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© Westdeutscher Rundfunk Köln 2017 Dieses Manuskript einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt.
Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben
(z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden.
Dok 5 – Das Feature Faked Science – Ein Feature über Manipulation und Betrug in der Wissenschaft O-TON: Ankunft bei Diederik Stapel in Tilburg, Niederlande / Keith Jarrett Klaviermusik spielt im Hintergrund Stapel: Hallo.
Knetsch: Hallo. Guten Morgen.
Stapel: Good Morning. How are you?
Knetsch: Fine.
Stapel: Come in.
Knetsch: I have my suitcase with me.
Stapel: (lacht) Did you sleep in a…
Knetsch: … in a small hotel in the centre. It’s a nice town.
Stapel: Ja, ja, it’s very nice.
Knetsch: It’s beautiful. It’s a nice town.
Stapel: Ja, now, now, now.
Knetsch: It’s the first time that I’m here in the Netherlands.
Stapel: Oh really?
Knetsch: Ja, I don’t know it. I live in the South, in Munich. It’s far away.
Stapel: You’ve never been in Amsterdam or Den Hague?
Knetsch: No (lacht). But I must go.
Stapel: Ja.
Erzählerin:
Zu Besuch beim Sozialpsychologen Diederik Stapel in Tilburg, Holland. Ich bin etwas aufgeregt: O-TON: Interview Diederik Stapel in Tilburg, Niederlande / Keith Jarrett Klaviermusik spielt im Hintergrund Stapel: You want some coffee or tea or something?
Knetsch: Yes.
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Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben
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Stapel: Coffee?
Knetsch: Äh. What you drink.
Staqpel: Coffee?
Knetsch: Coffee? Ok.
Erzählerin:
Tilburg ist eine 200.000-Einwohnerstadt, wo die Studenten auf Fahrrädern zur
Uni radeln und die Menschen in gemütlichen Backstein-Häusern wohnen. So
auch Diederik Stapel.
O-TON: Interview Diederik Stapel, Fortsetzung Stapel: Do you know, what is this?
Knetsch: No. What’s the…
Stapel: It’s the Köln Concert.
Knetsch Köln Concert.
Stapel: Köln. Cologne.
Knetsch: Ah, jajaja.
Stapel: From Keith Jarrett.
Knetsch: From Keith Jarrett, yes.
Stapel: He’s very famous.
Knetsch: Ja, it’s famous.
Rest als Atmo unter Text
Erzählerin:
Wir setzen uns auf die Bistrostühle in der trendigen Küche und trinken Kaffee.
Im Verlauf des Gesprächs sehr viel Kaffee.
An diesem Küchentisch saß Diederik Stapel nachts am Computer und tippte
Daten ein. Er erfand sie einfach.
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Sprecherin:
Faked Science.
Ein Feature über Manipulation und Betrug in der Wissenschaft.
Von Gabriele Knetsch.
O-TON: Interview Diederik Stapel, Fortsetzung Stapel: When I started as a scientist I believed in the magic of
science…
OV: Als ich als Forscher begann, glaubte ich an die Magie der
Wissenschaft.
Stapel: I thought everything was wonderful and ideal and this is the way
to find answers..
OV: Das ist der Weg, um Antworten zu finden!
Stapel: And then you enter the world of science and you enter the
practice.
OV: Die Wahrheit zu den drängenden Fragen des Lebens!
Stapel: But the practice is not ideal!
OV: Aber die Praxis ist eben nicht ideal.
Stapel: It’s like when you …
OV: Genau wie in einer Ehe!
Stapel: You think the world is wonderful and you marry and then you
have all of these problems. I’s not about finding the truth.
OV: Ich merkte: hier geht es gar nicht um Wahrheit.
Stapel: It’s about publishing papers.
OV: Es geht darum Artikel zu veröffentlichen.
Knetsch: But when started the point that you were more in the
falsifying…
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Erzählerin: OV
Wann fingen Sie an zu fälschen? -
Stapel: Yeah, I don’t know.
Knetsch: What did you…
Stapel: It slowly happened. It slowly happened
Erzählerin:
Wenn Diederik Stapel heute am Küchentisch sitzt, denkt er über Gott, die Welt
und die Wissenschaft nach.
O-TON: Interview Diederik Stapel, Fortsetzung Stapel: I’m not a professor any more and I was a doctor, but I gave
back my…
OV: Ich bin kein Professor mehr. Ich gab meinen Doktor-Titel
zurück, weil ich dachte: als Doktor sollte man gute
Wissenschaft treiben und das habe ich nicht getan.
Stapel: …and I am not worthy of that title…
OV: Dann ist mein Titel auch nichts wert.
Stapel: It was a big media thing…
OV: Es war ein großes Medien-Ereignis. Alle schrieben, wie
schlimm ich war und wie falsch das alles war.
Stapel: …how bad I was and how awful it was what I did.
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Erzählerin:
40 Notizbücher hat der Forscher a.D. mit seiner winzigen Handschrift
vollgeschrieben. Seit Ende 2011 - da wurde er von der Universität Tilburg
fristlos entlassen.
O-TON: bei Diederik Stapel in Tilburg, Niederlande
Stapel: Whatever I do , now, people will notice and say, well you are
not allowed to do this…
OV: Was auch immer ich mache, die Leute sagen: Du bist Diederik
Stapel. Halt den Mund.
Stapel: Or whatever it is, If I apply for a job, or I write a book. .
OV: Ob ich mich um einen Job bewerbe oder ein Buch schreibe.
Stapel: …they know me, and …
OV: Jeder kennt mich. Ich soll meine Stimme möglichst nicht
erheben.
Stapel: Of course the solution is to go away. Literally by…
OV: Eine Lösung wäre: wegzugehen.
Stapel: …committing suicide. Or by moving to another country or …
OV: Ich könnte Selbstmord begehen oder in ein anderes Land
gehen.
Stapel: …being a ghost.
OV: Quasi als Geist leben.
MUSIK, darüber
Erzählerin:
Die Geschichte des Diederik Stapel handelt von einem Mann, der alles hatte –
und alles verlor. Sie handelt aber auch von einem Fälscher, der ein System in
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Frage stellt, das Spitzenforschung verspricht – und Fake produziert. Wie kann
ein Wissenschaftler vor den Augen seiner Kollegen Jahre lang Daten erfinden,
ohne dass sein Betrug auffällt? Ist Stapel ein Einzelfall – oder – viel
beunruhigender – ein Symptom für ein krankes System? Ein System, dem
Guten und Wahren verpflichtet, in dem es jedoch Fehlverhalten gibt. Und
Manipulation. Sogar Fälschung und Betrug. Die Abgrenzung ist nicht einfach
bei Faked Science.
Atmo, Empfang Eröffnung mit Musik
Ich fliege nach Boston zur größten Wissenschaftskonferenz der Welt, zur
AAAS – der „American Association of the Advancement of Science“. Dort
suche ich Antworten auf diese Frage.
O-Ton AAAS, Boston, USA
Weibl. Stimme: Ten fifteen should be sitting down. If you are ten fifteen you
should be there….
Als Atmo weiter, darüber
Erzählerin:
Bei der AAAS geben sich Nobelpreisträger die Klinke in die Hand.
Talentscouts suchen nach begabtem Nachwuchs.
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O-Ton AAAS, Rosaly
Rosaly: Hi everyone. My name is Rosaly, and I teach mathematics at ^
Harvard University. and I’m here to tell you about math.
Erzählerin:
Forscher stellen bahnbrechende Erkenntnisse vor, die die Menschheit retten.
Man trifft sich abends zu Häppchen beim Empfang und informiert sich über die
neuesten Trends in der Welt der Wissenschaft. Vor dem gigantischen,
glasverspiegelten Kongresszentrum Heynes Convention Center protestieren
Wissenschaftler auf Science Marches gegen den Faktenfeind Donald Trump –
drinnen üben sich die Kollegen in Selbstdarstellung.
O-TON AAAS, Rosaly, Fortsetzung
Rosaly: What does all that mean? How much are you paying compared
to other opportunities? Are you really confident that you’re
getting the best highspeed Internet plan for your houshold for
example? This is everyday maths.
Erzählerin:
Kamera läuft! „Share your science!“ heißt ein Training für Forscher, die ihre
Wissenschaft bestmöglich verkaufen wollen. „Communication“ ist ein Top-
Thema auf der AAAS.
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O-TON AAAS, Workshop Communication
Grimm: I think about my grandmother. My grandmother likes to read,
she is interested in scientific topis. But if she took a science
course, it was a a long, long, time ago. So Im trying to think of
her when I’m writing because I want her to understand it.
