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1 Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur Das Feature Schumanns Violinkonzert Geschichte einer Uraufführung Ein Feature von Ulrike Bajohr Produktion. Dlf 2012 Redaktion: Tina Klopp Sendung: Freitag, 22.05.2020, 20.05-21.00 Uhr Regie: Axel Scheibchen Es sprachen: Renate Fuhrmann, Anja Lais, Frank Meyer, Matthias Lühn, Rainer Delventhal und Wolfgang Rüter Ton und Technik: Michael Morawietz und Beate Braun Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - unkorrigiertes Exemplar -

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Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur

Das Feature

Schumanns Violinkonzert

Geschichte einer Uraufführung

Ein Feature von Ulrike Bajohr

Produktion. Dlf 2012

Redaktion: Tina Klopp

Sendung: Freitag, 22.05.2020, 20.05-21.00 Uhr

Regie: Axel Scheibchen

Es sprachen: Renate Fuhrmann, Anja Lais, Frank Meyer, Matthias Lühn, Rainer Delventhal

und Wolfgang Rüter

Ton und Technik: Michael Morawietz und Beate Braun

Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig.

© - unkorrigiertes Exemplar -

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(auf Musik, Ferne)

Sprecher 2

„…. Ein Violinkonzert von Schumann – mit welchem Jubel würde es von allen

Kollegen begrüßt worden sein! Und doch durfte gewissenhafte Freundessorge

für den Ruhm des geliebten Tondichters nie einer Publication das Wort reden,

so vielumworben es auch von Verlegern war. Es muß eben leider gesagt

werden, dass es eine gewisse Ermattung, welcher geistige Energie noch etwas

abzuringen sich bemüht, nicht verkennen läßt. Einzelne Stellen (wie könnte es

anders sein) legen wohl von dem tiefen Gemüth des Schaffenden Zeugniß ab;

umso betrübender aber ist der Contrast mit dem Werk als Ganzes.“ 1

Der Geiger Joseph Joachim an seinen Biografen,

5. August 1898

02a (Tagung der Reichskulturkammer, Rede Goebbels)

….Voll Verehrung blicken wir nun alle in dieser Stunde auf Sie, mein Führer! Dsie

kennen die Kuisnt und Sie lieben die Kunst, Sie weisen Ihr Ric htung und Ziel als ihr

begnadetster Sinngeber. Das danken wir Ihnen alle! Halten Sie auch in Zukunft Ihre

schirmende Hand über deutsche Kunst und deutsche Art, und Leistung und Tat

sollen dann Antwort und Gelöbnis des deutschen Künstlers darauf sein. 2

Beifall

Deutscher Rundfunk… Übertragung der… Reichskulturkammer und der … Kraft

durch Freude … übertragen wir jetzt das Violinkonzert von Robert Schumann in

Welturaufführung. Solist ist Professor Georg Kulenkampff… Wir begrüßen nunmehr

auch die Hörer der Rundfunkgesellschaften Italiens, Österreichs, Jugoslawiens,

Schweiz, Ägypten, Australien… Teneriffa…3

Ansage:

Schumanns Violinkonzert. Geschichte einer Uraufführung

Ein Feature von Ulrike Bajohr

1 ebd., S. 317

2 Mitschnitt der Tagung der Reichskulturkammer vom 27.11. 1937, Deutsches Rundfunkarchiv

3 Mitschnitt der Tagung der Reichskulturkammer vom 27.11. 1937, Deutsches Rundfunkarchiv

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Musik: Beginn 1. Satz, Fassung Wallin

Sprecher 1:

Erster Satz: Im kräftigen, nicht zu schnellem Tempo.

Solist: Ulf Wallin, 2011

01a Struck

blättert, liest vor: Schumanns eigene Handschrift, sehr sauber geschrieben: Konzert

für Violine mit Begleitung des Orchesters, Düsseldorf, vom 21. September bis 3.

Oktober 1853, und hat am Schluss auch (blättern)…

auf kursiv 01a:

Sprecher 4:

21. September 1853: Stück für Violine angefangen

24./25. September: Fleißig.

1. October: Das Concert für Violine beendigt.

3. October: Das Concert fertig instrumentiert.

Robert Schumann, Haushaltbuch4

01af Struck, ab 24“

… mit seinem Namenszug Düsseldorf, 31. Oktober 1853 revidiert, also er hat es

schon einmal durchgeguckt, wenn er es mal veröffentlichen will, ist es schon

durchgearbeitet.

(Musik weg)

Sprecher 3:

Joseph Goebbels, Tagebuch, 21. September 1937

„Ein neues Violinkonzert von Robert Schumann entdeckt. Das führen wir auf

der Tagung der R(eichs)-K(ultur)-K(ammer) auf. Das Ministerium hat die

4 zitiert nach: Michael Struck: Die umstrittenen späten Instrumentalwerke Schumanns. In: Hamburger Beiträge

zur Musikwissenschaft 29. Verlag der Musikalienhandlung Karl Dieter Wagner Hamburg 1984; S. 293

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Führung, die Kammer die Durchführung. Nur so geht es. Und statt der

Tonkünstlerfeste das Volk an die Musik heranbringen.“ 5

(Musik weiter)

Sprecherin 2:

Clara Schumann, Tagebuch, 7. Oktober 1853

„Robert hat ein höchst interessantes Violinconcert beendet, er spielte es mir

ein wenig vor, doch wage ich mich nicht eher darüber näher auszusprechen,

als bis ich es erst einmal ganz gehört. Das Adagio und der letzte Satz waren

mir gleich ganz klar, nicht so ganz der erste.“ 6

04 O-Ton Struck

Er fängt so an, wie es in der Klassik war – oder auch im Barock mit den

Orchesterritornellen, die am Anfang standen – und lässt Geige und Orchester

zunächst wie Blöcke gegeneinanderstehen, wie Blöcke, die wenig miteinander zu

tun haben– sieht man schon daran, dass das Orchester mit seinem dunklen,

mächtigen, fast barockisierenden, für Schumann untypischen d-moll-Thema

daherkommt und dann zwar auch das lyrische Seitenthema intoniert, das ein

bisschen an Schumanns Träumerei erinnert – und dann aber die Geige, wenn sie

einsteigt, sich relativ schnell von diesem Thema ablöst, dass sie erst ein bisschen

paraphrasiert und sehr schnell zu dem lyrischen Thema hin eilt.

Sprecherin 1:

Im Jahre 1853 ist Robert Schumann 43 Jahre alt und Musikdirektor in

Düsseldorf. Ein schwieriger Musikdirektor. Er schätzt die Ehre und braucht das

Salär, nicht aber die administrativen Aufgaben, die Repräsentation und schon

gar nicht die störrischen, nicht selten minderbegabten Musiker. Er will

komponieren, mit seiner Frau Clara auf Konzertreisen gehen. Und er leidet

unter Lärm - unter den schrillen Klängen in seinem Kopf, unter Claras

Klavierübungen und dem Gezänk der sieben Kinder. Immer wieder ist die

5 Die Tagebücher von Joseph Goebbels.Hg. Elke Fröhlich, K.Sauer München 2000

Band 4: März bis November 1937, S.321 6 ebd.

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Familie deswegen umgezogen. Die Wohnung in der Bilker Straße, Haus Nr.

1032, ist endlich groß genug – sie wird seine letzte sein. Hier schreibt er sein

Violinkonzert.

