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447 © Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Bautechnik 87 (2010), Heft 8 Gerne hätte Doris Grei- ner-Mai, am 8. Juli 1945 in Ernstthal/Thüringen geboren, ihr Lieblingsfach Deutsch in einem Stu- dium der Germanistik, der Literatur- oder Thea- terwissenschaft vertieft. Doch dazu hätte es, wie bei allen geisteswissen- schaftlichen Fächern in der DDR, einer Anpas- sung bedurft, die sie nicht erbringen konnte und wollte. So entschied sie sich, nach dem Abitur, ab dem Wintersemester 1964/65 die von Parteiordern kaum zu beeinflussenden natur- und technikwissenschaftlichen Grundlagen des Bauingenieurwesens an der Hochschule für Architektur und Bauwesen in Weimar zu studieren. Nach der Diplom- hauptprüfung 1970 nahm sie die Chance wahr, sich als As- sistentin bei dem wissenschaftlich strengen und die Mitar- beiter fordernden, doch stets vorbildhaft vorangehenden Leiter des Instituts für Beton- und Spannbetonbau, Pro- fessor Erhard Hampe (1928–1998), ein solides theoreti- sches Fundament zu erarbeiten. Sie wurde 1973 mit einer Untersuchung über Großkühltürme promoviert. Zwei Jahre später wechselte sie in die Praxis, an das Institut für Industriebau der Deutschen Bauakademie. Hier entwickelte sie mit Kollegen Leichtkonstruktionen und textile Flächentragwerke, um anschließend an Aufga- ben aus dem Kernkraftwerksbau mitzuwirken. Diesen auch von politischen und Zukunftsspekulationen behafte- ten Bereich des Planens und Bauens verließ sie 1982; sie übernahm im Verlag für Bauwesen in Berlin die Aufgaben einer Lektorin für bauwissenschaftliche Literatur. Ihre Vorliebe für die Literatur rückte weiter in den Vorder- grund. In den DDR-Zeiten lernte sie auf Reisen die Ost- blockländer kennen, westliche Literatur wusste sie sich zu beschaffen. Sie kommentiert Rückfragen hierzu knapp: „… auch nicht der real existierende Sozialismus hat je auf- geschlossene Menschen daran gehindert, sich zu bilden und dazuzulernen, sich den Genuss am Denken und an der Kultur zu erarbeiten und zu erhalten …“. Betroffen denkt der westliche Adressat an die weißen Flächen in sei- ner Kenntnis über das Leben im seinerzeit nicht demokra- tisch orientierten Teil Deutschlands. Mit dem Verschwinden der „real existierenden“, zäu- menden Grenze wird vieles anders. Es wird nicht einfa- cher. Sie beschreibt es so: Ich war nie ein „Ossi“ und will auch kein „Wessi“ werden. Doris Greiner-Mai findet eine neue Aufgabe. Ihre Nei- gung zur Literatur, ihre Erfahrungen als Lektorin (u. a. für den Reprint D. Fontana „Die Art, wie der vatikanische Obe- lisk transportiert wurde“ von 1987 oder E. Hampes Bücher über Silos, Schalen u. a. m.) sowie ihre breit angelegte Sicht auf das Bauen insgesamt geben den Ausschlag: Ernst Karl Schneider, Verlagsleiter von Ernst & Sohn, stellt sie am 1. März 1991 als Schriftleiterin für die BAUTECHNIK ein. Sie tritt die Nachfolge von Professor Gebhard Hees und In- gelore von Halàsz an, die mit dem Heft 12/1991 aus der Schriftleitung ausscheiden. Im Heft 1/1992 benennt die neue Schriftleiterin ihre Absichten: Sie will ein redaktionelles Gleichgewicht zwi- schen Ingenieurtheorie und Praxis, Planung und Bauaus- führung, Überblick und Detail. Dieses Programm, so ist zu vermerken, hat sie durchgehalten und stetig den guten Ruf der Fachzeitschrift ausgeweitet und verbessert. Sie verlangt gut geschriebene Manuskripte, schreibt sie doch selbst in klaren, unkomplizierten, treffenden Formulie- rungen. Sie widersteht der – manchen Schriftleiter ver- zweifeln lassenden – Ansicht nicht weniger Autoren, wo- nach der fachliche Inhalt genüge, seine sprachliche Durcharbeitung nicht so wichtig sei. Sie erwartet fun- dierte Fachaufsätze als Teil unserer ständig fortgeschrie- benen Bauingenieurgeschichte und nicht Institutspubli- kationen oder locker hingehauene Werbetexte. Erst aus der Filterwirkung der Schriftleitung entstehen Jahres- bücher, die das feste Einbinden und Aufbewahren wert sind. Doris Greiner-Mai hat sich neben der BAUTECHNIK um die Belange des Verlags mit großem Engagement gekümmert: seien es der Kontakt zu Autoren und Abon- nenten, die Aufmachung von Zeitschriften und Büchern und deren Preisgestaltung, stets bringt sie auf der Basis vorhandener und neu gewonnener Erfahrungen und aus ihrem Wissen über die Herstellung ihre Vorschläge ein. Seit dem Ausscheiden der Lektorin Monika Herr gilt ihre Doris Greiner-Mai: 65 Jahre und Abschied von der Bautechnik nach zwanzig Jahren

