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1 Ich bin eine rechte Kopfzeile und stehe rechtsbündig Roma in Deutschland und Europa Datenlage und Forschungsstand Entwurf (Stand: 29.11.2012) Gruppe 22

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1Ich bin eine rechte Kopfzeile und stehe rechtsbündig

Roma in Deutschland und EuropaDatenlage und Forschungsstand

Entwurf (Stand: 29.11.2012) Gruppe 22

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Roma in Deutschland und Europa

Datenlage und Forschungsstand

Entwurf (Stand: 29.11.2012)

Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2012Gruppe 22

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4 Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

1 Hintergrund 6

Datenlage und Größenordnung 7

2.1 Begrenzte Erkenntnisse über Zahl, Verteilung und Staatsangehörigkeit 7

a) Prinzip der Nichterfassung ethnischer Daten in amtlichen Statistiken 7

b) Außeramtliche Quellen 8

c) Erfassung im Rahmen repräsentativer Erhebungen 8

d) Ablehnende Haltung der nationalen Minderheiten 8

e) Erfassung im Rahmen der Asylstatistik 9

2.2 Sinti und Roma in Deutschland 9

2.2.1 Deutsche Sinti und Roma 9

a) Sinti und Roma als nationale Minderheit 9

b) Als Gastarbeiter zugewanderte Roma und deren Nachkommen mit deutscher

Staatsangehörigkeit 10

2.2.2 Ausländische Roma 11

a) Ehemalige Bürgerkriegsüchtlinge 11

b) Asylbewerber aus Ländern des Westbalkans 11

c) Angehörige der EU-Mitgliedstaaten 14

2.3 Roma in Europa 16

2.3.1 Schätzungen zur Anzahl der Roma 16

2.3.2 Situation in den Herkunftsländern 20

Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Serbien, Bulgarien, Rumänien 20

2.4 Migration nach Deutschland als mögliche Folge der Migration in anderen europäischen Ländern 23

2

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5Inhaltsverzeichnis

Studien zu Sinti und Roma 23

3.1 Überblicksstudien zu Sinti und Roma 23

3.1.1 Faraco, Cristina 2006: Länderbericht Deutschland. In: Europäisches Parlament,

Generaldirektion Interne Politikbereiche der Union: Aspekte der ökonomischen

Situation von Romafrauen 23

3.1.2 Peucker, Mario; Bochmann, Annett; Heidmann, Rachel (2009): Housing Conditions

of Sinti and Roma - Germany. Hg. v. RAXEN National Focal Point. european forum

for migration studies (efms). Bamberg 24

3.1.3 Lüken-Klaßen, Doris; Meixner, Sonja (2004): Roma in public education.

Hg. v. RAXEN. European Forum for Migration Studies. Bamberg 25

3.2 Qualitative Studien zu Sinti und Roma 25

3.2.1 UNICEF (2007): Zur Lage von Kindern aus Roma-Familien in Deutschland.

Zusammenfassung der Ergebnisse einer Studie des Zentrums für

Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin 26

3.3 Quantitative Studien zu Sinti und Roma 27

3.3.1 Strauß, Daniel (Hg.) 2011): Studie zur aktuellen Bildungssituation deutscher

Sinti und Roma. Dokumentation und Forschungsbericht 27

3.3.2 European Union Agency For Fundamental Rights (FRA) (HG) 2012:

The situation of Roma in 11 EU Member States. Survey results at a glance 28

3.4 Zusammenfassende Betrachtung 29

Machbarkeit einer empirischen Studie zu Sinti und Roma 30

4.1 Problematische Rahmenbedingungen 30

4.2 Methodische Probleme einer quantitativen Untersuchung zu Sinti und Roma in Deutschland 31

4.2.1 Zugang zur Gruppe der Sinti und Roma 31

4.2.2 Befragung von Sinti und Roma 32

4.3 Methodische Probleme einer qualitativen Befragung von Sinti und Roma in Deutschland 32

4.3.1 Verzerrung der Ergebnisse aufgrund von einem erschwerten Zugang

zu den Befragungsteilnehmern 32

4.3.2 Überschneidungen mit bereits vorhandenen Sinti und Roma Studien 33

4.3.3 Kooperationsanforderungen bei der Durchführung einer qualitativen 33

Studie 33

4.4 Fazit 33

Literatur 34

3

4

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6 Roma in Deutschland und Europa

Hintergrund1Sinti und Roma siedelten bereits im 15. Jahrhundert in Europa, nicht zuletzt in den deutschsprachigen Gebieten,

an. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts kam es zu einer zweiten gesamteuropäischen Migrationsbewegung:

Romani Gruppen aus Mittel- und Südosteuropa wanderten in alle anderen Regionen Europas, einige auch nach

Übersee aus. Der Nazi-Genozid stellt eine Zäsur in der Geschich te der Roma in Europa dar. Er war der negative Hö-

hepunkt von jahr hundertelanger Diskriminierung, Stigmatisierung und Ver folgung (Tcherenkov/Laederich 2004).

Viele Jahre nach dem zweiten Weltkrieg erfolgte im Zuge der Aufarbeitung des Nationalsozialismus eine rechtliche

Gleichstellung der deutschen Sinti und Roma in Deutschland und die Anerkennung als ofzielle nationale Minder-

heit.

Die aktuelle Migration der Roma nach Deutschland begann im Zuge der Arbeitsmigration von Südosteuropa und

nahm mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion und insbesondere infolge der Auösung der Sozialistischen

Föderativen Re publik Jugoslawien zeitweise zu. Gegenwärtig wird in der medialen und teilweise in der politischen

Diskussion davon ausgegangen, dass die Auswanderung von Sinti und Roma aus Ost- und Südosteuropa aufgrund

von Migrationsmöglichkeiten durch die EU-Erweiterung erneut zunimmt. Zu aktuell bevorzugten Wanderungszie-

len von Sinti und Roma gibt es nur Annahmen. Beispielsweise geht Vullnetari (2012) davon aus, dass rund 70 % der

Sinti und Roma aus ländlichen Regionen Albaniens nach Griechenland wandern. Zu Wanderungen von Sinti und

Roma aus den neuen EU-Mitgliedstaaten, wie etwa aus Rumänien, Bulgarien, Slowakei, gibt es kaum Erkenntnisse.

Anhand einzelner nicht repräsentativer Studien wird gezeigt, dass einige der Sinti und Roma nach Großbritannien

und nach Spanien wandern (DROM 2009; Grill 2012). Grundsätzlich gehen die meisten aktuellen Studien davon aus,

dass Sinti und Roma sich zu einer temporären Arbeitsmigration aufgrund einer anhaltenden Diskriminierung in

den Herkunftsländern entschließen (Sigona/Vermeersch 2012). Inwiefern insbesondere angesichts der ökonomi-

schen Krise in Europa eine Rückwanderung von Sinti und Roma in die Herkunftsregionen oder eine Weiterwande-

rung innerhalb Europas, unter anderem nach Deutschland, stattndet, ist bis jetzt nicht bekannt.

Nach Schätzungen des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma leben 70.000 bis 80.000 Sinti und Roma in Deutsch-

land (Zentralrat Deutscher Sinti und Roma 2006: 1). Es ist nicht bekannt, auf welche Datengrundlagen sich diese

Schätzungen beziehen und welche Gruppen von Sinti und Roma dabei erfasst sind. Die Ungenauigkeit der Schät-

zungen rührt unter anderem daher, dass die Selbstbezeichnungen und Fremdzuschreibungen bei der Denition

dessen, wer zur ethnischen Gruppe von Sinti und Roma gehört, oft auseinanderklaffen. So werden zu den Sinti

meist ethnische Gruppen nordindischen Ursprungs gezählt, die sich bereits vor Jahrhunderten im deutschsprachi-

gen Raum (Deutschland, Schweiz, Österreich), in Norditalien, in der Provence, in den Beneluxstaaten und in Skan-

dinavien niedergelassen haben. Einige Sinti-Gemeinden argumentieren, dass Sinti bereits im 12. Jahrhundert eine

eigenständige ethnische Gruppe gebildet haben und somit nicht zur Gruppe der Roma gehören. Im wissenschaft-

lichen Gebrauch scheint Roma dagegen eine übergreifende Bezeichnung für verschiedenste Gruppen indischen

Ursprungs zu sein, die in Europa leben. Neben Sinti gelten die Kalderasch-Roma als eine der zahlenmäßig bedeu-

tendsten Gruppen in der Balkanregion. Zudem stellen die Caldrari-Roma in Rumänien eine verhältnismäßig große

Gruppe dar. Ein Teil dieser Roma-Minderheiten migrierte schon im 19. Jahrhundert aus der Balkanregion und aus

anderen Gebieten Südosteuropas in die mitteleuropäischen Staaten, haben die dortige Sprache und Religion ange-

nommen und sehen sich heute als eine eigenständige ethnische Minderheit an (Crepaldi et al. 2008).

Vor dem Hintergrund dieser Gruppenheterogenität argumentieren Forscher, dass weder in Deutschland noch in

Europa eine ethnisch-homogene Gemeinde von Sinti und Roma existiere (Koch 2010). Unterschiedliche ethnische

Minderheiten und Stämme, die zu Sinti und Roma zugerechnet werden, haben weder eine gemeinsame Sprache

noch eine Religion. Ihnen fehlen eine gemeinsame Geschichte und ein kollektives Selbstverständnis. Zudem deckt

Kalderasha/Calderari (= "Kupferschmiede"

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7Roma in Deutschland und Europa

der Begriff Sinti und Roma heterogene Gruppen von sowohl alteingesessenen sowie neu zugewanderten Minder-

heiten ab, deren Lebenszusammenhänge sehr verschieden sind. Mithin kritisieren Forscher solche Untersuchun-

gen, die von einer ethnisch homogenen Gruppe der „Sinti und Roma“ ausgehen. Diese würden diverse Roma-

Minderheiten und ihre unterschiedlichen Lebenswelten nicht adäquat erfassen. Dagegen plädiert die aktuelle

Forschung für eine differenzierte Wahrnehmung dieser heterogenen Minderheit und gegen eine Generalisierung

(Jakobs/Ries 2008; Koch 2010).

Datenlage und Größenordnung

2.1 Begrenzte Erkenntnisse über Zahl, Verteilung und Staatsangehörigkeit

Im Bericht der Bundesrepublik Deutschland an die EU-Kommission (BMI 2011, S. 12) heißt es zu dieser Thematik:

„Nach groben Schätzungen leben ca. 70.000 deutsche Sinti und Roma (60.000 Sinti / 10.000 Roma) in Deutschland.

Dies sind deshalb Schätzwerte, weil in Deutschland keine bevölkerungsstatistischen und sozioökonomischen Daten

auf ethnischer Basis erhoben werden, keine außeramtlichen Quellen existieren und eine repräsentative Erhebung

im Rahmen der amtlichen Stichprobenerhebungen nicht möglich ist.“ Welche der vielen verschiedenen Untergrup-

pen der Roma in den Schätzungen zusammengefasst werden, ist nicht bekannt und auch nicht, wie sich diese von

der Volksgruppe der Sinti unterscheiden.

„Die Anzahl und der jeweilige Aufenthaltsstatus der in Deutschland lebenden ausländischen Roma kann ebenfalls

nicht beziffert werden, da im Ausländerzentralregister1 Staatsangehörigkeiten, nicht aber ethnische Zugehörig-

keiten erfasst werden und auch andere verfügbare Datenquellen keine Differenzierung nach Ethnien vornehmen.

Valide Schätzungen sind aufgrund der Datenlage ebenfalls nicht möglich.“ (BMI 2011, S.14)

a) Prinzip der Nichterfassung ethnischer Daten in amtlichen Statistiken „Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges werden in der Bundesrepublik Deutschland keine bevölkerungs-

statistischen und sozioökonomischen Daten auf ethnischer Basis erhoben. Dies ist unter anderem in den

historischen Erfahrungen in Deutschland begründet, insbesondere im Zusammenhang mit der Verfolgung

von Minderheiten in den Zeiten des Nationalsozialismus. Darüber hinaus stehen der Erfassung ethnischer

Daten im Rahmen der Bundesstatistik folgende Hindernisse entgegen“ (BMI 2011, S.12):

„Die deutsche Bevölkerungsstatistik und zahlreiche Statistiken im Sozialbereich (zum Beispiel Sozialleistun-

gen, Bildung, Gesundheit) basieren größtenteils auf Auswertungen vorhandener Verwaltungsunterlagen. Da

diese Unterlagen keine Informationen über nationale Minderheiten enthalten, ist es nicht möglich, entspre-

chende Auswertungen für nationale Minderheiten vorzunehmen.

1 Das Ausländerzentralregister enthält Daten zu den in Deutschland lebenden Ausländern.

2

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8 Roma in Deutschland und Europa

Die Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit ist zur Identitätsfeststellung der in Deutschland lebenden

Personen nicht erforderlich, so dass auch die Melderegister keine diesbezüglichen Angaben erhalten.

Ferner stehen einer Erhebung statistischer Daten auf ethnischer Basis rechtliche Argumente entgegen: Das

Bekenntnis zu einer nationalen Minderheit ist gemäß Art. 3 des Rahmenübereinkommens des Europara-

tes zum Schutz nationaler Minderheiten2 frei. Die Zugehörigkeit zu einer Minderheit ist die persönliche

Entscheidung eines jeden Einzelnen, die von Staats wegen nicht registriert, überprüft oder bestritten wird.

Auch die Bonn-Kopenhagener Erklärungen aus dem Jahr 19553, das Gesetz über die Rechte der Sorben im

Freistaat Sachsen4 und das Gesetz zur Ausgestaltung der Rechte der Sorben (Wenden) im Land Branden-

burg5 stehen einer Erhebung statistischer Daten auf ethnischer Basis entgegen.“ (BMI 2011, S.12f.)

