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EUROPARECHT Nomos Verlagsgesellschaft Baden-Baden Heft 3 Mai – Juni 2005 2005 Heft 3 EUROPARECHT E 21002 F

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EUROPARECHT

Nomos VerlagsgesellschaftBaden-Baden

Heft 3 • Mai – Juni 2005

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Fortsetzung Inhaltsverzeichnis hintere Umschlagseite

Inhaltsverzeichnis

Aufsätze

Prof. Dr. Gerd Winter, BremenKompetenzverteilung und Legitimation in der Europäischen Mehrebenenverwaltung ................................................................................... 255

Priv.-Doz. Dr. Wolfgang Weiß, BayreuthZur Haftung der EG für die Verletzung des WTO-Rechts ............................... 277

Prof. Dr. Christian Walter, JenaInternationalisierung des deutschen und Europäischen Verwaltungs-verfahrens- und Verwaltungsprozessrechts – am Beispiel der Århus-Konvention ........................................................................................... 304

Rechtsprechung

Gerichte der Mitgliedstaaten/Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften/Gericht erster Instanz

Vereinbarkeit des Vertrags über eine Verfassung für Europa mit der spanischen VerfassungUrteil des Verfassungsgerichtshof Spaniens, Erklärung DTC 1/2004 v. 13.12.2004 .............................................................. 339

Vorrang versus VorherrschaftAnmerkung zum Urteil des spanischen Tribunal Constitucional DTC 1/2004von Anne C. Becker, Berlin ............................................................................. 353

Duldungspflicht der Behörde bis zu einer Vorabentscheidung des EuGHBeschluss des VGH München v. 03.09.04, Az. 19 CE 04. 1973 ...................... 364

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Fortsetzung Inhaltsverzeichnis

Kleinere Beiträge, Berichte und Dokumente

Ökonomische und politische Integrationskonzeptionen im Wettstreit – Zum Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft vor fünfzig Jahrenvon Dr. Hannes Rösler, Hamburg .................................................................... 370

Zur „offenen Methode der Koordinierung“ als Mittel der Politikgestaltung in der Europäischen Unionvon Joachim Lang und Katarina Bergfeld, Berlin ........................................... 381

Rezensionen

Annette Guckelberger, Der Europäische Bürgerbeauftragte und die Petitionen zum Europäischen Parlament.(Heinrich Amadeus Wolff, München) ............................................................... 397

Christiane A. Flemisch, Umfang der Berechtigung und Verpflichtungen aus völkerrechtlichen Verträgen(Benedikt Bertenbreiter, München) ................................................................. 398

Bibliographie

Bücher und Zeitschriften .................................................................................. 400

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EUROPARECHT

In Verbindung mit der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Europarecht

herausgegeben von

Claus-Dieter Ehlermann, Ulrich Everling, Hans-J. Glaesner, Meinhard Hilf,Hans Peter Ipsen †, Joseph H. Kaiser †, Peter-Christian Müller-Graff,

Gert Nicolaysen, Hans-Jürgen Rabe, Jürgen Schwarze

Schriftleiter:Armin Hatje, Ingo Brinker

40. Jahrgang 2005 Heft 3, Mai – Juni

Kompetenzverteilung und Legitimation in der Europäischen Mehrebenenverwaltung1

Von Gerd Winter, Bremen

A. Phänomenologie der Mehrebenenverwaltung

Das klassische Modell der Exekutive im Zuständigkeitsbereich der EG – die euro-päischen Organe setzen Recht, die mitgliedstaatlichen Behörden führen es aus – ist einer differenzierteren Mehrebenenstruktur gewichen. Immer mehr staatliche Ver-waltungsfunktionen sind auf europäische Behörden verlagert worden, andere wer-den stellvertretend für alle anderen durch einen Mitgliedstaat (MS) wahrgenommen und wieder andere werden der gesellschaftlichen Selbstorganisation überantwortet. Die Formenvielfalt wirft die Frage auf, ob es übergreifende rechtspolitische und verfassungsrechtliche Maßstäbe gibt, die die Zuteilung und prozedurale Ausklei-dung der Kompetenzen anleiten. Für die legislativen wie auch für die judikativen Kompetenzen ist die Frage ausgiebig diskutiert worden, weniger dagegen für die administrativen Kompetenzen.Neben der mitgliedstaatlichen Verwaltung sind folgende Hauptformen in Betracht zu ziehen2 (s. die schematische Übersicht):

1 Der Beitrag beruht auf einem Vortrag des Verf. auf dem 14. Deutschen Verwaltungsrichtertag am 6. Mai 2004 in Bremen. Eine Vorfassung erschien 2004 in der Dokumentation zu der Tagung, hrsg. vom Verein Deutscher Verwaltungsgerichtstag e.V.

2 Vgl. E. Schmidt-Aßmann, Das Allgemeine Verwaltungsrecht als Ordnungsidee, Heidelberg, 2. Aufl. 2004, S. 384 ff.

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(1) Staatlicher („indirekter“) Vollzug von Gemeinschaftsrecht pro statu: Gemein-schaftsrecht wird durch die MS für ihren jeweiligen Hoheitsbereich ausgeführt.(2) Staatlicher („indirekter“) Vollzug von Gemeinschaftsrecht pro communitate: Ein MS, der Gemeinschaftsrecht „indirekt“ vollzieht, handelt dabei mit Wirkung für alle MS.3 Dem Modell liegt das Herkunftslandprinzip zu Grunde, sei dieses primärrechtlich (d.h. z.B. auf Art. 28 oder Art. 49 EGV) gestützt, sei es sekundär-rechtlich ausgeformt.4 Man spricht hier auch von transnationalem Verwaltungshan-deln.5

BehördenStaat A

BehördenStaat B

„Komito-logie“

Agentur

europ.priv.NormOrg

Gesellschaftl.Sphäre

Öffentl.Sphäre

Kommission, Rat

inländ. priv. NormOrg u. SV

ausländ. priv. NormOrg u. SV

Übersicht: Die Disintegration mitgliedstaatlicher Verwaltungskompetenzen

3 Dieser Typus war früher im gesundheits- und umweltbezogenen Produktrecht häufiger, wird dort aber mehr und mehr durch zentralisiertere Formen ersetzt. Verbreitet ist er im Dienstleistungs- und Niederlassungsrecht, z.B. hinsichtlich der Genehmigung der Niederlassung einer Versicherung. Bei den Überwachungsbefugnissen ist häufig eine Zuständigkeitsteilung vorgesehen: Überwachung in örtlicher Zuständigkeit, Sanktion bei Verstößen in Zuständigkeit des Sitzstaates. S. RL 2002/83 über Lebensversicherungen, Abl. L 345, S. 1, Art. 10, 11, 39; M. Ruffert, Der transnationale Verwaltungsakt, Die Verwaltung 2001, 453 ff., 458.

4 Nach Aussagen eines Kommissionsbeamten zeigt die Praxis, dass das „Prinzip der gegenseitigen Anerkennung in 85 % der Fälle greift ... Nur in 15 % der Fälle müssen wir überhaupt noch harmonisieren, nämlich da, wo wesentliche Ziele wie Verbraucher- oder Gesundheitsschutz so unterschiedlich sind, dass die Mittel nicht gleich-wertig sind“. H. Schmitt von Sydow, Governance im europäischen Mehrebenensystem, in: S. Magiera/K.-P. Sommermann, Verwaltung und Governance im Mehrebenensystem der EU, Berlin 2002, S. 171 ff., 177.

5 Vgl. St. Burbaum, Rechtsschutz gegen transnationales Verwaltungshandeln, Baden-Baden 2003.

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(3) Gemeinschaftseigener („direkter“) Vollzug von Gemeinschaftsrecht: Die Ver-waltungsaufgaben können dabei durch die Kommission und u.U. auch den Rat selbst oder mit Hilfe von Ausschüssen und Agenturen wahrgenommen werden.(a) Eigenverwaltung der Kommission und des Rates, gestützt auf Primärrecht (na-mentlich Art. 85 und 88 EGV) oder – immer häufiger – auf Sekundärrecht im Zu-sammenhang mit Art. 202 3. Spiegelstrich EGV.(b) Mitwirkung von Beratungs-, Verwaltungs- und Regelungsausschüssen an Kom-missionsentscheidungen6: Der Sinn dieser sog. Komitologie ist es, Sachverstand und Vollzugserfahrung aus den MS auf der Kommissionsebene einzubringen und dem Rat wie auch dem Europäischen Parlament in politisch kontroversen Fällen Einwirkungsmöglichkeiten zu eröffnen.(c) Agenturen: Sie sind verselbständigte Behörden, die aus den Generaldirektio-nen ausgegliederte Aufgaben erledigen und neben einem Exekutivorgan meist ei-nen Verwaltungsrat besitzen, in dem neben Kommissionsvertretern auch die MS vertreten sind. Zu unterscheiden sind7 Agenturen mit Entscheidungsbefugnis wie das Europäische Markenamt8, Agenturen, die der Vorbereitung von Kommissions-entscheidungen dienen wie die Europäische Arzneimittelagentur9, und Agenturen, die der Sammlung, Aufbereitung und Veröffentlichung allgemeiner Informationen dienen wie die Europäische Umweltagentur.10

(4) Selbstorganisierter Vollzug von Gemeinschaftsrecht: Er ist im Bereich der tech-nischen Normung besonders ausgeprägt und betrifft sowohl die Regelsetzung wie die Entscheidung in Einzelfällen:(a) Selbstorganisierte technische Normung: Nach der sog. „neuen Konzeption zur technischen Harmonisierung und Normung“ werden technische Normen nicht mehr durch Gemeinschaftsrechtsakte fixiert, sondern nur im Schutzniveau recht-lich umschrieben und durch Normungsorganisationen konkretisiert. Der Typus ist im Bereich der Produktsicherheit, weniger dagegen im Umweltrecht verbreitet11

(b) Konformitätsprüfung durch anerkannte Sachverständige: Die Konformität ein-zelner Produkte oder Dienstleistungen mit technischen Regeln – seien sie selbstor-ganisierten oder hoheitlichen Ursprungs – wird statt durch Behörden durch private Sachverständige geprüft und zertifiziert.12 Die Sachverständigen werden dann, da sie eine öffentliche Aufgabe wahrnehmen, ihrerseits behördlich anerkannt (akkre-

6 Ratsbeschluss Nr. 1999/468.7 E. Chiti, The emergence of a community administration: the case of European agencies, CMLR 37 (2000),

309 ff.; Th. Groß, Die Kooperation zwischen europäischen Agenturen und nationalen Behörden, EuR 2005, 54 ff.

8 VO Nr. 40/93 über die Gemeinschaftsmarke, ABl. L 11, S. 1.9 VO Nr. 2309/93 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Hu-

man- und Tierarzneimitteln und zur Schaffung einer Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimit-teln, ABl. L 214, S. 1.

10 VO Nr. 1210/90 zur Errichtung einer Europäischen Umweltagentur und eines Europäischen Umweltinformati-ons- und Umweltbeobachtungsnetzes, ABl. L 120, S. 1.

11 L. Krämer, EC Environmental Law, London, 5th ed. 2003, p. 237 et seq., mit Bezug auf RL 94/62 über Verpa-ckungen und Verpackungsabfälle, ABl. L 265/10, Art. 9, 10.

12 Varianten der Konformitätsprüfung werden durch Ratsbeschlusss 93/465, Abl. L 220, S. 25 typisiert.

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ditiert), wie z.B. im EMAS-System.13 Anerkannte Sachverständige werden häufig grenzüberschreitend auch im Ausland tätig, wodurch ähnliche Probleme wie beim transnationalen Verwaltungshandeln entstehen.Die Ebenen Selbstorganisation – Staat – EG werden häufig in gestuften Verfahren hintereinandergeschaltet. Man spricht dann von Mischverwaltung. Die möglichen Varianten sind sehr vielfältig, aber es haben sich einige Haupttypen herausgebil-det:14

(1) Stufung der nationalen und europäischen Verwaltung: Anzutreffen ist die Vor-schaltung europäischer Akte vor eine nationale Entscheidung, wie auch der umge-kehrte Fall der Vorschaltung nationaler Akte vor die Kommissionsentscheidung. Bedeutsam ist dabei, wie die Verfahrensherrschaft verteilt ist: Wer die letzte Ent-scheidung trifft, kann auf bloß informatorische Beiträge des anderen verwiesen sein; es kann sein, dass der andere gehört werden oder sogar sein Einvernehmen erteilen muss; und es kann sein, dass er inhaltlich die Vorentscheidung nur noch nachvollziehen muss.(2) Stufung privater und hoheitlicher Verwaltung: Am häufigsten ist die Vorschal-tung privater Akte vor nationale und europäische Entscheidungen, wie z.B. bei Ver-weis von Genehmigungsvoraussetzungen auf technische Normung.Insgesamt ist also von einer Verwaltung auf mehreren Ebenen zu sprechen, die im zeitlichen Verfahrensverlauf in mehreren Stufungen miteinander verbunden wer-den: als Mehrebenenverwaltung im strukturellen Sinn, als Mehrstufenverwaltung im prozeduralen Sinn. Der Nationalstaat „zerfasert“15 durch Funktionsverlagerun-gen „nach oben“ (auf die supranationale Ebene), „zur Seite“ (auf transnational agierende Staaten) und „nach unten“ (auf gesellschaftliche Träger), bleibt in den neuen Verflechtungen der Mehrstufenverwaltung aber präsent und gewinnt dabei sogar an Einfluss auf andere.

B. Bewertung

Ursachen, Vorteile und Risiken der Mehrebenenverwaltung sind bisher wenig er-forscht worden. Hier können dazu nur wenige grobe Einschätzungen gegeben wer-den.Zur Supranationalisierung: deren Ursache ist die Unterschiedlichkeit der nationa-len Verwaltungen, die zu der sehr fortgeschrittenen Harmonisierung der rechtlichen

13 Art. 4 VO Nr. 761/2001 über die freiwillige Beteiligung von Organisationen an einem Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung (EMAS), ABl. L 114, S. 1.

14 Zu weiteren Formen s. A. Hatje, Die gemeinschaftsrechtliche Steuerung der Wirtschaftsverwaltung, Baden-Ba-den 1998, S. 47 und 168 ff. Bereichsspezifisch vertiefend s. J. S. Vent, Brave new world: the modernization and decentralization of enforcement under articles 81 and 82 of the EC treaty, CMLR 45 (2002) 545 ff. über Wett-bewerbsverwaltung und P. Craig, The constitutionalisation of Community administration, E.L.Rev. 28 (2003), 840 et seq. über Haushaltsvollzug und die Gemeinsame Agrarpolitik.

15 So die erkenntnisleitende Metapher für den DFG-Sonderforschungsbereich 597 „Staatlichkeit im Wandel“ der Universität Bremen, auf dem auch dieser Artikel fußt.

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Bedingungen in Spannung steht. Qualität, Geschwindigkeit und Überwachung von Entscheidungen können in den MS divergieren, was gesamtwirtschaftlich wie auch betriebswirtschaftlich zu unnötigen Kosten führt. Eine Hochzonung der Aufgaben ist andererseits mit Risiken verbunden, insbesondere, dass der supranationalen Ver-waltung die Sachnähe fehlt, Partizipation erschwert ist und nationale Unterschiede unnötig nivelliert werden.Zur Transnationalisierung: Sie ist ein Ausweg aus dem Dilemma, dass einerseits europäische Verwaltungsressourcen fehlen, andererseits eine Vollzugskompetenz aller einzelner MS zu vielgestaltig wäre. Ihrem Vorteil, dass sie relativ bürgernah operiert, stehen Risiken gegenüber, namentlich, dass die transnational zuständigen Behörden die Verhältnisse in den anderen Staaten nicht kennen und nur unvollkom-men einbeziehen, dass Drittbetroffene der anderen Staaten nur schwer beteiligt werden können und dass die Behörden der anderen Staaten die Ausführung der ausländischen Entscheidungen nicht sinnentsprechend überwachen, weil es nicht „ihre“ Entscheidungen sind.Zur Selbstorganisation: Sie strebt eine Rückverlagerung von staatlichen Funktio-nen in die Gesellschaft an und nutzt das Selbstorganisationspotential der Gesell-schaft aus. Dabei werden selbstorganisierte Verwaltungsleistungen nicht nur im na-tionalen Raum, sondern auch grenzüberschreitend erbracht. Die daraus resultieren-den Vorteile sind Sachnähe und Einsparung von Verwaltungskosten. Risiken beste-hen darin, dass im Bereich der privaten Normungsorganisationen Macht entsteht, die sich rechtlicher Steuerung entzieht, dass es den privaten Zertifizierern an Dis-tanz zum Auftraggeber fehlt und dass mittelbar betroffene Dritte nicht an den pri-vatisierten Verwaltungstätigkeiten beteiligt werden.Die Zerfaserung und Neuverflechtung hoheitlicher Verwaltung muss zunächst als ein Ergebnis politischer Prozesse gesehen werden. Im Folgenden soll gefragt wer-den, inwieweit die Dynamik der weiteren Entwicklung angesichts der damit ver-bundenen Risiken verfassungsrechtlichen Bindungen unterworfen ist. Dabei geht es vor allem um Maßstäbe der Kompetenzzuweisung und der demokratischen Le-gitimation.

