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Ein wenig gewagt war das Vorhaben schon, den 30. Geburtstag der Werkstatt Ökonomie gleich mit zwei Veranstaltungen am 20. September 2014 zu feiern. Doch das Wagnis gelang. Rund 80 Interessierte waren der gemeinsamen Einla- dung der Werkstatt Ökonomie, der Forschungsstäte der Evangelischen Studien- gemeinschaft (FESt), des Kirchlichen Dienstes in der Arbeitswelt Baden und des Deutsch-Amerikanischen Institutes zu einem Symposium über lokale Ökonomien gefolgt. Prof. Dr. Hans Diefenbacher von der FESt unterstrich in seinem einleitenden Vortrag, dass es nötig und möglich ist, lokale gemeinwesenorientierte Ökonomien gegen die herrschende Marktlogik durchzusetzen. Dr. Karl Birkhölzer vom Tech- nologie-Netzwerk in Berlin berichtete über langjährige Erfahrungen mit Schwie- rigkeiten und Chancen von Versuchen lokaler Ökonomie. Franz Galler, Initiator des Regiogeldes „Sterntaler“ im Berchtesgadener Land, erzählte in seinem sehr persönlichen Vortrag, wie sich die Idee des Regiogeldes in Oberbayern rasch aus- breitete – und doch an ihre Grenzen stieß. Im zweiten Teil des Symposiums diskutierten Vertreterinnen und Vertreter Heidelberger Initiativen und der Heidelberger Oberbürgermeister Dr. Eckart Würzner konkrete Möglichkeiten, in Heidelberg Elemente lokaler Ökonomien zu stärken. Viele der Teilnehmenden, auch und gerade Jüngere aus Heidelberger Initiativen, beteiligten sich mit viel Engagement und Sachkunde an den Diskussio- nen. Auch der Festakt am Abend mit ebenfalls fast 80 Teilnehmenden war ein voller Erfolg. Nach Grußworten des Heidelberger Oberbürgermeisters und des früheren badischen Landesbischofs Dr. Ulrich Fischer und einem Rückblick von Klaus Heidel (vgl. folgender Beitrag) zeigte Prof. Dr. Reinhard Loske von der Uni- versität Witten/Herdecke, dass eine „gute Gesellschaft ohne Wachstumszwang“ möglich ist. Musikalisch umrahmt wurde der Festakt von Steffi Rieser und Ferdi- nand Dehner an der Marimba. Ihr virtuoses Spiel mit vier Händen löste wahre Begeisterungsstürme aus ... Geburtstagsfeier: Dreißig Jahre 1 Werkstatt Ökonomie Panta rhei, Slackline und 2 Anthropozän Spiritualität und Leben in Fülle. 7 Ermutigung zum Wandel in Zeiten des Klimawandels „Die beste kirchliche Veranstaltung 8 seit 40 Jahren“ „Wir müssen denken wie ein 10 Rucksackreisender“. Interview mit Pfarrer Peter Sawtell Kultureller Wandel? Ein „weißer 12 Alphabetisierungsfleck“ Kein Geld für Kohle und Co.? 14 EU-Entwicklungspolitik zwischen 15 Anspruch und Wirklichkeit Südafrika debattiert über einen 19 Mindestlohn Widerstand gegen TTIP und CETA 22 Landesregierung stärkt Nachhaltigkeit 22 bei der Auftragsvergabe Baden-Württemberg entwickeln – 25 das Eine Welt-PromotorenInnen- Programm im Land Aus der laufenden Arbeit 27 Studie zu ethischem Investment vor Fertigstellung Kooperationsprojekt mit der Julius-Springer-Schule in Heidelberg Aus dem Inhalt FÜR MITGLIEDER & FREUNDE · NUMMER 57 · AUGUST 2015 Geburtstagsfeier mit Symposium und Festakt Dreißig Jahre Werkstatt Ökonomie 30 Jahre 30 Jahre 30 Jahre 30 Jahre 30 Jahre Jahre

Dreißig Jahre Werkstatt Ökonomie - Woek · 2017-11-03 · roräume im Seitenflügel des Heidel-berger Hauptbahnhofes mit Technik vollgepackt. Wenn ich daran denke, mit wieviel Aufwand

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Page 1: Dreißig Jahre Werkstatt Ökonomie - Woek · 2017-11-03 · roräume im Seitenflügel des Heidel-berger Hauptbahnhofes mit Technik vollgepackt. Wenn ich daran denke, mit wieviel Aufwand

Ein wenig gewagt war das Vorhaben schon, den 30. Geburtstag der WerkstattÖkonomie gleich mit zwei Veranstaltungen am 20. September 2014 zu feiern.Doch das Wagnis gelang. Rund 80 Interessierte waren der gemeinsamen Einla-dung der Werkstatt Ökonomie, der Forschungsstäte der Evangelischen Studien-gemeinschaft (FESt), des Kirchlichen Dienstes in der Arbeitswelt Baden und desDeutsch-Amerikanischen Institutes zu einem Symposium über lokale Ökonomiengefolgt.

Prof. Dr. Hans Diefenbacher von der FESt unterstrich in seinem einleitendenVortrag, dass es nötig und möglich ist, lokale gemeinwesenorientierte Ökonomiengegen die herrschende Marktlogik durchzusetzen. Dr. Karl Birkhölzer vom Tech-nologie-Netzwerk in Berlin berichtete über langjährige Erfahrungen mit Schwie-rigkeiten und Chancen von Versuchen lokaler Ökonomie. Franz Galler, Initiatordes Regiogeldes „Sterntaler“ im Berchtesgadener Land, erzählte in seinem sehrpersönlichen Vortrag, wie sich die Idee des Regiogeldes in Oberbayern rasch aus-breitete – und doch an ihre Grenzen stieß.

Im zweiten Teil des Symposiums diskutierten Vertreterinnen und VertreterHeidelberger Initiativen und der Heidelberger Oberbürgermeister Dr. EckartWürzner konkrete Möglichkeiten, in Heidelberg Elemente lokaler Ökonomien zustärken. Viele der Teilnehmenden, auch und gerade Jüngere aus Heidelberger Initiativen, beteiligten sich mit viel Engagement und Sachkunde an den Diskussio-nen.

Auch der Festakt am Abend mit ebenfalls fast 80 Teilnehmenden war ein voller Erfolg. Nach Grußworten des Heidelberger Oberbürgermeisters und desfrüheren badischen Landesbischofs Dr. Ulrich Fischer und einem Rückblick vonKlaus Heidel (vgl. folgender Beitrag) zeigte Prof. Dr. Reinhard Loske von der Uni-versität Witten/Herdecke, dass eine „gute Gesellschaft ohne Wachstumszwang“möglich ist. Musikalisch umrahmt wurde der Festakt von Steffi Rieser und Ferdi-nand Dehner an der Marimba. Ihr virtuoses Spiel mit vier Händen löste wahre Begeisterungsstürme aus ...

Geburtstagsfeier: Dreißig Jahre 1Werkstatt Ökonomie

Panta rhei, Slackline und 2Anthropozän

Spiritualität und Leben in Fülle. 7Ermutigung zum Wandel in Zeiten des Klimawandels

„Die beste kirchliche Veranstaltung 8seit 40 Jahren“

„Wir müssen denken wie ein 10Rucksackreisender“. Interview mit Pfarrer Peter Sawtell

Kultureller Wandel? Ein „weißer 12Alphabetisierungsfleck“

Kein Geld für Kohle und Co.? 14

EU-Entwicklungspolitik zwischen 15 Anspruch und Wirklichkeit

Südafrika debattiert über einen 19Mindestlohn

Widerstand gegen TTIP und CETA 22

Landesregierung stärkt Nachhaltigkeit 22bei der Auftragsvergabe

Baden-Württemberg entwickeln – 25das Eine Welt-PromotorenInnen-Programm im Land

Aus der laufenden Arbeit 27

Studie zu ethischem Investment vor Fertigstellung

Kooperationsprojekt mit der Julius-Springer-Schule in Heidelberg

Aus dem Inhalt

FÜR MITGLIEDER & FREUNDE · NUMMER 57 · AUGUST 2015

Geburtstagsfeier mit Symposium und Festakt

Dreißig Jahre Werkstatt Ökonomie

30 Jahre

30 Jahre30 Jahre

30 Jahre

30 JahreJahre

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Panta rhei, Slackline und Anthropozän

Am 20. September 2014 feierte die Werkstatt Ökonomie ihren 30. Geburtstag mit einem Festakt im Deutsch-Amerikanischen Institut in Heidelberg. Klaus Heidel stellte seinen Rückblick auf drei Jahrzehnte unter denTitel „Panta rhei, Slackline und Anthropozän“. Wir dokumentieren den Rückblick in Auszügen.

Panta rhei, Slackline und Anthro-pozän: Meine sehr geehrten Damenund Herren, liebe Freundinnen undFreunde, was für ein seltsamer Titelfür Anmerkungen zu drei Jahrzehn-ten Werkstatt Ökonomie, geradezu al-bern, könnte man denken. Ein Titeldazu, der zum Teil auf geborgten Er-fahrungen beruht: Ich stand noch nieauf einer Slackline, jenem dehnbarenBand zum Balancieren, das in denletzten zehn, fünfzehn Jahren auchbei uns populär geworden ist. Alsaber Katrin Mauch, die seit April zumTeam der Werkstatt Ökonomie ge-hört, bei der Suche nach einer Titel-graphik für die Einladungen zu Sym-posium und Festakt vorschlug, dasBild eines jungen Mannes auf einerSlackline zu wählen, war ich sofortfasziniert: Vielleicht, dachte ich, kannes ja helfen, im Blick auf drei Jahr-zehnte Werkstatt Ökonomie Erinne-rungen zu sortieren.

Ich will also versuchen, zunächstmithilfe dieses Bildes sehr subjektiveAnmerkungen zusammenzutragen.Sie haben nicht den Anspruch, objek-tiv zu sein, und sie bieten keinesfallsein auch nur halbwegs vollständigesBild unserer Geschichte und gegen-wärtigen Arbeit. Ein solches zu zeich-nen vermag ich aus mancherlei Grün-den nicht, und könnte es schon garnicht in wenigen Minuten...

Slackline also, kein fester Grund,ein schmales, schwankendes Band,das stets zu kippen droht: Wie oftschien es mir in den letzten drei Jahr-zehnten, wir hätten keinen festen Bo-den unter den Füßen. Ich erinneremich noch gut an die lange schwelen-de Konzeptionsdebatte Ende der1980er und Anfang der 1990er Jahre:Längst hatten wir die ursprünglicheKonzentration auf die deutschenWirtschaftsbeziehungen zum Südafri-

ka der Apartheit verlassen, längstwollten wir die Wirtschaft als Ganzesin den Blick nehmen – und zahlten alsPreis, und hier zitiere ich meinenRückblick nach zehn Jahren, „dasssich der konkrete Gegenstand unse-res Interesses mit der inhaltlichenAusweitung unserer Arbeit zu ver-flüchtigen drohte, wollten wir unsdoch zunehmend ganz allgemein mitweltwirtschaftlichen Fragen beschäf-tigen“.

Schwankender Boden aber auch,weil Themen mitunter immer komple-xer und widersprüchlicher wurden, jelänger wir uns mit ihnen beschäftig-ten. So ging es mir mit der Problema-tik Kinderarbeit, die rund fünfzehnJahre einer unserer Schwerpunktewar. Die ursprüngliche Engführungauf Kinderarbeit in der Teppichindus-trie wurde am Ende aufgebrochendurch die Dekonstruktion einer ein -linigen Erzählung von Kinderarbeit.Angesichts der Komplexität, Vielge-staltigkeit und Widersprüchlichkeitdes Alltages arbeitender Kinder sinddie bei uns noch immer vorherrschen-den Engführungen der Problematikarbeitender Kinder nicht nur außeror-dentlich unterkomplex, sondern zumTeil auch geradezu kontrafaktisch.Jahre später machte ich eine ver-gleichbare Erfahrung in unserer Ar-beit zu China: Je mehr ich über Chinawusste, desto weniger verstand ich...

Ein Zweites: Für einen Anfängerauf der Slackline ist es kaum vermeid-bar, immer wieder von einer Slacklinenach links oder rechts herunter zufallen: Da hatten wir eine gute Idee,fielen aber von der Slackline, weil dieUmsetzung der Idee nicht finanzier-bar war, oder – sehr selten – umge-kehrt: Nicht immer passte alles, wasGeld brachte, so ganz zu uns, in selte-nen Fällen waren wir gar von der �

Heidelbergs Oberbürgermeister Dr. Eckart Würzner und Klaus Heidel beim Podiumsgespräch (alle Fotos zu diesem Beitrag: Uwe Kleinert)

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Sinnhaftigkeit eines finanzierten Vor-habens nicht gänzlich überzeugt,brauchten aber das Geld... Wie da dasGleichgewicht halten? Wie dasGleichgewicht auf der Slacklineüben? Bedarf für solche Gleichge-wichtsübungen gab es genug:

Schon in unserem ersten Jahr-zehnt trieb uns die Frage nach demVerhältnis von globaler Struktur -analyse und konkreter Praxis um.Zwar gingen wir stets davon aus, dassgrundsätzlich das Eine nicht ohne das Andere zu haben sei, dennoch begrüßten wir nach einigen Jahrenmühsamen „systemanalytischen“ Suchens die praktische Arbeit – sei esdie Einführung eines Warenzeichensfür Teppiche ohne Kinderarbeit, seies der Versuch, in der Spielzeugin-dustrie einen Verhaltenskodexdurchzusetzen.

Zwar hatten wir stets versucht,die Suche nach pragmatischen Lö-sungen mit grundsätzlichen politi-schen Analysen wirtschaftlicher undsozialer Zusammenhänge zu verbin-den, doch schreckten wir vor allzuweitreichenden theoretischen Über-legungen zurück. Ich erinnere michnoch an Diskussionen über die Ange-messenheit des Begriffes Neolibera-lismus. Dass es auch anders gehenkann, hätte ich spätestens Mitte der1990er Jahre lernen können. Damalsgründeten wir die Kirchliche Arbeits-stelle Südliches Afrika, deren ersterKoordinator Dr. Theo Kneifel wurde.Er hatte von Anfang an seine Ausein-andersetzung mit sozialen und öko-nomischen Herausforderungen imSüdlichen Afrika in den Kontext glo-baler ökonomischer Strukturen ge-stellt. Jetzt, da wir die Strukturfragendes Anthropozän erahnen, ist der un-aufgebbare Zusammenhang von The-orie, Analyse und Praxis unüberseh-bar, ich komme darauf ganz kurz zu-rück, wenn ich uns zu diesem jüng-sten vom Menschen geprägten Erd-zeitalter führe .