Laut Drittem Bericht der Bundesrepublik BMI (BMI 2009, S.71) „können in Deutschland von der amtlichen Statistik

keine Informationen mit Bezug zu einer der nationalen Minderheiten erwartet werden“.

b) Außeramtliche Quellen Weiter heißt es in dem Bericht an die EU-Kommission:

Auch außeramtlichen Quellen können keine belastbaren Aussagen über Zahl und Siedlungsgebiete der deutschen

Sinti und Roma entnommen werden. Deshalb dürfte es auch schwierig sein, eine fundierte wissenschaftliche Un-

tersuchung zu der Zahl der deutschen Sinti und Roma durchzuführen.“ (BMI 2011, S.13)

c) Erfassung im Rahmen repräsentativer Erhebungen „Ferner ist die Zahl der Angehörigen nationaler Minderheiten in Deutschland gemessen an der Gesamtbevölkerung

gering. Diese Tatsache sowie die fehlenden Informationen hinsichtlich der Zugehörigkeit zu einer nationalen Min-

derheit und deren Siedlungsgebieten führen dazu, dass auch im Rahmen der bestehenden amtlichen Stichproben-

erhebungen keine belastbaren Aussagen über die Anzahl der in Deutschland lebenden deutschen Sinti und Roma

gewonnen werden können.“ (BMI 2011, S.13)

d) Ablehnende Haltung der nationalen Minderheiten Zudem haben die nationalen Minderheiten selbst Bedenken gegen die statistische Erhebung von ethnischen

Daten zur Lage der nationalen Minderheiten in Deutschland. Laut Grienig (2010a, S.2) verweigern viele Roma „aus

sozialen und historischen Gründen ein klares Bekenntnis zur Ethnie. Dieser Argwohn gründet in den Verfolgungen

während des Holocaust und den bis heute anhaltenden Vorurteilen und Anfeindungen gegenüber ihrer Volks-

gruppe. Roma haben besonders den Zeiten des deutschen Nationalsozialismus schlechte Erfahrungen mit statisti-

schen Erhebungen zu ihrer Bevölkerungsgruppe gemacht; heutzutage kann ein Bekenntnis zur Ethnie zu sozialer

Ausgrenzung führen.“

Im Bericht der Bundesrepublik Deutschland (BMI 2011, S.13f.) wird dazu eine Mitteilung des Domowina-Bundes

Lausitzer Sorben e.V. zitiert: „Die Erhebung zuverlässiger Daten zur Lage von Minderheiten sehen wir als proble-

matisch bezüglich der gesetzlich verankerten Freiheit des Bekenntnisses der Zugehörigkeit zum sorbischen Volk

und bezüglich der gemischten Bevölkerungszusammensetzung des Siedlungsgebietes der Sorben an. Es ist für uns

von fundamentaler Bedeutung, dass die Realisierung der Verpichtungen aus dem Rahmenübereinkommen nicht

an statistische Daten gebunden ist“6. Auch die dänische Minderheit äußerte Zweifel: „Hier möchten wir darauf auf-

merksam machen, dass infolge der Bonn-Kopenhagener Erklärungen das Bekenntnis zum dänischen Volkstum

2 Bundesgesetzblatt 1997 Teil II, S.1406, 1409.

3 Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung 1955, S.497 f.

4 Sächsisches Gesetz- und Verordnungsblatt 1999, S.161 ff.

5 Gesetz- und Verordnungsblatt für das Land Brandenburg 1994 Teil I, S.294 ff.

6 Dritter Staatenbericht der Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 25 Abs. 2 des Rahmenübereinkommens des Europara-tes zum Schutz nationaler Minderheiten, Rn 04045.

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9Roma in Deutschland und Europa

und zur dänischen Kultur frei ist und von Amts wegen nicht bestritten oder nachgeprüft werden darf. Es gibt somit

keine Grundlage für eine statistische Erhebung der Minderheit und es wäre auch nicht wünschenswert“7.

e) Erfassung im Rahmen der AsylstatistikWährend also die Erfassung ethnischer Zugehörigkeiten in amtlichen Melderegistern auch in Zukunft nicht zu

erwarten ist, kann die Asylbewerberstatistik Angaben zur Ethnie machen. Bei der Betrachtung der Asylbewerber

nach diesem Kriterium spiegeln sich somit auch die sozialen, politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in den

betreffenden Herkunftsländern wider.

2.2 Sinti und Roma in Deutschland

Es ist grundsätzlich zwischen Sinti und Roma mit deutscher Staatsangehörigkeit und ausländischen zugewander-

ten Roma zu unterscheiden.

2.2.1 Deutsche Sinti und Roma

Die Roma deutscher Staatsangehörigkeit lassen sich einerseits unterscheiden in die Angehörigen der nationalen

Minderheit der Sinti, welche seit dem 15. Jahrhundert in Deutschland vertreten sind, und andererseits die im Zuge

der „Gastarbeiter“-Anwerbung nach Deutschland zugewanderten Roma aus dem ehemaligen Jugoslawien, nach-

dem sie im Laufe der letzten Jahrzehnte eingebürgert wurden.

a) Sinti und Roma als nationale MinderheitIm Bericht der Bundesrepublik Deutschland an die EU-Kommission heißt es bzgl. der ersten Gruppe: „Die in

Deutschland lebenden deutschen Sinti und Roma sind gut in die Gesellschaft integriert. Sie sind neben den Dänen,

Friesen und Sorben vom deutschen Gesetzgeber als nationale Minderheit im Sinne des Rahmenübereinkom-

mens des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten anerkannt8. Das in Deutschland im Jahr 1998 in Kraft

getretene Abkommen verbietet jede Diskriminierung einer Person wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer nationalen

Minderheit sowie eine Assimilierung gegen ihren Willen. Ferner verpichtet es die Vertragsstaaten zum Schutz der

Freiheitsrechte der nationalen Minderheiten. Auf Bundesebene gibt es zwei Interessenverbände der deutschen Sinti

und Roma, den Zentralrat Deutscher Sinti und Roma und die Sinti-Allianz Deutschland. Diese sind in zahlreichen

Punkten - so zum Beispiel hinsichtlich der Zulässigkeit der Verwendung des Begriffs „Zigeuner“ - verschiedener

Ansicht. Da die beiden Verbände bisher keine Möglichkeit der Kooperation gefunden haben, existiert für die deut-

schen Sinti und Roma - im Gegensatz zu den anderen nationalen Minderheiten in Deutschland – kein Beratender

Ausschuss beim Bundesministerium des Innern, in dem aktuelle Probleme der nationalen Minderheit behandelt

werden können.“ (BMI 2011, S.15)

„Der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien fördert den Zentralrat Deutscher Sinti und Roma

sowie das Kultur- und Dokumentationszentrum in Heidelberg institutionell, das über das historische Schicksal und

die Kultur der Sinti und Roma informiert. Hierfür sind im Bundeshaushaltsplan 2011 Haushaltsmittel in Höhe von

1,77 Millionen Euro eingestellt. Die Institutionen haben unter anderem das Ziel, identitätsstiftende Merkmale der

7 Dritter Staatenbericht der Bundesrepublik Deutschland gemäß Artikel 25 Abs. 2 des Rahmenübereinkommens des Europara-tes zum Schutz nationaler Minderheiten, Rn 04046.

8 Die Bundesregierung zeichnete am 11. Mai 1995 das Rahmenübereinkommen des Europarates zum Schutz nationaler Min-derheiten. In diesem Zusammenhang hat die Bundesrepublik Deutschland dem Europarat eine interpretative Erklärung zu-kommen lassen, die den Anwendungsbereich des Übereinkommens für Deutschland festlegt, Bundestagsdrucksache 13/6912 vom 11. Februar 1997.

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10 Roma in Deutschland und Europa

Minderheit, wie Sprache9, Kultur und Geschichte, zu dokumentieren und zu kommunizieren, um auf diesem Wege

die Kultur zu erhalten und weiterzuentwickeln sowie ihre Identität zu wahren. Die Bundesregierung hat einen

Beauftragten für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten berufen, der Ansprechpartner für alle Belange der

nationalen Minderheiten ist. Darüber hinaus unterhalten die nationalen Minderheiten in Deutschland gemeinsam

ein Minderheitensekretariat in Berlin, das ihre Interessen gegenüber Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung

vertritt und das über Zuwendungen der Bundesregierung nanziert wird. Beim Bundestag besteht ein Gesprächs-

kreis mit den Vertretern der autochthonen Minderheiten unter Federführung des Innenausschusses, dem Bundes-

tagsabgeordnete, Regierungsvertreter und Vertreter der Verbände der nationalen Minderheiten angehören.“ (BMI

2011, S.16)

„Das Bundesministerium des Innern veranstaltet regelmäßig Implementierungskonferenzen mit Vertretern der

nationalen Minderheiten sowie der zuständigen Bundes- und Länderministerien, in denen die Umsetzung des

Rahmenübereinkommens des Europarates zum Schutz nationaler Minderheiten und der Europäischen Charta der

Regional- oder Minderheitensprachen erörtert und weiterentwickelt wird. An den Berichten zum Rahmenüber-

einkommen und zur Sprachencharta beteiligt die Bundesregierung die Minderheitenverbände unmittelbar, indem

deren Auffassung jeweils im selben Bericht von diesen dargestellt wird. Die Bundesregierung sieht in der Auseinan-

dersetzung mit und der Bekämpfung von Diskriminierung und Rassismus eine besondere Herausforderung. Dem

generellen Problembereich wird auf vielfältigen Ebenen begegnet. Das beispielweise vom Bundesministerium des

Innern und vom Bundesjustizministerium gegründete „Bündnis für Demokratie und Toleranz – gegen Extremis-

mus und Gewalt“ pegt in Vergangenheit und Gegenwart einen engen Austausch mit dem Zentralrat Deutscher

Sinti und Roma, um Vorurteilen und Diskriminierungen in der Gesellschaft gemeinsam entgegenzutreten. Auch

in den Sitzungen des „Forums gegen Rassismus“, einem Diskussionsforum von Bundesregierung und Nichtregie-

rungsorganisationen, dem auch Vertreter des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma angehören, werden aktuelle

Problematiken erörtert.“ (BMI 2011, S.16)

b) Als Gastarbeiter zugewanderte Roma und deren Nachkommen mit deutscher StaatsangehörigkeitEine nicht bekannte Anzahl an Roma migrierte in den 1960er Jahren nach Deutschland, teils als Flüchtlinge aus

den kommunistischen Staaten, z.B. infolge des sogenannten Ungarnaufstands 1956, vor allem aber im Rahmen der

deutschen Gastarbeiter-Anwerbung. Letztere stammten vor allem aus der Türkei, dem ehemaligen Jugoslawien

sowie Griechenland und wurden seit ihrer Einreise nach Deutschland oft auch als Angehörige dieser Staaten wahr-

genommen. Zur verstärkten Wanderung trugen zwei weitere Faktoren bei: Die Lockerungen der Reisebeschrän-

kungen an westeuropäischen Landesgrenzen sowie die Unterbindung der Gründung politischer und kultureller

Organisationen in den kommunistischen Staaten (ICMPD 2001, S.14). In diesem Zusammenhang bestärkte die

Etablierung der Internationalen Romani Union (IRU) die Freiheitsbestrebungen der osteuropäischen Roma, welche

zunächst politisch stark eingeschränkt waren, sich jedoch zunehmend für eine Liberalisierung in den kommunis-

tischen Ländern einsetzten bzw. nach Westeuropa auswanderten (ICMPD 2001, S.15). Viele der in den 1960er und

1970er Jahren zugewanderten Roma sowie deren Angehörige, die im Rahmen des Familiennachzugs nach Deutsch-

land kamen bzw. hier geboren wurden, leben noch heute in Deutschland. Ihre Anzahl kann nicht ermittelt werden,

da viele als mittlerweile deutsche Staatsangehörige sich nicht offen zu ihrer ethnischen Zugehörigkeit bekennen.

9 „Romanes ist die Sprache der in Westeuropa - insbesondere in Deutschland - heimischen Sinti und wird hier von schätzungs-weise 60.000 Personen gesprochen. Dies ist eine eigenständige, aus dem Sanskrit stammende Sprache, die sich von anderen in Europa verwendeten Romanes-Sprachen unterscheidet. Daneben gibt es das Romanes der deutschen Roma, das von etwa 10.000 Personen gesprochen wird. Die Sprache Romanes wird seit dem Jahr 1999 durch die Europäische Charta der Regio-nal- oder Minderheitensprachen des Europarates geschützt. Besondere staatliche Gremien und Institutionen, die sich mit dem Schutz und der Förderung der Sprache Romanes befassen, existieren jedoch nicht. Dies entspricht dem überwiegenden Wunsch der Sprachgruppe, ihre Sprache nur in den Familien und Familien-verbänden zu pegen und auf eine Verschriftli-chung zu verzichten.“ (BMI 2011, S.15f.)

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11Roma in Deutschland und Europa

2.2.2 Ausländische Roma

Die in Deutschland lebenden ausländischen Roma unterscheiden vor allem darin, ob sie EU-Staatsangehörige oder

Drittstaatsangehörige sind. Letztere kamen (als Bürgerkriegsüchtlinge in den 1990er Jahren) meist aus den Nach-

folgestaaten Jugoslawiens und beantragen auch aktuell wieder verstärkt Asyl in Deutschland.

a) Ehemalige Bürgerkriegsüchtlinge „„Mitte der 1990er Jahre wurden zunächst bis zu 350.000 bosnische Bürgerkriegsüchtlinge aus dem ehemaligen

Jugoslawien und später 1999 ca. 15.000 Flüchtlinge aus dem Kosovo (aus humanitären Gründen) vorübergehend in

Deutschland aufgenommen, um aus humanitären Gründen vorübergehenden Schutz zu erhalten. Mittlerweile lebt

der ganz überwiegende Teil dieser Flüchtlinge nicht mehr in Deutschland.“ (BMI 2011, S. 17f.)

Unter den Bürgerkriegsüchtlingen befand sich eine nicht genau bestimmbare Anzahl von Angehörigen der

Minderheit der Roma. Ein Teil der ehemaligen Romaüchtlinge ist wegen der lange Zeit bestehenden Ab-

schiebungsverbote und der Lebensbedingungen im Herkunftsland aber bis heute hiergeblieben. „Ein Teil dieser

Roma-Flüchtlinge erhielt nach meist negativ verlaufenen Asylverfahren zunächst eine Duldung. [...] Das deutsche

Ausländerrecht sieht verschiedene Möglichkeiten vor, einen geduldeten Ausländer zu „legalisieren“ (sogenannte

Altfall- und Bleiberechtsregelungen). Von diesen Regelungen konnten auch die ehemaligen Bürgerkriegsüchtlinge

protieren, soweit sie die hierfür notwendigen Integrationsanforderungen erfüllen (vgl. zum Beispiel Sprachkennt-

nisse oder Sicherung des Lebensunterhalts nach § 104a AufenthG).“ (BMI 2011, S.17f.)

b) Asylbewerber aus Ländern des WestbalkansSeitdem für die Republik Mazedonien, Montenegro und Serbien mit Wirkung zum 19.12.2009 sowie für Albani-

en als auch Bosnien und Herzegowina mit Wirkung zum 15.12.2010 die Auگebung der Visumspicht eintrat, ist

für Staatsangehörige dieser Länder der Aufenthalt im gesamten Schengenraum bis zu 90 Tage pro Halbjahr ohne

Visum möglich. Lediglich ein biometrischer Reisepass, Nachweise zu Reisezweck und ausreichend nanziellen

Mitteln (bzw. die Verpichtungserklärung einer dritten Person zur Haftung) sowie eine gültige Reisekrankenver-

sicherung sind erforderlich. Mit der Abschaffung der Visumspicht ging eine deutliche Erhöhung der Zuwande-

rungszahlen, insbesondere eine erhöhte Anzahl asylbeantragender Roma, einher.

