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DEPARTMENT INFORMATION
Bachelorarbeit
Bibliotheksmitarbeiter aus dem Autismus-Spektrum –
Bedeutung für das Arbeitsumfeld und Entwicklung von allgemeinen
Handlungsempfehlungen für Führungskräfte und Mitarbeiter
vorgelegt von
Sabrina Reincke
Studiengang Bibliotheks- und Informationsmanagement
1. Prüferin: Prof. Dr. Petra Düren
2. Prüferin: Frau Regine Lipka Hamburg, August 2014
ii
iii
"Seit ich in der Bibliothek arbeite, habe ich nicht mehr das Gefühl, „neben
dem Leben“ zu stehen – ich stehe jetzt IM Leben."
Aussage eines autistischen Bibliotheksmitarbeiters
iv
Abstract
Diese Arbeit befasst sich mit der Beschäftigung von Menschen aus dem
Autismus-Spektrum in Bibliotheken. Um ein Bewusstsein im Hinblick auf
die Bedeutung für das Arbeitsumfeld mit autistischen Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer zu schaffen, erfolgt eine Einführung in die Autismus-
Spektrum-Störung. Mithilfe von Beispielen für Menschen aus dem Autis-
mus-Spektrum, die Bibliotheken als geeignete Tätigkeitsfelder für sich se-
hen, wird auf die Relevanz der Thematik aufmerksam gemacht. Die Ent-
wicklung allgemeiner Handlungsempfehlungen soll Führungskräften und
Kollegen eine Orientierungsmöglichkeit für die Gestaltung des beruflichen
Miteinanders bieten.
Schlagworte
Autismus
Asperger-Syndrom
Bibliotheksmitarbeiter
Personalmanagement
Handlungsempfehlung
v
Inhaltsverzeichnis
Abstract ................................................................................................................ iv
Anhangverzeichnis ............................................................................................ vii
Abbildungsverzeichnis ............................................................ …………………viii
Tabellenverzeichnis .......................................................................................... viii
Abkürzungsverzeichnis ...................................................................................... ix
1. Einleitung ........................................................................................................ 10
2. Das autistische Spektrum .............................................................................. 12
2.1 Historischer Hintergrund ............................................................................. 12
2.2 Diagnosekriterien und Häufigkeit des autistischen Spektrums ................... 14
2.3 Bedeutung des Spektrums für diese Arbeit ................................................. 15
2.4 Leitsymptome ............................................................................................. 16
2.4.1 Sensorische Sensibilität und erhöhte Wahrnehmung ........................... 17
2.4.2 Routinen, stereotype und ritualisierte Verhaltensweisen ...................... 18
2.4.3 Spezialinteresse ................................................................................... 18
2.4.4 Sprachbesonderheiten ......................................................................... 19
2.4.5 Soziale Interaktion ................................................................................ 20
2.5 Fazit ............................................................................................................ 21
3. Bibliotheken und Autismus ........................................................................... 22
3.1 Sammlung von Literaturstellen mit Bibliotheksbezug .................................. 22
3.2 Beispiele für autistische Arbeitnehmer in Bibliotheken ............................... 24
3.3 Fazit ............................................................................................................ 27
4. Ergebnisse der Experteninterviews .............................................................. 28
4.1 Auswahl der Experten ................................................................................. 28
4.2 Ergebnisse der Befragungen ...................................................................... 29
4.2.1 Verantwortung seitens der Autisten ..................................................... 29
4.2.2 Eignung von Bibliotheken als Arbeitgeber ........................................... 31
4.2.3 Gewinn für den Arbeitgeber ................................................................. 33
4.2.4 Gewinn für autistische Arbeitnehmer ................................................... 34
4.2.5 Kommunikation und soziales Miteinander ............................................ 35
4.2.6 Probleme im Arbeitsalltag .................................................................... 37
4.2.7 Unterstützung durch einen Job Coach ................................................. 38
vi
4.2.8 Unterstützung durch einen Leitfaden ................................................... 40
4.3 Fazit ............................................................................................................ 41
5. Handlungsempfehlungen .............................................................................. 42
5.1 Generelle Hinweise .................................................................................... 42
5.2 Geeignete Tätigkeitsbereiche ..................................................................... 43
5.3 Ungeeignete Tätigkeitsbereiche ................................................................. 43
5.4 Leitfaden und Job Coach ............................................................................ 44
5.5 Kommunikation und soziale Interaktion ...................................................... 45
5.5.1 Autistischer Bewerber .......................................................................... 45
5.5.1 Autistische Mitarbeiter / Kollegen .......................................................... 46
5.6 Strukturierungshilfen ................................................................................... 47
5.7 Veränderungen ........................................................................................... 47
6. Schlussbetrachtung ....................................................................................... 49
Literaturverzeichnis ........................................................................................... 51
Anhang ................................................................................................................ 60
Eidesstattliche Erklärung .................................................................................. 98
vii
Anhangverzeichnis
Anhang 1: Leitfaden zum Interview mit Dirk Müller-Remus .................................. 59
Anhang 2: Interview mit Dirk Müller-Remus ......................................................... 61
Anhang 3: Leitfaden zum Interview mit Hajo Seng ............................................... 66
Anhang 4: Interview mit Hajo Seng ...................................................................... 68
Anhang 5: Leitfaden zum Interview mit Christian Nolte ........................................ 73
Anhang 6: Interview mit Christian Nolte ............................................................... 75
Anhang 7: Leitfaden: Interview Wissenschaftliche Bibliothek ............................... 84
Anhang 8: Interview in der Wissenschaftlichen Bibliothek .................................... 86
Anhang 9: Fragebogen an den Bibliotheksmitarbeiter .......................................... 88
Anhang 10: Zusammenfassung: Fragebogen Bibliotheksmitarbeiter ................... 90
Anhang 11: Fragebogen an Prof. Dr. phil. Matthias Dalferth ................................ 92
Anhang 12: Zusammenfassung Fragebogen Prof. Dr. phil. Matthias Dalferth ..... 93
Anhang 13: Beispielplanung eines Tagesablaufs ................................................. 96
Anhang 14: Darstellung der Tagesplans als App ................................................. 97
viii
Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Leitsymptome des autistischen Spektrums………………………………...17
Tabellenverzeichnis
Tab. 1: Tiefgreifende Entwicklungsstörung/Autismus-Spektrum-Störung……….14
Tab. 2: Literaturstellen mit Bibliotheksbezug………………………………………..23
ix
Abkürzungsverzeichnis
BBW Berufsbildungswerk
DSM-IV-TR Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders
4, Text Revision
DSM-V Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders 5
HFA High-Functional Autismus
ICD International Statistical Classification of Diseases and
Related Health Problems
i.S.d. in Sache der
ToM Theory of Mind
10
1. Einleitung
Als die Softwarefirma SAP 2013 bekannt gab bis zum Jahr 2020 ein Pro-
zent ihrer Stellen mit Autisten zu besetzen, erhielt das Thema autistische
Beschäftigte mediale Aufmerksamkeit (vgl. Tauber 2013).
So lag der Blickwinkel weniger auf mögliche Einschränkungen die der Au-
tismus mit sich bringt, sondern auf den speziellen Fähigkeiten und Stär-
ken dieser Menschen. Die Asperger-Autistin Temple Grandin schrieb
hierzu bereits 2008: "society loses out if individuals with autism spectrum
disorders are not involved in the world of work [...]" (Grandin / Duffy 2008,
S. xi) und kritisierte hiermit das unterschätzte und wenig genutzte Poten-
tial vieler Autisten auf dem Arbeitsmarkt.
Durch die Einstellung von Autisten könnten auch Bibliotheken von diesen
Fähigkeiten profitieren. Zugleich vermögen Bibliotheken es, aufgrund ih-
rer vielfältigen Arbeitsfelder, geeignete Tätigkeitsbereiche für Autisten zu
bieten, so dass beide Seiten von dieser Beschäftigung profitieren könnten.
Es darf jedoch nicht in Vergessenheit geraten, dass Autismus gemäß der
Rechtsprechung i. S. d. Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie eine Behinde-
rung darstellen kann, "die insbesondere auf physische, geistige oder psy-
chische Beeinträchtigungen zurückzuführen ist und die ein Hindernis für die
Teilhabe des Betreffenden am Berufsleben bildet." (Europäischer Gerichts-
hof 2006, S. I-6504).
Gemäß der Gleichbehandlungsrahmenrichtlinie sollen deshalb "geeignete
Maßnahmen vorgesehen werden, d. h. wirksame und praktikable Maßnah-
men, um den Arbeitsplatz der Behinderung entsprechend einzurichten […]"
(Europäische Gemeinschaft 2000, Abs. 20).
Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich daher mit der Frage, wie das Ar-
beitsumfeld in Bibliotheken entsprechend der Bedürfnisse autistischer
Personen gestaltet werden kann, damit beide Seiten einen Mehrwert aus
dieser Beschäftigung ziehen. Hierfür muss nicht nur auf die Bedeutung
autistischer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für das Arbeitsumfeld einer
Bibliothek eingegangen werden, sondern auch auf Folgen für das soziale
Miteinander.
11
Es wird die Frage aufgegriffen inwiefern Bibliotheken überhaupt einen at-
traktiven Arbeitsplatz für Autisten bieten können und warum die Beschäf-
tigung von Autisten zugleich ein Gewinn für die Bibliothek darstellen
kann. Anhand von Handlungsempfehlungen erhalten Vorgesetzte und Kol-
legen autistischer Beschäftigter eine Hilfestellung für die tägliche Arbeit.
Um diese Fragen beantworten zu können, wird zunächst eine Einführung
in das Thema Autismus und autistisches Spektrum gegeben.
Anschließend wird auf den Aspekt autistischer Beschäftigten in Bibliothe-
ken eingegangen und dargestellt, warum dies bereits ein relevantes Thema
für Bibliotheken sein sollte. Anhand ausgewerteten Experteninterviews
werden die zuvor behandelten Themen aufgegriffen und mit Erkenntnis-
sen ergänzt, die letztendlich zu der Erstellung von Handlungsempfehlun-
gen führen. Die Schlussbetrachtung bietet einen abschließenden kriti-
schen Blick auf die Möglichkeiten und Grenzen dieser Arbeit.
12
2. Das autistische Spektrum
Für die Zusammenarbeit mit autistischen Beschäftigten ist ein grundsätz-
liches Verständnis bezüglich der autistischen Problematik nötig. Im Hin-
blick auf die Komplexität dieser Erkrankung ist an dieser Stelle jedoch
nur eine oberflächliche Einsicht möglich. Zunächst erfolgt ein genereller
Überblick um im Anschluss unter Punkt 2.3 den Bezug zu Bibliotheks-
mitarbeitern herzustellen und unter 2.4 auf Leitsymptome einzugehen.
2.1 Historischer Hintergrund
1911 wandte der Schweizer Psychiater Eugen Bleuler erstmals den Begriff
"Autismus" an und bezeichnete hiermit "eine Kontaktstörung mit Rückzug
auf die eigene Vorstellungs- und Gedankenwelt als ein Grundsymptom der
Schizophrenie, mit Isolation von der Umwelt, charakterisiert durch extreme
Selbstbezogenheit, Insichgekehrtheit sowie durch psychotische Persönlich-
keitsstörungen mit fantastisch-traumhaftem, frei-assoziativem und affektiv-
impulsivem Denken und Sprechen" (Brockhaus 2014).
Diesen Ausdruck griff der Kinder- und Jugendpsychiater Leo Kanner 1943
in seinem, in den USA veröffentlichten, Artikel über Untersuchungen an
elf Kindern auf, die in unterschiedlich starker Ausprägung dieses autisti-
sche Verhalten aufwiesen. Ergänzt wurde dieses durch eine stark einge-
schränkte oder nicht vorhandene Fähigkeit zur verbalen und nonverbalen
Kommunikation, sowie obsessiven, stark einseitigen und von Routinen
geprägten Verhaltensweisen (vgl. Kanner 1943, S. 248 ff.). Ein Jahr später
verwendete Kanner erstmals den Begriff "early infantile autism" (vgl. Kan-
ner 1944, S. 1), der heute als "Frühkindlicher Autismus" oder synonym
auch als "Kanner-Syndrom" bekannt ist.
Ebenfalls veröffentlichte der österreichische Kinderarzt Hans Asperger
1944 seine Arbeit über "Die 'Autistischen Psychopathen' im Kindesalter".
In dieser berichtete er von Kindern und Erwachsenen, die autistische Ver-
haltensweisen in unterschiedlichen Ausprägungen, sowie Auffälligkeiten
in der sozialen Interaktion und im Sprachgebrauch, aufwiesen (vgl. Asper-
ger 1943, S. 113 ff.). Obwohl Kanner und Asperger ihre Arbeiten im glei-
chen zeitlichen Rahmen veröffentlichten, galten der Frühkindliche Autis-
mus und die "Autistischen Psychopathen im Kindesalter" als eigenständi-
13
ge Erkrankungen. Dies war besonders dem Umstand geschuldet, dass As-
perger auf Deutsch veröffentlichte und seine Arbeit zunächst international
unbekannt blieb.
Erst durch eine 1981 erschienene Publikation der britischen Psychiaterin
Lorna Wing wurden Aspergers Erkenntnisse international bekannt. Wing
war es auch, die für die "Autistischen Psychopathen" die heutige Bezeich-
nung "Asperger-Syndrom" einführte (vgl. Neumärker 2010, S. 192).
Bereits in den 1970ern führten sie und die Psychiaterin Judith Gould eine
Studie an allen Kindern unter 15 Jahren in dem Londoner Stadtteil
Camberwell durch. Sie fanden heraus, dass einige die Symptome des
Frühkindlichen Autismus' aufwiesen, andere jedoch nicht alle Kriterien
erfüllten obwohl auch sie autistische Verhaltensweisen zeigten. Rückbli-
ckend wurde deutlich, dass diese Kinder die Kriterien des Asperger-
Syndroms erfüllten. Die wichtigsten Erkenntnisse dieser Studie waren
nach Wing jedoch (vgl. Wing 2002, S. 21):
Frühkindlicher Autismus und Asperger-Syndrom stellen Untergruppen
einer Störung dar, die die soziale Interaktion und Kommunikation be-
einträchtigt.
Diese Störung kann auf jedem Intelligenzniveau auftreten.
In manchen Fällen kommt es bei dieser Störung auch zu anderen psy-
chiatrischen Beeinträchtigungen oder Auswirkungen auf die körperli-
che Entwicklung.
Diese Erkenntnisse, sowie weiterführende Erfahrungen, führten dazu,
dass inzwischen die Bezeichnung "Autistisches Spektrum" verstärkt Er-
wähnung findet (vgl. Wing 2002, S. 21-23).
Vor dem Hintergrund, dass das Asperger-Syndrom erst 1981 international
bekannt wurde, erscheint es wenig verwunderlich, dass erst in der Folge-
zeit offizielle Diagnosekriterien hierfür aufgestellt wurden. Dies führt dazu,
dass erst die Kinder der letzten dreißig Jahre eine Diagnose bezüglich des
Asperger-Syndroms erhalten konnten und keine Aussage zur Häufigkeit in
den älteren Generationen getroffen werden kann.
14
2.2 Diagnosekriterien und Häufigkeit des autistischen Spektrums
Nach der International Statistical Classification of Diseases and Related
Health Problems 10 (ICD-10) werden der Frühkindliche Autismus und das
Asperger-Syndrom, gemeinsam mit anderen Störungen, als Tiefgreifende
Entwicklungsstörung klassifiziert.
Tiefgreifende Entwicklungsstörung
(vgl. Dilling 2014, S. 343)
Autismus-Spektrum-Störung
(vgl. Wing 2002, S. 34-47)
Beeinträchtigungen in gegenseitigen
sozialen Interaktionen
Beeinträchtigungen in sozialen
Interaktionen
Beeinträchtigungen in gegenseitigen
Kommunikationsmustern
Beeinträchtigung der
Kommunikation
Eingeschränktes, stereotypes, sich
wiederholendes Repertoire von Inte-
ressen und Aktivitäten
Beeinträchtigung im Vorstel-
lungsvermögen, dadurch:
Repetitive stereotype Aktivitäten
Tab. 1: Vergleich Tiefgreifende Entwicklungsstörung/Autismus-Spektrum-Störung
Der Vergleich zwischen Tiefgreifender Entwicklungsstörung und Autis-
mus-Spektrum-Störung nach Wing zeigt eine wesentliche Übereinstim-
mung der drei Hauptkriterien. Auch in dem Diagnostic and Statistical Ma-
nual of Mental Disorders IV-TR (DSM-IV-TR) stellen die Beeinträchtigungen
in diesen Kategorien die Hauptkriterien für das Vorliegen einer Tiefgrei-
fenden Entwicklungsstörung dar (vgl. American Psychiatric Association
2003, S. 57-58). Dies verdeutlicht, dass der Frühkindliche Autismus und
das Asperger-Syndrom auch im Hinblick auf offizielle Diagnosekriterien
Untergruppen einer Störung darstellen und keine eigenständigen Krank-
heitsbilder sind.
Problematisch hinsichtlich der Diagnostik war, dass weder in der ICD-10,
noch in den DSM-IV-TR die Autismus-Spektrum-Störung als Diagnose
vorkam. So mussten die Diagnosekriterien für den Frühkindlichen Autis-
mus, das Asperger-Syndrom, oder eine der anderen Störungen auf die
Person zutreffen. Durch Autismus hervorgerufene Beeinträchtigungen
können sich im Laufe des Lebens jedoch in ihrer Ausprägung ändern (vgl.
15
Boucher 2009, S. 99). Dies könne dazu führen, dass jemand zu einem
Zeitpunkt seines Lebens nicht alle Kriterien für eine Diagnose erfüllen
kann, zu einem anderen Zeitpunkt jedoch schon. Erst in den DSM-V wur-
den die Einteilungen in Frühkindlichen Autismus, Asperger-Syndrom und
andere Störungen aufgehoben, so dass hier von einer Autismus-
Spektrum-Störung mit unterschiedlichen Ausprägungen ausgegangen
wird (vgl. American Psychiatric Association 2013, S. 50-59).
Die heterogenen Diagnosekriterien1 seien nach dem Psychologen Tony At-
twood ein Hauptgrund dafür, weshalb nur unsichere Angaben über die
Häufigkeit von Autismus-Spektrums-Störungen gemacht werden können
(vgl. Attwood 2012, S. 58).
In einer Auswahl zur Häufigkeit von Autismus-Spektrum-Störungen wur-
den 0,62-0-70% weltweit als durchschnittliche Werte angegeben. Neuere
Studien würden jedoch auch auf eine Häufigkeit von 1-2% in der Gesamt-
bevölkerung hindeuten (vgl. Lai / Lomardo / Baron-Cohen 2014, S.2).
Nach Attwood bestehe die Möglichkeit, dass etwa 50% aller Kinder mit
dem Asperger-Syndrom die autistischen Merkmale soweit überspielen
können, dass sie undiagnostiziert bleiben und die Diagnose trotz Probleme
entweder nie erhalten, oder erst im Erwachsenenalter (vgl. Attwood 2012,
S. 58). Dies trägt dazu bei, weshalb zur Häufigkeit von Autismus-
Spektrum-Störungen nur ungenaue Aussagen getroffen werden können.
2.3 Bedeutung des Spektrums für diese Arbeit
Zwar werden mit den DSM-V die Bezeichnungen Frühkindlicher Autis-
mus, Asperger-Syndrom und weitere Tiefgreifende Entwicklungsstörungen
unter dem Begriff Autismus-Spektrum-Störung zusammengefasst, doch
muss herausgestellt werden, auf welche Spektrumsangehörigen sich die
Bedeutungen für das Arbeitsumfeld und die Handlungsempfehlungen in
dieser Arbeit beziehen.
Die autistischen Symptome sind innerhalb des Spektrums von niedriger
bis starker Ausprägung verortet, wobei der Frühkindliche Autismus die
1 Zur Diagnostik des Asperger-Syndroms wurden ab 1989 auch die Diagnosekriterien
nach Gillberg & Gillberg verwendet (vgl. Gillberg / Gillberg 1989)
16
schwersten Ausprägungen aufweisen kann. Während bei diesem Intelli-
genzminderungen möglich sind, sind Menschen mit dem Asperger-
Syndrom nicht davon betroffen oder weisen einen überdurchschnittlich
hohen Intelligenzquoten auf (vgl. Biscaldi 2013, S. 15).
Auch fallen die Ausprägungen autistischer Merkmale bei dem Asperger-
Syndrom geringer aus, während Frühkindliche Autisten erheblich in ihrer
Kommunikation beeinträchtigt und auf intensive Unterstützung angewie-
sen sein können (vgl. Kamp-Becker / Bölte 2011, S. 28 ff.).
Aufgrund der möglichen schweren Einschränkungen in der selbstständi-
gen Lebensführung kann diese Arbeit nur Bezug auf die Menschen neh-
men, die sich innerhalb des autistischen Spektrums in einem Bereich be-
finden, der eine Berufstätigkeit ohne erheblichen Assistenzbedarf zulässt.