I. Zuordnung von Aufgaben und Organisationsformen

1. Maßstäbe

Gemeinschaftsverfassungsrechtliche Maßstäbe für die Zuordnung von Aufgaben und Organisationsformen ergeben sich aus den Prinzipien der begrenzten Einzeler-mächtigung, der Subsidiarität, des institutionellen Gleichgewichts, der Effektivität und des Vorbehalts öffentlicher Verwaltung.

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a) Begrenzte Einzelermächtigung

Nach Art. 5 EGV bedarf jedes Tätigwerden der Gemeinschaft einer besonderen Kompetenzgrundlage.16 Dies gilt für die Rechtssetzung, den Erlass von Durchfüh-rungsvorschriften und auch für Einzelfallverwaltung, sei es solche in ausführender, sei es solche in beaufsichtigender Funktion.17 Jede Ermächtigungsgrundlage muss deshalb darauf untersucht werden, ob sie die Verlagerung von Verwaltungskompe-tenzen auf die Gemeinschaftsebene abdeckt. Für Sekundärrecht auf der Grundlage von Art.100a (jetzt 95) Abs. 1 EGV hat der EuGH in einem Urteil zur Produktsi-cherheitsrichtlinie dementsprechend differenziert festgestellt, dass „Maßnahmen zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften“ im Sinne dieser Be-stimmung auch „Maßnahmen hinsichtlich eines bestimmten Produkts oder einer bestimmten Produktkategorie und gegebenenfalls auch Einzelmaßnahmen hinsicht-lich dieser Produkte“ einschlössen.18 Der Versuch der klagenden BRD, die Kompe-tenzgrundlage nur auf die Setzung von Rechtsvorschriften zu begrenzen, wurde zurückgewiesen. Harmonisierende Maßnahmen seien u.U. auch im Hinblick auf den Einzelvollzug notwendig.Noch offen ist die Lösung allerdings in den Fällen, in denen die Kommission nicht mehr wie nach der Produktsicherheitsrichtlinie nationale Einzelentscheidungen harmonisiert, sondern selbst mit Direktwirkung durchentscheidet. Einen solchen Fall enthält die Arzneimittelverordnung. Die durch sie begründete Entscheidungs-kompetenz wurde vorsichtigerweise nicht auf Art. 100a (jetzt 95), sondern auf Art. 235 (jetzt 308) EGV gestützt.19

b) Subsidiarität

Das Subsidiaritätsprinzip wird zunehmend nicht nur als Prinzip der Zuordnung von Aufgaben zu den Ebenen hoheitlicher Verwaltung verstanden, sondern zugleich und grundsätzlicher als ein solches des Verhältnisses zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und hoheitlicher Aufgabenübernahme. Daraus ergeben sich drei Anforderungen des Subsidiaritätsprinzips20, nämlich (1) die Erforderlichkeit des

16 Die grundsätzliche „Vollzugsautonomie“ der MS wird häufig auch aus Art. 10 EGV (früher Art. 5 EWGV) abgeleitet (vgl. Hatje, a.a.O., S. 107), obwohl die Vorschrift genau genommen als Verpflichtung formuliert ist, die eine entsprechende Kompetenz voraussetzt.

17 Auch Art. 211 1. Spiegelstrich EGV enthält keine Übertragung einer pauschalen Vollzugs- und Aufsichtsgewalt, vgl. Hatje, a.a.O., S. 101 f.

18 EuGH Rs. C-359/92 (BRD/Rat), Slg. 1994, I- 3681, Rdnr. 37. Kritisch zu dem Urteil und zu dem Parallelfall der Einräumung einer Streitentscheidungskompetenz der Kommission im Rahmen der Novel Food-Verordnung R. Wahl/D. Groß, Die Europäisierung des Genehmigungsrechts am Beispiel der Novel Food-Verordnung, DVBl. 1998, 2 ff., 12 f. Zur Diskussion s. auch A. David, Die Inspektionen im Europäischen Verwaltungsrecht, Berlin 2003, S. 160 f.

19 Vgl. den letzten Erwägungsgrund der Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 des Rates (ABl. L 214, S. 1): „Für die Annahme eines einheitlichen Systems auf Gemeinschaftsebene, wie in dieser Verordnung vorgesehen, enthält der Vertrag nur in Art. 235 Befugnisse“.

20 So auch das Weißbuch der Kommission „Europäisches Regieren“, Kom 2001/0428, S. 14.

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Tätigwerdens von Hoheitsträgern überhaupt (gesellschaftliche Dimension), (2) die Erforderlichkeit des Tätigwerdens durch die Gemeinschaft und (3) die Verhältnis-mäßigkeit der Instrumente im Einzelnen (föderale Dimension).Die engere Fassung, die (2) und (3) umfasst, ist in Art. 5 Abs. 2 und 3 EGV ausge-drückt, die weitere, die (3) einschließt, dagegen nicht, jedenfalls nicht explizit. Subsidiarität in der gesellschaftlichen Dimension wäre für den innerstaatlichen Be-reich als verfassungsrechtliches Prinzip nicht akzeptabel, denn wessen sich der Staat annimmt, muss dem politischen Prozess überlassen bleiben, ausgenommen Aktivitäten, die in Grundrechte eingreifen. Auf die EG passt sie dagegen besser, weil die EG anders als ein Staat keine Kompetenz-Kompetenz besitzt. In der Praxis der Begründung zu Gesetzgebungsvorschlägen wird das erste Kriterium denn auch häufig angesprochen. Allerdings ist es eher als ein politisches denn als ein primär-rechtlich verbindliches Prinzip anzusehen.21

Der EuGH hat in seinen wenigen Aussagen zum Subsidiaritätsbegiff im engeren Sinn zur formalen Seite gefordert, dass die Erwägungsgründe der Rechtsakte zur Subsidiaritätsfrage Stellung nehmen müssen (ohne dass das Subsidiaritätsprinzip allerdings ausdrücklich erwähnt werden muss)22, und er hat es inhaltlich ausrei-chen lassen, dass das Ziel (das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts) „durch Maßnahmen allein auf der Ebene der MS nicht (hätte) erreicht werden kön-nen“23, insbesondere weil die Maßnahmen zu heterogen wären.24

Bisher ist das Subsidiaritätsprinzip in der Praxis der Gemeinschaftsorgane und der Rechtsprechung der Gemeinschaftsgerichte überwiegend auf Fragen der Rechtsset-zung angewendet worden. Für die Organisierung des Gesetzesvollzugs ist es erst noch auszuformen.25 Nach dem Wortlaut des Art. 5 EGV bezieht sich die Bestim-mung auf jedes „Tätigwerden“ der Gemeinschaftsorgane, also nicht nur auf die Setzung, sondern auch auf den Vollzug von Gemeinschaftsrecht.26 Insofern gilt anderes als für die bundesstaatliche Verfassung der BRD.27

Bei Anwendung der beiden Subsidiaritätstests (mangelnde Zielerreichung durch die MS und „Mehrwert“ der gemeinschaftlichen Zuständigkeit) kommt in Betracht, in Anlehnung an die Rechtsprechung des BVerfG zur kommunalen Selbstverwal-

21 G. Winter, Subsidiarität und Deregulierung im Gemeinschaftsrecht, EuR 1996, 247 ff. (265 f.).22 EuGH Rs. C-233/94 (Deutschland/Rat), Slg. 1997, I-2405, Rn. 28. Der Fall betraf die Frage, ob die EG die

Einrichtung von Einlagensicherungssystemen soll vorschreiben können.23 EuGH Rs. C-377/98 (NL/EP und Rat), Slg. 2000, I-6229, Rn. 32.24 EuGH Rs. C-491/01 (TabakRL), Slg. 2002, I-5369, Rn. 182; EuGH Rs. C-103/01 (Kommission/BRD), Slg.

2003, I-5369, Rn. 47.25 Vgl. H. D. Jarass, Die Kompetenzverteilung zwischen der Europäischen Gemeinschaft und den Mitgliedstaa-

ten, AöR Bd. 121 (1996) S. 173 ff. (181 ff.); E. Schmidt-Assmann, Das Allgemeine Verwaltungsrecht als Ord-nungsidee, Heidelberg, 2. Aufl. 2004, S. 382.

26 H. Kortenberg, Comitologie – le retour, RTDE 1998, S. 317 ff. A.A. – mit nicht nachvollziehbaren Gründen – K. Lenaerts/A. Verhoeven, Towards a legal framework for executive rule-making in the EU? The contribution of the new comitology decision, CMLR 37 (2000), 645 ff. (655).

27 Art. 72 Abs. 2 GG stellt materielle Anforderungen an das Tätigwerden der Bundesebene ausdrücklich nur für die Gesetzgebung auf. Dagegen verlangen Art. 86 und 87 GG für die Begründung bundeseigener Verwaltung nicht den Nachweis eines qualifizierten Bedarfs (BVerfGE 14, 197 ff., 212 f. zu Art. 87 III GG; vgl. P. Lerche in: Maunz-Dürig, Kommentar zum GG, Art. 87 Rdnr. 179). Ob dies angesichts der Inflation von Bundesober-behörden heute noch angemessen ist, muss bezweifelt werden.

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tungsgarantie28 reine Effizienzgewinne noch nicht als hinreichende Gründe für ei-ne Hochzonung anzusehen. Wenn Art. 5 Abs. 2 EGV verlangt, dass die Ziele „we-gen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden können“, ist dementsprechend ein qualitativer Vorteil gemeint; ein bloss verwaltungsökonomischer Vorteil reicht nicht aus.Das Verhältnismäßigkeitsprinzip nach Art. 5 Abs. 3 EGV hat in Anwendung auf die administrative Kompetenzverteilung noch kaum Konturen. Als eine Facette ließe sich denken, dass, wenn eine gemeinschaftliche Verwaltungskompetenz den mit-gliedstaatlichen Verwaltungsraum stark berührt, die mitgliedstaatlichen Behörden im Gemeinschaftsverfahren zu beteiligen sind, wie es z.B. in der „Komitologie“ geschieht. Dabei könnte an eine Art Gegenstromprinzip gedacht werden, derart, dass die Hochstufung einer Verwaltungskompetenz kompensatorisch nach einer Beteiligung der unteren Verwaltungseinheiten verlangt29, jedenfalls, soweit dies nicht die Wahrnehmung der Verwaltungsaufgabe paralysiert.

c) Institutionelles Gleichgewicht

Für die Aufteilung von Aufgaben auf der europäischen Ebene ist das Prinzip des institutionellen Gleichgewichts heranzuziehen. Dass dem Prinzip verfassungsrecht-liche Bedeutung zukommt, kann angesichts der ständigen Rechtsprechung des EuGH kaum noch bestritten werden.30 Es ist bisher zum einen für die Rolle des Europäischen Parlaments im Institutionengefüge maßgeblich geworden, insbeson-dere für die Bedeutung der Mitwirkungsrechte des Parlaments im Gesetzgebungs-verfahren. So hat der EuGH in Roquettes Frères geurteilt, dass die Missachtung des Anhörungsrechts zur Nichtigkeit des Rechtsakts führe.31

Zum Anwendungsbereich des Prinzips des institutionellen Gleichgewichts gehört auch die Balance zwischen Rat und Kommission. Die nach Art. 202 4. Spiegel-strich EGV prinzipiell zulässige Delegation von Ausführungskompetenzen wird dabei durch die sog. Köster-Rechtsprechung dadurch in Grenzen gehalten, dass der Rat die wesentlichen Gesichtspunkte im Rechtsakt vorentscheiden muss.32

28 BVerfGE 79, 127 ff. (Rastede); vgl. die Aussage auf S. 153: „Eine zentralistisch organisierte Verwaltung könn-te allerdings in vielerlei Hinsicht rationeller und billiger arbeiten; die Verfassung setzt diesen ökonomischen Erwägungen jedoch den politisch-demokratischen Gesichtspunkt der Teilnahme der örtlichen Bürgerschaft an der Erledigung ihrer öffentlichen Aufgaben (...) entgegen und gibt ihm den Vorzug“.

29 Vgl. zu diesem Tausch Kompetenz gegen Mitwirkung im deutschen Raumplanungsrecht vgl. § 7 Abs. 6, § 14 ROG und allgemeiner im unitarischen deutschen Bundesstaat K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der BRD, Heidelberg, 20. Aufl. 1995, S. 99 f.

30 Zum Diskussionsstand s. D. Fischer-Appelt, Agenturen der Europäischen Gemeinschaft, Berlin 1999, S. 170 ff.; K. Lennaerts/A. Verhoeven, Institutional balance as a guarantee for democracy in EU governance, in: Chr. Joer-ges/R. Dehousse (ed.) Good governance in Europe´s integrated market, New York 2002, 35 ff.

31 EuGH Rs. 138/79 (Roquette Frères), Slg. 1980, 3333.32 EuGH Rs. 25/70 (Köster), Slg. 1970, 1161 ff. (Rn. 6): „Daher ist nicht zu fordern, dass der Rat alle Einzelheiten

der Verordnungen über die gemeinsame Agrarpolitik nach dem Verfahren des Artikels 43 regelt. Dieser Vor-schrift ist vielmehr Genüge getan, wenn die wesentlichen Grundzüge der zu regelnden Materie nach diesem Verfahren festgelegt worden sind“. Vgl. dazu Lennaerts/Verhoeven, CMLR 2000, 661.

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Das Prinzip des institutionellen Gleichgewichts kann des Weiteren auch für die Frage herangezogen werden, ob die Kommission das zentrale Exekutivorgan blei-ben muss oder ob weitere Verwaltungsorgane der Gemeinschaft, insbesondere ver-selbständigte Agenturen, gebildet werden dürfen. Je stärker sich der Trend zur Aus-differenzierung der Kommissionsverwaltung durchsetzt, desto gewichtiger wird die Bedeutung der europäischen Exekutive im Verhältnis zur Legislative. Die traditio-nelle Linie, die von der sog. Meroni-Rechtsprechung33 ausgeht, zieht diesem Trend Grenzen, weil sie Agenturen nur zulässt, wenn sie lediglich informatorische oder entscheidungsvorbereitende Funktionen haben oder – bei delegierter Entschei-dungskompetenz – rechtlich streng gebunden sind. Die Hauptverantwortung soll also bei der Kommission verbleiben, was zugleich die Möglichkeit der Übernahme immer weiterer Aufgaben beschränkt.Die Gegenansicht, die die zur Agenturbildung anstehenden Sektoren als eine eher technische Aufgabe ansieht, will die Meroni-Kriterien lockern. Manche Vertreter dieser Richtung gehen von einem grundsätzlich anderen Verständnis des Institutio-nensystems aus. Sie lehnen das Prinzip der Trennung und gegenseitigen Kontrolle der drei Gewalten, das hinter der herrschenden Meinung steht, für die EU ab und behaupten die Existenz einer Art unpolitisch-fachlicher vierten Gewalt der Erzeu-gung regulativen Rechts.34 Man muss dieser m.E. falschen und verfassungsrecht-lich problematischen Prämisse nicht folgen, um dennoch anzuerkennen, dass die schiere Masse der auf europäischer Ebene zu bewältigenden Verwaltungsaufgaben eine Lockerung der Meroni-Rechtsprechung unumgänglich macht. Dieser Weg kann in die von der Kommission vorgeschlagene Richtung gehen, zwischen Berei-chen ohne und mit komplexer Abwägung (sog. Ein-Ziel- bzw. Mehr-Ziel-Berei-chen) zu unterscheiden.35

d) Effektivität des Gemeinschaftsrechtsvollzugs

Das Prinzip des effet utile wird gewöhnlich nur auf die Interpretation des Gemein-schaftsrechts bezogen. Es sollte jedoch auch auf den Verwaltungsvollzug erstreckt werden. Aus ihm könnten Aussagen sowohl zur Verteilung der Aufgaben innerhalb der öffentlichen Sphäre wie auch zur Verteilung zwischen gesellschaftlicher und öffentlicher Sphäre abgeleitet werden.