In den letzten fünf Jahren von 2008 bis 2012 stellten fast 200.000 Menschen in Deutschland einen Asylerstantrag.

Mehr als ein Siebtel (15,2%) dieser Antragsteller gaben an, der Ethnie der Roma anzugehören. Da in den betreffen-

den Herkunftsländern keine gezielte staatliche Verfolgung oder systematische Unterdrückung stattndet und man

nicht von einer insgesamt fehlenden Schutzfähigkeit oder -bereitschaft der Behörden ausgehen kann, wird unab-

hängig von der Ethnie der überwiegenden Zahl der Roma kein Asyl in Deutschland gewährt. Die folgende Tabelle

zeigt, dass Roma nur in sehr geringem Maße eine Asylberechtigung, einen Flüchtlingsschutz oder einen subsidiären

Schutz erhalten. Dadurch ergibt sich aus dem Asylrecht faktisch nur für sehr wenige Personen (205) eine dauerhafte

Aufenthaltsoption in Deutschland.

Tabelle 1: Asylerst- und Folgeanträge gesamt und nach Ethnie Roma von 2008 bis einschließlich Oktober 2012, kumuliert

Erstanträge Folgeanträge

Alle Asylantragsteller von 2008 bis 10/2012 187.151 37.343

davon Roma28.470

(15,2 %)13.377

(35,8 %)

Anerkennung gem. Art 16 a, Flüchtlingsschutz gem. § 16 I AufenthG und Abschiebungsverbot gem. § 60 II, III, V, VII AufenthG)

90 115

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12 Roma in Deutschland und Europa

Wie obige Tabelle auch zeigt, stellen jedoch in überproportionalem Maße Roma einen Asylfolgeantrag; mehr als ein

Drittel (35,8%) der Folgeantragsteller sind Roma. Diese hohe Bereitschaft zur Folgeantragstellung bei sehr geringen

Erfolgsaussichten kann als Strategie zur Verlängerung des Aufenthalts in Deutschland interpretiert werden (z.B.

Arbeitsaufnahme).

Als Hauptherkunftsländer für Roma lassen sich Serbien, Mazedonien, Bosnien und Herzegowina sowie Kosovo

identizieren; sie umfassen 98% aller Erstanträge von Roma.

Folgende Abbildungen zeigen, dass das Asylbewerberauڳommen der Herkunftsstaaten Serbien, Mazedonien, Bos-

nien und Herzegowina sowie des Kosovo in den letzten fünf Jahre bis heute im Wesentlichen durch die Volksgrup-

pe der Roma bestimmt war.

Abbildung: Asylerstanträge aus Serbien von 2008 bis einschließlich Oktober 2012

ohne Roma ohne Roma ohne Roma ohne Roma ohne Roma

Roma49,1 % Roma

66,8 %

Roma94,9 % Roma

91,9 %

Roma92,3 %

0

500

1.000

1.500

2.000

2.500

3.000

3.500

4.000

4.500

5.000

5.500

6.000

6.500

2008 2009 2010 2011 2012, Stand 31.10.

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13Roma in Deutschland und Europa

Abbildung: Asylerstanträge aus Mazedonien von 2008 bis einschließlich Oktober 2012

ohne Roma ohne Romaohne Roma ohne Roma

ohne RomaRoma39,0 %

Roma56,9 %

Roma87,8 %

Roma86,6 %

Roma83,5 %

0

500

1.000

1.500

2.000

2.500

3.000

3.500

4.000

4.500

5.000

5.500

6.000

6.500

2008 2009 2010 2011 2012, Stand 31.10.

Abbildung: Asylerstanträge aus Bosnien u. Herzegowina von 2008 bis einschl. Oktober 2012

ohne Roma ohne Roma ohne Roma ohne Roma ohne Roma

Roma37,4 %

Roma67,3 %

Roma80,1 %

Roma76,1 %

Roma86,8 %

0

500

1.000

1.500

2.000

2.500

3.000

3.500

4.000

4.500

5.000

5.500

6.000

6.500

2008 2009 2010 2011 2012, Stand 31.10.

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14 Roma in Deutschland und Europa

Abbildung: Asylerstanträge aus dem Kosovo von 2008 bis einschließlich Oktober 2012

ohne Romaohne Roma ohne Roma ohne Roma ohne Roma

Roma39,1 %

Roma41,1 %

Roma57,5 % Roma

59,6 %Roma69,1 %

0

500

1.000

1.500

2.000

2.500

3.000

3.500

4.000

4.500

5.000

5.500

6.000

6.500

2008 2009 2010 2011 2012, Stand 31.10.

Zum 30.09.2012 waren für die aufgeführten Staaten Serbien, Mazedonien, Kosovo sowie Bosnien und Herzegowina

insgesamt 12.301 Verfahren beim Bundesamt und bei Gericht anhängig und damit auگältig.

Aufgrund der niedrigen Schutzquote und des damit temporär begrenzten Aufenthalts in Deutschland kann hier

kein dauerhafter Niederlassungsprozess aus dem Asylverfahren heraus konstatiert werden. Unter Integrationsge-

sichtspunkten ist diese Gruppe für die Forschung daher nicht von Relevanz.

c) Angehörige der EU-Mitgliedstaaten Dem Bericht der Bundesrepublik Deutschland an die EU-Kommission (BMI 2011, S.19) zufolge sind viele der in

Deutschland lebenden Roma „Unionsbürger, die häug erst in den letzten Jahren aus den neuen Beitrittsländern

(Bulgarien und Rumänien) nach Deutschland gekommen sind. Diese genießen als Unionsbürger in der gesamten

EU Freizügigkeit (Art. 21 AEUV). Liegt ein gültiges Ausweisdokument vor, dann unterliegt die Freizügigkeit bis zu

drei Monaten keinen Bedingungen oder Voraussetzungen (vgl. § 2 Abs. 5 FreizügigkeitsG/EU). EU-Bürger benötigen

kein Visum und für den Aufenthalt keine Aufenthaltserlaubnis (§2 Abs. 4 Satz 1 FreizügigkeitsG/EU).“

Innerhalb der ersten drei Monate nach Einreise ist eine melderechtliche Registrierung von EU-Bürgern nicht

vorgeschrieben. Es liegt zudem ein Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 24.09.2012 zur generellen Abschaf-

fung der Freizügigkeitsbescheinigung vor10. Die nur vorübergehend zuwandernden Personen werden nicht im

Ausländerzentralregister erfasst. So kann auch die bei Bürgern der seit 2004 bzw. 2007 zur EU gehörenden Staaten

vermutlich verstärkt auftretende Pendelmigration nicht beziffert werden.

„Ein Freizügigkeitsrecht für eine Dauer von mehr als drei Monaten genießen Arbeitnehmer oder Selbständige sowie

unter bestimmten Bedingungen auch Unionsbürger zur Arbeitssuche (§ 2 Abs. 2 FreizügigkeitsG/EU). Nichter-

10 BT-Drucksache 17/10746, http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/107/1710746.pdf

Page 15: Druckdatei Roma KorMarius

15Roma in Deutschland und Europa

werbstätige und Studenten aus EU-Staaten sind freizügigkeitsberechtigt, wenn sie (und ihre Familienangehörigen)

über ausreichende Existenzmittel und Krankenversicherungsschutz verfügen (§ 4 FreizügigkeitsG/EU). Liegen diese

Voraussetzungen für die Ausübung des Freizügigkeitsrechts nicht mehr vor, kann die zuständige Ausländerbehör-

de nach einer sorgfältigen Prüfung des Einzelfalles den Verlust des Freizügigkeitsrechts feststellen (vgl. § 5 Abs. 5

FreizügigkeitsG/EU). Die betroffenen Unionsbürger sind dann ausreisepichtig (vgl. § 7 Abs. 1 FreizügigkeitsG/EU).

Unter sehr engen gesetzlichen Voraussetzungen kann auch wegen einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit eine

Verlustfeststellung erfolgen (vgl. § 6 FreizügigkeitsG/EU).“ (BMI 2011, S.19)

Die vollständige Arbeitnehmerfreizügigkeit gilt für Angehörige der 2004 der EU beigetretenen Staaten seit Mai

2011, für Rumänen und Bulgaren jedoch erst ab Januar 2014. Sie benötigen eine Arbeitserlaubnis der Bundesagen-

tur für Arbeit, um einen Arbeitsplatz in Deutschland annehmen zu können. Jedoch sind auch Fälle bekannt, in

denen ein Arbeitsverhältnis trotz der Charakteristik einer abhängigen Beschäftigung ofziell als eine selbststän-

dige Tätigkeit gemeldet wird, welche in den Bereich der auch für Bulgaren und Rumänen ohne Übergangsregeln

geltenden Niederlassungsfreiheit fällt. Während die Dienstleistungsfreiheit für Bulgaren und Rumänen noch in

bestimmten Branchen eingeschränkt ist11, gelten für Arbeitssuchende aller EU-Staaten gleiche Freizügigkeitsrechte

in Deutschland.

Ist das Aufenthaltsrecht jedoch allein mit der Arbeitssuche bzw. die Einreise mit dem Zweck der Inanspruchnahme

von Sozialhilfe begründet, gilt ein Ausschluss von Sozialleistungen (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 SGB II bzw. § 23 Abs.

3 SGB XII). Zur Verhinderung einer Schlechterstellung urteilt die Rechtsprechung allerdings mittlerweile bei EU-

Bürgern auf die Gewährung einer Mindestsicherung; ein Recht auf Grundleistungen wird diskutiert (Frings 2012).

Die im Anschluss an die EU-Erweiterungen im Rahmen der Freizügigkeit aus den Ländern der EU-8 und EU-2 zu-

wandernden Roma wurden nicht statistisch erfasst. Die nach Deutschland einreisenden Romani EU-Bürger stam-

men zwar vor allem aus Rumänien und Bulgarien, ihr Anteil an diesen Staatsangehörigen lässt sich jedoch nicht

genau beziffern. Um die Größenordnung der Zu- und Fortzugszahlen von Roma abschätzen zu können, werden

nachfolgend Daten des Freizügigkeitsmonitorings wiedergegeben sowie Medienberichte zusammengefasst.

Abbildung: Nettozuzüge EU-8 und EU-2-Länder 2002 – 2012

11 http://www.ihk-berlin.de/linkableblob/816218/.23./data/Merkblatt_Unternehmen_und_Arbeitnehmer_aus_dem_EU_Aus-land-data.pdf;jsessionid=346EB71D2419EF88093B600454E0D012.repl1

Page 16: Druckdatei Roma KorMarius

16 Roma in Deutschland und Europa

Die Zahl der in Deutschland auگältigen rumänischen und bulgarischen Staatsangehörigen hat sich von 2004 bis

2011 mehr als verdoppelt. Gegenüber 2010 war im Jahr 2011 ein Anstieg der Zuzüge aus Rumänien um 45 % auf ca.

65.000 Personen und aus Bulgarien um 41 % auf ca. 35.000 Zuwanderer zu verzeichnen. Demgegenüber standen nur

28.000 Fortzüge nach Rumänien (Anstieg gegenüber 2010: 18,6 %) und 14.000 nach Bulgarien (22,9 % mehr als 2010)

(BAMF 2012a, S.74). 2011 lebten rund 160.000 Rumänen und 94.000 Bulgaren in Deutschland, womit die EU-2 an 2.

und 3. Stelle der zur EU-Osterweiterung zählenden Hauptherkunftsländer (nach Polen) liegen (BAMF 2012b, S.1).

Auch die Zuwanderungszahlen für 2012 (1.-3. Quartal) deuten bei einem Vergleich mit den EU-8 Ländern auf einen

hohen Einuss der Freizügigkeit der EU-2 hin. Monatlich war für die EU-2 ein positiver Wanderungssaldo von 3.000

– 3.700 Personen (Ausnahme Februar: ca. 2.200 Personen) zu verzeichnen, während aus den EU-8 im Saldo zwischen

4.500 und 6.900 Personen (Ausnahme Februar: ca. 3.000) zuwanderten12. Bedenkt man, dass die Roma in den EU-2

einen Bevölkerungsanteil von schätzungsweise 8-10 % ausmachen, muss auch davon ausgegangen werden, dass

sich unter den zuwandernden Bulgaren und Rumänen einige Roma-Angehörige benden.

Die Zuzugszahlen unterscheiden sich in den einzelnen Regionen Deutschlands stark. Hohe Werte sind vor allem in

westdeutschen Großstädten und Berlin zu verzeichnen. Den höchsten Wanderungssaldo mit Bulgarien und Rumä-

nien weisen im Jahr 2011 die Städte Frankfurt/Main, München, Duisburg und Mannheim auf. Berichte aus Berlin,

Duisburg und Dortmund weisen auf eine stark konzentrierte Zuwanderung von Roma-Familienverbänden hin, die

zunächst als temporär eingestuft wurde, sich jedoch verstetigt hat und die Städte vor diverse Herausforderungen

stellt, bspw. im Zusammenhang mit Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot, Prostitution13 und Kriminalität14. Unter den

Arbeitsmigranten aus den südosteuropäischen Ländern benden sich auch einige Wanderarbeiter und Tagelöh-

ner15. Formen der Pendelmigration bzw. zirkulären Migration lassen sich beobachten. Zudem wird eine Erhöhung

der Anzahl an Scheinselbständigen vor allem in den Großstädten, wie z.B. Frankfurt/Main vermutet. Kohls (2012,

S.17) stellt fest, dass in „Dortmund und Duisburg [...] ebenfalls von einer verstärkten Zuwanderung von Personen

aus Rumänien bzw. Bulgarien und gleichzeitig von zunehmenden Konikten mit der eingesessenen Bevölkerung

berichtet“ wird. Zu all diesen Phänomenen liegen jedoch weder Statistiken noch belastbare Schätzungen vor.