Hierbei wird es sich weniger um Frühkindliche Autisten, als mehr um
Menschen mit dem Asperger-Syndrom oder dem High-Functional Autis-
mus handeln, der häufig synonym Verwendung findet (vgl. Attwood 2012,
S. 57). Im weiteren Verlauf der Arbeit sind bei der Verwendung der Begrif-
fe Autismus oder autistisches Spektrum die Menschen gemeint, die leich-
tere autistische Ausprägungen aufweisen.
Im Hinblick auf die mitunter vielfältigen Leitsymptome wird nicht in dem
Umfang eingegangen, wie es nötig wäre um auch autistische Besonderhei-
ten von stark betroffenen Autisten abzudecken, sondern sind stets im Be-
zug auf Autisten zu sehen, die ohne erhebliche Einschränkungen oder
hohem Assistenzbedarf einem Beruf ausüben können.
2.4 Leitsymptome
"Es gibt durchaus Zeiten, in denen ich mich krank fühle; aber die meiste Zeit
fühle ich mich gesund. Daher stoße ich mich regelmäßig an einem Sprach-
gebrauch, der suggeriert, dass ich krank wäre, weil ich autistisch bin. Und
zwar zu jeder Zeit, weil ich ja auch zu jeder Zeit autistisch bin." (Seng 2013,
S. 89). Mit diesen Worten beschreibt Herr Seng ein Problem, das schnell
im Umgang mit autistischen Menschen entsteht. Was in den DSM und
ICD-10 als Diagnosekriterien angegeben wird, kann für den Menschen
selbst als etwas wahr genommen werden, dass ein Leben lang bereits zu
dieser Person gehörte und nicht als Symptome oder Zeichen einer Behin-
17
derung verstanden wird. Gleichzeitig gibt es jedoch auch Autisten, die
diese Eigenschaften aufgrund der Auswirkungen im Alltag oder Beruf als
negative Aspekte sehen. Besonders wegen dieser individuellen Wahrneh-
mung besteht nicht bei jedem Autisten der Bedarf nach einem Schwerbe-
hindertenausweis, so dass es mitunter autistische Beschäftige ohne die-
sen gibt (vgl. Schuster / Schuster 2013, S. 21-22).
Da Angehörige des autistischen Spektrums selbst entscheiden müssen,
wie sie zu den autistischen Eigenschaften stehen, ist die Verwendung von
Begriffen wie "Leitsymptome" oder auch "betroffene Menschen" in dieser
Arbeit wertneutral zu verstehen.
Die Abbildung verdeutlicht, dass Menschen im autistischen Spektrum
Leitsymptome aufweisen können, die als diagnostische Kriterien genutzt
werden. Hinter diesen Leitsymptomen steht jedoch stets der Mensch als
Individuum. So kann ein Autist starke Probleme in der sozialen Interakti-
on haben, während ein anderer sensorische Reize belastender empfindet
(vgl. autismus Deutschland e.V. 2013, S. 5).
2.4.1 Sensorische Sensibilität und erhöhte Wahrnehmung
Autisten nehmen ihre Umwelt in vielerlei Hinsicht genauer und detailrei-
cher wahr als nicht-autistische Menschen und können Informationen
schlechter filtern. Licht wirkt dadurch heller und Geräusche können
Abb. 1: Leitsymptome des autistischen Spektrums
Mensch
als
Individuum
18
schmerzhaft laut sein, was besonders in Gesprächen dazu führt Hinter-
grundgeräusche schlecht ausblenden zu können. Hierdurch können Ge-
sprächspartner mitunter nicht verstanden werden.
Für viele Autisten stellen Berührungen eine besondere Herausforderung
dar, denn diese Reize können mit unangenehmen Gefühlen bis hin zu
Schmerzen verbunden sein. Wird ein Autist zu lange unangenehmen Rei-
zen ausgesetzt und strömen immer mehr Reize auf ihn ein, kann dies zu
einer Überlastung führen, die als Overload bezeichnet wird (vgl. Attwood
2012, S. 323-326). Die Sensibilität und erhöhte Wahrnehmung autisti-
scher Menschen stellt daher bei der Ausübung der Arbeit und der Bedeu-
tung für das Arbeitsumfeld einen wichtigen Aspekt dar.
2.4.2 Routinen, stereotype und ritualisierte Verhaltensweisen
Viele Autisten beschreiben, dass Gefühle wie Chaos oder Verwirrung in
ihrem Leben schon immer eine vorherrschende Rolle gespielt haben (vgl.
Steindal 2011, S. 26). Aufgrund der vielen Informationen und Sinnesein-
drücke mit denen ein Autist sich wegen seiner sensorischen Sensibilität
und erhöhten Wahrnehmung arrangieren muss, bieten gleichbleibende
Strukturen und ritualisierte Verhaltensweisen ein Schutz vor einer Über-
lastung (vgl. Caldwell 2004, S. 39). Mit anderen Worten: "Sie dominieren,
weil mit ihnen das Leben vorhersagbarer gestaltet werden kann. Es wird
eine Ordnung geschaffen, da Überraschungen, Chaos und Unsicherheit von
Menschen mit Asperger-Syndrom nur schwer ertragen werden können." (At-
twood 2012, S. 221). Die plötzliche Änderung von Routinen führt daher
bei dem Autisten zu einem Strukturverlust und nimmt ihm den Schutz.
Dadurch können schlimmstenfalls so viele Reize auf die betreffende Per-
son einstürzen, dass es zu einem Overload führt. Daher sollten Routinen
bei Autisten stets ernst genommen und nach Möglichkeit nicht geändert
werden.
2.4.3 Spezialinteresse
Das Spezialinteresse (es können auch mehrere sein) autistischer Men-
schen stellt einen hohen Stellenwert in ihrem Leben dar. Hierbei handelt
19
es sich nicht um Hobbys, die in einem Rahmen wie bei nicht-autistischen
Menschen ausgeübt werden, sondern für autistische Menschen eine viel
größere Bedeutung aufweist. So verbringen sie überdurchschnittlich viel
Zeit mit ihrem Interesse, sammeln sämtliche Informationen dazu und ar-
chivieren diese (vgl. Attwood 2012, S. 220). Das Spezialinteresse nimmt,
ähnlich der Routinen, eine beruhigende und schutzbietende Funktion ein.
Dies kann soweit führen, dass sich die Gespräche mit anderen Menschen
nur um diese Themen drehen (vgl. Attwood 2012, S. 234 u. 238).
Hinsichtlich der Bedeutung am Arbeitsplatz heißt dies, dass ein Autist in
Gesprächen mit Kollegen dazu neigt, sehr intensiv über das jeweilige Spe-
zialinteresse zu reden. Da meist ein beträchtliches Wissen über das jewei-
lige Thema vorhanden ist, kann es weit über das Wissen und Interessen
von Kollegen hinaus gehen, so dass es sich um keinen Dialog zwecks Inte-
ressenaustauschs handeln könnte, sondern um einen Monolog seitens des
Autisten.
2.4.4 Sprachbesonderheiten
Auffälligkeiten im Sprachgebrauch werden auf unterschiedliche Weise
deutlich. Autisten können durch ihre direkte, ehrliche und auf andere
Menschen auch verletzend wirkende Ausdrucksweise auffallen. Menschen
aus dem autistischen Spektrum sind sich häufig jedoch nicht darüber im
Klaren, jemanden verbal zu verletzen(vgl. Vogeley 2012, S. 60-61).
Die Problematik, sich nicht vorstellen zu können einen anderen Menschen
mit dem Gesagten zu verletzen rührt daher, dass Autisten Defizite hin-
sichtlich der Theory of Mind haben. Diese "beschreibt die Fähigkeit, Ge-
danken, Überzeugungen, Wünsche und Absichten anderer Menschen zu er-
kennen und zu verstehen, um deren Verhalten einschätzen und um vorher-
sagen zu können, was sie als Nächstes tun werden. Fehlt diese ToM-
Fähigkeit, kann man sich nur schwer in andere hineinversetzen." (Attwood
2012, S. 143).
Für sie stellt ihre direkte Kommunikation damit ein Austausch sachlicher
Informationen dar und sollte idealerweise ihnen gegenüber auch so erfol-
20
gen. Durch klare und direkte Aussagen kann sich ein Autist besser erklä-
ren, was an seiner Äußerung falsch war und kann daraus lernen.
Mit Ironie, versteckten Bedeutungen oder Andeutungen können Autisten
schlecht umgehen, da sie dazu neigen, das Gesagte wörtlich zu verstehen
(vgl. Attwood 2012, S. 147). Dies kann besonders im Rahmen der Berufs-
tätigkeit zu Missverständnisse führen, falls Vorgesetzte oder Kollegen iro-
nisch gemeinte Anweisungen geben und der autistische Beschäftigte dies
wörtlich versteht und ausführt.
2.4.5 Soziale Interaktion
Das soziale Miteinander stellt für Autisten eine besondere Herausforde-
rung dar. Im Gegensatz zu nicht-autistischen Menschen werden soziale
Regeln nicht intuitiv beherrscht, sondern müssen wie eine Fremdsprache
durch Erfahrungen im Umgang mit Anderen erlernt werden. Besteht die-
ses interne Lexikon aus sozialen Regeln nicht, kann es dazu führen, dass
andere Menschen im Gespräch unterbrochen werden, nur über das Spezi-
alinteresse gesprochen wird oder auch Dinge gesagt werden, die auf Nicht-
Autisten verletzend wirken können. Die Kommunikation wird zusätzlich
erschwert, da Menschen aus dem autistischen Spektrum Defizite in der
Interpretation von Gestik und Mimik haben. Auch in diesen Bereichen
können Autisten im Laufe ihres Lebens eine Art internes Lexikon anlegen.
So werden manche Autisten bewusst auf die Gesichtszüge des Gegen-
übers achten und das Gesehene mit Eindrücken aus früheren Erfahrun-
gen vergleichen. In Zweiergesprächen können Autisten auf diese Weise
beachtliche Erfolge erbringen und für Außenstehende "normal" wirken
(vgl. Attwood 2012, S. 72 u. 164).
Problematisch wird es, wenn ein Autist an Gesprächen mit mehr als einer
anderen Person teilnehmen soll. Die Betroffenen stehen dadurch gleichzei-
tig vor der Herausforderungen Reize aus der erhöhten Wahrnehmung zu
filtern, auf die Gestik und Mimik der Gesprächspartner zu achten und die
erhaltenen Eindrücke im Kopf zu übersetzen. Mitunter müssen auch sozi-
ale Regeln innerhalb eines Gesprächs eingehalten werden, so dass der au-
tistische Beteiligte schnell an seine Grenzen gerät (vgl. Vogeley 2012, S.
21
55-56). Einige Menschen aus dem autistischen Spektrum haben das Lexi-
kon aus sozialen Regeln sowie Erfahrungen bezüglich der Bedeutung von
Mimik und Gestik so gut mit Informationen gefüllt, dass sie diese im sozi-
alen Miteinander abrufen können. Dadurch können sie sich für eine ge-
wisse Zeit an die Menschen in ihrer Umgebung anpassen und eine Rolle
spielen um nicht autistisch zu wirken. Dies kann so erfolgreich gesche-
hen, dass andere Menschen im ersten Moment nicht glauben, ihr Gegen-
über könnte autistisch sein (vgl. Attwood 2012, S. 35).
Mitunter besteht die Annahme, Autisten würden generell keinen Blickkon-
takt zu anderen Menschen herstellen. Dies trifft nicht auf alle autistischen
Menschen zu, sondern es besteht vielmehr ein Defizit in der richtigen An-
wendung desselben (vgl. Steindal 2011, S. 22). So kann es sein, dass der
autistische Beschäftigte in Gesprächen dazu neigt sein Gegenüber zu lan-
ge anzusehen und einen starrenden Blickkontakt ausübt.
2.5 Fazit
Die dargestellten Symptome, bzw. Beeinträchtigungen können sowohl für
den autistischen Beschäftigten als auch für sein Arbeitsumfeld ein hohes
Maß an gegenseitiger Toleranz erfordern. Die Auffälligkeiten in der sozia-
len Interaktion sind es häufig, die einen Autisten merkwürdig auf seine
Mitmenschen oder Kollegen wirken lassen. Gleichzeitig kann jedoch auch
die Zusammenarbeit mit gut angepassten Autisten zu Verwirrung führen,
wenn diese ihre Rolle aufgrund von Überlastung nicht mehr spielen kön-
nen und die autistischen Eigenschaften plötzlich offensichtlich erschei-
nen. Auch besteht das Risiko, dass gut angepasste Kollegen nicht mehr
als autistische Menschen wahr- oder ernst genommen werden könnten,
wodurch die Gefahr einer Überforderung steigt. Die Bedeutsamkeit des
Spezialinteresses kann dazu führen, dass ein autistischer Kollege sich am
liebsten darüber unterhalten möchte und an anderen Gesprächsthemen
kein Interesse zeigt. Dies kann sich besonders negativ auf das kollegiale
Miteinander auswirken. Es ist jedoch genau die Kombination aus ihren
Interessen und den aus ihrer speziellen Wahrnehmung resultierenden Fä-
higkeiten, die einen autistischen Menschen als wertvollen Angestellten
auszeichnen können.
22
3. Bibliotheken und Autismus
Obwohl Menschen aus dem autistischen Spektrum über ein "ungewöhnli-
ches Leistungsprofil mit vielen positiven Eigenschaften und besonderen
Fähigkeiten" (Sünkel 2013, S. 331) verfügen und laut einer britischen
Studie 80 Prozent der befragten Asperger- und hochfunktionalen Autisten
einer Tätigkeit auf dem ersten Arbeitsmarkt nachgehen möchten (vgl.
Barnard et al. 2001, S. 23), beträgt die Arbeitslosenquote in Deutschland
allein für die Asperger- und hochfunktionalen Autisten 30 bis 50 Prozent
(vgl. Sünkel 2013, S. 332).
3.1 Sammlung von Literaturstellen mit Bibliotheksbezug
Im Folgenden werden Zitate aus der Literatur dargestellt um zu verdeutli-
chen, dass Bibliotheken als geeignete Berufsfelder für Menschen aus dem
autistischen Spektrum gesehen werden.
"Ein Interesse an Büchern und Katalogisierungssys-
tem könnte zum Beruf des Bibliothekars befähigen."
Attwood 2012,
S. 246
"Dazu gehört etwa der Beruf des Bibliothekars, dem
in einer Bibliothek eine ruhige Umgebung zur Verfü-
gung steht."
Attwood 2012,
S. 356
"Likewise, in a library, an employee with autism
may have difficulty functioning in an information re-
source position, but may excel at book sorting and
shelving."
Smith/Belcher et al
2000, S. 10
"For example, a person with autism and mild mental
retardation may be able to shelve books in a library
by call number, whereas a person with autism and
severe mental retardation may be limited to gluing
the call numbers onto the book spines.
The cognitive level of the worker must be taken into
account to ensure that tasks are appropriately chal-
lenging without being unrealistic."
Smith/Belcher et al
2000, S. 12
23
In einer Tabelle mit der Übersicht für "Job that
would be a good fit for nonvisual thinkers with mo-
re verbal brains" wird der Beruf der Bibliothekarin,
bzw. des Bibliothekars aufgeführt.
vgl. Grandin/Duffy
2008, S. 89
Auf vier Seiten wird die Tätigkeit innerhalb einer
Bibliothek beschrieben um Autisten einen theoreti-
schen Einblick in dieses Berufsfeld
vgl. Grandin/Duffy
2008, S. 134-137
"'Der IT-Bereich ist ein großes Arbeitsgebiet für Autis-
ten", sagt Friedrich Nolte, Fachreferent im Bundes-
verband zur Förderung von Menschen mit Autismus.
Detailgenauigkeit, Akribie, ein hervorragendes Ge-
dächtnis und eine besondere Art, logisch zu denken,
seien häufige Eigenschaften von Autisten. Diese
können etwa auch in Bibliotheken, Archiven oder in
der Qualitätskontrolle eingesetzt werden.'"
Nennung der Bibliothek im Zusammenhang der
Einstellung von Autisten bei SAP
Tauber 2013, S. 11
Tab. 2: Literaturstellen mit Bibliotheksbezug
Zwar bestehen die zusammengestellten Textstellen mitunter von den glei-
chen Autoren, doch gehen diese unterschiedlich an die Möglichkeit einer
Beschäftigung innerhalb einer Bibliothek heran. Während bei Tauber das
Bibliothekswesen an sich angesprochen wird, wird bei Smith / Belcher
davon ausgegangen, dass autistische Beschäftigte vor allem Tätigkeiten im
Sortieren von Büchern ergreifen könnten. Im Vergleich dazu beschreiben
Grandin / Duffy und Attwood Berufe als Bibliothekarin oder Bibliothekar.
Zudem wird in einem Artikel über berufliche Erfahrungen bei Menschen
mit dem Asperger-Syndrom erwähnt, dass der Beruf des Bibliothekars ge-
eignet sei, da Menschen aus dem autistischen Spektrum gut im visuellen
Denken seien, gute technische Begabungen vorweisen könnten und gute
Fähigkeiten in der Informationsverarbeitung aufwiesen (vgl. Baldwin /
Costley / Warren 2014, S. 2).
24
Auch wurde im Zuge der Einstellung von Autisten bei SAP über einen Au-
tisten berichtet, der zunächst Informationswissenschaften studierte, wäh-
rend der Berichterstattung die Masterarbeit im Bibliothekswesen schrieb
und anschließend seine Stärke im visuellen Denken nutzen möchte um in
der Erwachsenenbildung tätig zu sein. Zwar geht der Bericht nicht darauf
ein, inwiefern er diese Tätigkeiten in einer Bibliothek ausüben möchte,
doch sehe er selbst Bibliotheken und Bibliothekare als Informationsver-
mittler und hält sozialen Kontakt mit guter Vorbereitung und Gewöhnung
auch für Autisten für möglich (vgl. Lormis 2013).
Dies zeigt, dass die Vorstellung über geeignete Tätigkeiten für Autisten in
einer Bibliothek nicht auf einen Aufgabenbereich beschränkt ist und von
den individuellen Fähigkeiten und Interessen betreffender Personen ab-
hängt.
Innerhalb Deutschlands bieten zudem die Berufsbildungswerke
Oberlinhaus und Neckargemünd Ausbildungen als Fachangestellte für
Medien- und Informationsdienste an. Diese Ausbildungen können auch
von Autisten in Anspruch genommen werden und verdeutlichen, dass be-
reits das Ziel besteht, autistische Menschen in Bibliotheken zu vermitteln
und das Interesse an diesem Berufsfeld vorhanden ist (vgl. Berufsbil-
dungswerk Oberlinhaus 2013; Berufsbildungswerk Neckargemünd 2013).
3.2 Beispiele für autistische Arbeitnehmer in Bibliotheken
Im Zuge der vorliegenden Arbeit wurden Recherchen in zwei Internetforen
zum Thema Autismus durchgeführt. Es wurde geprüft, ob es Threads von
autistischen Forenmitgliedern gibt, die in Bibliotheken berufstätig sind,
oder einen Beruf innerhalb einer Bibliothek ausüben wollen.
Bei den Foren handelt es sich um http://aspies.de/forum/ und um
http://www.asperger-forum.de/.
Insgesamt konnten in den Foren 12 Forenmitglieder identifiziert werden,
die einen Beruf im Bibliothekswesen anstreben, dies bereits tun oder den
Beruf gewechselt haben. Innerhalb dieser 12 Personen war jede mögliche
Beschäftigungsart vertreten: Bibliothekarin, bzw. Bibliothekar, Tätigkeit
als FaMI und Bibliotheksassistent sowie ungelernte Tätigkeiten innerhalb
25
der Bibliothek2. Ein Bibliotheksmitarbeiter, der für Zeitschriften und den
Zeitschriftenumlauf zuständig war, beschrieb zudem, dass er sich selbst
auch Tätigkeiten an der Auskunft zutrauen würde, dies jedoch seitens der
Kollegen nicht zugetraut wurde.
Auch international betrachtet arbeiten bereits Autisten in Bibliotheken.
In China wurde eine 21-jährige Autistin ungelernt in einer kleinen Biblio-
thek innerhalb des Gemeindezentrums beschäftigt. Die Mutter übernahm
die Rolle eines inoffiziellen Job Coachs. Es wird beschrieben, dass Kolle-
gen nicht wussten wie sie sich ihr gegenüber verhalten sollten und sie ihr
dadurch auch keine Hilfe sein konnten. Die Beschäftigung war dennoch
für die Familie, die Tochter und die Bibliothek ein Gewinn (vgl. McCabe /
Wu 2009).
Ebenfalls in China erhielt ein 21-jähriger Autist eine Anstellung in der
Bibliothek von Shanghai. Laut Artikel arbeite er an vier Tagen die Woche
in der Bibliothek und stellt Bücher ein. Zu Beginn seiner Tätigkeit konnte
er sich nicht auf die Arbeit konzentrieren und ignorierte Nachfragen der
Nutzer. Da ihm die Abläufe seiner Arbeit mehrfach erklärt worden, wurde
er immer vertrauter damit, so dass er im weiteren Verlauf in der Lage war,
seiner Tätigkeit problemlos nachzugehen.
Insgesamt war eine positive Entwicklung sichtbar, so dass er seinen Ar-
beitsweg selbstständig bewältigt und auch die Pausen mit den Kollegen
verbringt. Um die Probleme autistischer Menschen hinsichtlich der Kom-
munikation und sozialen Interaktion zu berücksichtigen, wurde darauf
geachtet, dass die Tätigkeit gewisse soziale Kontakte enthielten, er jedoch
insgesamt wenig Kontakt zu Nutzern hatte (vgl. Ni 2013).