MUSIK
Erzählerin:
Wenn meine Großmutter versteht, was die schwierigen physikalischen
Formeln oder die Zahlenreihen einer Studie bedeuten, dann auch mein
Drittmittelgeber, mein Förderer, mein Politiker oder mein Sponsor. Der
Gelehrte im Elfenbeinturm, der jahrelang an einer kniffligen Frage vor sich
hintüftelt, gehört der Vergangenheit an. Der aktuelle Wissenschaftler ist auch
der Salesmanager einer durchrationalisierten Daten-Produktion.
O-TON AAAS, Workshop Communication, Fortsetzung
Grimm: Don’t underhype. You’r doing important work, you’re doing cool
work. Don’t be shy telling people why it’s cool and why it’s
important. For promotion – don’t be shy to promote your work.
MUSIK
Erzählerin:
Allein in Deutschland fließen 90 Milliarden Euro im Jahr in Forschung und
Entwicklung. Ein Drittel davon kommt von Bund und Ländern. Die Konkurrenz
um diese gigantische Sahnetorte wird härter. Natürlich geht es bei
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Spitzenforschung um Erkenntnis. Wissenschaft wird aber zunehmend zu einer
Ware, die gehandelt wird. Der Erfolg dabei hängt nicht unwesentlich von den
Zeitschriften ab, die die Artikel veröffentlichen.
O-TON David Grimm
Grimm: Well, scoops, we really like scoops. We really like to have
exclusives, but often we don’t because when it’s a big story –
like a researcher says they cured cancer, right? You are not
gonna get the scoop on that. Everyone is gonna be covering it.
OV: Wir lieben solche Knüller wirklich. Wenn ein Forscher sagt, er
hat Krebs geheilt, ist das ein toller Scoop. Alle Medien werden
das berichten.
Grimm: What we really try as journalists to find …
OV: Solche Geschichten suchen wir als Magazin. Wir ermuntern die
Wissenschaftler, solche Ergebnisse direkt an die Journals zu
bringen.
Grimm: But journals love that, because that can become a scoop for
them.
SOUNDDESIGN, darüber
Erzählerin:
David Grimm, der Enkel jener wissbegierigen Großmutter, arbeitet für die
berühmteste Wissenschaftszeitschrift der Welt – „Science“: Für eine
Veröffentlichung in „Nature“ oder „Science“ zahlen Universitäten den Autoren
schon mal einen fünfstelligen Betrag.
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O-TON David Grimm
Grimm: For some scientists that makes their career, you know….
OV: Manche Wissenschaftler machen dadurch ihre Karriere.
Grimm: and so, you’re being published in big journals like Science and
Nature…
OV: Wer in Science oder Nature veröffentlicht, bekommt vielleicht
eine Professur oder einen tollen Job.
Grimm: We are still hearing that this Science-paper or that Nature-
paper was transformational for their career.
Erzählerin:
Die heimliche Währung im globalen Forschungsbusiness aber sind die
Impact-Faktoren – sie sind bares Geld wert. Je häufiger ein wissenschaftlicher
Artikel zitiert wird, desto mehr Impact-Faktoren bekommt der Forscher.
Berühmte Magazine wie „Science“ werden häufiger zitiert als das Tübinger
Tagblatt. Je mehr Impact-Faktoren ein Forscher anhäuft, desto besser sein
Ranking in Berufungskommissionen. Desto höher sein Gehalt, das er sich wie
ein Industriemanager selbst aushandelt. Desto mehr Klinikbetten bekommt
seine Uni. Und desto mehr staatliche Fördergelder fließen an sein Institut.
MUSIK
O-TON, Karin Röder, Jens Förster, Doppelkopf, Am Tisch mit Jens
Förster, „Konsum Souveräner“
Röder: Heute ist der Sozialpsychologe Jens Förster zu Gast. Ich heiße
Karin Röder. Haben Sie, um zu haben? Oder sind Sie, um zu
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sein? Oder sind Sie, um zu haben? Oder haben Sie, um zu
sein? Zugegeben, etwas verwirrend, diese Fragen, doch unser
heutiger Doppelkopf-Gast hat das Verhältnis von Haben und
Sein untersucht. Und was das Haben mit dem Sein macht, hat
er ausführlich in seinem gleichnamigen Buch nieder
geschrieben. Herzlich willkommen, Professor Jens Förster.
Förster: Guten Morgen, Frau Röder.
Erzählerin:
Jens Förster ist ein Kollege von Diederik Stapel in Deutschland, weltweit
vielleicht nicht ganz so berühmt, aber immerhin „einer der einflussreichsten
Psychologen seiner Generation“, urteilte die Deutsche Gesellschaft für
Psychologie. Mich fasziniert an Jens Förster, wie er komplexe Wissenschaft in
ein, zwei Sätzen auf den Punkt bringt. Eloquent, charmant, sympathisch. Ein
Professor zum Anfassen! Gern gesehener Gast in Talk Shows, Experte und
Sachbuchautor: Wie kommen Menschen zu ihren Vorurteilen? Steigern sie
durch Sex ihre Kreativität oder ihr analytisches Denken? Und: „Was das
Haben mit dem Sein macht“. Mit populären Themen wie diesen stillt Förster
wie kein zweiter die Sehnsucht der Deutschen nach dem Experten, der ihnen
die Welt erklärt.
O-Ton Joachim Funke
Funke: Das ist natürlich eine Strahlkraft, der man sich nicht entziehen
kann, wo man denkt, wow, da hat einer eine tolle Theorie
entwickelt und bringt hier einen Beleg dafür und dort einen
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Beleg, das ist eigentlich tolle Wissenschaft. Wo man sagt, so
möchte man gerne die Sozialpsychologie weiter führen.
Erzählerin:
Der Sozialpsychologe Joachim Funke von der Universität Heidelberg hat den
„Fall Förster“ von Anfang an mitverfolgt. 2012 bekam Försters Glanz erste
Kratzer. Ein Whistleblower hatte sich an die Universität Amsterdam gewandt
mit dem Verdacht auf „wissenschaftliches Fehlverhalten“. Die Daten seien zu
„linear“ – sprich: zu schön um wahr zu sein.
O-Ton Interview Joachim Funke
Funke: Da werden bestimmte Prognosen bemacht, wie sich die Daten
unter einer Bedingung verhalten sollen, und dass sie das exakt
so tun wie vorhergesagt, in genau der perfekten Form, da denkt
man, wow, das ist aber extrem selten. Iin der Natur sind
Linearität wirklich seltene Fälle. Knetsch: Belegen die Daten
also genau die These, die er vorher aufgestellt hat?
Funke: Ganz klar, so fein belegen sie sie, dass eigentlich nicht schöner
im Lehrbuch gemalt werden könnte.
SOUNDDESIGN, darüber
Erzählerin:
Ich bin irritiert. Der Psychologie-Guru, der deutschlandweit durch die
Talkshows tourt, soll ein Fälscher sein? Oder ist er ein unschuldiges Opfer,
das verleumdet wird?
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Erzählerin: Zitat, Email:
„Sehr geehrter Herr Förster. Ich recherchiere derzeit zum Thema
"Wissenschaftliches Fehlverhalten" für ein Hörfunk-Feature. Wäre es
möglich, mit Ihnen ein Interview zu diesem Thema zu machen, in dem
Sie Ihre Position darlegen können?
Zitator Förster:
„Sehr geehrte Frau Knetsch, sehr gerne können wir einmal telefonieren. Es ist
sicherlich wichtig, auch die Opfer von Verleumdungen zu Wort kommen zu
lassen.“
GERÄUSCH: Telefon Freizeichen
Erzählerin:
Telefonat mit Jens Förster, 8.11. 2016 – Gesprächsprotokoll: Kein
Schuldeingeständnis; Statistiker der Universität Amsterdam hätten seine
Daten überprüft – jedoch mit fragwürdigen Methoden.; ein Interview komme
derzeit nicht in Frage – wegen seiner Bewerbung um eine Professur in
Bochum; aber im Prinzip gerne, wenn die Professur durch ist.
