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25.01.2019
Durchfall, Verstopfung, Bauchschmerzen
PD Dr. med. Benjamin Misselwitz
Oberarzt, Bauchzentrum
Klinik für Viszerale Chirurgie und Medizin
Inselspital Bern
23. Januar 2019
Chronische Verstopfung
Arzt/ Ärztin
Stuhlfrequenz ≤2x pro Woche
Patient
Stuhl hart
Starkes pressen
Unvollständige Entleerung60% der Patienten mit Verstopfung
haben tgl. Stuhlgang
Das häufigste gastroenterologische Symptom
- Prävalenz von 10-28% (40% bei älteren Patienten)
Locke et al., Gastroenterology 2000; 119:1765
Am J Gastroenterol 2005; 100:S1
Unbefriedigende Stuhlentleerung bei seltener und/ oder schwieriger Defäkation
Slow transit constipation – langsame Kolonpassage
An Tag 5 werden normalerweise
80% der Marker evakuiiert.
Neurogen
• Diabetes mellitus
• Autonome Neuropathie
• Multiple Sklerose, M. Parkinson,
Rückenmarksverletzung
Anderes
• Hypothyreose,
• Hypokaliämie⬇︎• Anorexia nervosa
• Systemische Sklerose…⬇︎⬇︎
Medikamente
• Antihistaminika, Spasmolytika
• Antidepressiva, Neuroleptika
• Antihypertensiva (Ca-Kanalblocker)
• Opiate, Eisensubstitution
• 5HT3-Antagonisten
Outlet-Problematik – erschwerte Evakuation
• Stuhlgang wird rektal wahrgenommen, kann jedoch nicht evakuiert werden
Problem wird auf den letzten Zentimetern gespürt
• Probleme bei festen und flüssigem Stuhl
Physikalische Obstruktion
• Tumor, Polyp
• Rektozele
• Intussuszeption
• Prolaps
Muskelkoordination
• “Dyssynerge Defäkation”
• “Anismus”
Pathophysiologie der chronischen Verstopfung
0 20 40 60 80
normale Transitzeit
Outlet
Slow transit
Slow transit + Outlet
Column: Entering averaged data
% Patienten
13%
25%
~60%
Bei 60% der Patienten findet sich kein Korrelat der
Verstopfung in den Untersuchungen
Nyam et al., Dis Colon Rectum 1997; 40:273
N=1009
Definition Durchfall (Diarrhoe)
WHO: Passage von 3 oder mehr
ungeformten oder flüssigen Stuhlgängen
innerhalb von 24h
• Verminderte Stuhlkonsistenz
• Stuhlgewicht >250g oder
Stuhlvolumen >250ml
Akute Diarrhoe < 2 Wochen (meist infektiös)
Persistierende Diarrhoe ≥2 Wochen - ≤ 30 Tage
Chronische Diarrhoe > 30 Tage
Patientensicht : Durchfall = Stuhlinkontinenz
Stuhlfrequenz ↑
Stuhlkonsistenz ↓
Stuhlgewicht, Stuhlvolumen ↑
Stuhldrang (“urgency”)
Stuhlinkontinenz
14% von 5300 Patientinnen
Nur 10% hatten einen Arzt konsultiert
OR ~50 bei Diarrhoe
OR ~4 bei gynäkologischer
Begleiterkrankung
Verminderte Lebensqualität
Bharucha et al., Gastroenterology 2010; 139:1559
Wahrs
chein
lichkeit
(OR
) fü
rS
tuh
lino
ntinenz
Inkontinenz muss aktiv erfragt werden.