Erfahrene Slackliner (ob es da ei-ne weibliche Form gibt, weiß ichnicht) betonen gerne, bei der Slackli-ne komme es darauf an, nach vorne

zu schauen, ein Ziel vor Augen zu ha-ben – und nicht ängstlich den Blickauf die Füße zu lenken: Falle ich oderfalle ich nicht? Werden wir morgendie nötigen Finanzen haben? Stellenwir die richtigen Fragen? Ist die Glo-balisierung gut, böse oder beides?Sind Lean Management und LeanProduction – jene Strategien zurVerschlankung von Unternehmens-strukturen und betrieblichen Abläu-fen, die Anfang der 1990er Jahre Fu-rore machten und auch uns beschäf-tigten – sind diese Strategien alsoneue Tricks raffinierter Unterneh-mensvorstände oder ein Zeichen da-für, dass sich der alte Gegensatz zwi-schen Kapital und Arbeit verflüch-tigt? Solche Fragen verunsichertenauch uns. Umgekehrt wurde unserSchritt sicherer, wenn wir ein klaresZiel vor Augen hatten. Das war amAnfang so, als es gegen die Apartheidging, und das ist es auch jetzt, wennsich zum Beispiel die Kirchliche Ar-beitsstelle Südliches Afrika und hiervor allem Simone Knapp für die Rech-te der Farmarbeiterinnen und Farm-arbeiter in Südafrika einsetzt. Zu ei-nem solchen sichereren Schritt ver-half uns die Ausrichtung an den sozia-len, wirtschaftlichen und kulturellen

Menschenrechten – um deren Durch-setzung ging und geht es uns.

Zugleich stabilisierte beim Balan-cieren die Entschlossenheit, den Pri-mat des Politischen auch gegen wirt-schaftliche Strukturen und Pfadab-hängigkeiten durchzusetzen. Dassetzt Beharrlichkeit voraus. DieSlackline lehrt, worauf es ankommt:üben, üben, üben. Nicht nachlassen.Beharrlich Themen verfolgen, auchwenn sie gerade nicht in Mode sind.

Wie auch immer: Das Bild derSlackline hat auch seine Grenzen. Vor allem täuscht das Bild der ruhi-gen Slackline mit ihrer schwanken-den Stabilität angesichts des rasantenWandels in unserer Zeit. Wandelprägte schon im Kleinen unsere Arbeit: Am Anfang stand ein nahezutechnikfreier Kellerraum in einemWohnhaus, und jetzt sind unsere Bü-roräume im Seitenflügel des Heidel-berger Hauptbahnhofes mit Technikvollgepackt. Wenn ich daran denke,mit wieviel Aufwand wir vor dem Sie-geszug des Internets unser Zeitungs-archiv pflegten, wieviel Zeit wir mit dem Lesen, Auswählen, Aus-schneiden, Aufkleben, Beschlagwor-

Prof. Dr. Hans Diefenbacher von der FESt: „Lokale gemeinwesenorientierte Ökonomien sind nötig und möglich

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gleich tiefe strukturbedingte Wider-sprüche aufwiesen.

Tief hat sich der Eindruck diesesWandels in die Herzen der Menschengegraben: Ein Ausdruck dafür ist,dass das antike „Panta rhei“ zur ge-

läufigen Floskel geworden ist. Allesfließt, so die zu Unrecht dem Vorso-kratiker Heraklit zugeschriebene For-mel, findet sich als schickes griechi-sches Zitat auf einem Fahrgastschiff,Panta rhei heißen Anlagegesellschaf-ten und Fitnessstudios, Panta rheinennt sich ein Anbieter von Yogakur-sen: Je nach Akzentuierung soll sosignalisiert werden, dass alles mög-lich oder nichts beständig ist, dass al-les sich immerfort wandelt. Wie auchimmer: Wer will da noch mithalten –was heute gilt, ist schon morgen ver-altet. Also atemlos dem immer Neuenhinterherrennen?

Ich gehe jetzt doch zurück zu Her-aklit. Mag auch das Panta rhei nichtvon ihm stammen, so hat er immerhinmit seinem Flussgleichnis auf dasSpannungsverhältnis zwischen Iden-tität und Differenz verwiesen. Dennniemand, so der vorsokratische Den-ker, steige zweimal in denselbenFluss, stets fließe neues Wasser ent-gegen, manchmal treibt es Unrat vorsich her, manchmal ist es schlammig,manchmal durch Chemikalien ver-schmutzt: so ist der Fluss zugleichderselbe und doch nicht derselbe.Was also macht seine Identität bei al-

ten, Kopieren und Einsortieren vonZeitungsartikeln verbrachten, oder:wie mühsam es war, ein Buch überFernleihe zu bestellen, globalökono-mische Daten zusammenzutragen,Handelsstatistiken abzuschreiben...

Und wie erst und wie rasant ver-änderte sich die große Welt: Raschzerbrach die bipolare Weltordnungmit dem Zerfall des real existieren-den Sozialismus, der neoliberaleMarktradikalismus setzte sich immermehr durch, die Globalisierung – an-getrieben durch eine Entfesselungder Finanzmärkte und beschleunigtdurch neue Informations- und Kom-munikationstechnologien – erreichtefast jeden Winkel der Erde, Südkoreaund China stiegen zu führenden Wirt-schaftsnationen auf, Finanzkrisenüberschlugen sich: Noch nie erlebte –und gestaltete teilweise – die Men sch heit Transformationsprozes-se, die sich in dem Maße wie heutedurch die Gleichzeitigkeit und wech-selseitige Verstärkung einer sichselbst beschleunigenden Transfor-mationsgeschwindigkeit, einer alleLebensbereiche umfassenden Tota-lität und einer bis in den hinterstenFlecken der Erde reichenden Globa-lität auszeichneten und dabei zu-

Franz Galler, Initiator des „Sterntalers“ im Berchtesgadener Land: Das oberbayrische Regiogeld war erfolgreich – und stieß doch an seine Grenzen

Die Vorträge der Referierenden wurden vom Publikum engagiert diskutiert

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ler Differenz aus? Was bleibt in allemWandel? Was bewahrt vor heil- underfolglosen Versuchen, stets dasNeue zu suchen?

Ich denke, wir haben in den letz-ten Jahrzehnten gelernt, dass es sehrwohl Beständiges gibt, das beim Ver-ständnis des Wandels hilft. So sind dieMenschenrechte – auch wenn sich ihrKanon verschiebt, auch wenn sieselbstredend in ihrer Form und Kodi-fizierung zeitgebunden sind – so sindalso die Menschenrechte ein zuver-lässiger Kompass in sich wandelnderWelt. So ist es die Dynamik der Wirt-schaft, die den Wandel vorantreibt,die ihn widersprüchlich gestaltet, dieihn beschleunigt. „It’s the economy,stupid“, allerdings etwas anders, alses 1992 die Wahlkämpfer Bill Clintonsmeinten, als sie den Spruch prägten:Bei allem Wandel, es geht noch immerum Wirtschaft. Und so zahlt sich andieser Stelle die Hartnäckigkeit aus,mit der die Werkstatt Ökonomie un-beschadet aller Veränderungen undimmer wieder mit Vorrang nach demÖkonomischen und seinen Eingriffenin die Menschenrechte gefragt hatund noch fragt.

Diese trigonometrischen Punktezur Vermessung des Wandels sind unsin den letzten Jahren besonders wich-tig geworden, in denen wir uns immermehr mit den Herausforderungen imAnthropozän auseinandersetzten. Indiesem jüngsten Erdzeitalter, dessenName auf die dominierenden Eingrif-fe des Menschen verweist, führen ge-rade die Verletzungen planetarischerGrenzen dazu, dass die menschlicheSteuerungsfähigkeit abnimmt. Sokönnte die menschengemachte glo-bale Erwärmung zu einem Beispieldafür werden, dass dem Menschenentgleiten kann, was er einst verur-sachte. Sicher ist nicht die gesamteErde bedroht, bedroht sein könnteaber das Projekt menschlicher Zivili-sation, wie wir es kennen.

Vor diesem Hintergrund habenwir in den letzten Jahren (so gut esging und sicher nicht ausreichend)Konsequenzen aus dem Umstand ge-

zogen, dass die globale Erwärmungdie zentrale politische, wirtschaftli-che, soziale, kulturelle und friedense-thische Herausforderung des 21.Jahrhunderts ist. Hierbei half uns un-sere Fokussierung auf soziale undökonomische Problemzusammenhän-ge. Denn natürlich geht es um denUmbau unserer Wirtschafts- und Le-bensweisen. Hierfür setzen wir unsauf unterschiedlichste Weise ein.

Diese Auseinandersetzung mitden Bedrohungen im Anthropozänverfolgt also ein deutliches Ziel, dieUmgestaltung unserer Wirtschafts-und Lebensweisen nämlich. Der Blickrichtet sich nach vorne und nicht, umzum Bild der Slackline zurück zu keh-ren, auf die eigenen Füße. Hierbeibleiben wir bei unserer Überzeugung,dass es Alternativen zu einer Wirt-schaft und zu einem Lebensstil gibt,die nicht nachhaltig sind.

Ich erlebe diese neue Konzentra-tion unserer Arbeit als Aufbruch. Im-mer deutlicher wird auch, dass zu-sammen gehört, was wir früher mit-

unter als Alternativen diskutiert hat-ten: Die Suchprozesse zur Gestaltungder Großen Transformation zur Nach-haltigkeit brauchen praktische Labor-versuche, Analysen und Theorie, diesich erst wechselseitig voranbringen.Die Suchprozesse brauchen persönli-che Verhaltensänderungen und daspolitische Gestalten von Strukturen.Die Suchprozesse werden ohne Ver-netzungen nicht gelingen. Geradeweil wir uns nicht überfordern dür-fen, müssen wir nach den je eigenenTransformationspotentialen fragenund diese dann in die Vernetzung ein-bringen.

Hierbei hilft uns nicht zuletzt dieglobale Vernetzung, der Austauschmit Partnern in anderen Teilen derWelt, vom Südlichen Afrika bis China.Da entdecken wir mitunter, wie es inverschiedenen Weltgegenden umähnliche Probleme, wenngleich inunterschiedlicher Ausprägung geht:um das Basic Income Grant in Nami-bia zum Beispiel und um das Grund-einkommen in Deutschland. Um dieVerantwortung von Reichtum in

Dr. Ulrich Fischer, früherer badische Landesbischof und Gründungsmitglied der Werkstatt Ökonomie,bei seinem Grußwort

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Deutschland und in Südafrika. UmGutes Leben hier wie dort.

In meinem Rückblick auf die er-sten zehn Jahre der Werkstatt Ökono-mie meinte ich fast ein wenig resig-niert: „Wie anders als heute war dieZeit, in der unsere Arbeit spontan undeher zufällig als systematisch geplantentstand. Es war damals, vor zehnJahren, in gewisser Hinsicht die Zeiteines Aufbruches. Wie viel müderwirkt heute so vieles, nach dem Etap-pensieg des Kapitalismus“. Heute binich wesentlich optimistischer. Ich ha-be den Eindruck, dass die Bereitschaftwächst, nach neuen Wegen zum GutenLeben zu suchen.

Dies zu begründen, würde jedochden Rahmen dieser Anmerkungensprengen. Nicht zuletzt müsste ichmeinen relativen Optimismus in den

Zusammenhang theologischen Nach-denkens stellen. Nur so viel: Gerademeine christliche Zuversicht befreitmich vor dem Irrtum, ich könnte dieWelt retten, sie befreit mich aberauch von der fatalen Einschätzung,ich könnte ja doch nichts tun, und siebewahrt vor der fatalen Resignation,es sei ohnehin schon alles zu spät.

Und so liegen denn spannendeJahre vor uns. Hinter uns liegen dreiJahrzehnte, in denen die WerkstattÖkonomie in vielfältiger Weise von ih-ren Freundinnen und Freunden ge-tragen wurde und in denen der Vor-stand unsere Arbeit mit großem Ver-trauen begleitete. Hierüber müssteich gesondert berichten. Ich be-schränke mich aber darauf, ihnen al-len herzlich zu danken.

Klaus Heidel

30 Jahre

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Volle Konzentration am Marimbaphon: Steffi Rieser

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Spiritualität und Leben in Fülle.Ermutigung zum Wandel in Zeiten des Klimawandels

Die Große Transformation zur Nachhaltigkeit wird nur gelingen, wenn fragmentierte durch ganzheitlicheSichtweisen ersetzt werden. Dem entspricht die Notwendigkeit umfassender Kooperationen. Daher fand im Ja-nuar 2015 erstmals eine Kooperationstagung des Ökumenischen Prozesses „Umkehr zum Leben – den Wandelgestalten“, der Entwicklungspolitischen Klimaplattform der Kirchen „Klima der Gerechtigkeit“ und der Arbeits-gemeinschaft der Umweltbeauftragten der EKD-Gliedkirchen statt, die von Klaus Heidel angeregt und maßgeb-lich vorbereitet worden war. Erleichtert wurde diese Kooperation durch den Umstand, dass Heidel den Ökume-nischen Prozess koordiniert und im Koordinierungskreis der Klimaplattform mitwirkt. Über diese Tagung be-richtete Eva-Maria Reinwald, die beim Amt für Mission, Ökumene und kirchliche Weltverantwortung der Ev.Kirche von Westfalen die Fachstelle Klimagerechtigkeit innehat und die Klimaplattform koordiniert. Wir doku-mentieren ihren Bericht.

Weit ist das Feld der kirchlichenAkteure, die sich für Klimaschutz en-gagieren. Verbunden sind sie durchdas Anliegen der Bewahrung derSchöpfung und ihr Eintreten für glo-bale Gerechtigkeit. Bei einer gemein-samen Tagung der Entwicklungspoli-tischen Klimaplattform der Kirchen„Klima der Gerechtigkeit“, des Öku-menischen Prozesses „Umkehr zumLeben – Den Wandel gestalten“ undder Arbeitsgemeinschaft der Umwelt-beauftragten der EKD-Gliedkirchenvom 20. bis 21. Januar 2015 im Klos-ter Höchst fragten die Teilnehmen-den aus vielen kirchlichen Arbeitsbe-reichen nach den Zusammenhängenvon Klimakrise und spiritueller Kriseund nach den geistlichen Wurzelnund Kraftquellen des Engagementsfür Schöpfungsbewahrung.

In ihrem Einstiegsvortrag plädier-te Altbischöfin Bärbel Wartenberg-Potter für eine neue Theologie imZeitalter des Klimawandels: eine The-ologie, die den Menschen stärker alsMitgeschöpf denn als Krone derSchöpfung betrachtet und die dazuermutigt, die Heiligkeit in GottesSchöpfung zu entdecken. Ihre Korre-ferentin, die katholische TheologinVera Krause, betrachtete die Klima-krise als einen Kairos, einen Zeit-punkt notwendiger Umkehr, der inseinen Auswirkungen erschreckenlässt, aber auch Chancen des Neuan-fangs jenseits einer Ideologie des Im-mer-mehr biete. Beide Theologinnenbetonten die verändernde Kraft spiri-tuellen Lebens, das sich gleicherma-

ßen Gott und der Welt öffne. Dannauch könnten wir in unserem Inner-sten fühlen, was wir längst wüssten:dass Umkehr erforderlich sei.