Doris Greiner-Mai: 65 Jahre und Abschied von der Bautechnik nach zwanzig Jahren

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447© Ernst & Sohn Verlag für Architektur und technische Wissenschaften GmbH & Co. KG, Berlin · Bautechnik 87 (2010), Heft 8

Gerne hätte Doris Grei-ner-Mai, am 8. Juli 1945in Ernstthal/Thüringengeboren, ihr LieblingsfachDeutsch in einem Stu-dium der Germanistik,der Literatur- oder Thea-terwissenschaft vertieft.Doch dazu hätte es, wiebei allen geisteswissen-schaftlichen Fächern inder DDR, einer Anpas-sung bedurft, die sie nichterbringen konnte undwollte. So entschied siesich, nach dem Abitur, ab dem Wintersemester

1964/65 die von Parteiordern kaum zu beeinflussendennatur- und technikwissenschaftlichen Grundlagen desBauingenieurwesens an der Hochschule für Architekturund Bauwesen in Weimar zu studieren. Nach der Diplom-hauptprüfung 1970 nahm sie die Chance wahr, sich als As-sistentin bei dem wissenschaftlich strengen und die Mitar-beiter fordernden, doch stets vorbildhaft vorangehendenLeiter des Instituts für Beton- und Spannbetonbau, Pro-fessor Erhard Hampe (1928–1998), ein solides theoreti-sches Fundament zu erarbeiten. Sie wurde 1973 mit einerUntersuchung über Großkühltürme promoviert.

Zwei Jahre später wechselte sie in die Praxis, an dasInstitut für Industriebau der Deutschen Bauakademie.Hier entwickelte sie mit Kollegen Leichtkonstruktionenund textile Flächentragwerke, um anschließend an Aufga-ben aus dem Kernkraftwerksbau mitzuwirken. Diesenauch von politischen und Zukunftsspekulationen behafte-ten Bereich des Planens und Bauens verließ sie 1982; sieübernahm im Verlag für Bauwesen in Berlin die Aufgabeneiner Lektorin für bauwissenschaftliche Literatur. IhreVorliebe für die Literatur rückte weiter in den Vorder-grund.

In den DDR-Zeiten lernte sie auf Reisen die Ost-blockländer kennen, westliche Literatur wusste sie sich zubeschaffen. Sie kommentiert Rückfragen hierzu knapp: „… auch nicht der real existierende Sozialismus hat je auf-geschlossene Menschen daran gehindert, sich zu bildenund dazuzulernen, sich den Genuss am Denken und an

der Kultur zu erarbeiten und zu erhalten …“. Betroffendenkt der westliche Adressat an die weißen Flächen in sei-ner Kenntnis über das Leben im seinerzeit nicht demokra-tisch orientierten Teil Deutschlands.

