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Donnerstag, 01. Februar 2018, 17:24 Uhr ~16 Minuten Lesezeit Die echte Gefahr Die sogenannten Antideutschen bauen an einer „Querfront“ mit der Neuen Rechten. von Abraham Melzer Foto: M-SUR/Shutterstock.com Die sogenannten »Antideutschen« sind ein Phänomen, das typisch deutsch ist und das man deswegen so wohl auch nur in Deutschland findet. Es handelt sich um eine aus Teilen der sogenannten radikalen Linken hervorgegangene, politische Strömung, die sich nach eigener Überzeugung gegen einen spezifisch deutschen Nationalismus wendet, von dem sie glaubt, dass er insbesondere im Zuge der deutschen Wiedervereinigung erstarkt sei. Typische antideutsche Positionen sind eine bedingungslose Solidarität mit Israel sowie eine entschiedene Gegnerschaft zu Antizionismus und Antiimperialismus und bestimmten Formen des Antikapitalismus, die sie pauschal mit

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Donnerstag, 01. Februar 2018, 17:24 Uhr~16 Minuten Lesezeit

Die echte GefahrDie sogenannten Antideutschen bauen an einer „Querfront“ mit der Neuen Rechten.

von Abraham Melzer Foto: M-SUR/Shutterstock.com

Die sogenannten »Antideutschen« sind ein Phänomen,das typisch deutsch ist und das man deswegen so wohlauch nur in Deutschland findet. Es handelt sich umeine aus Teilen der sogenannten radikalen Linkenhervorgegangene, politische Strömung, die sich nacheigener Überzeugung gegen einen spezifisch deutschenNationalismus wendet, von dem sie glaubt, dass erinsbesondere im Zuge der deutschenWiedervereinigung erstarkt sei. Typische antideutschePositionen sind eine bedingungslose Solidarität mitIsrael sowie eine entschiedene Gegnerschaft zuAntizionismus und Antiimperialismus und bestimmtenFormen des Antikapitalismus, die sie pauschal mit

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Antiamerikanismus und Antisemitismus gleichsetzen.

Sogenannte Linksautonome werfen den Antideutschen eine»völkische« Ideologie vor, weil diese in ihrem klebrigen, peinlichenPhilosemitismus die jüdischen Menschen romantisieren undhomogenisieren. Der Philosemitismus basiert auf fast denselbenStereotypen wie der Antisemitismus, nur dass er sie positivbewertet. Wenn Antisemiten Juden dafür hassen, dass sie angeblichso klug und kosmopolitisch sind und angeblich den Nationalstaatzerstören, bewundern die antideutschen Philosemiten sie dafür.War es nicht sogar Henryk M. Broder, der einmal sagte,Philosemiten seien Antisemiten, die die Juden lieben? Er zählt heutezu den publizistischen Helden der Antideutschen.

Viele Exponenten der Antideutschen weisen in der Tat zudemBerührungspunkte zu neurechten Gruppen auf, insbesondere ausder islamophoben Ecke. Zu den Zentralorganen der Antideutschenzählen die Wochenzeitung Jungle World, das Magazin Bahamas unddie Monatszeitschrift konkret. Manche antideutschen Autorenpflegen zudem eine gewisse Nähe zu den Publizisten der Website

Es überrascht nicht, dass das Aufkommen der Antideutschen zuheftigen Kontroversen innerhalb der linken Szene führte. Denn dieAntideutschen treiben ihre aus der deutschen historischenVerantwortung hergeleitete Solidarität mit Israel so weit, dass sieIsrael und die USA als Träger der abendländischen Zivilisationverherrlichen. Ihre Solidarität mit Israel resultiert also nicht auseiner Auseinandersetzung mit dem realen Konflikt im Nahen Osten,sondern aus einer Überidentifikation mit »den Juden« sowie auseiner Projektion vermeintlich links-deutscher Befindlichkeiten aufIsrael.

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des rechtspopulistischen Netzwerks »Achse des Guten« um HenrykM. Broder, schreiben für entschieden proisraelische Internet-Blogsoder für die extrem rechte Jüdische Rundschau, die rassistische undnationalistische Ideologien verbreitet.