O4a 0-Ton Struck

Wenn das Orchester allein spielt, dann schweigt die Geige naturgemäß, wenn aber

die Geige was zu sagen hat, dann ist das Orchester so stark untergeordnet , wie man

das vielleicht von klassischen Konzerten kennt, vielleicht von Virtuosenkonzerten –

Paganini – wie es aber Schumanns Standard nicht ist. Das kann man als Defizit

ansehen, sofort, man kann nach 5 Minuten sagen: das Werk ist aber langweilig, man

kann aber auch fragen: was passiert jetzt damit. Bleibt das so oder ändert sich das?

Sprecher 1

„Den späten Schumann kennen wir aus dem merkwürdig spröden

Violinkonzert, den Violinsonaten, die den Ernst des Brahmsstiles und die

Brucknersche Klangfülle vorausahnen.“

Wolfgang Boetticher, Musikwissenschaftler, 19427

04b (Struck)

Und in Schumanns Violinkonzert sieht man, dass in der Durchführung das erste Mal

Orchester und Sologeige anfangen, einen zarten Dialog zu führen, dann wird ein

neues Thema eingeführt, das die Geige und einige Solobläser und die ersten

Violinen sich in die Hand geben, da kommt etwas von Konzertieren auf, nicht im

Sinne eines Wetteiferns, sondern eines zarten lyrischen Dialogs, und der Dialog wird

am Ende der Durchführung, wenn die Musik fast stehenzubleiben scheint, in Frage

gestellt und in der Reprise erstmals wieder durch die blockhafte Konfrontation

ersetzt. Das heißt, Geige und Orchester haben versucht, sich ein bisschen

anzunähern, aber das ist keine nachhaltige konzertante Annäherung geworden.

Sprecherin 1:

Gleich drei Wochen nach der Fertigstellung, am 27. Oktober 1853, lässt der

Musikdirektor sein neues Werk auf das Programm des Abonnentenkonzertes

des Düsseldorfer Musikvereins drucken. Doch das Konzertkomitee will

7 Wolfgang Boetticher: Robert Schumann in seinen Schriften und Briefen. Bernhard Hahnefeld Verlag Berlin,

1942, S. IX

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unbedingt noch einmal Beethovens Violinkonzert , gespielt von Joseph

Joachim hören, der mit seinem damals noch ziemlich unbekannten Werk kurz

zuvor beim Niederrheinischen Musikfest Furore gemacht hat. Und so wird nicht

Schumanns Violinkonzert, sondern die kürzere Violin-Phantasie uraufgeführt.

Joachim mag froh gewesen sein über die Programmänderung. Er hat

Schwierigkeiten mit Schumanns d-moll Konzert, wie sich drei Monate später

zeigt.

Sprecher 4:

Um 10 1/2 zur Probe im Theaterconcertsaal (Hannover)…. Joachim etwas

ermüdet.

Robert Schumann, Reisetagebuch XII, 30. Januar 18548

Sprecher 2:

Könnte ich Ihnen doch Ihr Dmol Concert vorspielen; ich habe es jetzt besser

inne als damals in Hannover, wo ich es in der Probe Ihrer so unwürdig spielen

musste, zu meinem großen Verdruß, weil ich den Arm beim Dirigiren so sehr

ermüdet hatte. Jetzt klingt der ¾-Takt viel stattlicher!...

Joseph Joachim an Robert Schumann, 17. November 18549

O3 –O Ton Struck

..letztlich ist das total spannend, wie er dieses Violinkonzert über drei Sätze hin weg

entwickelt. Man könnte nämlich sagen, dass er in diesem Violinkonzert, dem einzigen

Werk, das er als Konzert komponiert hat, die Geschichte der Violinkonzerte

durchkomponiert.

Sprecher 1:

Wagners Genius entzündete sich an Oper und Drama, Schumann lebte in

kleinen Formen. Die Romantik des einen lebte nicht ohne die des anderen.

8 zitiert nach: Michael Struck: Die umstrittenen späten Instrumentalwerke Schumanns. In: Hamburger Beiträge

zur Musikwissenschaft 29. Verlag der Musikalienhandlung Karl Dieter Wagner Hamburg 1984, S. 301 9 zitiert nach: Robert Schumann in Endenich (1854-1856), Krankenakten, Briefzeugnisse und zeitgenössische

Berichte,Schumann-Forschungen Bd. 11, hrsg. von Bernhard R. Appel, Schott, Mainz 2006, S. 171

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Beide wehrten gemeinsam Mendelssohns Melodienseligkeit ab und wurden

von dessen kraftloser Zartheit enttäuscht. 10

Wolfgang Boetticher, 1942

03a neu O-Ton Struck

Man weiß, dass Schumann Mendelssohn sehr geschätzt hat . Sie waren einerseits

Konkurrenten, aber andrerseits hat Schumann Mendelssohn in seiner Zeitschrift

hymnisch herausgehoben, andrerseits hat Mendelssohn sich für Schumann kollegial

eingesetzt, so dass man letztlich eher von einer Koexistenz als von einer Konkurrenz

sprechen kann. Andrerseits war Schumann um 1850 aber auch umstritten, weil er

das Konzept, das z.B. Wagner mit seinem Musikdrama oder Franz Liszt mit seiner

Programmmusik beschritten hat, nicht mitmachte. Und in der Nazizeit ist eine

Polarität inszeniert worden, die den tatsächlichen Gegenheiten nicht entsprach.

Sprecherin 2:

Clara Schumann, Tagebuch, 10. Februar (1854)

In der Nacht …bekam Robert eine so heftige Gehörsaffektion…daß er kein

Auge schloss. Er hörte immer ein und denselben Ton und dazu zuweilen noch

ein anderes Intervall….11

Sprecher 4:

Noch schlimmer, aber auch wunderbar!

Sprecherin 2:

… Mein armer Robert leidet schrecklich! Alles Geräusch klingt ihm wie Musik..

Sprecher 4:

Wunderbare Leiden!12

10

Wolfgang Boetticher: Robert Schumann in seinen Schriften und Briefen. Bernhard Hahnefeld Verlag Berlin,

1942, S.IX 11

zitiert nach: Robert Schumann in Endenich (1854-1856), Krankenakten, Briefzeugnisse und zeitgenössische

Berichte,Schumann-Forschungen Bd. 11, hrsg. von Bernhard R. Appel, Schott, Mainz 2006, S. 44 12

ebd.

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8

Sprecherin 2:

… Er äußerte mehrmals, wenn das nicht aufhöre, müsse es seinen Geist

zerstören.13

Sprecher 2:

…aus Düßeldorf sind die allerschlimmsten Nachrichten eingegangen.

Schumann… gepeinigt von allerlei Zuflüsterungen von Geistern, die ihn bald

sphärische Musik, bald gräßliche Klänge vernehmen ließen, hatte sich… von

der Rheinbrücke in den Fluß gestürzt, aus dem ihn Schiffer erretteten. Sein

Leben ist erhalten, der Geist aber zerrüttet. …

Joseph Joachim, 4. März 185414

Sprecherin 2:

Am selben Tag Claras Mutter an ihre Kinder Woldemar und Cäcilie:

Vor einer Stunde ist Robert nach einer Anstalt bei Bonn fortgebracht…, für jetzt

…ist die Sache noch sehr schlimm.. wir müssen die Klara zu erhalten

suchen!15

(hoch: Ende 1. Satz,

Sprecher 1:

Zweiter Satz: Langsam

Beginn 2. Satz )

Solist: Gidon Kremer 1994

05 O -Ton Struck

Im 2. Satz geht Schumann einen anderen Weg, indem die Geige zwar fast

unausgesetzt am Geschehen beteiligt ist, aber sich doch mit dem Orchester in der

Melodieführung abwechselt, oder wenn die Geige singt, das Orchester wesentliche

kontrapunktisch-romantische Stimmen dagegensetzt. Es ist kein Dialog, aber doch

13

ebd., S. 46 14

ebd., S. 60f 15

ebd., S. 60

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ein sehr inniges Ineinander der Linien, es ist keine blockhafte Trennung mehr, die

beiden versuchen, so dicht wie möglich zusammenzukommen.