33 EuGH Rs. 9/56 (Meroni), Slg. 1958, 11 ff. (44) und Rs. 10/56, Slg. 1958, 53 ff. (82). Das institutionelle Gleich-gewicht sieht der EuGH gefährdet, weil Agenturen die Verpflichtung der Kommission auf Verwirklichung des umfassenden Zielbündels des Vertrages unterlaufen könnten.

34 Besonders engagiert G. Majone, Delegation of regulatory powers in a mixed polity, ELJ 8/3 (2002), 319 ff.; G. Majone, Regulating Europe, London 1996. Als Gegenposition, die einen politischen Charakter technischer Regulierung und dementsprechend die Notwendigkeit demokratischer Deliberation annimmt, s. die Beiträge von Chr. Joerges, J. Neyer und Th. Gehring, in: Chr. Joerges, J. Neyer (ed.), EU Committees: Social Regulation, Law and Politics, Oxford 1999.

35 Communication of the Commission, The operating framework for the European Regulatory Agencies, Com (2002) 0718, Abschn. 4.2.

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e) Vorbehalt öffentlicher Verwaltung

Eine gemeinschaftsrechtliche „Ordnungsidee“36 der Verwaltung hat sich bisher kaum entwickelt. Der Begriff und Erstreckungsbereich des europäischen „Öffentli-chen“, der hierfür konstitutiv wäre, ist im Rückzug begriffen und bedürfte doch einer neuen Fundierung gegen neoliberale Übertreibungen.37 Der EGV enthält im-merhin in Art. 16, 73, 86 und 87 Vorschriften, die den MS ermöglichen, für die Daseinsvorsorge und die öffentliche Wirtschaft in gewissem Umfang Sonderrecht zu schaffen, das die Wettbewerbsanforderungen relativiert. Art. 16 EGV macht dies sogar zu einer Verpflichtung der Gemeinschaft. Vorbehaltsbereiche solcher Art las-sen sich im Übrigen für die Sicherheitsverwaltung ableiten (vgl. Art. 28, 45, 46 EGV). Dagegen finden sich keine expliziten Vorgaben solcher Art für die normale Ordnungs- und Leistungsverwaltung.Denkbar wäre es, das Subsidiaritätsprinzip heranzuziehen. Subsidiarität in der ge-sellschaftlichen Dimension bedeutet, wie oben erläutert, „negativ“, dass Gründe für die Einräumung von Hoheitskompetenzen gegeben sein müssen. Es hat jedoch (der Bedeutung des lateinischen „subsidium“ folgend) zusätzlich die „positive“ Be-deutung, dass für diejenigen Bereiche, in denen die gesellschaftliche Selbstorgani-sation nicht geeignet wäre, Gemeinschaftsrecht durchzuführen, eine Verlagerung aus der hoheitlichen Verwaltung heraus unzulässig ist oder zumindest eine beson-dere öffentliche Gewährleistungspflicht besteht.38

2. Anwendung

Wendet man nun die genannten Prinzipien an, so ist in Rechnung zu stellen, dass die vorfindliche Zuordnung von Verwaltungskompetenzen nur scheinbar zufällig gewachsen ist. Tatsächlich sind gewisse Muster erkennbar, die als Erfahrung der Praxis meist so viele Gründe für sich haben, dass sie auch den verfassungsrechtli-chen Maßstäben standhalten. Insgesamt eröffnen dabei gestufte Verfahren Flexibi-lisierungsmöglichkeiten, die verhindern, dass die einer Ebene zugewiesene Kom-petenz solipsistisch ausgeübt wird.

a) Selbstorganisation

Selbstorganisierte technische Normung ist geeignet, private Individualinteressen zu koordinieren, insbesondere Produkte und Dienstleistungen verkehrs- und kombina-tionsfähig zu machen, wie zum Beispiel die Normung von Elektrogeräten. Auch Interessen der Konsumenten werden in dieser Struktur berücksichtigt, allerdings

36 Schmidt-Aßmann, a.a.O. passim.37 Ansätze dazu bei G. Winter, Das Öffentliche und die Europäische Union, in: Ders. (Hrsg.) Das Öffentliche heu-

te, Kolloquium zu Ehren von Alfred Rinken, Baden-Baden 2002, S. 197 ff.38 A. Vosskuhle, Beteiligung Privater an der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben und staatliche Verantwortung,

VVdStRL 62 (2003), 266 ff. (307 ff.).

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vorwiegend dann, wenn andernfalls den Anbietern (über Gewährleistung und Haf-tung) Kosten entstünden. Sicherheitsregeln für die Verwendung der Produkte oder Dienstleistungen können deshalb mit Fug und Recht erwartet werden, weniger dage-gen Normen, die externalisierbare Kosten wie Umweltverschmutzung reinternalisie-ren. Die Schaffung solcher Normen gänzlich privaten Strukturen zu überlassen, ver-stieße deshalb gegen das Prinzip der Effektivität der Durchsetzung von Gemeinschaftsrecht. Die entsprechende Normung muss öffentlichen Strukturen zu-geordnet oder von ihnen eng überwacht werden.39 Ähnliches gilt für Konformitäts-prüfungen durch private Sachverständige, damit deren Abhängigkeit von den Auf-traggebern verhindert wird. Akkreditierung und Überwachung der Sachverständigen sind Mittel, die auch als verfassungsrechtlich geboten angesehen werden können.

b) Indirekter Vollzug von Gemeinschaftsrecht pro statu

Dieser Typus wird für die Verwaltung solcher Probleme gewählt, die das innerstaat-liche öffentliche Interesse berühren und nur wenig Auswirkungen über den staatli-chen Bereich hinaus haben. Das ist zum Beispiel der Fall für den Arbeitsschutz, berufliche Qualifikationsprüfungen, den anlagenbezogenen Immissionsschutz und die Freisetzung (im Unterschied zum Inverkehrbringen) von gentechnisch verän-derten Organismen. Der Typus wird gegen unbegründete Supranationalisierung durch das Subsidiaritätsprinzip und gegen blinde Privatisierung durch das Effekti-vitätsprinzip geschützt.

c) Indirekter Vollzug von Gemeinschaftsrecht pro communitate

Dieser Typus wird für Probleme eingesetzt, die die öffentlichen Interessen aller MS betreffen, gleichwohl aber einen besonderen Bezug zu einem MS aufweisen. Ein Beispiel ist die Versicherungs- und Bankenaufsicht, die am Sitzstaat anknüpft. Für die Kontrolle ist die örtliche Nähe und eine professionelle Ausstattung der Auf-sichtsbehörde förderlich. Insoweit legen das Subsidiaritätsprinzip und das Effektivi-tätsprinzip nahe, dass die Kompetenz national verbleibt und transnational wirkt. Ist allerdings nicht gesichert, dass der zuständige MS die erforderliche Kapazität und Distanz aufweist, muss eine Hochzonung auf die europäische Ebene zulässig sein.

d) Direkter Vollzug von Gemeinschaftsrecht

Der Typus direkter Vollzug von Gemeinschaftsrecht ist in denjenigen Feldern anzu-treffen und angebracht, die öffentliche Interessen der gesamten Gemeinschaft be-rühren und zwar nationale Bezüge aufweisen, aber von den einzelnen Staaten nicht

39 S. als Beispiel Kommissionsentscheidung 2001/524, ABl. L190, S. 21, in der die Kommission die Anerkennung von 4 CEN Normen ablehnt, weil die zu Grunde liegenden Anforderungen der RL 94/62 nicht erreicht werden. Vgl. Krämer, a.a.O., S. 211.

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in selbstdistanzierter Weise geregelt werden, weil Kollusionen zwischen MS und ihren Verwaltungssubjekten naheliegen. Beispiele sind die Wettbewerbs- und Bei-hilfenverwaltung, die F & E Förderung aus EG-Mitteln und die Agrarsubventionen. Das Subsidiaritätsprinzip rechtfertigt hier Zuständigkeiten der Kommission. Wegen des Verwaltungsaufwands nötigen Effektivitätsgesichtspunkte aber häufig dazu, dass nationale Behörden zuständig bleiben, die dann aber so streng überwacht wer-den, dass von einer Art europäischer Verwaltungshilfe gesprochen werden kann.40

Zahlreich sind die Verwaltungsbereiche, in denen aus der Verlagerung auf die euro-päische Ebene Effizienzgewinne erzielt werden können. Zum Beispiel kann die Europäische Lebensmittelbehörde die Risikobewertung für gentechnisch veränder-te Lebensmittel vermutlich billiger und schneller erledigen als dies in einem Ab-stimmungsverfahren zwischen den nationalen Behörden möglich wäre.41 Wie oben vorgeschlagen ist ein solcher reiner Effizienzgedanke jedoch unter dem Subsidiari-tätsaspekt nicht angebracht. Es muss ein inhaltlicher Grund für die Hochzonung gegeben sein, etwa der Nachweis, dass die Qualität der Risikobewertung im dezen-tralen Typus niedriger ist als im zentralisierten.Desgleichen ist es unangemessen, eine Kompetenz nur deshalb auf die europäische Ebene zu heben, weil die nationalen Behörden in einer bestimmten Frage uneins sind. Solche Gründe sind – nur Insidern erkennbar – dafür maßgeblich gewesen, dass die Zuständigkeit für die Zulassung von gentechnisch veränderten Lebens- und Futtermitteln von der nationalen auf die supranationale Ebene verlagert wor-den ist.42 Die MS haben hierüber jahrelang unterschiedliche Auffassungen gehabt. Teilweise kam im Regelungsausschuss keine qualifizierte Mehrheit für die Zulas-sungsentscheidung zustande, teils weigerten sich MS trotz positiver Kommissions-entscheidung, die finale Zulassung auszusprechen. Dies führte zu einem faktischen Moratorium der Zulassung, das durch die Beantragung eines WTO-Streitschlich-tungsverfahrens durch die USA und andere Staaten unter Druck geriet. Die ja nicht willkürlichen, sondern auf unterschiedliche nationale Risikobewertungen gestütz-ten Bedenken durch Zuständigkeitsänderung auszuhebeln statt den Diskurs weiter-zuführen, ist unter Subsidiaritätsaspekten nicht tolerabel.Bei der weiteren Aufteilung der Kompetenzen auf die Kommission, auf die Komi-tologiestrukturen oder auf Agenturen werden Agenturen bisher vorwiegend nur für Informationsfunktionen und, soweit Entscheidungen anstehen, nur zur Entschei-dungsvorbereitung (insbesondere für die Koordinierung von Risikobewertungen) eingesetzt. Eigene Entscheidungskompetenzen sind Agenturen bisher lediglich in solchen Fällen übertragen worden, in denen die Masse der Tatbestände die Kom-missionsdienste überlastet hätte und in denen keine Abwägungen zwischen bedeut-

40 Ein Beispiel ist die Neuregelung des Kartellverfahrens, s. Vent, Brave new world: the modernization and decen-tralization of enforcement under articles 81 and 82 of the EC treaty, CMLR 40 (2002), 545 ff.

41 Eine solche Verlagerung der Zuständigkeit von der mitgliedstaatlichen auf die europäische Ebene hat die neue Lebens- und Futtermittelverordnung gebracht. S. Verordnung (EG) 1829/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates über genetisch veränderte Lebens- und Futtermittel, ABl. L 268, S. 1, Art. 6.

42 Art. 7 der VO 1829/2003 über genetisch veränderte Lebens- und Futtermittel, ABl. L 268, S. 1, Art. 5 – 7.

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samen konfligierenden Interessen vorzunehmen sind. Dabei sollte es bleiben. Der Aufbau einer „vierten Gewalt“ nicht-majoritärer technischer Normung würde das institutionelle Gleichgewicht der EG gefährden.Für den Bereich komplexer Abwägungen ist dagegen gerade die Komitologiestruk-tur geeignet, weil sie die unterschiedlichen Kulturen der MS und je nach den dort vorfindlichen politischen Mehrheiten die unterschiedlichen politischen Strömun-gen widerspiegeln. Ein Beispiel ist die Beschränkung der Vermarktung von Ge-fahrstoffen im neuen REACH-Konzept. Bei ihr sind in besonderem Maße gesund-heits- und umweltpolitische gegen ökonomische Interessen abzuwägen. Hier müs-sen die Fachbehörden der MS mitwirken und bei grundlegenden Meinungsver-schiedenheiten müssen auch Rat und Parlament eingeschaltet werden.43

II. Demokratische Legitimation von Herrschaft

1. Maßstab

a) Ein Rechtsproblem?

Die Europäische Kommission spricht im Weißbuch über Governance von einem Paradox: die Dienstleistungsansprüche der Bürger an die Verwaltung stiegen stetig an, zugleich nehme aber das Vertrauen in die Fähigkeiten der Verwaltung ab. Das Paradox lasse sich nur durch Schaffung von Vertrauen lösen. Ein Mittel dafür sei u. a. die Steigerung von Transparenz und Partizipation. Entsprechende Regelungen seien in einem code of conduct niederzulegen.44

An diesem Ansatz ist zunächst zu begrüßen, dass die Kommission die Notwendig-keit der Legitimation durch Verfahren (politologisch: input-Legitimation) sieht, statt einzig auf fachliche Expertise bzw. normative Deduktionen (politologisch: output-Legitimation) zu vertrauen. Kritik verdient dagegen die Zurückweisung rechtlicher Verbindlichkeit. Im Folgenden soll deshalb untersucht werden, ob es gemeinschaftsrechtliche Minimalanforderungen an supra-, trans- und subnationale Verwaltungstrukturen gibt.45

43 Der Kommissionsentwurf sieht neben einem Regelungsausschuss sogar noch zwei Beratungsausschüsse vor, die Fachfragen der Risiko- und Kostenabschätzung aufbereiten. S. Proposal for a Regulation of the European Par-liament and of the Council concerning the Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals (REACH), COM (2003) 0644, Art. 65, 67, 68, 130 Abs. 3.

44 Weißbuch der Kommission „Europäisches Regieren“, Kom (2001) 0428, S. 9, 13, 22.45 Zur Frage der Einheitlichkeit solcher Prinzipien für die Eigenverwaltung der Gemeinschaft und den indirekten

Vollzug vgl. St. Kadelbach, European administrative law and the law of a Europeanized administration, in: Chr. Joerges/R. Dehousse (ed.) Good governance in Europe´s integrated market, New York 2002, p. 167 ff.