Manche linken Kritiker haben die antideutsche Strömung schon zur»grotesken Narrentruppe deutschen Schuldkomplexes« (1) erklärtund werfen ihnen vor, sie propagierten und zelebrierten »eine Formder Israel-Begeisterung, die sich mit den Maximalpositionen derisraelischen Rechten deckt«. In der Zeitschrift der Rosa-Luxemburg-Stiftung war zu lesen, das Problem beimPhilosemitismus der Antideutschen sei, dass sie jüdische Personenebenso als homogene Masse betrachten würden, wie sie dies beiAntisemiten vermuten, nur dass die Vorzeichen spiegelverkehrtsind.

Der linke israelische Historiker Moshe Zuckermann meint, die»doktrinäre Israel-Solidarität« ignoriere die Widersprüchlichkeitder israelischen Gesellschaft. Die Protagonisten der linkenSolidarität mit Israel würden einem Zionismus huldigen, der»weitgehend enthistorisiert« sei. Der Zionismus sei in derVergangenheit eine Notwehrmaßnahme gegen den Antisemitismusgewesen. Vor diesem Hintergrund ist die Parteinahme für Israel imSelbstverständnis der antideutschen Ideologie eine zwingendeKonsequenz aus ihrer strikten Ablehnung von Antisemitismus alsgrößtem Übel der Welt. In einigen Ausläufern der autonomenAntifa-Szene ist es deshalb schick geworden, mit einer kaum nochtheoretisch begründeten Israel-Solidarität zu kokettieren.

Ironischerweise entzündete sich die »antideutsche« Kritikursprünglich einmal am verlogenen Gesinnungskitsch der deutsch-jüdischen Versöhnung mit ihrem tatsächlich »klebrigenPhilosemitismus«. Der Publizist Eike Geisel (1945–1997) hat schonfrüh »jenes unerträgliche Gemisch aus betroffenen Christen,schwärmerischen Israel-Touristen, geduldigen Berufsjuden,

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bekennenden Deutschen und eifernden Hobby-Judaisten« scharfkritisiert. Nun sind die Antideutschen selbst beim, nunmehrzionistischen, Gesinnungskitsch angekommen.

Aber wie kam es dazu? Vor 1989 war »antideutsch« noch eineziemlich diffuse Fremdbezeichnung für die antinationale Haltung inTeilen der deutschen Linken. Seine heutige Prägung erfuhr derBegriff erst sehr viel später, indem er als Selbstbezeichnung voneiner spezifischen theoretischen Strömung innerhalb der Linkenwieder aufgegriffen wurde, und zwar nach dem Mauerfall von 1989.

Die Spaltung der Antideutschen von der übrigen Linken wurde inder aufgeregten Wendezeit von einer breiten Öffentlichkeit kaumbeachtet – bis heute. Während in Leipzig zehntausende Menschenfür das nahende Ende der DDR und die deutsche Wiedervereinigungdemonstrierten, fanden sich in Frankfurt am Main 20 000 Anhängerdiverser kommunistischer Gruppen und der Grünen zusammen, umauf die Gefahren der Wiedervereinigung aufmerksam zu machen.

Den Deutschen, so sahen es viele von ihnen schon damals, sei derAntisemitismus kulturell quasi unauslöschbar eingraviert, und jederdeutsche Staat müsse deshalb unweigerlich in einen neuenHolocaust führen. Auf einer antideutschen Kundgebung in Hamburgim Januar 2004 war auf einem Transparent zu lesen: »Deutschlanddenken heißt Auschwitz denken!« Positionen, die denen derAntideutschen widersprachen, wurden schnell als »antisemitisch«denunziert, was der Satiriker Wiglaf Droste einmal mit dem Bonmotcharakterisierte: »Wer als Erster Auschwitz sagt, hat gewonnen.«

Die Haltung der »antideutschen Linken« zur übrigen Linkenentspricht der Haltung, die der frühere Präsident des Zentralratsder Juden in Deutschland, Dieter Graumann, einmal in derSüddeutschen Zeitung auf den Punkt brachte. Er schrieb dort: »Deralte anti-zionistische Geist der DDR spukt noch in der Linken«,wenngleich es vor allem West-Linke seien, »die ihren geradezu

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pathologischen, blindwütigen Israel-Hass ausleben«.