In den USA berichtet ein Asperger-Autist und Bibliothekar in seinem Blog
von seinen unterschiedlichen Erfahrungen während der Arbeit in einer
Bibliothek. Während er zunächst in der Katalogisierung tätig war, zielte es
später darauf ab, im Auskunftsdienst zu arbeiten (vgl. Aspie Aggie
Librarian 2011).
2 Da es sich um geschützte Forenbereiche handelte, erfolgen in der öffentlichen Version dieser Arbeit keine
Verweise.
26
Adam Schwartz, Asperger-Autist, Comedian und berufstätig in einer Bibli-
othek in Winnipeg/Kanada veröffentlichte "Ten things I like about working
in a library". Die ersten und für diese Arbeit wichtigsten vier Punkte sind:
"1. Libraries are a place of order. Unlike the rest of the world which is cha-
os, libraries organize information by subject, author and year. There is no
reading between the lines for information like there is in the rest of life.
2. I feel like a computer expert when I am able to answer computer ques-
tions, like how do I book a computer. Where can I find a computer with mi-
crosoft word. (Although, there are some times that I can't figure out how to
fix the computer or format on microsoft word but these questions are few
and far between.)
3. Libraries are quiet and never give me sensory overload which sometimes
happens in unknown crowded places. Especially when I am very hungry or
tired.
4. There are always people to watch who never end up letting me down
with their off-the-wall antics. Therefore, it is a good place to learn about
human behaviour and what to do and what not to do in social interactions."
(Schwartz 2013)
Penelope Andrews, Asperger-Autistin und Masterstudentin an der Univer-
sity of Sheffield im Studiengang Digital Library Management, spricht sich
ebenfalls für Autisten in Bibliotheksberufen aus und beschreibt ihre Stär-
ken folgendermaßen:"'I'm more focused, intense and honest than a neuro-
typical person,' she said. 'I do things thoroughly and pay proper attention
to detail. I'm always switched on: even when I'm not at work, I'll go to
events that are relevant. Libraries are one of my autistic specialities and I
harness that at work.'" (Hill 2013).
In den USA wurden in der Bibliothek der Illinois Wesleyan University zwei
autistische Studentische Hilfskräfte beschäftigt. Als Tätigkeiten wurden
Scandienste durchgeführt und an der Auskunft gearbeitet. Es wurde da-
rauf geachtet, dass die beiden Studentischen Hilfskräfte Pause machen
und sich Ruhe gönnen konnten wenn dies nötig war. Obwohl deutlich
27
wurde, dass besondere Rücksicht genommen werden musste, etwa durch
eine ruhige Arbeitsumgebung, deutliche Kommunikation und wenig Va-
rianz in den Aufgaben, habe man die Zusammenarbeit geschätzt und als
einen Gewinn betrachtet. Wichtig gewesen sei es, mit Geduld und dem
richtigen Weg der Unterstützung (vgl. Miner 2009) Die Erfahrung bezüg-
lich der Beschäftigung der beiden autistischen Hilfskräfte wurde in fol-
gender Absicht geschrieben: "We offer our experiences as an entry into this
conversation and as a voice of encouragement for employing people on the
autistic spectrum in libraries." (Miner 2009, S. 20).
3.3 Fazit
Dieses Kapitel hat gezeigt, dass Menschen aus dem autistischen Spekt-
rum bereits seit längerem ein relevantes Thema für Bibliotheken darstel-
len sollten. National wie international gibt es bereits Autisten, die in Bibli-
otheken arbeiten und einige von ihnen gehen so offen damit um, dass sie
in Blogs und Zeitungsartikeln über ihre Arbeit dort berichten. Nicht nur
lenken sie dadurch den Blick auf ihre Stärken und das Potential das Bib-
liotheken entgeht, wenn in erster Linie eine negative Vorstellung von Au-
tisten besteht. Auch wird deutlich, dass die Arbeitgeber die Beschäftigung
dieser Menschen als eine Bereicherung ansehen.
So warf Meg Miner am Ende ihres Artikels über die beiden Asperger-
Autisten in der Bibliothek der Illinois Wesleyan University die Frage auf:
"Why should we think differently of prospective employees’ potential be-
cause some have a diagnosis for their personality traits and others don’t?"
(Miner 2009, S. 20)
28
4. Ergebnisse der Experteninterviews
Im Hinblick auf die in Kapitel zwei und drei dargestellten Aspekte des au-
tistischen Spektrums, und der Bedeutung von Bibliotheken als Arbeitge-
ber für diese Personengruppe, wurden Experteninterviews durchgeführt.
Diese dienten dazu, anhand von Leitfragen, empirische Daten im Rahmen
der qualitativen Forschung zu erheben. Gemeinsam mit den Inhalten der
vorangegangenen Kapitel bilden sie die Grundlage für die Entwicklung der
Handlungsempfehlungen.
4.1 Auswahl der Experten
Für die Auswahl als Experte musste ein bedeutender Bezug zu dem The-
ma Autismus und Berufstätigkeit vorliegen. Dies konnte durch die Be-
schäftigung autistischer Mitarbeiter, durch Erfahrung mit autistischen
Kollegen, der eigenen Zugehörigkeit zum autistischen Spektrum oder der
Beschäftigung mit dieser Thematik im eigenen berufsbezogenen Kontext
gegeben sein.
Da Angehörige des autistischen Spektrums unterschiedliche Ausprä-
gungsgrade, Stärken und Defizite aufweisen, wurde bei der Auswahl der
Experten darauf geachtet, unterschiedliche Blickwinkel betrachten zu
können und so möglicherweise für die Entwicklung der Handlungsemp-
fehlungen interessante Aspekte zu erhalten, die durch die dargestellten
Informationen in Kapitel zwei und drei keine Beachtung gefunden hätten.
Die anknüpfenden Ergebnisse basieren daher auf der Grundlage folgender
Experten:
Herr Dirk Müller-Remus ist der Gründer und Geschäftsführer des IT-
Unternehmens "Auticon". Dieses beschäftigt an diversen Standorten in
Deutschland Menschen aus dem autistischen Spektrum, die als Consul-
tants für zeitlich begrenzte Aufträge in andere Unternehmen vermittelt
werden. Als erstes deutsches Unternehmen dieser Art hat Auticon einen
allgemeinen Bekanntheitsgrad erzielt.
Herr Hajo Seng ist Gründer der Hamburger Genossenschaft "autWorker".
Diese besteht aus autistischen Mitgliedern und wurde mit dem Ziel ge-
29
gründet, Bindeglied zwischen dem Arbeitsmarkt und autistischen Men-
schen zu sein. Herr Seng ist Asperger-Autist und arbeitet in der IT-
Abteilung der Staats- und Universitätsbibliothek Carl von Ossietzky in
Hamburg.
Herr Christian Nolte ist Geschäftsführer des IT-Unternehmens "Velian" in
Braunschweig. Dieses stellte vor drei Jahren den ersten autistischen Mit-
arbeiter ein. Außerdem sind ein Mitarbeiter mit Mutismus3 und seit kur-
zem ein zweiter Asperger-Autist bei Velian beschäftigt.
Herr Prof. Dr. phil. Matthias Dalferth ist Professor an der Fakultät Ange-
wandte Sozialwissenschaften der Hochschule Regensburg, Mitglied des
Wissenschaftlichen Beirats des Bundesverbandes Autismus Deutschland
e.V. und Mitautor des Buches "Berufliche Teilhabe für Menschen aus dem
autistischen Spektrum". Mit ihm fand kein persönliches Gespräch, son-
dern die Beantwortung von Fragen in Form eines Fragebogens, statt.
Aus Gründen des Datenschutzes werden interviewte Mitarbeiter einer
deutschen, wissenschaftlichen Bibliothek nicht namentlich genannt. Die
Kollegen eines Asperger-Autisten wurden persönlich interviewt, ihrem au-
tistischen Kollegen wurde ein Fragebogen zugesandt.
4.2 Ergebnisse der Befragungen
Die Zusammenfassungen der einzelnen Interviews und Fragebögen kön-
nen in den Anhängen 2 – 13 eingesehen werden.
Zwecks Nutzung der erhaltenen Informationen zur Entwicklung der Hand-
lungsempfehlungen wurden Kategorien gebildet, die sich in den Interviews
und Fragebögen als relevant abzeichneten.
4.2.1 Verantwortung seitens der Autisten
Herr Dirk Müller-Remus
Autisten müssen zu ihrem Autisten-Sein stehen und offen damit umge-
hen. Ohne diesen offenen Umgang kann ein Arbeitgeber nicht wissen,
dass sein Mitarbeiter Autist ist und kann keine Hilfestellungen bieten, um
3 Mutismus ist eine Kommunikationsstörung bei der der Betroffene, je nach Ausprägungsgrad, überhaupt
nicht oder wenig spricht.
30
Probleme bei der Arbeit oder im kollegialen Miteinander zu vermeiden oder
zu lösen. Idealerweise kann der autistische Mitarbeiter Hinweise geben,
welche Aspekte in der Kommunikation mit ihm beachtet werden sollten.
Autisten sollten sich nicht mehr über ihre Defizite definieren, sondern
sich auf ihre Stärken und ihr Potenzial konzentrieren.
Ein nicht offener Umgang mit der Thematik Autismus führt dazu, dass
der autistische Mitarbeiter sich zu sehr an die Arbeitsumgebung anpassen
will, was zu Überforderungen führen kann.
Herr Hajo Seng
Ein offener Umgang mit dem Autist-Sein, ist generell sinnvoll und der bes-
te Weg. Wenn jemand tatsächlich nicht sagen möchte, dass er Autist ist,
könnten Probleme auch ohne diese Bekanntmachung gelöst werden in-
dem nur die Probleme an sich angesprochen werden. Durch die Bekannt-
gabe, man sei Autist, kann jedoch auch der Schwerbehindertenbeauftrage
hinzugezogen werden und auch neutrale Personen, wie beispielsweise von
autWorker, könnten eine Vermittlungsrolle übernehmen.
Ein nicht offener Umgang mit der Thematik Autismus führt auch laut
Herrn Seng dazu, dass der autistische Mitarbeiter sich an die Arbeitsum-
gebung anpassen will, was zu Überforderungen führen kann.
Der offene Umgang stößt jedoch häufig auf Verwirrung, da einige Men-
schen nach wie vor die Vorstellung hätten, Autisten seien stark beein-
trächtigt. Daher überwiegt die Annahme, dass Autismus eine Behinderung
darstelle und es besteht die Sorge, dass Probleme am Arbeitsplatz bezüg-
lich autistischer Beschäftigter überwiegen könnten.
Autisten sollten sich generell mehr auf ihre Stärken und ihr Potential kon-
zentrieren. Da viele sich ihrer Stärken selbst nicht bewusst sind, wären
Fähigkeiten-Workshops von autWorker eine gute Möglichkeit um sich da-
rüber im Klaren zu werden.
Herr Christian Nolte
Ein Offener Umgang ist wichtig, um zu wissen wie man mit Menschen die-
ser unterschiedlichen Persönlichkeiten am besten kommuniziert.
31
Mitarbeiter einer wissenschaftliche Bibliothek
Der autistische Bibliotheksmitarbeiter empfindet einen offenen Umgang
mit dem Autismus als wichtig. Seine Kollegen sehen für Autisten die Ver-
antwortung darin, sich auf die Arbeit im Team einzulassen und die Bereit-
schaft mitzubringen, neue Gesichtspunkte im sozialen Miteinander lernen
zu wollen.
4.2.2 Eignung von Bibliotheken als Arbeitgeber
Herr Dirk Müller-Remus
Bibliotheken stellen geeignete Arbeitsplätze dar, weil sie Tätigkeiten mit
guter Strukturierung, reizarmer Umgebung, Regelabläufen und geringer
Hektik bieten können.
Als besonders geeignete Tätigkeitsfelder sieht er die Katalogisierung, die
Indexierung, das Klassifizieren, sowie Sortier- und Kopierarbeiten.
Wegen der ausgeprägten Fähigkeit zur Mustererkennung können auch
Tätigkeiten im Big Data-Bereich eine hohe Attraktivität aufweisen.
Ob eine Tätigkeit im Publikumsverkehr geeignet und möglich sei, komme
auf jeden Einzelnen Mitarbeiter an.
Herr Hajo Seng
Bibliotheken können einen geeigneten Arbeitsplatz darstellen, da vieles
ohne den Zeitdruck wie in anderen Berufe stattfinden könne. Auch beste-
hen in vielen Bibliotheken keine "Mitarbeitermonokulturen", so dass in
Bibliotheken bereits eine Unternehmenskultur mit unterschiedlichsten
Charakteren vorherrsche. Dies könne zu einer größeren Toleranz gegen-
über autistischen Mitarbeitern führen.
Als besonders geeignete Tätigkeiten nennt er Magazinarbeiten oder Aufga-
ben in der IT.
Arbeitsbereiche mit Führungsaufgaben oder im leitenden Projektmanage-
ment seien jedoch eher ungeeignet. Ob Tätigkeiten im Publikumsverkehr
möglich seien, müsste individuell geprüft werden. Prinzipiell wäre es
denkbar, dass Beschäftigungen an der Ausleihe und der Information
32
mögliche Arbeitsbereiche darstellen. Besonders an der Information könnte
ein autistischer Mitarbeiter sein Expertenwissen einbringen.
Grundsätzlich seien wechselnde Tätigkeiten, besonders mit mehreren Auf-
gaben aus unterschiedlichen Themenbereichen weniger geeignet.
Herr Prof. Dr. Matthias Dalferth
Bibliotheken seien generell als Arbeitsplatz für Autisten geeignet, da sie
eine ruhige Arbeitsumgebung bieten können. Zudem könnten Autisten
sich besonders gut auf Details konzentrieren und sich diese gut merken.
Auch liegen ihre Stärken im Sortieren, Registrieren und Archivieren.
Gut geeignet wären daher Tätigkeiten, die mit der Arbeit am Buch zu tun
haben. Etwa das Ziehen und Einstellen derselben. Auch Aufgaben, die mit
der Eingabe oder Verarbeitung von Informationen am Computer zu tun
haben, könnten besonders geeignet sein.
Direkten Publikumsverkehr hält Herr Prof. Dr. Dalferth für problematisch,
doch kommt die Eignung hierfür auf jeden individuell an. Sollte die Chan-
ce bestehen im indirekten Kontakt mit Nutzern zu stehen und Auskünfte
zu geben, beispielsweise per E-Mail, könnte dies eine bessere Tätigkeit
darstellen.
Herr Christian Nolte
Asperger-Autisten können im Rahmen informationstechnologischer Tätig-
keiten erfolgreich beschäftigt werden. Die Erfahrungen Herrn Noltes zei-
gen, dass auch Kundenkontakt möglich sein kann.
Mitarbeiter einer wissenschaftliche Bibliothek
Bibliotheken seien als Arbeitsplatz für Autisten generell geeignet, da es
sich um ruhige und wenig hektische Arbeitsumgebungen handele. Insbe-
sondere Tätigkeiten mit Bezug zur Bestandspflege, wie die Arbeit in einem
Magazin und das Ziehen und Einstellen von Büchern, seien geeignet.
Tätigkeiten im Publikumsverkehr seien weniger geeignet.
33
4.2.3 Gewinn für den Arbeitgeber
Herr Dirk Müller-Remus
Nach Herrn Müller-Remus verfügen viele Autisten über ausgeprägte Fä-
higkeiten zur Mustererkennung, eine ausgeprägte Fähigkeit zur Detailer-
kennung und analytisch-logisches Denkvermögen. Zugleich zeichnet sie
eine sorgfältige, genaue, gewissenhafte und konzentrierte Arbeit aus.
Herr Hajo Seng
Autistische Mitarbeiter bringen frischen Wind in die Unternehmen und
sehen vieles aus anderen Blickwinkeln. Grundsätzliche, meist unter-
schwellige Probleme innerhalb von Geschäftsprozessen können durch die-
se neuen Blickwinkel erkannt und eingefahrene Strukturen oder Arbeits-
abläufe können verbessert werden. Überdies verwenden Autisten häufig
andere Problemlösungsstrategien, so dass auch Problem anders angegan-
gen werden könnten als zuvor.
Herr Christian Nolte
Im Team lernen alle ein neues Miteinander kennen und es entstehe ein
neues Bewusstsein für die Teamstrukturen. Nach seiner Erfahrung be-
deutete die Einstellung von Asperger-Autisten, hochmotivierte Arbeitneh-
mer zu haben, die ihre Meinung offen, direkt und ehrlich sagen. Auch se-
hen sie vieles aus anderen Blickwinkeln. Dies führe insgesamt dazu, dass
Arbeitsergebnisse und –prozesse optimiert werden könnten.
Mitarbeiter einer wissenschaftliche Bibliothek
Laut dem autistischen Bibliotheksmitarbeiter entsprechen einige Tätigkei-
ten in einer Bibliothek dem Fähigkeitenprofil von Autisten. So werden
Fehler, wie falsch stehende Bücher, besonders gut registriert. Auch kön-
nen Bücher schnell gezogen und eingestellt werden.
Die Kollegen beschreiben zudem, dass sie mit ihrem autistischen Kollegen
jemanden erhalten haben, der seine Aufgaben zuverlässig, verantwor-
tungsvoll und korrekt ausführt. Auch würden ihm häufig Fehler auffallen.
Die Zusammenarbeit mit ihm wird als Bereicherung empfunden und er
wird als Kollege geschätzt.
34
4.2.4 Gewinn für autistische Arbeitnehmer
Herr Dirk Müller-Remus
Da Herr Müller-Remus in Kontakt mit vielen langzeitarbeitslosen Autisten
gekommen ist, besteht der Gewinn für einen Autisten zunächst darin, ei-
ner Berufstätigkeit nachgehen zu können. Durch einen offenen und res-
pektvollen Umgang mit dem Autismus könnten Bibliotheken außerdem
ihren autistischen Mitarbeitern die Möglichkeit bieten einem Beruf nach-
zugehen, ohne sich anpassen und verstellen zu müssen. Für viele Tätig-
keiten in einer Bibliothek sind Fähigkeiten nötig, die Menschen mit Au-
tismus häufig automatisch in sich tragen, etwa die Fähigkeit zur Detailer-
kennung.
Dies alles könnte bei den angestellten Autisten dazu beitragen, sich auf
die Stärken zu konzentrieren. Auch bestünde eine positive Auswirkung
auf das Selbstwertgefühl.
Herr Hajo Seng
Bibliotheken könnten Autisten einen Arbeitsplatz bieten, an dem sie ihre
Stärken und Interessen beruflich nutzen könnten.
Herr Prof. Dr. Matthias Dalferth
Bibliotheken könnten Autisten einen Arbeitsplatz bieten, an dem sie ihre
Stärken und Interessen beruflich nutzen könnten.
Herr Christian Nolte
Herr Nolte erhielt bei seinen autistischen Mitarbeitern den Eindruck, dass
sie ihren beruflichen Platz bei Velian gefunden haben und das Gefühl er-
hielten, akzeptiert zu werden. Die berufliche Tätigkeit entspräche dem
Spezialinteresse, so dass die Mitarbeiter hochmotiviert seien. Die positiven
Entwicklungen werden besonders dadurch deutlich, dass sie selbstständi-
ger geworden seien, mehr Lebensfreude ausstrahlen und positive Entwick-
lungen im Privatleben zu verzeichnen hätten.
Mitarbeiter einer wissenschaftliche Bibliothek
Die Kollegen beschreiben, sie hätten ein Vertrauensverhältnis aufgebaut.
35
Da sich ihr autistischer Kollege für die Zusammenarbeit den Umgang mit
Grußformen angeeignete hat, habe er einen Mehrwert aus der Beschäfti-
gung gezogen und profitiere von den sozialen Umgangsformen im Privatle-
ben. Auch vermuten sie, dass er aufgrund der Auseinandersetzung mit
unterschiedlichen Charakteren bei der Arbeit sicherer ist dies auch au-
ßerhalb der Arbeit zu meistern.
Der Kollege selbst beschreibt, die Beschäftigung in der Bibliothek hätte
dazu geführt, dass er wieder Struktur im Tagesablauf habe.
Dadurch könne er seine Freizeit besser nutzen und müsse sich nicht
mehr mit dem Gedanken beschäftigen, sich um einen Job bemühen zu
müssen. Insgesamt habe er an Selbstwertgefühl gewonnen und seine Ni-
sche gefunden.
Er beschreibt: "Seit ich in der Bibliothek arbeite, habe ich nicht mehr das
Gefühl, „neben dem Leben“ zu stehen – ich stehe jetzt IM Leben."
4.2.5 Kommunikation und soziales Miteinander
Herr Dirk Müller-Remus
Bei vielen Autisten seien Defizite im Einführungsvermögen erkennbar.
Auch hätten viele kein Interesse daran Pausen mit Kollegen zu verbringen
oder an Betriebsausflügen teilzunehmen.