Ein Gespräch mit dem Arbeiter-priester Thomas Schmidt, der vieleJahre als Betriebsrat in einem Ver-sandhandel tätig war und ehrenamt-licher Priester im Frankfurter Brenn-punkt-Stadtteil Gallus ist, konfron-tierte den Anspruch einer spirituellenErneuerung mit der Lebensrealitätvon Arbeitenden im Niedriglohnsek-tor, für die das Bedürfnis nach gesell-schaftlicher Integration durch Teilha-be am Konsum lebensleitend sei.Schmidt berichtete von der dominie-renden Logik des wirtschaftlichenWachstums in Betrieben, die mensch-liches Zusammenleben durchdringeund sozial-ökologische Fragen zweit -rangig werden lasse. Kirchengemein-den sollten Lernorte einer anderen,nicht-kapitalistischen Logik werdenund Menschen ermutigen, sich derDurchdringung ihres Alltags mit demGeist Christi zu öffnen.

Geistliche Übungen zur Kontem-plation erprobten die Teilnehmendender Tagung mit den FranziskanernHelmut Schlegel und Stefan Feder-busch, die von ihren Erfahrungen be-richteten, dass das Öffnen gegenüberder Verbindung mit Gott Menschenbefähige, auch in Situationen vonHoffnungslosigkeit Hoffnung zu ris-kieren. Mitreißend zum Ausdruckkam eine solche Hoffnung trotz widri-ger Lebensumstände in Liedern aus

Lateinamerika, die Bärbel Fünfsinnam Klavier vortrug. Die Theologin,Lehrerin und Musikerin ließ die Teil-nehmenden zudem in der Gemeinde-arbeit einsetzbare Übungen erpro-ben, die die Wahrnehmung für GottesWirken in der Schöpfung schulen.

Perspektiven aus dem Südenbrachte Dr. Georg Stoll ein, der ausdem Projekt „Entwicklung des Welt-gemeinwohls“ davon berichtete, wiesich Spiritualität in gemeinsam geleb-ten und bewahrten Hoffnungen (aufTeilhabe, Sicherheit, Anerkennung,gelungene Beziehungen) ausdrückt.

Nach vielfältigen Erfahrungenund Eindrücken der inspirierendenTagung zogen die Teilnehmenden dasResümee, dass dem Beispiel Jesu fol-gend Kontemplation und Engage-ment zusammengehörten. Spiritua-lität dürfe jedoch nicht verzwecktwerden, sondern sei vielmehr dieWurzel für Engagement, die Kraftschenkt und Gott im eigenen Lebenwirksam werden lässt.

Eva-Maria Reinwald

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„Die beste kirchliche Veranstaltung seit 40 Jahren“Die Evangelische Landeskirche in Baden betritt mit einer Großen Werkstatt Neuland

Neuland betrat die EvangelischeLandeskirche in Baden mit ihrerzweitägigen Großen Werkstatt „Zu-kunft entdecken – Veränderung ent-wickeln“ am 27. und 28. Juni 2014 imKloster MariaHilf im mittelbadischenBühl. Initiiert und koordiniert wurdediese Große Werkstatt von der Werk-

Prof. Dr. Angelika Zahrnt und Prof. Dr. Nico Paech im mutig improvisierten Gespräch (Foto: Sonja Klingberg-Adler)

„Zufrieden und erschöpft“Ermutigende Rückmeldungen

Kurz, konzentriert und ermutigend waren die Rückmeldungen der Teilnehmenden derGroßen Werkstatt in der Schlussrunde. „Zufrieden und erschöpft“, „inspiriert“ und „motiviert“– so und ähnlich lauteten viele der kurzen Statements. Ein Teilnehmer meinte gar, dieGroße Werkstatt sei die beste landeskirchliche Veranstaltung seit 40 Jahren gewesen.

Die Bereitschaft zur Weiterarbeit an den Fragen einer Transformation zur Nachhaltigkeit wargroß. Wiederholt wurde unterstrichen, dass diese Fragen für unser Kirche-Sein von deutli-chem Belange sind. Dass dies auch theologisch zu fundieren sei, war ein Wunsch, der unbe-dingt aufgegriffen werden sollte...

Die Dokumentation der Großen Werkstatt steht auf der Website des Ökumenischen Prozes-ses „Umkehr zum Leben – den Wandel gestalten“ zum Download bereit: http://www.umkehr-zum-leben.de/de/kirche-und-transformation/beitraege-zur-transformationsdebatte/und ist in gedruckter Form kostenlos bei der Werkstatt Ökonomie erhältlich.

statt Ökonomie: Über 80 Haupt- undEhrenamtliche waren persönlich ein-geladen worden, im Auftrag der Lan-deskirche an dem Strategieworkshopmitzuwirken und zu fragen, was undwie Kirche zur Gestaltung der Gro-ßen Transformation zur Nachhaltig-keit beitragen könne.

Damit folgte die badische Landes-kirche einem Impuls ihres früherenBischofs Dr. Ulrich Fischer, der in sei-nem Bericht „Nachhaltig glauben –nachhaltig leben“ vor der Landessy-node am 18. April 2013 ausgeführthatte: „Wir brauchen eine Transfor-mation hin zu einer Ethik des Genugund zu einer Politik der Suffizienz. Indiesen Transformationsprozess ha-ben wir als Kirche viel einzubringen[…]. Kraft schöpfend aus der Bot-schaft der Bibel können wir für eineEthik des Genug eintreten, die be-freiend wirkt. Der Ruf zur Umkehrhin zu einer Wirtschaft im Dienst desLebens gehört zu unserem kirch-lichen Kerngeschäft und wir könnenals Kirchen Pioniere eines solchenWandels sein […]“.

Diese Werkstatt war der erstmali-ge Versuch in der badischen Landes-kirche, mit Mitarbeitenden aus nahe-zu allen funktionalen und regionalenGliederungen nach zentralen neuenHerausforderungen für die kirchlicheArbeit und für das Kirche-Sein zu fra-gen. Gut vertreten war die Kirchen- �

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� leitung mit Landesbischof Prof. Dr.Jochen Cornelius-Bundschuh, zweiOberkirchenrätinnen und zwei Ober-kirchenräten. Hinzu kamen Leitendeverschiedener Arbeitsbereiche unterEinschluss von Verwaltungseinhei-ten.

Vorträge, Diskussionen, themati-sche und strategische Arbeitsgrup-pen halfen zu erkunden, was Christin-nen und Christen und kirchliche Ar-beitsbereiche die Große Transforma-tion angeht und was sie wie und wozur Umkehr zum Leben beitragenkönnen. Am Ende der Großen Werk-statt wurden Perspektiven für kirchli-che Arbeitsbereiche zusammengetra-gen.

Die Gestaltung des Wandels alszentrale kirchliche Aufgabe

Übereinstimmend gingen die Teil-nehmenden davon aus, dass ange-sichts der multiplen Krisen in Zeitendes Klimawandels umfassende Verän-derungen unserer Wirtschafts- und

Lebensweisen unabdingbar sind unddass es zentrale Aufgabe der Kircheund ihrer Glieder sei, zu diesen Ver-änderungen beizutragen. Eine großeMehrheit der Teilnehmenden fand,dass die Suche nach Möglichkeiten ei-ner kirchlichen Mitwirkung an derGestaltung einer Großen Transforma-tion zur Nachhaltigkeit auch und vor-dringlich eine kirchenleitende Aufga-be sei.

Ein Vorschlag lautete, der Evan-gelische Oberkirchenrat solle die In-itiative ergreifen und eine Strategie-gruppe „Transformation zur Nachhal-tigkeit in Kirche und Diakonie“ ein-setzen. Angeregt wurde, dass einzel-ne Maßnahmen verpflichtend ge-macht werden sollten, wobei derRechtscharakter der Verpflichtungen(gesetzlich oder untergesetzlich) of-fen blieb. So wurde vorgeschlagen,das „Thema Transformation“ solle beiVisitationen und Haushaltsberatun-gen zum Pflichtprogramm gemachtwerden. Angeregt wurde auch, eine„Verbindlichkeit“ von CO2-Kompen-

sation „auf möglichst vielen Ebenenanzustreben“. Ein weiterer Vorschlagsah eine Erhöhung der Zahl der „Grü-ne Gockel“-Gemeinden auch durch„höhere Verbindlichkeit“ und gleich-zeitig durch „Anreize“ vor. Mehrfachwurde die Mitgestaltung der GroßenTransformation zur Nachhaltigkeit alsBildungsaufgabe angesprochen. Indiesem Sinne regte ein Vorschlag an,transformative Kompetenz in derkirchlichen Aus-, Fort- und Weiterbil-dung verbindlich zu verankern.

Der Evangelische Oberkirchenratgriff die Impulse der Großen Werk-statt auf und setzte im November2014 die Fachgruppe Transformationein. In ihr wirken fast alle Arbeitsbe-reiche der Landeskirche mit. Ein Zielder Fachgruppe ist es, die vielfältigenkirchlichen Aktivitäten für Frieden,Gerechtigkeit und Achtung derSchöpfung so miteinander zu ver-knüpfen, dass daraus starke Beiträgezur Gestaltung der Großen Transfor-mation zur Nachhaltigkeit werden.

Klaus Heidel

Bei der Großen Werkstatt war der Evangelische Oberkirchenrat gut vertreten. Zweiter von links: Landesbischof Prof. Dr. Jochen Cornelius-Bundschuh ... (Foto: Sonja Klingberg-Adler)

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„Wir müssen denken wie ein Rucksackreisender“Interview mit Pfarrer Peter Sawtell (United Church of Christ), Gründer der ökumenischen Arbeitsstelle Eco-Justice Ministries in Denver/Colorado

Weber: Wie würden Sie die„Große Transformation zur Nach-haltigkeit“ beschreiben?

Sawtell: Es ist mehr als die Um-wandlung unserer Energiesysteme,es geht um die Umwandlung unsererHerzen. Unsere ganze Vorstellungvon uns selbst muss sich ändern. InAmerika hört man ständig: Du musstimmer mehr haben. Du sollst in einemgroßen Haus leben, ein großes Autofahren, viele Kleider besitzen. Aberwir müssen denken wie ein Rucksack-reisender: Dem macht es Spaß, sowenig Dinge wie möglich in seinen

Rucksack zu packen, weil er ihnselbst tragen muss. Bei der Transfor-mation geht es um die tiefere Bedeu-tung von „genug“. Es geht darum, inder Gemeinschaft zu leben, statt sichabzuschotten, an die Zukunft stattnur ans Jetzt zu denken.

Welche konkrete Aufgabe hatdie Kirche Ihrer Meinung nach beidiesem Prozess?

Es ist eine andere als die politi-schen Aufgaben, wie beispielsweise 20Prozent des CO2-Ausstoßes bis 2020einzusparen oder ähnliches. Das sind

konkrete Ziele. Die Aufgabe derTransformation ist schwerer zu defi-nieren. Auf der persönlichen Ebene istes die Vorstellung, ein erfüllteres Le-ben im einfachen Leben zu finden, aufder gesellschaftlichen Ebene ist es dieNeustrukturierung der Institutionenund der Infrastruktur unserer Gesell-schaft. Es bedeutet eine Änderung inden Geschichten, die wir erzählen. Wirmüssen uns selbst verändern und un-ser Verhältnis zur Umwelt. Und dassind sehr religiöse Fragen. Deshalb istes wichtig für die Kirche, darübernachzudenken, wie sie die Gesell-schaft bei den anstehenden großenVeränderungen unterstützen kann.

Wo sehen Sie denn die erstenSchritte, die wir in Deutschlandauf dem Weg zur Transformationgehen müssen?

Wie bei allen großen gesellschaft-lichen Veränderungen ist einer derersten Schritte, die Notwendigkeitfür Veränderungen zu erkennen. DerUmweltschutz in Kirche und Gesell-schaft ist oft fokussiert auf techni-sche Aspekte und fragt, welche neu-en Techniken wir brauchen. Wirschauen auf die Notwendigkeit voninternationalen Abkommen, aber wirhaben bisher nicht auf die Notwen-digkeit der Änderung der Geisteshal-tung geschaut. Der erste Schritt ist

Zentral für den von der Werkstatt Ökonomie koordinierten Ökumenischen Prozess „Umkehr zum Leben – denWandel gestalten“ ist der ökumenische und weltkirchliche Erfahrungsaustausch. Ein Beitrag zu diesem Aus-tausch war die Rundreise von Rev. Peter Sawtell von der United Church of Christ (USA) im Juni 2014, die von derWerkstatt Ökonomie in Zusammenarbeit mit der Evangelischen Landeskirche in Baden organisiert worden war.

Peter Sawtell ist Leiter der Arbeitsstelle Eco-Justice Ministries in Denver/Colorado und beschäftigt sich mit„transformativen Kirchen und transformativen Gemeinden“. Er berät Kirchen in den USA in Fragen sozialerGerechtigkeit, Klimagerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Sawtell wirkte bei der Großen Werkstatt „Zukunft entde-cken – Veränderung entwickeln“ (vgl. Seite 8) mit, hinzu kamen zwölf Veranstaltungen in Freiburg, Heidel-berg, Karlsruhe, Mannheim und Neckarburken, darunter auch ein Treffen im Evangelischen Oberkirchenrat.

Am Ende seiner Rundreise stellte sich Peter Sawtell den Fragen von Alexandra Weber vom Zentrum für Kom-munikation der Evangelischen Landeskirche in Baden. Das Interview vom 1. Juli 2014 erschien in der Septem-berausgabe 2014 der Mitarbeitendenzeitschrift ekiba intern der badischen Landeskirche.

Peter Sawtell berichtet, wie sich Kirchen in den USA für die Transformation einsetzen (Foto: Sonja Klingberg-Adler)

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� deshalb zu erkennen, wie wichtig die-se Art der Veränderung ist.

Was war Ihr Eindruck vom er-sten Workshop der Landeskirchezum Thema „Große Transforma-tion“?

Ich war beeindruckt, dass 80 Men-schen innerhalb der badischen Lan-deskirche zusammenkamen, um sichmit sehr guten Vorträgen und Ar-beitsgruppen über diese Frage inner-halb der Landeskirche zu verständi-gen. Es zeigte deutlich die Ernsthaf-tigkeit, mit welcher die Kirche derFrage nachgeht. Ich habe dabei auchviel für mich selbst gelernt. Es warein sehr bedeutendes Treffen und ichdenke, das Thema wird die Kirche inden nächsten Jahren begleiten.

Was meinen Sie, wie sich dieGesellschaft in den nächsten 20Jahren verändern wird?