Das einzigartige Phänomen der »Antideutschen« gibt es so nur inDeutschland. Es gibt auch in Frankreich oder Italien Linke, die mitIsrael sympathisieren. Die »Antideutschen« nennen sich so, weil sieDeutschland wegen seiner nationalsozialistischen Vergangenheithassen und die USA und insbesondere Israel lieben. Sie betrachtensich als die Beschützer der Juden und sehen auch in den Israeliskeine Israelis, sondern Ghetto-Juden, die geschützt werden müssen.Da kann ich nur sagen: »Gott schütze mich vor solchen Freunden,vor meinen Feinden kann ich mich selber schützen!«

Sie hassen Deutschland, stehen fest an der Seite Israels und lehnenjede Kritik an den USA ab. Die Antideutschen sind eine sehrseltsame Gruppe innerhalb der linken Bewegung. Ursprünglichwollten sie mal das »Vierte Reich« verhindern – und haben sichdabei furchtbar verlaufen. Vielleicht glauben sie das alles auchselbst. Wahrscheinlicher ist aber, dass sie sich in derUnübersichtlichkeit politischer, gerade linker Splittergruppen mitdiesem Thema so wunderbar wichtigmachen können. Geradejüngere Antideutsche finden dieses vermeintlicheDistinktionsmerkmal ganz, ganz toll. Schlussendlich geht es dabeinur um die eigene Befindlichkeit. Eine Art politische Theorie oderAnalyse ist nicht in Sicht. Ach, wie schön ist es doch, in jederBewegung der Hardliner zu sein, sprich, der Durchblicker.

Nach Beginn der Zweiten Intifada ab September 2000 in Israel undPalästina und dem Terroranschlag vom 11. September 2001 in denUSA kam es zu einer schroffen Polarisierung zwischen den ehertraditionellen Linken auf der einen und den nunmehr alseigenständige Strömung erkennbaren Antideutschen auf deranderen Seite. Der Anschlag auf das World Trade Center am 11.September 2001 und zahlreiche Anschläge auf Synagogen undjüdische Menschen weltweit deuteten sie als Alarmzeichen für einenunverändert starken antisemitischen Vernichtungswillen in allen

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Teilen der Welt.

Seitdem steht die vorbehaltlose Solidarität mit dem Staat Israel unddie scharfe Gegnerschaft zu antizionistischen Haltungen imZentrum des antideutschen Selbstverständnisses. Antideutschesehen Juden in aller Welt und insbesondere im Staat Israel vonverschiedenen Seiten bedroht – sowohl durch das Fortbesteheneiner Ideologie der Volksgemeinschaft in den westlichen Ländernund insbesondere in Deutschland (»Postfaschismus«) als auch durchdie Ignoranz der europäischen Regierungen gegenüber demangeblich erstarkenden Antisemitismus in der EU und in denNachfolgestaaten der Sowjetunion. Besonders der virulenteAntisemitismus in vielen islamischen Ländern sei eine nicht zuunterschätzende Gefahr für das Existenzrecht Israels undBestandteil einer »antisemitischen Internationale«, davon sind sieüberzeugt.

Als eigentliche Geburtsstunde der antideutschen Bewegung kanndas Jahr 1995 gelten. Bei der Zeitschrift Bahamas verließ dieFraktion, die sich als Teil einer linken Bewegung verstand, dieRedaktion. Die verbliebenen Redakteure wollten fortan außerhalbder Linken »nur sich selbst« verantwortlich sein. Die Antideutschen,als deren Zentralorgan Bahamas fortan galt, organisierten sich als(pseudo-intellektuelle) Zirkel, die sich vor allem auf die KritischeTheorie und die Psychoanalyse (sic!) beriefen. Gleichwohl ist ihrintellektuelles Niveau eher schlicht, und sie haben immer wieder zuroher Gewalt gegriffen, wenn es darum ging, andere Gruppen zumSchweigen zu bringen.