Häufig bestehe das Problem, dass Autisten von sich aus dazu neigen, bei
Unklarheiten nicht nachzufragen oder bei Problemen nicht um Hilfe bit-
ten. Dies kann sich sowohl auf die Ausübung von Aufgaben, als auch auf
die soziale Interaktion auswirken und führe dazu, dass sie anfangen sich
zu verstellen und eine nicht-autistische Rolle zu spielen.
Daher sei es wichtig, auf den autistischen Kollegen direkt zuzugehen und
nachzufragen, ob alles in Ordnung sei oder Unterstützung benötigt werde.
Herr Hajo Seng
Da Autisten in ihrer Art häufig anders auf ihre Mitmenschen wirken,
müsse darauf geachtet werden, dass es nicht zu Mobbing oder mobbing-
ähnlichen Situationen komme. Wenn Probleme mit Kollegen oder Vorge-
setzten bestehen, sollten diese frühestmöglich gelöst werden.
36
Herr Prof. Dr. Matthias Dalferth
Herr Prof. Dr. Dalferth beschreibt, dass Autisten häufig Probleme damit
hätten, Gefühle anhand der Mimik und Gestik zu erkennen. Insgesamt
bestehe das Problem, dass Bedürfnisse oder Erwartungen von Kunden
und Kollegen schwer wahrgenommen werden.
Soziale Prozesse innerhalb des Arbeitsumfeldes seien ebenfalls schwer er-
kenn- und durchschaubar. Es bestehe das Risiko von sozialer Überforde-
rungen.
Herr Christian Nolte
Es habe sich schnell gezeigt, dass eine klare und direkte Ansprache wich-
tig sei. Bei bestehenden Problemen, oder wenn etwas stört, sei ein zeitna-
hes und direktes Feedback die richtige Vorgehensweise. Nach einmaligen
Hinweisen, wie etwas besser gemacht werden könnte, werde dies schnell
verinnerlicht. Ein Bewusstsein für die richtige Gesprächslautstärke sei
mitunter nicht vorhanden.
Autistische Mitarbeiter sollten als eigenständige Persönlichkeiten gesehen
und nach ihrer Meinung gefragt werden. Herr Nolte habe die Erfahrung
gemacht, dass es häufig nicht erkannt wird, wenn jemand gerade beschäf-
tigt sei und daher keine Zeit für Fragen habe. Auch bestehe die Möglich-
keit mit zu vielen Detailfragen bombardiert zu werden. Werden angekün-
digte Besprechungen nicht eingehalten führe dies zu Verunsicherungen.
Grundsätzlich eigne sich der Austausch über das Spezialinteresse des au-
tistischen Mitarbeiters, um ins Gespräch mit ihm zu gelangen.
Mitarbeiter einer wissenschaftliche Bibliothek
Der autistische Mitarbeiter beschreibt den Kontakt zu seinen Kollegen als
unproblematisch und sagt aus, dass wenig Small-Talk bestehe.
Seine Kollegen erklärten, dass er zunächst viele soziale Floskeln lernen
musste und viele klärende Gespräche stattgefunden hätten. In diesen hät-
ten sie ihm erläutert, dass seine direkte Art verletzend auf andere wirken
könne und manche Formulierungen oder Dinge nicht so gesagt werden
könnten. Grundsätzlich mussten sich seine Kollegen daran gewöhnen,
dass er mit seinen direkten Äußerungen niemanden verletzen oder belei-
37
digen möchte. Für ihn stellen diese sachliche Hinweise oder Bemerkungen
dar. Generell, besonders war dies während der Einarbeitungsphase nötig,
sei eine eindeutige und klare Wortwahl wichtig.
4.2.6 Probleme im Arbeitsalltag
Herr Dirk Müller-Remus
Herr Müller-Remus beschreibt, Autisten hätten häufig Probleme mit einer
eingeschränkten Flexibilität, Probleme bei kurzfristigen Änderungen und
generelle Kommunikationsprobleme. Auch könnten Reizüberflutungen ein
Problem darstellen, doch stelle die Gestaltung der Arbeitsumgebung
gleichzeitig einen untergeordneter Aspekt dar. Am wichtigsten sei es, dass
sich die autistischen Mitarbeiter von den Kollegen akzeptiert fühlten.
Herr Hajo Seng
Die Gestaltung des Arbeitsplatzes kann ein Problem darstellen, das jedoch
am einfachsten zu lösen sei. Zu beachten sind unterschiedliche Bedürf-
nisse der autistischen Mitarbeiter. Während der eine problemlos in Groß-
raumbüros arbeiten könne, sei für einen anderen bereits die Arbeit zu
zweit in einem Büro eine Belastung. Daher könne diesbezüglich keine all-
gemeine Empfehlung gegeben werden. Die Tendenz zu ruhigen und kon-
zentrationsfördernden Umgebungen sei jedoch vorhanden.
Herr Prof. Dr. Matthias Dalferth
Grundsätzlich seien Veränderungen und Reizüberflutungen ein großes
Problem. Bezüglich des Arbeitsalltags sei für einen autistischen Mitarbei-
ter eine gleichbleibende Tagesgestaltung mit nur einer zu bearbeitenden
Aufgabe zeitgleich wichtig. Es sollte generell wenig Varianz in der Aufga-
benstellung vorhanden sein und auch der Arbeitsplatz solle wenige Ver-
änderungen aufweisen. Die Erwartung an ein gesteigertes Arbeitstempo
und Multitasking, sowie an die Entwicklung eigener Problemlösungsstra-
tegien könne einen autistischen Mitarbeiter überfordern. Auch die Arbeit
in Großraumbüros, die eigenständige Hierarchisierung von Aufgaben so-
wie Schwerpunktsetzungen seien schwer zu bewältigen. Arbeiten ohne
38
klare Anweisungen durchführen zu müssen und Führungsaufgaben zu
übernehmen stellen weitere Probleme im Arbeitsalltag dar.
Mitarbeiter einer wissenschaftliche Bibliothek
Der autistische Mitarbeiter beschreibt, dass er besonders zu Beginn der
Tätigkeit in der Bibliothek Problem mit Reizüberflutungen aufgrund Über-
forderung hatte und dies mitunter zum Abbruch der Tätigkeit an diesem
Tag führte. Dies habe sich inzwischen deutlich verbessert.
Seine Kollegen bestätigen dies und führten an, dass ihr Kollege vor allem
am Anfang für die Durchführung seiner Aufgaben eine klare Struktur ge-
braucht hätte, dies auch jetzt noch von Vorteil sei, er jedoch auch ohne
diese Struktur arbeiten könne. Außerdem wurde erwähnt, dass sie ihm
stets Aufgaben bereitstellen, so dass er gleich mit der Arbeit beginnen
kann wenn er in der Bibliothek eintrifft.
Herr Christian Nolte
Herr Nolte machte die Erfahrung, dass zu viele Aufgaben zeitgleich für
seine autistischen Mitarbeiter überfordernd sein können, insbesondere
wenn die Struktur fehlt. Der Blick sollte darauf gerichtet sein, ob zu viele
Aufgaben gleichzeitig angefangen werden und dadurch die Übersicht ver-
loren gehe. Bei Aufgaben, deren Bearbeitung nicht erfolgreich verläuft
kann der Misserfolg gleichbedeutend mit einer Niederlage sein. Dies könn-
te auch zu der Furcht führen, seine Vorgesetzten oder Kollegen zu enttäu-
schen. Die Erstellung von Tages- und Wochenplänen kann notwendig
sein, ebenso die Einplanung fester Pausenzeiten.
4.2.7 Unterstützung durch einen Job Coach
Herr Dirk Müller-Remus
Da bei Auticon die Mitarbeiter für zeitliche begrenzte Aufträge an andere
Unternehmen vermittelt werden, stellen die Job Coachs dort ein unver-
zichtbares Bindeglied zwischen autistischem Mitarbeiter und Unterneh-
men dar. Herr Müller-Remus ist jedoch der Meinung, dass ein Job Coach
grundsätzlich zur Verfügung stehen sollte. Dies sollte ein externer Coach
und kein Kollege sein, da ansonsten das Risiko bestünde, dass das Autis-
39
ten-Sein in Vergessenheit gerät oder der autistische Kollege doch nicht
genügend Unterstützung erfährt.
Herr Hajo Seng
Ein externer Job Coach könne hauptsächlich in der Einstiegsphase von
Vorteil sein. Im weiteren Verlauf wäre es von Vorteil jemanden aus dem
direkten Arbeitsumfeld, etwa einen Kollege, jemanden vom Personalrat
oder den Schwerbehindertenbeauftragten, als Ansprechpartner zur Seite
zu stellen.
Herr Prof. Dr. Matthias Dalferth
Ein Job Coach sei hilfreich bis unverzichtbar. Die Häufigkeit und Intensi-
tät der Betreuung durch den Coach müsse anhand individuellen Bedarfs
geprüft werden. Grundsätzlich sei ein externer Coach sinnvoll wenn eine
intensive Betreuung nötig ist. Besteht dieser Bedarf nicht, oder nicht
mehr, habe sich der Einsatz eines vorbereiteten Kollegen als Mentor als
erfolgsversprechend erwiesen.
Mitarbeiter einer wissenschaftliche Bibliothek
Der autistische Mitarbeiter hätte sich einen Job Coach in der Anfangszeit
seiner Beschäftigung als hilfreich vorstellen können. Probleme im Bezug
auf die Arbeit wurden mit der Autismustherapeutin besprochen. Inzwi-
schen sei diese Art von Unterstützung für ihn nicht mehr notwendig.
Seine Kollegen sind der Meinung, dass ein Job Coach nicht hilfreich gewe-
sen wäre. Zu Beginn der Zusammenarbeit wurden sie von der Therapeutin
über die autismusspezifischen Besonderheiten aufgeklärt. Weitere Unter-
stützung sei nicht nötig gewesen, da beide Seiten sich aneinander gewöh-
nen und aufeinander zugehen mussten.
Herr Christian Nolte
Velian verfügt zwar über einen Kommunikations- und Strategiecoach, der
das Unternehmen in grundsätzlichen Fragen berät, dieser ist jedoch nicht
mit einem Job Coach für autistische Mitarbeiter vergleichbar. Als der erste
autistische Mitarbeiter vor drei Jahren bei Velian anfing, hatte er zwar sei-
40
tens seiner betreuenden Einrichtung eine begleitende Person, diese war
jedoch schnell nicht mehr nötig, so dass gar keine Betreuung mehr be-
stand. Dies führte dazu, dass Herr Nolte stets der direkte Ansprechpart-
ner für seinen Mitarbeiter war, was viel Zeit in Anspruch nahm. Eine Per-
son, die zur Entlastung hätte beitragen können, wäre sinnvoll gewesen.
Bei dem zweiten autistischen Mitarbeiter ist eine Betreuung anwesend
und gibt ihm Sicherheit. Insgesamt betrachtet würde Herr Nolte eine An-
sprechperson, die das Team entlastet, als hilfreich einschätzen.
4.2.8 Unterstützung durch einen Leitfaden
Herr Dirk Müller-Remus
Während des Interviews führte Herr Müller-Remus an, dass viele autisti-
sche Mitarbeiter Probleme bezüglich der Wahl von Anreden und Gruß-
formen in E-Mails hätten und diesbezüglich Unterstützung bräuchten.
Erst durch diese Aussage entwickelte sich im Nachhinein die Überlegung,
ob Bibliotheken autistischen Mitarbeitern mit einem Leitfaden eine Unter-
stützung in bestimmten sozialen Bereichen bieten könnten. Daher wurde
Herrn Müller-Remus die Frage nach der Sinnhaftigkeit eines Leitfadens
nicht gestellt.
Herr Hajo Seng
Herr Seng sieht die Entwicklung eines Leitfadens als sinnvoll und ist der
Ansicht, dass so etwas bisher noch nicht vorhanden sei.
Mögliche Inhalte für den Leitfaden könnten die Anreden in E-Mails und
eine Orientierung über den Umfang eigener Kompetenzen und Entschei-
dungsfreiheiten darstellen. Auch eine Orientierungshilfe, wie man sich
gegenüber bestimmten Personen oder Personengruppen verhalten soll,
wäre hilfreich.
Herr Prof. Dr. Matthias Dalferth
Grundsätzlich hält Herr Prof. Dr. Dalferth den Einsatz eines Leitfadens für
denkbar. Das Problem bestehe jedoch darin, dass ein solcher nicht alle
notwendigen Aspekte bezüglich des sozialen Miteinanders abdecken kön-
ne und nur eine begrenzte Hilfsmöglichkeit biete.
41
Mitarbeiter einer wissenschaftliche Bibliothek
Die Kollegen des autistischen Mitarbeiters hätten einen Leitfaden nicht für
hilfreich erachtet. Im Gegensatz dazu hätte sich ihr Kollege einen Leitfa-
den gewünscht, da er insbesondere mit ungeschriebenen sozialen Regeln
manchmal Probleme habe und ihm diesbezüglich eine Orientierung hätte
geboten werden können.
Herr Christian Nolte
Ein Leitfaden sowohl für den autistischen Mitarbeiter, als auch für die
Kollegen wäre sinnvoll. Der Leitfaden könnte Hinweise für das Telefonge-
spräch oder das Verfassen von E-Mails enthalten. Im Nachhinein habe
Herr Nolte festgestellt, dass er seinen Mitarbeitern wenig von dem mitge-
geben habe, was er als direkte Ansprechperson für die autistischen Mitar-
beiter gelernt hat. Daher würde ein Leitfaden für alle anderen Mitarbeiter
sinnvoll sein, damit auch die Kollegen wissen worauf sie achten müssen
und wie sie sich in bestimmten Fällen verhalten sollen.
4.3 Fazit
Die Experteninterviews und Fragebögen verdeutlichen eine gewisse Homo-
genität der Menschen innerhalb des Spektrums, da sich aufgrund der
Aussagen acht Kernkategorien im Hinblick auf die Berufstätigkeit von Au-
tisten ableiten ließen. Dies ist besonders vor dem Hintergrund bedeutend,
als dass die Befragten zwar alle einen Bezug zum Thema Autismus auf-
wiesen, dieser aber unterschiedlicher Natur war und vom beruflichen
Kontext, zu autistischen Angestellten bis zum eigenen Autismus reichte.
Innerhalb der identifizierten Kategorien deckten sich einige Aussagen mit
den Aussagen anderer Befragter, während es zu einigen Aspekten unter-
schiedliche Meinungen gab. Diese Ergebnisse machen deutlich, dass die
Entwicklung und Anwendung von Handlungsempfehlungen Grenzen auf-
weist und stets der persönliche Austausch mit dem autistischen Beschäf-
tigten gesucht werden muss.
42
5. Handlungsempfehlungen
Die dargestellten Handlungsempfehlungen können aufgrund der Vielsei-
tigkeit von Stärken, Defiziten und Interessen autistischer Personen nur
eine generelle Orientierung im Umgang mit autistischen Bibliotheksmitar-
beitern bieten. Grundsätzlich gilt, dass der Austausch mit der betreffen-
den Mitarbeiterinnen oder dem betreffenden Mitarbeiter gesucht werden
und gemeinsam geprüft werden sollte, welche Bedürfnisse bestehen und
was im Miteinander hilfreich sein kann.
5.1 Generelle Hinweise
Ein Autist sollte niemals belogen werden, da er mit Unehrlichkeit nicht
umgehen kann und selbst stets ehrlich sein wird.
Manche Autisten haben bereits zu Schulzeiten Erfahrungen mit Mobbing
gemacht und dieses auch in späteren Berufen erfahren. Die Erfahrungen
hinterlassen ein geringes Selbstwertgefühl, das erst langsam aufgebaut
werden muss. Wird beobachtet, dass ein autistischer Mitarbeiter in mob-
bingähnliche Situationen verwickelt wird, ist die unverzügliche Unterstüt-
zung durch andere Kollegen oder Vorgesetzten geboten, da Autisten sich
in der Regel nicht selbst aus solchen Situationen befreien können.
Falls der autistische Mitarbeiter aufgrund von Missverständnissen (Ironie,
Doppeldeutigkeiten, Sprichwörtern) eine Aufgabe falsch durchführt, sollte
sich niemand über ihn lustig machen oder ihn mit Vorwürfen konfrontie-
ren. Stattdessen sollte der Person sachlich erklärt werden, was falsch ver-
standen wurde und wie es gemeint war.
Es ist davon auszugehen, dass der Mitarbeiter die Tätigkeit in der besten
Absicht und in aller Gründlichkeit durchgeführt hat und Fehler nicht be-
absichtigt waren. Vorwürfe und Scherze wegen Missverständnissen kön-
nen dem Selbstwertgefühl einen schweren Schaden zufügen und die
Furcht vor neuen Fehlern verstärken.
Es bietet sich generell an, mit dem autistischen Beschäftigen festzuhalten
worin die Stärken und Defizite sowie mögliche Lösungen liegen. Eine Ori-
entierung hierfür, bietet die Broschüre "Autistische Menschen am Ar-
beitsplatz" von autWorker (vgl. AutWorker 2014).
43
5.2 Geeignete Tätigkeitsbereiche
Bibliotheken können für Autisten an unterschiedlichsten Stellen geeignete
Tätigkeiten bieten. Die klassischen Aufgaben sind in der Arbeit mit Bü-
chern und anderen Medien zu verorten. Hierzu zählt das Ziehen und Ein-
stellen von Büchern, Regalkontrollen, Buchbearbeitungen und der Zeit-
schriftenumlauf. Da Autisten gerne Sammeln, Katalogisieren, Indexieren
oder Klassifizieren eignet sich auch die Akquisition als möglicher Arbeits-
bereich um Medien zu bestellen und die formale wie inhaltliche Erschlie-
ßung durchzuführen. Bei der Bestellung von Medien sollte jedoch darauf
geachtet werden, dass Listen mit Medien zur Verfügung stehen, die be-
stellt werden sollen. Ansonsten könnte die selbstständige Auswahl von zu
bestellenden Medien zu einer Überforderung führen.
Auch die Beschäftigung mit Tabellen, Daten und Statistiken könnten Tä-
tigkeitsfehlder für Autisten darstellen.
Weiterhin haben viele Autisten mitunter die Neigung zu Tätigkeiten im IT-
Bereich. Insbesondere seit Bibliotheken sich immer mehr den informati-
onstechnologischen Herausforderungen stellen müssen, könnten Autisten
in diesen Bereichen erfolgreich eingesetzt werden. Zu nennen sei die Ar-
beit mit Bibliothekskatalogen, Datenbanken, Bibliothekssystemen oder
der Website. Aufgrund der Fähigkeit zur Mustererkennen könnten zukünf-
tige Big Data-Projekte, beispielsweise im Zuge der Langzeitarchivierung,
gute Tätigkeitsbereiche für Autisten darstellen.
5.3 Ungeeignete Tätigkeitsbereiche
Ob ein Tätigkeitsbereich für einen Autisten ungeeignet ist, sollte im direk-
ten Austausch mit dem Autisten, ggf. nach Probearbeiten, besprochen
werden.
Prinzipiell sollten Führungsaufgaben, Aufgaben bei denen der autistische
Mitarbeiter selbstständige Entscheidungen über Arbeitsprozesse treffen
muss oder eine leitende Rolle im Projektmanagement innehat mit Abstand
betrachtet werden.
Tätigkeiten im Publikumsverkehr könnten für Menschen aus dem autisti-
schen Spektrum ungeeignet sein, da sie mitunter zu sozialen Überforde-
44
rungen führen. Individuell könnte jedoch auch die Vorliebe zum Kunden-
kontakt bestehen, da autistische Arbeitnehmer über ein reichhaltiges
Wissen bezüglich ihrer Arbeit verfügen werden und bei Literaturrecher-
chen helfen könnten. Sofern Auskunftstätigkeiten nicht für den autisti-
schen Mitarbeiter geeignet sind, könnte auch an der Ausleihe gearbeitet
werden, wenn dies getrennt von der Auskunft stattfindet.
Wird der Mitarbeiter im direkten Publikumsverkehr eingesetzt, sollte da-
rauf geachtet werden zwischendurch Pausen vorzugeben oder andere Tä-
tigkeiten ohne Publikumsverkehr als Ausgleich zu bieten.
Sofern die Bibliothek Nutzeranfragen per E-Mail beantwortet, könnte auch
dies von autistischen Mitarbeitern durchgeführt werden, da die Anforde-
rungen an soziale Kompetenzen nicht so hoch sind wie im direkten Kon-
takt. Ob Chat-Beratungen sinnvoll sind gilt individuell zu prüfen.
5.4 Leitfaden und Job Coach
Ein Job Coach sollte, je nach individuellem Austausch mit dem Mitarbei-
ter, insbesondere bei einer Neubeschäftigung als Ansprechperson zur Sei-
te stehen. Sofern der Betreuungsaufwand zu Beginn noch sehr hoch ist,
oder auch im weiteren Verlauf eine regelmäßige Betreuung nötig ist, bietet
sich ein externer Coach an.
Grundsätzlich bietet die Vorbereitung einer Kollegin oder eines Kollegen
auf die Aufgabe als interner Coach, bzw. Mentor zwei positive Aspekte.
Zum einen ist dieser Mentor direkt in die Abläufe der Bibliothek involviert
und kann dem autistischen Kollegen umso mehr "Insiderinformationen"
zukommen lassen. Zum anderen hat der autistische Mitarbeiter einen di-
rekten Ansprechpartner im Team und kann so besser in bibliotheksinter-
ne Themen eingebunden und integriert werden, als es mit einem externen
Coach der Fall wäre.