Sprecher 3:

Joseph Goebbels, Tagebuch, 27. Oktober 1937

Jahrestagung R.(eichs)K.(ultur)K.(ammer) nun im Großen fertig. Das neue

Schumann-Konzert wird auf alle Weltsender übertragen. Ein Ereignis.16

Sprecherin 2:

Briefe die Menge kamen mir von allen Seiten!... diese Briefe, die alle Wunden

wieder neu bluten machten! … eine solche Teilnahme, wie sein Unglück findet,

kann wohl kaum einem Manne mehr gezollt werden. … wüßte er das, er müßte

wahrhaftig von seiner Schwermut geheilt werden. Der Gedanke erschüttert

mich immer so sehr, dass dieser Mann, der solch eine Verehrung genießt, an

Schwermut erkranken konnte und sich einbilden, er sei kein guter Mensch!

Clara Schumann, Tagebuch, 7. März 1854 17

(Musik weg)

Sprecher 2:

Robert Schumann befindet sich in der Privatheilanstalt Endenich bei Bonn, und

wir erhalten die tröstliche Nachricht, dass nach dem Ausspruch der Aerzte

keine Symptome zu irgendeiner Hoffnungslosigkeit seiner Heilung vorhanden

sind. Das ausdrückliche Verlangen der Aerzte hat der tiefgebeugten edlen

Gattin versagt, die Pflegerin des Kranken zu sein. Frau Clara Schumann ist

daher in Düsseldorf geblieben.

Aus der von Schumann mit gegründeten Zeitschrift „Signale für die

Musikalische Welt“, 23. März 1854 18

16

Die Tagebücher von Joseph Goebbels.Hg. Elke Fröhlich, K.Sauer München 2000, Band 4: März bis

November 1937, S.376 17

ebd., S. 64 18

ebd., S. 81

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Sprecherin 2:

Geehrtester Herr, leider war der letzte Bericht recht betrübend, und daß mein

theurer Mann durchaus weder mir schreibt noch nach einer Zeile von mir

verlangt, ist mir ganz unbegreiflich. Recht dringend bitte ich Sie, mir…

mitzutheilen, ob er meiner wirklich gar nicht erwähnt und gar kein Verlangen

nach Einem seiner Freunde ausspricht?...

Clara Schumann Anfang Juli 1854 an Schumanns Arzt, Dr. Eberhard Peters19

Sprecherin 1:

Die ersten Monate in Endenich fragt Robert Schumann nicht nach seiner

Familie, nicht nach seiner Frau, die am 11. Juni 1854 das achte Kind, Felix, zur

Welt bringt. Er fragt nach Notenpapier, um aufzuschreiben, was er nachts in

seinem Kopfe hört, er begehrt auszugehen und ein Konzert zu besuchen, er

argwöhnt, dass man ihn vergiften wolle. Mal beschimpft er seinen Pfleger, mal

sinkt er lethargisch in sich zusammen. Er macht es den Ärzten, die ihn nach

neuesten Erkenntnissen der Psychiatrie behandeln und der Nachwelt

akribische Krankenberichte hinterlassen, nicht leicht.

Sprecherin 2

Welch ein Glück hat mir der gütige Gott geschickt. Das erste Liebeszeichen

(einige Blumen) wieder seit fünf Monaten von ihm, meinem Robert! Clara

Schumann, Tagebuch, 21. Juli 185420

Sprecherin 1

Auf Schumanns fixe Idee, Düsseldorf – also seine Familie - sei

untergegangen, reagieren die Ärzte mit der Erlaubnis an Clara, ihm zu

schreiben – und endlich kommt eine Korrespondenz in Gang.

(Musik weiter)

Sprecher 4

… Wie freute ich mich, geliebte Clara, Deine Schriftzüge zu erkennen…21

19

ebd., S. 117 20

ebd., S 120

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Sprecherin 2

… Das war die liebe Hand, ach, und der herrliche Mensch in jedem Wort… 22

Sprecher 4

… welche Freudenbotschaften hast Du mir wieder gesandt…23

Sprecherin 1

Robert spricht liebevoll von Claras Klavierspiel, äußert die Absicht, wieder zu

komponieren und trägt ihr auf, Brahms und Joachim zu grüßen. Ein Brief von

Joachim im November 1854 weckt Schumanns Erinnerung an sein

Violinkonzert, ein letztes Mal:

Sprecher 2:

Lieber, verehrter Meister! … Soll ich Ihnen erzählen wie oft ich Ihrer gedacht

habe, wie oft ich von Ihnen musicirt habe, mit Ihrer verehrten Clara, mit

Johannes, mit meinen Kollegen vom Sonntags-Quartett? Das denken Sie sich

gewiß selbst; Sie müssen ja fühlen, was Sie, was Ihre Töne Ihren Freunden

sind! Könnte ich Ihnen doch Ihr Dmol Concert vorspielen; ich habe es jetzt

besser inne als damals in Hannover… 24

Sprecher 4

Endenich, den 25. November 1854

Theurer Freund, Wie freudig habe ich Ihre Hand erkannt - und freudig auch die,

die den Brief einschloß. O könnt` ich mit Clara zu Ihnen, wie im letzten Januar!

... Sie versorgte mich oft mit neuerschienenen Kompositionen von mir, …dann

zu meiner Freude meine gesammelten Schriften, von denen den ersten Band

21

ebd., S. 136 22

ebd., S. 139 (Tagebucheintragung, die Briefe Clara Schumanns aus dieser Zeit sind verschollen) 23

ebd., S. 141 24

ebd., S. 171

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corrigirt und mich an selige vergangene Zeiten erinnern. O könnt ich mein D-

moll Koncert von Ihnen hören, von dem meine Clara mit so großen Entzücken

geschrieben! ... Gedenken Sie immer Ihres verehrenden und treuen R.

Schumann. 25

(Musik weg)

Sprecherin 2

Clara Schumann, Tagebuch, Juli 1856

… - ich mußte hin und reiste Sonntag den 27…mit Johannes. … (Robert)

lächelte mich an und schlang mit großer Anstrengung, … ,seinen Arm um

mich… Um alle Schätze gäbe ich diese Umarmung nicht wieder hin… Mein

Robert, so mußten wir uns wiedersehen, wie mühsam mußte ich mir deine

geliebten Züge hervorsuchen; welch ein Schmerzensanblick!...Vor 2 ½ Jahren

von mir gerissen, ohne Abschied….und nun still zu seinen Füßen lag ich,

wagte kaum zu atmen, und nur dann und wann ein Blick, zwar umnebelt, aber

doch so unbeschreiblich mild, wurde mir… 26

Sprecher 2

Dienstag mittag, (29. Juli 1856). … wir hätten freier atmen sollen, daß er erlöst,

und wir konnten `s nicht glauben. (Brahms an Julius Otto Grimm)27

Sprecher 1

„Jedes Land beansprucht für sich einen bestimmten nationalen Kunststil. Wir

empfinden als „deutsch“ das faustische Suchen, die Willenskraft, den Kampf

gegen eine seelenlose Form.