2.3 Roma in Europa

2.3.1 Schätzungen zur Anzahl der Roma

Die zur heterogenen Gruppe der Roma zählenden Personen stellen die größte ethnische Minderheit in der EU dar.

Laut Schätzungen sind von 10-12 Millionen (Europarat 2011) bzw. 12-15 Millionen (Europäisches Parlament 2005)

Roma in Europa vertreten. Die meisten leben in süd- bzw. südosteuropäischen Staaten, insbesondere den Nach-

folgestaaten Jugoslawiens (schätzungsweise ca. 1 Million) sowie Bulgarien, Rumänien, Ungarn und in der Türkei

sowie in Griechenland und Spanien. Laut UNICEF (2010, S.10) weist die Gruppe der Roma ein vergleichsweise hohes

Bevölkerungswachstum und dementsprechend geringes Durchschnittsalter auf.

12 Vgl. http://www.bamf.de/DE/Infothek/Statistiken/Wanderungsmonitor/Freizuegigkeit/freizuegigkeit.html; jsessionid=75DC32CF88C623621983FB9BCEE56CF5.1_cid286

13 http://www.sueddeutsche.de/panorama/prostitution-in-dortmund-schluss-mit-dem-strich-1.1081602-2

14 http://www.welt.de/die-welt/politik/article9920445/Die-Roma-von-Berlin-Neukoelln.html

15 http://www.ndr.de/info/programm/sendungen/forum/forum3643.pdf

Page 17: Druckdatei Roma KorMarius

17Roma in Deutschland und Europa

Abbildung: Geschätzte Bevölkerungsanteile der Roma in Europa

Quelle: Grienig, Gregor (2010a): „Roma in der EU“, Berlin-Institut für Bevölkerung und Entwicklung. Online verfügbar:

http://www.berlin-institut.org/online-handbuchdemograe/bevoelkerungsdynamik/regionale-dynamik/roma-in-europa.html

Der Anteil der Roma an der Gesamtbevölkerung wird in den ost- und südosteuropäischen Staaten auf 3-10 %

geschätzt, in Griechenland und Spanien auf 1,5-2,5 %. Folgende Schätzungen beziffert der Europarat (2011, S.3):

10,33 % in Bulgarien, 9,59 % in der ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien, 9,17 % in der Slowakei, 8,32 %

in Rumänien, 8,18 % Serbien (außer Kosovo), 7,05 % in Ungarn, 3,83 % in der Türkei, 3,18 % in Albanien, 2,47 % in

Griechenland und 1,52 % in Spanien. Diese Angaben des Europarats beruhen auf Schätzungen, da in keinem dieser

Länder die zur Ethnie der Roma gehörenden Personen ofziell statistisch erfasst werden. Zwar führen einige Staa-

ten in unregelmäßigen Abständen Volkszählungen durch, doch sind dabei insbesondere die Roma sehr zögerlich,

ihre ethnische Zugehörigkeit zu nennen. So bekannten sich bspw. im rumänischen Zensus 2001 2,47 % (2011:

3,25 % laut provisorischen Ergebnissen16) der erfassten Personen zur Volksgruppe der Roma, während verschiedene

Schätzungen von einem Bevölkerungsanteil von 8-15 % ausgehen. Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über

die Schätzungen zur Anzahl der Roma in den einzelnen europäischen Staaten, während die daran anschließende

Tabelle ausführlichere Statistiken zu den (süd-)osteuropäschen Länder zu nden sind. Diese Staaten gelten als die

Haupthauptherkunftsländer der westwärts migrierenden Roma.

16 Comisa centrala pentru Recensamântului Populatiei si Locuintelor 2012a, S.10.

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18 Roma in Deutschland und Europa

Tabelle 2: Schätzungen zur Anzahl der Roma in europäischen Staaten

Schätzungen Zensus / ofzielle Daten in % der Gesamtbevölkerung

Belgien 10.000 – 30.000 (d,e)

Bulgarien 700.000 - 900.000 (b,c,e) 370.900 (4,7 %)

Dänemark 1.000 – 10.000 (a) bzw. 1.000 – 1.750 (d,e)

Deutschland 70.000 (a) bzw. 110.000 – 130.000 (d) bzw. 700.000 (c)

Estland 2.000 – 4.000 (e) 0,1 %

Finnland 7.000 – 15.000 (a,d,e)

Frankreich 100.000 – 500.000 (d,e)

Griechenland 80.000 – 300.000 (d,e,f) 2,5 %

Großbritannien 90.000 – 120.000 (f,g) bzw. Roma und irische Travellers: 300.000 (d)

Irland

Travellers 2002: 24.000, Roma: 2.000 – 2.500 bzw. 10.900 (f)

bzw. 20.000 – 28.000 (d)

Travellers: 22.400

Roma: 2.000 - 2.500

Italien 90.000 – 130.000 (d,e,f) bzw. 70.000 Staatsbürger (von 160.000 Roma, Sinti) 2008: 12.346

Lettland 8.000 – 15.000 (a,e,f) 2000: 8.200 (0,36 %)

Litauen 3.000 – 6.000 (d,e) 2001: 2.570

Luxemburg 100 – 150 (g)

Malta No Roma counted (d)

Moldawien 20.000 25.000 (g) 1989: 11.600

Niederlande 20.000 – 40.000 (d,e,f) 0,01 %

Norwegen Travellers: 1.600 – 2.700, Roma: 300 – 400 (a) bzw. 350 – 1.000 (f,g)

Österreich 4.300 (a) bzw. 20.000 – 50.000 (d,e) 6.000 (0,07 %)

Polen 20.000 (a) bzw. 25.000 – 60.000 (d,e,f) 2001: 12.700 (0,03 %)

Portugal 40.000 – 50.000 (e,f) 0,21 %

Rumänien 1,2 – 3 Mio. (a,b,c,d,e)

2001: 535.300 (2,43 %)

2011: 619.007 (3,25 %)

Russ. Föderation 152.900 – 400.000 (f)

Schweiz 30.000 – 35.000 (a,g)

Schweden 15.000 – 50.000 (a,d,e,f)

Slowakei 370.000 – 400.000 (a) bzw. 420.000 – 550.000 (b,c,d,e) 2002: 89.900 (1,67 %)

Slowenien 6.500 – 10.000 (a,d,e) 2002: 3.200 (0,16 %)

Spanien 600.000 – 1 Mio. (a,e) bzw. 325.000 - 400.000 (f)

Tschechien 150.000 – 200.000 (a) bzw. 250.000 – 450.000 (b,c,e) 1999: 32.900, 2001: 11.700

Türkei 300.000 – 500.000 (g)

Ungarn 400.000 – 800.000 (a,b,c,d,e) 2001: 190.000 (2 %)

Ukraine 47.900 – 60.000 (f,g)

Zypern 500 – 1.500 (a,d)

a) The Council of Europe GT-ROMS 2003, Preliminary analysis of the answers to the questionnaires regarding the

participation of the Roma/Travellers and of the similar groups to the decision making process (draft document)

b) OSCE-Schätzungen in: Open Society Institute (2006), Roma inclusion: lessons learned from OSI.’s Roma Pro-

gramming, Brussels. http://www.romadecade.org/portal/downloads/General%20Resources/Lessons%20Lear-

ned.pdf

c) Minority Rights Group Schätzungen in: Open Society Institute (2006), Roma inclusion: lessons learned from

OSI.’s Roma Programming, Brussels. http://www.romadecade.org/portal/downloads/General%20Resources/

Lessons%20Learned.pdf

Page 19: Druckdatei Roma KorMarius

19Roma in Deutschland und Europa

c) Council of Europe (2002), Legal situation of Roma in Europe, DOC 9397, http://assembly.coe.int/Documents/

WorkingDocs/doc02/EDOC9397.htm

e) Tcherenkow, Lev / Stéphane Laederich (2004): The Rroma: History, language, and groups. Schwabe Verlag, Basel:

2004.

f) European Roma Rights Center, in: The Document No. 9367 - on “The legal situation of Roma in Europe” of the

Committee for Human Rights and judicial Issues - on ist basis the Parliamentary Assembly of the council of

Europe adopted the Recommendation 1557/2002 quoting from the Ofcial Numbers presented by the National

Governments.

g) Minority Rights Groups 1995, in: The Document No. 9367 - on “The legal situation of Roma in Europe” of the

Committee for Human Rights and judicial Issues - on ist basis the Parliamentary Assembly of the council of

Europe adopted the Recommendation 1557/2002 quoting from Gheorghe, Nicolae and Lieogois, Jean Pierre:

Roma/Tsiganes, London, Minority Rights Group, 1995.

a, f, g entnommen aus: Harda, Ştefan Iulian 2006, S.35.39.

b, c, d, e sowie Zensus-Daten entnommen aus: Crepaldi et al. 2008, S.16-18.

Zensus-Daten Italien: Cahn/Guild 2010, S.36.

Zensus-Daten Rumänien: Comisa centrala pentru Recensamântului Populatiei si Locuintelor 2012a, S.2.

Tabelle 3: Statistiken zur Anzahl von Roma in (süd-)osteuropäischen Staaten

Quelle: http://siteresources.worldbank.org/INTROMA/Resources/Roma_at_a_Glance.pdf

Page 20: Druckdatei Roma KorMarius

20 Roma in Deutschland und Europa

2.3.2 Situation in den Herkunftsländern

Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Mazedonien, Serbien, Bulgarien, Rumänien

Westbalkanstaaten

Die Zahl der Roma in den Westbalkanstaaten wird auf insgesamt ca. 1 Millon und der jeweilige Bevölkerungsan-

teil auf mindestens 0,7 % (Kroatien) bis maximal 12,7 % (Mazedonien) geschätzt. Ofzielle Statistiken verzeichnen

geringere Werte (vgl. Tabelle 3). Zur Verbesserung der Rechtsstellung und Lebenssituation der in den Balkanstaaten

benachteiligten Roma beteiligt sich Deutschland an verschiedenen Hilfsprogrammen der OECD und unterstütz

auch die Staaten direkt, bspw. bei Projekten zur Integration von Minderheiten (Auswärtiges Amt 2012, S. 153, 169,

194, 219).

Albanien

1.261 leben nach ofziellen Angaben in Albanien (Bevölkerungsanteil 0,04 %); Schätzungen gehen von der ca. acht-

fachen Anzahl aus (vgl. Tabelle 3).

Roma leiden unter deutlich schlechteren Lebensbedingungen als die Mehrheitsbevölkerung in Albanien. Es wird

zwar keine unmittelbare staatliche Repression gegenüber bestimmten Personengruppen wegen ihrer Rasse, Reli-

gionszugehörigkeit, Nationalität oder politischen Überzeugung verzeichnet, aber Berichte über Menschenrechts-

verletzungen durch die Polizei an Roma liegen vor. Insbesondere im polizeilichen Untersuchungsgewahrsam sind

die Haftbedingungen hart und es kommt vereinzelt zu Festnahmen ohne ausreichende Rechtsgrundlage sowie

Misshandlungen von Festgenommenen. Das albanische Parlament verabschiedete im Februar 2010 ein Anti-Diskri-

minierungsgesetz, womit auch ein Beauftragter zur Bekämpfung von Diskriminierung vorgesehen wurde. Weitere

Bemühungen sind nötig, um die internationalen Menschenrechtsstandards in allen Bereichen zu etablieren, nicht

zuletzt auch im Gesundheitswesen (Auswärtiges Amt 2010, S.116).

Bosnien und Herzegowina

8.864 Personen gehören nach ofziellen Angaben zur Ethnie der Roma in Bosnien und Herzegowina (Bevölke-

rungsanteil 0,23 %); laut Schätzungen sind es 40.000 - 50.000 (vgl. Tabelle 3).

Anstatt dass die Menschenrechtslage in Bosnien und Herzegowina sich in den letzten Jahren wesentlich verbessert

hätte, nahm die Segregation z.B. im Bildungsbereich sogar eher zu. In einigen Schulen wird nach Volksgruppen

getrennt unterrichtet. Die Lage der Roma gilt als insgesamt unbefriedigend (Auswärtiges Amt 2012, S.161). Diese

und andere gesellschaftliche Minderheiten bzw. in der jeweiligen Region in der Unterzahl lebenden Volksgruppen

werden immer wieder offen diffamiert. Objektive mediale Berichterstattung ist eher eine Ausnahme, da die Medien

politisch und nanziell von bestimmten Interessengruppen abhängig sind.

Weiterhin kehren Binnenvertriebene und Flüchtlinge aus der Kriegszeit in ihre Heimatgemeinden zurück, wobei

noch von ca. 117.500 Vertriebenen ausgegangen wird. Der Staat, der im dem Zeitraum 2007–2010 Mitglied im VN-

Menschenrechtsrat war, gilt als kooperationsbereit bei der Umsetzung von Menschenrechtsverpichtungen. Bosni-

en und Herzegowina hat im Januar 2008 die Konvention des Europarates gegen Menschenhandel ratiziert und hat

2010 zugesagt, seine Verfassung an die neueste Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte

anzupassen. Jedoch steht die Umsetzung einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte

zum passiven Wahlrecht (‘Sejdić-Finci-Urteil’, Dezember 2009) noch immer aus. Ein im Juli 2009 verabschiedetes

Anti-Diskriminierungsgesetz wurde bislang nur zum Teil umgesetzt. Die Leistungsfähigkeit der nationalen Gerich-

te, die eine Vielzahl von Kriegsverbrechen verhandeln, ist beschränkt (Auswärtiges Amt 2012, S.162).

Kosovo

34.000 Personen gehören nach ofziellen Angaben zur Ethnie der Roma in Kosovo (Bevölkerungsanteil 1,7 %);

geschätzt werden zusätzliche 2.000 - 4.000 Personen (vgl. Tabelle 3).

Obwohl Kosovo kein Mitglied des Europarates bzw. der VN ist, gelten die Europäische Menschenrechtskonvention

sowie zahlreiche VN-Menschenrechtsabkommen seit der im Juni 2008 in Kraft getretenen Verfassung unmittelbar.