Die Erstellung eines Leitfadens mit Hilfestellungen zu Grußformen in E-
Mails, Verabschiedungen in Telefonaten, Unternehmenskulturellen Be-
sonderheiten, die sonst nirgendwo festgehalten werden und Ansprech-
partner für unterschiedliche Themengebiete ist grundsätzlich sinnvoll.
45
Hilfreich wäre auch eine Übersicht über die eigenen Kompetenzen und
Grenzen zu erstellen. Hier muss jedoch geprüft werden, welche Tätigkeiten
der Mitarbeiter ausführt und ob sich diese Frage überhaupt stellt.
Falls es sich bei der Bibliothek um eine große Bibliothek mit unterschied-
lichen Abteilungen handelt, kann geprüft werden ob in dem Leitfaden Ori-
entierungen zum Umgang mit unterschiedlichen Personengruppen, bei-
spielsweise Professoren oder Nutzern, gegeben werden kann.
Empfehlenswert ist die Erstellung eines Leitfadens als Orientierung für die
anderen Kollegen. Sofern noch keine Berührungspunkte mit einem Autis-
ten bestanden, kann dieser Leitfaden hilfreich sein um grundsätzliche
Fragen oder Befürchtungen zu klären. Mögliche Inhalte sind unter Punkt
5.1. genannten Generellen Hinweise und die Ausführungen unter Punkt
5.5 Kommunikation und soziale Interaktion.
5.5 Kommunikation und soziale Interaktion
Die meisten Autisten haben kein gutes Gefühl für soziale Regeln. Daher
wissen sie nicht welche Erwartungen an sie gestellt werden, wie sie sich in
einem Gespräch verhalten sollen und wie man ein wechselseitiges Ge-
spräch führt. Es kann sein, dass ein autistischer Beschäftigter kaum
spricht, sobald es um das Spezialinteresse geht aber in einen Monolog fällt
und nicht merkt, dass dieser nicht gewünscht ist.
Generell ist eine klare, direkte und eindeutige Kommunikation mit Autis-
ten zu empfehlen.
Da viele Autisten anderen nicht zur Last fallen und unangenehm auffallen
wollen, kann es sein, dass Probleme nicht angesprochen werden. Daher
sollte besonders zu Beginn der Tätigkeit darauf geachtet werden, ob der
Mitarbeiter Unterstützung benötigt.
5.5.1 Autistischer Bewerber
Bewirbt sich eine Person aus dem autistischen Spektrum um eine Anstel-
lung, oder erzählt während eines Vorstellungsgesprächs, er sei Autist,
sollte offen und möglichst ohne Vorbehalte, Erwartungen oder Befürch-
46
tungen damit umgegangen werden. Bewerberinnen und Bewerber, die
keinen autistischen Eindruck erwecken sollten ernst genommen und die
Diagnose nicht angezweifelt werden.
Es sollte ein Austausch darüber stattfinden, was der Autismus für die be-
treffende Person bedeutet, welche Probleme (siehe Kapitel zwei) besonders
relevant sind und wo die Stärken gesehen werden.
Wird der vorliegende Autismus bereits in der Bewerbung erwähnt, gilt es
den Personalrat und die Schwerbehindertenvertretung zu dem Vorstel-
lungsgespräch hinzuzuziehen. Hat der Bewerber eine betreuende Person,
sollte diese auf Wunsch des Bewerbers ebenfalls bei dem Vorstellungsge-
spräch anwesend sein.
5.5.1 Autistische Mitarbeiter / Kollegen
Autisten führen nicht gerne Small-Talk. Für sie stellt dies uninteressante
Informationen da und sie wissen mitunter nicht, wie sie auf Grundlage
dieser Themen ein Gespräch führen sollen. Um mit einem Autisten in
Kontakt zu kommen eignet sich ein Gespräch über das Spezialinteresse,
doch sollte man darauf vorbereitet sein, dass dies in einen Monolog des
Kollegen übergehen und man selbst nicht genügend Wissen darüber vor-
weisen kann.
Häufig besteht in Bibliotheken die Mentalität Pausen mit Kollegen zu ver-
bringen. Sofern der autistische Kollege seine Pausen alleine verbringen
möchte, ist dies kein Zeichen von Ablehnung. Pausen stellen für Autisten
unstrukturierte Zeiten dar, in denen sie sich vielleicht eigene Routinen
geschaffen haben um diese Zeit als Erholung zu nutzen. Gemeinsames
Essen mit Kollegen stellt den autistischen Kollegen vor die Herausforde-
rung nicht zu wissen, welche sozialen Erwartungen herrschen. Grund-
sätzlich zeigt es dem autistischen Kollegen jedoch, dass er im Team ge-
schätzt wird und Interesse an seiner Gesellschaft besteht wenn dennoch
hin und wieder gefragt wird, ob die Pause gemeinsam verbracht werden
soll. Idealerweise wird in diesem Zusammenhang mitgeteilt, dass es ver-
standen wird, wenn das Angebot nicht angenommen wird.
47
Finden Aktivitäten außerhalb der normalen Arbeitssituation statt, bei-
spielsweise eine Weihnachtsfeier, kann Menschen aus dem autistischen
Spektrum entweder freigestellt werden, ob sie kommen möchten, oder es
sollte ihnen Hilfe bezüglich der sozialen Erwartungen angeboten werden.
Allein die Frage nach der richtigen Kleidung, wie lange man da bleiben
muss und wie man mit unbekannten Kollegen umgeht kann einen Autis-
ten ohne Hilfestellung überfordern. Grundsätzlich ist es zu empfehlen,
dass während solcher Veranstaltungen ein vertrauter Kollege Begleit-,
oder zumindest als Ansprechperson, zur Seite steht.
Viele Autisten verfügen über eine sehr klare visuelle Vorstellungskraft. Da
sie vieles wörtlich verstehen, können manche Sprichwörter oder Redensar-
ten auch so aufgefasst und zu negativen bildlichen Vorstellungen führen.
So kann es passieren, dass ein Autist blankes Entsetzen verspürt, wenn
ein Kollege ihm mitteilt, ihm würde wegen Kopfschmerzen der Kopf plat-
zen. In solchen Momenten ist ein sensibler Umgang mit den autistischen
Kollegen geboten um das Bewusstsein zu vermitteln, dass alles in Ord-
nung ist.
5.6 Strukturierungshilfen
Autistische Mitarbeiter sollten besonders zu Beginn der Tätigkeit nicht mit
ihren Aufgaben alleine gelassen werden. Für einige Autisten ist die dauer-
hafte Erstellung von Tages- und Wochenplänen hilfreich. Andere brau-
chen diese überhaupt nicht.
Anhang 14 und 15 geben Beispiele wie ein Tagesplan Mithilfe eines Onli-
ne-Systems aussehen kann. In diesem Fall kann der Plan online erstellt
und für den jeweiligen Tag auf eine App übertragen werden. Dies hätte
den Vorteil, dass der autistische Mitarbeiter mittels Smartphone oder
Tablet stets über Benachrichtigungen darin erinnert wird, wenn Pausen
gemacht werden sollen oder ein Tätigkeitenwechsel ansteht.
5.7 Veränderungen
Schon die kleinste Veränderung kann bei Autisten zu großer Angst führen
und im schlimmsten Fall für diesen Tag zu Arbeitsausfällen. Es gibt zwar
Autisten die mit Veränderungen gut umgehen können, doch sollte dies
48
nicht vorausgesetzt werden. Daher sollte bei anstehenden Veränderungen
so früh wie möglich eine Information an den autistischen Mitarbeiter her-
ausgehen. Auf einer sachlich-informativen Ebene sollten ihm die zu erwar-
tenden Veränderungen erläutert werden. Sofern es Veränderungen sind,
die Mithilfe visueller Darstellungen erläutert werden können, stellt dies
bei Autisten einen guten Zugangsweg dar.
Falls nicht schon solche Maßnahmen durchgeführt werden, stellt die Be-
schäftigung eines autistischen Mitarbeiters einen optimalen Zeitpunkt dar
um die grundsätzliche Einführung von Change-Management in der Biblio-
thek anzugehen.
Fallen plötzliche, nicht vorhersehbare Veränderungen im Tagesablauf an,
sollte es ernst genommen werden, wenn der autistische Mitarbeiter sich
kurzzeitig zurücknehmen und erholen muss. Je nach individueller Aus-
prägung, kann eine Veränderung dazu führen, dass die Struktur und Si-
cherheit soweit zusammenbricht, dass es zu einer Reizüberflutung führt.
49
6. Schlussbetrachtung
Die vorliegende Arbeit zeigt, dass Menschen aus dem autistischen Spekt-
rum gemeinsame Grundproblematiken aufweisen die letzten Endes zu ei-
ner solchen Diagnose geführt haben. Zugleich wird jedoch deutlich, dass
jeder Mensch in diesem Spektrum ein Individuum mit unterschiedlich
starken Ausprägungen der autistischen Besonderheiten darstellt.
Dies bezieht sich nicht nur auf bestehende Defizite, sondern auch auf In-
teressen und Stärken und nahm auch Einfluss auf die Entwicklung der
Handlungsempfehlungen.
Mit den dargestellten Handlungsempfehlungen wurde versucht weit mög-
lichst allgemeinen Bedürfnissen und Anforderungen zu entsprechen, um
Führungskräfte, Kollegen und autistischen Mitarbeitern einer Bibliothek
das Miteinander zu erleichtern.
Die Anforderungen an die Entwicklung von Handlungsempfehlungen, die
"allgemeine Bedürfnisse und Anforderungen" für den Umgang mit Men-
schen innerhalb eines Spektrums erfüllen können, sind es jedoch, die die-
sen Empfehlungen die eigenen Grenzen setzen.
Jede Führungskraft und jeder Mitarbeiter wird daher vor die Verantwor-
tung gestellt, die Empfehlungen nicht als allgemeingültig zu sehen, son-
dern als Orientierung für das berufliche und soziale Miteinander mit ei-
nem autistischen Beschäftigten. Da es sich bei jedem autistischen Men-
schen um ein Individuum handelt, führt dies dazu, dass die hier entwi-
ckelten Handlungsempfehlungen vielleicht eine optimale Hilfe für den
Umgang mit dem einem bieten können, im Umgang mit einem anderen
jedoch stark an den jeweiligen Menschen angepasst werden müssen.
Dies stellt den Bereich dar, in dem die Autisten selbst für sich eintreten
und offen mit den Vorgesetzten oder Kollegen über ihre Defizite, aber auch
über Stärken und mögliche Hilfestellungen in den Austausch treten müs-
sen. Hinsichtlich autistischer Beschäftigter in Bibliotheken hätte dies be-
reits zu früheren Zeiten Sinn gemacht. Die im dritten Kapitel dargestellten
Ergebnisse bezüglich autistischer Mitarbeiter in Bibliotheken zeigen, dass
50
das Thema nicht erst relevant wird. Die Relevanz ist bereits da, denn es
arbeiten schon jetzt Autisten in Bibliotheken.
Zudem werden Bibliotheken in der Literatur, von anderen Autisten oder
von BBWs als geeignete Berufsfelder empfohlen.
Die Handlungsempfehlungen zeigen zwar, dass bei der Beschäftigung mit
Menschen aus dem autistischen Spektrum auf diverse Aspekte geachtet
werden muss. Gleichzeitig wurde in den Experteninterviews und den vor-
gestellten Beschäftigten in Kapitel drei deutlich, dass trotz aller Probleme
und Anstrengungen das berufliche Miteinander mit einem Autisten als
bereichernde Erfahrung gesehen wird.
Autisten verfügen über andere Problemlösungsstrategien. Sie nehmen ihre
Arbeitsumgebung auf eine andere Art wahr und sehen mit einem neuen
Blickwinkel auf die Dinge als nicht-autistische Beschäftigte.
Besonders in unserem heutigen Zeitalter, mit ständig wandelnden infor-
mationstechnologischen Entwicklungen und veränderten Nutzererwartun-
gen, stehen Bibliotheken immer wieder vor der Herausforderung, andere
Blickwinkel einzunehmen und neue Wege zu gehen.
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Schwartz 2013
SCHWARTZ, Adam: Ten things I like about working in a libray. URL
http://www.autismspectrumconnection.com/blogs/itsaboutme/ten_thing
s_i_like_about_working_in_a_library. – Aktualisierungsdatum: 2013-08-31
– Überprüfungsdatum 2014-08-12
Seng 2013
SENG, Hajo: Ist das Asperger-Syndrom eine Krankheit? In: Tebartz van
Elst, Ludger; BISCALDI-SCHÄFER, Monica (Hrsg.): Das Asperger-Syndrom im
Erwachsenenalter und andere hochfunktionale Autismus-Spektrum-
Störungen. Berlin : Med.-Wiss. Verl.-Ges, 2013, S. 89–94
Smith / Belcher / Juhrs 2000
SMITH, Marcia Datlow ; BELCHER, Ronald G. ; JUHRS, Patricia D.: A guide to
successful employment for individuals with autism. 2. Aufl. Baltimore, Md :
Brookes Publishing Co., 2000
Specialisterne 2014
Specialisterne: Über Specialisterne. URL
http://de.specialisterne.com/ueber-specialisterne/. – Aktualisierungsda-
tum: 2014 – Überprüfungsdatum 2014-08-12
Steindal 2011
STEINDAL, Karin: Das Asperger-Syndrom : Wie man Personen mit Asperger-
Syndrom und autistische Personen mit hohem Entwicklungsniveau ("high
function autism" versteht und wie man ihnen hilft. 11. unver. Aufl. Ham-
burg : autismus Deutschland e.V., 2011
Sünkel 2013
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Tauber 2013
TAUBER, Andre: SAP macht Autisten zu IT-Experten : Der Softwarekonzern
strebt bis zum Jahr 2020 eine Quote von einem Prozent an. In: Die Welt
2013 (2013-05-22), Nr. 116, S. 11
Vogeley 2012
VOGELEY, Kai: Anders sein : Asperger-Syndrom und Hochfunktionaler Au-
tismus im Erwachsenenalter - Ein Ratgeber. 1. Auflage. Weinheim, Basel :
Beltz Verlag, 2012
Wing 2002
WING, Lorna: The autistic spectrum : A guide for parents and professionals.
New, updated ed. London : Robinson, 2002
59
Anhang 1: Leitfaden zum Interview mit Dirk Müller-Remus
1. Gab es nach der Gründung von Auticon und durch die Zusammenarbeit
mit Menschen aus dem autistischen Spektrum bestimmte Ereignisse,
Probleme oder positive Begebenheiten, die Sie überrascht haben und wo-
mit Sie nicht gerechnet hätten?
2. Auf der Website von Auticon werden Stärken autistischer Menschen
genannt, die sich viele Arbeitgeber bei ihren Mitarbeitern wünschen wür-
den.
Worin sehen Sie die größten Probleme im Arbeitsalltag, die einen Autisten
in der Auslebung dieser Stärken negativ beeinflussen und bei der Arbeit
einschränken?
3. Wie haben Sie das Thema der räumlichen Gestaltung, z.B. im Hinblick auf
eine reizarme Umgebung, an den unterschiedlichen Auticon-Standorten
gelöst?
Gibt es beispielsweise interne Richtlinien, etwa zur Helligkeit des Lichts?
Im Folgenden beziehe ich mich auf ein Arbeitsumfeld mit Nicht-
Autistischen Vorgesetzten und Kollegen, etwa in einer Bibliothek.
1. Welche Empfehlungen haben Sie generell im Hinblick auf die räumliche
Gestaltung des Arbeitsumfeldes für Menschen im autistischen Spektrum?
Insbesondere, wenn sich mehrere Menschen einen Arbeitsbereich, bzw.
ein Büro teilen müssen.
2. Wie schätzen Sie die Offenheit und Bereitschaft von Arbeitgebern bezüg-
lich der Beschäftigung autistischer Mitarbeiter in Unterneh-
men/öffentlichen Einrichtungen ein?
60
3. Insbesondere in Internetforen wird häufig erwähnt, viele Betroffene wür-
den ihren Arbeitgeber aus Furcht vor Vorurteilen nicht über ihre Autis-
mus-Diagnose aufklären.
Halten Sie einen offenen Umgang mit dieser Thematik am Arbeitsplatz
grundsätzlich für wichtig? Warum / Warum nicht?
4. Die Genossenschaft autWorker bietet unter anderem Mitarbeiterfortbil-
dungen an, um über das autistische Spektrum aufzuklären.
Wie bedeutsam halten Sie solch eine Fortbildung für Unterneh-
men/öffentliche Einrichtungen, insbesondere wenn es dort bereits einen
autistischen Mitarbeiter gibt?
5. Inwiefern halten Sie den Austausch über Stärken und Defizite zwischen
Arbeitgeber und Arbeitnehmer, ggf. auch unter Kollegen, für wichtig?
6. Bei Auticon gibt es Job-Coachs als Bindeglied zwischen den Consultants
und Kunden.
Würden Sie in einem Unternehmen/einer öffentlichen Einrichtung einen
Kollegen, der in Form eines Autismusbegleiters als Ansprechperson zur
Verfügung stehen kann, als sinnvoll einschätzen? Warum / Warum nicht?
7. Was könnte einem Arbeitnehmer aus dem autistischen Spektrum, der
nicht in einem geschützten und auf Autisten ausgerichteten Umfeld arbei-
tet, noch helfen?
8. Haben Sie noch weitere Anregungen, die in den bisherigen Fragen keine
Berücksichtigung fanden?
61
Anhang 2: Interview mit Dirk Müller-Remus
Anhand von Leitfragen wurde Dirk Müller-Remus, Gründer des IT-
Unternehmens "Auticon", interviewt.
"Auticon" beschäftigt Menschen aus dem autistischen Spektrum, vermittelt
sie als Consultants für zeitlich begrenzte Aufträge in andere Unternehmen
und hat als erstes deutsches Unternehmen dieser Art hohen Bekanntheits-
grad in der Branche erzielt.
Herr Müller-Remus berichtet, er und seine Frau, durch einen autistischen
Sohn mit persönlichem Bezug zum Autismus, hätten 2008 das erste Mal
die Idee ein Unternehmen wie Auticon zu gründen.
Nach Kontaktaufnahme mit Thorkil Sonne, Gründer des Unternehmens
Specialisterne in Dänemark4, fuhr Herr Müller-Remus ab 2009 mehrmals
zwecks Erfahrungsaustauschs nach Dänemark.
Die Initialzündung für die Gründung Auticons war jedoch das Treffen ei-
ner Selbsthilfegruppe in 2010, bei dem zwanzig bis fünfundzwanzig Autis-
ten von ihrem beruflichen Werdegang erzählten und deutlich wurde: Ob-
wohl diese gute Ausbildungen vorweisen konnten, waren sie dennoch ar-
beitslos.
In der Folgezeit lernte Herr Müller-Remus viele Autisten kennen, so auch
Sebastian Dern, Mitglied in der Selbsthilfeorganisation Aspies e.V.. Dieser
unterstützte ihn unter autistischen Gesichtspunkten bei der Gestaltung
des Auticon-Konzepts. Ergänzend hatte auch der Kontakt zur Freien Uni-
versität Berlin5 einen unterstützenden Charakter. Dies führte dazu, dass
Herr Müller-Remus 2011 die Arbeit mit Auticon beginnen konnte.
Während seiner Zusammenarbeit mit Autisten merkte er, dass die in der
Literatur beschriebenen Stärken autistischer Menschen auch auf die Rea-
lität zutrafen. Einige würden die Erwartungen sogar noch "übererfüllen"
und Stärken aufweisen, die "viel schillernder und noch viel vielfältiger"
4 Specialisterne ist ein in Dänemark gegründetes IT-Unternehmen mit autistischen Beschäftigten. Es gilt als
Vorreiter für dieses Unternehmensmodell und verfügt über internationale Standorte (vgl. Specialisterne 2014) 5 Diese bietet unter anderem eine Autismus-Sprechstunde an
62
und stärker ausgeprägt waren, als man es erwarten würde. Als mögliche
Stärken nennt Herr Müller-Remus die ausgeprägte Fähigkeit zur Muster-
erkennung, eine ausgeprägte Fähigkeit zur Detailerkennung und ein ana-
lytisch-logisches Denkvermögen. Zudem würden Autisten sorgfältig, ge-
nau, gewissenhaft und konzentriert arbeiten. Mögliche Probleme sind eine
eingeschränkte Flexibilität, Probleme bei einer kurzfristigen Änderung von
Tagesordnungspunkten und Reizüberflutungen. In der sozialen Interakti-
on wurden grundsätzliche Kommunikationsprobleme und Defizite im Ein-
führungsvermögen angeführt.
Durch die Zusammenarbeit mit Autisten bildete sich bei Herrn Müller-
Remus schnell das Bewusstsein, dass es nicht "DIE Autisten gibt und
auch nicht DIE Asperger-Autisten und auch nicht DIE hochbegabten Au-
tisten, sondern es ist wirklich von Mensch zu Mensch ganz und gar unter-
schiedlich ausgeprägt". Dies führt dazu, dass jeder Autist als ein Indivi-
duum verstanden werden und mit jedem Autisten ein individueller Weg
gegangen werden muss.