Heute Morgen war ich in einemHeidelberger Gymnasium und habemit 40 Schülerinnen und Schülern ge-sprochen. Ich habe ihnen veran-schaulicht, dass die Welt sich auf je-den Fall ändern wird. Sie wird sichentweder ändern durch die großenunbeabsichtigten Effekte des Klima-wandels. Oder sie wird sich ändern,weil wir gute Entscheidungen treffen.Sie wird nicht so bleiben, wie sie ist.Und die Herausforderung ist, schnellzu handeln und weise die Richtungder Veränderung zu gestalten. Dennwenn es ohne Planung passiert, dannwird es voller Gewalt und Ungerech-tigkeit geschehen. Deshalb hoffe ich,dass die Kirche eine von vielen Insti-tutionen ist, welche die Dringlichkeitdieser Entwicklung erkennen.

Amerika ist nicht gerade dafürbekannt, sich für den Umwelt-schutz besonders einzusetzen. Wosteht Ihrer Meinung nach die USAim Prozess der Transformation?

Sie haben einerseits Recht, aberes gibt derzeit auch starke Strömun-gen in Amerika, etwas zu verändern.Viele Dinge haben sich in den letztenzehn Jahren geändert. Die Meinun-gen der Leute, die Art von Autos, diewir fahren, das Bewusstsein für Er-nährungsfragen, auch die Akzeptanz

der Realität des Klimawandels. Ichsehe in den USA Menschen und Ge-meinschaften, die sich sehr stark ein-setzen gegen die Praxis der riskantenFracking-Methode der Erdgas- undÖlförderung. Und auch die Politikernehmen die Notwendigkeit zu han-deln angesichts des Klimawandels in-zwischen deutlich ernster. Das ist diegute Nachricht. Wir haben aber im-mer noch einen langen Weg vor uns.

Was kann den Prozess hin zurTransformation beschleunigen?

In Amerika wurden sich viele Men-schen der Folgen des Klimawandelsbewusst, als der Hurrikan Sandy 2012New York City verwüstet hat. Das warein Augenöffner für Menschen im gan-zen Land. Wenn in der großen Metro-polregion New York City Untergrund-bahnen überflutet sind und es zu tage-langen Stromausfällen kommt, dannerschüttert das unsere Vorstellung,dass unsere technische Gesellschaftmit allem zurechtkommen kann.

Es ist aber auch wichtig, die posi-tive Seite der Veränderungen zu se-hen. Dass die Menschen die Änderun-gen nicht als Zwang sehen, sondernals etwas, das sie gerne machen. Mei-ne Heimatstadt Denver hat sich langeZeit unkontrolliert Kilometer für Kilo-meter ausgeweitet. Dieser Trend gehtseit 10 oder 15 Jahren zurück. Men-schen sehen wieder den Vorteil, zu-rückzukommen zu den Zentren derStadt, anstatt in riesigen vorstädti-schen Häusern zu wohnen. Im Zen-trum sind viele neue Gebäude unddas Leben dort ist aufregend und in-tensiv. Das sind positive Zeichen.

Wie sieht der Transformations-prozess in den ärmeren Ländernder Welt aus?

Sicherlich ist die Transformationin den ärmeren Ländern der Weltsehr verschieden von unserer. Da istein Bedürfnis nach Gerechtigkeit undChancen, das wir nicht einfach be-schneiden können.

Dort geht es um die Art undWeise, wie die Entwicklung passiert,und darum, die Fehler, die wir ge-macht haben, nicht zu wiederholen.

Die Kirche, die so viele Erfahrungenin der Entwicklungshilfe dieser Län-der hat, wird, so hoffe ich, auch einewichtige Rolle dabei spielen, die Ge-staltung der Transformation auch inden ärmeren Ländern der Welt voran-zubringen.

Welche Rolle spielt die techni-sche Entwicklung bei der Transfor-mation?

Ich kenne zu viele Menschen, diein neuen Technologien die einzigerettende Kraft sehen. Das reichtnicht. Dennoch ist die Technologiezentral im Prozess der Transforma-tion. Sie wird uns erlauben, mit die-sem Planeten behutsamer umzuge-hen. Sie wird uns erlauben, zwischenverschiedenen Lebensarten zu wäh-len. In Denver gibt es beispielsweiseein Projekt namens „GrowHaus“. Dortwerden mit einer Einsparung von et-wa 90 Prozent der sonst üblichenWassermenge und ohne chemischenDünger oder Pestizide in einemKreislaufsystem gleichzeitig Fischegezüchtet und Gemüse angepflanzt.Außerdem gibt es Menschen aus derRegion Arbeit. Die Technik erlaubtuns, Dinge zu tun, die wir vorhernicht tun konnten. Das ist sozial ver-antwortlich, ökologisch hilfreich undmacht Spaß.

»In der United Church of Christ kom-

men wir von zwei unterschiedlichen

Definitionen von Umwelt her. Als Folge

gibt es einerseits eher bestandswahren-

de Ansätze von Umweltschutz, bei

denen Menschen, die sich für Umwelt-

gerechtigkeit einsetzen, Umwelt als ein

Ding verstehen, das schmutzig wird und

dann Menschen schadet. Andererseits

gibt es Menschen mit einem umfassen-

den Verständnis von Umweltschutz, die

Umwelt als ein Netz des Lebens verste-

hen, das uns alle ernährt. «

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Kultureller Wandel? Ein „weißer Alphabetisierungsfleck“Die Große Transformation zur Nachhaltigkeit braucht kulturellen Wandel

In den letzten Jahren wurdewiederholt die Notwendigkeit eineskulturellen Wandels als zentrale Di-mension einer Großen Transforma-tion zur Nachhaltigkeit hervorgeho-ben. Kultur umfasse dabei, so UweSchneidewind, „Wahrnehmungs- undWertsysteme sowie die eingeübtenHandlungsroutinen einer Gesell-schaft“ und sei „die kollektive menta-le Software unseres Handelns“. Diesewerde noch immer von dem aus dem18. Jahrhundert stammenden „Pro-gramm einer ‚expansiven Moderne‘“geleitet. Daher sei kultureller Wandelerforderlich, der aber – so UweSchneidewind – ein „weiße[r] Alpha-betisierungsfleck“ sei.1

In der Tat besteht hier noch be-trächtlicher Klärungsbedarf: Was sollunter kulturellem Wandel als Teil,Triebkraft oder gar Fundament einerGroßen Transformation zur Nachhal-tigkeit verstanden werden? Ist kultu-reller Wandel mehr als Wertewandelund wenn ja, in welcher Weise?2 Wieverhält sich die Forderung nach kul-turellem Wandel zu dem Umstand,dass die Geschichte der Menschheitimmer auch eine Geschichte bestän-digen kulturellen Wandels war? Istüberhaupt kultureller Wandel steuer-bar – und wenn ja, von wem in wel-chem Maße und in welche Richtung?

Antworten auf diese Fragen sindschon alleine deshalb nicht einfach zufinden, weil der Kulturbegriff strittigund unscharf ist. Folgen wir zum Bei-spiel dem Begründer der CulturalStudies Raymond Williams, dannkönnte Kultur drei Dimensionen ha-ben: Kultur wäre danach erstens derallgemeine Prozess der intellektuel-len, ästhetischen oder spirituellenEntwicklung. Zweitens könne Kulturdie besondere Lebensart von Men-schen, Gruppen oder Zeiten meinen.Drittens beziehe sich Kultur auf dieErschaffung geistiger und künstleri-scher Erzeugnisse. Diese Definitionaus dem Jahre 1976 ist inzwischen

vielfältig kritisiert, ergänzt, umge-schrieben und ersetzt worden – den-noch deutet sie die Breite des Kultur-begriffes an, mit der die Frage nachkulturellem Wandel rechnen muss,und die über die eingangs zitierte An-merkung Schneidewinds hinaus geht.

Weiter erfordert die Frage nachdem Zusammenhang von kulturellemWandel und Großer Transformationzur Nachhaltigkeit eine Klärung desVerhältnisses von Kultur und Nach-haltigkeit. Hierzu hat das interdiszi-plinäre europäische Netzwerk Inves-tigating Cultural Sustainability2015 drei nicht gänzlich voneinandergeschiedene, aber doch deutlich ei-genständig akzentuierte Rollen vonKultur angeboten3: Kultur könne er-stens als vierte Säule einer als drei-säulig gedachten Nachhaltigkeit (mitden Säulen Ökologie, Soziales undÖkonomie) beigegeben werden, ihreRolle wäre dann, in ihrem Bereichnachhaltige Entwicklung zu fördern(culture in sustainable develop-ment). Zweitens könne Kultur dieRolle einer Mittlerin zwischen Ökolo-gie, Ökonomie und Sozialem im Inter-esse von Nachhaltigkeit zugeschrie-ben werden; Kultur ermögliche dannökonomische, soziale und ökologi-sche Nachhaltigkeit, unter anderemdadurch, dass sie Zielkonflikte zwi-schen den drei „Säulen“ der Nachhal-tigkeit ausgleiche (culture for sus-tainable development). Drittensaber könne Kultur verstanden wer-den als das grundlegende Fundamentund die notwendige Struktur fürNachhaltigkeit. In einer solchen Sichtwird Kultur eine umfassende trans-formative Rolle zugeschrieben, dieKultur der Nachhaltigkeit umschließedann das Soziale, Ökologische undÖkonomische (culture as sustaina-ble development).

Dieses dritte Verständnis von Kul-tur als nachhaltiger Entwicklung istanschlussfähig an jene Akzentuierungdes Kulturbegriffes, die der Wissen-

schaftliche Beirat der Bundesregie-rung Globale Umweltveränderungen(WBGU) bereits 2011 angeboten hat-te: „Der Gesellschaftsvertrag [für eineGroße Transformation] kombiniert ei-ne Kultur der Achtsamkeit (aus öko-logischer Verantwortung) mit einerKultur der Teilhabe (als demokrati-sche Verantwortung) sowie mit einerKultur der Verpflichtung gegenü-ber zukünftigen Generationen (Zu-kunftsverantwortung)“.4

Diese Akzentuierung schlägt un-mittelbar eine Brücke zu dem Auftragvon Christinnen und Christen undKirchen: Auch wenn der Begriff Acht-samkeit häufig mit dem Buddhismusverbunden wird, gibt es eine langechristliche Tradition achtsamen Le-bens, das sich nicht nur mystisch vonder Welt ab-, sondern staunend derSchöpfung zuwendet und auf denNächsten Acht gibt. Gerechte Teilha-be ist zu einem Schlüsselbegriff mo-derner Sozialethik geworden. Und dieZukunftsverantwortung schlägt sichunter anderem in dem Anspruch nie-der, auch um kommender Generatio-nen willen die menschliche Gewaltgegen die Schöpfung zu vermindern.Von daher ist die Erwartung nahelie-gend, Kirche und Theologie könntenund sollten zu einem kulturellen Wan-del beitragen. Ob, unter welchen Vor-aussetzungen, in welchem Maße undauf welche Weise dies möglich ist, solleine Tagungsreihe des Ökumeni-schen Prozesses „Umkehr zum Leben– den Wandel gestalten“ zu klärenhelfen.

Sie geht aus von der Annahme,dass die herrschende Marktlogik zwareinerseits kulturell geprägt ist, aberandererseits eine Reihe ökonomi-scher Pfadabhängigkeit hervorge-bracht hat, die ihrerseits die Kulturprägen. Gegen diese Dominanz desÖkonomischen, die befördert wirddurch den Glauben an eine Überle-genheit der Rationalität des Marktes,müssen eine Kultur der Achtsamkeit, �

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der Teilhabe und der Zukunftsverant-wortung erst durchgesetzt werden.

Ob hierzu Theologie und Kircheeinen Beitrag leisten könnten, hängteinerseits von ihrer Fähigkeit ab, Dis-kurse in einer weithin entkirchlich-ten, aber durchaus religiösen Gesell-schaft zu beeinflussen. Zweitens unddamit verknüpft ist zu fragen, welcheWerte, Deutungsmuster und Interak-tionsformen Theologie und Kirche füreine Kultur der Achtsamkeit, der Teil-habe und der Zukunftsverantwortunganbieten können.

Antworten auf diese Fragen sollenmit der Tagungsreihe zum kulturellenWandel gesucht und – soweit gefun-den – in den gesellschaftlichen, auchkirchlichen Diskurs eingebracht wer-den. Beginnen wird die Tagungsreihemit einem zweitägigen nichtöffent-lichen Symposium im zweiten Quartal

2016 zu grundsätzlichen kultursozio-logischen, -politischen und -philoso-phischen Fragen, zu dem Wissen-schaftlerinnen und Wissenschaftlerund zivilgesellschaftliche Expertin-nen und Experten eingeladen wer-den. Es folgt ein Symposium im vier-ten Quartal 2016 zur Frage, welcheRolle Theologie und Kirche bei einemkulturellen Wandel spielen könnten.An diesem Symposium werden auchTheologinnen und Theologen nicht-christlicher Religionsgemeinschaftenmitwirken. Den Abschluss wird einegroße dreitägige öffentliche Tagungim April 2017 in Wittenberg im Vor-feld der Feierlichkeiten zum Refor-mationsjubiläum bilden. Geprägt wer-den wird diese Tagung durch das Ge-spräch mit Verantwortlichen aus Kir-che, Gesellschaft und Politik.

Klaus Heidel

Anmerkungen:

1. Uwe Schneidewind: Auf dem Weg zu einer„transformativen Literacy“. Die Zeichen richtigdeuten, in: Politische Ökologie, Juni 2013: Bau-stelle Zukunft. Die Große Transformation vonWirtschaft und Gesellschaft, S. 43.

2. „Studien über kulturellen Wandel behandelnvorzugsweise Wertewandel“ (Fuchs, Max[2012]: Kulturbegriffe, Kultur der Moderne, kul-tureller Wandel, in: Bockhorst / Reinwand / Za-charias [Hgg.]: Handbuch Kulturelle Bildung,München, zit. n. www.kubi-online.de).

3. Dessein, J. / Soini, K. / Fairclough, G. / Horlings,L. (eds) 2015. Culture in, for and as SustainableDevelopment. Conclusions from the COST Ac-tion IS1007 Investigating Cultural Sustainability.University of Jyväskylä, Finland.

4. Wissenschaftlicher Beirat der BundesregierungGlobale Umweltveränderungen (2011): Welt imWandel. Gesellschaftsvertrag für eine GroßeTransformation, Berlin, S. 282, Hervorhebungendurch den Verfasser.

Impressum

Der Rundbrief wird herausgegeben von der Werkstatt Ökonomie – Christen für Arbeit und Gerechtigkeit weltweit e.V., Im WeltHaus,Willy-Brandt-Platz 5, 69115 Heidelberg, Telefon (06221) 43336-0, Telefax 43336-29, [email protected], www.woek.de

Bankverbindung: Werkstatt Ökonomie, Konto 801 885 1601, GLS Gemeinschaftsbank eG, BLZ 430 609 67, IBAN DE12 43060967 8018 8516 01, BIC GENODEM1GLS.