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b) Veränderung der Legitimationsquellen

Fraglich ist allerdings, welches die Legitimationsquelle sein soll, insbesondere ob die parlamentarische Verantwortlichkeit im Bereich des indirekten und direkten Gemeinschaftsrechtsvollzugs zureichend ist. Die Frage stellt sich unter zwei Ge-sichtspunkten, der sachlich-inhaltlichen und der organisatorisch-personellen Legi-timation.46

Hinsichtlich der sachlich-inhaltlichen Legitimation ist es ein Gemeinplatz, dass die materiellen rechtlichen Vorgaben häufig vage und wenig steuerungsmächtig sind.47 Grundsätzlicher gesehen negiert das Konstrukt der exklusiv sachlich-inhaltlichen Legitimation die Empirie und legitimatorische Produktivität der Willensbildung im Exekutivbereich48 und dies auch auf Gemeinschaftsebene. Soll Legitimation nicht reines Konstrukt, sondern realitätsgesättigt sein, so muss die parlamentarische des-halb um eine prozedurale Legitimation im Verwaltungsverfahren ergänzt werden.49 Auch der EuGH sieht diese Zusammenhänge, wenn er im Urteil Technische Uni-versität München zum Zollbefreiungsverfahren ausführt:„Soweit jedoch die Organe der Gemeinschaft über einen Beurteilungsspielraum verfügen, kommt eine umso größere Bedeutung der Beachtung der Garantien zu, die die Gemeinschaftsrechtsordnung in Verwaltungsverfahren gewährt.“50

Zum gleichen Ergebnis kommt eine Betrachtung der organisatorisch-personellen Legitimation. Sie ist in der Mehrebenenverwaltung besonders lückenhaft. Im Be-reich des indirekten Vollzugs von Gemeinschaftsrecht ist die nationale Verwaltung dem Gesetzgeber – dem Europäischen Parlament und dem Rat – nicht verantwort-lich; verantwortlich ist sie dem nationalen Parlament, das aber nicht der maßgebli-che Gesetzgeber ist und sich deshalb kaum dafür interessiert, die Einhaltung des Rechts durch parlamentarische Kontrolle zu überwachen. Im Bereich des direkten Vollzugs ist die europäische Exekutive – die Kommission – zwar dem Parlament verantwortlich, die Verwaltungspraxis wird aber sehr durch exekutive Spitzen der MS – den Rat und die Ausschüsse der „Komitologie“ – kontrolliert, die dem Euro-päischen Parlament nicht verantwortlich sind.Insgesamt zeigt sich, dass die Legitimationsstränge zu den Parlamenten in der Mehrebenenverwaltung geschwächt sind. Dies müsste geändert werden – etwa durch eine Stärkung des EP im Komitologieverfahren –, der Blick richtet sich er-gänzend aber auf unmittelbare Verknüpfungen behördlicher Verfahren mit den Bür-gern, d.h. auf eine Eigenlegitimation der Verwaltung. Die von der Kommission

46 Vgl. H.-W. Böckenförde, Demokratie und Repräsentation. Zur Kritik der heutigen Demokratiediskussion, in: Ders., Staat, Verfassung, Demokratie, Frankfurt 1991, S. 299 ff.

47 Hierzu und zum Ganzen s. A. Fisahn, Demokratie und Öffentlichkeitsbeteiligung, Tübingen 2002, S. 335 ff.

48 Fisahn, a.a.O., S. 232 ff.49 Fisahn, a.a.O., S. 323 ff.; G. Lübbe-Woff, Europäisches und nationales Verfassungsrecht, VVDStRL 60 (2001)

247 ff., 279 ff.50 EuGH Rs. C-269/90 (HZA/Techn. Universität München), Slg. 1991, I-5469, Rn. 14.

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genannten Mittel – Transparenz und Beteiligung– weisen deshalb auch verfas-sungsrechtlich in die richtige Richtung. Sie müssen jedoch konkretisiert werden.

c) Veränderung des Herrschaftscharakters: von öffentlicher zu privater Verwaltung

Obwohl Selbstorganisation auf Herrschaftsabbau zielt, kann sie dennoch Herr-schaftselemente enthalten und ist insoweit auch legitimationsbedürftig. Dies gilt besonders im Verhältnis zu den schwächeren Mitgliedern der Organisation sowie im Verhältnis zu Nichtmitgliedern und u.U. auch der Öffentlichkeit insgesamt. Zu denken ist z.B. an kartellartige Wirkungen von Normung für kleinere Unterneh-men, die sich die Teilnahme am Normungsprozess nicht leisten können, und an gesetzwidrige Zertifizierung zu Lasten Dritter und öffentlicher Güter durch Kollu-sion der Zertifizierten und der Zertifizierer.51

Der organisatorisch-personellen parlamentarischen Kontrolle sind die Akteure im Bereich der privatisierten Verwaltung fast gänzlich entzogen, und zwar nicht nur nach europäischem, sondern auch nach nationalem Recht. Die Kontrolle durch sachlich-inhaltliche gesetzliche Vorgaben erfolgt in der Weise, dass zur Ausfüllung von unbestimmten Rechtsbegriffen oder Ermessensspielräumen private Normung in Bezug genommen wird. Dies kann implizit geschehen, etwa indem der Standard „Stand der Technik“ gefordert wird, oder explizit, indem auf bestimmte technische Normen verwiesen wird. Solche Inbezugnahme hat einen Doppelcharakter, näm-lich einerseits Regelungsbefugnis an private Instanzen zu delegieren und diesen andererseits einen verbindlichen Rahmen vorzugeben. Viel Anweisungsgehalt ha-ben die materiellen Vorgaben allerdings meist nicht. Es ist ja gerade ihr Sinn, dass die Parlamente sich über das technische Schutzniveau kein eigenes Urteil bilden müssen. Wer meint, dies sei unter Gewaltenteilungsgesichtspunkten verfassungs-widrig und fordert, die Legitimationskette sei durch statische Verweisung zu schlie-ßen, baut auf der bereits oben kritisierten Illusion auf, Parlamente könnten die komplexen und sich schnell wandelnden technischen Zusammenhänge wirklich durchschauen.Hinsichtlich der Einzelfallverwaltung gibt es zwar Kontrolle in Gestalt der behörd-lichen Zulassung (sog. Akkreditierung) und Überwachung der als Zertifizierer täti-gen unabhängigen Sachverständigen, aber soweit diese, wie es die Regel ist, grenz-überschreitend tätig werden, ist die Kontrolle insofern behindert, als die Feststel-lung von Verstößen im Tätigkeitsstaat des Sachverständigen den zuständigen Staat nicht dazu berechtigt, die Zulassung zu widerrufen, wenn diese durch den Sitzstaat des Sachverständigen erteilt worden war.52

51 U. Nissen, Die EG – Öko – Auditverordnung, Berlin 1999, S. 480 ff.52 So für den Widerruf der Zulassung im EMAS-System Nissen, a.a.O., S. 478.

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Insgesamt ist festzustellen, dass Herrschaft auch aus den privaten Strukturen der Selbstorganisation hervorgeht, dass diese aber durch die klassischen Mittel der par-lamentarischen und behördlichen Kontrolle nicht hinreichend legitimiert werden kann. Als Ausweg bieten sich auch hier die Vorverlagerung und Vergesellschaftung der Legitimation an, nämlich durch Transparenz und Partizipation der Zivilgesell-schaft.

d) Fragmentarisierung der Herrschaftsakte in mehrstufigen Verfahren

Legitimation von Herrschaft impliziert normalerweise, dass die handelnde Behörde und/oder ihre Trägerin verantwortlich ist: Sie leitet das Verfahren, sie prüft das Vor-liegen der Entscheidungsvoraussetzungen und sie ist Beklagte oder Beklagtenver-treterin, wenn Betroffene primären oder sekundären Rechtsschutz suchen. Aus-gangspunkt ist die klassische Vorstellung der Einheit der Verwaltung: Im Innenbe-reich mag es Schritte der Entscheidungsvorbereitung geben, nach außen tritt dem Bürger nur die entscheidende Behörde gegenüber.Bereits im innerstaatlichen Bereich ist dies eine weitgehend überwundene Annah-me, weil in komplexen Entscheidungsfeldern Vorstufen zu durchlaufen sind, die die letztentscheidende Behörde nicht kontrollieren kann. Ein Beispiel ist die Fernstra-ßenplanung mit der Stufung Bundesverkehrswegeplan – Fernstraßenausbaugesetz – Linienbestimmung – Raumordnungsverfahren – und schließlich Planfeststellung als außenwirkende Entscheidung der Planfeststellungsbehörde, die aber weder auf die Vorstufen Einfluss nehmen noch ihnen ihre Gefolgschaft verweigern kann, wenn sie sie als rechtwidrig ansieht. In Reaktion darauf sind die vorstufig entschei-denden Behörden teilweise selbst verantwortlich gemacht worden, insofern für ihre Stufe Beteiligungsverfahren eingeführt und teilweise auch Rechtsschutz ermöglicht wird.53

Zu den bereits vorhandenen Stufungen kommen nun, wie oben bereits geschildert, europäische Stufen hinzu. Umgekehrt werden Gemeinschaftsentscheidungen von nationalen Vorstufen abhängig gemacht.Es liegt nahe, ähnlich wie hinsichtlich der nationalen mehrstufigen Verwaltung auch für die europäische Mehrstufenverwaltung zu fordern, dass Transparenz- und Beteiligungsanforderungen sich über die letzte Stufe hinaus auf die Vorstufen er-strecken müssen und u.U. auch Rechtsschutz eröffnet werden sollte.54 Dadurch würden die beitragenden Instanzen für die Bürger identifizierbar und teilweise auch verantwortlich.

53 Z.B. § 3 Baugesetzbuch, § 7 Abs. 6 Raumordnungsgesetz.

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e) Zusammenfassung und Kriterienbildung

Transparenz und Partizipation erweist sich somit für die europäische Mehrebenen-verwaltung als eine begründbare rechtspolitische Forderung. Was aber soll Trans-parenz und Partizipation bedeuten?Transparenz bedeutet Zugänglichkeit von bei einem Verwaltungsträger vorhande-nen Informationen. Sie kann aktiv eröffnet werden, indem der Verwaltungsträger Informationen bekanntmacht oder auf deren Existenz hinweist und sie bereitstellt. Oder sie kann passiv gewährt werden durch Informationszugangsrechte, die die Bürger selbst geltendmachen müssen. Wichtig ist dabei der Unterschied zwischen dem Informationszugangsrecht der individuell und direkt Betroffenen und einem voraussetzungslosen Jede-Person-Recht.Partizipation bedeutet die Möglichkeit der Einzelnen, Stellungnahmen zu Verwal-tungsvorgängen abzugeben, sei es individuell oder durch Verbände, sei es durch kontinuierliche Vertretung in Gremien oder durch fallspezifische Äußerung. Nach dem Teilnehmerkreis ist zu unterscheiden:– Gelegenheit zur Äußerung für diejenigen, in deren Rechte individuell und un-

mittelbar eingegriffen wird (Beteiligung der Adressaten)– Gelegenheit zur Äußerung für die individuell, aber nicht unmittelbar, sondern

erst über dazwischentretendes privates Verhalten belasteten Dritten wie Konkur-renten und Nachbarn (Beteiligung Drittbetroffener)

– Gelegenheit zur Äußerung für die kollektiv belastete Öffentlichkeit (Beteiligung der Öffentlichkeit)

Transparenz und Partizipation solcher Art und Tragweite sind zunächst rechtspoli-tische Forderungen. Als gemeinschaftsrechtliches Verfassungsgebot kann die volle Palette jedoch nicht angesehen werden. Nur bestimmte begrenzte Rechte sind ver-fassungsrechtlich garantiert. Besonders ausgebaut sind die Transparenzgebote. Klassischer Bestand ist das (passive) Einsichtsrecht in Dokumente, die rechtlich geschützte Interessen der Einzelnen betreffen.55 Hinzugekommen ist das voraus-setzungslose Recht der Unionsbürger auf Zugang zu Dokumenten der Gemein-schaftsorgane nach Art. 255 EGV und Art. 42 Grundrechtrcharta. Hinsichtlich der Beteiligungsrechte ist das rechtliche Gehör vor solchen Entscheidungen anerkannt, die individuell und unmittelbar in Rechte Einzelner eingreifen.56 Ob darüber hi-

54 P. Craig, The constitutionalisation of Community administration, E.L.Rev. 2003, 84 et seq.55 Die Gemeinschaftsgerichte haben die verfassungsrechtliche Qualität dieses Rechts allerdings bisher nicht in

voller Prägnanz ausgesprochen. Am nächsten kommt das EuG in Rs. T-36/91 (ICI v. Kommission), Slg. 1995, II-1847, wo es sich auf einen „allgemeinen Grundsatz der Waffengleichheit“ im Kartellbußgeldverfahren zwi-schen Kommission und betroffenem Unternehmen bezieht (Rn. 93, 111, 116). S. dazu Nehl, a.a.O., S. 233 ff.

56 Ständige Rechtsprechung des EuGH und des EuG. Besonders prägnant EuG Rs. T-260/94 (Air Inter/Kommis-sion), Slg. 1997, II-997, Rn. 59 und Rs. T-42/96 (Eyckeler & Malt v. Kommission) Rn. 76, wonach das Recht auf Gehör „in allen Verfahren, die zu einer den Betroffenen beschwerenden Maßnahme führen können, ein ele-mentarer Grundsatz des Gemeinschaftsrechts (ist), der auch dann sichergestellt werden muss, wenn es an einer Regelung für das betreffende Verfahren fehlt“. S. zur Entwicklung dieser Rechtsprechung ausführlich Nehl, a.a.O., S. 274 ff. Vgl. auch Art. 41 Abs. 2 Grundrechtecharta.

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naus auch ein Beteiligungsrecht Drittbetroffener oder gar der diffus betroffenen Öffentlichkeit gemeinschaftsverfassungsrechtlich geboten ist, könnte erst nach ge-nauerem Studium der „gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaa-ten“ (Art. 6 Abs. 2 EUV) beantwortet werden.Im Bereich der privatisierten Verwaltung fehlt es ganz an verbindlichen verfas-sungsrechtlichen Garantien von Transparenz und Partizipation. Man ist hier auf Entwicklungen auf der einfachgesetzlichen Ebene verwiesen.Im Hinblick auf mehrstufige Verfahren sollte das allgemeine Informationszugangs-recht und das Beteiligungsrecht der Adressaten zumindest insoweit als verfassungs-rechtlich geboten angesehen werden, als es um solche vorstufigen Beiträge geht, die für die letztentscheidende Behörde bindend sind.57

2. Anwendung

Wendet man dieses verfassungsrechtliche und rechtspolitische Kriteriengerüst auf die verschiedenen Typen der Mehrebenenverwaltung an, so ergibt sich, dass je nach Politikbereich manches bereits verwirklicht ist, dass es aber jenseits der Minimalga-rantien an einer Verrechtlichung allgemeiner Prinzipien fehlt. Transparenz und Par-tizipation werden inkremental, nicht in einem systematischen Entwurf eingeführt.

a) Indirekter Vollzug pro statu

Im nationalen Gemeinschaftsrechtsvollzug gilt grundsätzlich nationales Verfah-rensrecht. Dementsprechend kann erwartet werden, dass die verfassungsrechtlichen Mindeststandards eingehalten sind, also den Adressaten Akteneinsichtsrecht und rechtliches Gehör gewähren. Desgleichen werden im Wirtschaftsverwaltungsrecht häufig die Konkurrenten beteiligt. Vom Verfahren ausgeschlossen bleiben meistens jedoch die eher kollektiv Betroffenen, wie die Konsumenten und die Vertreter von Gesundheits- und Umweltinteressen.Solche erweiterten Rechte der Allgemeinheit auf Zugang zu behördlichen Informa-tionen und Beteiligung hat das Gemeinschaftsrecht für den Bereich des Umwelt-rechts eingeführt. Dass dies nicht geschah, um verfassungsrechtlichen Geboten nachzukommen, sondern eher aus politischen Gründen der Mobilisierung der Bür-ger für den chronisch defizitären Umweltrechtsvollzug58, ändert nichts daran, dass dadurch auch Grundrechte befriedigt wurden. Manche MS besaßen solche Rechte zwar bereits, die meisten, einschließlich Deutschlands, jedoch nicht oder in be-scheidenerem Ausmaß. Als Beispiele hervorzuheben sind die Transparenzvorschrif-ten nach der Umweltinformationsrichtlinie 2003/459 und die Beteiligungsvorschrif-ten nach den Richtlinien zur UVP und zum integrierten Umweltschutz i.d.F. der

57 Vgl. Nehl, a.a.O., S. 315 ff.58 J. Masing, Die Mobilisierung des Bürgers für die Durchsetzung des Rechts, Berlin 1997.59 ABl. L 41, S. 26.