MUSIK, darüber
Erzählerin:
Es geht im Fall Jens Förster um viel Geld – um fünf Millionen. Mit 5 Millionen
Euro ist die Humboldt-Professur ausgestattet, die ihm 2013 zugesagt wird. Mit
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der Humboldt-Professur lockt der Staat deutsche Spitzenforscher aus dem
Ausland zurück in die Heimat. Diese höchstdotierte Auszeichnung in der
Bundesrepublik wird von der Alexander-von-Humboldt-Stiftung an besonders
herausragende Wissenschaftler verliehen. Die Ruhruniversität Bochum hatte
daher ein großes Interesse, Jens Förster von der Universität Amsterdam
abzuwerben – zu besten Konditionen:
O-TON Interview Joachim Funke, Fortsetzung
Funke: Natürlich ist das ein Schmuck für jede Universität, jemanden zu
haben, der internationale Anerkennung genießt, der hochrangig
publizieren kann, der tolle Theorien entwickelt und obendrein
noch viel Geld mitbringt. Die Alexander-von-Humboldt-
Professur ist mit 5 Millionen Handgeld ausgestattet. Das ist ja
nicht ganz wenig. In heutigen Zeiten ist man manchmal froh, ein
Forschungsprojekt genehmigt zu bekommen, wo man in 3
Jahren 100.000 Euro bekommt.
Knetsch: Kriegt man mit einer ganz normaler Forschung, wo mal hier was
streut und mal da was streut und die Ergebnisse nicht ganz so
klar sind, auch so eine 5-Millionen-Professur?
Funke: Das ist ganz unwahrscheinlich. Und ist das wirklich alles Gold
was glänzt, oder reiben wir da ein bißchen und hinter der
goldenen Oberfläche kommt dann eben auch ein bißchen Blei
zum Vorschein.
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MUSIK, darüber
Erzählerin:
Wie im Profifußball werben sich die Universitäten die besten Spieler
gegenseitig ab. Die Spitzengehälter für Topforscher, Leistungszulagen und die
gut gepolsterte Forschungs-ausstattung zahlt aber nicht ein privater
Fußballverein – sondern in der Regel der Steuerzahler. Um Peanuts geht es
hier nicht. 2,8 Milliarden Euro beispielsweise vergibt die Deutsche
Forschungsgemeinschaft, die DFG, jährlich. Sie ist aus Bundes- und
Landesmitteln finanziert. In der selben Größenordnung liegt das Jahresbudget
der staatlich geförderten Max-Planck-Gesellschaft. Vier Milliarden Euro
fließen jedes Jahr an die Helmholtz-Gesellschaft. Rund 30 Milliarden Euro
öffentlicher Gelder flossen laut Statistischem Bundesamt 2016 in
Wissenschaft und Forschung. Dazu kamen noch 60 Milliarden aus der
Wirtschaft. Betrug in der Wissenschaft ist also kein Kavaliersdelikt – sondern
Verschwendung von Geldern. Auch von Steuergeldern. Wenn nicht gar
Veruntreuung.
SOUNDDESIGN
ATMO: AAAS, Seminar „Rigor“, kurz frei, dann über Text
Erzählerin:
Auf der diesjährigen Wissenschaftskonferenz AAAS in Boston steht – neben
all dem Glamour - ein etwas unschönes Thema auf der Agenda: „Rigor“- die
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Zuverlässigkeit von Forschungsergebnissen . Die Branche ist geschockt.
Denn jüngste Studien kamen zu dem Schluss: viele Forschungsergebnisse
lassen sich gar nicht „replizieren“. Das heißt: wird das Experiment genau so
wiederholt, wie es der Forscher beschrieben hat, kommt etwas ganz anderes
heraus. Wie verlässlich sind denn nicht replizierbare Schlaganfallstudien oder
Forschungen für Krebsmedikamente dann überhaupt?
O-TON: AAAS Judith Kimble
Kimble: Patients depend on good studies…
OV: Patienten sind abhängig von guten Studien.
Kimble: And from my point of view, since I’m a basic scientist…
OV: Und die medizinischen Forscher hängen erst recht ab von
zuverlässigen Medikamentenstudien ab, damit sie wissen,
welche Medikamente sie einsetzen sollen.
Kimble: … A lot of money is being spent on trying to make drugs…
OV: Aber es wird viel Geld ausgegeben für Medikamente, die von
vorneherein überhaupt keine Chance haben zu wirken, weil sie
auf Forschung basieren, die nicht korrekt ist. Das ist wirklich
besorgniserregend.
Kimble: … It’s very worrying.
Atmo AAAS Konferenz
Erzählerin:
Am Rande eines Workshops zum Thema „Rigor and Reproducibility“ treffe ich
die Medizinprofessorin Judith Kimble - und Michael Lauer, den Direktor des
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National Institutes of Health – einer der wichtigsten staatlichen Förderer
medizinischer Forschung in den USA:
O-TON: AAAS Michael Lauer
Lauer: In some respects science has a credibility gap….
OV: Die Wissenschaft leidet gerade an einer Glaubwürdigkeitskrise.
Lauer: We’re not coming up with new cures….
OV: Viel Geld wird für die Wissenschaft ausgegeben, aber wir
bringen keine neuen Heilungsmethoden. Oder: viel
Wissenschaft wird geleistet – aber ihre Ergebnisse sind nicht
reproduzierbar.
Lauer: This is very frustrating. I’t’s very frustrating for the public…
OV: Das ist frustrierend für die Öffentlichkeit.
Lauer: They are wondering what are they getting for their tax paying
money?
OV: Was bekommt sie denn überhaupt für ihre steuerbezahlten
Dollars?
MUSIK, darüber
Knetsch: Hi Brian, nice to meet you.
Nosek: Nice to meet you as well, Gabriela.
Erzählerin:
Wie eine Bombe schlug vor zwei Jahren die Replikations-Studie des
Sozialpsychologen Brian Nosek ein. Er gilt auch unter Kritikern als seriös.
Nosek hatte 100 psychologische Studien wiederholt. Nur 36 Mal kam Nosek
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zu dem gleichen Ergebnis wie die Autoren, in allen anderen Fällen nicht. Unter
letzteren war auch eine Studie von Jens Förster.
MUSIK fadeout
O-TON: AAAS Brian Nosek
Lauer: Since that study came out in 2015…
OV: Seit dieser Studie 2015 haben wir ähnliche Replikations-
Studien in anderen Wissenschaften durchgeführt. Wir haben
gerade unsere Studie in der Krebsforschung abgeschlossen.
Die ersten fünf Studien, bei denen wir berühmte Ergebnisse in
der Krebsforschung wiederholten. Wir kamen zu ganz
ähnlichen Ergebnissen wie in der Psychologie – obwohl wir
unser Bestes gaben.
Erzählerin:
Vielleicht nicht alles Fake – aber offenbar auch nicht alles korrekt.
O-TON: AAAS Brian Nosek, Fortsetzung
Lauer: That’s sort of the corrosive part of this culture that everyone
feels slave to the culture of exciting, sexy results...
OV: Die Wissenschaftler fühlen sich verpflichtet, sexy Ergebnisse
abzuliefern, damit die Magazine sie veröffentlichen. Die
Zeitschriften meinen, sie müssten sexy Befunde drucken, weil
sie sie sonst ihre Impact-Faktoren verlieren.
Lauer: … And everybody is unhappy with the system….
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OV: Und alle sind unglücklich mit diesem System.
Lauer: … But no one feels in power to change it.
MUSIK
Erzählerin:
Zurück nach Holland zu Diederik Stapel. Stapel hat viele Artikel in berühmten
Journals veröffentlicht. Etliche auch in „Science“ – die waren alle gefälscht.
O-TON: Interview Diederik Stapel in Tilburg, Niederlande / Keith Jarrett Klaviermusik spielt im Hintergrund Stapel: If I try to explain it to people, friends, or another scientist…
OV: Ich versuche es immer wieder Freunden zu erklären.
Stapel: … who ask me, well, Diederik, why? Andt often…
OV: Sie fragen mich: Diederik, warum ist das so wichtig für dich
gewesen?
Stapel: You were already a good scientist.
OV: Du warst doch schon ein guter Wissenschaftler.
Stapel: It’s about addiction. It’s about the kick of..
OV: Es war eine Sucht. Der Kick, etwas ganz Tolles
herauszufinden.
Stapel: …about being taken serious, about being part of a group.
MUSIK, darüber
Erzählerin:
Diederik Stapel hat 54 gefälschte Artikel zurückgezogen. Vielleicht beunruhigt
sein Fall auch deshalb so viele Menschen, weil die wissenschaftliche
Selbstkontrolle in seinem Fall komplett versagt hat.
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O-TON: Interview Diederik Stapel, Fortsetzung
Knetsch: Who profited – only you or your institute as well, because it is
very prestigious to have a scientist who publishes in big
journals?
Erzählerin: OV, darüber
Wer profitierte von Ihren Fälschungen?
Stapel: Yes, I think that’s part of the problem, why that went so
amazingly wrong.
OV: Das war ja das Problem: ich tat, was allen gefiel.
Stapel: And nobody noticed is because I was doing things everybody
liked.
Erzählerin:
Weil irgendwo an den Unis noch mehr Stapels schlummern könnten. Und weil
der Übergang zum Betrug schleichend ist.