Im Hinblick auf Auticon erzählt Herr Müller-Remus, dass 95 Prozent der
dort beschäftigen zuvor langzeitarbeitslos waren. Aufgrund dessen und,
weil das Leben vieler Autisten häufig von negativem Feedback geprägt
war, bestünde bei vielen ein geringes Selbstwertgefühl. Daher ist es zu-
nächst Aufgabe, den autistischen Mitarbeitern das Bewusstsein zu vermit-
teln, dass sie akzeptiert werden wie sie sind und nicht versuchen müssen
wie ein Nicht-Autist zu funktionieren.
Die Gestaltung der Arbeitsumgebung sieht Herr Müller-Remus als einen
untergeordneten Aspekt. Zwar sollte, um das Problem der Reizüberflutung
zu verringern, die Arbeitsumgebung optisch, akustisch und geruchsmäßig
möglichst reizarm gestaltet sein, doch hat Herr Müller-Remus folgende
Erfahrung gemacht: Da die autistischen Mitarbeiter bei Auticon für zeit-
lich begrenzte Aufträge an externe Unternehmen vermittelt werden, müs-
sen sie sich häufig mit Arbeitsumgebungen arrangieren, die nicht immer
reizarm sind. Dies stellte bisher noch keinen Grund dar, warum ein Con-
63
sultant die Tätigkeit in einem solchen Unternehmen nicht durchführen
konnte.
Wichtiger sei es, dass sich die Mitarbeiter an ihrem Arbeitsplatz aufge-
nommen fühlen und das soziale Miteinander stimmt.
Herr Müller-Remus führt an, dass die ihm bekannten Auftraggeber ve-
rantwortungsvoll und sensibel mit diesem Thema umgingen und es akzep-
tiert wird, wenn der autistische Mitarbeiter kein Interesse an gemeinsa-
men Pausen oder Betriebsausflügen hat.
Hinsichtlich der allgemeinen Offenheit und Bereitschaft von Arbeitgebern,
Menschen aus dem autistischen Spektrum zu beschäftigen sieht Herr
Müller-Remus die Verantwortung diesbezüglich nicht nur bei den Arbeit-
gebern, sondern auch bei den Autisten selbst.
Viele Autisten haben in ihrer beruflichen Laufbahn versucht sich anzu-
passen und die autistischen Eigenschaften zu verstecken.
Deshalb sei es in der Verantwortung der Autisten, offen mit dem Autist-
Sein umzugehen und dies dem Vorgesetzten mitzuteilen.
Nur indem ein Vorgesetzter weiß, dass sein Mitarbeiter Autist ist, besteht
überhaupt die Chance auf Probleme einzugehen.
In vielen Fällen weiß ein Arbeitgeber oder Vorgesetzter nur wenig über Au-
tismus, besonders das autistische Spektrum ist häufig eine Unbekannte.
Deshalb sollte ein autistischer Mitarbeiter nicht nur offen mit dem Autis-
mus umgehen, sondern auch auf Bedürfnisse und Lösungsmöglichkeiten
eingehen (bspw. klare, direkte Ansprache, reizarme Umgebung).
Indem das Gegenüber des autistischen Mitarbeiters weiß, worum es geht,
kann es sich darauf einstellen und sich bei Bedarf weiter über dieses
Thema informieren.
Herr Müller-Remus spricht sich jedoch nicht nur für einen offenen Um-
gang mit dem Autismus aus, sondern beschreibt, dass die Autisten sich
mehr auf ihre Stärken konzentrieren sollten.
64
Das Problem hierbei sei, dass viele Autisten nicht wüssten worin ihre
Stärken liegen. Auch sei vielen nicht klar, dass ihre ausgeprägten Spezial-
interessen eine Leidenschaft darstellen, die als berufliche Stärke genutzt
werden kann, so dass das Bewusstsein dafür geschaffen werden muss.
Dies könne durch Fähigkeiten-Workshops geschehen wie sie von der Ge-
nossenschaft autWorker angeboten werden.
Im Bezug auf Mitarbeiterfortbildungen zum Thema Autismus sieht Herr
Müller-Remus das Problem, dass dies als Pflichtveranstaltung aufgefasst
werden könnte und Desinteresse seitens der Mitarbeiter besteht.
Hinzu kommt, dass solch eine Fortbildung nur grundlegendes Wissen
über Autismus vermitteln kann.
In der Zusammenarbeit hilft dies jedoch nur wenig, da der autistische
Mitarbeiter seine individuellen Stärken, Schwächen und Probleme hat.
Deshalb sei es erfolgsversprechender im direkten Austausch miteinander
zu sein und aus der täglichen Zusammenarbeit zu lernen.
Um den Austausch zu fördern, können Job Coachs sinnvoll sein.
Diese hält Herr Müller-Remus nach seinen Erfahrungen mittlerweile sogar
für unverzichtbar.
Nach Möglichkeit sollte Kollegen dies nicht übernehmen, sondern externe
Coachs. Bei Kollegen bestünde das Risiko, dass die Funktion des Coachs
im Laufe der Zeit untergeht und auch vergessen wird, dass der Mitarbeiter
Autist ist. Ein externer Coach hingegen ist für alle präsent, kann für alle
Seiten als Ansprechpartner fungieren und stärkt so das Bewusstsein, ei-
nen autistischen Mitarbeiter zu haben.
Mögliche Themen, bei denen ein Coach dem autistischen Mitarbeiter bera-
tend zur Seite stehen könnte, wäre Unterstützung bei der Formulierung
von Anreden, bzw. Grußformen in E-Mails.
Hier haben laut Herrn Müller-Remus viele Autisten ein Problem über die
Entscheidung der richtigen Wortwahl. So sei häufig nicht klar, ob bei-
spielsweise "Sehr geehrter", "Hallo", "Lieber" oder eine andere Anrede rich-
tig ist.
65
Sowohl für den Job Coach, als auch für Kollegen und Vorgesetzte des au-
tistischen Mitarbeiters gilt jedoch zu beachten, dass Autisten dazu neigen
wenig zu fragen, so dass davon ausgegangen wird, dass alles okay sei.
Dies sei jedoch nicht immer der Fall und müsse den beteiligten Personen
bewusst gemacht werden.
Es sollte auf den autistischen Kollegen zugegangen und direkt nachgefragt
werden, ob alles in Ordnung ist oder Klärungsbedarf besteht.
Insbesondere bei Unsicherheiten oder Dingen, die Probleme bereiten und
die der autistische Mitarbeiter nicht von selbst anspricht, besteht das Ri-
siko, dass der Betroffene versucht sich möglichst anzupassen und normal
erscheinen will. Dies kann jedoch dazu führen, dass, aus dem Gesichts-
punkt von Kollegen und Vorgesetzten, ein plötzlicher Zusammenbruch des
betroffenen Mitarbeiters vorkommt mit dem niemand gerechnet hat.
Bibliotheken seien laut Herrn Müller-Remus geeignete Arbeitsplätze für
Autisten, da hier die Möglichkeit besteht gut strukturiert, reizarm, mit Re-
gelabläufen und geringer Hektik die Aufgaben durchführen zu können.
Für Autisten geeignete Tätigkeiten seien in der Katalogisierung oder der
Indexierung zu finden. Auch Tätigkeiten, die aus Sortieren, Klassifizieren
und Kopieren bestehen seien für einen Autisten geeignet und entsprächen
genau seinem Fähigkeiten- und Interessenprofil.
Ob die Tätigkeit im Publikumsverkehr möglich ist, kommt nach Herrn
Müller-Remus auf jeden Einzelnen an.
Im Zusammenhang mit der zukünftigen Entwicklung von Auticon führte
Herr Müller-Remus an, dass aufgrund der ausgeprägten Mustererken-
nung auch Projekte im Big Data-Bereich für Autisten eine hohe Attraktivi-
tät darstellen.
66
Anhang 3: Leitfaden zum Interview mit Hajo Seng
1. Wie schätzen Sie die Offenheit und Bereitschaft von Arbeitgebern bezüg-
lich der Beschäftigung autistischer Mitarbeiter in Unternehmen / öffentli-
chen Einrichtungen ein?
2. Insbesondere in Internetforen wird häufig erwähnt, viele Betroffene wür-
den ihren Arbeitgeber aus Furcht vor Vorurteilen nicht über ihre Autis-
mus-Diagnose aufklären.
Halten einen offenen Umgang mit dieser Thematik am Arbeitsplatz grund-
sätzlich für wichtig? Warum / Warum nicht?
3. autWorker bietet unter anderem Fähigkeitenworkshops für Autisten an.
Inwiefern kann so ein Workshop gerade im Hinblick auf die Berufstätigkeit
wichtig sein?
4. Inwiefern halten Sie den Austausch über Stärken und Defizite zwischen
Arbeitgeber und autistischem Arbeitnehmer, ggf. auch unter Kollegen, für
wichtig?
5. Worin sehen Sie die größten Probleme im Arbeitsalltag, die einen Autisten
in der Auslebung seiner Stärken negativ beeinflussen und bei der Arbeit
einschränken?
6. Welche Empfehlungen haben Sie für die räumliche Gestaltung des Ar-
beitsumfeldes für Menschen im autistischen Spektrum?
Insbesondere, wenn sich mehrere Menschen einen Arbeitsbereich, z.B. ein
Büro, teilen müssen.
7. Es gibt ebenfalls Mitarbeiterfortbildungen um über das autistische Spekt-
rum aufzuklären.
67
Ist es empfehlenswert, dass insbesondere neurotypische Mitarbeiter aus
Unternehmen/öffentliche Einrichtungen, die autistische Mitarbeiter be-
schäftigen, an solchen Fortbildungen teilnehmen?
9. Wodurch zeichnet sich eine Bibliothek als einen geeigneten Arbeitsplatz
für Menschen aus dem autistischen Spektrum aus?
Gibt es Ihrer Meinung nach Tätigkeiten in einer Bibliothek, die für Autis-
ten besser geeignet sind als andere? Wenn ja, welche und warum?
10. Bei Auticon gibt es Job-Coaches als Bindeglied zwischen den Consultants
und Kunden.
Würdest du in einem Unternehmen/einer öffentlichen Einrichtung einen
Kollegen, oder eine externe Person, als Autismusbegleiter, als sinnvoll ein-
schätzen? Warum / Warum nicht?
11. Inwiefern schätzen Sie die Erstellung eines Leitfadens mit den wichtigsten
(sozialen) Regeln, die im jeweiligen Unternehmen herrschen, als sinnvoll
ein?
12. Haben Sie weitere Anregungen, die in den bisherigen Fragen keine
Berücksichtigung fanden?
68
Anhang 4: Interview mit Hajo Seng
Anhand eines Leitfadens fand das Interview mit dem Gründer der Hambur-
ger Genossenschaft autWorker statt. AutWorker besteht aus autistischen
Mitgliedern und wurde mit dem Ziel gegründet, Bindeglied zwischen dem
Arbeitsmarkt und autistischen Menschen zu sein. Herr Seng, selbst Asper-
ger-Autist, ist in der IT-Abteilung der Staats- und Universitätsbibliothek Carl
von Ossietzky in Hamburg tätig.
Herr Seng schätzt die Offenheit und Bereitschaft von Arbeitgebern bezüg-
lich der Einstellung von autistischen Mitarbeitern so ein, dass bei der Er-
wähnung von Autismus zunächst an eine Behinderung gedacht wird.
Auch bestehen die unterschiedlichsten Vorstellungen über Autismus, so-
wohl im negativen wie positiv Sinne.
Bei vielen nicht-autistischen Menschen überwiegt die Vorstellung, Autis-
mus würde stets so eine starke Behinderung bedeuten, dass Betroffene
kaum zu einem selbstständigen Leben fähig seien. So passt es nicht in die
Vorstellung, wenn ein Autist dann doch viel "normaler" wirkt.
Hinsichtlich der Beschäftigung von Autisten besteht die Sorge, dies könne
mit generellen Problemen am Arbeitsplatz und Schwierigkeiten im Team
verbunden sein.
Seiner Erfahrung nach gibt es in Unternehmen, die autistischen Mitarbei-
tern gegenüber offen sind, häufig an der entscheidenden Personalposition
jemand, der bereits durch eigene Kinder oder Bekannte in Berührung mit
dem Thema Autismus gekommen ist. So fallen in diesen Fällen die Berüh-
rungsängste hinsichtlich dieser Thematik geringer aus.
Insbesondere wegen den häufig einseitigen Vorstellungen über Autismus
hält Herr Seng einen offenen Umgang diesbezüglich für wichtig.
Mitunter sprechen autistische Mitarbeiter aus Sorge vor Vorurteilen un-
gerne mit Vorgesetzten oder Kollegen über Probleme, die aus dem Autis-
mus resultieren. Daher sieht Herr Seng auch die Möglichkeit, individuelle
Probleme anzusprechen, ohne sofort den vorliegenden Autismus zu er-
wähnen.
69
Vielmehr könnte dem Vorgesetzten zunächst vermittelt werden welche
Probleme (bspw. in der Arbeitsumgebung) bestehen. So könnte eine Ver-
besserung dieser Situation angestrebt werden, ohne zwangsläufig den Au-
tismus erwähnen zu müssen.
Herr Seng beschreibt, dass in den von autWorker angebotenen Fähigkei-
ten-Workshops für Autisten immer wieder festgestellt wird, viele Autisten
hätten kein Bewusstsein für ihre Stärken und das eigene Potenzial.
Insbesondere durch negative Erfahrungen neigen sie dazu, den Autismus
in erster Linie selbst als Behinderung zu sehen.
So wird in den Fähigkeiten-Workshops versucht den Betroffenen ein Be-
wusstsein für die eigenen Stärken zu vermitteln. Dies kann sich auch po-
sitiv auf die Berufstätigkeit auswirken.
Generell empfiehlt Herr Seng, besonders vor dem Hintergrund Vorgesetz-
ten von der Autismus-Diagnose zu erzählen, die "eigenen Potenziale in den
Vordergrund" zu stellen. Auch sei ein eigener, offener Umgang im Bezug
auf die eigenen Stärken und Schwächen eine Möglichkeit, um zugleich
einen offenen Umgang im Arbeitsumfeld zu fördern.
Hierdurch würde vermieden, dass der Betroffene zu sehr versucht sich an
seine Umgebung anzupassen und etwas darzustellen, das er gar nicht ist.
Probleme am Arbeitsplatz stellen für jeden Menschen einen Stressfaktor
dar. Für Autisten sei dies jedoch besonders belastend, so dass stets eine
Lösung der Probleme angestrebt werden sollte.
Kann der autistische Mitarbeiter im Gespräch mit seinem Vorgesetzten
keine Lösung herbeiführen, besteht die Möglichkeit eine neutrale Person
hinzu zuziehen. Grundsätzliche Ansprechpartner wären zunächst der Per-
sonalrat und Schwerbehindertenbeauftragte. Doch insbesondere jemand
mit Kenntnis über Autismus, etwa jemand von autWorker, könnte auch
einbezogen werden um die Relevanz für die betreffende Person zu verdeut-
lichen und zwischen beiden Seiten zu vermitteln. So könnte erklärt wer-
den, dass für einen Autisten die Arbeit in einem Großraumbüro weitaus
belastender sein kann als für Nicht-Autisten.
70
Als eines der größten Probleme vieler Autisten, die bei der Ausübung der
Stärken und Durchführung der Arbeit hinderlich sein können, führt Herr
Seng die generell falsche Berufswahl an. So hat er im Rahmen seiner Tä-
tigkeit bei autWorker die Erfahrung gemacht, dass es durchaus Autisten
mit Führungsaufgaben oder im Projektmanagement gibt und hält diese
Tätigkeiten, sofern Kerntätigkeit, mitunter für ungeeignet. Auch der Wa-
reneinkauf und die Verhandlung von Preisen werden als suboptimale Tä-
tigkeitsfelder verstanden.
Da Bibliotheken über vielfältige Tätigkeitsbereiche verfügen empfiehlt er,
sich darüber zu informieren und auszuprobieren welcher Bereich am
ehesten dem Fähigkeitenprofil entspricht. So besteht insbesondere die Un-
terscheidung von Tätigkeiten mit und ohne Publikumsverkehr.
Tätigkeiten an der Ausleihe oder an der Information könnten seiner Mei-
nung nach auch für Autisten geeignete Arbeitsbereiche sein. Insbesondere
an der Information könnte ein Autist sein spezielles Fachwissen einbrin-
gen.
Als geeignete Tätigkeiten ohne Publikumsverkehr seien bspw. Magazinar-
beiten oder Tätigkeiten im IT-Bereich zu nennen.
Wenig geeignet hingegen seien wechselnde Tätigkeiten, insbesondere wenn
diese während des Tages variieren. Als Beispiel sei die Tätigkeit des Fach-
referenten genannt, die nicht nur aus der Medienauswahl, sondern meist
auch aus dem Auskunftsdienst und weiteren Aufgaben besteht. Besser sei
ein Tätigkeitsbereich in dem die Aufgaben unter ein Thema fallen.
Als ein weiteres wichtiges Problemfeld wird das soziale Umfeld, der gene-
relle Umgang mit Kollegen oder das Vorliegen von Mobbing angeführt.
Hier müsse man frühzeitig eingreifen um eine Lösung für beide Seiten er-
reichen zu können. Umso fortgeschrittener die Probleme im sozialen Mit-
einander seien, desto schwieriger sei es, den Konflikt aufzulösen.
Auch die Gestaltung des Arbeitsplatzes sei ein wichtiges Thema das Prob-
leme birgt. Hier führt Herr Seng an, dass Autisten sehr unterschiedliche
Bedürfnisse diesbezüglich haben können.
71
Der Eine kann ohne Probleme in einem Großraumbüro arbeiten, während
jemand anders es nicht erträgt sich mit einer anderen Person ein Büro zu
teilen.
Für Herrn Seng selbst hat sich eine Konstellation zu Zweit oder zu Dritt
bewährt, sofern es sich um Kollegen handelt, die ihrer Tätigkeit im ruhi-
gen Rahmen nachgehen.
Bezüglich der räumlichen Gestaltung kann daher keine grundsätzliche
Empfehlung gegeben werden. Es besteht jedoch die Tendenz zu ruhigen
und konzentrationsfördernden Umgebungen.
Grundsätzlich sieht er die Gestaltung des Arbeitsplatzes als ein Problem-
feld, das am besten behandelt werden kann.
Um Vorgesetzte und Mitarbeiter über das autistische Spektrum und die
Bedeutung bezüglich autistischen Mitarbeitern zu informieren, erachtet
Herr Seng Mitarbeiterfortbildungen in Unternehmen als sinnvoll, die sich
dem Thema autistischer Fähigkeiten annehmen wollen und eine generelle
Einführung erhalten möchte.
Sofern es jedoch um einen konkreten Mitarbeiter vor Ort geht, wäre es er-
folgsversprechender im individuellen Austausch mit dem Mitarbeiter zu
sein. Um diesen Austausch zu unterstützen, kann ein Job Coach seiner
Meinung nach sinnvoll sein, besonders in der Einstiegsphase in Form ei-
nes externen Coachs. Im weiteren Verlauf wäre es der beste Weg, wenn
jemand aus dem direkten Arbeitsumfeld (Kollege, Personalrat, Schwerbe-
hindertenbeauftragte) als Ansprechpartner eingesetzt werden könnte.
Die Erstellung eines Leitfadens mit den ungeschriebenen sozialen Regeln
in der jeweiligen Unternehmenskultur, hält Herr Seng für sinnvoll.
Als mögliche Inhalte führt er Anreden in E-Mails an. Auch eine Orientie-
rung über den Umfang eigener Kompetenzen und Entscheidungsfreiheit
sei ein möglicher Inhalt.
Generell wäre eine Orientierung hilfreich, wie man sich gegenüber be-
stimmten Personen oder Personengruppen verhält.
72
Zwar gibt es durchaus Mitarbeiterseminare die die generelle Kommunika-
tion im Publikumsverkehr zum Inhalt haben, doch ist dies sehr grund-
sätzlich und deckt nicht alle Problemfelder eines autistischen Mitarbeiters
ab.
Laut Herrn Seng können Bibliotheken aus zwei Aspekten heraus ein ge-
eigneter Arbeitsplatz für Autisten sein.
Zum Einen gibt es Bereiche in denen weniger unter Zeitdruck gearbeitet
werden muss, als in anderen Berufen.
Zum Anderen besteht seiner Ansicht nach in Bibliotheken meist keine
"Mitarbeitermonokultur", so dass eine stärkere Toleranz mit den unter-
schiedlichsten Menschen und deren Charakteren vorherrscht.
Er führt an, dass es sich bei seinem Arbeitgeber um ein harmonisches
Miteinander handelt. Doch habe er auch erfahren, dass dies nicht in allen
Universitätsbibliotheken so sei.
In anderen Berufsbereichen herrsche häufiger ein hoher Zeitdruck und
eine "Mitarbeitermonokultur", so dass ein Mensch, der sich aufgrund sei-
nes Autismus' von der Gesellschaft abhebt, dort stärkeren Problemen
ausgesetzt sein kann.