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Richtlinie RL 2003/35.60 Ein Mangel bleibt allerdings insoweit bestehen, als das Recht der Zulassung gefährlicher Produkte ausgespart geblieben ist, obwohl es ähnlich gravierende Risiken betrifft wie das Recht gefährlicher Anlagen.61

b) Indirekter Vollzug pro communitate

Die unter a) genannten Regeln gelten auch für den indirekten Vollzug pro commu-nitate. Die Besonderheit, dass die behördlichen Handlungen in der gesamten Ge-meinschaft gelten, macht jedoch zusätzliche Regeln erforderlich. Transparenz und Partizipation muss sich auch auf die in anderen MS ansässigen Bürger erstrecken.Für ausländische Staatsangehörige in der EU ist dies durch Art. 12 EGV gesichert. Für Auslandsbewohner wirkt das Nichtdiskriminierungsgebot in dieselbe Richtung. Wenn also ein MS ein allgemeines Recht auf Zugang zu Verwaltungsinformationen eingeführt hat, kann er sich z.B. nicht auf das Gegenseitigkeitsprinzip berufen und argumentieren, er erleide Wettbewerbsnachteile, wenn er sein fortschrittlicheres Recht auch auf ausländische Staatsangehörige bzw. auf jenseits der Grenze belege-ne Sachverhalte anwende.Rechtspolitisch wünschenswert ist allerdings, dass der pro communitate zuständige MS verpflichtet wird, aktiv auf die Information und Beteiligung der im Ausland Ansässigen individuell oder kollektiv Betroffenen hinzuwirken. Denn was insoweit jenseits der Grenzen passiert, wird normalerweise weniger öffentlich bekannt. Sol-che explizit transnationalen Informations- und Beteiligungspflichten gibt es bisher nur im Umweltrecht, und zwar nach der UVP-Richtlinie hinsichtlich ortsgebunde-ner Vorhaben. Wiederum hinkt das Produktzulassungsrecht hinterher, obwohl der grenzüberschreitende Bezug beim Handel mit Produkten viel deutlicher ist.

c) Gemeinschaftseigener Vollzug durch Gemeinschaftsorgane

Mit der Verordnung Nr. 1049/200162, die allen Unionsbürgern und in der Union Ansässigen ein Recht auf Zugang zu Dokumenten der EU-Organe einräumt, hat die EU zur Spitzengruppe des europäischen Geleitzuges auf dem Wege zu Transpa-renz aufgeschlossen. Hinzuzurechnen ist die aktive Veröffentlichung von Doku-menten im Internet. Sie ist als Ermessensnorm und sehr allgemein in Art. 12 der VO Nr. 1049/2001 geregelt, sollte aber in eine differenziertere und verbindlichere Form gebracht werden. Verpflichtend ist lediglich die öffentliche Zugänglichkeit von legislativen Dokumenten.63

60 ABl. 176, S. 15.61 Art. 9 RL 91/414 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln, ABl. L 230, S. 51. S. auch Art. 3 RL

98/8 über das Inverkehrbringen von Biozid-Produkten, ABl. L 123, S. 1. Für die Aufhebung oder Änderung einer Zulassung ist nach Art. 7 Abs. 3 eine Anhörung des Zulassungsinhabers vorgesehen, was aber nach allen nationalen Rechtsordnungen selbstverständlicher Standard sein dürfte.

62 VO Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des EP, des Rates und der Kommission, ABl. L 145, S. 43.

63 Art. 12 Abs. 2 VO Nr. 1049/2001.

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Eine ähnlich querschnitthafte Regelung fehlt dagegen zu Beteiligungsrechten und -pflichten. In dieser Beziehung gibt es nur bereichsspezifische Regelungen.Sie finden sich vor allem im Wirtschaftsrecht. Am fortschrittlichsten ist insoweit die VO (EG) Nr. 1/200364 zum Kartellrechtsverfahren. Allerdings beschränkt sich die obligatorische Beteiligung auf die Unternehmen, um deren Kartell oder Beihil-fe es geht, sowie Konkurrenten, Berufsverbände und sonstige Drittbetroffene. Die nicht individuell betroffene Öffentlichkeit, also vor allem Verbraucher- und Um-weltverbände können nach Ermessen beteiligt werden.65 Darin liegt eine für das Wirtschaftsrecht typische Schlagseite zugunsten der Beteiligung von Wirtschafts-interessen.66

Im Umweltrecht gab es lange Zeit nur Regelungen, die in den MS für Beteiligung sorgten, nicht dagegen Regeln über die Beteiligung an Verwaltungsverfahren der EG-Organe. Erst in der Verordnung zur Umsetzung der Åarhus-Konvention wird dieser Mangel behoben werden.67

d) Selbstorganisation

Informationszugang ist traditionell gegen das Amtsgeheimnis gerichtet und lebt von dem Gedanken der Öffentlichkeit als Kontrolle hoheitlicher Verwaltung. Wer-den Verwaltungsfunktionen privatisiert, bedeutet dies jedoch nicht, dass rein priva-tes Handeln entsteht. Vielmehr wird weiter Verwaltung im materiellen Sinn ausge-übt. Deshalb muss sich der Informationszugang von der vertikalen in die horizon-tale Richtung ausdehnen und auch gegenüber privaten Verwaltungsträgern eröffnet werden.Ein Akteneinsichtsrecht gegenüber privatisierter Verwaltung hat sich bisher nicht durchgesetzt, und zwar nicht einmal das Minimalrecht der in ihren rechtlich ge-schützten Interessen Betroffenen. Eine Innovation bringt hier wiederum das Um-weltrecht. Nach der neuen Fassung der Umweltinformationsrichtlinie von 2003 richtet sich der Zugangsanspruch, der bisher nur gegenüber Behörden bestand, auch gegen solche private Stellen, die öffentliche Verwaltungsaufgaben wahrneh-men.68

Für die Partizipationsproblematik ist zwischen selbstorganisierter technischer Nor-mung und privatisierter Einzelfallverwaltung (in Gestalt insbesondere von Konfor-

64 VO Nr. 1/2003 über den Vollzug der Wettbewerbsregeln nach Art. 81 und 82 EGV, ABl. L 1, S. 1.65 Art. 27 Abs. 3 S. 1 VO 1/03.66 Demgegenüber ist es im Umweltrecht selbstverständlich, dass, soweit die Verfahren Drittbetroffenen und der

Öffentlichkeit geöffnet wird, auch die Wirtschaftsinteressen beteiligt werden.67 Entwurf einer Verordnung des EP und des Rates über die Anwendung der Bestimmungen des Århus-Überein-

kommens über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Organe und Einrichtungen der Europäischen Gemein-schaft, Kom (2003) 622.

68 S. Art. 2 Abs. 2 Nr. 2 b) mit Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2003/43 über den öffentlichen Zugang zu Umweltinfor-mationen, ABl. L 41, S. 26, wonach der Behördenbegriff auf private Personen mit öffentlichen Verwaltungsaus-gaben erstreckt wird.

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mitätsbescheinigungen hinsichtlich der Qualität von Produkten, Dienstleistungen und anderen Handlungen) zu unterscheiden.Die Beteiligung der Adressaten der Normung ist durch die Selbstverwaltungsstruk-tur der Normungsorganisationen weitgehend ermöglicht, so z.B. auf deutscher Ebe-ne im DIN und auf europäischer Ebene im CEN.69 Allerdings besteht ein Problem darin, dass sich kleinere Unternehmen den Aufwand der Teilnahme in den Nor-mungsgremien kaum leisten können. Desgleichen ist die von der Normung betrof-fene Öffentlichkeit (Arbeitnehmer, Verbraucher, Gesundheits- und Umweltinteres-sen) unzureichend einbezogen. Besonders misslich ist, dass die „interessierten Kreise“ nicht unmittelbar in den europäischen Normungsgremien vertreten sind, sondern in ihrer nationalen Organisation zu einem einheitlichen Votum finden müs-sen, das dann als deren Votum auf europäischer Ebene eingebracht wird. Dieser dezentrale Einigungszwang führt wegen der Schwäche der Repräsentanz von Ge-meinwohlinteressen in vielen MS leicht zu einer Hintansetzung von Verbraucher-, Gesundheits- und Umweltinteressen.70 Seit Kurzem haben sich diese öffentlichen Teilinteressen aber mit Unterstützung der Kommission besser organisiert (wie etwa in Gestalt der European Environmental Citizens Organisation) und streben assozi-ierte Mitgliedschaft in den europäischen Normungsorganisationen an.71

Auf der Ebene der Zertifizierung durch und Akkreditierung von unabhängigen Sachverständigen fehlt es dagegen weit und breit an Partizipationsgeboten. Einfluss haben hier nur die zertifizierten Unternehmen, weil sie mit dem Zertifizierer in ver-traglicher Beziehung stehen und aus dieser heraus Erfüllungs- und Mängelhaftungs-ansprüche gegen missbräuchliches Verhalten der Zertifizierer geltend machen kön-nen. Dritte (Konkurrenten, Verbraucher- und Umweltschützer), die eine rechtswidri-ge Zertifizierung verhindern wollen, haben jedoch keine Mitwirkungsrechte im Zer-tifizierungsverfahren. Sie können allenfalls ex post facto reagieren, wobei es meist jedoch an horizontalen Ansprüchen gegen den Zertifizierer mangeln dürfte. Sie kön-nen sich lediglich an die Aufsichtsbehörde wenden und u.U. auf behördliche Inter-vention klagen, soweit die mitgliedstaatlichen Prozessordnungen dies zulassen.Insgesamt ist der ganze Bereich der privatisierten Verwaltung unter den Gesichts-punkten Transparenz und Partizipation noch unzureichend rechtlich gefasst.

e) Mehrstufige Verwaltung

Bisher nehmen gemeinschaftsrechtliche Beteiligungsvorschriften vorstufige Bei-träge anderer Behörden nur in solchen Fällen in den Blick, in denen der vorstufige

69 H. Schepel, The constitution of private governance, Oxford 2005, S. 101 ff.70 Falke, a.a.O. S. 204 ff.; Chr. Joerges/J. Falke/H.-W. Micklitz/G. Brüggemeier, Die Sicherheit von Konsumgütern

und die Entwicklung der Europäischen Gemeinschaft, Baden-Baden 1988, S. 337 ff., 401 ff.71 Mitteilung der Kommission – Berücksichtigung von Umweltaspekten bei der Normung, Kom(2004)0130. Für

unmittelbare Repräsentanz der teilöffentlichen Interessen in den europäischen Gremien hat sich auch der Rat ausgesprochen, vgl. Beschluss des Rates vom 1.3.2002, ABl. C 66, S. 1.

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Beitrag als eigene Entscheidung ausgestaltet ist, an die die letztentscheidende Be-hörde gebunden ist, wie z.B. bei der Ablehnung oder der Rückabwicklung einer Beihilfe nach Art. 88 Abs. 3 mit 2 EGV.72

Es empfiehlt sich, Beteiligungsrechte und -pflichten auch auf unselbständige vor-stufige Beiträge zu erstrecken, wenn ihnen, obwohl sie nicht verbindlich sind, doch faktisch eine prägende Wirkung zukommt. Dabei sollte der Kreis der Anzuhören-den auf die individuell Drittbetroffenen und die diffus betroffene Öffentlichkeit erstreckt werden. Beispielhaft ist insoweit wiederum der Entwurf zu der REACH-Verordnung. Sie sieht vor, dass bereits die Risikobewertung durch die neue Chemi-kalienagentur, nicht erst der Entscheidungsentwurf der Kommission publiziert wer-den muss.73

72 S. Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BeihilfeverfahrensVO Nr. 659/1999). Unzureichend insoweit die mangelnde Beteiligung Drittbetroffener im Vorprüfungsverfahren nach Art. 88 Abs. 3 EGV. Vgl. EuGH Rs. C-367/95 P (Sytraval) v. 2.4.1998, Rn. 59. Krit. Nehl a.a.O. S. 68.

73 Art. 61 Abs. 6 des Kommissionsentwurfes.

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Zur Haftung der EG für die Verletzung des WTO-Rechts

Von Wolfgang Weiß, Bayreuth

I. Einleitung

Die Stellung des WTO-Rechts in der Rechtsordnung der EG war in den letzten zehn Jahren seit Inkrafttreten des WTO-Übereinkommens immer wieder Gegen-stand von Entscheidungen des EuGH. Wiederholt musste er auf die Frage einge-hen, ob eine Verletzung des WTO-Rechts durch die EG, insbesondere durch Sekun-därrecht der EG zur Nichtigkeit dieses Sekundärrechts führt. Unternehmen als auch Mitgliedstaaten hatten mehrfach die Rechtmäßigkeit außenwirtschaftlicher Sekundärrechtsakte der EG unter Berufung auf ihre Unvereinbarkeit mit dem WTO-Recht angegriffen. Der EuGH hat es in ständiger Rechtsprechung – und in Weiterführung seiner Entscheidungen zum alten GATT 1947 - abgelehnt, den Vor-schriften des WTO-Rechts unmittelbare Anwendbarkeit zuzubilligen. Sie stellten kein Recht dar, an dem die Rechtmäßigkeit von Sekundärrecht zu messen wäre. Daher wies er auf die Verletzung von WTO-Recht gestützte Nichtigkeitsklagen von Mitgliedstaat ab und sah das WTO-Recht nicht als Recht an, auf das Einzelne sich unmittelbar berufen können, um vor nationalen Gerichten auf EG-Sekundärrecht gestützte Maßnahmen anfechten zu können. Diese Rechtsprechung des EuGH kann mittlerweile als gefestigt angesehen werden. Trotz umfassender und tiefgründiger Kritik hält der EuGH an ihr fest.Die Diskussion um das Für und Wider der einzelnen Argumente des EuGH zur (fehlenden) Anfechtbarkeit des Sekundärrechts wegen Verletzung des WTO-Rechts soll hier nicht erneut aufgegriffen werden. Allerdings sind die rechtlichen Proble-me, die sich bei aktuell beim Europäischen Gericht Erster Instanz (EuG) anhängi-gen Amtshaftungsklagen stellen, mit denen Unternehmer wegen des WTO-widri-gen Sekundärrechts Schadenersatzzahlungen von der EG einfordern, vergleichbar. Denn hier wird relevant, ob die Ablehnung des WTO-Rechts als Prüfungsmaßstab für Sekundärrecht im Primärrechtsschutz auf den Sekundärrechtsschutz einer Amtshaftungsklage wegen rechtswidriger Handlungen der EG übertragen werden kann oder ob insofern nicht abweichende Bewertungen vorgenommen werden könnten, etwa unter Rückgriff auf den in Deutschland zwar grundsätzlich überhol-ten, aber vielleicht auf EG-Ebene angesichts der Lücken des Primärrechtsschutzes neu zu belebenden Grundsatz des „dulde und liquidiere“1. Anlass zu solchen Über-legungen sind nicht nur die anhängigen Schadenersatzklagen, sondern auch eine Rechtsmittelentscheidung des EuGH vom 30. September 2003 in der Rechtssache Biret, in der er anlässlich einer im Ergebnis aber abgewiesenen Schadenersatzklage

1 Zu diesem Grundsatz O. Mayer, Deutsches Verwaltungsrecht, Band I, 3. Auflage 1924, S. 53; F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 5. Auflage 1998, 126.

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erstmals die Möglichkeit andeutete, bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit von EG-Sekundärrecht im Rahmen einer Schadensersatzklage eine abweichende Be-wertung vorzunehmen, wenn eine definitive Feststellung einer WTO-Rechtsverlet-zung durch eine Entscheidung des Dispute Settlement Body (DSB), also des Streit-beilegungsgremiums der WTO vorliegt und der vom DSB gesetzte Zeitraum zu Umsetzung seiner Entscheidung abgelaufen ist.2 Der EuGH hat diese Frage even-tueller Entschädigungsfolgen aus der Nichtumsetzung von DSB-Entscheidungen jedoch offen gelassen, weil der vom Kläger geltende gemachte Schaden aus einem früheren Zeitraum resultierte.3 Das EuG hat bislang Schadenersatzansprüche, die auf die Verletzung des WTO-Rechts und die Nichtbefolgung von DSB-Entschei-dungen gestützt waren, wegen eines mangelnden Individualschutzes des WTO-Rechts abgelehnt.4 Zuletzt hat es in einem Urteil vom Februar 2004 eine Amtshaf-tungsklage abgewiesen, die gerade unter Berufung auf die Nichtumsetzung von DSB-Entscheidungen im Bananenfall erhoben worden war, und zwar unter Rück-griff nur auf die alte Rechtsprechung des EuGH zur fehlenden unmittelbaren An-wendbarkeit des WTO-Rechts und ohne Würdigung der Andeutungen des EuGH vom September 2003.5

Dieser aktuelle Hintergrund berechtigt, die Wirkung des WTO-Rechts im EG-Recht erneut auf den Prüfstand zu stellen, und zwar unter dem speziellen Blickwin-kel des Sekundärrechtsschutzes und im Hinblick auf definitive Feststellungen der WTO-Verletzung durch den DSB. Wenn schon das materielle WTO-Recht allge-mein nach Ansicht des EuGH keine unmittelbare Anwendbarkeit findet, so könnte diese Frage doch für DSB-Entscheidungen entgegen den bisherigen Entscheidun-gen des EuG anders beurteilt werden. Dabei stellt sich sowohl die Frage nach einer Haftung der EG für rechtswidriges als auch für rechtmäßiges Verhalten nach Art. 288 II EGV.