In dieser sind auch das Recht der anerkannten Minderheiten (Serben, Türken, Bosniaken, Roma, Ashkali und euro-

Page 21: Druckdatei Roma KorMarius

21Roma in Deutschland und Europa

päische ‚Ägypter’) auf umfassenden Schutz, ein Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechts und das Verbot

der Todesstrafe sowie die Institution der Ombudsperson (die den Beschwerden über

Menschenrechtsverletzungen durch die kosovarischen Behörden nachgeht) verankert. Zwar gibt es bereits einen

dem Staatspräsidenten zugeordneten ‚Konsultativrat für Gemeinschaften’, welcher eine Einussnahme der Min-

derheiten auf das Gesetzgebungsverfahren ermöglicht, dennoch ist die vollständige Integration der Minderheiten

in die staatlichen Institutionen, welche durch die Kosovo-albanische Bevölkerungsmehrheit dominiert sind, bisher

nicht gewährleistet. Über gezielte Menschenrechtsverletzungen durch die kosovarischen Behörden liegen keine

Berichte vor. Allerdings ist Korruption bis in die höchsten Ebenen verbreitet und der Norden des Landes steht nicht

unter effektiver Kontrolle der kosovarischen Institutionen und bildet somit einen Rückzugsraum für organisierte

Kriminalität. Seit Dezember 2008 wird der Einsatz der kosovarischen Polizei durch die EU-Rechtsstaatsmission

EULEX begleitet (Auswärtiges Amt 2012, S.194).

Mazedonien

53.879 Personen gaben im Zensus von 2002 an, zur Ethnie der Roma zu gehören (Bevölkerungsanteil 2,69 %). Die

Schätzungen gehen von der vier- bis fünffachen Anzahl aus (vgl. Tabelle 3).

Die Muttersprache der meisten Roma in Mazedonien ist Romanes, einige sprechen auch Albanisch. Ein großer Teil

gehört dem Islam an. Sie leben in verschiedenen Regionen des Landes, vor allem in Shuto Orizari in Skopje. Viele

der Roma leben in Armut und sind in allen Lebensbereichen (insbesondere Bildung, Elektrizität, Gesundheitsver-

sorgung, Arbeitsmarkt, öffentlicher Dienst) der Diskriminierung durch die Mehrheitsbevölkerung ausgesetzt. Sie

erfuhren besonders im Zuge des Transfomationsprozesses des Landes (nach 1991) Benachteiligungen und steigende

Arbeitslosigkeit, so dass ein Großteil der Roma schlechter gestellt war als die Mehrheit der Volksgruppe zur Zeit des

Regimes Titos. Ihr Bildungsniveau sowie Sozialkapital gelten als gering und anfällig für weitere Diskriminierung.

Politik und öffentliches Leben ist dominiert von den mazedonisch-albanischen Bevölkerungsgruppen, welche

keine wirksame Beteiligung der Roma und anderer kleiner Minderheiten zulassen. Mit nur zwei Vertretern im na-

tionalen Parlament (120 Sitze) waren die Roma bisher stark unterrepräsentiert. Die 2005 verabschiedete ‚Nationale

Strategie für Roma’ wurde noch nicht durchgesetzt. Im Rahmen der Teilnahme an der Roma-Dekade17 des UNDP

soll die Situation der Roma jedoch verbessert werden, wobei die Erfolge bisher gering sind (UNHCR 2008).

Serbien

108.400 leben nach ofziellen Angaben in Albanien (Bevölkerungsanteil 1,44 %); Schätzungen gehen von mindes-

tens der ca. vierfachen Anzahl aus (vgl. Tabelle 3).

Die Menschenrechtslage in Serbien entspricht bei verbleibenden Deziten insgesamt internationalen Standards.

Systematische, zentral gesteuerte Menschenrechtsverletzungen durch Staatsorgane, wie noch unter der Herrschaft

von Slobodan Milošević, sind nicht mehr zu verzeichnen. Nationale und andere Minderheiten waren trotz des in

der Verfassung verankerten Diskriminierungsverbots in unterschiedlichem Ausmaß faktischen Benachteiligun-

gen oder gesellschaftlichen Vorurteilen ausgesetzt; dies galt besonders für Roma. Vereinzelt kamen nichtstaatliche

Übergriffe auf Angehörige bzw. Einrichtungen nationaler Minderheiten vor, insbesondere nach der Unabhängig-

keitserklärung Kosovos im Februar 2008. Für Serbien gelten die meisten wichtigen internationalen Menschen-

rechtsinstrumente. Die Einhaltung des umfassenden Menschenrechtskatalogs, der in der Verfassung von 2006

verankert ist, wird von Verfassungsgericht und Ombudsmann überwacht. Ein allgemeines Antidiskriminierungs-

gesetz wurde 2009 verabschiedet. Von Juli 2008 bis Juni 2009 hatte Serbien den Vorsitz der Roma-Dekade inne

(Auswärtiges Amt 2012, S.219).

„Angaben der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zufolge gibt es in Serbien ca. 500

bis 600 Roma-Siedlungen, davon ca. 140 in Belgrad. [...] Größe und Anbindung an öffentliche Infrastruktur variie-

ren. Zudem muss unterschieden werden zwischen den legalen, oft bereits lange existierenden und den zahlreichen

informellen Siedlungen. Einzelne Siedlungen treten insbesondere dann ins Blickfeld, wenn sie von Zwangsräu-

mung bedroht sind. Im Falle einer Roma- Siedlung in Neu Belgrad, deren Zwangsräumung seit Oktober 2011 im

Raum steht, zeigt sich die serbische Regierung inzwischen kooperativ um eine Lösung bemüht. Zwischen Vertretern

17 http://www.romadecade.org

Silbentrennung?

Page 22: Druckdatei Roma KorMarius

22 Roma in Deutschland und Europa

der Betroffenen, dem serbischen Ministerium für Menschen- und Minderheitenrechte, der öffentlichen Verwaltung

und lokalen Selbstverwaltung, der Stadt Belgrad und weiteren Beteiligten nden Beratungen u. a. über künftige

Unterbringungsmöglichkeiten für die betroffenen Personen statt. Zugleich soll hierbei ein Verfahren geschaffen

werden, nach dem künftig in ähnlichen Fällen verfahren werden kann.“ (Deutscher Bundestag 2012, S.8/Frage 22)

EU-2

Bulgarien

Neben Bulgaren und Türken sind Roma in Bulgarien die drittgrößte ethnische Gruppe. 370.908 Personen gaben im

Zensus von 2001 an, zur Ethnie der Roma zu gehören (Bevölkerungsanteil 4,68 %). Die Schätzungen (vgl. Tabelle 3)

gehen von ca. doppelt so vielen Roma in Bulgarien aus. Sie sind als bulgarische Staatsbürger und somit als EU-Bür-

ger rechtlich der Mehrheitsbevölkerung gleichgestellt. Die schlechte Umsetzung bzw. Durchsetzbarkeit ihrer Rechte

trägt dazu bei, dass Roma am Arbeitsmarkt, im Bildungs-, Sozial- und Gesundheitssystem sowie bei der Wohnungs-

suche benachteiligt werden. Somit ergeben sich für die Gruppe der Roma im Vergleich zur Mehrheitsbevölkerung

ein niedrigerer Bildungsstand und eine höhere Arbeitslosigkeitsrate, eine niedrigere Lebenserwartung und höhere

Kindersterblichkeit. Die geographische Verteilung ist recht gleichmäßig. Lediglich die Hälfte der Roma wohnt in

Städten, während dies bei 75 % der ethnischen Bulgaren der Fall ist. Unterschiedliche Sprachen werden innerhalb

der Romani Volksgruppe gesprochen, vor allem Dialekte des Romanes und des Bulgarischen, aber auch Türkisch

und Rumänisch (Todorov 2011, S.12ff.).

Rumänien

Neben Rumänen und der Ungarisch-sprachigen Minderheit gelten Roma als drittgrößte Bevölkerungsgruppe in

Rumänien. Dort ermittelte der Zensus 200118 553.140 Roma (2,47 % Bevölkerungsanteil) und der Zensus 201119

619.007 Roma (3,25 %). Da Roma jedoch häug ihre Ethnie nicht angeben oder in den Kommunen, in denen sie

leben, nicht registriert sind, muss angenommen werden, dass diese Zahlen nur eine Untergrenze darstellen. Die Be-

völkerungsgruppe lebt im ganzen Land verbreitet. Insbesondere in Siebenbürgen und in den südlicheren Bezirken

Rumäniens sind Roma vertreten. 247.058 Personen (1,3 % der Bevölkerung) gaben im Zensus 201120 Romanes als

ihre Muttersprache an. Außerdem sind Rumänisch, Ungarisch und verschiedene Dialektformen als Muttersprachen

unter den Roma verbreitet.

In Rumänien geborene Roma erhalten die rumänische Staatsangehörigkeit und sind rechtlich den anderen rumä-

nischen Staatsbürgern gleichgestellt. Laut rumänischer Verfassung werden ethnische Minderheiten explizit ge-

schützt. Über die Hälfte der registrierten Roma erhält soziale Grundleistungen, 26 % haben als Familienangehörige

mit mindestens einem Kind Anspruch auf staatliche Förderung (Cace et al. 2011, S. 279), wobei das Kindergeld nur

umgerechnet 7,40 € monatlich beträgt21. Wer sich jedoch nicht ofziell in seiner Kommune kann keine Sozialleis-

tungen beantragen und oft ist auch der Abschluss von Verträgen ohne Personaldokumente nicht möglich.

Zum Ende des kommunistischen Regimes und im Zuge der sich etablierenden Marktwirtschaft verloren viele

Roma, die zuvor als Niedrigqualizierte beschäftigt waren, ihre Arbeitsplätze. Die sozioökonomische Lage der Roma

in Rumänien ist weiterhin schlecht und viele sind arbeitslos und von Armut betroffen. Roma leben häuger als die

Mehrheitsbevölkerung in Siedlungen ohne ießendes Wasser und ohne Strom. Mangelhafte Bildung (u.a. aufgrund

unzureichender Sprachkenntnisse), Diskriminierungserfahrungen und der schwierige Zugang zu öffentlichen

Leistungen tragen zu den schlechten Lebensbedingungen bei. Die Lebenserwartung der Roma liegt 10 Jahre unter

der der Mehrheitsbevölkerung (Cace et al. 2011, S. 278ff.).

18 http://colectaredate.insse.ro/phc/public.do?siteLang=ro (Daten des letzten, im Oktober 2011 durchgeführten Zensus wurden noch nicht veröffentlicht).

19 Comisa centrala pentru Recensamântului Populatiei si Locuintelor 2012b, S.2.

20 Comisa centrala pentru Recensamântului Populatiei si Locuintelor 2012a, S.10.

21 http://sas.mmssf.ro ; http://www.ba-auslandsvermittlung.de/lang_de/nn_6972/DE/LaenderEU/Rumaenien/Arbeiten/arbei-ten-knoten.html__nnn=true#doc6976bodyText9

???

Page 23: Druckdatei Roma KorMarius

23Roma in Deutschland und Europa

2.4 Migration nach Deutschland als mögliche Folge der Migration in anderen europäischen Ländern

Da die Roma häug als Randgruppe unter prekären sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen leben, verlassen

viele Roma ihre Heimatregion und wandern von Ost- und Süd- nach West- und Mitteleuropa aus. Die Migration

nach Deutschland erhöht sich wahrscheinlich auch aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklung in den südeuro-

päischen Staaten. Die von der Wirtschafts- und Finanzkrise stark betroffenen Länder Spanien und Italien waren

bislang die wichtigsten Zielländer der EU-2 Migranten. Als Beispiel dienen Angaben zu rumänischen Staatsangehö-

rigen in Spanien: Bis einschließlich 2010 waren 840.682 Rumänen nach Spanien zugewandert (entspricht 17 % der

insgesamt knapp 5 Mio. Ausländer in Spanien, die Rumänen stellen dort die mit Abstand größte Zuwanderergruppe

dar). Die steigende Arbeitslosenrate (Anstieg um drei Prozentpunkte auf 24,8 % im Zeitraum 07/2011-06/2012)

sorgt nun jedoch in Spanien für große Spannungen auf dem Arbeitsmarkt, welche insbesondere die dort lebenden

Migranten betreffen. Da für viele der Rumänen kaum noch Arbeitsmarktchancen bestehen, ist abzusehen, dass sich

die Migration nach Deutschland daher umso stärker erhöhen wird.

Welche Auswirkungen die ökonomische Entwicklung in den südeuropäischen Ländern auf die Zuzüge aus EU-2

Ländern bislang hatte, ist nicht erforscht. Zukünftige Fragestellungen können den vermuteten Wechsel der

Hauptzielländer der EU-2 Migranten, die verstärkte Migration von Zuwanderern in und aus Südeuropa sowie den

verstärkten Zuzug von geringer Qualizierten, welche besonders von Arbeitslosigkeit betroffen sind, thematisieren.

Studien zu Sinti und Roma

3.1 Überblicksstudien zu Sinti und Roma

3.1.1 Faraco, Cristina 2006: Länderbericht Deutschland. In: Europäisches Parlament, Generaldirektion Interne Politikbereiche der Union: Aspekte der ökonomischen Situation von Romafrauen

Fundierte Daten über die soziale Situation von Roma und Sinti in Deutschland gibt es nicht. In ofziellen Statis-

tiken, so etwa der Arbeitslosenstatistik, wird die ethnische Zugehörigkeit nicht erfasst. Entsprechende Statistiken

oder Untersuchungen werden von vielen Sinti- und –Organisationen auch abgelehnt, da sie als diskriminierend

empfunden werden und an entsprechende Praktiken während des Naziregimes erinnern.

In Bezug auf die Arbeitsmarktsituation gehen Sinti- und Roma-Organisationen davon aus, dass Sinti und Roma

stärker von Arbeitslosigkeit betroffen sind, als der Bevölkerungsdurchschnitt. Zudem seien Sinti und Roma oft im

informellen Sektor tätig oder selbständig, so dass sie nur unzureichend in die Sozialversicherungssysteme einge-

gliedert sind. Die Ausgrenzungsmuster hängen stark mit der schlechten Bildungssituation vieler Sinti und Roma

zusammen. Bei den Sinti und Roma mit einem ungesicherten Aufenthaltsstatus ist dies dadurch begründet, dass

ihnen der Zugang zum Arbeitsmarkt verwehrt ist.