Der Rundbrief wendet sich in erster Linie an die Mitglieder und Freundinnen der Werkstatt Ökonomie. Er erscheint unregelmäßigund kann als elektronischer Newsletter kostenlos abonniert werden.

Redaktion: Uwe Kleinert

Dank: Die Werkstatt Ökonomie erhält regelmäßig projektunabhängige Zuschüsse von Brot für die Welt – Evang. Entwicklungsdienst(EED), von der Initiative „Solidarischer Lohn – Ökumenisches Teilen“, der Evang. Landeskirchen in Baden und der Evang. Kirche inHessen und Nassau. Dafür bedanken wir uns herzlich! Dieser Dank gilt auch unseren Mitgliedern und Spenderinnen und Spendern.Sie stärken mit ihrer wichtigen finanziellen Unterstützung die Unabhängigkeit der Werkstatt Ökonomie.

Dieser Rundbrief wurde von der Sonnendruck GmbH in Wiesloch gedruckt. Die Druckerei ist FSC-zertifiziert, sie druckt mit Öko-Farben, bezieht Strom und Gas aus regenerativen Quellen und die Fahrzeuge fahren klimaneutral. Seit 2012 erstellt das Unternehmen außerdem eine Gemeinwohlbilanz. | www.sonnendruck.com

klimaneutralnatureOffice.com | DE-291-524492

gedruckt

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Rasch wächst weltweit die FossilFree Divestment-Bewegung. Sie for-dert dazu auf, Investitionen aus fossi-len Energieunternehmen zurückzuzie-hen: kein Geld für Kohle, Gas und Er-döl also. Einen solchen Rückzug for-derte der Friedensnobelpreisträgerund südafrikanische Erzbischof Des-mond Tutu im April 2014 und verwiesdabei auf die Boykott- und Divest-ment-Kampagnen gegen das Systemder Apartheid in den 1980er Jahren.

Die Erfolge dieser jungen Bewe-gung – oder genauer: der entspre-chenden, im Einzelnen durchausunterschiedlichen Kampagnen – sindbeeindruckend. Universitäten kündi-gen ihre Konten, Kirchen ziehen sichaus der fossilen Energiewirtschaft zu-rück, selbst Versicherungen begin-nen, Anteile an fossilen Energie-unternehmen zu verkaufen, wenn-gleich aus ökonomischen Gründen,aus Furcht vor einer Überbewertung

von Unternehmen, die zu großen Tei-len auf eine künftige Nutzung fossilerEnergieträger setzen.

Doch Fragen bleiben. Beruhtnicht unser gesamtes westlichesWohlstandsmodell auf fossiler Ener-gie? Können wir glaubwürdig ein Di-vestment aus fossilen Energieunter-nehmen fordern, wenn wir zugleichmit Benzin fahren, mit Erdöl heizenund mit Gas unseren Herd betreiben?Und was ist mit Energieunterneh-men, die sowohl fossile Energieträgernutzen als auch „grünen Strom“ an-bieten – soll auch aus diesen Unter-nehmen Kapital abgezogen werden?

Und überhaupt: Was geht das dieKirchen an? Selbst wenn Kirchen ihreAnteile an fossilen Energieunterneh-men verkaufen würden – wäre dasnicht für die betroffenen Unterneh-men ohne jede wirtschaftliche Bedeu-tung? Wäre ein kirchliches Divest-

ment überhaupt die richtige Strategie– könnten Kirchen im Dialog mitUnternehmen nicht mehr bewirken?

Andererseits aber: Erfordert nichtdie ungebremste globale Erwärmungendlich neue Handlungsansätze? Wä-re es nicht gerade Aufgabe der Kir-chen, hier mit gutem Beispiel voranzu gehen? Ein Zeichen dafür zu set-zen, dass wir jetzt alle Anstrengungenzur raschen Dekarbonisierung derWirtschaft unternehmen müssen?

Solchen Fragen sollen zunächstbei dem Fachtag „Kein Geld für Kohleund Co?“ am 20. November 2015 inFrankfurt/M. diskutiert werden. Ver-antwortet wird der Fachtag von Brotfür die Welt – Evangelischer Entwick-lungsdienst (Berlin), der Katholi-schen Sozialakademie Österreichs(Wien), dem Zentrum Gesellschaftli-che Verantwortung der Evangeli-schen Kirche in Hessen und Nassau,dem Zentrum Ökumene der Evangeli-schen Kirchen von Hessen und Nas-sau und Kurhessen-Waldeck und derWerkstatt Ökonomie. An diesemFachtag wirken auch führende Mitar-beitende der Church of Sweden undder United Church of Christ (USA)mit, da sich beide Kirchen bereits zueinem Divestment entschlossen ha-ben.

Im Anschluss an diesen Fachtagwerden dann die Träger des Ökume-nischen Prozesses „Umkehr zum Le-ben – den Wandel gestalten“ einezweijährige innerkirchliche Divest-ment-Kampagne starten mit demZiel, dass Kirchen auf allen Ebeneneinen Rückzug von Investitionen ausfossilen Energieunternehmen min-destens prüfen oder gar vollziehen.

Klaus Heidel

Kein Geld für Kohle und Co.?Eine neue Initiative im Ökumenischen Prozess „Umkehr zum Leben – den Wandel gestalten“

Foto: Fossil Free Deutschland

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EU-Entwicklungspolitik zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Der Verband Entwicklungspolitik Niedersachsen e.V. (VEN) hatte am 12. Juni in Kooperation mit dem Europäischen Informations-Zentrum (EIZ) Niedersachen und der niedersächsischen Staatskanzlei eine Dialog-Veranstaltung zum Thema „Unsere Welt. Unsere Würde. Unsere Zukunft. Europäische Entwicklungs -politik: von der Hilfe zur Zusammenarbeit?“. Der folgende Beitrag fasst den Impulsvortrag von Boniface Mabanza zusammen.

Grundprinzipien der Entwicklungs-politik der Europäischen Union

2015 wurde zum Jahr der Europäi-schen Entwicklungspolitik deklariert.Dies nehmen viele engagierte Grup-pen zum Anlass, diese Entwicklungs-politik der Europäischen Union (EU)unter die Lupe zu nehmen. EU-Funk-tionäre werden nicht müde zu beto-nen, dass die EU und ihre Mitglieds-staaten der größte Zahler von öffent-licher Entwicklungshilfe seien unddass ihre Beiträge im Gegensatz zuschwankenden Leistungen der USAund Japan stabil seien. Dies mag stim-men, entscheidend ist jedoch nicht dieMenge an Geld und anderen Leistun-gen, die die EU zur Verfügung stellt,sondern die Frage danach, was dieverschiedenen Leistungen bewirkenund ob die EU dadurch dem Anspruchgerecht wird, den sie selbst formuliert,wenn sie als Hauptziel ihrer Entwick-lungspolitik die Bekämpfung und auflange Sicht die Beseitigung der Armutfestlegt. Um diesen Anspruch beurtei-len zu können, empfiehlt sich ein Blickauf die Prinzipien, an denen die EU ih-re Entwicklungspolitik orientiert. Die-se sind als die berühmten drei „Ks“ be-kannt: Komplementarität, Koordina-tion und Kohärenz. Komplementaritätmeint, dass die Entwicklungspolitikder EU die der einzelnen Mitgliedstaa-ten ergänzt und keine Doppelstruktu-ren schafft. Die Umsetzung diesesPrinzips erweist sich als sehr schwie-rig, nicht nur aufgrund der Vielzahlder Akteure, die im Namen der einzel-nen Mitgliedstaaten unterwegs sind,sondern auch aufgrund des fehlendenWillens einiger Mitgliedstaaten, aufdiesem für sie strategischen GebietZuständigkeiten an die EU-Institutio-nen abzugeben. Es gibt nichts, was sogenannte Geberländer mehr fürchten

als die Unerkennbarkeit ihrer Hilfe.Daran hatte seinerzeit Dirk Niebelmehrmals erinnert, und die Angst vorder Unerkennbarkeit der deutschenLeistungen war für ihn Grund genug,vor der UN-Vollversammlung zu ver-künden, dass „Deutschland künftigwieder mehr bilateral helfen wolle.“1

Auch Länder wie Frankreich, Belgienoder Großbritannien lassen sich in ih-ren jeweiligen Einflussgebieten un-gern auf die Finger schauen und be-treiben unbeeindruckt nach wie vorEigenbrötelei. Dies macht die Umset-zung des Koordinationsprinzipsschwierig, das mit dem Anspruch ver-bunden wird, dass eine Harmonisie-rung der Entwicklungspolitiken der

Europäischen Gemeinschaft und derMitgliedsstaaten erfolgen sollte unddass die EU-Institutionen dafür einekoordinierende Rolle übernehmensollten. Es wäre eine Untertreibung zusagen, dass die Umsetzung diesesPrinzips Lücken aufweist. Richtig wä-re die Feststellung, dass die Umset-zung, wenn sie tatsächlich angestrebtwird, nur in Schrittgeschwindigkeit er-folgt. Es verwundert kaum, dass inden öffentlichen Diskussionen diesebeiden ersten Gebote der Europäi-schen Entwicklungspolitik oft in Ver-gessenheit geraten. Anders verhält essich mit dem Kohärenzprinzip. Daraufkonzentrieren sich meine Überlegun-gen.

Forderung nach Steuergerechtigkeit auf dem Weltsozialforum 2015 in Tunis (Foto: Boniface Mabanza)

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Boniface Mabanza

Kohärenz: Missverständnis oderIrreführung?

Das Kohärenzprinzip ist bekanntund wird vor allem in der NGO-Land-schaft sehr stark in Anspruch genom-men, um die EU und ihre Mitglied-staaten auf ihre eigenen Widersprü-che aufmerksam zu machen. Diesetreten überall zutage, wo EU-Projek-te zur Erhöhung der Produktionska-pazitäten von KleinproduzentInnenbeitragen, während europäischeFangflotten das Meer leer fischenoder EU-Exporte die Nahrungsmit-telmärkte mit Billigprodukten über-schwemmen und die lokalen Produ-zentInnen verdrängen. Die verbreite-te Kritik an der Entwicklungspolitikder EU geht dementsprechend vonder Annahme aus, dass diese an sichgut sei – wenngleich viele ihrer gutdurchdachten Projekte durch außen-wirtschaftliche Interessenpolitik kon-terkariert werden.

Meiner Meinung nach greift dieseAnalyse, in der die seit Anfang der1990er Jahre intensiv diskutierte Policy Coherence for Development(PCD) wurzelt, zu kurz. Sie schiebtden anderen Politikfeldern ein-schließlich der Außen-, Sicherheits-und Wirtschaftspolitik die Schuld zufür das, was schief läuft, während dieEntwicklungspolitik als unschuldigdargestellt wird. Dieser Ansatz über-sieht, dass jeder dieser Politikberei-che im Blick auf die entwicklungspoli-tischen Aufgaben für sich genommenkritikwürdig ist, bevor ihre Wechsel-wirkungen die Ergebnisse produzie-ren, die oft beklagt werden. Weil Ent-wicklungspolitik und Außenwirt-schaftspolitik getrennt betrachtet fürdie Entwicklungsziele aus der Per-spektive der Zielgruppen der EU-Ent-wicklungspolitik so problematischsind, neutralisieren sie sich letztend-lich in ihren Ergebnissen. Entwick-lungspolitik ist an sich ein Problem,bevor strategische und wirtschaftli-che Interessen ihre schädliche Wir-kung entfalten. Sie ist deswegen einProblem, weil sie eurozentrisch istund bleibt. Sie wird in Europa ge-macht und zwar ausgehend von deneuropäischen Wirklichkeiten und

Interessen und sie reflektiert nur amRande die Realität der „zu entwi-ckelnden“ Länder. Sie beruht auf derAnnahme, dass Europa entwickeltund der Süden unterentwickelt ist.Daraus ergibt sich eine Rollenvertei-lung, in der sich die Kompetenz desSüdens meistens darauf beschränkt,seine Probleme zu beschreiben, wäh-rend Europa seine Lösungskompe-tenz für die gesellschaftlichen Proble-me des Südens zur Schau stellt. Sogesehen ist die europäische Entwick-lungspolitik, die euphemistisch Ent-wicklungszusammenarbeit genanntwird, ein Transfer politischer Konzep-te, die für die anvisierten Kontexteoft ungeeignet sind. Es ist deswegentragisch, dass es für die Länder desSüdens umso schwieriger ist, die alsUnterstützung dargestellten unge-eigneten Konzepte Europas abzuleh-nen, je ärmer und abhängiger sie sind.

Dass Europa selbst Probleme hatund dass der Süden Lösungskompe-tenzen für die eigenen Probleme hatund über Erfahrungen verfügt, die fürEuropa Relevanz haben können, spielteine zweitrangige Rolle. Fakt ist, dasseine partnerschaftliche Beziehungnicht existiert und nicht existierenkann, wie der mosambikanische Ent-wicklungssoziologe Elisio Macamo esformuliert: „Eine echte Partnerschaftkann es nie geben, wenn die Bezie-hung so ungleich ist. Wenn sie vor al-lem von der Vorstellung geprägt ist,dass der eine weiß, wie man es richtigmacht. Ich kann mir keine europäi-sche Regierung vorstellen, die offenwäre für afrikanische Partner, die sa-gen, eigentlich sollten wir das besserso machen. Denn die einen argumen-tieren immer aus der Position dererheraus, die es geschafft haben. Ich sa-ge es mal mit einem kenianischenSprichwort: Stirnrunzelnde Fröschewerden die Kühe nicht abhalten, ausdem Weiher Wasser zu trinken“.2 Dassderjenige, der weiß, wie man es richtigmacht, seine Position dafür nutzt, sei-ne eigenen Interessen durchzusetzensollte kaum verwundern, es sei denn,man setzt eine Selbstlosigkeit der Wis-senden voraus. In der Praxis hat sichdiese Selbstlosigkeit zumindest bisjetzt nicht gezeigt.