Das alles vereinigt Schumann, seine Gedanken sind in jenes Helldunkel

getaucht, das seit Rembrandt 28 immer den germanischen Künstler belebt hat.

Gerade da ist uns Schumann mehr als Mendelssohn, dessen Gefühle kitschig,

dessen Formen glatt erscheinen müssen. Die Glut ist bis in Schumanns letzte

25

ebd., S. 173f 26

ebd., S. 393 27

ebd., S. 395 28

vgl. „Der Rembrandt-Deutsche“, Julius Langbehn

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Werke hinein zu spüren, die Besessenheit des Genies sprengte alle Fesseln

der Form.“29

Wolfgang Boetticher, Schumann-Forscher. Noch 1999 hielt er Vorlesungen an

der Universität Göttingen, wo er lange Jahre Dekan der Philosophischen

Fakultät gewesen war.

05b Struck

Natürlich ist Schumann nicht nur der Meister der kleinen Form und des innigen

Liedes, er ist auch der Sinfoniker und hat auch Seiten wie Kämpferisches –

Heldisches würde ich gar nicht sagen – aber Kämpferisches artikuliert. Die

Bandbreite bei ihm ist so groß, dass man ihn nicht reduzieren kann. Schumann hat

es vielleicht den Nazis leicht gemacht, ihn als deutschen Komponisten zu

bezeichnen, weil er in manchen Werken darauf geachtet hat, deutsche

Tempoangaben zu machen. Man muss sich aber die Konventionen seiner Zeit

vergegenwärtigen. Er ist aber kein national orientierter Komponist gewesen, der

engstirnig gedacht hat.

Sprecher 2

Schweigend gehen wir über die letzte Lebensepoche des gefeierten

Komponisten und Künstlers hinweg, denn das Gefühl tiefer Wehmut muß uns

erfassen, wenn wir die Stärke männlicher Kraft allmählich schwinden, einen

göttlichen Funken hoher Begabung allmählich verglimmen sehen.

Düsseldorfer Journal, 15. Oktober 185630

Sprecher 1:

Sehr geehrter Herr!... unter den vielen, die in der Musik auf einem anderen

Parteistandpunkte sich befinden als der von Schumann eingenommene, ist es

Sitte, nicht nur gegen seine Werke zu sprechen, sondern auch gegen sein

Leben. Sie setzen ihn Heine und Bürger gleich: er hätte sich durch

29

Wolfgang Boetticher: Robert Schumann in seinen Schriften und Briefen. Bernhard Hahnefeld Verlag Berlin,

1942, S.XI 30

zitiert nach: Robert Schumann in Endenich (1854-1856), Krankenakten, Briefzeugnisse und zeitgenössische

Berichte,Schumann-Forschungen Bd. 11, hrsg. von Bernhard R. Appel, Schott, Mainz 2006, S.

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Unmäßigkeit um seine Gesundheit gebracht, und sein Ende sei durch seine

Trunkliebe und den daraus entspringenden schauderhaften Zitterwahnsinn

herbeigeführt. Es ist fast Blasphemie, ein solches Wort über den genialen

Mann auch nur auszusprechen… (doch) vermag ich… nicht Ihr Zeugnis zu

entbehren. Daß Schumann gern Wein und Bier getrunken, ist Tatsache. Ob

aber in dem Maße, daß es ihm geschadet hätte, werden Sie am besten

beurteilen. Wollen Sie daher die Güte haben, mir Ihre Meinung mitzuteilen, ich

würde mich Ihnen zu ergebenstem Dank verpflichtet fühlen. Eine oft verblendet

genannte Begeisterung, die sich in mir für Schumanns Werke entzündet hat,

läßt mich in diesem Punkte… nicht zur Ruhe kommen….

Brief des Theologiestudenten Hermann Budy an Schumanns Arzt, Dr. Franz

Richarz, vom 5. November 1861. Die Antwort ist nicht überliefert.31

Sprecherin 1

Syphilis oder schlicht verrückt? fragt die „Welt am Sonntag“ am 30. Juli 200632

O7 –O Ton Struck

Wenn man aber bedenkt, dass das Violinkonzert kurz vor Schumanns Ausbruch der

Geisteskrankheit entstanden ist, dann ist auch klar, dass solch ein mutiges und

ambivalentes Konzept nach seinem Tode selbst von seinen engsten Angehörigen

und Freunden durchaus kritisch gesehen wurde, und da kommen wir auf ein

Problem, das mit der Rezeption seines Spätwerks überhaupt zu tun hat.

Musik: Übergang vom 2. zum 3. Satz ist im Original ohne Pause, 3. Satz ansetzen

mit Aufnahme Kulenkampff, Blende sollte hörbar sein)

Sprecher 1:

dritter Satz: Lebhaft, doch nicht schnell

Solist: Georg Kulenkampff, 1937

31 zitiert nach: Robert Schumann in Endenich (1854-1856), Krankenakten,

Briefzeugnisse und zeitgenössische Berichte,Schumann-Forschungen Bd. 11,

hrsg. von Bernhard R. Appel, Schott, Mainz 2006, S. 433f 32 Autor: Andreas Fasel

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15

Sprecher 2:

… Wissen Sie noch, wie Sie lachten und sich freuten, als wir meinten, der letzte

Satz klänge, wie wenn Kosciusko mit Sobiesky eine Polonaise eröffneten: so

stattlich? Das waren herrliche Tage!

Joseph Joachim an Robert Schumann, 17. November 185433

06 O -Ton Struck

Und im letzten Satz, eine Art Polonäse, ein Tanz, den Schumann sehr geliebt hat,

sind wir dann auf dem Level, wie man`s von Konzerten gewohnt ist, wo

Soloinstrument und Orchester miteinander konzertieren, ineinander verzahnt zum

Teil und das Werk damit endet, dass das Orchester eine Art chorisches Thema spielt

und die Geige es mit ihren Figurationen umspielt. So kann man sagen, dass also der

Stand, den Schumann selbst schon in seinen früheren Konzerten erreicht hat, im

Laufe eines Werkes erreicht wird, und das finde ich total spannend, lohnt auch die

Frustrationen, die man am Anfang erlebt hat, weil das Werk so konventionell zu

beginnen scheint, dass man die Frustrationen aushält und dann das Werk begleitet

und auch schätzt. Und so ist das für mich letztlich ein sehr mutiges Werk.

Sprecherin 2:

Clara Schumann an Joseph Joachim am 27. Nov. 1857:

„Können Sie unpartheiisch seyn? Ich glaube es, denn ich meine immer, gegen

die, die man am meisten liebt, sey man am strengsten, eben gerade weil man

von dem Wunsche beseelt ist, es möchte an unseren Lieben alles so schön wie

möglich seyn. Ich empfand es neulich so bitter, wie weh es thut, findet man

einen Makel da, wo man über Alles liebt. Das erklärt Ihnen wohl auch meine

Thränen neulich bei Roberts Concert, die Ihnen vielleicht kindisch erschienen.

Denken Sie wohl an den letzten Satz? Wie wollte ich Ihnen dafür danken!