Statt sachliche Analysen zu betreiben, theoretisieren sie ihre eigeneBefindlichkeit.In Leipzig versuchten sie den Vortrag des britisch-kanadischenPhilosophen Ted Honderich zu sprengen, indem sie mit einerriesigen Israelfahne auf das Podium traten, Honderich verdecktenund ihn so am Vortrag hinderten. Es musste schließlich die Polizei

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gerufen werden. Ebenfalls in Leipzig versuchten »Antideutsche«,den Vortrag des Auschwitzüberlebenden Hajo Meyer auf dieselbeArt und Weise zu verhindern.

Als Meyer sie darauf aufmerksam machte, dass ihn das an dieAufmärsche der SA-Trupps erinnerte, als diese vor derMachtergreifung diverse Veranstaltungen von Kommunisten,Sozialdemokraten und natürlich Juden sprengten, lachten dieüberwiegend jugendlichen Störenfriede. Ähnlich wie die Naziswaren sie überzeugt von ihrer Untat. Meyer konnte nur nochhinzufügen, dass die Polizei damals auf der Seite des Unrechts war –im Gegensatz zu heute.

Berühmt und berüchtigt sind die Antideutschen auch deswegen,weil sie einen unnachgiebigen Kampf gegen den Islamismuspropagieren und ihnen auch gewöhnliche Muslime verdächtig sind.Sie sind der Ansicht, dass dieser Kampf vor allem militärisch geführtwerden müsse und dass Entwicklungen wie die arabischen Revoltenauch langfristig keinen Anlass zur Hoffnung auf Besserung desNahost-Konfliktes bieten könnten, und bieten dafür komplexe undabstrakte philosophische Begründungen auf. Mit den Niederungengesellschaftlicher Realitäten und der spezifischen Geschichte desNahen Ostens befassen sich Antideutsche dagegen nur ungern bisgar nicht. Man will sich eigentlich nur mit der eigenen Sichtweisebefassen.

Aus dieser Analyse folgt für Antideutsche die Forderung nachbedingungsloser Solidarität mit Israel, welches als Staat derHolocaust-Überlebenden eine notwendige Zuflucht für verfolgteJuden aller Länder bilde. Diese grundsätzliche Solidarität mit Israelbedeutet bei vielen Antideutschen auch die volle Unterstützung fürdie konkreten politischen und militärischen Maßnahmen derjeweiligen israelischen Regierungen.

Israel habe »als Opfer beständiger Aggression durch

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palästinensische Organisationen das Recht, sich mit Maßnahmenwie Kontrollen, Sperranlagen im Westjordanland und zumGazastreifen sowie gezielten Tötungen zu verteidigen«, heißt es ineinem typischen antideutschen Text. Ein sich in fortwährendemBedrohungszustand befindendes Israel dafür zu kritisieren, dass essich selbst verteidige und, sofern notwendig, auch präventiv zumAngriff übergehe, laufe darauf hinaus, seine Vernichtung billigend inKauf zu nehmen. Solidarität, die über Lippenbekenntnissehinausgehen wolle, könne daher nur bedingungslos sein.

Einige prominente Vordenker der antideutschen Linken haben dieSolidarität mit Israel philosophisch zu begründen versucht. Soentwickelte der Politologe Stephan Grigat den »zionistischenkategorischen Imperativ« als Maßstab für eine aktiveSolidarisierung, die dazu beitragen solle, »die Möglichkeitenreagierender und präventiver Selbstverteidigung« des Staates Israelaufrechtzuerhalten.

Ohne es offen auszusprechen, beruht das antideutsche Denken aufeinem rassistischen Argument: Einmal Deutscher, immer Nazi! Werdem widerspricht und bezweifelt, dass Deutschland wieder einReich errichten und Juden ermorden will, betreibt in ihren Augen»Appeasement«. Für die Mehrzahl einiger Linken, die sich denAntideutschen verbunden fühlen, ist, was immer Deutschland tutund welcher Mittel es sich auch bedient, vom gleichen Motivgetrieben. Es geht ihrer Ansicht nach immer um das Gleiche: umeine Wiederauflage der Hitlerei, der deutschen Eroberungskriegeund vor allem – der Judenvernichtung.