Bei seinem Vorstellungsgespräch in der Staats- und Universitätsbibliothek
Hamburg gab Herr Seng seinen Autismus an. In einem Mitarbeiterge-
spräch erhielt er später das Feedback, es hätte die Annahme bestanden,
dass Herr Seng durch seine andere Art etwas frischen Wind in die Abtei-
lung bringen würde. Dies bestätigte sich und sei nach Herrn Sengs Erfah-
rung ein Aspekt, über den Arbeitgeber sich nicht im Klaren seien, wenn es
um autistische Mitarbeiter geht. Autisten gehen häufig anders an Proble-
me heran, haben andere Problemlösungsstrategien. So kann durch die
Beschäftigung autistischer Mitarbeiter ein anderer Blick auf die Dinge er-
folgen. Grundsätzliche, meist unterschwellige Probleme werden deutlich
und bestimmte Strukturen oder Arbeitsabläufe können verbessert werden.
73
Anhang 5: Leitfaden zum Interview mit Christian Nolte
1. Laut Artikel in der IHK Zeitung machen Herr Schmidt und Herr Dismer
die Ausbildung zum Fachinformatiker für Anwendungsentwicklung.
Wie sind Sie auf die beiden aufmerksam geworden? Haben beide sich z.B.
bei Ihnen beworben?
2. Wussten Sie vor der Einstellung über die möglichen Stärken und Proble-
me, insbesondere beim Asperger-Autismus, Bescheid? Was führte zu der
Entscheidung der Einstellung?
3. Wurde das restliche Team bei dieser Entscheidung einbezogen, z.B. nach
Erfahrungen oder Befürchtungen gefragt?
4. Welche Stärken und positiven Aspekte bildeten sich in der Zusammenar-
beit insbesondere mit Herrn Schmidt heraus?
5. In dem Artikel wird erwähnt, dass es lange Zeit Zweifel an einer funktio-
nierenden Zusammenarbeit gegeben habe. Welche Probleme sind generell
aufgetreten? Gab es Probleme mit denen Sie in grundsätzlich oder in ihrer
Intensität nicht gerechnet haben?
6. Gab es bestimmte räumliche Anpassungen um den Arbeitsplatz möglichst
reiz- und ablenkungsfrei zu gestalten?
7. Wie wurden die anderen Mitarbeiter einbezogen, so dass nun doch eine
gute Arbeitsatmosphäre entstehen konnte?
74
8. Hatten Sie einen begleitenden Job-Coach der zu Beginn, oder auch jetzt
noch, bei der Einarbeitung und der Klärung von Fragen und Problemen
zur Seite stand/steht?
9. Haben Sie sich zu Beginn, oder ggf. im Laufe der Zusammenarbeit, mit
Herrn Schmidt darüber ausgetauscht, was ihm Probleme bereitet und wie
man diese lösen könnte?
10. Wurde eine Art Leitfaden erstellt, in denen wichtige Absprachen oder
Orientierungsmöglichkeiten für das (soziale) Miteinander gesammelt
wurden, so dass sich Herr Schmidt daran orientieren konnte?
Wenn nein: Hätten Sie solch einen Leitfaden im Nachhinein für sinnvoll
gehalten?
11. Haben Sie noch weitere Anregungen, die in den bisherigen Fragen keine
Berücksichtigung fanden?
75
Anhang 6: Interview mit Christian Nolte
Interviewt wurde Christian Nolte, Geschäftsführer des IT-Unternehmens
"Velian". Dieses stellte vor drei Jahren den ersten Asperger-Autisten ein.
Seit kurzem wird ein zweiter Asperger-Autist eingearbeitet. Auch gehört ein
Mitarbeiter mit Mutismus in das Velian-Team.
Das IT-Unternehmen Velian beschäftigt zwei Mitarbeiter mit dem Asper-
ger-Syndrom (Herr Schmidt, Herr Timmer) und einen Mitarbeiter mit Mu-
tismus (Herr Dismer).
Die jeweiligen betreuenden Institutionen (Lavie6, Lebenshilfe7 und Ausbil-
dungsverbund8) stellten den Kontakt zu Herrn Nolte her und erkundigten
sich nach der Bereitschaft zwecks Praktikums und eventueller Berufsaus-
bildung im Softwarebereich. Bevor Herr Schmidt bei Velian anfing, be-
standen für Herrn Nolte noch keine Berührungspunkte zum Autismus
und daher keinerlei Kenntnisse darüber. Durch die Lavie bekam Herr Nol-
te eine Übersicht mit möglichen Einschränkungen bezüglich des Asperger-
Syndroms (bspw. fehlender Blickkontakt, ablenkende Umgebungsgeräu-
sche) zur Verfügung gestellt.
Herr Schmidt befindet sich ab September 2014 im dritten und letzten
Ausbildungsjahr. Als dieser sich vor drei Jahren vorstellte, war auch seine
zuständige Betreuerin der Lavie anwesend. Entgegen des Informations-
schreibens konnte Herr Schmidt während des Vorstellungsgesprächs
schnell einen Draht zu Herrn Nolte aufbauen, was wahrscheinlich dem
Umstand geschuldet war, dass Herr Schmidt ein gemeinsames Gesprächs-
thema mit Herrn Nolte hatte und sich über sein Spezialinteresse austau-
schen konnte (IT/Computer, etc.). Blickkontakt war ihm möglich und
auch lautere Umgebungsgeräusche waren für Herrn Schmidt zu Händeln.
Er begann zunächst mit einem Probearbeiten. Diese wurde anschließend
in ein Praktikum umgewandelt und ein Jahr lang als Vorbereitung auf die
Berufsausbildung genutzt.
6 vgl. Lavie 2005
7 vgl. Lebenshilfe 2014
8 vgl. Ausbildungsverbund 2012
76
Kurz vor Beginn der Ausbildung nahm Herr Schmidt am Berufsschulun-
terricht teil um herauszufinden, wie es sich mit den akustischen Reizen
und dem Kontakt zu Mitschülern verhält.
Seit Beginn der Berufsschule wird Herr Schmidt nicht mehr durch die La-
vie betreut.
Herr Nolte berichtet, Herr Schmidt habe zuvor bereits in einer Behinder-
tenwerkstatt gearbeitet, dort jedoch kaum Berührungspunkte mit Compu-
tern gehabt. Die IT-Fähigkeiten, die für die berufliche Tätigkeit bei Velian
notwendig sind, habe er sich autodidaktisch beigebracht.
In der ersten Woche bei Velian war die Betreuerin von Herrn Schmidt un-
terstützend anwesend. Bereits ab der Folgewoche war diese jedoch nicht
mehr nötig. Durch die Lavie wurde Herrn Nolte nahegelegt für Herrn
Schmidt vorab einen Wochenplan zu erstellen, so dass dieser immer
wusste, was auf ihn zukommt und er sich in seinem Tagesablauf sicher
fühlte. Auch wurden zwei Pausen zu festen Zeiten eingeplant.
Die Orientierung durch diesen Plan war für Herrn Schmidt zunächst von
Vorteil. Als diese Planung zwischenzeitlich aus organisatorischen Gründen
nicht erstellt werden konnte, wurde jedoch deutlich, dass Herr Schmidt
auch ohne diesen zurechtkam. Insbesondere fiel auf, dass die festgelegten
Pausen nicht mehr eingehalten wurden, da Herr Schmidt merkte, dass
diese nicht nötig waren.
Heute arbeitet Herr Schmidt ohne Wochenplan und macht, wie die ande-
ren Kollegen auch, zu selbstbestimmten Zeiten Pause.
Unabhängig von der Wochenplanung stehen für Herrn Schmidt Aufgaben
im System bereit und er konnte sich schnell einarbeiten.
Herr Nolte beschreibt, dass bezüglich der Bearbeitung von Aufgaben ins-
besondere die Strukturierung durch Checklisten hilfreich war, da Aufga-
ben oder Arbeitsvorgänge kontrolliert und abgehakt werden konnten.
Ohne diese Strukturierung traten bei Herrn Schmidt schneller Probleme
bei der Bearbeitung der Aufgaben auf, da die nötige Übersicht verloren
ging. Auch falle auf, dass Herr Schmidt bei mehreren Aufgaben dazu neigt
77
eine Aufgabe zu bearbeiten und sich bei Bearbeitungsschwierigkeiten ei-
ner anderen Aufgabe widme. Dies ginge soweit, bis mehrere angefangene
Aufgaben zu einer Überforderung führen. Daher ging seitens Herrn Nolte
die Empfehlung aus, nicht mehr als zwei Aufgaben gleichzeitig zu bearbei-
ten.
Herr Nolte betont jedoch, dass dies bei allen anderen Mitarbeitern auch
der Fall sei, nur, dass es bei diesen später, also bspw. bei mehr zeitglei-
chen Aufgaben eintreten würde. Für Herrn Nolte hat sich dadurch der
persönliche Mehrwert ergeben zu lernen, wie er Aufgaben, auch im Hin-
blick auf die anderen Kollegen, strukturieren muss.
Ein Problem besonders zur Anfangszeit war, dass Herr Schmidt mit vielen
Detail-Zwischenfragen zu Herrn Nolte ging und kein Gespür dafür hatte,
wenn dieser in anderen Dingen vertieft war und keine Zeit hatte. Dies
führte dazu, dass Herr Nolte später zu ihm kommen wollte. Wenn dies
dann nicht erfolgte, führte es bei Herrn Schmidt zu Irritation. Inzwischen
habe Herr Schmidt gelernt Anzeichen zu erkennen, wenn Herr Nolte gera-
de nicht ansprechbar sei.
Besonders zu schätzen wusste Herr Nolte von Beginn an die offene und
direkte Art seitens Herrn Schmidt. Findet dieser fachlich etwas nicht gut,
wird dies direkt von ihm angesprochen, ohne ein "Blatt vor den Mund" zu
nehmen. Im Umgang mit Kollegen ist er jedoch zurückhaltender.
Nach einiger Zeit übergab Herr Nolte auch Aufgaben im direkten Kunden-
kontakt an Herrn Schmidt. Dies fand zunächst bei ausgewählten Kunden
und mit der Information statt, dass Herr Schmidt Asperger-Autist sei und
aufgrund dessen selbst schwer merkt, wenn er zu viel spricht. Die Kunden
sollten ihn daher unterbrechen wenn er etwas zu umfangreich erklärte.
Hier führt Herr Nolte an, dass man sich selbst erst daran gewöhnen müs-
se jemanden zu unterbrechen, doch dies sei im Umgang mit Herrn
Schmidt wichtig und richtig.
Inzwischen führt Herr Schmidt Kundengespräche selbstständig per E-Mail
und am Telefon. Telefonisch ist eine monotone Intonation erkennbar.
78
Hinsichtlich der Formulierung der E-Mails musste er die richtige Mi-
schung zwischen Freundlichkeit und Sachlichkeit lernen. Dies sei ihm
mittlerweile so gut gelungen, dass die E-Mails als Vorbild für andere ge-
nutzt werden könnten.
Im Bezug auf die Telefonate fiel auf, dass Herrn Schmidt die Verabschie-
dungsfloskeln zunächst nicht lagen und er darauf hingewiesen werden
musste das Telefonat mit einer Verabschiedung zu beenden.
Grundsätzlich sei es so, dass man Herrn Schmidt einmal auf etwas hin-
weisen muss, er dies verinnerlicht und es anwendet.
Herr Nolte beschreibt, dass Herr Schmidt zu wenig nach seiner eigenen
Meinung gefragt wurde. In Gesprächen mit der Lavie wurde zwar darüber
gesprochen, was gut für ihn sei, doch niemand habe ihn direkt gefragt
was er davon halte. Für Herrn Nolte sei es daher eine Selbstverständlich-
keit ihn direkt anzusprechen und nach seiner Meinung zu fragen.
Bezüglich der Integration von Herrn Schmidt ins Velian-Team beschreibt
Herr Nolte, das dieser in Teambuilding-Maßnahmen einbezogen wurde.
Die anderen Mitarbeiter waren seiner Einstellung gegenüber offen, er
wurde ins Team integriert und es wurde darauf geachtet ihn, soweit wie
möglich, wie alle anderen auch zu behandeln. Zudem verfügt die Velian
über einen Kommunikations- und Strategiecoach der bei Bedarf das Team
coacht (dies nicht nur im Hinblick auf autistische Mitarbeiter).
Dennoch war bezüglich der Anfangszeit deutlich, dass es für das ganze
Team mit Anstrengung und Belastung verbunden war. Teilweise wurden
Kollegen durch den Abbau von Nervosität (Bein wippen) abgelenkt. Auch
haben sich die Teamstrukturen etwas geändert. Zudem hat Herr Schmidt
kein Gespür für die Lautstärke seiner Stimme und neigte zu lautem spre-
chen, wodurch andere sich abgelenkt fühlten.
Herr Nolte empfahl den Mitarbeitern (auch heute noch) Herrn Schmidt bei
Problemen direkt Feedback zu geben und klar zu sagen, was nicht in
Ordnung ist oder was einen ablenkt. Dies sei für einige jedoch immer
noch schwer.
79
Im Nachhinein merkt Herr Nolte, dass er den übrigen Mitarbeitern wenig
von dem mitgegeben hat, was er im Umgang mit Herrn Schmidt gelernt
hat und diese daher in vielen Dingen nicht die Art von Ansprechpartner
sein konnten wie er.
Zusätzlich zu Herrn Schmidt befindet sich Herr Timmer als zweiter Asper-
ger-Autist in der Vorbereitungsphase zu einer Berufsausbildung und ar-
beitet einmal wöchentlich bei Velian. Bei Herrn Timmer seien die Probleme
ausgeprägter wenn der Tagesplan nicht ganz klar ist und auch Aufgaben
müssen detaillierter erklärt werden. Auch sei bei ihm stets eine Betreuung
anwesend. Da bei Velian sowieso gerade das Thema besteht, wie man Auf-
gaben im Team besser erklären kann, um nicht für weitere Fragen verfüg-
bar sein zu müssen, bietet sich jedoch durch Herrn Timmer die Möglich-
keit, bessere Formulierungswege für alle zu finden.
Wie auch bei Herrn Schmidt, bekommt Herr Timmer seine Aufgaben vorab
ins System gestellt und kann sich daran orientieren. Für Herrn Timmer ist
es ein großes Problem wenn er Aufgaben nicht lösen kann. Dies sei für ihn
wie eine schwere Niederlage und er fürchtet, die Kollegen dadurch zu ent-
täuschen.
Mit dem Umzug und der Gewöhnung an die neuen Räumlichkeiten hatte
Herr Timmer jedoch keine Probleme.
Herr Dismer ist mutistischer Mitarbeiter, wodurch die verbale Kommuni-
kation mit ihm erschwert ist. Er hat ohne Vorbereitungszeit oder Prakti-
kum seine Ausbildung bei der Velian absolviert und ist dort nun festange-
stellt.
Auch im Umgang mit ihm sind klare Worte die beste Zugangsmöglichkeit.
Im Laufe der Jahre wurde Herr Dismer zunehmend aufgeschlossener.
Herr Dismer hat etwa 3-4 Monate vor Herrn Schmidt bei Velian angefan-
gen. Herr Nolte berichtet von dem Versuch, Herrn Schmidt und Herrn
Dismer zusammenzusetzen, so dass jemand der viel redet mit jemandem
der kaum spricht im direkten Kontakt ist und beide aufeinander zugehen
müssen.
80
Dies habe sehr gut funktioniert.
Es sei generell eine Überlegung wert, ob es für Menschen mit Behinderung
sinnvoll wäre, mehr als einen behinderten Mitarbeiter zu haben. So wür-
den diejenigen das Gefühl erhalten, nicht als einzige Beeinträchtigte im
Unternehmen zu arbeiten. Hier müsse man jedoch bedenken, dass dies
einen erhöhten Betreuungsaufwand bedeutet.
Im Juli 2014 zog die Velian in neue Räumlichkeiten.
Es war bereits seit längerem bekannt, dass ein Umzug geplant sei. Der
Umzug an sich fand sehr spontan statt und musste innerhalb weniger
Wochen durchgeführt werden.
Als klar war, dass neue Räume gefunden wurden, wurden diese gefilmt
und fotografiert und in einer Infoveranstaltung den Mitarbeitern präsen-
tiert. Diese konnten anhand der Fotos die zukünftigen Räume sehen und
ihre Wünsche bezüglich der Gestaltung und Einrichtung äußern. Diese
fanden bei der Planung Berücksichtigung.
Als weitere Unterstützung bezüglich des Informationsflusses wurden den
Mitarbeitern Work in Progress-Fotos zur Verfügung gestellt. So konnte je-
der sehen wie der Stand der Dinge in den neuen Räumlichkeiten war.
Zudem erstellten die Mitarbeiter zu Beginn einen detaillierten Plan, wer
wo sitzt und auch die Anordnung der Tische sei momentan ähnlich der
vorherigen. All dies habe sicherlich hinsichtlich der Gewöhnung an die
neuen Räume geholfen.
Herr Schmidt war wegen seines Berufsschulunterrichts nicht bei dem
Umzug anwesend, so dass er direkt in den neuen Räumen arbeiten konn-
te. Bevor die eigentliche Arbeit wieder begann, kam er einmal vorbei um
sich die neue Arbeitsumgebung anzusehen. Auch Herr Timmer hat sich
die Räume nach dem Umzug und bevor er regulär arbeiten musste, ein-
mal angesehen. Insgesamt gab es aufgrund des Umzugs und der damit
verbundenen Veränderungen keine Probleme.
Bezüglich der Unterstützung während der Arbeit, würde Herr Nolte inzwi-
schen zwei Formen von Leitfaden sinnvoll finden.
81
Einerseits wäre es eine Hilfe für den autistischen Mitarbeiter einen Leitfa-
den als Orientierung zu haben. Da Herr Nolte jedoch das Bewusstsein er-
halten hat, dass er zwar die Bezugsperson für Herrn Schmidt und Herrn
Timmer ist, die anderen Kollegen jedoch nicht immer wissen, wie sie sich
verhalten sollen, hält er es ebenso für sinnvoll den anderen Mitarbeitern
ein Leitfaden mit Hinweisen zu geben.
Grundsätzlich hat Herr Nolte hat seitens der Lavie, der Lebenshilfe und
dem Ausbildungsbund durchweg positive Rückmeldungen bekommen, da
Herr Schmidt, Herr Dismer und Herr Timmer eine Chance bei der Velian
bekommen haben und dies für die drei zu einer positiven Entwicklung
beigetragen habe. So ist Herr Schmidt insgesamt viel selbstständiger und
vor allem lebensfroher geworden und die positiven Auswirkungen ziehen
sich bis ins Privatleben hinein.
Insgesamt gab es für alle Beteiligten Zeiten, die sehr fordernd waren.
Dennoch, oder gerade deshalb, haben alle viel gelernt und es war für alle
eine bereichernde Erfahrung und ist es noch.
Herr Nolte möchte daher auch zukünftig Menschen eine Chance geben,
deren Potential bisher nicht erkannt wurde und dieses bei Velian nutzen,
denn sie
können auch sehr gute Entlastungen an vielen Stellen bieten.
Herr Nolte kann die Beschäftigung von Menschen mit dem Asperger-
Syndrom nur empfehlen. Er bereut nichts, doch sollte man wissen worauf
man sich einlässt und, dass dies einen erhöhten Betreuungsaufwand be-
deuten könnte.
Auch betont er, dass seine beiden autistischen Mitarbeiter keinen reprä-
sentativen Durchschnitt darstellen würden. So könnte es natürlich auch
sein, dass die Zusammenarbeit mit anderen Autisten nicht funktioniere.
Herr Nolte führt auch an, dass der Arbeitsplatz insbesondere wegen des
Bezugs zu IT-Themen geeignet sei. Daher kann Herr Schmidt sein Spezial-
interesse als Gesprächsthemen nutzen und in Gesprächen mitreden. Bei
anderen Arbeitsplätzen sei dies eventuell nicht in diesem Umfang möglich.
82
Wichtig ist für Herrn Nolte eine positive Grundeinstellung. Sofern die
Zweifel an einer erfolgreichen Zusammenarbeit zu groß seien und dadurch
dem betreffenden Mitarbeiter vieles nicht zugetraut wird, führe dies zu
einem weniger erfolgreichen Arbeitsverhältnis. Er hält es für besser, auf
ein Ziel hinzuarbeiten, etwa die Tatsache, dass Herr Schmidt nun auch im
Kundenkontakt ist. Dies hätten ihm viele nicht zugetraut.
Auch hält Herr Nolte es für wichtig jeden Menschen als eigenstände Per-
son wahrzunehmen.
Für Herrn Nolte gilt: "Man muss die richtigen Leute für die richtigen Be-
reiche, aber auch passend zum Team finden."
Rückblickend betrachtet stellte Herr Nolte fest, dass es für Unternehmen
schwer sei einen Überblick über mögliche Unterstützung bei der Beschäf-
tigung schwerbehinderter Mitarbeiter zu erhalten.
So hätte beispielsweise jemand, der während der Arbeitszeiten der betref-
fenden Kollegen zwecks Ansprechpartner und Betreuung zur Verfügung
gestanden hätte, eine Entlastung bieten können.
Dies sei laut Herrn Nolte besonders im Hinblick auf andere Unternehmen
ein wichtiger Punkt, da dies eine Entlastung darstellen kann, wodurch
vielleicht mehr Unternehmen den Versuch starten würden jemanden mit
Autismus zu beschäftigen.