Mit dem Verschwinden der „real existierenden“, zäu-menden Grenze wird vieles anders. Es wird nicht einfa-cher. Sie beschreibt es so: Ich war nie ein „Ossi“ und willauch kein „Wessi“ werden.

Doris Greiner-Mai findet eine neue Aufgabe. Ihre Nei-gung zur Literatur, ihre Erfahrungen als Lektorin (u. a. fürden Reprint D. Fontana „Die Art, wie der vatikanische Obe-lisk transportiert wurde“ von 1987 oder E. Hampes Bücherüber Silos, Schalen u. a. m.) sowie ihre breit angelegte Sichtauf das Bauen insgesamt geben den Ausschlag: Ernst KarlSchneider, Verlagsleiter von Ernst & Sohn, stellt sie am1. März 1991 als Schriftleiterin für die BAUTECHNIK ein.Sie tritt die Nachfolge von Professor Gebhard Hees und In-gelore von Halàsz an, die mit dem Heft 12/1991 aus derSchriftleitung ausscheiden.

Im Heft 1/1992 benennt die neue Schriftleiterin ihreAbsichten: Sie will ein redaktionelles Gleichgewicht zwi-schen Ingenieurtheorie und Praxis, Planung und Bauaus-führung, Überblick und Detail. Dieses Programm, so istzu vermerken, hat sie durchgehalten und stetig den gutenRuf der Fachzeitschrift ausgeweitet und verbessert. Sieverlangt gut geschriebene Manuskripte, schreibt sie dochselbst in klaren, unkomplizierten, treffenden Formulie-rungen. Sie widersteht der – manchen Schriftleiter ver-zweifeln lassenden – Ansicht nicht weniger Autoren, wo-nach der fachliche Inhalt genüge, seine sprachlicheDurcharbeitung nicht so wichtig sei. Sie erwartet fun-dierte Fachaufsätze als Teil unserer ständig fortgeschrie-benen Bauingenieurgeschichte und nicht Institutspubli-kationen oder locker hingehauene Werbetexte. Erst ausder Filterwirkung der Schriftleitung entstehen Jahres-bücher, die das feste Einbinden und Aufbewahren wertsind.

Doris Greiner-Mai hat sich neben der BAUTECHNIKum die Belange des Verlags mit großem Engagementgekümmert: seien es der Kontakt zu Autoren und Abon-nenten, die Aufmachung von Zeitschriften und Büchernund deren Preisgestaltung, stets bringt sie auf der Basisvorhandener und neu gewonnener Erfahrungen und ausihrem Wissen über die Herstellung ihre Vorschläge ein.Seit dem Ausscheiden der Lektorin Monika Herr gilt ihre

Doris Greiner-Mai: 65 Jahre und Abschied von der Bautechnik nach zwanzig Jahren

448 Bautechnik 87 (2010), Heft 8

Aufmerksamkeit verstärkt dem 1988 erstmals vom Verlagausgelobten ersten Ingenieurbau-Preis in Deutschland.

Nun hat Doris Greiner-Mai die Altersgrenze erreicht.Freunde, Kollegen und der Verlag gratulieren herzlich zudiesem für sie sicher etwas wehmütigen Geburtstag: Nachrund zwanzig Jahren Schriftleitung BAUTECHNIK gibtsie diese nicht immer einfache, nie als schmückenden Jobbetrachtete, sondern ihr Berufsleben erfüllende Aufgabeab; ihre Erfahrung und ihr Wissen bleiben sicher erhalten.Sie hat der Zeitschrift ein Gesicht gegeben und den Auto-

ren in unserem Beruf eine Plattform auf guter Warte gesi-chert, verbessert und gefestigt. Das ist eine nicht selbstver-ständliche Leistung in unserer, die Gesellschaft, die Be-rufe wie auch den Zeitschriftenwald verändernden Zeit.Alle Hochachtung, Chapeau!

Klaus Stiglat