Auch über die Situation von Sinti- und Roma-Frauen sind keine empirischen Daten vorhanden. In dem Bericht

wird betont, dass ihre Situation stark durch traditionelle Strukturen der Roma bestimmt sei. So seien viele Sinti

und Roma-Frauen bei Geburt des ersten Kindes noch sehr jung. Zudem hätten Sinti- und Roma-Mütter häug viele

Kinder. Hinzu kommt, dass die Ausbildungsvoraussetzungen der Sinti- und Roma-Frauen nicht zuletzt im Zusam-

3

Page 24: Druckdatei Roma KorMarius

24 Roma in Deutschland und Europa

menhang mit den traditionellen Rollenbildern sehr schlecht seien. Vor dem Hintergrund der familiären Situation

und den Ausbildungsvoraussetzungen geht die Autorin davon aus, dass die Arbeitsmarktintegration problematisch

ist.

Auch die Wohnsituation sowie der Zugang zum Gesundheitssystem von Sinti und Roma werden als problematisch

beschrieben. Die Ausführungen haben jedoch eher beschreibend Charakter. In Ermangelung entsprechender Statis-

tiken ist es nicht möglich, die Aussagen zu präzisieren oder zu belegen.

Insgesamt krankt der Bericht daran, dass es keinerlei fundierte Datenquellen gibt. Seine Stärke liegt in der Benen-

nung von Erklärungen für Probleme, die bei Sinti und Roma vermutet bzw. vorausgesetzt werden. Allerdings bleibt

unklar, wie verbreitet die benannten Probleme tatsächlich sind.

3.1.2 Peucker, Mario; Bochmann, Annett; Heidmann, Rachel (2009): Housing Conditions of Sinti and Roma - Germany. Hg. v. RAXEN National Focal Point. european forum for migration studies (efms). Bamberg22

Die Untersuchung unterscheidet zwischen den deutschen Sinti und Roma, Roma ausländischer Staatsangehörig-

keit, die während der Gastarbeiteranwerbung aus Jugoslawien nach Deutschland kamen, und Roma, die im Zuge

der Fluchtmigration aus der Balkanregion während der 1990er Jahren zuwanderten. Im Fokus der Analyse steht die

Wohnsituation von Sinti und Roma in Deutschland.

Die Ergebnisse basieren auf einer eigenen Expertenbefragung. Interviewt wurden 6 Experten: Vertreter der Kom-

munen und der Bundesländer, ein Vertreter der Sinti und Roma Vereinigung auf der Bundesländerebene, Sozialar-

beiter und Vertreter der Unterstützungsorganisationen und einen Vertreter aus der Forschung. Des Weiteren wird

der Forschungsstand zur Wohnsituation von Sinti und Roma in Deutschland dargestellt.

Verlässliche Daten zur Wohnsituation von Sinti und Roma in Deutschland sind nicht vorhanden.

Lediglich eine nicht repräsentative Studie, die 2002 von der Vereinigung von Sinti und Roma in Baden-Würt-

temberg durchgeführt wurde, befasst sich mit der Wohnsituation von Sinti und Roma. Die Studie basiert auf 94

Telefoninterviews und 16 persönlichen Interviews mit Sinti und Roma in Baden-Württemberg. Insgesamt wur-

den 293 Personen befragt. Die Studie stellt fest, dass rund 20 % der befragten Familien beengt wohnen. Die Studie

erarbeitet anhand eines Faktorenindexes eine Einschätzung der Wohnsituation von Sinti und Roma. Demnach ist

die Wohnsituation von 44 % der Befragten „weniger befriedigend bis befriedigend“. 31 % der Befragten leben in un-

befriedigenden Wohnverhältnissen. Und lediglich bei 13 % der Befragten wird die Wohnsituation als befriedigend

eingeschätzt (S. 28-29).

Laut den Auskünften der Experten werden in einigen deutschen Städten Maßnahmen gegen die räumliche Segre-

gation von Sinti und Roma ergriffen. So wurde in Frankfurt am Main oder im bayerischen Staubing Kriterien zur

Vergabe der Sozialwohnungen festgelegt, nach denen eine gleichmäßige Verteilung der Sinti und Roma Familien

im städtischen Raum angestrebt wurde. In Kiel, München, Hamburg und in einigen anderen Kommunen wurden

dagegen in Zusammenarbeit mit örtlichen Sinti und Roma-Vereinen Sinti und Roma Siedlungen errichtet. In

anderen Städten – wie etwa in Freiburg – haben bereits bestehende Sinti und Roma Nachbarschaften sich ad hoc zu

örtlichen Vereinen organisiert, um ihre Interessen im Stadtteil zu vertreten (S. 34). Die „selbst gewählte Segregation“

von Sinti und Roma wird von dem Bericht als integrationsfördernd bewertet, während die „ungewollte Segregati-

on“ – Wohnen in Vororten mit schlechtem Zugang zur Infrastruktur und öffentlichen Dienstleistungen – wird als

ein Problem gesehen. Allerdings gibt es aufgrund einer schwierigen Datenlage keine verlässlichen Informationen

über die Anzahl, den Integrationsstand und über die Problemlagen von Sinti und Roma in benachteiligten Nach-

barschaften und segregierten Siedlungen.

22 Online verfügbar unter http://fra.europa.eu/sites/default/les/fra_uploads/581-RAXEN-Roma%20Housing-Germany_en.pdf, zuletzt geprüft am 21.11.2012.

Page 25: Druckdatei Roma KorMarius

25Roma in Deutschland und Europa

3.1.3 Lüken-Klaßen, Doris; Meixner, Sonja (2004): Roma in public education. Hg. v. RAXEN. European Forum for Migration Studies. Bamberg 23

Die Untersuchung unterscheidet zwischen den deutschen Sinti und Roma und den Sinti und Roma ausländischer

Staatsangehörigkeit, die während den Zuwanderungswellen in den 1970er bis 90er Jahren aus den Staaten Südost-

europas nach Deutschland kamen. Im Fokus der Analyse steht die schulische Inklusion der Kinder aus Sinti und

Roma Familien.

Die Ergebnisse basieren nicht auf einer eigenen Befragung, sondern auf einer zusammenfassenden Betrachtung des

Forschungsstandes zur Situation der Sinti und Roma Kinder in Deutschland.

Kinder aus Sinti und Roma Familien wechseln überproportional oft und bereits in den ersten zwei Jahren ihrer

Grundschullauگahn in die Sonderschulen. Laut einer Befragung in Hamburg wurde etwa Mitte der 1980er Jahre

festgestellt, dass 70 % aller Sinti und Roma Kinder in Hamburg die Sonderschulen besuchen. Allerdings habe sich

die Situation, laut den Angaben der Hamburger Sinti und Roma Union in der letzten Zeit stark verbessert (S. 5).

Kinder aus Sinti und Roma Familien unterbrechen die Schule öfter als die deutschen Kinder und brechen über-

proportional oft die Schule ab. So dokumentiert die Heidelberger Beratungsstelle „Bilund/Antiziganismus“ im Jahr

1999, dass 9 von 10 Sinti und Roma Schüler in Heidelberg keinen Schullabschluss erlangen (S. 6).

Als Gründe für die Benachteiligung der Sinti und Roma Kinder werden erstens Diskriminierung „Das Denken in

Stereotypen“ seitens der Lehrer, schlechte Sprachkenntnisse bzw. Mehrsprachigkeit der Kinder, Armut der Eltern,

fehlende Bildungsaspirationen der Eltern verbunden mit mangelnden eigenen Bildungserfahrungen bis hin zum

Analphabetismus, Misstrauen gegenüber der Schule, kulturell bedingte Schwierigkeiten der Kinder, mit den stark

strukturierten schulischen Abläufen zurecht zu kommen, die Selektivität des Schulsystems zugunsten der besser

gebildeten sozialen Schichten, fehlende multikulturelle Ausrichtung der Schulen, fehlende vorschulische Betreu-

ung (S. 7 – 9). Eine besonders benachteiligte Gruppe der ausländischen Sinti und Roma Kinder sind Kinder, deren

rechtlicher Aufenthaltsstatus in Deutschland unsicher ist (meist Duldung) und aufgrund dessen gar keine Schul-

picht besteht (S. 10).

Alle Befunde stützen auf Erhebungen und qualitative Studien, die in einzelnen Kommunen bzw. Bundesländern

durchgeführt wurden. Verlässliche bundesweite Daten zur schulischen Situation von Sinti und Roma Kindern

fehlen.

3.2 Qualitative Studien zu Sinti und Roma

Die qualitativen Fallstudien zur Lage von Sinti und Roma in Deutschland konzentrieren sich vor allem auf die

vielfachen Benachteiligungserfahrungen von alteingesessenen sowie neu zugewanderten Sinti und Roma Minder-

heiten (Koch 2005; Koch 2010; UNICEF 2007; Bachmann/Blaschke 2007; End/Herold 2009; Weber 2010; Jocham

2010). Diese Studien basieren meist auf einer Kombination aus folgenden methodischen Vorgehensweisen: 1) Be-

fragungen von Sinti und Roma selbst zu ihrer Migrationsgeschichte, individuellen Integrationsverläufen und/oder

Diskriminierungserfahrungen; 2) ethnographische Untersuchungen in kleinräumlichen Kontexten zur Situation

und zur öffentlichen Wahrnehmung von Sinti und Roma Gemeinden; 3) Experteninterviews mit Akteuren der

Integrations- und Flüchtlingsarbeit auf kommunaler Ebene oder in einzelnen Bundesländern; 4) Auswertung der

politischen Stellungnahmen und Beschlüsse und öffentlicher Berichterstattung zu Sinti und Roma auf kommuna-

ler Ebene bzw. in einzelnen Bundesländern. Die zentralen Argumente der Studien sind:

1) Es besteht nach wie vor eine vielfache Diskriminierung von sowohl alteingesessenen als auch neu zugewan-

derten Sinti und Roma, die insbesondere in alltäglichen Erfahrungen von Betroffenen mit Nachbarn, auf

den lokalen Arbeitsmärkten, in den öffentlichen Räumen oder mit den kommunalen Verwaltungsstellen

zutage kommen.

23 Online verfügbar unter http://www.ssoar.info/ssoar/bitstream/handle/document/19294/ssoar-2004-luken-klaen_et_al-roma_in_public_education.pdf?sequence=1, zuletzt geprüft am 19.11.2012.

Page 26: Druckdatei Roma KorMarius

26 Roma in Deutschland und Europa

2) Ein unsicherer aufenthaltsrechtlicher Status der geduldeten Roma oder der Roma, deren Asylanerken-

nungsverfahren nicht abgeschlossen ist, erschwert ihnen den Zugang zum Arbeitsmarkt, aber auch zum

Bildungs- und Gesundheitssystem.

3) Die öffentliche und politische Wahrnehmung der Situation von Sinti und Roma in Deutschland beruht auf

Vorurteilen. Der Blick der Politik und der Öffentlichkeit richtet sich meist nur auf die Problemfälle, wäh-

rend die integrierten Sinti und Roma nicht wahrgenommen werden.

Anhand einer Darstellung der methodischen Anlage und der Ergebnisse einer der Studien werden im Fol-

genden die zentralen Argumentationslinien der qualitativen Sinti und Roma Forschung illustriert.

3.2.1 UNICEF (2007): Zur Lage von Kindern aus Roma-Familien in Deutschland. Zusammenfassung der Ergebnisse einer Studie des Zentrums für Antisemitismusforschung der Technischen Universität Berlin24

Die Studie konzentriert sich auf die Lage von Kindern aus Roma-Familien, die seit 1990 als Flüchtlinge aus der

Balkanregion und aus Osteuropa nach Deutschland gekommen sind. Sie basiert auf einer Analyse von Fallstudien

in fünf Großstädten: Hamburg, Berlin, Köln, Münster und Frankfurt am Main. Das Ziel der Analyse ist, im Rahmen

einer explorativen Expertenbefragung herauszunden, welchen Voraussetzungen und Bedingungen die Integrati-

on von Roma-Kindern in verschiedenen Lebensbereichen unterliegt.

Es wurden 49 Leitfadeninterviews mit lokalpolitischen Akteuren, Experten und Praktikern durchgeführt. Die Ex-

perten kommen aus dem Bereich der Schule (Schulbehörden, Schulleiter, Lehrer), der Behörden und Institutionen

(Integrationsbeauftragte bzw. Dezernenten für Flüchtlingsfragen, Vertreter der Ausländer- und Gesundheitsbehör-

den sowie Sozial- und Jugendämter), der Flüchtlingsverbände und Organisationen der Sinti und Roma.

Zudem wurden folgende Primärquellen ausgewertet: relevante Dokumente aus Exekutive, Legislative, staatlicher

Administration und einschlägiger Organisationen, wie etwa kleine Anfragen an den Senat von Berlin und Antwor-

ten, Schriftliche Kleine und Große Anfragen an den Senat von Hamburg und Antworten, Öffentliche Beschluss-

vorlagen und Ratsbeschlüsse der Stadt Münster, Jahresberichte der Fachstelle Jugendsozialhilfen der Stadt Müns-

ter, Protokolle der Ratssitzungen der Stadt Köln, Ratsbeschlüsse der Stadt Köln, Schulgesetze der Bundesländer

Nordrhein-Westfalen, Hessen, Hamburg und Berlin, Schulstatistiken, Dokumente und Beschlüsse der Kultusminis-

terkonferenz.

Das zentrale Ergebnis der Studie ist, dass der Zugang von Kindern aus Roma-Familien zum Bildungs- und Gesund-

heitssystem in erheblichem Maße vom aufenthaltsrechtlichen Status der Eltern, von der bisherigen Anwesenheits-

dauer, von familiären Fluchtbiographien, vom Sozialstatus der Eltern, aber auch von den lokalpolitischen Konzep-

ten im Umgang mit Flüchtlingen abhängt.

Einen wichtigen Stellenwert nimmt in der Studie das Thema Bildung an. Bezüglich der Bildungssituation von

Roma-Kindern argumentiert sie, dass von einem generellen Desinteresse der Roma an der Schulbildung nicht

gesprochen werden kann. Die lokalen Befragungen zeigen diesbezüglich ein durchaus differenziertes Bild. Ein Teil

der Roma-Kinder nimmt die Schulmöglichkeit wahr. Gleichzeitig gibt es andere, die keine Unterstützung von den

Eltern erhalten, außerdem stoßen einige Kinder auf erhebliche Vorbehalte und Ressentiments, die ihre Schullauf-

bahn prägen (S. 19).

Laut den Auswertungen der Experteninterviews betreffen eine ungünstige Einbeziehung in die Bildungsstrukturen

und ein erhöhtes Risiko für Misserfolge im Schulbereich hauptsächlich Roma-Kinder

24 Online verfügbar unter http://www.unicef.de/leadmin/content_media/presse/fotomaterial/Roma_ Konferenz/UNICEF_STUDIE_Ergebnisse_Deutschland.pdf, zuletzt geprüft am 23.11.2012.