Würde man tatsächlich die Inter-essen der Geber nicht über die derBetroffenen stellen wollen, gäbe esandere Möglichkeiten der Koopera-tion zu berücksichtigen als die Instru-mente, auf die Entwicklungszusam-menarbeit immer rekurriert. WilliamEasterley3 hat einen Vorschlag unter-breitet, der irritierend klingt, aberviel zur Überwindung der Marginali-sierung der Interessen der Betroffe-nen beitragen kann. Sein Vorschlagist, dass die Geber den Zielgruppenihrer Maßnahmen Gutscheine aus-stellen, die sie bei Organisationen ih-rer Wahl für Projekte ihrer Wahl ein-lösen können. Welche Wirkung solcheine irritierende Methode erzielenkann, hat das Pilotprojekt zum BasicIncome Grant (BIG) in Namibia ge-zeigt, als eine nationale Koalitionüber sechs Monate allen Einwohne-rInnen eines kleinen Dorfes 100 Na-mibische Dollar pro Monat auszahlte.Dieses Projekt hat dokumentiert, wasso eine Intervention im Blick auf sozi-ale Indikatoren und kleines Unter-nehmertum in so einem kleinen Dorfauslösen kann. Das Gegenteil einer

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solchen Intervention, die Wert darauflegt, die Zielgruppen nicht nur zu er-reichen, sondern auch ihr Subjekt-sein zu respektieren, sind Maßnah-men, die eindeutig dafür gedachtsind, die Empfängerländer strukturellauf die Interessen der Geberländerauszurichten. Solche Interventionenhatte der iranische Ökonom MajedRanehma im Blick, als er folgendeKritik an der Entwicklungszusam-menarbeit formulierte: „Was man im-mer noch als Hilfe bezeichnet, ist einfinanzieller Zuschuss zur Stärkungder Elend produzierenden Struktu-ren. Wenn die Opfer dieser Enteig-nungspolitik jedoch versuchen, sichvom globalisierten Produktionssys-tem abzukoppeln, um nach Alternati-ven zu suchen, die ihren eigenenWünschen entsprechen, ist niemandda, der ihnen Hilfe bietet.“4 Entwick-lungszusammenarbeit, wenn sie demAnspruch ihrer Rhetorik gerecht wer-den will, sollte genau solche Projekteunterstützen, die auch Abkoppelungvom globalen kapitalistischen Systemzur Konsequenz hätten, insofern die-se Abkoppelung für die übergeordne-ten Ziele der betroffenen Gruppenwie Armutsbekämpfung oder für dieZukunftsfähigkeit der Menschheitdienlich sind. Dies würde bedeuten,nicht zu krampfhaft versuchen, „Ent-wicklung“ als vorgefertigtes Konzeptdurch den Transfer von Kapital, Wis-sen und Normen umzusetzen, son-dern Veränderungen zu unterstützen,die national und lokal angestoßenwerden und den lokalen und nationa-len Notwendigkeiten entsprechen.Nur so können die in den je unter-schiedlichen lokalen Kontexten vor-handenen Potentiale zur Entfaltungkommen.

Kohärenz: wofür?

Wenn die EU einen grundlegen-den Beitrag zur Überwindung der Un-gerechtigkeit in der Welt leisten will,dann sollte der Referenzrahmen nichteine eng definierte Entwicklungspoli-tik sein, sondern ein Umdenken, dasviele Bereiche einschließt: Welthan-del, Schuldenproblematik, Finanz-marktregulation, Migration, Kontrolletransnationaler Unternehmen, politi-sche Systeme. Sich auf eine Praxis

unter Berücksichtigung globaler Ge-rechtigkeit im Blick auf Handel, Kapi-talabflüsse, Rohstoffe einzulassen,impliziert, die zerstörerischen Ele-mente in der westlichen Politik zu be-kämpfen. Diese Aufgabe ist dringen-der als die klassische Entwicklungs-hilfeleistung. Mit den Worten vonKardinal Rodriguez ausgedrückt: „DieWelt braucht nicht mehr Hilfe, son-dern weniger Diebstahl.“ Solange dieEU an diesen harten Fronten grund-legende Veränderungen blockiertoder zumindest nicht vorantreibt,fungiert ihre Entwicklungspolitiktrotz ständig aktualisierter Rhetorikals Instrument der Verschleierungund der Legitimierung ihrer überge-ordneten Ziele wie Sicherung derRohstoffversorgung und Schaffungvon Absatzmärkten.

Damit kehren wir zum Ausgangs-punkt zurück: Entgegen der verbrei-teten Meinung ist die EU in ihrerAußenwirkung sehr kohärent. Sie hatsich zum Ziel gesetzt, sich als wettbe-werbsfähige Region in Konkurrenzmit den USA, Japan und China zu be-haupten, und versteht es, sich für ihrübergeordnetes Ziel, die Ankurbe-lung des Wirtschaftswachstums inEuropa, auch der humanitären Rhe-torik der Entwicklungspolitik zu be-dienen. Der Vorwurf der Inkohärenzbasiert auf einer Definition der Ziel-systeme in der EU-Politik, welche der

Wirklichkeit nicht entspricht. Nichtdie Entwicklungspolitik ist in der Po-sitionierung der EU nach außen ton-angebend, sondern andere Politikbe-reiche wie Wirtschaftspolitik und Si-cherheitspolitik. Diese sind die Berei-che, die die Selbstverpflichtungender EntscheidungsträgerInnengegenüber ihren WählerInnen be-stimmen und über Machtzugang, -er-halt oder -verlust in Europa entschei-den. Sich von einer zentralen Rolleund einem übergeordneten Charak-ter der Entwicklungspolitik, die es inWirklichkeit nicht gibt, zu verabschie-den, kann helfen, im emanzipatori-schen Sinne die Synergien auf dieentscheidenden Schaltstellen zu kon-zentrieren. Dafür könnte man auf dienächsten und übernächsten Schlag-wörter zur Neuqualifizierung des Po-litikbereiches „Entwicklungszusam-menarbeit“ verzichten.

Boniface Mabanza

Anmerkungen:

1. http://www.zeit.de/politik/ausland/2010-09/millenniumsgipfel-fazit/seite-2

2. Elísio Macamo, „Was sind denn schon 50 Jahre?,Interview in Frankfurter Rundschau, Politik, 13. Juli 2015, S. 7

3. Vgl. William Easterly, The White Man’s Burden:Why the West’s Efforts to Aid the Rest Have DoneSo Much Ill and So Little Good, New York 2006

4. Majid Rahnema, „Quand la misère chasse la pauvreté“, Paris-Arles (Fayard, Actes-Sud)2003, S. 268

Die Universidad de la Tierra in Chiapas/Mexiko tritt offensiv für eine Dekolonisierung der Macht und des Wissens ein(Foto: Boniface Mabanza)

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Ausstellungen der KASA

Die Ausstellungen können von lokalen VeranstalterInnen bei der KASA entliehen werden. Weitere Informationen über die Ausstellun-gen selbst sowie über die Ausleihbedingungen gibt es unter www.kasa.de, Menüpunkt „Ausstellungen“.

So leben wir – Alltag in KwaZulu-Natal

Die Ausstellung „So leben wir – Alltag in KwaZulu-Natal” besteht aus 28Fotos, die von PACSA (Pietermaritzburg Agency for Community Social Action) in Auftrag gegeben und von dem renommierten südafrikanischenFotografen Cedric Nunn aufgenommen wurden. Die Bilder erzählen Geschichten über alltägliches Handeln, in denen Menschen Raum für sichreklamieren, sich organisieren und ihr Leben in Würde für sich und anderegestalten. In ihnen erfinden Menschen neue Formen der Solidarität. Sie gewinnen ihre Gestaltungsmacht zurück, um ihr Schicksal auf lokalerEbene selbst in die Hand nehmen und zum Besseren wenden zu können.

Wir werden uns Gehör verschaffen!

August 2012, Marikana bei Rustenburg/Südafrika: Ein Streik der Minenarbeiter bei Lonmin spitzt sichzu, es sterben Arbeiter und Sicherheitskräfte. Schließlich beendet die Polizei den Streik mit Gewaltund erschießt dabei 34 Arbeiter, zum Teil auf der Flucht. Die Bodymaps der Hinterbliebenen zeugenvom Schmerz der Frauen und sind ein Schritt zur Aufarbeitung der Geschehnisse. Mit den Fotografienzeigen die Frauen ihre Lebenswirklichkeit. Ihre Situation hat sich mit dem Tod des Ernährers ver-schlimmert. Die Witwen von Marikana kämpfen für Gerechtigkeit und Wiedergutmachung.

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Bisher existieren in Südafrika sek-torale Mindestlöhne, die in ihrer Hö-he und Implementierung eine enormeDisparität aufzeigen. So verdient der-zeit eine Hausangestellte theoretischmindestens 1800 Rand, ein Minenar-beiter hingegen rund 4000 Rand. Jeprekärer die Beschäftigung und jegrößer die gesellschaftliche Kluft zwi-schen ArbeitnehmerIn und Arbeitge-berIn desto unsicherer die Einhal-tung dieser staatlichen Vorgabe unddesto schwieriger die Einklagbarkeit.

Bereits im vergangenen Jahr setz-te darüber hinaus auch im Parlamenteine heftige Debatte ein, die in ihrenArgumentationslinien vergleichbar istmit der Diskussion in Deutschland.Sie umfasst sowohl Stimmen ausWirtschafts- und Oppositionskreisen(im Falle Südafrikas die DemocraticAlliance), die einen Mindestlohn ka-tegorisch ablehnen, als auch Stimmenvon Gewerkschafts- und zivilgesell-schaftlicher Seite, die der Debattemit ihrer Forderung nach einer men-schenwürdigen Entlohnung einen Im-puls zu neuen Überlegungen und Dis-kussionen gaben.

Für Südafrika ist die Debatteschwierig und emotional extrem auf-geladen, weil Niedriglöhne ein Teildes Apartheiderbes sind und wederder Arbeitsmarkt noch die Wirtschaftbisher eine grundlegende Transfor-mation erfahren haben. Die Interna-tionale Arbeitsorganisation (ILO)empfiehlt in ihren Global Wage Re-ports einen Mindestlohn in Höhe vonzwei Dritteln des Durchschnittsge-halts, was für Südafrika aufgrund derhohen Einkommensungleichheitnicht wirklich eine Verbesserung dar-stellen würde – der Durchschnitts-lohn liegt derzeit bei rund 3000 Rand.Etwa zwei Drittel der ArbeiterInnen

verdienen 3300 Rand. Neil Colemanvom Gewerkschaftsdachverband CO-SATU erklärte bei einer Videokonfe-renz, an der auch das KASA-Teamteilnehmen konnte, dass diese damitweit unter dem für Südafrika ange-nommenen Existenzminimum von4500 Rand liegen und trotz Arbeit zuden Armen des Landes zählen. Ursa-che für die Armut in Südafrika seidemzufolge nicht, wie oft behauptet,die hohe Arbeitslosigkeit, sondernvor allem die schlechte Bezahlung derBeschäftigten. Ein Mindestlohn müs-ste also deutlich über dem Durch-schnittseinkommen von 3000 Randliegen – in den Diskussionen hörtman Zahlen, die sich zwischen derILO-Empfehlung für Südafrika von4800 Rand und der Idee eines exis-tenzsichernden Lohns in Höhe von9700 Rand bewegen, den das Studies

in Poverty and Inequality Institute(SPII) vorgeschlagen hat.

Schaut man sich die Zahlen der ar-beitenden Bevölkerung Südafrikas et-was genauer an, so stellt man fest, dassdie rund 54 Millionen Menschen nurvon 28 Prozent finanziell unterstütztwerden, die eine Arbeit haben. Nochdramatischer wird die Situation, wennzwischen der weißen und schwarzenBevölkerung unterschieden wird. Einschwarzer Arbeiter verdient im Durch-schnitt nur etwa 25 Prozent dessen,was ein weißer Arbeitnehmer erhält,obwohl sein Lohn für die Versorgungvon mindestens vier Familienmitglie-der – und nicht nur einer weiteren Per-son – ausreichen muss.

Ein höheres Familieneinkommenwürde an den meisten Abhängigkeits-

Südafrika debattiert über einen Mindestlohn

Die Einführung eines nationalen Mindestlohns in Südafrika zählt zu Präsident Zumas Wahlversprechen. DieDiskussion wird im Land auf verschiedenen Ebenen geführt und reicht vom Mindestlohn über ein Existenzmi-nimum und eine menschenwürdige Entlohnung bis hin zu einem universellen Grundeinkommen. Die zentra-le Frage dabei ist nach wie vor, mit welchen Mitteln Armut und Ungleichheit behoben werden können.

Round Table der South African Women in Dialogue (SAWID)

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verhältnissen nichts ändern, da Frau-en in Südafrika weitaus häufiger er-werbslos sind als Männer – obwohlsich diese Lücke in den letzten Jah-ren etwas geschlossen hat – und weit-aus mehr unbezahlte Arbeit in Hausund Familie erledigen. Hier wäre einuniverselles Grundeinkommen wohlnach wie vor die beste Alternative.Interessant könnte ein Mindestlohnallerdings auch für Frauen sein: Su-raya Bibi Khan wies im Rahmen derSAWID-Konferenz darauf hin, dass(Ehe-)Frauen aufgrund der immernoch vorherrschenden niedrigerenBezahlung eher eine Arbeit finden alsihre Männer, mit der Folge, dass dieseihr Versagen in der traditionellen Rol-le als Ernährer der Familie daraufhinoft mit Gewaltausbrüchen gegen ihreFrauen und Kinder kompensieren.

Vom Lebensmittelpreis-Barometerzum Mindestlohn

Seit 2006 veröffentlicht PACSA(Pietermaritzburg Agency for Com-munity Social Action)monatlichZahlen, die die Lebenshaltungskosten

für eine Familie in KwaZulu-Natal be-ziffern. Danach braucht eine vierköpfi-ge Familie allein 2170 Rand, um sichzu ernähren. Darin nicht enthaltensind Miete, Transportkosten oder etwakommunale Abgaben etwa für Strom,Wasser und Bildung. Eine Erhöhungder Energiekosten für Haushalte umrund 25 Prozent, wie sie derzeit vomsüdafrikanischen Energiekonzern Es-kom angekündigt wird , würde in denmeisten Familien die Mittel, die mo-mentan für Nahrungsmittel zur Verfü-gung stehen, noch weiter reduzieren.Nicht ohne Grund wies Mervyn Abra-hams in einem Gespräch mit dem KA-SA-Team in Pietermaritzburg daraufhin, dass der Zugang zu ausreichendNahrung erst die Grundlage dafür sei,dass Menschen ihre Kräfte und Poten-tiale ausschöpfen können. Als Folgeder Beschäftigung mit den Lebenshal-tungskosten rückte für PACSA dieFrage in den Vordergrund, wie Fami-lien überhaupt in der Lage sind, dieseKosten zu decken. Wie hoch müsstedann ein Mindestlohn – also das Ein-kommen für eine vierköpfige Familie –sein, damit ein menschenwürdiges Le-

ben gesichert wäre? PACSA kam dabeiauf einen Betrag von rund 8000 Rand.„Da ist auch mal ein Feierabend-Bieroder eine Freizeitaktivität mit drin,denn wir reden von einem Einkom-men, das ein Leben in Würde und dieTeilhabe an der Gesellschaft ermög-licht“, erläutert Abrahams. Dabei, soAbrahams, birgt der Mindestlohn eherdie Chance in sich, die Wirtschaft ausihrem Apartheid-Erbe herauszulösenund zu verändern. Ein universellesGrundeinkommen hingegen setzeeher am Aspekt der sozialen Sicher-heit an und sei derzeit einfach wenigerdurchsetzbar als ein Mindestlohn.

Angesichts der Streikwellen fürbessere Löhne in Südafrika seit derDemokratisierung 1994 und beson -ders seit dem Massaker von Marikana,bei dem 34 streikende Minenarbeitervon der Polizei regelrecht hingerich-tet worden waren, um ein Exempel zustatuieren, scheint für Südafrika inder Tat die Transformation der Wirt-schaft vorrangig.