Im Allgemeinen sieht Herr Nolte noch viel Potential in der Beschäftigung
autistischer Mitarbeiter. Auch könnte er sich vorstellen, dass die Vernet-
zung von Unternehmen mit solchen Beschäftigten zwecks Erfahrungsaus-
tauschs sinnvoll und interessant sein könnte.
Zu Beginn des Interviews wurde deutlich, dass Herr Nolte bezüglich des
Asperger-Syndroms nicht die Bezeichnung Krankheit oder Behinderung
wählte, sondern dies als Persönlichkeit beschrieb.
Herr Nolte sieht dies so, da sich einerseits für betreffende Personen durch
die Autismus-Diagnose nichts daran ändert wer und wie sie sind.
83
So sieht er in der Diagnostik zwar den Sinn zu wissen, dass eine Person
autistisch ist, dies jedoch nicht wie Krankheiten heilbar ist. Daher sei das
Wissen um den Autismus vor allem deshalb wichtig, weil man dadurch
weiß, dass betreffende Personen mitunter anders behandelt werden müs-
sen.
Am wichtigsten wäre es jedoch, wenn man wüsste was anders im Umgang
mit diesen Personen gehandhabt werden sollte und, dass mit diesem
Thema bereits in der Schule begonnen werden würde.
Denn besonders Auswirkungen früheren Mobbings könnten dazu führen
dass Menschen auch im Erwachsenenalter Probleme mit bestimmten Din-
gen haben und schnelles Schubladendenken einsetzt und gesagt würde,
dass bestimmte Probleme durch den Autismus kämen, obwohl es auf frü-
heren Erfahrungen basiert.
Herr Nolte nutzt für die Erklärung, was ein Asperger-Autist ist mitunter
die Bezeichnung "Mensch mit Spezialbegabung" weil sie ein spezielles In-
teressengebiet haben indem sie hochmotiviert auftreten können.
Dafür bestehen vielleicht Schwächen im Zwischenmenschlichen Bereich,
aber das sollte aus seiner Sicht kein Hinderungsgrund bezüglich einer
Einstellung sein.
84
Anhang 7: Leitfaden für das Interview in einer Wissenschaftlichen Bibliothek
1. Ist dies der erste Autist, mit dem Sie zusammen arbeiten?
2. Was schätzen Sie an ihm, sowohl auf beruflicher, als auch auf kollegialer
Ebene besonders?
3. Welche Probleme ergaben sich aufgrund seines Asperger-Autismus zu
Beginn seiner Tätigkeit und/oder ergeben sich auch heute noch?
4. Wie wurden/werden diese Probleme angegangen und gelöst. Falls sie
nicht vollständig gelöst werden konnten/können, wie wird damit weiter
umgegangen?
5. Angenommen, es würde ein weiterer autistischer Mitarbeiter eingestellt
werden.
Was würden Sie von Beginn an anders machen?
6. Das Berliner Unternehmen Auticon stellt ausschließlich autistische
Mitarbeiter ein, die häufig auch bei Kunden vor Ort tätig werden müssen.
Als Ansprechpartner für den autistischen Mitarbeiter und dem Kunden
stellt Auticon Job-Coaches zur Verfügung. Dieser Coach soll u.a. das ge-
genseitige Verständnis fördern oder Ideen einbringen, wie das Arbeitsum-
feld für den autistischen Mitarbeiter besser gestaltet werden könnte.
7. Inwiefern halten Sie die Möglichkeit eines speziellen Coaches, vielleicht
nur zu Beginn der Tätigkeit, als eine hilfreiche Unterstützung?
85
(Dieser Coach könnte entweder jemand aus dem Kollegium / Personalrat
oder eine externe Person sein)
8. Halten Sie die Erstellung eines Leitfadens, mit den wichtigsten (sozialen)
meist ungeschriebenen Regeln, die in der Bibliothek herrschen, für sinn-
voll?
Wenn ja: Zu welchen Themen hätten Sie einen solchen Leitfaden erstellt?
10. Gibt es noch etwas, dass Sie im Hinblick auf Ihre Erfahrungen mit einem
autistischen Kollegen erwähnen möchte und ich mit meinen Fragen noch
nicht berücksichtigt habe?
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Anhang 8: Interview in einer Wissenschaftlichen Bibliothek Befragt wurde das Magazin-Kollegium des autistischen Mitarbeiters (s. An-
hang 10).
Die Befragten arbeiten seit mehr als fünf Jahren mit ihrem Kollegen zu-
sammen. Für alle war es die erste Zusammenarbeit mit einem Autisten,
daher wurde das Team zu Beginn durch die Therapeutin über die Beson-
derheiten aufgeklärt.
Zu Beginn der Tätigkeit bestanden die Probleme vor allem im sozialen Mit-
einander. Beide Seiten mussten sich aneinander gewöhnen und aufeinan-
der zugehen.
Es war ein hohes Maß an Toleranz sowie die gegenseitige Bereitschaft und
Offenheit für diese Zusammenarbeit von Nöten. Während ihr autistischer
Kollege lernen musste im Team zu arbeiten, Kenntnisse über die gängigen
sozialen Floskeln und Grußformen erwerben musste, bestand für die Be-
fragten das Problem darin mit seiner sehr direkten Art umgehen zu kön-
nen, in der ein Verständnis über soziale Höflichkeit fehlte.
So mussten sie verinnerlichen, dass negative, kritisierende oder auch ver-
letzend wirkende Äußerungen nicht als solche gemeint sind, sondern einer
sachlichen, nicht wertenden Äußerung gleichkommen.
Die Beteiligten haben viel miteinander gesprochen um sich aufeinander
einlassen zu können. Dies hat ihren autistischen Kollegen zu Beginn auf-
grund der sozialen Überforderung an seine Grenzen gehen lassen, so dass
er die Arbeit manchmal für diesen Tag abbrechen musste.
Bei der Einarbeitung in seine Tätigkeiten war es nötig eine eindeutige
Wortwahl zu verwenden und Struktur zu schaffen indem vermittelt wurde,
was seine Aufgabe ist und was er machen soll.
Ohne vorgegebene Struktur fällt dem Kollegen die Arbeit schwer.
Die Befragten geben an, ihm Aufgaben für den Arbeitstag vorzubereiten
um Struktur zu schaffen. Inzwischen kann er jedoch auch selbstständig
arbeiten und genießt das Vertrauen seiner Kollegen.
87
Ein Job Coach oder Leitfaden mit Regeln hätte ihrer Meinung nach nicht
geholfen.
Hinsichtlich der fachlichen Zusammenarbeit schätzen sie, dass er seine
Aufgaben stets zuverlässig, verantwortungsvoll und korrekt ausführt.
Überdies ist er schnell und er hat ein Talent dafür, Fehler zu entdecken,
etwa falsch stehende Bücher.
Tätigkeiten an der Ausleihe oder Auskunft einer Bibliothek wären für ihn
ungeeignet. Das Magazin bietet ihm die Möglichkeit eines gut strukturier-
ten Raumes. Die Signaturen und Regalbeschriftungen geben Orientierung
und es handelt sich um eine reizarme Umgebung.
Im privaten Miteinander beschreiben sie ihn als sehr gebildet und mit ei-
nem hohen Wissensschatz, breitem Interessenspektrum und stark ausge-
prägter Ironie. Sie schätzen ihn als Kollegen.
Mit der Zeit wurde gegenseitiges Vertrauen aufgebaut, auch wird die Zu-
sammenarbeit als Bereicherung für alle Beteiligten verstanden.
Es wurde zudem die Vermutung geäußert, dass sich ihr Kollege nun, da er
sich bei der Arbeit mit unterschiedlichen Charakteren auseinandersetzen
musste, auch im Umgang mit Menschen außerhalb der Arbeit neue Kom-
petenzen erlernt hätte.
88
Anhang 9: Fragebogen an den Mitarbeiter einer Wissenschaftlichen Bibliothek 1. Seit wann arbeiten Sie bereits in der Bibliothek und welche Aufgaben
führen Sie dort aus?
2. Gibt es bei der Ausübung Ihrer Aufgaben, oder im sozialen Miteinander
unter Kollegen etwas, dass Ihnen besonders leicht oder schwer fällt?
Wenn ja, was?
3. Sofern Reizüberflutungen ein Problem für Sie sind: Wie gehen Sie bei
der Arbeit damit um?
4. Nur ein kleiner Anteil der Menschen aus dem autistischen Spektrum
ist auf dem ersten Arbeitsmarkt tätig. Was bedeutet Ihnen die Tätigkeit
in der Bibliothek?
5. Denken Sie, dass Bibliotheken generell geeignete Arbeitsplätze für Au-
tisten sein können? Wenn ja: Warum? Wenn nein: Warum nicht?
6. Das Berliner Unternehmen Auticon stellt ausschließlich autistische
Mitarbeiter ein, die häufig auch bei Kunden vor Ort tätig werden müs-
sen. Als Ansprechpartner für den autistischen Mitarbeiter und dem
Kunden stellt Auticon Job Coachs zur Verfügung. Dieser Coach soll
u.a. das gegenseitige Verständnis fördern oder Ideen einbringen, wie
das Arbeitsumfeld für den autistischen Mitarbeiter besser gestaltet
werden könnte.
Inwiefern halten Sie die Möglichkeit eines speziellen Coachs, vielleicht
nur zu Beginn der Tätigkeit, als eine hilfreiche Unterstützung?
(Dieser Coach könnte entweder jemand aus dem Kollegium / Personal-
rat oder eine externe Person sein)
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7. Indem Sie sowohl in einer Fernsehsendung, als auch in einem Zei-
tungsbericht, über sich und den Autismus gesprochen haben, zeigen
Sie einen offenen Umgang damit.
Denken Sie, dass es wichtig ist am Arbeitsplatz offen damit umzugehen
und die direkten Kollegen über den Autismus zu informieren?
Wenn ja: Warum? Wenn nein: Warum nicht?
8. Hätten Sie sich einen Leitfaden, mit den wichtigsten (sozialen) meist
ungeschriebenen Regeln, die in der Bibliothek herrschen, gewünscht
und für sinnvoll gehalten?
Wenn ja: Zu welchen Punkten hätten Sie sich diese Orientierung ge-
wünscht?
9. Gibt es noch etwas, dass Sie im Hinblick auf Ihre Berufstätigkeit und
der Arbeit in der Bibliothek erzählen möchten und ich mit meinen Fra-
gen noch nicht berücksichtigt habe?
90
Anhang 10: Zusammenfassung des Fragebogens an einen Biblio-
theksmitarbeiter
Arbeitsplatz: Wissenschaftliche Bibliothek in Deutschland, Mitarbeiter mit
Asperger-Syndrom
Der Befragte arbeitet seit 2008 in dem Magazin einer wissenschaftlichen
Bibliothek. Zu seinen Tätigkeiten gehört das Ziehen und Einstellen von
Büchern. Hierbei ist kein direkter Publikumskontakt gegeben.
Er beschreibt, dass ihm das Zurechtfinden innerhalb des Magazins leicht
fällt. Ebenfalls sei es leicht, die zu ziehenden Bücher, und später die
Rückstellplätze, zu finden. Falsch stehende Medien fallen ihm auf und
werden korrigiert.
Die Kollegen wussten zu Beginn seiner Tätigkeit über den Autismus Be-
scheid. Generell hält er einen offenen Umgang mit dem Autismus, auch im
Hinblick auf die Zusammenarbeit mit Kollegen, für wichtig.
Der Kontakt mit den Kollegen ist unproblematisch. Es gibt jedoch wenig
Small-Talk.
Der Befragte hält Bibliotheken generell für geeignete Arbeitsplätze für Au-
tisten, da sie eine ruhige und wenig hektische Arbeitsumgebung bieten.
Zudem gehören Tätigkeiten wie die Bestandspflege zu Aufgaben, die dem
Fähigkeitenprofil vieler Autisten entsprechen. Tätigkeiten, die mit direk-
tem Publikumskontakt (Ausleihe, Aufsicht oder Information) zu tun ha-
ben, hält er für problematisch.
Als der Befragte die Tätigkeit in der Bibliothek aufnahm kam es häufiger
vor, dass die Arbeit durch Reizüberflutungen für diesen Tag abgebrochen
werden musste. Da das Magazin eine ruhige und reizarme Arbeitsumge-
bung darstellt sind Reizüberflutungen inzwischen selten geworden. Wenn
es doch einmal dazu kommt, wird dies den Kollegen mitgeteilt und der Be-
fragte kann sich für einige Minuten zurückziehen.
Zu Beginn der Tätigkeit hätten ein Job Coach und ein Leitfaden mit sozia-
len Regeln (insbesondere "ungeschrieben") eine gute Unterstützung sein
können. Da diese Möglichkeiten nicht zur Verfügung standen, besprach
91
der Befragte seine Anliegen hinsichtlich der Arbeit mit seiner damaligen
Autismustherapeutin. Inzwischen "läuft alles wie von selbst".
Seit der Befragte die Tätigkeit in der Bibliothek ausübt hat sich sein
Selbstwertgefühl verbessert und er hat Struktur im Tagesablauf erhalten.
Er beschreibt: "Seit ich in der Bibliothek arbeite, habe ich nicht mehr das
Gefühl, „neben dem Leben“ zu stehen – ich stehe jetzt IM Leben.".
Durch die Berufstätigkeit kann er in seiner Freizeit besser seinen Interes-
sen und Projekten nachgehen, da er zuvor stets die Belastung spürte sich
darum kümmern zu müssen eine Anstellung zu erhalten.
Er hat seine Nische gefunden.
92
Anhang 11: Fragebogen an Prof. Dr. phil. Matthias Dalferth
1. Aus Zeitungsartikeln bezüglich der Einstellung von Autisten bei SAP
ging hervor, dass Sie auch Archive und Bibliotheken als geeigneten Ar-
beitsplatz für Autisten sehen.
Warum können insbesondere Bibliotheken einen geeigneten Arbeits-
platz darstellen?
2. In Bibliotheken gibt es unterschiedliche Tätigkeiten, die auch mit Pub-
likumsverkehr, bzw. dem direkten Austausch mit Bibliotheksbesu-
chern, verbunden sind.
Halten Sie diese Tätigkeiten für einen Autisten grundsätzlich für unge-
eignet, oder kann man dies nicht pauschalisieren, so dass individuell
entschieden werden muss, ob es eine geeignete Tätigkeit darstellt?
Könnte etwa der Auskunftsdienst eine geeignete Tätigkeit sein, weil der
autistische Mitarbeiter dort sein Expertenwissen einbringen könnte?
3. Worin sehen Sie die größten Probleme im Arbeitsalltag, die einen Autis-
ten in der Auslebung seiner Stärken negativ beeinflussen und bei der
Arbeit einschränken?
4. Bei Auticon gibt es Job Coaches als Bindeglied zwischen den Consul-
tants und Kunden. Würden Sie im Hinblick auf die Tätigkeit in einer
Bibliothek, solch einen Coach als Ansprechpartner und Bindeglied zwi-
schen autistischem Mitarbeiter und den übrigen Kollegen als sinnvoll
einschätzen?
Wenn ja: Sollte dies Ihrer Meinung nach ein Kollege (z.B. aus dem Per-
sonalrat) sein, oder besser eine externe Person?
5. Inwiefern schätzen Sie die Erstellung eines Leitfadens mit den wichtigs-
ten (sozialen) meist ungeschriebenen Regeln, die im jeweiligen Unter-
nehmen herrschen, als sinnvoll ein?
Gibt es "klassische" ungeschriebene Regeln, die einem Autisten schwer
fallen und die in diesem Leitfaden erscheinen sollten (beispielsweise die
Anrede unterschiedlicher Kollegen im E-Mailkontakt?)
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Anhang 12: Zusammenfassung des Fragebogens an Prof. Dr. phil. Matthias Dalferth
Professor an der Fakultät Angewandte Sozialwissenschaften der Hochschu-
le Regensburg, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Bundesverban-
des Autismus Deutschland e.V. und Mitautor des Buches "Berufliche Teil-
habe für Menschen aus dem autistischen Spektrum".
Herr Prof. Dr. Dalferth sieht Bibliotheken aus unterschiedlichen Gründen
als geeignete Arbeitsplätze für Autisten. Zunächst bieten Bibliotheken
aufgrund der Lärmempfindlichkeit vieler Autisten die Möglichkeit einer
ruhigen Arbeitsumgebung.
Bezüglich des Fähigkeitenprofils vieler Autisten bezieht er sich auf die
Monotropismus-Hypothese, die unter anderem besagt, Autisten könnten
sich besonders gut auf Details konzentrieren und sich diese gut merken.
Auch führt er den "Systemizing"-Faktor an, der von den Stärken autisti-
scher Menschen unter anderem im Sortieren, Registrieren oder Archivie-
ren handelt. Durch diese Stärken könnten autistische Mitarbeiter in einer
Bibliothek zu ziehende Bücher schnell finden und einstellen.
Auch könnten sie gut Informationen am Computer bearbeiten.
Er führt an, dass einige Autisten im Privatleben eher "Lexika oder Publika-
tionen mit systematischer Gliederung als Prosa" lesen würden.9
Tätigkeiten mit direktem Austausch im Publikumsverkehr könnten bei
unterschiedlichen Anfragen eventuell zu dem Gefühl sozialer Überforde-
rung führen, so dass Herr Prof. Dr. Dalferth diesen Tätigkeitenbereich als
weniger geeignet ansieht. Es muss jedoch individuell geprüft werden, ob
eine Eignung besteht oder nicht.
Sofern die Möglichkeit besteht Nutzeranfragen per E-Mail zu beantworten,
könnte dies eine geeignete Tätigkeit sein, da kein persönlicher Nutzerkon-
takt nötig ist und der Mitarbeiter selbst über die zeitliche Beantwortung
und den Inhalt der E-Mail entscheiden kann.
9 Anm. des Autors.: Diese Interessen decken sich mit den beschriebenen Stärken des "Systemizing"-Faktors
94
Generell ist es wichtig eine gleichbleibende Tageslaufgestaltung mit nur
einer Aufgabe zeitgleich zur Erledigung zu geben und wenig Varianz in die
Aufgabenstellung zu bringen. Auch der Arbeitsplatz sollte möglichst
gleichbleibend gestaltet sein.
Den Einsatz eines externen Job Coachs beurteilt Herr Prof. Dr. Dalferth
als hilfreich bis unverzichtbar. Je nach persönlichem Bedarf muss geprüft
werden wie lange und wie intensiv die Unterstützung durch einen exter-
nen Coach nötig ist. Gute Erfahrungen wurden zudem damit gesammelt,
im weiteren Verlauf einen motivierten und auf diese Tätigkeit vorbereite-
ten Kollegen als Mentor einzusetzen.
Einen Leitfaden mit allgemein bekannten, jedoch ungeschriebenen Regeln,
zu erstellen und dem autistischen Mitarbeiter als Orientierung zur Verfü-
gung zu stellen, sieht Herr Prof. Dr. Dalferth als eine weitere Unterstüt-
zungsmöglichkeit. Das Problem hierin sei jedoch, dass ein Leitfaden nie
die komplexen Anforderungen an das Alltagsgeschehen widerspiegeln
könne und stets unvollständig sein wird.
Deshalb sollte die Möglichkeit in Betracht gezogen werden den Job Coach,
bzw. kollegialen Mentor, gemessen an den persönlichen Bedarf des autis-
tischen Mitarbeiters, einzusetzen um Fragen und Unverständliches ver-
ständlich zu vermitteln.
Folgende Faktoren sieht Herr Prof. Dr. Dalferth als potentielle Probleme,
die einen Autisten bei der Ausführung seiner Arbeit einschränken oder
negativ beeinflussen könnten:
Im sozialen Kontext
Durchschauen sozialer Prozesse im Betrieb
Wahrnehmung der Erwartungen
Bedürfnisse von Kunden bzw. Mitarbeitern
Erkennen von gefühlsmäßigen Äußerungen in Mimik und Gestik
Probleme bei der Bearbeitung von Aufgaben
Druck zur Steigerung des Arbeitstempos
95
Erwartungen an Multitasking
Erwartung an die Entwicklung eigener Problemlösungsstrategien
Arbeit in Großraumbüros
Eigenständige Hierarchisierung der Aufgaben
Eigene Schwerpunktsetzung
Arbeiten ohne klare Anweisungen, ohne Plan
Tätigkeit als Vorgesetzter
Weitere mögliche Probleme
Reizüberflutung
Ertragen von Veränderungen (Tagesablauf, Personal, Arbeitsaufgaben,
Umstände…)
96
Anhang 13: Beispielplanung eines Tagesablaufs
97
Anhang 14: Darstellung der Tagesplans als App
Quelle Anhang 14 u. 15 : (Eigene Darstellung des Ausdrucks eines Tages-
plans und der Darstellung auf der App (vgl. Autiplan 2014)
98
Eidesstattliche Erklärung
Ich versichere, die vorliegende Arbeit selbstständig ohne fremde Hilfe ver-
fasst und keine anderen Quellen und Hilfsmittel als die angegebenen be-
nutzt zu haben. Die aus anderen Werken wörtlich entnommenen Stellen
oder dem Sinn nach entlehnten Passagen sind durch Quellenangabe
kenntlich gemacht.
Ort, Datum Unterschrift