Einfuhr
Essen & Trinken ~2 Liter pro Tag
Sekretion
Dünndarm
7-8 l
Dickdarm
1-2 lExkretion
Stuhl 150 – 250 ml pro Tag
Absorption
Gastrointestinaler Flüssigkeitshaushalt
Magen 1.5-2.5 l
Galle 0.8 l
Pankreas 2.5 l
Speichel 2 l
Ursachen einer chronischen Diarrhoe(nicht erschöpfend)
Kongenital (angeboren)
• Disaccharidasedefizienz
Erworbene Neoplasie
• Kolon neoplasia (Karzinom, grosses Adenom)
• Pankreasneoplasie
• Lymphom
• Karzinoid/ VIPom
Entzündliche Diarrhoe
• Colitis ulcerosa
• Morbus Crohn
• Lymphozytäre Colitis
• Kollagenkolitis
• Strahlenenteritis
Infektiöse Diarrhöe
• Morbus Whipple
• Tropische Sprue
• Giardiasis
• Isospora Belli
• HIV-Infektion
Malabsorption
• Sprue (Zöliakie)
• Chronische Pankreatitis
• Gallensäurenmalabsorption
Metabolisch / Endokrin
• Hyperthyreose, M. Addison
• Diabetes mellitus
• Hypoparathyroidismus
Iatrogen
• Medikamentös
• Chirurgie – Bariatrie: Bypasschirurgie, Vagotomie
Anderes
• Alkohol
• Amyloidose
• Mesenteriale Ischämie
• Autonome Neuropathie
• Faktitiöse Diarrhoe
Funktionell
• Funktionelle Diarrhoe
• Reizdarmsyndrom mit Diarrhoe
Ursachen chronischer abdomineller
Beschwerden
Organische/ strukturelle gastrointestinale Erkrankungen
Entzündung
Ulzerationen
Karzinome…
Funktionelle gastrointestinale Erkrankungen
Normale Darmanatomie
Normale Darmmukosa
Abnormale Verdauung
Abnormale Schmerzempfindung
>70%
<30%
Prävalenz von funktionellen Erkrankungen
Populationsbasierte Studie (n=2000 Hangzhou, China)
Mitglieder von 5 Gemeinden, zufällige ausgewählt
Persönliche Interviews (einschliesslich Rome-Kriterien)
Ning Dai, Mark Fox
Unpublished data
0%
5%
10%7% 7% 6%
10%
Prävalenz kolorektales Karzinom 50-80 Jahre: ~0.2%
Prävalenz chron. entzündliche Darmerkrankung: ~0.3%
Differentialdiagnostisches Abwägen
Funktionell Strukturell/ organisch
Sehr hohe Prävalenz
Sehr häufig richtig
Erspart teure Diagnostik
Therapie wird verpasst
oder verzögert
Unter Umständen
Nachteil für den
Patienten
Kolonkarzinom….
Alarmsymptome
• Neue Gastrointestinale Beschwerden bei älteren Patienten
• Kürzliche Änderungen der Stuhlgewohnheiten >50 Jahre
• Hinweise für gastrointestinale Blutung
• Hämatemesis, Hämoatochezie
• Teerstuhl – schwarz, klebrig, wie Teer auf der Autobahn
• Eisenmangel
• Signifikanter Gewichtsverlust
• >2kg, >5kg, >10kg: ohne klare Ursache (disziplinierte Diät)
• Nächtliche Beschwerden (erwachen aus dem Schlaf)
• Abdominelle Resistenz
• Schmerzhafter Stuhlgang
Wang et al. Arch Intern Med 2005;165:1222
• Schmerz ist ein negatives Alarmsymptom!
• OR 0.2 für Karzinome in einer Metaanalyse
• «Test of Time»: Identische Beschwerden seit >5 Jahren
Negative Alarmsymptome
Kolonkarzinom - Lebenszeitprävalenz Schweiz 5%
Polyp Polypektomie Karzinom
Pietge et al., Swiss Medical Forum; 17:943
Zeit Karzinom Symptome: 3 Jahre = Fenster für Krebsfrüherkennung
• 5-Jahre Mortalität Stadium I: 5%
• 5-Jahre Mortalität Stadium IV: 95%
Polypenpatienten sind Risikopatienten Surveillance-Koloskopie
Zeit Adenom Karzinom: 10 Jahre = Fenster für Krebsprävention
Koloskopiescreening Schweiz: 50-69 Jahre, alle 10 Jahre
Kolonoskopie-Screening
Pietge et al., Swiss Medical Forum 2018; 17:943
Prakash et al., BMC Med Dec Making 2017; 17:80
Cave: Es gibt keine randomisierten kontrollierten Koloskopiestudien
bzgl. Prävention des Kolonkarzinoms
Computersimulation (Mikrosimulation)
5% aller Schweizer werden an einem Kolonkarzinom erkranken.
Koloskopiescreening kann lebenslang 30-80% aller Kolonkarzinome verhindern.
Differentialdiagnostische Unterscheidung
Organisch: „Ursache klar“
Sekundär zu einer definierten Ätiologie
Älter
M = F
Definierter Krankheitsbeginn
Diskrete Symptome
Keine anderen Beschwerden
Psychiatrische Begleiterkrankungen / psychosoziale Stressfaktoren = Allgemeinbevölkerung
Spricht auf spezifische Therapie an
Arzt - Patient
MAN KANN ETWAS TUN!
Funktionell: „Ursache unklar“
Das primäre Problem?
Jünger
F > M (in kaukasischen Populationen)
Schwer definierbarer Krankheitsbeginn
Diffuse, oft schmerzhafte Symptome
Andere funktionelle Syndrome
Psychiatrische Begleiterkrankungen / psychosoziale Stressfaktoren > Allgemeinbevölkerung
Spricht nicht auf spezifische Therapie an
Arzt - Patient
MAN KANN NICHTS MACHEN???