Simone Knapp

Protestmarsch gegen Eskom

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Publikationen der KASA

So leben wir – Alltag in KwaZulu-Natal (Katalog zur Ausstellung), Mai 2015, 24 Seiten

Jahresbericht 2014 Februar 2015, 23 Seiten

Zeit zum Umdenken: Rohstoffe im Südlichen Afrika. Der natürliche Reichtum der Region muss endlichder Bevölkerung zugutekommen. November2014, 36 Seiten

Wir werden uns Gehör verschaffen! Die Witwen von Marikana kämpfen für Gerechtigkeitund Wiedergutmachung (Katalog zur Ausstellung).April 2014, 32 Seiten

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Widerstand gegen TTIP und CETA

Selbstorganisierte Europäische Bür-

gerinitiative gegen TTIP und CETA

Schon mehr als 2,4 Millionen Men-schen haben sich mit ihrer Unter-schrift im Rahmen der Selbstorgani-sierten Bürgerinitiative gegen TTIPund CETA (EBI) für den Schutz vonDemokratie und Rechtsstaatlichkeit,Umwelt- und Verbraucherschutz aus-gesprochen. Auch die Werkstatt Öko-nomie unterstützt die EBI. Die Unter-schriftensammlung läuft noch bisOktober. Unterzeichnen auch Sie –zum Beispiel unter https://stop-ttip.org/de/.

Initiative gegen „RegulatorischeKooperation“

Im Februar wendeten sich 150 zi-vilgesellschaftliche Organisationen,darunter die Werkstatt Ökonomie, ge-gen die im Rahmen von TTIP vorge-sehene so genannte „regulatorischeKooperation“. Die damit verbundeneHarmonisierung von Regulierungenzwischen Europa und den USAschwächt, so die Befürchtung, euro-päische Standards im Arbeits-, Um-welt- und Verbraucherschutz,schränkt die Durchsetzbarkeit an-spruchsvollerer Schutzniveaus einund stärkt die Einflussmöglichkeitenvon Großkonzernen. Mehr dazu unterwww.woek.de.

Briefwechsel zwischen Landesre-gierung und DEAB zu TTIP

Im März legte die baden-württem-bergische Landesregierung ein Posi-tionspapier zu TTIP vor, das viele zi-vilgesellschaftliche Kritikpunkte auf-greift. Mit einem Offenen Brief (unterBeteiligung von Uwe Kleinert) be-grüßte der DEAB die Positionierungder Landesregierung grundsätzlich,kritisierte das Abkommen selbst aberinsbesondere unter entwicklungspoli-tischen Gesichtspunkten. Mitte Juliantwortete die Landesregierung miteinem ausführlichen Schreiben. DerBriefwechsel ist unter www.deab.dedokumentiert.

Baden-Württemberg kauft verantwortlicher ein

Landesregierung stärkt Nachhaltigkeit bei der Auftragsvergabe

Weitgehend unbemerkt hat das Kabinett am 17. März die neue Verwaltungsvorschrift (VwV) Beschaffung beschlossen und ab 1. April in Kraft gesetzt. Die Zurückhaltung in der Pressearbeit wird der Bedeutung des Vor-gangs nicht gerecht, denn die VwV Beschaffung hat für die Beschaffungspraxis weitreichende Konsequenzen.

Um mit dem Grundsätzlichen zubeginnen: Die Auftragsvergabe desLandes wird durch die VwV Beschaf-fung unter anderem auf das Ziel einerweitgehend klimaneutralen Landes-verwaltung ebenso verpflichtet wieauf die Berücksichtigung der Ent-wicklungspolitischen Leitlinien desLandes und die Gewährleistung guterund sicherer Arbeit für alle Beschäf-tigten, der Chancengleichheit undGleichstellung von Männern undFrauen im Beruf und der sozialen In-tegration benachteiligter Personen.

Aus entwicklungspolitischer Per-spektive besonders erfreulich sinddie Stärkung des Fairen Handels unddie obligatorische Berücksichtigungsozialer Mindeststandards in der Lie-

ferkette. Zum Fairen Handel heißt esin der Verwaltungsvorschrift: „ImRahmen der Vergabevorschriftensind unter den am Markt befindlichenund für den vorgesehenen Verwen-dungszweck ... gleichwertig geeigne-ten Erzeugnissen ... fair gehandelteProdukte zu bevorzugen.“

Bei bestimmten Produktgruppen„sollen“ Liefer- und Dienstleistungenmit zusätzlichen Bedingungen an dieAuftragsausführung vergeben wer-den, „die das beauftragte Unterneh-men verpflichten, den Auftrag aus-schließlich mit Produkten auszufüh-ren, die unter Einhaltung der ILO-Kernarbeitsnormen gewonnen undhergestellt worden sind.“ Die Kernar-beitsnormen der Internationalen Ar-

beitsorganisation (ILO) untersagenZwangs-, Sklaven- und Kinderarbeit,gewähren Vereinigungsfreiheit unddas Recht auf Kollektivverhandlun-gen und verbieten Diskriminierung inBeschäftigung und Beruf. Damit gehtdie VwV Beschaffung deutlich überdie VwV Kinderarbeit von 2008 hin-aus, die sich nur auf ausbeuterischeKinderarbeit im Sinne des ILO-Über-einkommens 182 bezog.

In einer Anlage zur VwV Beschaf-fung sind die Produktgruppen festge-legt, bei denen die ILO-Kernarbeits-normen berücksichtigt werden müs-sen, wenn bei dem Auftrag Produkteverwendet werden, die in Afrika,Asien und Lateinamerika gewonnenoder hergestellt wurden. Das sind �

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Textilien und Bekleidung, Sportbe-kleidung und -artikel, Spielwaren,Teppiche, Lederwaren, Natursteine,Agrarprodukte sowie „Billigprodukteaus Holz“.

Der Nachweis für die Beachtungder ILO-Kernarbeitsnormen – imUnternehmen des Bieters, des Pro-duktherstellers und bei dessen direk-ten Zulieferern – kann entwederdurch ein vom Auftraggeber verlang-tes oder ein gleichwertiges Gütezei-chen erbracht werden. Statt einesNachweises kann auch die Zusiche-rung gegeben werden, dass „aktiveund zielführende Maßnahmen“ ergrif-fen wurden, „um die Beachtung desWesensgehaltes der ILO-Kernarbeits-normen ... zu gewährleisten“. DieseMaßnahmen sind nachvollziehbardarzustellen. Eine einfache Bieterer-klärung, wie sie bisher in der Regelzur Anwendung kommt, wird nichtmehr als Nachweis akzeptiert.

Die VwV Beschaffung ist von allenBehörden und Betrieben des Landessowie den landesunmittelbaren juris-tischen Personen des öffentlichenRechts anzuwenden. Den Kommunensoll in einer weiteren Verwaltungs-vorschrift, der VwV Vergabe, noch indiesem Jahr empfohlen werden, ent-sprechend den Grundsätzen und Re-gelungen der VwV Beschaffung zuverfahren. Die VwV Kinderarbeit von2008 tritt dann außer Kraft.

Viele der von zivilgesellschaft-licher Seite an die Landesregierungherangetragenen Erwartungen wur-den bei der Erarbeitung der VwV Be-schaffung aufgegriffen, allerdingsnicht alle. So ist nicht vorgesehen,dass die Vergabestellen regelmäßigüber die Umsetzung der VwV Be-schaffung berichten. Die geografischeBeschränkung der Regelung zu denILO-Kernarbeitsnormen auf Afrika,Asien und Lateinamerika blieb erhal-ten, ebenso die Mängel in der Pro-duktgruppenliste, in der sehr unspe-

zifisch von „Billigprodukten aus Holz“die Rede ist und in der beispielsweiseProdukte der Informations- undKommunikationstechnologie fehlen.Bedauerlich ist ebenfalls, dass aktiveund zielführende Maßnahmen auchdann als Nachweis akzeptiert werden,wenn ein unabhängiger Nachweismittels eines Gütezeichens zur Verfü-gung stünde.

Diese Punkte sollten berücksich-tigt werden, wenn die VwV Beschaf-fung, die bis 31. Dezember 2021 gül-tig bleibt, ab Mitte 2016 der dannneuen Rechtslage auf Bundesebeneangepasst wird. Bis April 2016 mussnämlich die am 18. April 2014 in Kraftgetretene europäische Vergabericht-linie in nationales Recht umgesetztsein. Und auch ein Landesvergabege-setz für Baden-Württemberg, das dieBerücksichtigung von Nachhaltig-keitskriterien für alle öffentlichenAuftraggeber im Land verbindlich

regelt, ist erfreulicherweise nichtvom Tisch. Entsprechend äußertesich Minister Peter Friedrich bei derdiesjährigen EntwicklungspolitischenLandeskonferenz in Stuttgart: DieVwV Beschaffung sei „eine wichtigeVoraussetzung, um im Verwaltungs-vollzug Spielraum für Fairness undglobale Verantwortung zu schaffen.Nichtsdestotrotz müssen wir dran-bleiben und auf lange Sicht für Ba-den-Württemberg auch ein entspre-chendes Vergabegesetz etablieren.“Das stehe in der nächsten Legislatur-periode auf der Agenda.

Uwe Kleinert

Uwe Kleinert ist Eine Welt-Fachpromotor fürnachhaltige öffentliche Beschaffung undUnternehmensverantwortung in Baden-Württemberg. Zum Eine Welt-PromotorIn-nen-Programm vgl. den Artikel auf Seite 25.

Widerstand gegen TTIP und CETA

Bei der Beschaffung bestimmter Risikoprodukte, beispielsweise Natursteine, will das Land künftig auf die Einhaltungder ILO-Kernarbeitsnormen achten. (Foto: Uwe Kleinert)

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Publikationen zum Thema „Nachhaltige Beschaffung“

Zusammen mit dem Dachverband Entwicklungspolitik Baden-Württemberg führtdie Werkstatt Ökonomie seit 2013 das Projekt „Mehr Recht als billig! Baden-Würt-temberg kauft verantwortlich ein“ durch (vgl. Rundbrief 56, S. 11). Unterstütztwird das Projekt zurzeit von Engagement Global im Auftrag des BMZ, aus Mittelndes Kirchlichen Entwicklungsdienstes durch Brot für die Welt und vom Katholi-schen Fonds. Im Projektzusammenhang sind die folgenden Broschüren und Falt-blätter erschienen.

Pflanzen nachhaltig beschaffen: für Umweltschutz & Menschenrechte.

Dezember 2014, 32 Seiten

Natursteine nachhaltig beschaffen: für Umweltschutz & Menschenrechte! Dezember 2014, 32 Seiten

Rosen, Lilien, Farn & Co.: Was ist wichtig beim Pflanzenkauf? September 2014, 6 Seiten, DIN lang

Marmor, Granit & Co.: Was ist wichtigbeim Natursteinkauf? Dezember 2014, 6 Seiten, DIN lang

Teddy, Puppe, Puzzle & Co.: Was istwichtig beim Spielzeugkauf? Dezember 2013, 6 Seiten, DIN lang

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Baden-Württemberg entwickeln – das Eine Welt-PromotorenInnen-Programm im Land

Seit zwei Jahren gibt es in Baden-Württemberg Eine Welt-PromotorIn-nen. Sie sollen die Initiativen, Organisationen und BürgerInnen imLand bei ihrem Engagement für globale Gerechtigkeit unterstützen, in-dem sie Anstöße geben, informieren, beraten, vernetzen und Weiterbil-dungen anbieten. Damit unterstützen sie auch die Umsetzung der Ent-wicklungspolitischen Leitlinien für Baden-Württemberg, die im Landvon einem breiten Konsens getragen werden, auch von der Landesregie-rung und im Landtag.

Die Leitlinien wie das Eine Welt-PromotorInnen-Programm sind getra-gen von der Einsicht, dass die Krisen in den Bereichen Klima, globale Si-cherheit, Welternährung, Ressourcen, Weltwirtschaft und Finanzmarkteinen grundlegenden Wandel nötig machen. Mit „Baden-Württembergentwickeln“, dem Slogan des Eine Welt-PromotorInnen-Programms, istdie Herausforderung auf einen kurzen Nenner gebracht.

Baden-Württemberg entwickeln – inden Entwicklungspolitischen Leitlinienliest sich das so: „Unsere Lebensweiseund das globale Wirtschaftssystemführen zu sich verschärfenden ökono-mischen, ökologischen und sozialenKrisen. Sie sind geprägt von einemnicht vertretbaren Ressourcenver-brauch, rasantem Klimawandel und un-gerechten Welthandelsstrukturen. Sievergrößern die Schere zwischen Armund Reich und bedrohen die Lebens-grundlage vor allem in ärmeren Regio-nen der Welt. […] Entwicklungspolitikbedeutet heute, weltweit die gemeinsa-me Verantwortung für eine ökono-misch, ökologisch und sozial tragfähigeGestaltung der Zukunft wahrzunehmen.Das erfordert sowohl politische undwirtschaftliche Rahmenbedingungen,die sich an dieser Verantwortung orien-tieren als auch ein entsprechendes indi-viduelles Verhalten.“

Das Eine Welt-PromotorInnen-Programm ist bundesweit angelegt,realisiert wird es inzwischen in 14Bundesländern. Auf Bundesebenewird es von der Arbeitsgemeinschaftder Eine Welt Landesnetzwerke inDeutschland (agl) koordiniert, aufLandesebene vom jeweiligen Landes-netzwerk, in Baden-Württemberg al-so vom DEAB. Finanziert wird dasProgramm zu 60 Prozent vomBundesministerium für wirtschaftli-che Zusammenarbeit und Entwick-lung (BMZ) und zu 40 Prozent vomjeweiligen Land. Mit den oben be-schriebenen Rahmenbedingungenwar in Baden-Württemberg eine guteGrundlage geschaffen, das Programm– auch im bundesweiten Vergleich –sehr solide aufzustellen.

19 PromotorInnen gibt es hierzu-lande, angesiedelt bei verschiedenenentwicklungspolitischen Organisatio-nen, Netzwerken und Initiativen. Dieacht RegionalpromotorInnen förderndie Eine Welt-Arbeit in ihrer jeweili-gen Region. Die elf FachpromotorIn-nen arbeiten landesweit zu den Hand-lungsfeldern Fairer Handel, GlobalesLernen, nachhaltige Beschaffung undUnternehmensverantwortung, inter-nationale Partnerschaften, Partner-schaft mit Burundi, Migration undEntwicklung sowie Hochschulen.