O-TON: Interview Diederik Stapel, Fortsetzung
Knetsch: How did you get published your first paper in Science?
Erzählerin, OV:
Wie haben Sie Ihren ersten Artikel in Science veröffentlicht?
O-TON: Interview Diederik Stapel, Fortsetzung
Stapel: Well, it was a paper with fabricated data. So it was a total fraud.
OV: Es war ein totaler Betrug.
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Stapel: I got published because they thought it was a great discovery, it
was an important finding. And it was done, experiments were
performed in an interesting novel creative way.
MUSIK, darüber
Erzählerin:
Sein Fälscher-Meisterstück war die Utrechter Müllmänner-Studie. Stapels
These: Menschen, die sich besonders nach Strukturen und Ordnung sehnen,
sind anfälliger für Vorurteile.
O-TON: Interview Diederik Stapel, Fortsetzung Stapel: I was stupid and I was dumb. And.. I don’t know. I mean, I was
impatient.
OV: Ich war dumm und ungeduldig.
Knetsch: It could have worked? -
Erzählerin: OV
Es hätte klappen können?
Stapel: It could have worked. It could have worked. Yes…
OV: Ja, Aber ich war verliebt in die Schönheit meiner Idee.
Stapel: Yes, but I didn’t wanna test it.I was afraid that it didn’t work.
OV: Ich wollte sie nicht testen, weil ich Angst hatte, dass meine
Hypothese nicht funktionierte.
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Erzählerin:
Das Setting war aufregend: der Forscher befragte während des Müllmänner-
Streiks am Utrechter Bahnhof Reisende nach ihren Vorurteilen - inmitten von
Pappbechern, Schmutz und Chaos. Leider fand die Befragung niemals statt.
O-TON: Interview Diederik Stapel, Fortsetzung
Stapel: This is the tragedy!
Knetsch: Could you have published the same paper, if the results hadn’t
been so clear.
Erzählerin: OV
Hätten Sie den Artikel sonst in Science veröffentlichen können?
Stapel: No. No. If I didn‘ have the results in the railway station, it would
never have been in Science. –
OV: Er wäre niemals in Science veröffentlicht worden. Die
Forschungsidee wäre dieselbe, aber die Umsetzung wäre viel
weniger sexy.
Stapel: …less sexy, less interesting.
Knetsch: And why was it so important for you to publish in Science? –
Erzählerin: OV
Warum wollten Sie unbedingt in Science veröffentlichen? -
Stapel: Because I wanted to be part of something big, of the scientific
community. I wanted to be taken serious.
OV: Ich wollte wichtig sein in der Wissenschaft.
Stapel: Let’s got some more coffee, yes? -
Knetsch: Ok.
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Stapel: Uff. (lacht).
MUSIK
SOUNDDESIGN, darüber
Erzählerin:
Die Faktenlage zum Thema Betrug in der Wissenschaft ist dünn. Der Forscher
Daniele Fanelli wertete anonyme Befragungen von Forschern aus und kam zu
dem Schluss: knapp zwei Prozent hatten nach eigener Aussage schon mal
Ergebnisse gefälscht, ein Drittel von ihnen geschönt. Die Biomedizinerin
Elisabeth Bik hat 20.000 wissenschaftliche Artikel im Zeitraum zwischen 1995
und 2014 überprüft und festgestellt, dass knapp vier Prozent davon gefälschte
Bildpublikationen enthielten – mit einem deutlichen Anstieg seit dem Jahr
2003. Ab da machten digitale Techniken wie Photoshop das Betrügen
besonders leicht. Der Stanford-Professor John Ioannidis ist der Meinung, 80
Prozent der präklinischen Studien seien Müll – die Forschungsgelder würden
in diesem Bereich zu 85 Prozent für nichtgeeignete Studien verschwendet
werden.
Für Deutschland gibt es keine Daten zu wissenschaftlichem Fehlverhalten.
Die Universitäten und Forschungseinrichtungen erheben sie nicht. Eine
zentrale Stelle, die die Kontrolle hat, existiert nicht. Gemeinsam mit Kollegen
des Bayerischen Rundfunks von BR Data und BR Recherche, wollen wir
selbst Daten erheben. Wir schreiben 281 deutsche Universitäten und
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Forschungseinrichtungen an – und warten gespannt auf die Reaktionen zu
unserer Umfrage „Real Science“.
SOUNDDESIGN
ATMO: Bahnhof Bonn , darüber
Erzählerin:
Um einen Einblick in das Ausmaß von Fälschung zu bekommen, besuche ich
den Psychologen und Journalisten Rolf Degen in Bonn. Er holt mich vom
Bahnhof ab.
O-TON: Interview Rolf Degen
Degen: Wissen Sie, momentan sind meine Kontakte in der
Wissenschaftswelt eher weltweit. Seitdem ich mich engagiere in
der Bekämpfung von Wissenschaftsbetrug und
Unregelmäßigkeiten in der Wissenschaft ist das internationale
Zusammenarbeiten noch notwendiger geworden.
Knetsch; Das ist global oder, das Ganze?
Degen: Das ist global.
Rest als Atmo unter Text
Erzählerin:
Rolf Degen twittert zum Thema Wissenschaftsbetrug. Morgens beim
Frühstückkaffee sucht er gerne nach gefälschten Studien im Netz.
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O-TON: Interview Rolf Degen, Fortsetzung
Degen: Das fängt eigentlich damit an, dass ich vor vielen Jahren damit
begonnen habe, mit großer Freude und Begeisterung
Psychologie zu betreiben. Ich habe es wirklich aus Leidenschaft
getan. Das Privileg über die ganz großen Fragen des Lebens
nachdenken zu dürfen empfand ich immer etwas Großartiges.
Ich habe die Antworten nie groß hinterfragt. In all den Jahren
war es eigentlich kaum notwendig, jemals in den Methodenteil
zu schauen bis dann vor einigen Jahren innerhalb von ganz
kurzer Zeit die ganz ganz schreckliche Ernüchterung
eingetreten ist. Ich gehörte zu einer Gruppe von Leuten, die
immer größer wird, die feststellte, dass ganz schrecklich viele
Dinge in den Wissenschaften im Argen liegen. Dass viele
Studien bei weitem nicht so zuverlässig sind, wie es für den
Laien möglicherweise erscheinen mag, und dass es leider,
leider auch spektakuläre Fälle von Betrügereien gibt.
Erzählerin:
Degen liefert seine Recherchen an „Retraction Watch“, das ist die wichtigste
Plattform, die weltweit über wissenschaftliches Fehlverhalten berichtet. Seit es
im Internet Plattformen wie Retraction Watch, Vroni Plag oder PubPeer gibt,
steigt die Quote der aufgedeckten Betrugsfälle spürbar an. Aufdecker wie
Degen übernehmen extern eine Kontrolle, wo der Wissenschaftsbetrieb selbst
oft versagt.
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O-TON: Interview Rolf Degen, Fortsetzung
Degen: Es ist einfach so, dass, wenn Sie anfangen sich damit zu
beschäftigen, Sie überrascht sein werden, mit welchem
unglaublichen Ideenreichtum betrogen wird. Ich habe selber of
gesagt, es wäre schön, wenn Wissenschaftler die gleiche
Kreativität, die sie auf ihre Betrügereien anwenden, auf ihre
ehrenwerte Forschung anwenden würden. Es gibt das
klassische Muster der Datenfabrikation, das sind die
schlimmsten Fälle.
Erzählerin:
Sprich: Daten, die komplett erfunden sind.
O-TON: Interview Rolf Degen, Fortsetzung
Degen: Dann gibt es die kleinen Formen, die wir questionable research
practices nennen. Die kleinen Frisierereien, von denen man
mittlerweile glaubt zu wissen, dass das 70 Prozent aller
Wissenschaftler machen.
Erzählerin:
Einzelne Ergebnisse, die weggelassen oder geschönt werden, weil sie der
eigenen Hypothese widersprechen. Ist das gängige Praxis? Manipulation?
Oder gar Betrug?
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O-TON: Interview Rolf Degen, Fortsetzung
Degen: Eine andere der neuesten Methoden ist, Koautoren zu stehlen.
Man nimmt Koautoren, die Rang und Namen haben, und tut so,
als seien diese an dem betreffenden Manuskript beteiligt
gewesen.