Haben Sie irgendeinen besonderen Wunsch, so sprechen Sie ihn aus, steht es

in meiner Macht, so erfülle ich ihn, wenn Sie mir einen recht herrlichen letzten

Satz gemacht.“34

33 ebd., S. 171 34

nach: Michael Struck: Die umstrittenen späten Instrumentalwerke Schumanns. In: Hamburger Beiträge zur

Musikwissenschaft 29. Verlag der Musikalienhandlung Karl Dieter Wagner Hamburg 1984, S. 307

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16

Sprecher 2

Lieber Moser, Sie bitten mich um Auskunft über das als Manuskript in meinem

Besitz befindliche Violinkonzert von Robert Schumann. Ich kann nicht ohne

Bewegung davon sprechen, stammt es doch aus dem letzten Halbjahr vor dem

Ausbruch der Geisteskrankheit des theuern Meisters und Freundes. Der

Umstand, dass es nicht veröffentlicht worden ist, wird Sie schon zu dem

Schluss bringen, dass man es seinen vielen herrlichen Schöpfungen nicht

ebenbürtig an die Seite stellen kann. Joseph Joachim an seinen Biografen,

5. August 1898

(Musik weg)

Sprecherin 2:

Das Schicksal des Violinkonzerts blieb nun für lange Zeit unentschieden.

Obgleich mein Vater es für vollendet erklärt hatte, konnte sich meine Mutter

nicht zur Veröffentlichung entschließen. Es wurde ab und zu hervorgeholt,

auch im Jahre 1857 einmal in einer Gewandhausprobe in Leipzig mit Orchester

gespielt – es wurde mit den Freunden Joachim und Brahms wieder und wieder

besprochen, und wieder und wieder fortgelegt in den Notenschrank meiner

Mutter….

Uns Kindern deutete die Mutter in zartester Weise an, dass das Konzert

deutliche Spuren der letzten Krankheit aufweise…

Schumanns jüngste Tochter Eugenie 1938 in der „Schweizerischen

Musikzeitung“.35

Sprecher 1:

Letztlich reagierte Schumanns Umgebung „zeittypisch, indem sie

Fehlverhalten und Symptome nicht mit einer Krankheit, sondern mit

(moralischer) Schuld assoziierte und mit einer Mauer des Schweigens umgab.“

Siegfried Kross, Musikwissenschaftler, 200336

35

ebd., S. 314 36

Siegfried Kross: Zur Diskussion um Schumanns späte Jahre. in: Bonner Schumanniana, Schriftenreihe des

Vereins Schumannhaus Bonn e.V., Band 1, S. 22

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Sprecherin 1

Clara Schumann übergibt die sorgsam gehüteten Handschriften des

Violinkonzerts 1871, 25 Jahre vor ihrem Tod, Joseph Joachim, der mit ihr darin

einig ist, das Werk nicht zu veröffentlichen. Schließlich erbt dessen Sohn

Johannes die Manuskripte und verkauft sie im Jahre 1907 an die Preußische

Staatsbibliothek. 1925 erkundigt sich Wilhelm Altmann, der Direktor der

Bibliothek, bei Johannes Joachim nach den Umständen des Verkaufs.

07a O-Ton Struck

Da geht es eben darum, dass immer wieder Geiger angefragt haben, Johannes

Joachim das aber nicht freigegeben hat. Hier. (zitiert) „Leider kann ich Ihnen die

gewünschte Abschrift nicht schicken“…, also er ist wohl gefragt worden, ob es eine

schriftliche Vereinbarung gab, dass das Werk nicht veröffentlicht wird. (zitiert):

„…da ich außer einem Brief des Generaldirektors - das kann ich nicht lesen…

auf Ende 07a Sprecher 2

„…da ich außer einem Brief des Generaldirektors, in dem er lediglich

bescheinigt, dass die Bibliothek von mir für 20 000 Mark Manuskripte …

gekauft habe und diese Summe in Raten zu 5000 Mark abzahlen wollte, nichts

Schriftliches besitze. Die Verkaufsverhandlungen hatte ich mit Ihrem

Amtsvorgänger ….. mündlich geführt u(nd) dieser hatte mir gesagt, ich könnte

ruhig die Bedingung betr(effs) der Veröffentlichung des Schumannschen

Violinkonzertes stellen, sie sei für die Verwaltung natürlich bindend. Das

genügte mir, so daß mir an einer ausdrücklichen schriftlichen Zusage nichts

lag…“ 37

07b O-Ton Struck

..Das genügte mir, so daß mir an einer ausdrücklichen schriftlichen Zusage nichts

lag, zumal ja aus meinem Schreiben vom 13. November 1907…deutlich hervorgeht,

37

zitiert nach: Michael Struck: Die umstrittenen späten Instrumentalwerke Schumanns. In: Hamburger Beiträge

zur Musikwissenschaft 29. Verlag der Musikalienhandlung Karl Dieter Wagner Hamburg 1984, S.331

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18

Auf 07b Sprecher:

.. zumal ja aus meinem Schreiben vom 13. November 1907…deutlich

hervorgeht, daß es sich um eine Verkaufsbedingung, nicht um einen bloßen

Wunsch von mir handelte.

Mit hochachtungsvollen Gruß, Ihr ergebener Johannes Joachim38

(Musik weiter, von Ferne)

Sprecherin 1:

Jelly d`Arányi und Adila Fachiri, zwei Engländerinnen, Großnichten Joseph

Joachims, wollen, so raunt es die zeitgenössische Presse in Großbritannien, in

einer spiritistischen Sitzung zur Aufführung des Konzerts gedrängt worden

sein – von Schumann selbst, aus dem Jenseits. Wahrscheinlich haben sie die

Tatsachen als Kinder im Hause Joachims aufgeschnappt und suchen nun

nach einer Sensation – schließlich sind sie selbst Geigerinnen.

(Musik weg)

Wo der Autograph sich befindet, haben sie aus dem Jenseits nicht erfahren;

erst Kontakte zum international umtriebigen Musik-Verleger Wilhelm Strecker

führen in die Preußische Staatsbibliothek und zu Joseph Joachim.

08 O-Ton Struck

Und hier ist dieser Brief, wo es um die Freigabe ging. Joseph Joachims Sohn

Johannes schreibt im August 1936 … an Schünemann. (zitiert) „… als mein Vater

starb und die Staatsbibliothek – in Berlin – das Manuskript kaufte, hätte ich es für

pietätlos gehalten, wenn es sogleich hätte gedruckt werden soll. Ich setzte – ich steht

da – ich setzte den 100. Todestag als Termin aus der Erwägung heraus, dass dann

entweder Schumann dann nur noch ein hist. Name wäre ….

Sprecher 2

… aus der Erwägung heraus, dass dann entweder Schumann nur noch ein

historischer Name wäre und niemand nach dem Konzert fragen würde oder

aber einen so festen Platz in der Gesch(ichte) der Musik hätte, dass man auch

38

ebd.

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19

seinen geringeren Erzeugnissen Interesse entgegenbrächte, wie es z.B bei den

Schöpfungen Hölderlins aus der Zeit seiner geistigen Umnachtung der Fall

ist.39

08f O-Ton Struck

Es ist nun richtig, dass ich gelegentlich…geäußert habe, dass ich gegen ein früheres

Bekanntwerden keine Einwendung zu machen hätte. … Denn ich habe das Gefühl,

dass…

Sprecher 2:

…dass ich gegen ein früheres Bekanntwerden keine Einwendung zu machen

hätte. Denn ich habe das Gefühl, dass durch die Entwicklung der letzten 32

Jahre die Epoche Schumanns viel weiter zurückliegt als 100 Kalenderjahre

nach seinem Tode bei stätem, normalen Fortschreiten“. … 40

(unter 08f Musik weiter, von Ferne)

08f O-Ton Struck

Was zwischen den Zeilen die politischen Änderungen seit 1933 betreffen könnte ….