Die Startvoraussetzungen in deneinzelnen Regionen und Handlungs-feldern sind sehr unterschiedlich: Re-gionen mit gewachsenen Vernet-zungsstrukturen stehen anderegegenüber, in denen die Akteure inihrem Engagement auf sich allein ge-stellt sind. Einige der Handlungsfel-der sind etabliert, die Akteure und ih-re Bedarf bekannt, andere müssenneu aufgebaut werden; dort gilt es,Akteure für ein Engagement zu ge-winnen und ihren Unterstützungsbe-darf zu ermitteln. So unterschiedlichwie die Rahmenbedingungen sind dieHerausforderungen für die einzelnenPromotorInnen und ihre konkrete Ar-beit. Und die ist in ihrer Gesamtheitvor allem eines: beeindruckend viel-fältig, wie der Kasten auf Seite 26zeigt.

Insgesamt trägt das Eine Welt-PromotorInnen-Programm zu einerdeutlichen Stärkung der zivilgesell-schaftlichen Strukturen in Baden-Württemberg bei und schafft zusätzli-ches Potenzial für das bürgerschaftli-che Eine Welt-Engagement. In eini-gen Fällen ist es sogar gelungen, neueImpulse zu geben und inhaltliche Ak-zente zu setzen.

Offene Fragen, Risiken und Nebenwirkungen

Doch es gibt auch einige offeneFragen, ja sogar Risiken und Neben-wirkungen. Einige möchte ich kurzansprechen:

• Die Erwartungen an die Promoto-rInnen sind groß, die Ressourcenaber sehr begrenzt: Die meistenPromotorInnen haben Teilzeit-stellen und die zur Verfügung ste-henden Sachkosten sind – ohnezusätzliche Projektfinanzierungen– für eine wirkungsvolle Arbeit �

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völlig unzureichend. Da mussnachgesteuert werden.

• Die Erwartungen an die Promoto-rInnen sind recht unterschiedlich:Nicht immer sind die Interessender Zielgruppen, der Trägerorgani-sationen, der Landes- oder Bun -deskoordination und der Geldge-ber deckungsgleich. Das geht zuLasten der Stringenz und des Pro-fils der Arbeit. Und nicht immersind es die Interessen der Ziel-gruppen, die sich durchsetzen.

• Das PromotorInnen-Programm istin Baden-Württemberg in eineKultur des Konsenses und der Kooperation eingebunden. Dasschafft Zugänge für zivilgesell-

schaftliche Akteure und eröffnetihnen Handlungsoptionen. Es be-steht aber die Gefahr, dass unter-schiedliche Interessen, Wider-sprüche und Forderungen an diePolitik nicht deutlich genug be-nannt werden.

• Auf der anderen Seite hat die Dia-logkultur durchaus noch nicht inallen Ministerien Eingang gefun-den, und insgesamt tun sich Politikund Verwaltung noch schwer da-mit, die nun zur Verfügung stehen-den Strukturen und Kompetenzenproaktiv in politische Meinungsbil-dungsprozesse einzubeziehen.

• Die Erwartungen und Möglichkei-ten decken sich noch nicht mit

dem Anspruch, den notwendigentiefgreifenden Wandel voranzu-bringen: Das PromotorInnen-Pro-gramm schafft für vieles, was bis-her unter sehr prekären Bedin-gungen ins Werk gesetzt werdenmusste, ohne Zweifel bessereRahmenbedingungen. Die Impul-se für ein grundsätzliches Um-steuern bleiben noch recht ver-halten.

Hintergrundinformationen zumEine Welt-PromotorInnen-Programmin Baden-Württemberg und zu denPromotorInnen selbst gibt es unterwww.deab.de.

Uwe Kleinert

Die Arbeit der PromotorInnen: Beispiele

Die RegionalpromotorInnen bieten ein flächendeckendes An-gebot an Beratung, Vernetzung und Fortbildung für die entwick-lungspolitischen Gruppen in Baden-Württemberg. Als Service-stellen unterstützen sie lokale Initiativen, knüpfen Verbindun-gen und schmieden Bündnisse. Vielerorts wurden Eine Welt-Ta-ge oder Aktionstage zum Fairen Handel neu initiiert, Podien zuden Wahlen zum Europäischen Parlament veranstaltet, Konfe-renzen für Partnerschaftsgruppen organisiert, Schulklassen aufEine Welt-Themen angesprochen und vieles mehr. RegionaleNewsletter entstanden und in zahlreichen Praxisworkshopswurden für die tägliche Arbeit nützliche Kenntnisse vermittelt,zum Beispiel über Pressearbeit, soziale Medien oder kreativeStraßenaktionen.

Die FachpromotorInnen konnten in einigen Handlungsfeldernzum einen kontinuierliche Beratungs- und Vernetzungsstruktu-ren aufbauen, zum anderen auch neue Impulse setzen. DieFachpromotorInnen für Migration und Entwicklung erstelltenzum Beispiel einen ReferentInnenpool migrantischer ExpertIn-nen für entwicklungspolitische Themen. Die FachpromotorIn-nen für Fairen Handel engagierten sich vor allem in der Bera-tung zur Professionalisierung von Weltläden; im November or-ganisierten sie die Konferenz „Fairtrade Towns – Kommunenfairwandeln“, in der VertreterInnen aus über 50 Kommunensich darüber austauschten, wie Fairtrade Town-Prozesse gestal-tet und in weitergehende Konzepte kommunaler Entwicklungs-zusammenarbeit überführt werden können. Der Fachpromotorfür nachhaltige öffentliche Beschaffung und Unternehmensver-

antwortung begleitete kritisch die Erarbeitung einer neuen Ver-waltungsvorschrift für die umwelt- und sozialverträgliche Auf-tragsvergabe im Land und initiierte das landesweite ForumNachhaltige Beschaffung. Die Fachpromotorin für Globales Ler-nen setzte sich neben der Beratung und Fortbildung von Lehr-kräften und der Koordination des Landesarbeitskreises Bildungfür Eine Welt eingehend mit den Erprobungsfassungen der Bil-dungsplanreform auseinander, formulierte kritische Stellun-gnahmen und suchte das Gespräch mit Politik und Verwaltung.Der Fachpromotor für internationale Bildungspartnerschaftenunterstützte Schulen durch zahlreiche Einzelberatungen undWorkshops bei Aufbau und Durchführung von Schulpartner-schaften. Er erarbeitete darüber hinaus Kriterien, Materialienund Leitfäden für eine gelingende Partnerschaft. Im Mittelpunktder Arbeit der Promotorin für Hochschulen stand die Entwick-lung und Durchführung des Hochschulwettbewerbs Campus-WELTbewerb, der einen spannenden Zugang zu Akteuren anHochschulen und neue Kooperationen ermöglichte. Der Fach-promotor für die Partnerschaft mit Burundi gestaltet die Lan-despartnerschaft mit Burundi aktiv mit. Er organisierte die ersteBurundi-Konferenz und berät Kommunen und Schulen, die ei-ne Partnerschaft mit burundischen Partnern erwägen. Die Fach-promotorin für Partnerschaften organisierte Informationsveran-staltungen zu zahlreichen Ländern und berät Gruppen, die Part-nerschaften pflegen. Im letzten Jahr bereitete sie das 4. Stutt-garter Forum für Entwicklung in Stuttgart mit vor, in diesem Jahrdie Aktionswoche Eine Welt, Meine Welt, Deine Welt.

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Neu im Team: Birgit Albrecht

Aus der laufenden Arbeit

Bereits seit 1. Juli letzten Jahres bin ich Mitarbeiterin der Werkstatt Öko-nomie. Zu meinen Aufgaben gehört vor allem, meine KollegInnen von der im-mer komplexer werdenden Bürokratie zu befreien, damit sie auch weiterhinden Fokus auf die wirklich wichtigen Dinge ihrer Arbeit legen können.

Es freut mich sehr, nun für einen gemeinnützigen Verein tätig zu sein. Bis-her war ich bei Industrie- und Handelsunternehmen als Vertriebssachbearbei-terin und Sekretärin tätig. Von Haus aus bin ich Betriebswirtin.

Nach meiner sechsjährigen Elternzeit, in der ich drei Kinder groß gezogenhabe, bin ich nun schon wieder seit acht Jahren in Teilzeit bei einem Inge-nieurbüro angestellt. Ganz aufgegeben habe ich die Stelle nicht, sondern kom-biniere sie als Minijob mit meiner neuen Teilzeittätigkeit bei der WerkstattÖkonomie. Hier bin ich an vier Vormittagen in der Woche unter der Telefon-nummer 06221 43336-16 zu erreichen.

Studie zu ethischem Investment vor Fertigstellung

(kh) Im Oktober 2013 beauftragte die EvangelischeRuhegehaltskasse Darmstadt die Werkstatt Ökonomie mitder Erarbeitung einer Studie zu ethischem Investment inSchwellenländern. Hintergrund war die Absicht evangeli-scher Landeskirchen, zur Absicherung ihrer Pensionslas-ten auch in Schwellenländern zu investieren. Daher wur-de die Frage relevant, welche Anlagekriterien für Schwel-lenländer gelten sollten.

Im Mittelpunkt der Studie steht die Darstellung zivil-gesellschaftlicher Positionen aus Brasilien, Kolumbien,Südafrika, Indien und China. Denn die Menschen dieserLänder können selbst am besten beurteilen, unter wel-chen Voraussetzungen Kapitalanlagen aus dem Auslandmenschenrechtliche, soziale und ökologische Entwick-lungen fördern können oder doch zumindest nicht behin-dern.

Die Studie wurde weitgehend von der Berliner Polito-login Dr. Alke Jenss erstellt, die seit Sommer 2014 zumTeam der Werkstatt Ökonomie gehört. Im Herbst 2015soll die Studie vorliegen.

Kooperationsprojekt mit der Julius-Springer-Schule inHeidelberg

(kh) Mitunter ergeben sich neue Arbeitsfelder auf-grund persönlicher Kontakte. Die Julius-Springer-Schule,eine kaufmännische Schule im Zentrum Heidelbergs, hat-te für ihre neueingerichtete Ganztagesklasse im Berufs-kolleg I einen Kooperationspartner gesucht. Dieser Ko-operationspartner sollte für die Ganztagesklasse Angebo-te zum Thema Große Transformation zur Nachhaltigkeitmachen.

Da der Schulleiter zu den Gründungsmitgliedern derWerkstatt Ökonomie gehört, lag es nahe, dass die Schulezunächst bei der Werkstatt Ökonomie anfragte. Aus die-ser Anfrage ist inzwischen eine Kooperation zwischen derSchule, der Werkstatt Ökonomie, dem BUND Heidelbergund dem Globalen Klassenzimmer im WeltHaus gewor-den. Woche für Woche werden die Kooperationspartne-rInnen eine Doppelstunde gestalten und dabei ein breitesThemenspektrum bearbeiten – vom Klimawandel überökofaire Beschaffung und Südliches Afrika bis hin zumökologischen Waldspaziergang außerhalb des Unterrich-tes. Hinzu kommt die Möglichkeit, an der Gestaltung desGemeinschaftskundeunterrichtes mitzuwirken. Hierfürbieten sich viele Anknüpfungspunkte. Sieht zum Beispielder Lehrplan Einheiten zum Thema Menschenbild vor,könnte gefragt werden, ob die Vorstellung, der Menschsei vor allem ein homo oeconomicus, zutreffend odernicht gar verhängnisvoll sei.

Birgit Albrecht

Page 28: Dreißig Jahre Werkstatt Ökonomie - Woek · 2017-11-03 · roräume im Seitenflügel des Heidel-berger Hauptbahnhofes mit Technik vollgepackt. Wenn ich daran denke, mit wieviel Aufwand

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CorA – Netzwerk für Unternehmens -verantwortung

mit 50 Mitgliedsorganisationen aus den Berei-chen Entwicklungspolitik, Verbraucherschutz,Umweltschutz, Gewerkschaften u.a.; strebt dieStärkung verbindlicher Rechenschaftspflichtenfür Unternehmen an; Mitarbeit in der AG Beschaffung: Uwe Kleinert

DEAB – Dachverband EntwicklungspolitikBaden-Württemberg

Mitglied des Vorstands und verantwortlich für dieArbeitsgruppe Landespolitik: Uwe Kleinert

Diskurs Nachhaltige Entwicklung

der Evangelischen Kirche in Deutschland; Mit-glied der Steuerungsgruppe: Klaus Heidel

fair spielt. Für faire Regeln in der Spielzeugproduktion

getragen von der Werkstatt Ökonomie mit finan-zieller Unterstützung des Bischöflichen Hilfswer-kes Misereor, tritt für die Durchsetzung von Arbeitsstandards in der Spielzeugproduktion ein;Koordination: Uwe Kleinert

Internationale Kampagne für Entschuldungund Entschädigung im südlichen Afrika

in Deutschland koordiniert von KASA und KOSA;fordert die Streichung der durch die Apartheidverursachten Schulden im Südlichen Afrika unddie Entschädigung der Opfer der Apartheid; Mitarbeit in der Arbeitsgruppe: Simone Knapp

KASA – Kirchliche Arbeitsstelle Südliches Afrika

getragen und regelmäßig unterstützt von 18kirchlichen Organisationen, darunter Brot für dieWelt, EED, Misereor und Missio; leistet einenBeitrag zur politischen Durchsetzung und theolo-gischen Reflexion wirtschaftlicher und sozialerGerechtigkeit im Südlichen Afrika und hier; Koor-dination: Simone Knapp und Boniface Mabanza

Klima der Gerechtigkeit

Entwicklungspolitische Klimaplattform der Kir-chen, Entwicklungsdienste und Missionswerke,Mitglied des Koordinierungskreises: Klaus Heidel

Mehr Recht als billig! Baden-Württembergkauft verantwortlich ein

Kooperationsprojekt zwischen Dachverband Entwicklungspolitik Baden-Württemberg (DEAB)und Werkstatt Ökonomie; Co-Koordinator: Uwe Kleinert

Ökumenischer Prozess „Umkehr zum Leben – den Wandel gestalten“

32 Kirchen, kirchliche Werke, Dienste und Organisationen; Koordination: Klaus Heidel

StopEPA-Kampagne

Vernetzung unter anderem mit KASA, KOSA,Germanwatch, Oxfam, terre des hommes undWEED; setzt sich dafür ein, die unfairen Wirt-schaftspartnerschaftsabkommen zwischen EUund AKP-Staaten zu verhindern; Mitarbeit im Koordinierungskreis: Boniface Mabanza

VENRO-AG Soziale Sicherheit

dient dem Fachaustausch und der Erarbeitungpolitischer Positionen, um soziale Sicherung alsInstrument für die Umsetzung des Menschen-rechts auf einen angemessenen Lebensstandardzu etablieren; Mitarbeit: Simone Knapp

Welt:Bürger gefragt!

Entwicklungspolitischer Dialog des Landes Baden-Württemberg; Mitglied des Rates für Entwicklungszusammenarbeit: Uwe Kleinert

WeltHaus Heidelberg

Zentrum für Umwelt und Entwicklung im Heidelberger Hauptbahnhof; Mitglied des Sprecherrates: Uwe Kleinert

Werkstatt-Projekte und Kooperationen