II. Amtshaftung der EG für rechtswidriges Verhalten nach Art. 288 II EGV

Ausgangspunkt für eine Amtshaftung der EG für die Verletzung des WTO-Rechts durch den Erlass oder die unterbliebene Änderung von Sekundärrecht ist Art. 288 II EGV. Nach der Rechtsprechung des EuGH zu dieser Vorschrift haftet die EG je-denfalls für rechtswidrige Amtshandlungen eines Organs, wenn dadurch ein Scha-den herbeigeführt wird und eine Kausalität zwischen Schaden und rechtswidrigem Verhalten besteht.6

Weiß, Zur Haftung der EG für die Verletzung des WTO-Rechts

2 EuGH, Rs. C-93/02 P, Slg. 2003, I-10497, Rn. 57, 62 – Biret. In einer aktuellen Entscheidung vom 1. März 2005, Rs. C-377/02, Tz. 51 ff – Van Parys, hat der EuGH die Feststellungen des Streitbeilegungsgremium der WTO nicht für unmittelbar anwendbar erklärt. Diese Entscheidung erging allerdings zum Primärrechtsschutz, nicht zum Sekundärrechtsschutz, so dass die mit Rs. Biret aufgeworfene Fragestellung nach wie vor offen ist. Der EuGH betont in seiner Entscheidung Van Parys auch Umstände des Ausgangsverfahrens.

3 EuGH ebda. Rn. 64.4 EuG, Rs. T-18/99, Slg. 2001, II-913, Rn. 34-36, 46 ff – Cordis.5 EuG, verb. Rs. T-64/01 und T-65/01 v. 10.2.2004, Rn. 139 ff – Afrikanische Frucht-Compagnie GmbH und In-

ternationale Fruchtimport Gesellschaft Weichert & Co.6 S. nur EuGH, (Fn. 2) Rn. 51 – Biret. St. Rechtsprechung seit Schöppenstedt, Rs. 5/71, Slg. 1971, 975, Rn. 11.

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1. Haftung für die Verletzung von WTO-Recht

Da es um die eventuelle Verletzung von WTO-Recht durch das Außenwirtschafts-recht der EG geht, ist die Haftung für normatives Unrecht einschlägig. In diesem Kontext7 fordert der EuGH stets, dass die Handlung des Organs eine höherrangige, dem Schutz des Einzelnen dienende Rechtsnorm in hinreichend qualifizierter Wei-se verletzt haben muss.8

a) WTO-Rechtsverletzung als rechtswidriges Handeln

aa) Zur Wirkung von Art. 300 VII EGV

Die Rechtsverletzung setzt damit einen Verstoß gegen eine höherrangige Norm vo-raus. Das liegt vor, wenn das Verhalten des EG-Organs Primär- oder Sekundärrecht verletzt. Hier geht es indes darum, dass das die Amtshaftung auslösende Verhalten gerade in dem Erlass bzw. der unterbliebenen Änderung von Sekundärrecht liegen soll, das mit WTO-Recht unvereinbar ist. Daher müsste die Verletzung von WTO-Recht ein rechtswidriges Verhalten darstellen. Sicherlich ist die Nichtbeachtung des WTO-Rechts eine Verletzung der völkerrechtlichen Verpflichtung aus Art. XVI:4 ÜWTO, wonach die WTO Mitglieder sicherstellen, dass ihre Vorschriften mit dem WTO-Recht übereinstimmen. Indes ist das nur eine Verletzung des Völ-kerrechts, während die Amtshaftung der EG die Verletzung einer höherrangigen Norm gerade des Gemeinschaftsrechts erfordert.Da Art. 300 VII EGV die Bindung der EG-Organe (und auch der Mitgliedstaaten) an die völkerrechtlichen Abkommen der EG anordnet, könnte Art. 300 VII EGV das WTO-Recht, soweit es sich um als von der EG abgeschlossene völkerrechtliche Verträge handelt9, zu einer solchen höherrangigen Norm des Gemeinschaftsrechts transformieren. Die Auslegung des Art. 300 VII EGV ist daher zentral für die Be-antwortung vorliegender Fragen. Art. 300 VII EGV führt dazu, dass von der EG abgeschlossene völkerrechtliche Verträge, und dazu gehört auch das WTO-Recht, Bestandteil des Gemeinschaftsrechts werden.10 Art. 300 VII wiederholt nicht nur deklaratorisch die völkerrechtliche Bindung an völkerrechtliche Verträge der EG, sondern begründet eine eigenständig gemeinschaftsrechtliche Geltung der völker-rechtlichen Verträge als Gemeinschaftsrecht.11 Das wird an der Adressatenerstre-

Weiß, Zur Haftung der EG für die Verletzung des WTO-Rechts

7 Zur Frage, ob die hinreichende Qualifizierung der Rechtsverletzung eine generelle Haftungsbeschränkung ist, s. A. von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Kommentar zur EU, Art. 288, Rn. 84 (Stand Januar 2001).

8 Vgl. nur M. Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2. Auflage, 2002, Art. 288, Rn. 11.9 Das ÜWTO und seine Anhänge sind ein sog. gemischtes Abkommen, da die EG-Kompetenzen nicht alle Berei-

che des WTO-Rechts abdecken. Dazu näher W. Weiß/C. Herrmann, Welthandelsrecht, 2003, Rn. 120 ff.10 Der EuGH spricht von integrierenden Bestandteilen, Rs. 181/73, Slg. 1974, 449, Rn. 2 ff – Haegeman; Rs.

C-192/89, Slg. 1990, I-3461, Rn. 8 – Sevince.11 So auch S. Griller, Enforcement and Implementation of WTO law in the EU, in: Breuss/Griller/Vranes (Hrsg.),

The Banana Dispute, 2003, 291; K. Schmalenbach, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2. Auflage 2002, Art. 300, Rn. 48.

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ckung deutlich; die von der EG abgeschlossenen Verträge gelten auch für die Mit-gliedstaaten.12 Diese Regelung ist konstitutiv, vor allem mit Hinblick auf die in den Mitgliedstaaten an sich unterschiedlichen nationalen Bestimmungen über die Wir-kungen von völkerrechtlichen Abkommen in ihrer Rechtsordnung.13

Infolge der Geltung völkerrechtlicher Verträge der EG als Gemeinschaftsrecht ist ihre Verletzung nicht nur eine des Völkerrechts, sondern auch gemeinschaftsrecht-lich relevant.14 Das besagt aber noch nichts über die Rechtswirkungen, die das sol-chermaßen eingefügte völkerrechtliche Vertragsrecht in der internen Rechtsord-nung der EG und ein Verstoß hiergegen entfaltet, insbesondere nichts dazu, ob das Völkerrecht einen Prüfungsmaßstab für die Rechtmäßigkeit des Sekundärrechts darstellt.15 Selbst wenn man Art. 300 VII EGV als Ausdruck des Monismus sieht16, entstehen daraus keine zwingenden Folgerungen über die Wirkung des Völker-rechts in der internen Rechtsordnung der EG.17

Für die Einordnung völkerrechtlicher Abkommen als Gemeinschaftsrecht mit Rang zwischen Primär- und Sekundärrecht, also über dem Sekundärrecht, spricht, dass die Bindung der Organe auch für ihre Rechtsetzungstätigkeit gilt. Wenn Völker-recht bei der Rechtsetzung zu beachten ist, so streitet das für seinen Rang über Se-kundärrecht. Demgemäss geht die herrschende Lehre und der EuGH18 grundsätz-lich davon aus, dass völkerrechtliche Verträge über Sekundärrecht stehen. Aller-dings erscheint das nicht zwingend, da die EG-Organe auch an Sekundärrecht ge-bunden sind, ohne dass dadurch der Rang des Sekundärrechts verändert wird. Obschon somit völkerrechtliche Verträge der EG und damit auch das WTO-Recht als höherrangige Normen angesehen werden können, liegt eine Rechtsverletzung, also eine Verletzung dieser Normen durch Sekundärrecht nur vor, wenn die höher-rangige Norm Prüfungsmaßstab für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Se-kundärrechts ist. Mit der Rangeinordnung ist noch keine Aussage über die Art der Rechtswirkung des völkerrechtlichen Vertrags in der internen Gemeinschaftsrechts-ordnung getroffen. Die Bindung der Organe an den völkerrechtlichen Vertrag be-deutet noch nicht automatisch, dass dieser völkerrechtliche Vertrag Maßstab für die gemeinschaftsrechtliche Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Sekundärrechts ist.

12 W. Weiß, in: A. Ott/K. Inglis (Eds.), Handbook on European Enlargement, 2002, S. 201 f.13 Vgl. auch EuGH, Rs. 104/81, Slg. 1982, 3641, Rn. 14 – Kupferberg.14 Vgl. EuGH, Rs. 104/81, Slg. 1982, 3641, Rn. 11 – Kupferberg.15 Zu weitgehend und den EuGH missverstehend Mögele, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 300, Rn. 82,

wenn er meint, der EuGH folgere aus Art. 300 VII, dass völkerrechtliche Abkommen der EG „in der Rechtspre-chung des EuGH grundsätzlich als Prüfungsmaßstab für das sekundäre Gemeinschaftsrecht“ dienten.

16 So etwa Mögele, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 300, Rn. 77.17 Auch im Monismus gibt es unterschiedliche Spielarten, die einen Vorrang des Völkerrechts nicht mit unmittel-

barer Durchgriffswirkung ausstatten. Der Theorienstreit Monismus – Dualismus ist für die konkrete Betrach-tung der Wirkungen des Völkerrechts in einer Rechtsordnung weitgehend ohne Belang; es zählt die Auslegung des einschlägigen nationalen Rechts, vgl. näher P. Kunig, Völkerrecht und staatliches Recht, in: Graf Vitzthum (Hrsg.), Völkerrecht, 2. Auflage 2001, 2. Abschnitt, Rn. 31 ff.

18 EuGH, Rs. C-61/94, Slg. 1996, I-3989, Rn. 52 – Kommission/Deutschland. Aus der Literatur vgl. nur Mögele, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 300, Rn. 82; K. Schmalenbach, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2. Auflage 2002, Art. 300, Rn. 77.

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Der EuGH kann bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit von Sekundärrecht nur dann auf völkerrechtliche Verträge abstellen, wenn die völkerrechtlichen Verträge von den EG-Organen unmittelbar anzuwenden, d.h. auch vom EuGH bei der Klärung einer gemeinschaftsrechtlichen Rechtsfrage heranzuziehen sind. Diese rechtliche Wirkung eines völkerrechtlichen Vertrags geht über die bloße Geltung und Bin-dung hinaus19, weil dann der völkerrechtliche Vertrag die zusätzliche Rechtsfolge entfaltet, dass entgegenstehendes Sekundärrecht vom EuGH für rechtswidrig und nichtig zu halten ist.20

Die Anerkennung völkerrechtlicher Verträge als Rechtsquelle des Gemeinschafts-rechts besagt ferner auch deshalb nichts über ihre unmittelbare Anwendbarkeit, da auch andere Rechtsquellen des EG-Rechts nicht unmittelbar anwendbar sind. Der EGV unterscheidet zwischen der Bindungswirkung/Verbindlichkeit einer Rechts-norm einerseits und ihrer unmittelbaren Anwendbarkeit andererseits.21 Deutlich wird das bei der Unterscheidung der Rechtswirkungen von Verordnungen und Richtlinien in Art. 249 EGV. Verordnungen gelten unmittelbar, während die Richt-linie nur verbindlich ist. In analoger Sprachverwendung spricht Art. 300 VII EGV nur von der Verbindlichkeit der völkerrechtlichen Verträge als Gemeinschaftsrecht, nicht aber von ihrer unmittelbaren Anwendbarkeit. Die Rechtswirkung eines völ-kerrechtlichen Vertrags gemäß Art. 300 VII EGV kann daher insoweit mit der einer Richtlinie verglichen werden, die grundsätzlich nicht unmittelbar anwendbar ist. Auch im englischen Wortlaut des EGV lässt sich die Differenzierung zwischen „binding effect“ und „applicability“ feststellen.22

Rechtmäßigkeitsmaßstab für die Beurteilung des Sekundärrechts durch den EuGH ist ein völkerrechtliches Abkommen somit nur, soweit es für den EuGH unmittelbar anwendbar ist.23 Diese Prämisse liegt auch der Rspr. des EuGH zugrunde, der aus der fehlenden unmittelbaren Anwendbarkeit des WTO-Rechts zugleich folgert, dass das WTO-Recht nicht zu den Rechtsnormen zählt, an denen er die Rechtmä-

19 Rechtsfolge einer bloßen Bindung ohne unmittelbare Anwendbarkeit ist etwa die völkerrechtskonforme Ausle-gung des Gemeinschaftsrechts, dazu Krück, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 281, Rn. 20. Demgemäß sieht der EuGH als Folge des Vorrang der völkerrechtlichen Verträge vor Gemeinschaftsrecht nur die Pflicht, es „nach Möglichkeit in Übereinstimmung mit diesen Verträgen auszulegen“, so EuGH, Rs. C-61/94, Slg. 1996, I-3989, Rn. 52 – Kommission/Deutschland.

20 Wegen des Verwerfungsmonopols des EuGH für Sekundärrecht darf diese Feststellung ohnehin kein nationales Gericht treffen.

21 Für eine solche Unterscheidung auch C. Vedder, EuR 1982, 202 (212), der begrifflich zwischen Geltung und unmittelbarer Anwendbarkeit differenziert. Vgl. auch W. Weiß, Die Personenverkehrsfreiheiten von Staatsange-hörigen assoziierter Staaten in der EU, 1998, S. 61 f.

22 Bezüglich der Verordnung: „A regulation shall have general application. It shall be binding in its entirety and directly applicable in all Member States“, bezüglich der Richtlinie: “A directive shall be binding ... upon each Member State”. Es heißt nicht „binding ... in”; der Terminus applicability fehlt. Vergleichbar zur Regelung bei der Richtlinie lautet Art. 300 VII EGV: „Agreements … shall be binding on the institutions of the Community and on the Member States“ (Hervorhebungen vom Verfasser).

23 A.A. A. Epiney, EuZW 1999, 5 (11); W. Schroeder/A. Selmayr, JZ 1998, 341 (345) mit dem Argument, die Prü-fung der Rechtmäßigkeit sei eine Frage objektiven Rechts. Damit wenden sie sich mit Recht gegen eine Gleich-setzung der unmittelbaren Anwendbarkeit mit der Frage subjektiver Berechtigung. Dennoch bedarf auch die Beurteilung einer Normkollision eines mehr oder minder präzisen Prüfungsmaßstabs. Entscheidend ist somit die Frage der Präzision der völkerrechtlichen Norm; genau das ist ein Aspekt bei der Feststellung der unmittel-baren Anwendbarkeit einer völkerrechtlichen Norm.

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ßigkeit von Sekundärrecht misst.24 Das erweist sich somit als mit Art. 300 VII EGV prinzipiell vereinbar. Art. 300 VII ordnet nicht die unmittelbare Anwendbar-keit der völkerrechtlichen Abkommen an, sondern nur deren Geltung. Damit wird ein völkerrechtliches Abkommen wie das WTO-Recht nicht sogleich zum Prü-fungsmaßstab für Sekundärrecht. Eine für die Amtshaftung nötige Verletzung einer höherrangigen Norm ergibt sich somit nicht schon aus der Verletzung von nach Art. 300 VII EGV gemeinschaftsrechtlich inkorporiertem WTO-Recht.

bb) Unmittelbare Anwendbarkeit kraft allgemeiner Regeln?