MUSIK, darüber
Erzählerin:
Ein paar weitere Tricks aus dem Fälscher-Labor: Zitierkartelle von
Wissenschaftlern, die sich gegenseitig erwähnen, um ihre Impact-Faktoren
hochzujagen. Erfundene Gutachten renommierter Experten, um in die
berühmten Journals zu kommen. Autoren, die gar nicht mitgearbeitet haben,
aber auf dem Paper stehen – oft der Chef, der die Fördermittel an Land zieht
und daher sein eigenes Punkte-Konto aufbessern will. Am kreativsten scheint
die Branche aber bei der Manipulation von Bildpublikationen zu sein - gern
verwendet in der Biomedizin. Geschönt wird per Mausklick: Abbildungen von
Mikroskop-Aufnahmen, elektrophysiologischen Spuren oder sogenannte
Western Blots, die Proteine sichtbar machen können. Digitale Bilder werden
kopiert, verdoppelt, gestreckt, gedreht – oder in Artikel eingebaut, bei denen
es um ein ganz anderes Thema geht.
Rolf Degen verwandelte sich vom faszinierten Wissenschaftler in einen
desillusionierten Kritiker. 2014 informierte er die Humboldt-Stiftung über den
Vorwurf wissenschaftlichen Fehlverhaltens gegen Jens Förster.
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O-TON: Interview Rolf Degen, Fortsetzung
Degen: Der Fall Förster ist sowieso sehr schwierig, weil er ist ja nicht
beim Betrügen erwischt worden. Sondern es sind Statistiker
gewesen, die sich seine Daten angeschaut haben.
Normalerweise streuen Daten nach Zufall, denn jede
Versuchsperson macht die Sachen ein klein wenig anders als
die andere. Das führt dazu, dass es eine Art Trommelfeuer von
unterschiedlichen Daten gibt. Nun war es aber bei Förster so:
seine Daten gaben kein Trommelfeuer, sie gaben einen
geraden Strich.
Knetsch: Das ist eben nur ein Indiz, ein statistisches Indiz, das er
leugnet. Er selbst bleibt dabei, die Daten sind richtig.
MUSIK, darüber
O-TON: TV-Show, Jens Förster, Einleitung in das Schubladen-Denken
Moderatorin: Und wenn Sie jetzt bei Professor das Vorurteil haben, ein
gesetzter Mann, eher bißchen konservativ, dann darf ich Ihnen
jetzt Prof. Jens Förster direkt und live vorstellen. –
Förster: Danke schön. Guten Tag. (Klatschen). Dankeschön für die
Einladung in diese wunderbare Veranstaltung, denn ich denke
tatsächlich, dass in den Medien eine Basis oder eine Chance
liegt, Vorurteile anzugehen, aber auch Vorurteile zu vermitteln.
SOUNDDESIGN, darüber
Erzählerin:
Während in Wissenschaftskreisen spekuliert wird, wie Förster zu seinen
phantastischen Daten kam, tourt er durch Radiotalks und Fernsehshows und
plaudert über Haben und Sein, über Vorurteile, über das Schubladendenken,
und – neuerdings - über Krisen im Leben und ihre Bewältigung.
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GERÄUSCH: Telefon Freizeichen, darüber
Erzählerin:
Auf die Humboldt-Professur hat Förster 2015 freiwillig verzichtet, als die
Stiftung ankündigte, den Vorwürfen nachzugehen. Die Bochumer Top-
Professur bekam er daraufhin nur vertretungsweise. Gleich drei
Kommissionen prüften die Vorwürfe auf wissenschaftliches Fehlverhalten –
zwei in Holland, eine in Deutschland. Das Ehrengericht der Deutschen
Gesellschaft für Psychologie schloss mit Förster einen Deal. Er sollte zwei
auffällige Artikel zurückziehen – dafür verzichtete das Ehrengericht auf einen
Schuldspruch.
O-TON: Anrufbeantworter Jens Förster
Stimme: Hallo, das ist der Anrufbeantworter von Jens Förster in Köln.
Sie können nach dem Signalton eine Nachricht hinterlassen.
Vielen Dank und auf Wiederhören. (Piepton).
Knetsch: Guten Tag, hier ist Gabriele Knetsch vom Bayerischen
Rundfunk. Wir haben schon vor einiger Zeit telefoniert. Es ging
damals um die Vorwürfe wegen eines Fälschungsverdachts. Da
hatten Sie mir in Aussicht gestellt, dass wir dieses Jahr ein
Interview machen könnten. (…) Ich würde mich sehr freuen,
wenn Sie sich bei mir melden würden. Und würde mich noch
mehr freuen über ein Interview mit Ihnen. Danke schön. Auf
Wiederhören.
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MUSIK
Erzählerin:
Inzwischen trudeln erste Antworten auf unsere BR-Umfrage „Real Science“
ein. Zwei Drittel der 281 angeschriebenen Ombudsleute haben teilgenommen.
Wir haben offenbar einen Nerv getroffen. Die Ombudspersonen sind
Ansprechpartner für alle, die Vorwürfe wissenschaftlichen Fehlverhaltens
vorzubringen haben. Man spürt die Unruhe, die Sorge um den guten Ruf
deutscher Wissenschaft: Viele Ombudsleute und Pressestellen schicken uns
Kommentare mit.
Die Antworten an uns ergeben: Von 1.124 Anfragen an Ombudsleute an
deutschen Universitäten und Forschungseinrichtungen wurden 246
Verdachtsfälle weiter verfolgt. In fünf Jahren. Wie viele von ihnen dann
letztendlich tatsächlich als wissenschaftliches Fehlverhalten eingestuft
werden, haben die Universitäten meist nicht erfasst. Ist die Forschung in
Deutschland nun eine heile Welt? Oder kommt Betrug in der Wissenschaft
einfach nur selten ans Tageslicht?
Sprecher 2, Gesprächsprotokoll, Ombudsmann
„Gesprächsprotokoll, anonymer Ombudsmann, 13. März 2017.“
SOUNDDESIGN, darüber
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Erzählerin:
Einige Kommentare haben einen klaren Tenor – ein paar Ombudsleute
sprechen von einer hohen Dunkelziffer, von eigenen Erlebnissen, wie in den
Labors betrogen wird, und davon, dass der Betrug nur selten Folgen hat..
Sprecher 2, weiter:
„Ich bin selbst Fachmann auf dem Gebiet der Lebenswissenschaften und
habe mitbekommen, dass Kollegen meines Instituts genau zu meinem Gebiet
publiziert haben. Doch sie verwendeten unangemessene Methoden. Die
statistische Auswertung stimmte nicht. Und die Ergebnisse waren falsch
interpretiert worden. Ich kann nicht sagen, ob hier bewusst gefälscht wurde
oder die Ergebnisse geschönt waren. Ich bat die Kollegen, ihre Ergebnisse zu
korrigieren. Aber ich wurde nicht gehört. Gehe ich in die Chefetage? Man
signalisierte mir: „Nimm es doch nicht so ernst!“. Ich bin mir nicht sicher, ob
die Chefetage wirklich an einer Aufdeckung interessiert ist. Es geht um
Drittmittel, die das Institut dringend braucht. Einige Projekte liegen in der
Größenordnung von einer Million Euro. Hätten die Kollegen ihre Ergebnisse
korrigiert, stünden möglicherweise die Fördermittel auf dem Spiel! Der
Ehrliche ist der Dumme!“
MUSIK
O-TON: Uni, wo ist der Ombudsmann?
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(z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden.
Knetsch: Entschuldigung, wo geht’s bitte zum Ombudsmann?
männl.: Oh, da kann ich Ihnen leider nicht weiterhelfen.
Knetsch: Ombudsmann. Der Universität.
männl.: Ich weiß, dass es einen gibt, aber ich weiß nicht wo der ist.
Knetsch: Dankeschön.
MUSIK
Erzählerin:
Universitäten sind eine Welt für sich – ein abgeschlossenes, hierarchisches
System, vom untersten Doktoranden bis zum Professor, bestenfalls ein Star.
Es gibt in Deutschland kein übergeordnetes Gremium, das wissenschaftliche
Einrichtungen prüft. Den Universitäten obliegt es selbst, Verdachtsfällen
nachzugehen. Meist sitzen in den Kommissionen nicht einmal externe
Gutachter, sondern Kollegen der eigenen Universität. Die Sanktionen
verhängen sie selbst.
SOUNDDESIGN
O-TON: Uni, wo ist der Ombudsmann? Fortsetzung
Knetsch: Entschuldigung, ich such den Ombudsmann. Der Universität.
Wo sitzt der?
männl.: Keine Ahnung.
Knetsch: Keine Ahnung?
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männl.: Tut mir leid.
Knetsch: Und was der ist? Nein.