„Ich erkläre daher ausdrücklich, dass von mir aus – auch nicht von Seiten meiner

Geschwister – einer Veröffentlichung kein Hindernis erwachsen soll,

Sprecher 2:

„Ich erkläre daher ausdrücklich, dass von mir aus – auch nicht von Seiten

meiner Geschwister – einer Veröffentlichung kein Hindernis erwachsen soll,

und dass ich jene Klausel beim Verkauf des Manuskripts zurücknehme. Mit

bestem Gruß, ihr ergebenster Johannes Joachim, August 1936. 41

(Musik weg)

Sprecherin 2:

Nie werde ich meine Bedenken gegen die Veröffentlichung des Werkes fallen

lassen. Ich habe die Zeit, da meine Mutter, Joseph Joachim und Brahms den

letzten Entscheid über das Werk trafen, miterlebt… Für mich kann es keine

39

ebd., S. 332 40

ebd. 41

ebd.

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höhere Instanz geben. Diese drei maßen mit dem höchsten Maßstab…. Die

Ansicht, die meine Gegner zur Rechtfertigung ihres Vorgehens vertreten, dass

das Werk ein „Zukunftswerk“ sei, welches die damals lebende Musikelite nicht

verstanden habe, weise ich als nichtig, als ein Stück modernen Größenwahns

zurück. ….Sollte ich die Veröffentlichung nicht hindern können, so will ich

mein Urheberrecht geltend machen.

Aus dem Briefwechsel Eugenie Schumanns mit ihrem Anwalt Rudolf Hübner,

17. Juni 193742

09 O-Ton Struck

Schumann hat das Werk durchgesehen und hätte wahrscheinlich, nach Diskussionen

mit Joseph Joachim über die Violinstimme, hätte er wahrscheinlich es zu publizieren

versucht. Wenn man sich nach den Wünschen der Witwen und Nachkommen richten

würde, dann würde in der musikalischen und literarischen Welt ein Menge fehlen,

wenn man noch strenger sein würde, dann dürfte man Kafka, Der Prozess, nicht

kennen, das Kafka nicht veröffentlichen wollte und wo Max Brod sich darüber

hinweggesetzt hatte, wir würden die Zehnte von Mahler nicht kennen, die Mahler nur

in Skizzen hinterlassen hat, und wir würden das Violinkonzert als wesentliches

Spätwerk von Schumann nicht kennen.

Sprecherin 2:

Eugenie Schumann am 25. August 1938 an ihren Anwalt:

Die Firma Schott hat pünktlich gezahlt. Herr Strecker hat mich gebeten, ihm

u(nd) den Erben durch meine Erklärung nicht von vornherein das Geschäft zu

verderben. Eine solche Nebenabsicht liegt mir selbstverständlich fern...43

Sprecherin 1

Wilhelm Strecker, Chef des Schott-Musik-Verlages, will die Uraufführung des

Schumannschen d-moll Violinkonzerts über acht Jahrzehnte nach dessen

Entstehung unbedingt. Und - er will den Paukenschlag: eine Premiere mit

Yehudi Menuhin, und weil der als Jude wohl kaum in Deutschland würde

42

ebd., S. 352 43

ebd., S. 353

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auftreten dürfen: eine Premiere in den USA. Menuhin ist begeistert, mahnt aber

auch:

Sprecher 2:

But it must, it must remain pure Schumann, exactly as it left the hands of the

great master, no hyphens, no mutilations.44

auf Sprecher 2 Sprecherin1:

Der reine Schumann müsse es sein, keine Eingriffe!

10 O-Ton Struck

Menuhin war gerade ein Twen geworden, der war schon ein sehr berühmter Geiger,

der auch in Berlin Furore gemacht hatte … weil er an einem Abend drei große

Violinkonzerte gespielt hatte. Es hätte also nichts Besseres passieren können, dass

so ein Werk von einem Superstar hätte gespielt werden können. Heute hätte man

wahrscheinlich David Garrett oder so gewählt. Oder Lang Lang, wenn es ein

Klavierkonzert gewesen wäre. Und die Konstellation, wie das Violinkonzert von

Deutschland reklamiert wurde, die Pläne des Verlags konterkariert wurden und

natürlich, das Joseph Joachim als jüdischer. Geiger angegriffen wurde, weil er die

Veröffentlichung so lange behindert habe, und das heißt eben, dass ein Jahr später

das Violinkonzert dann im Druck vorlag und dann aufgeführt wurde.

(Musik weiter, auf Ende 3. Satz)

Sprecher 3:

Joseph Goebbels, Tagebuch, 27. Oktober 1937

Jahrestagung R.K.K. nun im Großen fertig. Das neue Schumann-Konzert wird

auf alle Weltsender übertragen. Ein Ereignis.45

Sprecherin 2:

44

The Faszinating Story of the „lost“ Robert Schumann Violin Concerto, New York 1937. zitiert nach: Michael

Struck: Die umstrittenen späten Instrumentalwerke Schumanns. IN: Hamburger Beiträghe zur

Musikwissenschaft 29. Verlag der Musikalienhandlung Karl Dieter Wagner Hamburg 1984, S.340 45

Die Tagebücher von Joseph Goebbels.Hg. Elke Fröhlich, K.Sauer München 2000

Band 4: März bis November 1937, S.376

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„Vergessen darf ich nicht zu berichten, dass mich Dr. Goebbels in einem sehr

liebenswürdigen Schreiben eingeladen hatte, als Gast der Reichsregierung …

dem Konzert (am 26. November) in Berlin beizuwohnen. Der Brief, der

Beförderung durch die deutsche Gesandtschaft überwiesen, erreicht mich so

spät, dass selbst, wenn ich gewollt hätte, ich nicht zur Zeit in Berlin hätte sein

können.“ Eugenie Schumann 46

--- 3. Satz Ende---

02c O-Ton Reichskulturkammer

Absage internationaler Radiostationen, darauf:

Sprecher 3:

Joseph Goebbels, Tagebuch, 27. November 1937

Große Angelegenheit. Alles geht gut. Ley spricht vorzüglich, meine Rede ist

durchschlagend. Kayßler spricht herrlich den Prometheus. Das

neuaufgefundene Violinkonzert von Schumann wird uraufgeführt. Der

Orchesterpart ist nur angedeutet, der Violinpart aber unbeschreiblich schön.

Stürmischer Erfolg!

11 O-Ton Struck

Man hat nur in den Orchestertuttis gekürzt, wobei – und zwar im 1. Satz, da war das

relat. leicht, weil S. das Hauptthema das Satzes dreieinhalb mal wiederkehren lässt,

da hat man einen Teil rausgenommen, das war unproblematisch.….