Da eine unmittelbar gemeinschaftsrechtliche Anordnung der unmittelbaren Anwend-barkeit völkerrechtlicher Abkommen durch Art. 300 VII EGV nicht erfolgt25, könnte sich die unmittelbare Anwendbarkeit eines Vertrags bzw. einzelner seiner Bestim-mungen nur noch nach allgemeinen, auch völkerrechtlichen Kriterien ergeben. Sol-che völkerrechtlichen Auslegungs- und Anwendungsregeln für die völkerrechtlichen Abkommen können als durch Art. 300 VII EGV oder den sekundärrechtlichen Akt, der zum Abschluss des Abkommens führte, zusammen mit dem Abkommen in die Gemeinschaftsrechtsordnung inkorporiert angesehen werden. Sie sind mangels ande-rer EG-rechtlicher Regelungen für die Beurteilung der gemeinschaftsinternen Rechts-wirkungen völkerrechtlicher Abkommen der EG ausschlaggebend.Gemäß Völkerrecht können die Vertragsparteien vereinbaren, welche Wirkungen die Bestimmungen eines völkerrechtlichen Vertrags in der internen Rechtsordnung der Vertragsparteien haben sollen. Ist die interne Wirkung im Abkommen weder explizit noch implizit geregelt, bestimmt jede Partei autonom, welche Wirkung das Abkommen in seiner internen Rechtsordnung erhält.26 Das Völkerrecht verpflich-tet die Parteien nur, die eingegangenen Verpflichtungen zu befolgen. Hinsichtlich des „Wie“ der Umsetzung völkervertraglicher Verpflichtungen im internen Recht trifft das Völkerrecht grundsätzlich keine Aussage.Das WTO-Recht müsste somit ausdrücklich oder nach einer sinn- und zweckge-rechten Auslegung (Art. 31 WVRK II27) seine unmittelbare Anwendbarkeit in der internen Rechtsordnung der WTO-Mitglieder festlegen.

24 S. EuGH, (Fn. 2) Rn. 52 - Biret. Anders allerdings EuGH, Slg. 2001, I-7079, Rn. 53 f. bezüglich des Überein-kommens über die biologische Vielfalt. Das mag aber auf der vom EuGH durchgeführten Gleichsetzung der unmittelbaren Anwendbarkeit mit der subjektiven Berechtigung beruhen. Die Entscheidung zeigt, dass der EuGH dem Übereinkommen konkrete Pflichten entnimmt, an denen er den Sekundärrechtsakt misst. Außerdem ging es um eine Verletzung des Völkerrechts durch die Mitgliedstaaten.

25 Ergänzt sei hier noch, dass auch der Beschluss des Rates 94/800, ABl.EG 1994, Nr. L 336/1 über den Abschluss des ÜWTO in seiner letzten Begründungserwägung festhält, dass das ÜWTO und seine Anhänge nicht so „an-gelegt [ist], dass es unmittelbar vor den Gerichten der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten angeführt werden kann“. Somit gibt es auch keine sekundärrechtliche Anordnung der unmittelbaren Anwendbarkeit des WTO-Rechts, unbeschadet der Frage, ob die Begründungserwägungen eines Beschlusses an seiner normativen Wir-kung überhaupt teilnehmen.

26 Vgl. EuGH, Rs. C-149/96, Slg. 1999, I-8425, Rn. 34 – Portugal/Rat.27 Wiener Konvention über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder

zwischen internationalen Organisationen von 1986. Diese ist nicht in Kraft getreten. Da die Auslegungsregeln aber denen der allgemeinen Vertragsrechtskonvention entsprechen und diese kraft Gewohnheitsrechts gelten, können die Regeln insoweit herangezogen werden.

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Eine explizite Regelung findet sich insoweit nicht.28 Zwar ordnet Art. XVI:4 ÜW-TO die Verpflichtung der Parteien an, ihre interne Rechtsordnung WTO-konform zu gestalten. Das bringt aber – vor der Geschichte des GATT-Rechts verständlich29 – nur die allgemeine völkerrechtliche Pflicht zum Ausdruck, die Bestimmungen des völkerrechtlichen Vertrags zu beachten. Darin liegt keine Aussage zur unmittel-baren Anwendbarkeit des WTO-Rechts. Weder Wortlaut noch Sinn und Zweck for-dern eine unmittelbare Anwendbarkeit. Die Betonung der Verpflichtung in Art. XVI:4 ÜWTO, die nationale Rechtslage dem WTO-Recht anzupassen, ist vielmehr Hinweis dafür, dass das WTO-Recht keine unmittelbare Wirkung in der internen Rechtsordnung der Parteien in Anspruch nimmt. Diese Übereinstimmung herzu-stellen, wird gerade in den Verantwortungsbereich jedes Mitglieds gegeben.Die Auslegung des WTO-Rechts ergibt, dass die Parteien keine unmittelbare An-wendbarkeit des WTO-Rechts wollten. Nach allgemeinen Kriterien, denen grund-sätzlich30 auch der EuGH folgt, sind Bestimmungen eines völkerrechtlichen Ver-trags als unmittelbar anwendbar anzusehen, wenn sie hinreichend bestimmt und unbedingt sind, wofür neben dem Wortlaut auch Sinn und Zweck, Systematik und Zusammenhang des Abkommens zu beachten sind31. Die Regeln müssen unter Be-rücksichtigung ihres Wortlauts und im Hinblick auf den Sinn und Zweck des Ab-kommens eine klare und eindeutige Verpflichtung enthalten, deren Erfüllung oder deren Wirkung nicht vom Erlass weiterer Akte abhängen32. Legt man einen völker-rechtlichen Vertrag nach Treu und Glauben aus, ist bei inhaltlich bestimmten Re-geln, deren Anwendung von keinen weiteren Bedingungen mehr abhängt, von ei-nem dahingehenden Willen der Parteien auszugehen, diesen Bestimmungen unmit-telbare Anwendbarkeit einzuräumen.Viele Regeln des WTO-Recht weisen eine recht klare inhaltliche Bestimmtheit auf. Andererseits kennt das WTO-Recht wie das frühere GATT 1947 zahlreiche Durch-brechungen und Ausnahmen, die die Bestimmung des effektiv geforderten Libera-lisierungsmaßes erschwert. Jedenfalls fehlt den Regeln des WTO-Rechts die Unbe-

28 Die EG hat vielmehr die unmittelbare Anwendbarkeit der GATS-Verpflichtungen in ihren Zugeständnislisten ausdrücklich ausgeschlossen, vgl. P. Eeckhout, CMLRev. 1997, 11 (34). Ferner fand der Schweizer Vorschlag, eine unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Rechts zu verankern, keine Gefolgschaft, s. Eeckhout, ebda. S. 39, Fn. 84; S. Hörmann/G. Götsche, RIW 2003, 689 (693).

29 Im alten GATT 1947 Recht galt die sog. Großvaterklausel, die dazu führte, dass die Parteien ihre interne Rechtslage gerade nicht den GATT Verpflichtungen anpassen mussten; dazu W. Weiß/C. Herrmann, Welthan-delsrecht, 2003, Rn. 110, 132 Von dieser Einschränkung der völkerrechtlichen Bindungswirkung der GATT Verpflichtungen wollte man sich in der Uruguay-Runde bewusst absetzen. Das bedeutet aber nicht schon, dass die neue Regel gleich die unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Rechts verlangt.

30 Dass der EuGH völkerrechtliche Kriterien anlegt, wird in Rs. 104/81, Slg. 1982, 3641, Rn. 17 f – Kupferberg deutlich. Für – geringfügige - Differenzierungen s. Krück, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 281, Rn. 29. Vgl. auch W. Weiß, Die Personenverkehrsfreiheiten von Staatsangehörigen assoziierter Staaten in der EU, 1998, S. 74 ff. Dieser Streit dreht sich um die Frage, ob eine Bedingtheit schon dann vorliegt, wenn ein Umsetzungsakt notwendig ist, obschon dieser auf den Inhalt der Regelung keinen Einfluss mehr hat.

31 EuGH, verb. Rs. C-300/98 und C-392/98, Slg. 2000, I-11307, Rn. 42 – Dior u.a. Aus der Literatur: B. Schoiß-wohl, ZeuS 2001, 689 (700).

32 EuGH, Rs. 12/96, Slg. 1987, 3719, Rn. 14 – Demirel; vgl. auch Rs. 104/81, Slg. 1982, 3641, Rn. 23 – Kupfer-berg.

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dingtheit.33 Ihre Wirkung in der internen Rechtsordnung soll sich nicht unmittelbar kraft Geltung des Vertrags einstellen, sondern erst durch einschlägige Umsetzungs-bestimmungen und -maßnahmen der einzelnen Mitglieder. Dies lässt sich den Be-stimmungen des Dispute Settlement Understanding (DSU) über die Streitbeilegung entnehmen.Streitigkeiten zwischen WTO-Mitgliedern sind nach den Bestimmungen des DSU beizulegen. Danach müssen die Mitglieder ein Panel beantragen, das die WTO-Widrigkeit nationaler Maßnahmen beurteilt. Die Entscheidung des Panels oder ge-gebenenfalls des Appellate Body wird vom Streitbeilegungsgremium DSB ange-nommen, wodurch sie für die Streitparteien bindend wird. Erst durch die Entschei-dung des DSB wird eine WTO-Rechtsverletzung verbindlich festgestellt. Die Fest-stellung einer WTO-Rechtsverletzung ist nicht Angelegenheit der WTO-Mitglieder, sondern kommt ausschließlich den WTO-Gremien zu.34 Mit dieser völkerrechtlich ausschließlichen Zuständigkeit (vgl. auch Art. 23.2(a) DSU) könnte der EuGH in Konflikt geraten, würde er sich eine Kompetenz zur Prüfung der WTO-Rechtsver-letzung durch EG-Sekundärrecht zubilligen. Allerdings ist zwischen völkerrecht-lich verbindlicher Auslegung und Auslegung nur für den EG-Binnenraum zu unter-scheiden. Die Rechtsprechung des EuGH wirkt nur in der EG; daher kann ein un-mittelbarer Konflikt nicht entstehen.35

Durchgreifende Bedenken gegen die Unbedingtheit begründen die Regelungen des DSU über die Befolgung verbindlicher DSB-Entscheidungen. Eine verbindliche Feststellung der WTO-Rechtsverletzung gebietet nach WTO-Recht nicht sogleich die Beseitigung des WTO-Verstoßes durch sofortige Änderung der inkriminierten nationalen Maßnahme. Zunächst ist dem unterlegenen Mitglied eine angemessene Frist für die Umsetzung des DSB-Entscheids zu gewähren, die nach den Vorgaben des DSU die von der unterlegenen Streitpartei beantragte ist oder von den Parteien einvernehmlich festgelegt wird, Art. 21:3 (a), (b) DSU. Diese beträgt in der Praxis in der Regel 15 Monate, angelehnt an die Regelung in Art. 21:3 (c) DSU. Das Mit-glied hat trotz verbindlicher Feststellung der konkreten Verletzung seiner WTO-Verpflichtungen noch erheblichen Zeitraum für die interne Beseitigung des WTO Rechtsbruches. Das belegt, dass selbst die verbindliche DSB-Entscheidung nicht selbst unmittelbar anwendbar ist und erst recht, dass dadurch den verletzten WTO-Bestimmungen keine unmittelbare Anwendbarkeit gegeben wird. Auch der Ablauf der Umsetzungsfrist für die Befolgung der DSB-Entscheidung führt nicht zur un-mittelbaren Anwendbarkeit des WTO-Rechts. Denn zum Ablauf bzw. nach Ablauf der Frist, aber auch erst dann, kann die obsiegende Streitpartei Kompensationsver-

33 Vgl. zum Gatt 1947 EuGH, Rs. C-280/93, Slg. 1994, I-4973, Rn. 110 – Deutschland/Rat.34 Panel Report, WT/DS152/R, Tz. 7.38 – US Sections 301-310 of the Trade Act of 1974; Panel Report, WT/

DS165/R, Tz. 6.92.35 Demgemäß hat der EuGH in Rs. 70/87, Slg. 1989, 1781, Rn. 21 – Fediol festgehalten, dass das Bestehen eines

Streitbeilegungsverfahrens in einem völkerrechtlichen Vertrag nicht ausschließt, dass der EuGH oder andere nationale Gericht das Abkommen auslegen oder anwenden.

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handlungen verlangen oder die Aussetzung von Zugeständnissen, etwa die Verhän-gung von Strafzöllen, anstreben, wenn die Rechtsverletzung fortbesteht. An die fortgesetzte Nichtbefolgung knüpft das DSU somit nur die Konsequenz der Kom-pensation oder der Aussetzung von Zugeständnissen; eine unbedingte Befolgung ist damit – anders als bei anderen Streitbeilegungssystemen, für deren Entschei-dungen der EuGH eine unmittelbare Bindung angenommen hat36 - nicht gefor-dert.37 Kompensationen und Aussetzungen von Zugeständnissen wären unnötig, würde dem WTO-Recht bzw. der DSB-Entscheidung schon infolge Ablaufs der Umsetzungsfrist eine unmittelbare Anwendbarkeit zukommen. Diese Sanktionen sind zwar nur vorübergehende Druckmittel (ohne dass allerdings das DSU einen endgültigen Endtermin angibt; Art. 22:8 DSU gibt nur an, dass diese Maßnahmen bis zur Aufhebung der WTO-widrigen Maßnahme oder bis zur Findung einer ande-ren Lösung währen), die den Staat zur beschleunigten Umsetzung der DSB-Ent-scheidung motivieren sollen, und befreien nicht von der Verpflichtung zur Bereini-gung des WTO-Verstoßes (Art. 22:1, 2 DSU, allerdings mit variierender Termino-logie: einmal geht es um Umsetzung der Entscheidung, ein andermal um in Ein-klang bringen und beachten). Doch belegen diese Regelungen des DSU, dass eine unmittelbare Wirkung des WTO-Rechts auch nach Ablauf der Umsetzungsfrist von den Parteien nicht gewollt war. Hinzu kommt, dass die Streitparteien jederzeit durch eine gütliche Einigung das Streitbeilegungsverfahren beenden können (vgl. Art. 3:7 Satz 3 und 4 DSU, der die Rücknahme der als unvereinbar festgestellten Maßnahme nur als den gewöhnlichen Fall ansieht, und 22:8 3. Alt. DSU38); solche Möglichkeiten zur flexiblen Lösungsfindung auf diplomatischem Wege würden der EG verbaut, wäre das WTO-Recht unmittelbar anwendbar. Auf diese Flexibilität der Streitbeilegung hat der EuGH zu Recht abgestellt.Das DSU gewährt somit in seinem Art. 22 zeitliche und inhaltliche Flexibilität in der Umsetzung von DSB-Entscheidungen, ermöglicht zumindest (aber letztlich nicht nur) vorübergehend, auf dem Verhandlungsweg Lösungen zu erreichen39, und gebietet keine Durchgriffswirkung der DSB Entscheidung in die interne Rechts-

36 EuGH, Gutachten 1/91, Slg. 1991, I-6079, Rn. 39 – EWR I.37 Vgl. auch C. Pitschas in seiner Anmerkung, EuZW 2003, 762. A.A. zur unmittelbaren Anwendbarkeit von

DSB-Entscheidungen S. Griller (Fn. 11) 277 f; A. Weber/F. Moos, EuZW 1999, 229 (231 ff); G. Zonnekeyn, JWT 2000, 93 (101 f).