Der wegen Auschwitz erteilten Absage ans deutsche Böse steht dieeinseitige Parteilichkeit für den absolut guten, zu allem berechtigtenStaat der Juden gegenüber. Dabei wird der Staat Israel nicht als daswahrgenommen, was er ist, sondern als Wirklichkeit seinerhistorischen Gründungsideologie. Darüber erschließt sich denAntideutschen, was für eine segensreiche und heimelige

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Einrichtung der Nationalstaat doch ist. In der Zeitschrift konkretschrieb deren Herausgeber und Chefredakteur Hermann Gremlizaeinmal: »Israel ist der Staat, dessen ganzer Zweck der Schutzjüdischen Lebens ist, verlören die Juden ihn, wären sie erneut denLaunen der Antisemiten preisgegeben« (2).

Gremliza schrieb hier wohlweislich nichts vom Schutz »seinerBürger«, sondern griff auf die radikal zionistische Vorstellungzurück, dass Israel alle Juden auf der ganzen Welt schütze. Dochden Juden in aller Welt winkt in Israel keine sichere »Heimstatt«,und umgekehrt erwartet die Juden in aller Welt kein Pogrom.Stattdessen leben Juden heute in Israel am gefährlichsten. Undwenn man nicht in Israel lebt, was auf die meisten Juden zutrifft,wird man von diesem Staat materiell und vor allem moralisch inAnspruch genommen und unter Druck gesetzt, bis hin zu derKonsequenz, dass selbst jüdische Kritiker als »Antisemiten« und»Jüdische Selbsthasser« denunziert werden.

Die absurde und seltsame Ideologie der sogenannten Antideutschenleuchtet den meisten Linken nicht ein. Die Antideutschen pochenauf eine angebliche Pflicht der politischen Linken zu proisraelischerParteilichkeit. Die linken Israelis, die aber mit der Politik in ihremLand nichts zu tun haben wollen und deshalb zu Tausenden nachBerlin flüchten, werden von diesen Antideutschen alsVaterlandsverräter (sic!) beschimpft und verleumdet. Und wenn sichirgendwo tatsächlich ein Linker rührt, der zu Deutschland oder garzu Israel eine andere Meinung hat als sie, dann kann er äußern, waser will: Er wird als Beleg für jenen angeblichen »linkenAntisemitismus« gesehen, dessen moralisches Bekämpfen dieAntideutschen sich zum Daseinszweck gemacht haben.

So sehr diese vermeintlich linksradikale und antideutsche Strömungvon sich behauptet, gegen das herrschende System zu sein, so sehrhat es ihr gefallen, als Bundeskanzlerin Angela Merkel verkündete,dass Israels Sicherheit »deutsche Staatsräson« sei. Wer zwischen

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dem Groß-Israel-Projekt der rechten Likud-Regierungen, abereigentlich auch fast aller Regierungen davor, und dem Anspruch vonJuden in aller Welt auf ein Leben ohne rassistische Anfeindungenauch nur den geringsten Unterschied macht, will Auschwitzreaktivieren, und wer auf den Straßen von Berlin gegen denisraelischen Angriff auf Gaza protestiert, will den Holocaustwiederbeleben.

Die Antideutschen, die sich fast ausschließlich mit der Politik Israelsund der Politik der USA beschäftigen, sind der Meinung, dass umder jüdischen Opfer von Auschwitz willen dem Staat Israel einebedingungslose blinde Solidarität zusteht, auf die andere Opferkeinen Anspruch erheben können. Wer aber behauptet, dass dieOpfer von Auschwitz das wollten? Evelyn Hecht-Galinski, dieTochter des früheren Vorsitzenden des Zentralrats der Juden inDeutschland, wird nicht müde zu erklären, dass ihr Vater, HeinzGalinski, Auschwitz nicht überlebt hatte, um zu neuem Unrecht zuschweigen. Zum Unrecht in Israell hat er aber geschwiegen.

Daran, dass er Israel zubilligt, was man sonst als schreiendesUnrecht verurteilen würde, bewährt sich der wahre und gute»Antideutsche«. Da legen sich sogar mutmaßliche Intellektuelle dieBorniertheit einer israelisch-vaterländischen Parteilichkeit alsStandpunkt zurecht. Ihr Imperativ, als guter Deutscher wie einidealtypisch bornierter Israeli zu denken und zu urteilen, gerätfolgerichtig zu einer explizit bindungslosen Affirmation staatlicherGewalt, zu der es in dieser Rigidität normalerweise einenisraelischen Faschisten bräuchte.

