehemaliger Kollege Diederik Stapel startet ebenfalls eine zweite

Karriere als Autor – wenn auch mehr im fiktionalen Genre. „Fiction Factory“

heißt sein autobiographischer Briefroman. Irgendwie passend für einen

Wissenschaftler, der sein Lebenswerk quasi im Akkord erfunden hat.

O-TON: Interview mit Diederik Stapel in Tilburg, Niederlande /

Keith Jarrett

Knetsch: What are you doing now? –

Erzählerin: OV

Was machen Sie jetzt?

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Stapel: I’m trying to find work, what ever…

OV: Ich versuche Arbeit zu finden.

Stapel: We have many worries in our family…

OV: Wir haben viele Sorgen in unserer Familie.

Stapel: But I hope to find people who want to use my talents…

OV: Und ich hoffe, dass irgendjemand mein Talent nutzen will.

Stapel: I can write, I’m an expert in communication, in marketing,

strategy, psychology of course.

OV: Ich kann schreiben, kenne mich im Marketing aus und natürlich

in Psychologie.

Stapel: But I have a very bad reputation….

OV: Aber ich habe einen sehr schlechten Ruf.

Stapel: … so it‘s very difficult.

Knetsch: Can we see it? Can we see the questionnaires?

Erzählerin: OV

Können wir die Fragebögen sehen? –

Stapel: No, no. No, I’ve nothing any more. Everything has gone… I

have burned all that. My life’s deadline is over. – You haven’t

any. – No. My previous life has gone. It’s over.

OV: Nein. Ich habe nichts mehr. Ich habe alles verbrannt. Es ist zu

schmerzhaft. Es ist vorbei.

Knetsch: And Science, what does science mean for you, now?

Stapel: Science, I don’t know.

Knetsch: Do you still believe in science?

Erzählerin: OV

Glauben Sie noch an die Wissenschaft?

Stapel: Yes. Pause. It’s like believing in God, but not in the Church.

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MUSIK, darüber

Erzählerin:

Diederik Stapel hat seinen Betrug zugegeben und seinen Posten geräumt.

Das macht seinen Fall nahezu einmalig. Denn meist steht Aussage gegen

Aussage. Der Beschuldigte leugnet. Der Betrug kann nicht bewiesen werden.

So verlaufen viele Verfahren im Sande. Wissenschaftsbetrüger bleiben auf

ihren Posten oder wechseln unentdeckt die Universitäten. Sieht so eine

wirkungsvolle Kontrolle gegen Faked Science aus? Ist das die Antwort auf die

Vertrauenskrise der Wissenschaft?

Nachfrage beim Bundesforschungsministerium, das die deutsche

Wissenschaft mit 17 Milliarden Euro im Jahr fördert:

Zitator:

„Wir begrüßen es sehr, dass Sie sich mit diesem interessanten Thema

befassen, aber es gilt für uns immer wieder, beim Stichwort

Qualitätssicherung die Eigenverantwortung der Wissenschaft zu betonen. Vor

diesem Hintergrund kommentieren wir dieses Thema nicht.“

SOUNDDESIGN

Faked Science

Ein Feature über Manipulation und Betrug in der Wissenschaft

Von Gabriele Knetsch

Es sprachen: Kathrin von Steinburg, Bijan Zamani, Thomas Albus,

Stefan Merki und Karin Schumacher

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(z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden.

Ton und Technik: Gerhard Wicho und Susanne Harasim

Regie: Nikolai von Koslowski

Redaktion: Ulrike Ebenbeck

Eine Koproduktion der Redaktion Dokumentation und Feature des

Bayerischen Rundfunks mit dem Südwestrundfunk und dem Westdeutschen

Rundfunk 2017.