Erzählerin:
Fälle wissenschaftlichen Fehlverhaltens fliegen häufig auf, weil sich ein
Whistleblower an die zuständige Universität wendet – jemand, der genau zu
derselben Thematik forscht wie der Betrüger. Oft will er anonym bleiben. Der
Sozialpsychologe Joachim Funke, Jens Försters Kollege an der Universität
Heidelberg, ist selbst Ombudsmann und damit Ansprechpartner für Fälle von
wissenschaftlichem Fehlverhalten.
O-TON Interview Joachim Funke
Funke: Man braucht eine Kultur des Whistleblowings, dass diejenigen,
die sich beschweren, nicht sofort nieder gemacht werden und
Schaden daraus ziehen, dass sie etwas kritisch sehen. Dafür
braucht man Regulationsmechanismen, wie man im Vorfeld
Fälle aufgreifen kann.
: Natürlich ist es für eine Universität auch kein Ruhmesblatt,
solche Fälle an die Öffentlichkeit zu tragen, weil natürlich das
Ideal aufrechterhalten wird, an der Uni wird nur ehrenwert
geforscht.
Deshalb versuchen wir diese Fälle intern zu regeln, um das
gute Bild, das wir in der Öffentlichkeit geben wollen, nicht zu
sehr zu beschädigen.
Knetsch: Reicht das als Kontrollmechanismus? Können Sie das
überhaupt leisten?
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Funke: Als Kontrollmechanismus ist das sicher nicht ausreichend. Ich
würde gar nicht so sehr auf Kontrolle setzen. Für mich ist
Vertrauen nach wie vor ein wichtiges Grundprinzip.
Erzählerin:
Wie alle Ombudsleute in Deutschland erfüllt Joachim Funke diese Aufgabe
ehrenamtlich – neben seiner eigentlichen Arbeit als Professor. Als
Ombudsmann hat er kein eigenes Zimmer, keine eigene Sekretärin oder gar
eigene Rechercheure, die ihm bei der Aufklärung behilflich sein könnten. Hegt
er einen Verdacht, leitet er den Fall an die Untersuchungskommission der
Universität weiter. Dort sitzen Professoren, die die Forschung eines
möglicherweise betrügerischen Kollegen ebenfalls ehrenamtlich überprüfen –
in ihrer Freizeit, neben ihrer eigenen Forschung. So sieht die Qualitäts-
kontrolle im deutschen Wissenschaftsbetrieb aus. Die Wissenschaft
kontrolliert sich selbst – wenn sie sich kontrolliert.
O-TON: TV Jens Förster, Was das Haben mit dem Sein zu tun hat,
Youtube
Förster: (Musik, darüber) Als Psychologe interessiert mich, warum
Menschen unglücklich sind und wie Menschen ein zufriedenes
Leben haben können. Und in dem Buch bin ich der Frage
nachgegangen, ob wir dazu materielle Güter oder Geld
tatsächlichen brauchen. Und ich bin da zu erstaunlichen
Ergebnissen gekommen: Nämlich dass uns eine Wanderung in
der Natur oder das Betrachten von Kunstwerken genau
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denselben Kick geben können wie ein Paar schöner neuer
Schuhe. (Musik).
Erzählerin:
2015 hatte Försters einstiger Arbeitgeber, die Universität Amsterdam bei drei
Statistikern ein Gutachten in Auftrag gegeben. Sie sollten sämtliche Artikel
Försters aus der Amsterdamer Zeit – 24 insgesamt – überprüfen. Die
Statistiker kamen zu dem Ergebnis: Acht davon stehen unter starkem
Verdacht auf „geringe wissenschaftliche Wahrhaftigkeit“, auf drei weitere trifft
dies möglicherweise zu.
O-TON: Telefoninterview Rolf Degen
Knetsch: Hallo Herr Degen.
Degen: Hallo Frau Knetsch.
Knetsch: Bin gleich online und wollte jetzt nochmal kurz das Procedere
mit Ihnen besprechen. Und wir wollen den Whistleblower im
Fall Förster ja schützen, daher machen wir das Interview per
Mail an Sie. Ich stelle die Fragen an Sie und Sie leiten die
Fragen an den Whistleblower weiter.
Degen: Ich gebe Ihnen hiermit eine eidesstattliche Versicherung, dass
ich die von Ihnen gestellten Fragen und die Antworten des
Whistleblowers nicht verändern werde. Das wärs dann natürlich
am besten, wenn Sie die gleich auf Englisch stellen würden.
Erzählerin:
Rolf Degen verschafft mir den Kontakt zu jenem Whistleblower, der den Fall
Jens Förster ins Rollen gebracht hat.
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Erzählerin/ Sprecher: Email Interview Whistleblower (WB) und Gabriele
Knetsch (G.K.)
G.K. Hi Dr. X, good morning.
WB: Good morning. I’m glad that you are interested in the Jens Förster case.
It is important to inform the public.
G.K. Warum müssen wir dieses Interview anonym führen?
WB. Wenn ich als Whistleblower bekannt werde, wird das meiner Karriere
schaden und meinen Studenten. Es ist wahrscheinlich, dass Förster und
seine Freunde zurückschlagen.
G.K. Was würde passieren, wenn Sie Ihre Identität enthüllen würden?
WB. Ich werde bekannt als Betrugsjäger und Querulant. Die Leute werden
unsere Forschung durch die Brille der Betrugsjäger sehen. Das ist nicht
der Fall. Wir versuchen die Wissenschaft zu verbessern. Tatsächlich ist
es für mich sehr stressig, der Whistleblower im Förster-Fall zu sein. Es
hat mich Nerven und Zeit gekostet, die ich lieber in meine Forschung
hätte stecken sollen. Die Leute in Berufungskommittees könnten mir
eine schlechtere Bewertung geben. Förster-Freunde begutachten
vielleicht meine Aufsätze in den Peer Reviews für die Zeitschriften
schlechter.
G.K. Jens Förster sieht sich selbst als Opfer.
WB. Wenn er ein unschuldiges Opfer ist – warum hat er dann den drei
Kommissionen, die seinen Fall untersucht haben, nicht gesagt, wo die
Rohdaten sind?
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G.K. Jens Förster ist aber nach wie vor Professor an der Ruhruniversität.
WB. Ich denke mir, die Universität Bochum hat kein wirkliches Interesse
daran, den Fall im Detail zu studieren. Sie haben den Fall nie untersucht
– und sich auch nicht an mich gewandt. Obwohl ich sie kontaktiert habe.
Außerdem wollte die Uni die Humboldt-Professur bekommen. Fünf
Millionen sind viel Geld und hätten der Universität ein großes Prestige
verliehen.
Es gibt kein offizielles Gremium, das wissenschaftliches Fehlverhalten
unabhängig und ernsthaft untersucht!
G.K. Thank you, Dr. X.
SOUND
O-TON Interview Joachim Funke, Fortsetzung
Knetsch: Die Whistleblower können bei Ihnen anonym sein? –
Funke: Ja. Whistleblower können anonym bleiben. Ab einer
bestimmten Stufe es Verfahrens sicher nicht mehr. Aber so weit
wie möglich achten wir die Schutzbedürftigkeit von
Whistleblowern. Das ist nötig, weil wenn wir nicht diese
Schutzfunktion haben, würde sich niemand aus den unteren
Chargen einer Hierarchie trauen, über die höheren Chargen
Schlechtes zu sagen, weil man Angst hat, bei der nächsten
Stellenverlängerung wird mir das wieder aufs Brot geschmiert.
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Erzählerin:
Ein Whistleblower-Schutzgesetz existiert in Deutschland nicht – Standards,
wie Hochschulen mit den Beschwerden umgehen, auch nicht.
MUSIK
Zurück nach Holland, zu Diederik Stapel.
O-TON: Interview Diederik Stapel in Tilburg, Niederlande, Keith Jarrett
darunter
Knetsch: Who controlled you? –
Erzählerin: OV Wer kontrollierte Sie? -
Stapel: Badly not that many people.
OV: Mich kontrollierten zuwenig Leute.
Stapel: (lacht.) Yeah. Yeah. ..And you can also ask, why didn’t people
not tell my or take me on the shoulder, Hey Diederik, I mean…
OV: Warum haben sie mir nicht über die Schulter geschaut und
gesagt, Hey Diederik, da stimmt doch was nicht?
Stapel: It is because it was invisible….
OV: Weil es nicht sichtbar war. Ich fälschte auf clevere Art und
Weise. Jetzt sieht man, dass es gar nicht so clever war.
Stapel: And of course they didn’t expect this….
OV: Aber damals erwartete eben niemand, dass ich fälschen würde.
Knetsch: But you had coauthors..
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Erzählerin: OV
Aber Sie hatten ja Ko-Autoren.
Stapel: I was the boss. I was the powerful person. They were not.