Management funktioneller Beschwerden
Do Not
Bagatellisieren: „Es ist alles nur im Kopf und wird schon besser werden“
Behandlung bei normaler Endoskopie, Labor, Bildgebung abschliessen
Do
Den Patient fragen was ihn/ sie besorgt und was er/ sie denkt, dass nicht in
Ordnung ist
Patienten bestätigen und eine Erklärung der Beschwerden geben, am besten
in den Worten des Patienten
Suchen: Angst, Depression, Somatisierung, Stress, Live events
Eine rationale Therapie beginnen
Patientenbeteiligung bei Symptomkontrolle ermöglichen
Lebensqualität verbessern
Funktionelle Magendarmerkrankungen
Funktionelle Dyspepsie
- “epigastric pain syndrome”
- “postprandiales Dysstress-Syndrom”
Funktioneller Thoraxschmerz
Funktionelle Refluxbeschwerden
“Irritable Bowel Syndrome” (IBS)
Reizdarmsyndrom”
Funktionelle Diarrhoe
Funktionelle Obstipation
Schmulson et al., J Neurogastroenterol Motil 2017; 23:151
Normale makroskopische und mikroskopische Struktur des Magendarmtraktes
- aber eingeschränkte Funktion bzw. Beschwerden
Wiederkehrende abdominelle Schmerzen, durchschnittlich mindestens einmal
pro Woche innerhalb der letzten drei Monate, assoziiert mit zwei der drei
folgenden Faktoren:
• Stuhlentleerung
• Veränderung der Stuhlhäufigkeit
• Veränderung der Stuhlkonsistenz
Die Kriterien sollen die letzten drei Monate erfüllt sein, während der Beginn der
Symptome mindestens sechs Monate zurückliegen soll
Rome IV-Kriterien für Reizdarmsyndrom
% S
tuhle
ntleeru
ngen
hart
oder
klu
mpig
% Stuhlentleerungen breiig oder flüssig
IBS-Subtypen: Stuhlform
Wiederkehrende abdominelle Schmerzen, durchschnittlich mindestens einmal pro Woche
innerhalb der letzten drei Monate, assoziiert mit zwei der drei folgenden Faktoren:
• Stuhlentleerung
• Veränderung der Stuhlhäufigkeit
• Veränderung der Stuhlkonsistenz
Die Kriterien sollen die letzten drei Monate erfüllt sein, während der Beginn der Symptome
mindestens sechs Monate zurückliegen soll
Rome IV-Kriterien für Reizdarmsyndrom
Schmulson et al., J Neurogastroenterol Motil 2017; 23:151
• Koloskopie (Kolonkarzinom, chronisch entzündliche Darmerkrankungen)
• Gastroskopie (Ausschluss Magenkarzinom, Sprue, Ulcus)
• Sonographie Abdomen (Leber-, Pankreaspatholologie, Malignome)
• Blutuntersuchung (Leber, Niere, Elektrolyte, Schilddrüse…)
• Stuhluntersuchung (Calprotectin, Pankreasinsuffizienz)
Positive Diagnose
Ausschlussdiagnose
Fundierte initiale Abklärung – Vermeidung repetitiver Untersuchungen
Symptomentstehung bei funktionellen
gastrointestinalen Erkrankungen – ein Modell
Stärke des Stimulus – endogen oder aus Umwelt(z.B. Malabsorption, Entzündung)
Em
pfi
nd
lich
keit
des
Pati
en
t(S
tärk
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er
Besch
werd
en
bei
def.
Sti
mu
lus)
GesundheitKeine Symptome
Keine objektive Dysfunktion
HypersensitiveSymptom > Dysfunktion
Symptome fehlender oder
milder Dysfunktion.
(z.B. Blähungen und
Schmerz bei IBS)
Schwere ErkrankungSymptome (additiv)
wegen Dysfunktion und
Hypersensitivität
HyposensitiveSymptom < Dysfunktion
Based on: Fox & Schwizer Gut 2008:57:435-9
Gibson P. J Gastroenterol Hepatol. 2011; 26 S3:128
Symptome werden im Magendarmtrakt vom enterischen Nervensystem generiert
Das Gehirn moduliert und filtert die im Darm erzeugten Reize
Darmsymptome bewirken Stress
Stressbeeinflusst
Darmfunktion
Symptomentstehung bei funktionellen
gastrointestinalen Erkrankungen – ein Modell
Erklärung dieser Mechanismen lindert oft Beschwerden.