Page 27: Druckdatei Roma KorMarius

27Roma in Deutschland und Europa

die mit 10 bis 14 Jahren eingereist sind und vorher keine Schulbildung hatten,

deren Eltern von gekürzten oder gestrichenen Sozialleistungen betroffen sind,

die in stigmatisierten und isolierten Flüchtlingsheimen untergebracht sind,

die häug umziehen mussten,

aus Großfamilien,

alleinerziehender Mütter (deren Väter abgeschoben wurden),

aus niedrigen Sozialschichten, deren Eltern mangelnde oder keine Schulbildung haben,

aus „problematischen Familien“, die aus der Sicht der Behörden „nicht erreichbar oder ansprechbar sind“

(S. 20 – 21).

Im Bildungsbereich sind, den Beobachtungen sozialer Fachkräfte zufolge, diejenigen Roma-Kinder besonders be-

nachteiligt, deren Eltern von Sozialleistungen und der gesundheitlichen Regelversorgung ganz ausgeschlossen sind.

Dadurch haben sie unter anderem keine Möglichkeit, in einen Kindergarten angemeldet, noch an der Nachmittags-

betreuung in Ganztagsschulen beteiligt zu werden (S. 35).

Besonders oft herausgestellt wird die nach wie vor bestehende Wirkung von ethnischen Stereotypisierungen im

lokalen Kontext. So eile vielen Roma-Kindern allein aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit der Ruf voraus, be-

sonders „problematisch“ oder lernunfähig zu sein (S. 20).

Ein weiteres wichtiges Ergebnis beruht auf der Beobachtung, dass „das Roma-Problem“ teilweise eine politische

und soziale Konstruktion ist: „Während die mediale Öffentlichkeit und ein Teil der Behördenmitarbeiter Problem-

gruppen innerhalb der Minderheit als typisch für alle Roma wahrnehmen, bleiben die bereits teilweise integrierten

Familien im toten Winkel, weil sie keine Zielgruppe lokaler Entscheidungen und Maßnahmen sind“ (S. 36). Somit

kritisiert die Studie den sogenannten „problemzentrierten Ansatz“ in der wissenschaftlichen und politischen Be-

trachtung der Situation von Sinti und Roma Zuwanderern und plädiert für eine differenzierte Wahrnehmung der

Integrationsverläufe dieser Bevölkerungsgruppe.

3.3 Quantitative Studien zu Sinti und Roma

Es gibt kaum quantitative Studien zu Sinti und Roma in Deutschland bzw. auch anderen europäischen Ländern. Auf

zwei Studien sei näher eingegangen.

3.3.1 Strauß, Daniel (Hg.) 2011): Studie zur aktuellen Bildungssituation deutscher Sinti und Roma. Dokumentation und Forschungsbericht25

Die Studie ist die einzige bekannte quantitative Studie über Sinti und Roma in Deutschland. Zentrales Thema der

von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft unterstützten Studie ist die Bildung der Sinti und Roma.

Die Untersuchung basiert auf 275 Interviews auf Basis eines teilstandardisierten Fragebogens. Mit 30 Befragten

wurden außerdem vertiefende qualitative Interviews durchgeführt.

Die Interviews wurden in 35 Städten in Deutschland vornehmlich in den alten Bundesländern geführt. Für die Be-

fragung wurden 14 Sinti und Roma als Interviewer gewonnen. Diese haben innerhalb ihrer Netzwerke „nach einer

Art Schneeballsystem“ Zielpersonen interviewt (S. 25). Zur Denition der Grundgesamtheit der Sinti und Roma

werden keine Aussagen getroffen. Insgesamt lässt sich festhalten, dass die Untersuchung auf keiner Zufallsauswahl

basiert, die Ergebnisse also nicht repräsentativ für Sinti und Roma in Deutschland sind.

Voranstellend ist anzumerken, dass die Qualität der Darstellung dadurch gemindert wird, dass Befunde teilweise

mit normativen Bewertungen und Erklärungen durchmischt werden. Die eigentlichen Ergebnisse müssen dann

aus den Textpassagen mühsam herausgesucht werden.

25 Online verfügbar unter http://www.stiftung-evz.de/w/les/roma/2011_strauss_studie_ sinti_bildung.pdf

Page 28: Druckdatei Roma KorMarius

28 Roma in Deutschland und Europa

Als Ergebnis lässt sich festhalten, dass 41% der befragten Sinti und Roma sind im Alter von 14 bis 25 Jahren, 43% im

Alter von 26 bis 50 Jahren und 16% sind 51 Jahre und älter sind.

Bezogen auf die Bildung wurde nicht der „höchste erreichte Bildungsabschluss“ abgefragt, sondern welche Schul-

formen besucht wurden, unabhängig davon, ob ein Abschluss erreicht wurde oder nicht. Eine Darstellung des

höchsten erreichten Schulabschlusses ist daher nicht möglich. Insgesamt wird deutlich, dass der Bildungsstand

der befragten Sinti und Roma vergleichsweise gering ist. 18% aller Befragten haben nicht die Grundschule besucht,

lediglich sechs Befragte sind auf das Gymnasium gegangen.

Betrachtet man die unterschiedlichen Altersgruppen, zeigt sich, dass das Bildungsniveau im Zeitverlauf deutlich

zugenommen hat. So haben jüngere Sinti und Roma im Alter von 14 bis 25 Jahren deutlich häuger eine Grund-

schule besucht, ebenso ist der Anteil derjenigen die auf der Haupt- oder Realschule waren höher.

Bei den älteren Sinti und Roma sind die Ursachen für den geringen schulischen Bildungsstand laut Autoren u.a. in

der Verfolgungsgeschichte im Nationalsozialismus zu suchen. Bezogen auf die Gesamtgruppe werden Ängste und

Misstrauen innerhalb der Familie im Zusammenhang mit dem Schulbesuch der Großeltern und Eltern themati-

siert.

Ein Bildungsaufstieg wird dadurch erschwert, dass Kinder und Jugendliche bei Hausaufgaben nur in geringem

Maße auf Unterstützung durch Eltern oder Geschwister zählen können. Im Gesamtdurchschnitt geben 46% der

Sinti und Roma an, keine Hilfe erhalten zu haben. Bei denjenigen, die eine Haupt- oder Realschule besucht haben,

sind die entsprechenden Anteilswerte deutlich niedriger. Ein weiterer Faktor, der sich auf das Bildungsverhalten

auswirkt, ist das „Reisen“ der Familien auch während der Schulzeit. Insgesamt gibt über die Hälfte der Befragten an,

dass dies bei ihnen der Fall war. Bei der Alterskohorte der 14 bis 25-jährigen trifft dies allerdings seltener zu als bei

den Älteren.

Auch die beruiche Ausbildungsquote ist bei den befragten Sinti und Roma mit 19% gering. In der Gesamtbevöl-

kerung sind es nach Angaben der Autoren 85%. Allerdings zeigen sich in Bezug auf die beruiche Ausbildung Fort-

schritte. Bei den Befragten in der jüngsten Alterskohorte ist der Anteil derjenigen mit einer beruichen Ausbildung

höher als bei den Älteren.

Ein weiterer Schwerpunkt der Untersuchung stellen die Themen Diskriminierung und Eigenbezeichnung dar. Es

wird deutlich, dass Diskriminierungserfahrungen in der Schule häug erlebt wurden. 44% geben an, entsprechen-

de Erfahrungen gemacht zu haben. Jüngere etwas seltener als ältere Befragte. Mit einer Ausnahme bezeichnen die

Befragten sich selbst als Sinti und Roma. Allerdings berichten viele Befragte im Interview von deutlich negativen

Erfahrungen bei Bekanntwerden ihrer ethnischen Zugehörigkeit, so dass sie sich nach außen nicht als Sinti oder

Roma zu erkennen geben. Nicht selten wird die eigene ethnische Zugehörigkeit bei konkreter Nachfrage verleugnet

oder eine andere ethnische Zugehörigkeit angegeben. Gerade dieser Befund verdeutlicht, dass bei einer quantitati-

ven Befragung mit hohen Schwierigkeiten zu rechnen ist, die Zielgruppe zu erfassen bzw. repräsentativ zu erfassen.

3.3.2 European Union Agency For Fundamental Rights (FRA) (HG) 2012: The situation of Roma in 11 EU Member States. Survey results at a glance

In insgesamt 11 Ländern wurde eine Pilotumfrage zur Situation der Roma durchgeführt. Es handelt sich um die

Länder Bulgarien, Frankreich, Griechenland, Italien, Polen, Portugal, Rumänien, der Slowakei, Spanien, Tschechi-

sche Republik und Ungarn. Deutschland bendet sich nicht unter den untersuchten Ländern.

Insgesamt wurden 22.203 Roma und Nicht-Roma befragt und Informationen über mehr als 84.000 Haushaltsmit-

glieder gesammelt. Als Roma wurden Personen deniert, die sich selbst als Roma bezeichnen. Weiterhin wurden

Angehörige der Mehrheitsbevölkerung befragt, die in der gleichen Gegend oder unmittelbaren Nachbarschaft der

befragten Roma lebte. Die Befragung konzentriert sich auf Gebiete, in denen die Bevölkerungsdichte der Roma

höher ist, als der nationale Durchschnitt, ohne dass angegeben wird, woher diese Gebiete bekannt sind und wie sie

ausgewählt wurden. Es werden also sowohl bei den Roma als auch bei den Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft

Personen befragt, die eher in segregierten Wohngebieten leben. Sie sind damit nicht repräsentativ. Allerdings sind

Vergleiche zwischen Roma und Nicht-Roma, die in derselben Umgebung leben möglich.

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29Roma in Deutschland und Europa

Im Vergleich zeigt sich ein düsteres Bild. Zwischen Roma und den in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft leben-

den Nicht-Roma lassen sich erhebliche Unterschiede bezüglich der sozioökonomischen Situation feststellen. Die

Situation der befragten Roma ist häug besorgniserregend. In den vier Kernbereichen Beschäftigung, Bildung,

Wohnraum und Gesundheit ist ihre Situation im Durchschnitt schlechter als die der Nicht-Roma; Beispiele hierfür

sind, dass

Nur jedes zweite Roma-Kind besucht eine Vorschule oder Kindergarten,

nur 15% der befragten jungen Erwachsenen unter den Roma schließen die Sekundarstufe II oder eine

Berufsausbildung ab,

weniger als ein Drittel der befragten Roma geht einer bezahlten Beschäftigung nach,

etwa 20% der Befragten geben an, keine Krankenversicherung oder nicht zu wissen, ob sie eine Krankenver-

sicherung haben,

im Durchschnitt wird in den Roma-Haushalten ein Zimmer von mehr als zwei Personen bewohnt,

etwa 90% der befragten Roma leben in Haushalten, deren Äquivalenzeinkommen unterhalb der Armuts-

grenze des jeweiligen Landes liegt.

Neben den Unterschieden die zwischen Roma und ihren Nachbarn, die keine Roma sind, bestehen, zeigt die Unter-

suchung, dass die Situation in den jeweiligen Ländern sehr verschieden ist. Die Ergebnisse können insofern nicht

auf Deutschland übertragen werden.

Die Befragung von Roma in eigenethnisch konzentrierten Wohngebieten ist aus pragmatischen Gründen nachvoll-

ziehbar. Register oder Listen, in denen die ethnische Zugehörigkeit der Bürger vermerkt ist, gibt es aus historischen

und ethischen Gründen in den meisten Ländern nicht. Es ist daher nicht möglich auf einer entsprechenden Basis

eine Zufallsstichprobe zu ziehen. Ein Screeningverfahren, in dem vor dem eigentlichen Interview durch vorge-

schaltete Fragen geklärt wird, ob der Betreffende zur Zielgruppe gehört, ist aufgrund des vergleichsweise geringen

Bevölkerungsanteils der Roma innerhalb der Gesamtbevölkerung sehr aufwendig. Hinzu kommt, dass nicht sicher

ist, ob sich Roma auf Nachfrage auch als solche zu erkennen geben. Dennoch ist der gewählte Ansatz insofern

problematisch, als er eine Verzerrung dahingehend bedingt, dass die Situation sozial benachteiligter Roma in den

betreffenden Ländern gespiegelt wird und die Ergebnisse nicht repräsentativ für die Gesamtgruppe sind. Es steht zu

befürchten, dass durch quantitative Studien, in denen aufgrund des Studiendesigns überwiegend sozial benachtei-

ligte Angehörige einer Minderheitengruppe befragt werden, bestehende Vorurteile gegenüber dieser Minderheiten-

gruppe gefestigt werden.

3.4 Zusammenfassende Betrachtung

Die wenigen quantitativen Studien sind nicht repräsentativ. Hintergrund ist, dass es keine geeigneten Verfahren

gibt, um bei vertretbarem Aufwand eine Zufallsstichprobe für Sinti und Roma zu ziehen (s. hierzu auch nächster

Punkt). Somit liegen keine belastbaren Aussagen zum Integrationsstand von Roma (sowohl für deutsche Sinti und

Roma als auch zugewanderte Roma) vor. Hauptgrund für die Nichtdurchführbarkeit einer repräsentativen Stich-

probe ist, dass die Grundgesamtheit der Sinti- und Romabevölkerung in Deutschland nicht eindeutig abgrenzbar

und zahlenmäßig bestimmbar ist.

„Die Roma-Population wird für viele europäische Länder geschätzt, indem Wanderungsbewegungen rekonstru-

iert werden. Die Fehleranfälligkeit solcher Berechnungen ist jedoch hoch. Gerade ältere Schätzungen beschreiben

angesichts der jüngeren Flüchtlingsbewegungen die realen Bevölkerungsgrößen nur noch sehr ungenau. Das

Fehlen von belastbaren empirischen Studien führt zwangsläug dazu, dass dasselbe Datenmaterial wiederholt und

fortgeschrieben wird. Veröffentlichungen zu den Roma in Deutschland müssen darüber hinaus vor folgendem

Hintergrund interpretiert werden: Tendenziell neigen staatliche Verwaltungen zu niedrigeren Angaben, während

Roma-Organisationen die Bevölkerungsparameter höher beziffern, um mehr politisches Gewicht zu erlangen. Die

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30 Roma in Deutschland und Europa

Schätzungen können daher nur als Annäherung an die wahren Bevölkerungsparameter gewertet werden – da es

keine Alternative gibt, dienen sie als Datengrundlage für die Roma-Forschung.“ (Grienig 2010b, S.3)

Im Gegenteil zu einer spärlichen Forschungslage im Bereich der quantitativen Sinti und Roma Studien, ist die

Anzahl der qualitativ angelegten Studien groß. Diese Studien beschäftigen sich vorrangig mit vielfachen Benach-

teiligungserfahrungen von alteingesessenen sowie neu zugewanderten Sinti und Roma in Deutschland mit einem

besonderen Fokus auf die lokalen Problemlagen der einzelnen Roma-Gemeinden in Deutschland.