OV: Ja. Aber ich war der Boss.
Knetsch: How did they discover your falsification?
Erzählerin: OV
Wie wurde Ihre Fälschung entdeckt?
Stapel: It was to good to be true. They started to investigate. An
assistant professor, a postdoc and a student. And they did the
proper investigation.
OV: Sie war zu schön, um wahr zu sein. Ein Lehrbeauftrager, ein
Doktorand und ein Student begannen nachzuforschen. Sehr
klar und sehr genau haben sie entdeckt: Schau dir die Daten an
– das kann nicht wahr sein! (…) Sie wandten sich an einen
Kollegen von mir. Ich leugnete. Einen Tag später hatte ich
einen Termin beim Dekan und ich sagte: Ja, alles stimmt. Ich
habe alles gefälscht. Nicht nur die letzten Monate. Das ging
über Jahre.
Stapel: … And then two days later I was fired…
OV: Zwei Tage später wurde ich gefeuert.
Knetsch: Why didn’t you deny?
Erzählerin: OV
Warum haben Sie nicht geleugnet? -
Stapel: It was too big. It was too big. I felt dirty, I felt wrong. I wanted to
stop this. It was awful.
OV: Es war zu groß. Ich fühlte mich schmutzig. Es sollte aufhören!
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Erzählerin: OV
Did you know that you were wrong? –
Stapel: Yeah, yeah. Yeah. So it was a releave – in a sense.
OV: Mein Leben änderte sich komplett. Es ist nicht schön und nicht
glücklich. Aber zumindest ist es ein Leben in Wahrheit.
Stapel: Now my life is truthful.
O-TON TV-Show Förster, Bloß keine Vorurteile, Nachtcafe, 19.5. 2012
Moderator: (Musik.) Herzlich Willkommen aus dem Nachtcafé aus dem
Schloss in Ludwigsburg. (Applaus). Haben Sie Vorurteile? Ich
bin mir ziemlich sicher. Sie auch. Klischees, Stereotypen von
anderen Menschen stecken tief in uns allen. Doch was richten
Sie in uns an? Bloß keine Vorurteile, heißt das Thema, über
das wir heute diskutieren wollen.
MUSIK, überblendet mit Telefon Freizeichen
O-TON Anruf Jens Förster Anrufbeantworter
Stimme: Hallo, das ist der Anrufbeantworter von Jens Förster in Köln.
Sie können nach dem Signalton eine Nachricht hinterlassen.
Vielen Dank und auf Wiederhören. (Piepton).
Knetsch: Guten Tag, Herr Förster, hier ist Gabriele Knetsch vom BR.
Hoffe, dass Sie gut aus dem Urlaub zurück gekommen sind.
(…) Ich habe gesehen, dass Sie auch als Buchautor sehr aktiv
sind (…) und wollte nachfragen, was aus der Professur
geworden ist. Und ob Sie zu einem Interview bereit wären. (…)
Herzlichen Dank. Wiederhören.
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O-TON Interview Markus Denzler
Denzler: Jens Förster ist einer der führenden deutschen
Sozialpsychologen. Eine Zeitlang war er in Holland an der
Universität von Amsterdam. Die haben ihn aus Bremen
weggeholt, weil er so erfolgreich war. Die sind nach Bremen
gekommen und haben versucht, ihn wegzuholen. Die wollten
ihn haben aufgrund seines Erfolges bei Veröffentlichungen und
Einwerbung von Drittmitteln.
MUSIK, darüber
Erzählerin:
Markus Denzler, Professor für Sozialpsychologie an der Hochschule des
Bundes in Haar, ist ein freundlicher, junger Mann. Er erzählt viel von
Leistungsorientierter Mittelvergabe – kurz: LOM, von Verträgen, die genau
vorschreiben, wie viel Drittmittel ein Professor einwerben muss und von
Impact-Faktoren, die er braucht, um das Geld zu beschaffen. Die
Universitäten finanzieren ihre Forschung heute zu 30 Prozent über Drittmittel
– Gelder externer Financiers, die man irgendwie an Land ziehen muss.
O-TON Interview Markus Denzler, Fortsetzung
Knetsch: Wie misst sich der Erfolg?
Denzler: Von Forschern?
Knetsch: Ja.
Denzler: An der Anzahl der Publikationen und der Anzahl der
eingeworbenen Drittmittel.
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Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des WDR unzulässig. Insbesondere darf das Manuskript weder vervielfältigt, verbreitet noch öffentlich wiedergegeben
(z.B. gesendet oder öffentlich zugänglich gemacht) werden.
Erzählerin:
Markus Denzler war Försters früherer Assistent in Bremen. Er hat die Daten
für die umstrittenen Studien erhoben – beziehungsweise ein Heer von
studentischen Hilfskräften dabei angeleitet. Nach einem fließbandmäßigen
Verfahren generierte das Team um Jens Förster den Rohstoff, aus dem die
Ware Wissenschaft gemacht wird.
Denzler: Wir haben 2-3 mal im Jahr – wir nannten das - Batterien
durchgeführt, Experimentalbatterien, in denen die Probanden
ins Labor für 1-2 Stunden kamen und dort 1-2 Stunden lang an
ganz unterschiedlichen Studien teilgenommen haben.
Erzählerin:
120 Probanten, meist Studierende vom Campus in Bremen, arbeiteten
nacheinander ein ganzes Set von Studien weg – mal ging es um Aggression,
mal um Kreativität und mal ums Schubladendenken.
O-TON Interview Markus Denzler
Denzler: Derselbe macht alles, also nicht jeder allers, die Hundeaufgabe
in Kreativität, dann bißchen scharfe Soße abfüllen in der
nächsten Studie, dann am Computer sitzen und Dreiecke und
Rechtecke beurteilen, so war so ein typisches Setting.
Erzählerin:
Drei von acht beanstandeten Artikeln hat Jens Förster zurückgezogen. Bei
einem war Markus Denzler Koautor.
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O-TON Interview Markus Denzler
Denzler: Ich kam erst später bei dem Artikel dazu, beim Schreiben. Da
ist es mir in der Tat nicht aufgefallen, als ich die Daten gesehen
habe. (…) Jetzt würden bei mir nach dem ganzen Procedere
die Alarmglocken schrillen und ich würde sagen: die Daten
würde ich nie veröffentlichen, weil man für lineare Daten einen
Riesenärger bekommt. Nur aufgrund dieser möglichen
Erklärung zu schließen, das einzige, was es erklären kann, ist
Fehlverhalten, das überzeugt mich auch nicht. (…) Keiner
unterstellt jetzt Förster, er hätte die Daten bewußt linear
gefälscht.
MUSIK, darüber
Erzählerin:
Genau dies tut das Nationale Komitee zur Integrität der Forschung in den
Niederlanden, LOWI genannt.
Zitator, Urteil, LOWI
„Das Nationale Komitee kommt zu der unvermeidbaren Schlussfolgerung,
dass eine Manipulation an den Forschungsdaten stattgefunden haben muss.
Das kann nicht durch schlampige Wissenschaft erklärt werden. Jemand muss
Eingriffe an den Daten vorgenommen haben.“
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Erzählerin:
In den Niederlanden gibt es – anders als in Deutschland – ein neutrales,
übergeordnetes Gremium, das wissenschaftliche Betrugsfälle unabhängig von
den Universitäten untersucht. Statistiker haben eine Studie Försters auf ihre
Plausibilität überprüft. Seither ficht Jens Förster eine Methoden-Schlacht aus,
die an Don Quijotes Kampf gegen Windmühlenflügel erinnert. Aber wo sind
seine sogenannten Rohdaten? Jene Antworten, die Hunderte von
Testpersonen in den Computer eingetippt haben?
O-TON Interview Markus Denzler
Denzler: Da kann ich nur das sagen, was er gesagt hatte, dass er die mit
nach Amsterdam genommen hat und dann auf Grundlage der
Anweisung der damaligen Vorsitzenden der
Psychologieabteilung Agneta Fischer die Daten weggeworfen
hat.
Knetsch: Die Papierdaten?
Denzler: Die Papierdaten, ja. Und es ist ja auch nicht so, dass alle Daten
verschwunden sind. Gerade in der ersten Untersuchung hat er
ja auch computerisierte Daten untersucht.
Knetsch: Aber die Computerdaten liegen vor, oder wie?
Denzler: Soweit ich weiß, liegen für die Studien, um die es ging, auch die
Computerdaten vor.Die wurden ja gar nicht untersucht. Die
haben sich ja gar nicht die Mühe gemacht, überhaupt die
ganzen Datensätze sich anzuschauen.