Solche Antideutsche machen den Eindruck, dass sie sich einesfortgesetzten Moral-Verrats schuldig machen, weil sie nicht nochbedingungsloser zu Israel halten als jeder noch einigermaßennüchtern gebliebene israelische Patriot. »Man kann in Deutschlandnicht gegen Israel und auch nicht gegen die konkreteRegierungspolitik in Israel demonstrieren!«, glauben sie. »Der Staat,

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in den sich die den deutschen Mördern entkommenen Judengerettet haben, war in tödlicher Gefahr. Es gibt kein Prinzip, das esMitgliedern des Kollektivs, ›die Deutschen‹ erlaubte, in solcher Lageanderes zu tun, als Israels Partei zu ergreifen.«

Dass der Staat, in den sich viele Juden aus Europa gerettet haben,damals noch nicht existierte, sondern ein bewohntes Gebiet war,das den Palästinensern gehörte, ignorieren sie. Selbst in den Verfassungsschutzbericht fand die »antideutsche«Strömung im Jahr 2006 erstmals Eingang. Doch schon zwei Jahrespäter konstatierte der Verfassungsschutzbericht: »Den Höhepunktihres Einflusses auf den traditionellen Linksextremismus hat die»antideutsche« Strömung inzwischen überschritten. Ihr wird in derSzene kaum noch Aufmerksamkeit entgegengebracht.« Im Folgejahrwurden die Antideutschen nicht mehr im Bericht desVerfassungsschutzes erwähnt.

Die Zahl der Antideutschen, die sich um das Sektenblatt Bahamasund vergleichbare Mini-Publikationen wie Prodomo und BonjourTristesse gruppieren, ist nicht hoch, sie dürfte einige Hundert nichtübersteigen. Sie besitzen allerdings eine junge und eingeschworeneFangemeinde, primär in den Antifa-Szenen, von manchemBeobachter auch als »eventorientierte Spaßjugend« bezeichnet, derUniversitätsstädte, und ihre Ideen, oder besser, der Wunsch nachDistinktion, verbreiten sich auch in anderen Strömungen derLinken. Mittlerweile gibt es in zig linken Gruppierungen – von denJusos bis zu den Anarcho-Syndikalisten – eine explizitproisraelische Fraktion. Antiisraelische Aktivitäten wie die BDS-Kampagne stoßen bei ihnen auf größeren Widerstand.

Die Antideutschen mögen einen Hang zum Sektierertum haben, wieihnen auch von Wohlmeinenden attestiert wird. Ohne politischeWirkung sind sie aber nicht geblieben. Der Einfluss der»antideutschen Strömung« zeigt sich unter anderem daran, dass dieBundestagsfraktion der Linkspartei ihren Mitgliedern vor einigen

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Jahren das Eintreten für eine Ein-Staaten-Lösung, die Teilnahme aneiner weiteren Gaza-Flottille und Boykottaufrufe gegen israelischeProdukte untersagt hat.

Der Verein Jüdische Stimme für gerechten Frieden in Nahost undeine Gruppe von mehr als 100 israelischen linken Aktivistenkritisierten die Linkspartei für diesen Beschluss: Solche kritischenPositionen seien legitim.

Ob es einen Kausalzusammenhang zwischen radikal-aggressiverlinker Theorie und dem Erstarken des Rechtspopulismus gibt, kannich nicht beurteilen. Sicher ist aus meiner Sicht aber die Tatsache:Eine Linke, die nicht daran glaubt, dass es verschiedene Meinungenund Fakten, Lügen und Wahrheit, verbale und reale Gewalt, falschund richtig gibt, geben darf und vielleicht auch geben muss, hatrechten Lügnern, Leugnern und Tätern argumentativ wenigentgegenzusetzen. Hier bezeichnet sie sich nur noch als links, beigenauem Hinsehen bildet sich hier aber die oft beschworeneQuerfront tatsächlich aus. Zu rechten Positionen gibt es gar keineUnterschiede mehr. Links ist daran gar nichts.