Es sind in den Tutti …das kann ich ihnen auch vorstellen … (Autorin) Machen Sie

mal… … schneller Vorlauf… wird jetzt ein bisschen dauern… es gibt ja auch

Aufnahmen, sogar aus den 60er Jahren, wo aus dem Finale fast ein Drittel

rausgenommen wurde. (alles auf schnellem Vorlauf)… setzt wieder ein, er stellt aber

gleich wieder aus …hier hat man also … statt dieser drei Teile nur den ersten

gespielt in dem Tutti, der fängt genauso an wie der erste, konnte man 16 oder 20

Takte weglassen… ich bin mir nicht sicher, ob das nur der Not der Aufnahme

geschuldet ist….es muss ja auf den Schallplatten untergebracht werden, man hatte

46

zitiert nach: Michael Struck: Die umstrittenen späten Instrumentalwerke Schumanns. IN: Hamburger Beiträge

zur Musikwissenschaft 29. Verlag der Musikalienhandlung Karl Dieter Wagner Hamburg 1984, S.353

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das damals öfters, bei 3 oder 5 Minuten diese Wendestellen, die auch bei anderen

Werken problematisch waren…

Sprecherin 1:

Die Uraufführung des Violinkonzerts vom 26. November 1937 ist nirgendwo

erhalten – erst eine Schallplatteneinspielung vom Dezember ´37, wieder mit

dem Geiger Georg Kulenkampff und den Berliner Philharmonikern, aber nicht

mit Premierendirigent Karl Böhm, sondern mit Hans Schmidt-Isserstedt am

Pult. Selbstverständlich erntet die Welturaufführung in der deutschen Presse

nahezu einhelliges Lob.

Die internationalen Kritiker äußern sich sehr viel zurückhaltender – und das

nicht nur, weil die ganze Zeremonie unter Goebbels Ägide politisch schwer

belastet ist.

12a Struck

Da sind Stellen, die für den Geiger schwierig waren, erleichtert worden (Doppelgriffe,

Akkorde) – vor allem sind bestimmte Teile der Violinpartie oktaviert worden. …

Sprecherin 1:

Wie hat der junge Menuhin gefordert: Der reine Schumann solle es sein!

Menuhin spielt seine Auffassung des Violinkonzerts am 23. Dezember 1937 mit

der Saint Louis Symphonie, dirigiert von Vladimir Golschmann. Der Mann, der

Schumanns Werk für Kulenkampff „gereinigt“ hat, wird in Deutschland

verschwiegen: Paul Hindemith ist zu der Zeit schon in Ungnade gefallen.

12b Struck

Ich denke, die Impulse kamen eher vom Verlag, sicher auch von dem Geiger – man

weiß, dass Kulenkampff zuerst gar nicht begeistert war, aber er war einer der

wenigen guten Geiger, die in Deutschland verblieben waren, weil die jüdischen, oder

anderen unangenehmen auswandern mussten- und letztlich auch Hindemith – und

von daher ist es sicher auch auf Verlag, Geiger und Erfolgs-Prognosen

zurückzuführen, dass das Werk bearbeitet wurde. Natürlich wollten die Nazis, dass

das Konzert ein Erfolg wird. Man hat den Erfolg herbeiinszeniert.

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12 O-Ton Struck, Anfang kurz frei bzw. unter vor. Text beginnen

bei 12“ Also hier war die Geige … er stellt ab… (Autorin) Lassen Sie`s, erklären Sie

dabei … ja, wieder an: Hier war die Geige in den einleitenden Passagen teilweise

schon etwas höher gelegt, jetzt sind wir in der Tonhöhe, wie Schumann sie

komponiert hat, alles noch original Schumann, jetzt wird’s gleich eine Oktave höher,

jetzt… (stellt ab….) Das ist also eine der Stellen, wo sich der Violinenpart bei

Schumann mehr in der Mitte und in den tieferen Lagen tummelt, und Paul Hindemith,

der Bearbeiter, sicherlich zusammen mit Georg Kulenkampff, den Eindruck hatte,

dass man hier, wo es ein bisschen melodischer wird, nachdem die Geige sich erst

eingeführt hat, dass es ein bisschen mehr nach Brahms und Beethoven klingen soll,

man das in die obere Oktave verlegt hat.

(Musik: Musik in O-Ton 12 nach „jetzt“aus der Kulenkampff-Aufnahme bei ca. 2`20

weiterspielen, hörbare Kreuzblende in die entsprechende Stelle der Kremer-

Aufnahme, ca. bei 2`50… dann Musik weg)

Sprecherin 1

Nach dem zweiten Weltkrieg ist Schumanns Violinkonzert selten aufgeführt

worden – wenn überhaupt, dann im Radio; nur Geiger aus der zweiten Reihe

wagten Schallplatteneinspielungen des Stücks.

13b Struck

Das Werk stand bis in die 60er, 70er Jahre unter dem Vorbehalt der

Geisteskrankheit, man muss nur in die Konzertführer dieser Zeit gucken, da findet

man immer die gleichen Vorurteile…

Sprecher 2

„…Spätwerke mit deutlichen Verfallszeichen.“47

47

Rudolf Bauer, Das Konzert. Lebendige Orchestermusik bis zur Gegenwart. Deutsche Buch-Gemeinschaft

Berlin Darmstadt Wien, S. 268

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Sprecher 1

„Man empfindet… eine peinigende Langeweile und ein stilles Erschauern,48

Sprecher 2:

„Als Schumann seine letzten Werke schrieb, war sein Ingenium im Verlöschen

begriffen, während die handwerkliche Routine weiterlief.“49

Sprecher 1

„Außer einigen sehr schönen Passagen enthält das Werk nur Studienmaterial

für den Psychiater, so wie gewisse Bilder von Malern, die dem gleichen

entsetzlichen Feind zum Opfer fielen.“ Das große Heyne-Konzertlexikon,

197750

Sprecherin 1

War es wirklich Schumanns geistiger Verfall, der die Musikkritik so lange in

ihrer Skepsis gegen das Violinkonzert gefangen hielt - oder waren es die

Umstände der Premiere? Warum auch haben die Nazis einem Werk soviel

Raum eingeräumt, dessen Schöpfer sie, wäre er im Dritten Reich erkrankt

gewesen, möglicherweise „lebensunwert“ gestempelt hätten?

(Musik Kremer-Aufnahme)

13c Struck

Ich denke, die Uraufführung unter Naziauspizien hat ein dazu geführt, dass man

zusätzlich reserviert gewesen ist, andrerseits haben die Nazis nichts dagegen

gehabt, die späten Schriften von Nietzsche zu akzeptieren, die sehr viel mehr von

krankhafter Selbstüberschätzung zeigen als das je bei Schumann der Fall gewesen

ist. Ich denke, die Nazis haben mit dem Werk keine Schwierigkeiten gehabt. Es ist in

der romantischen Tonsprache, geschrieben, es ist von Hans Pfitzner befürwortet

48

Armin Gebhardt: Robert Schumann als Symphoniker, Forschungsbeiträge zur Musikwissenschaft, Gustav

Bosse Verlag, Regensburg, 1968, S.227f 49

Georg Eismann: Zu Robert Schumanns letzten Kompositionen. Beiträge zur Musikwissenschaft, Hg. Verband

deutscher Komponisten und Musikwissenschaftler, Verlag Neue Musik Berlin (DDR), Heft 3/1968, S. 157 50

Kurt Pahlen, Das große Heyne-Konzertlexikon, Wilhelm Heyne Verlag München, 1977, S. 290)

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worden, es ist von einem repräsentativen Geiger gespielt worden, es war ein Ersatz

für Mendelssohns Violinkonzert – da war für die Nazis soweit alles geklärt.