Machbarkeit einer empiri-schen Studie zu Sinti und Roma

Vor dem Hintergrund der in diesem Bericht angesprochenen Probleme der zahlenmäßigen Erfassung von Sinti

und Roma in Deutschland sowie unter Berücksichtigung des erhobenen Forschungstandes ist zu prüfen, ob eine

quantitative oder eine qualitativ angelegte Befragung im Rahmen der Ressortforschung des Bundesamtes realisiert

werden kann. Sowohl für eine quantitative als auch für eine qualitative Studie ergeben sich folgende Herausforde-

rungen.

4.1 Problematische Rahmenbedingungen

Die Frage nach der Zugehörigkeit zu Sinti und Roma Minderheit sollte in qualitativen sowie in quantitativen Be-

fragungen, insbesondere wenn sie von staatlichen Stellen durchgeführt werden, sehr vorsichtig formuliert werden.

Es ist zu erwarten, dass Sinti und Roma sich aus Furcht vor Stigmatisierung und Diskriminierung, teilweise auch

auf Nachfrage, nicht als solche zu erkennen geben oder die Befragung verweigern.26 In der empirischen Forschung

führt dies zu selektiven Ausfällen, die die Validität und Qualität der Ergebnisse beeinträchtigen.

Grundsätzlich sollten Studien zu Sinti und Roma mit den entsprechenden Verbänden abgestimmt werden, um u.a.

die Teilnahmebereitschaft zu erhöhen. Hier besteht jedoch die Gefahr, dass im Rahmen des Abstimmungsprozesses

wissenschaftliche Qualitätsstandards (z.B. Durchführung der Befragung durch geschulte Interviewer) nicht mehr

aufrechterhalten werden können.

26 Quelle: Strauß, Daniel (Hg.) 2011: Studie zur aktuellen Bildungssituation deutscher Sinti und Roma. Dokumentation und Forschungsbericht: 99.

4

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31Roma in Deutschland und Europa

Studien zu Sinti und Roma in Deutschland werden seitens der Vertreter der Sinti und Roma Verbände kritisiert. Die

Verbände haben vor allem Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Ergebnisse, weil diese nicht in Kooperation mit den

Sinti und Roma Gemeinden hergestellt werden, sondern das Problem lediglich „von außerhalb“ betrachten und

somit die Situation dieser Minderheiten in Deutschland nur oberächlich erfassen können: „Sozialwissenschaftler

haben verschiedene Studien über Sinti und Roma durchgeführt, aber bislang wurde keine Studie von den Roma

selbst über ihre eigene Volksgruppe erstellt. Forschungsergebnisse über Sinti und Roma, die nicht mit einem par-

tizipatorischen Ansatz erbracht werden, haben den Anstrich, dass sie von außen aufgesetzt sind und laufen Gefahr,

dass sie zu Missverständnissen führen“ (Rolly 2012: 1).

4.2 Methodische Probleme einer quantitativen Untersuchung zu Sinti und Roma in Deutschland

Vor dem Hintergrund der oben dargestellten Rahmenbedingungen entstehen methodische Probleme für eine

quantitative Sinti und Roma Befragung.

4.2.1 Zugang zur Gruppe der Sinti und Roma

Voraussetzung für repräsentative Ergebnisse ist die Möglichkeit, bei vertretbarem Aufwand eine Zufalls-

stichprobe für Sinti und Roma ziehen zu können. Idealerweise läge ein Register vor (z.B. Melderegister, AZR),

in dem das Merkmal der ethnischen Zugehörigkeit vermerkt ist.

Ethnische Kriterien sind in amtlichen Statistiken/Registern jedoch nicht zuletzt aufgrund des Missbrauchs

entsprechender Daten im Nationalsozialismus nicht enthalten. Daher lässt sich aus bestehenden Listen oder

Registern (z.B. Einwohnermelderegister) keine Zufallsstichprobe für Sinti und Roma ziehen.

Ein weiteres übliches Verfahren, um eine Zufallsstichprobe für ausgewählte Populationen zu ziehen, stellt

das Screeningverfahren dar. Beim Screening wird aus der Gesamtpopulation durch spezielle Fragen in

einem Vorinterview die eigentliche Zielpopulation herausgeltert. Dieses Verfahren ist in Bezug auf die

Gruppe der Sinti und Roma in Deutschland zu aufwendig. Der Bevölkerungsanteil der deutschen Sinti und

Roma wird auf unter 0,2% geschätzt. 27 Demzufolge müssten 1.000 Personen befragt werden, um ein bis

zwei deutsche Sinti oder Roma zu erreichen. Der Anteil an ausländischen Roma, z.B. aus den EU-Staaten

Rumänien und Bulgarien, ist vermutlich noch geringer, so dass hier ein noch höherer und in keinster Weise

vertretbarer Screening-Aufwand nötig wäre.

Zu prüfen ist, ob das onomastische (namensbasierte) Verfahren bei Sinti und Roma angewendet werden

kann. Durch das onomastische Verfahren wird die Treffsicherheit beim Screening erhöht, da nicht die

Gesamtbevölkerung sondern nur Personen mit bestimmten Namen bei der Identikation der Zielpersonen

berücksichtigt werden. Generelle Voraussetzung für eine Anwendung des onomastischen Verfahrens ist,

dass es bestimmte Namen gibt, die bei Angehörigen der Zielgruppe häug vertreten sind, bei der Gesamt-

bevölkerung in Deutschland indessen selten. Praktische Voraussetzung für eine Umsetzung ist zudem, dass

eine (möglichst vollständige) Liste mit Namen von Sinti und Roma erstellt werden kann. In Anbetracht der

Heterogenität der Gruppe der Sinti und Roma scheint es unwahrscheinlich, dass beide Bedingungen erfüllt

sind bzw. erfüllt werden können.

Als mögliche Zugangswege bleiben somit nur das Schneeballverfahren und der alleinige Fokus auf konzentrierte

Wohngebiete. Mittels dieser Verfahren können jedoch keine repräsentativen oder auch belastbaren Daten gewon-

nen werden.

27 Quelle: Faraco, Cristina 2005: Länderbericht Deutschland. In: Europäisches Parlament, Generaldirektion Interne Politikberei-che der Union: Aspekte der ökonomischen Situation von Roma-Frauen: 19.

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32 Roma in Deutschland und Europa

4.2.2 Befragung von Sinti und Roma

Nur bei einer hohen, nicht selektiven Bereitschaft aller Sinti und Roma, an der Befragung teilzunehmen

und wahrheitsgemäße Aussagen zu treffen, kann von einer hohen Datenqualität ausgegangen werden.

Es muss aber vermutet werden, dass die Teilnahmebereitschaft niedrig ist, wenn eine Befragung „von au-

ßen“, d.h. von Nicht-Roma-Interviewern durchgeführt wird. Nochmal niedriger dürfte die Teilnahmebereit-

schaft sein, wenn die Studie von einer staatlicher Einrichtung durchgeführt wird.

Eine weitere Rolle, vor allem bei der Befragung ausländischer Roma, spielen Deutschkenntnisse. Diese reichen

aufgrund des hohen Anteils von Neuzuwanderern erfahrungsgemäß für eine Befragung nicht aus, so dass eine Be-

fragung in der Muttersprache Romanes (evtl. auch Rumänisch und Bulgarisch), notwendig wird. Dies erhöht nicht

nur den nanziellen und zeitlichen Aufwand für die Befragung, es ist zudem fraglich, ob es genügend geschulte

Interviewer mit diesen Fremdsprachenkenntnissen gibt.

4.3 Methodische Probleme einer qualitativen Befragung von Sinti und Roma in Deutschland

Das Konzept einer qualitativ angelegten Sinti und Roma Befragung muss folgende methodische Herausforderun-

gen berücksichtigen.

4.3.1 Verzerrung der Ergebnisse aufgrund von einem erschwerten Zugang zu den Befragungsteilnehmern

Die qualitative Sinti und Roma Forschung wird dafür kritisiert, dass sie hoch selektive Gruppen von Sinti und Roma

untersucht. Die Selbstselektion der Befragungsteilnehmer wird in diesen qualitativen Studien selten berücksichtigt.

Tendenziell geraten lediglich problematische Integrationsverläufe von Sinti und Roma in den Blick dieser Studien.

Eine der Ausnahme dazu stellt eine qualitative Befragung der integrierten Sinti und Roma von Jonuz (2009) dar.

Diese kommt zum Ergebnis, dass Personen, denen der soziale Aufstieg gelang, ihre Ethnizität als Roma verborgen

haben. Basierend auf diesem Ergebnis ist davon auszugehen, dass das Interesse der integrierten Sinti und Roma an

einer Befragung mit einem deutlichen Fokus auf die ethnische Herkunft verschwindend gering sein wird.

Eine qualitative Befragung, die seitens der Forschungsgruppe des Bundesamtes durchgeführt werden würde, wird

mit hoher Wahrscheinlichkeit auf die oben beschriebenen Probleme stoßen. Denn untersucht werden können le-

diglich einzelne Sinti und Roma Gemeinden in ausgewählten Städten, in denen die öffentliche Wahrnehmung der

Roma durch besondere Problemlagen gekennzeichnet ist. Der Zugang zu Befragungsteilnehmern erfolgt entweder

durch die „Experten“ (Kommunalvertreter, Sozialarbeiter, Vertreter der Sinti und Roma Vereinigungen) oder durch

die persönlichen Netzwerke der Forscher zu Sinti und Roma Minderheiten. Der letzte Zugangsweg ist sehr lang-

wierig und aufwändig und kann lediglich mittels einer teilnehmenden Beobachtung gelingen. Dieser Weg würde

dauerhafte Aufenthalte von den Projektbearbeitern in den Untersuchungsorten und entsprechende Sprachkennt-

nisse erfordern und aufgrund der institutionellen Angebundenheit der Forschung im Bundesamt für Migration

und Flüchtlinge auf erhebliche Glaubwürdigkeitsprobleme stoßen. Deshalb erscheint diese Zugangsstrategie als

nicht realisierbar. Somit kann der Zugang nur durch die Experten erfolgen. Es ist wahrscheinlich, dass Experten

die „Problemfälle“ – Sinti und Roma Minderheiten in schwierigen Lebenslagen – vor Augen haben und auf diese

verweisen werden. Der Zugang zu den Befragungsteilnehmern, die über positive Integrationsverläufe berichten

können, ist kaum möglich.

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33Roma in Deutschland und Europa

4.3.2 Überschneidungen mit bereits vorhandenen Sinti und Roma Studien

Wie bereits erwähnt, existiert in der deutschsprachigen Diskussion „eine mittlerweile unüberschaubare Vielzahl

an Veröffentlichungen zu Sinti und Roma“ (Koch 2010: 256). Die Studien der 1990er Jahre widmeten sich Roma, die

vor dem Hintergrund der ethnischen Konikte im ehemaligen Jugoslawien nach Deutschland kamen und auslän-

derrechtlich geduldet waren. Mehrfache Benachteiligungen dieser ausländischen Roma war ein zentrales Thema

der Studien. Die gegenwärtige Antiziganismusforschung sowie Tsiganologie beschäftigt sich mit den Ursachen der

Ausgrenzung und Verfolgung der Sinti und Roma in den Herkunfts- sowie in den Einwanderungsregionen. All die-

se Studien erheben den Anspruch, mithilfe der Ergebnisse auf die besonderen Problemlagen und auf die Schutzbe-

dürftigkeit der verfolgten Minderheit aufmerksam zu machen.

Der Forschungsüberblick lässt annehmen, dass vielfache Benachteiligungen und Problemlagen der Sinti und Roma

in Deutschland hinreichend diskutiert und beschrieben worden sind. Eine weitere qualitative Studie zu Problemla-

gen einzelner Sinti und Roma Gemeinden in Deutschland würde keinen Erkenntnisgewinn versprechen und ist aus

der Sicht der Forschungsgruppe daher nicht sinnvoll.

4.3.3 Kooperationsanforderungen bei der Durchführung einer qualitativen

StudieInsbesondere bei einer qualitativ angelegten Untersuchung von Sinti und Roma in Deutschland wird man auf eine

umfangreiche Kooperation mit den entsprechenden örtlichen und regionalen Verbänden von Sinti und Roma bzw.

mit dem Dachverband der deutschen Sinti und Roma angewiesen sein. Denn diese Vereinigungen und Verbände

können den ohnehin schwierigen Zugang zu den potenziellen Befragungsteilnehmern erleichtern. Es ist davon

auszugehen, dass man bei einer Kooperationsanbahnung mit dem Anspruch der Verbände konfrontiert wird, die

Untersuchung im Sinne „eines partizipatorischen Ansatzes“, mit anderen Worten, in Zusammenarbeit mit externen

Forschern (mit Sinti und Roma Hintergrund) umzusetzen. Dabei erscheint eine solche umfangreiche Kooperation

angesichts der knappen zeitlichen Dimension der Projekte der Forschungsgruppe (ein bis zwei Jahre) als eine Her-

ausforderung. Hohe Abstimmungsbedarfe werden sowohl in der Phase der Datenerhebung, wie auch in der Phase

der Prüfung von Datenqualität und in der Phase der Abstimmung von Forschungsergebnissen entstehen.

4.4 Fazit

Eine quantitative Studie mit repräsentativen Ergebnissen zu Sinti und Roma ist alleine schon aus methodischen

Gründen nicht möglich.

Eine qualitative Befragung der Sinti und Roma stößt auf Probleme des Zugangs zu Befragungsteilnehmern. Im

Ergebnis kann sie lediglich die bereits vorhandenen Erkenntnisse zur Benachteiligung dieser Bevölkerungsgruppe

wiederholen. Zudem setzt eine solche Befragung eine umfassende und somit eine sehr aufwändige Abstimmung

mit den Sinti und Roma Verbänden voraus.

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