Israel verliert nach und nach seine Freunde in der Welt. Nicht nurSozialdemokraten und Linke gehen auf Distanz zur israelischenPolitik. Die Labour Party in England distanziert sich von BenjaminNetanjahu, auch andere linke Parteien quer durch Europa, vonItalien und Spanien, über Frankreich und Holland bis hin zuSchweden, kritisieren die nationalistische Politik Israels.Demgegenüber gewinnt Israel Freunde auf der rechten Seite.

Heute unterhält die israelische Regierung unter Benjamin Netanjahunicht nur gute Kontakte zu Heinz-Christian Strache, demVorsitzenden von Österreichs rechtspopulistischer FreiheitlicherPartei (FPÖ), der in Israel von Mitgliedern der Koalitionsregierungmit offenen Armen begrüßt wurde. Straches Partei wurdeursprünglich von österreichischen Nazis gegründet, und Jörg

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Haider, ihr früherer Vorsitzender, äußerte Sympathien für gewissepolitische Maßnahmen Adolf Hitlers. Heute steht sie aber in ersterLinie für einen anti-muslimischen und Anti-Einwanderungskurs undbildet hier also einen Querfrontpunkt mit den Antideutschen.

Ein anderer Freund Israels ist der Rechtspopulist Geert Wilders ausden Niederlanden, der zwar extrem fremdenfeindlich, andererseitsaber Israel sehr freundlich zugewandt ist. Im Herbst 2016 wurdebekannt, dass Wilders Besuche in Israel und seine Treffen mitisraelischen Regierungsmitgliedern so häufig stattfanden, dass derholländische Geheimdienst seine »Verbindungen mit Israel und ihremöglichen Auswirkungen auf seine Loyalität zu Holland«untersuchte (3). Wilders hasst Muslime, und nicht wenige Juden, wiezum Beispiel Henryk M. Broder, stehen deshalb hinter ihm. Auch dierechtspopulistische und islamophobe französische PolitikerinMarine Le Pen sucht die Nähe zu Israel, nach dem Motto:

Der Feind meines Feindes ist mein Freund.

Und Israel unterhält auch zu den fundamentalistisch-evangelikalenChristen in den USA enge Beziehungen, obwohl jeder weiß, dassdiese antisemitisch eingestellt sind. Mit der Wahl von Donald Trumpzum US-Präsidenten hat diese Art der Zusammenarbeit Einzug indas Zentrum der amerikanischen Politik gehalten. Deshalb hatTrump auch einen erklärten Zionisten als Botschafter nach Israelentsendet, will die Botschaft der USA nach Jerusalem verlagern undden illegalen Siedlungsbau stärker unterstützen. Das läuft auf eineUS-Außenpolitik hinaus, die sich zionistischer als der Zionismusgibt.

Unlängst solidarisierten sich auch die AfD-Politikerin Beatrix vonStorch und andere ultrarechte Europa-Abgeordnete imEuropaparlament mit der neu gegründeten Lobby zugunsten dervölkerrechtswidrigen Siedlungen in den besetztenPalästinensergebieten. Hier kommt offensichtlich zusammen, was

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zusammengehört:

Rechte Zionisten aus Israel und rechte Nationalisten inEuropa. Plus die Antideutschen. Querfront eben.

(https://www.westendverlag.de/buch/die-antisemitenmacher/)

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Quellen und Anmerkungen:

(1) http://www.zeit.de/zeit-magazin/2017/12/antideutsche-israel-linke-deutschland/ (http://www.zeit.de/zeit-magazin/2017/12/antideutsche-israel-linke-deutschland/)(2) konkret 5/02(3)https://quotenqueen.wordpress.com/2016/12/11/geheimdienst-schnueffelte-wegen-wilders-israel-verbindung/(https://quotenqueen.wordpress.com/2016/12/11/geheimdienst-schnueffelte-wegen-wilders-israel-verbindung/)

Abraham Melzer ist in Israel aufgewachsen und lebt seit1958 in Deutschland. Bis 2012 führte er den von seinemVater gegründeten Joseph-Melzer-Verlag. Er verlegtezahlreiche Bücher sowie eine Zeitschrift zum Nahost-Konflikt und ist Mitglied in der „Jüdischen Stimme fürgerechten Frieden in Nahost (http://www.juedische-stimme.de/)“.

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