(Musik Kremer-Aufnahme)

Sprecherin 1

Anfang der 1990er Jahre taucht der Geiger Gidon Kremer in der

Musikabteilung der Berliner Staatsbibliothek auf und verlangt nach den

Handschriften des Violinkonzerts d-moll von Robert Schumann, die dort bis

heute lagern.

Sprecher 2:

Schumann hatte eine so unwahrscheinlich starke innere Welt, an der er

vielleicht auch zerbrochen ist. Gidon Kremer, 199451

Sprecherin 1

Er hat in den frühen 80er Jahren das Konzert mit dem Dirigenten Riccardo Muti

und dem Philharmonic Orchestra London eingespielt – die Ecksätze ziemlich

schnell, ein sehr viel langsamerer Mittelsatz. Ein wenig manieriert, sagten

manche Kritiker, aber eben darum wirkungsvoll. Das muss Kremer beschäftigt

haben, jetzt will er sehen, ob die Metronomzahlen in den gedruckten Partituren

Schumanns Intention entsprechen. 1994 erscheint die Aufnahme mit Nicolaus

Harnoncourt und dem Chamber Orchestra of Europe.

14 O-Ton Struck

Und da hat er sein Konzept, wie es in der ersten Aufnahme mit Ricardo Muti zu

hören ist, völlig umgestellt , hat sich genau an S. gehalten, das Werk ist fast nicht

wiederzuerkennen. Der erste Satz ist viel wuchtiger als bei Muti, der langsame Satz

ist sehr viel fließender, eine der wenigen, der den lyrischen Swing, den S.

geschrieben hat, herausbringt, und der letzte Satz ist genau so, wie S. ihn

metronomisiert hat – an der Grenze zum Machbaren, muss man sagen, es gibt nur

wenige Geiger, die das durchhalten und man muss als Geiger sehr aufpassen, dass

man bei dem sehr bedächtigen Tempo die Spannung nicht verliert.

51

Margarete Zander im Gespräch mit Gidon Kremer, CD-Booklet der Aufnahme von 1994, S. 10

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Sprecher 2

Es geht nicht um Metronomzahlen, sondern um die Grundidee. Schumann hat

ganz eindeutige Tempi vorgegeben. Wenn man die im ersten und zweiten Satz

respektiert, warum dann nicht auch im dritten? Warum sollte er sich im dritten

Satz so geirrt haben? Gidon Kremer52

(Musik an passender Anschlusstelle zu Kremer- Aufnahme, Übergang deutlich

hörbar: Aufnahme Wallin)

Sprecher 1

Ich denke, dass das Violinkonzert in der authentischen, von Schumann

überlieferten Form wiedergegeben werden sollte da …niemand das Genie von

Schumann und sein Verständnis für seine Musik haben kann. Ulf Wallin, 201153

15 O-Ton Struck

Heute haben wir eine andere Situation, die Musiker halten sich mehr an S.

Vorschriften, sie sind durch die Erfahrungen mit neuer Musik, mit der Musik des 20.

Jahrhunderts, nicht mehr auf Virtuosität und Bruchlosigkeit geeicht, sie finden es

gerade spannend, wenn es in der Musik auch Brüche gibt, knirscht, wenn sich

Lücken ergeben… und da gibt S. Violinkonzert doch eine Menge her… an

spannender riskanter und letztlich gelingender Musik.

Wolfgang Riehm, Reimann, Wittmann, Holliger, all diese Komponisten sind glühende

Schumann-Verehrer und finden das Späte Schaffen höchst faszinierend.

Sprecherin 1

Der Kieler Musikwissenschaftler Dr. Michael Struck, der sich als Kind in

Schumanns Violinkonzert verliebte, darüber eine Dissertation schrieb und fast

jede Aufnahme kennt, der eine blasse Fotokopie der Schumannschen

Handschrift in seinem Wohnzimmerregal hütet und immer wieder liest wie

andere Leute ihren Lieblingskrimi, für den im kalten Krieg die Tatsache, dass

viele Schumann-Autographen in Zwickau lagern, im Geburtshaus des

Komponisten, nie ein Problem war – seine Freundschaft zu seinem dortigen

52

ebd. 53

CD-Booklet: Schumann, Complete works for violin and orchestra, S.20

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Kollegen Gerd Nauhaus hat seit Jahrzehnten Bestand … Michael Struck also

begeistert sich für eine Aufnahme des Konzerts besonders:

(weiter auf Beginn O-Ton 16, Beginn… Vorlauf …:) Eingespielt 2011 vom

schwedischen Geiger Ulf Wallin mit der Robert-Schumann-Philharmonie

Chemnitz unter Frank Beermann. Die, sagt Struck, die komme Schumann

schon sehr nahe.

16 O-Ton Struck (auf CD Wallin-Aufnahme)

… Dieser Geiger gliedert das also viel mehr, dass es viel sprechender wirkt,

langsamer, nicht so virtuos, aber das, was S. damit wollte, nämlich auf

barockisierende weise einen rezitativischen Einstieg, das macht dieser Geiger sehr

viel deutlicher als Kulenkampff und viele andere, auch die Akzente werden viel

deutlicher gespielt…jetzt kommt die Stelle, wo er original bleibt…. (stellt ab) Man

sieht also, diese Höherlegung, die Kulenkampff glaubte mit Hindemiths Hilfe in

dieses Werk reinbringen zu müssen, bringt für den Effekt und die Aussage des

Werkes wenig, es ist äußerlich angeglichen an andere Violinkonzerte, aber was

Schumanns Musiksprache ausmacht, der bachartige rezitativische Ton, der geht

verloren – es klingt irgendwie zwischen Mendelssohn und Brahms, Max Bruch, aber

es ist nicht typisch Schumann. Und das haben in den letzten Jahrzehnten die Geiger

zunehmend als den eigenen Wert diese Violinkonzertes erkannt und verzichten auf

die früheren Bearbeitungen.

Musik Aufnahme Wallin weiter

Absage:

Schumanns Violinkonzert. Geschichte einer Uraufführung

Sie hörten ein Feature von Ulrike Bajohr

Es sprachen: Renate Fuhrmann, Anja Lais, Frank Meyer, Matthias Lühn, Rainer

Delventhal und Wolfgang Rüter

Ton und Technik: Michael Morawietz und Beate Braun

Regie: Axel Scheibchen

Musik Aufnahme Wallin überblenden in Aufnahme Kremer

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Wir bedanken uns bei Prof. Ulrich Mahlert von der Hochschule für Musik,

Berlin, sowie bei den Mitarbeiterinnen des Schumann-Archivs Bonn-Endenich

und der Schumann-Gesellschaft Düsseldorf

Musik Aufnahme Kremer überblenden in Aufnahme Kulenkampff zum Schlussakkord

Eine Produktion des Deutschlandfunks 2012

Musik:

Robert Schumann, Konzert in d-moll für Violine und Orchester

1. Aufnahme: Interpret: Georg Kulenkampff, Dirigent Hans Schmidt-Isserstedt,

Berliner Philharmoniker, Aufnahme vom 20.12.1937. Telefunken Historic,

2. Aufnahme: Interpret Gidon Kremer, Dirigent Nicolaus Harnoncourt, Chamber

Orchestra of Europe 1994,Teldec, LC 6019

3. Aufnahme: Interpret Ulf Wallin, Dirigent Frank Beermann, Robert-Schumann-

Philharmonie Chemnitz , BIS Records 2011, BIS-SACD 1775