Diät bei gastrointestinalen Beschwerden
• >60% der Patienten machen eine Nahrungsallergie oder –intoleranz
für die Beschwerden verantworlich
• Nur bei 11-27% aller Patienten bestätigt sich das vermuteteNahrungsmittel bei einer doppelt verblindeten Testung
• Die Mehrheit der IBS-Patienten beginnt eine Ernährungsumstellung
• Manchmal in einem Mass dass es zu Mangelernährung kommt
Bohn et al., Am J Gastroenterol 2013; Rona et al., J Allergy Clin Immunol 2007; Lack et al., Allergy Clin Immunol 2008; Bhat et al., APT 2002; Young et al., Lancet 1994; Ford et al., Am J Gastroenterol
“Nahrungs-
Allergie”
Nahrungs-
Intolerance
Nahrungs-
Aversion
• Laktosemalabsorption und Laktoseintoleranz
• Laktose ist der wichtigste Zucker in der Milch aller Säugetiere
ausser dem Seelöwen
• Primäre Laktasedefizienz hat eine genetische Ursache
• Laktosemalabsorption ist häufig
Warum bekommen nicht alle Patienten Beschwerden?
OH
OH
OH
OH
CH2OH
OOH
OH
OH
OH
CH2OH
O
Diarrhoe, Übelkeit,
Bauchschmerzen,
Blähungen
Modell: Laktoseintoleranz
Laktose Laktose
Laktase-
defizienz
Laktase
Laktoseintoleranz bei Gesunden und IBS-D Patienten
Laktosemalabsorption ist bei Gesunden und IBS-D ähnlich häufig
mehr Symptome bei IBS-D
Beschwerden hängen von viszeraler Sensitivität ab
Lactose Malabsorption Lactose Intolerance
41.6
86.7
93.3
35
3.3
*85
**46.7
*18.3
80
73.3
21.7
91.6
0
10
20
30
40
50
60
70
80
90
100
10g 20g 40g 10g 20g 40g
Dose of lactose
Per
cen
tage
of
posi
tive
HB
T (
%)
D-IBS
HVs
Malabsorption Symptome
@10g
OR 6.5
P=0.008
@ 20g
OR 3.2
P=0.004
@ 40g
OR 2.6
P=0.03
Yang et al. Clin Gastro Heptol 2013; Zhu et al. Am J Gastroenterol 2013; Yang et al. NGM 2014
% p
ositiv
e H
2-A
tem
tests
Laktosedosis
Fermentable
Oligosaccharides
Disaccharides
Monosaccharides
And
Polyols
Laktose (Laktulose)
Fruct0-oligosaccharide (Fruktane)
Galacto-0ligosaccharide (GOS)
Fruktose
Sorbitol, Mannitol
Halmos et al., Gastroenterol 2014; 146: 67
• Randomisiert, kontrolliert, single-
blind, crossover
• 30 Patients mit IBS + 8 HV
• FODMAPs-Gehalt:
Low FODMAP: 3 g/Tag
Typisch Australisch: 24 g/Tag
• Schmerz bei IBS Patienten hat sich
signifikant unter low FODMAP Diät
verbessert
• Kein Effekt auf HV
Eine FODMAPs reduzierte Diät vermindert
Reizdarm-Symptome
Evidenzbasierte Empfehlungen: Behandlung IBS
Nahrungsmittelumstellungen
FODMAPS-Diät (fermentierbare Oligo-, Di-, Monosaccharide und Polyole)
IBS-Diät (reguläre, normalgrosse Mahlzeiten, wenig Fett, Koffein,
unlösliche Fasern, blähende Nahrung etc.)
Symptomverbesserung: 50% FODMAPS, 46% IBS-Diät
Körperliche Aktivität
20-60min, 3-5x pro Woche RCT: 43% vs. 26% Symptomverbesserung
Stuhlregulation: Fasermedikamente (Normacol, Metamucil)
Verstopfung: Lubiprostone (Amitiza), Linaclotide (Constella), Prucalopride (Resolor)
Diarrhoe: Quantalan, Loperamide, Ondansetron, Eluxadolin
Amitryptilin 10-25mg/d
…
Böhn et al., Gastroenterology 2015; 149:1339
Realistische Prognosen12 Jahre follow-up, populationsbasierte Studie
Patienten mit
funktionellen
Abdominalbeschwerden
20% identische
Beschwerden
30-50% andere
Beschwerden
30-50% keine
Beschwerden
Patienten ohne
Beschwerden
62% keine Beschwerden
Halder et al., Gastroenterology 2007; 133:799
Zusammenfassung
• Funktionelle Magendarmerkrankungen sind die häufigsten
Ursachen für Durchfall, Verstopfung und
Abdominalschmerzen
• “Augenmass” bei Abklärungen (initial fundiert).
Kolonkarzinomscreening nicht vergessen.
• Funktionelle Erkrankungen haben eine klare
Pathophysiologie. Diese sollte dem Patienten vermittelt
werden.
• Funktionelle Erkrankungen können behandelt werden. Die
FODMAPs Diät gibt Kontrolle über Beschwerden zurück
• Über mehrere Jahre bleiben funktionelle Beschwerden in 20%
gleich, in 30-50% verschiebt sich der Beschwerdecharakter