SOUND, Telefon Freizeichen, darüber
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O-TON: Anrufbeantworter Jens Förster
Stimme: Hallo, das ist der Anrufbeantworter von Jens Förster in Köln.
Sie können nach dem Signalton eine Nachricht hinterlassen.
Vielen Dank und auf Wiederhören. (Piepton).
Knetsch: Guten Tag, Herr Förster, Gabriele Knetsch, Bayerischer
Rundfunk. Es geht nochmal um meine Recherche für das
Feature. Gestern habe ich mich mit Ihrem ehemaligen
Kollegen, mit dem Herrn Denzler getroffen. Denzler hat die
Universität Amsterdam schwer angegriffen und den Vorwurf
geäußert, die Uni hätte die Rohdaten gar nicht angesehen,
sondern nur eine statistische Aufarbeitung der veröffentlichten
Daten betrieben. Er sagte, dass die Daten vorhanden seien auf
dem Computer. Trifft das zu? Herzlichen Dank und Alles Gute!
Auf Wiederhören. Gabriele Knetsch.
MUSIK, darüber
Erzählerin:
Die Rohdaten sind beim Verdacht auf Wissenschaftsbetrug das, was im
Kriminalfall das blutige Messer ist: der Beweis. Genau aus diesem Grund
fordern inzwischen immer mehr Wissenschaftler, dass die Daten aufbewahrt
und öffentlich zugänglich gemacht werden.
Bereits 2015 redete der Wissenschaftsrat Tacheles. Er gab ein
Positionspapier zu Faked Science heraus, das er – politisch korrekt –
„Empfehlungen zu wissenschaftlicher Integrität“ nennt. „Aufgrund der Brisanz
des Themas“ fordert er die Universitäten dringend auf zu handeln. Die
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Datenaufbewahrung soll internationalen Standards angepasst werden. Der
Rat schlägt ein unabhängiges nationales Gremium vor, das Ombudsleute
unterstützt, fordert mehr Geld für ihre Ausstattung und mahnt Standards an,
um Betrüger zu verfolgen.
Nichts davon ist umgesetzt – heißt es auf Nachfrage.
SOUNDDESIGN, darüber
Erzählerin:
Antwortmail von Jens Förster:
Sprecher 2, Email von Jens Förster
„4. April 2017. Liebe Frau Knetsch, es tut mir leid, dass ich Ihnen bisher nicht
geantwortet habe. Aber ich habe mich entschieden, vor allem aus
gesundheitlichen Gründen, von einem Interview abzusehen. Zu Ihrer Frage,
was die Datenaufbewahrung angeht: Ja, ich habe die Daten in SPSS an die
Universität Amsterdam weitergegeben und Statistikern zur Verfügung gestellt.
Wer mir etwas vorwirft, hat schlichtweg keine Ahnung von Methodenlehre. Mit
freundlichen Grüßen und viel Erfolg für die Sendung, Jens Förster.“
Erzählerin:
Antwortmail Universität Amsterdam:
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Sprecher 2, Email Universität Amsterdam
„4. April 2017. Herr Förster hat uns die Rohdaten nicht zur Verfügung gestellt.
Wir konnten die Originaldaten nicht überprüfen. Mit anderen Worten: Herr
Förster hatte die Rohdaten nicht mehr, weil er sie Jahre zuvor vernichtet
hatte.“
SOUNDDESIGN
O-TON Interview Markus Denzler
Knetsch: Wenn es jetzt doch Fälschung wäre? Tatsächlich?
Denzler: Ja das wäre schrecklich. Das wäre ganz schrecklich. A
persönlich, weil ich ihm ja vertraue und davon ausgehe, es ist
keine Fälschung. Und es wäre auch schrecklich für die
Forschung – weil er hat auch ganz viel Forschung aufgebaut.
Das wäre insgesamt natürlich schwierig.
Erzählerin:
Ob Jens Förster die Professur auf Lebenszeit in Bochum bekommt, will er
nicht sagen. Die Universität auch nicht. Hinter den Kulissen ist der Fall jedoch
längst entschieden: Man braucht nur die Stellenausschreibung zu lesen:
Gesucht ist kein Experte im Schubladendenken, sondern ein Bewerber mit
„erkennbarem Bezug zur Wirtschaftspsychologie“. Also nicht Förster. Die
Ruhr-Universität Bochum kann den Fall Jens Förster ganz diskret ad acta
legen. Fern der Öffentlichkeit. Das Wort Wissenschaftsbetrug fällt dabei nicht.
Jens Förster tourt jetzt als Sachbuchautor durchs Land. Druckfrisch
erschienen ist sein „Kleiner Krisenkiller“.
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MUSIK
O-TON: Interview mit Diederik Stapel in Tilburg, Niederlande / Keith
Jarrett
Knetsch: You have been an amitious person?
Erzählerin: OV
Sie waren ehrgeizig?
Stapel: Yeah.
Knetsch: You liked it. It was fine.
Stapel: Yeah. (lacht). It’s addictive.
Knetsch: And now?
Stapel: It’s not fine. (lacht wieder). It’s terrible.
Erzählerin:
Jens Försters ehemaliger Kollege Diederik Stapel startet ebenfalls eine zweite
Karriere als Autor – wenn auch mehr im fiktionalen Genre. „Fiction Factory“
heißt sein autobiographischer Briefroman. Irgendwie passend für einen
Wissenschaftler, der sein Lebenswerk quasi im Akkord erfunden hat.
O-TON: Interview mit Diederik Stapel in Tilburg, Niederlande /
Keith Jarrett
Knetsch: What are you doing now? –
Erzählerin: OV
Was machen Sie jetzt?
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Stapel: I’m trying to find work, what ever…
OV: Ich versuche Arbeit zu finden.
Stapel: We have many worries in our family…
OV: Wir haben viele Sorgen in unserer Familie.
Stapel: But I hope to find people who want to use my talents…
OV: Und ich hoffe, dass irgendjemand mein Talent nutzen will.
Stapel: I can write, I’m an expert in communication, in marketing,
strategy, psychology of course.
OV: Ich kann schreiben, kenne mich im Marketing aus und natürlich
in Psychologie.
Stapel: But I have a very bad reputation….
OV: Aber ich habe einen sehr schlechten Ruf.
Stapel: … so it‘s very difficult.
Knetsch: Can we see it? Can we see the questionnaires?
Erzählerin: OV
Können wir die Fragebögen sehen? –
Stapel: No, no. No, I’ve nothing any more. Everything has gone… I
have burned all that. My life’s deadline is over. – You haven’t
any. – No. My previous life has gone. It’s over.
OV: Nein. Ich habe nichts mehr. Ich habe alles verbrannt. Es ist zu
schmerzhaft. Es ist vorbei.
Knetsch: And Science, what does science mean for you, now?
Stapel: Science, I don’t know.
Knetsch: Do you still believe in science?
Erzählerin: OV
Glauben Sie noch an die Wissenschaft?
Stapel: Yes. Pause. It’s like believing in God, but not in the Church.
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MUSIK, darüber
Erzählerin:
Diederik Stapel hat seinen Betrug zugegeben und seinen Posten geräumt.
Das macht seinen Fall nahezu einmalig. Denn meist steht Aussage gegen
Aussage. Der Beschuldigte leugnet. Der Betrug kann nicht bewiesen werden.
So verlaufen viele Verfahren im Sande. Wissenschaftsbetrüger bleiben auf
ihren Posten oder wechseln unentdeckt die Universitäten. Sieht so eine
wirkungsvolle Kontrolle gegen Faked Science aus? Ist das die Antwort auf die
Vertrauenskrise der Wissenschaft?
Nachfrage beim Bundesforschungsministerium, das die deutsche
Wissenschaft mit 17 Milliarden Euro im Jahr fördert:
Zitator:
„Wir begrüßen es sehr, dass Sie sich mit diesem interessanten Thema
befassen, aber es gilt für uns immer wieder, beim Stichwort
Qualitätssicherung die Eigenverantwortung der Wissenschaft zu betonen. Vor
diesem Hintergrund kommentieren wir dieses Thema nicht.“
SOUNDDESIGN
Faked Science
Ein Feature über Manipulation und Betrug in der Wissenschaft
Von Gabriele Knetsch
Es sprachen: Kathrin von Steinburg, Bijan Zamani, Thomas Albus,
Stefan Merki und Karin Schumacher
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Ton und Technik: Gerhard Wicho und Susanne Harasim
Regie: Nikolai von Koslowski
Redaktion: Ulrike Ebenbeck
Eine Koproduktion der Redaktion Dokumentation und Feature des
Bayerischen Rundfunks mit dem Südwestrundfunk und dem Westdeutschen
Rundfunk 2017.