38 Das gilt auch noch nach Ablauf der Umsetzungsfrist, vgl. etwa die einvernehmliche Lösung des Bananenstreits zwischen der EG und den USA bzw. Ecuador, WT/DS27/58; a.A. GA Alber, Schlussanträge in Rs. Biret (Fn. 2), Tz. 75 unter unrichtiger Berufung auf Art. 5:5 DSU. Für Art. 22:8 3. Alt ist S. Griller (Fn. 11) 275 wegen der Parallelität der Formulierung zu Art. 26:1 b) DSU der Auffassung, dass sie sich nur auf die Nichtverletzungsbe-schwerde beziehe. Eine solche Einschränkung ist in Art. 22:8 3. Alt aber nicht explizit enthalten. Zwar scheint Art. 22:8 2. Alt auf die Nichtverletzungsbeschwerde zu verweisen. Doch ist auch bei einer Verletzungsbe-schwerde die Schmälerung und Zunichtemachung von Vorteilen wesentlich, vgl. Art. 3:3, 3:8, 22:7 DSU. Fer-ner steht die 3. Alt unabhängig neben der 2. Alt. Die EG und die USA haben ihre einvernehmliche Lösung des Bananenstreits ebenfalls als „mutually satisfactory solution“ bezeichnet, WT/DS27/58.

39 So erkannt vom EuGH, Rs. C-149/96, Slg. 1999, I-8425, Rn. 40 - Portugal/Rat; Urteil vom 1.3.2005, Rs. C-377/02, Tz. 51 – Van Parys. Vgl. auch T. Cottier, A Theory of Direct Effect in Global Law, in: Festschrift C. D. Ehlermann, 2002, 99 (111), der in der fehlenden zeitlichen Beschränkung der Sanktionen einen klaren Hin-weis für die fehlende unmittelbare Anwendbarkeit sieht.

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ordnung hinein. Diese Bedingtheit auf völkerrechtlicher Ebene darf und muss auch der EuGH für seine Beurteilung der gemeinschaftsinternen Wirkung von DSB-Ent-scheidungen aus Gründen der Gewaltenteilung und des institutionellen Gleichge-wichts beachten40, zumal der Rat in den Begründungserwägungen zum Beschluss 94/80041 seine Auffassung über die Ablehnung einer unmittelbaren Wirkung des WTO-Rechts deutlich machte. Das würde missachtet, würde man DSB-Entschei-dungen nach Ablauf der Umsetzungsfrist innergemeinschaftlich als unmittelbar an-wendbar ansehen. Der EuGH kann daher auch nicht gemeinschaftautonom die un-mittelbare Anwendung des WTO-Rechts anordnen. Damit ist den Erwägungen des EuGH vom September 2003, die die Möglichkeit andeuteten, nach Ablauf der Um-setzungsfrist für eine verbindliche DSB-Entscheidung die unmittelbare Anwend-barkeit anzunehmen, eine Absage zu erteilen.Gegen diese Argumentation könnte man einwenden, dass dadurch die Sanktions-mechanismen des DSU, die den Druck auf den unterlegenen Staat zur Beseitigung des WTO-Verstoßes verstärken sollen und damit die Effizienz der Streitbeilegung und des WTO-Rechts insgesamt erhöhen sollten, in sinnwidriger Weise nun zum Ansatz für eine nachteilige, individualschädliche Auslegung gemacht würden und die gewollte Stärkung der Beachtung des WTO-Rechts in ihr Gegenteil verkehrt würde. Dieser Einwand überzeugt indes nicht. Wenn das DSU Maßnahmen zur Verstärkung des Drucks in Richtung auf eine interne Umsetzung von WTO-Ver-pflichtungen vorsieht, so bestätigt das die fehlende unmittelbare Anwendbarkeit, zumal wenn die Sanktionen zwar als vorübergehend bezeichnet werden, aber kei-nen festgelegten Endtermin haben. Diese Defizite in der Effektivität der Durchset-zungsmechanismen sind zu beachten. Außerdem sind die Sanktionen nicht das zen-trale Argument gegen eine unmittelbare Anwendbarkeit.Die Ansicht, die eine unmittelbare Anwendbarkeit von DSB-Entscheidungen mit Ablauf der Umsetzungsfrist annimmt, muss sich mit dem weiteren Problem befas-sen, dass sich die Frage, ob eine Umsetzung erfolgt ist, nicht immer eindeutig be-antworten lässt. Wird die EG tätig, trägt aber die andere Streitpartei vor, dass die Umsetzung unzureichend erfolgte oder andere Bestimmungen des WTO-Rechts verletzte, dann würde eine unmittelbare Anwendbarkeit der Regelungen des WTO-Rechts durch den EuGH mit der Zuständigkeit des sog. compliance panels nach Art. 21:5 DSU für die verbindliche Entscheidung über die richtige Umsetzung in Konflikt geraten. Art. 21:5 DSU sieht vor, dass falls nach Ablauf der Umsetzungs-frist über die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Umsetzung gestritten wird, diese Meinungsverschiedenheit unter Einschaltung am besten des ursprünglichen Panels

40 Zur Bedeutung des institutionellen Gleichgewichts in diesem Kontext näher F. Snyder, CMLRev 2003, 313 (331 f).

41 ABl.EG 1994, Nr. L 336/1. Der EuGH ist sich seiner Pflicht zur Respektierung dieses Beschlusses bewusst, vgl. EuGH, Slg. 1999, I-8425, Rn. 48 – Portgual/Rat. Dass der Beschluss auch für das WTO Sekundärrecht gelten soll, bestätigt die in der Rs. Biret geäußerte Ratsauffassung, vgl. den Schlussantrag von GA Alber (Fn. 2), Rn. 29 ff.

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geklärt wird. Dessen Einschätzung der Befolgung der DSB Entscheidung durch die EG könnte von der des EuGH abweichen, was zur Gefahr unterschiedlicher Stan-dards führt. Weitere Probleme brächte die im derzeitigen DSU nicht völlig geklärte Problematik des sog. Sequencing, also die Frage nach dem Verhältnis zwischen compliance panel und einem Panel nach Art. 22.6 DSU, das Anfechtungen von Strafmaßnahmen beurteilt.42 Eine unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Rechts im Gemeinschaftsrecht würde dieses Problem weiter verschärfen.Als Ergebnis ist damit festzuhalten, dass das WTO-Recht nicht unmittelbar an-wendbar ist und somit keinen Prüfungsmaßstab für die Rechtmäßigkeit von Sekun-därrecht darstellt. Das gilt auch dann, wenn eine verbindliche Feststellung durch den DSB erfolgte und die Frist zu ihrer Umsetzung abgelaufen ist. Der Rechtspre-chung des EuGH zur fehlenden unmittelbaren Anwendbarkeit ist im Ergebnis, wenn auch nicht unbedingt in der Begründung, auch für den Sekundärrechtschutz zuzustimmen. Die Begründung des EuGH verweist teilweise auf die fehlende Mög-lichkeit des Einzelnen, sich auf das WTO-Recht zu berufen und begründet damit die fehlende unmittelbare Anwendbarkeit.43 Dogmatisch ist das zu kritisieren, da die unmittelbare Anwendbarkeit von der Frage einer subjektiven Begünstigung des einzelnen zu unterscheiden ist, was der EuGH nicht erkennt.44 Unmittelbare An-wendbarkeit ist Voraussetzung für eine subjektive Begünstigung. Die unmittelbare Anwendbarkeit einer Norm kann auch Belastungen zur Folge haben, wie die un-mittelbare Anwendbarkeit von EG-Verordnungen zeigt.

cc) Die Ausnahmen: Unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Rechts kraft sekundärrechtlicher Transformation

Der EuGH anerkennt zwei Situationen, in den dem WTO-Recht ausnahmsweise doch unmittelbare Anwendbarkeit zukommt. Das WTO-Recht ist dann unmittelbar anwendbar, wenn das Sekundärrecht ausdrücklich auf spezielle Bestimmungen der WTO Übereinkünfte verweist oder wenn es bestimmte Verpflichtungen aus dem WTO-Recht umsetzen soll. In beiden Fällen dient dann das einschlägige WTO-Recht als Rechtmäßigkeitsmaßstab für die Beurteilung des Sekundärrechts.45 Bei-des kann man als Fälle spezieller sekundärrechtlicher Umsetzung von WTO-Ver-pflichtungen ansehen. Durch die Bezugnahme des Sekundärrechts auf WTO-Recht

42 Dazu näher W. Weiß/C. Herrmann, Welthandelsrecht, 2003, Rn. 324, 368. Zu diesbezüglichen Reformüberle-gungen vgl zuletzt W. Weiß, Reform of the Dispute Settlement Understanding, Manchester Journal of Internati-onal Economic Law, 2004, Heft 2, S. 96 (100 f, 111 f).

43 So etwa in EuGH, verb. Rs. C-300/98 und 392/98, Slg. 2000, I-11307, Rn. 44 f – Dior u.a.44 So auch K. Schmalenbach, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2. Auflage 2002, Art. 300, Rn. 59.45 Vgl. auch Rs. C-149/96, Slg. 1999, II-8425, Rn. 49 – Portugal/Rat; EuG, Rs. T-18/99, Slg. 2001, II-913, Rn. 58

– Cordis; zuletzt verb. Rs. T-64/01 und T-65/01, Urteil vom 10.2.2004, Rn. 139 – Afrikanische Frucht Compag-nie u.a. Die Verwendung des Welthandelsrechts als Prüfungsmaßstab lässt sich genau besehen nicht auf das Urteil Nakajima (dazu sogleich) stützen, weil es dort um die Auslegung von Sekundärrecht im Lichte des GATT ging; das im Lichte des GATT ausgelegte Sekundärrecht war dann Prüfungsmaßstab für eine Entschei-dung der Kommission. Für die Auslegung des Sekundärrechts im Lichte des WTO-Rechts muss Letzteres nicht unmittelbar anwendbar sein.

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oder infolge der speziellen Umsetzungsmotivation des EG-Sekundärrechtsgesetz-gebers nimmt der EG-Gesetzgeber die unmittelbare Anwendung des einschlägigen WTO-Rechts in seinen Gesetzgebungswillen auf. Die unmittelbare Anwendbarkeit des einschlägigen WTO-Rechts ergibt sich daher aus der speziellen sekundärrecht-lichen Transformation völkerrechtlicher Pflichten. Da diese sekundärrechtliche Im-plementation im Lichte der Rangeinordnung völkerrechtlicher Abkommen durch Art. 300 VII EGV als höherrangig anzusehen ist, ergibt sich daraus die unmittelba-re Anwendbarkeit als höherrangiges Recht.Eine solche sekundärrechtliche Transformation des WTO-Rechts durch die EG kann nicht pauschal und generell für das gesamte WTO-Recht unterstellt werden, auch wenn die EG nach Art. XVI:4 ÜWTO zur Umsetzung des WTO-Rechts in nationales Recht verpflichtet ist. Vielmehr muss für den jeweiligen Sekundärrechts-akt, auf dessen Rechtswidrigkeit die Schadenersatzklage gestützt wird, einzeln und individuell nachgewiesen werden, dass er sich entweder auf WTO-Recht bezieht oder erlassen wurde, um WTO-Verpflichtungen umzusetzen. Die Annahme einer pauschalen Implementation des gesamten WTO-Rechts wegen der völkerrechtli-chen Verpflichtung nach Art. XVI:4 ÜWTO wäre eine Fiktion. Daher betont der EuGH in seinen Entscheidungen zu Recht, dass es sich um bestimmte WTO-Ver-pflichtungen handeln muss, auf die verwiesen wird bzw. die umgesetzt werden.Besondere Bedeutung könnte die Transformationsausnahme aber dann erhalten, wenn eine verbindliche DSB-Entscheidung vorliegt. Dann könnte man argumentie-ren, alle nachfolgenden Maßnahmen der EG dienten dem Ziel, die aus der DSB-Entscheidung folgenden Verpflichtungen zu befolgen, so dass eine spezielle Trans-formation vorläge. Ergebnis dieser Überlegung wäre, dass sobald eine verbindliche DSB-Entscheidung vorliegt, die eine WTO-Rechtsverletzung durch die EG fest-stellt, alle auf diesem Gebiet nachfolgend von der EG gesetzten Maßnahmen als Umsetzung anzusehen wären, so dass das der DSB-Entscheidung zugrunde liegen-de WTO-Recht unmittelbar anwendbar würde und einen Rechtmäßigkeitsmaßstab darstellte. Die EG würde dann für unzureichende oder fehlerhafte Befolgung der DSB-Entscheidung spätestens nach Ablauf der Umsetzungsfrist haften.Eine solche Begründung einer Haftung der EG für die Nichtumsetzung von DSB-Entscheidungen geht zu weit, weil sie pauschal unterstellt, dass jede nachfolgend von der EG in diesem Bereich getroffene Maßnahme die DSB-Entscheidung um-setzen will. Zwar kann man der EG nicht ohne weiteres einen bewussten Bruch des WTO-Rechts unterstellen. Doch verlangt – wie gesehen – das WTO-Recht gerade nicht zwingend eine unbedingte und sofortige Umsetzung der DSB-Entscheidung. Zwar ist die EG verpflichtet, die WTO-Rechtsverletzung zu beseitigen. Wann und wie sie das tut, dafür gibt das DSU wie gesehen im Ergebnis keine definitiven Vor-gaben, sondern erheblichen Spielraum.Das Bestehen einer DSB-Entscheidung, die die WTO-Verletzung durch die EG feststellt, ist (auch nach Ablauf der angemessenen Umsetzungsfrist) somit nicht schon für sich geeignet, für alle nachfolgenden Handlungen der EG in diesem Be-reich die Amtshaftung auszulösen.

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Anders ist es aber dann, wenn ein nach einer DSB-Entscheidung erlassener Sekun-därrechtsakt explizit auf diese Entscheidung verweist oder zu seiner Umsetzung erlassen wurde. Denn dann, und nur dann, hat die EG in der Absicht gehandelt, Verpflichtungen aus dem WTO-Recht in die Gemeinschaftsrechtsordnung umzu-setzen, so dass das Sekundärrecht daran gemessen werden kann.Nicht unproblematisch ist aber zu beurteilen, wann eine solche Verweisung oder Umsetzung vorliegt.46 Die Formulierung des EuGH in den letzten Jahren verlangt einen Bezug auf spezielle WTO-Verpflichtungen, während es in den Leitentschei-dungen Fediol47 und Nakajima48, auf die der EuGH sich immer wieder stützt, um pauschale Bezugnahmen auf völkerrechtliche Verpflichtungen der EG ging. Ferner hat der EuGH eine Prüfung der GATT-Vereinbarkeit der Bananenmarktverordnung 404/9349 abgelehnt, obgleich sie in ihren Erwägungsgründen auf die Einhaltung internationaler Verpflichtungen Bezug nahm.50 Die Handhabung ist somit nicht einheitlich. Zumindest scheint der EuGH aber, wie auch die neue Formel anheim stellt, auf einer expliziten Verweisung zu bestehen, so dass er die Prüfung von Se-kundärrecht an WTO-Recht, das keine explizite Verweisung hat, ablehnt.51 Fraglich bleibt dann noch, ob eine Verweisung pauschal auf völkerrechtliche Verpflichtun-gen genügt oder ob eine Verweisung auf bestimmte Pflichten oder gar spezielle Artikel eines Vertrags nötig ist, wie die neue Formel nahe legt.52

Ein mögliches künftiges Beispiel für eine erfolgreiche Klage mag im Hormonstreit die neue Hormonrichtlinie 2003/74 sein53, die sich explizit auf DSB-Entscheidun-gen bezieht54, über deren Vereinbarkeit mit den DSB-Entscheidungen jedoch nach wie vor gestritten werden kann, weil sie beim Verbot der Wachstumshormone bleibt, ohne dass der zuständige wissenschaftliche Ausschuss der EG sich in der Lage sah, für fünf der sechs Hormone das Risiko zu quantifizieren.55 Die No-vellierungen zur umstrittenen Bananenmarktordnung durch die Verordnungen

46 S. auch Berrisch/Kamann, EWS 2000, 89 (95 f). Dazu zuletzt EuG, Rs. T-19/01 vom 3.2.2005, Tz. 156 ff und EuGH, Rs. C-377/02 vom 1.3.2005, Tz. 41, 49 ff.

47 EuGH, Rs. 70/87, Slg. 1989, 1781, Rn. 19-22 – Fediol. Hier bestimmte die Antidumpingverordnung 2641/84 als unerlaubte Handelspraktiken „alle Praktiken von Drittländern, die, was den internationalen Handel betrifft, mit den Regeln des Völkerrechts oder den allgemein anerkannten Regeln unvereinbar sind“. Das sah der EuGH als Verweisung auch auf das GATT.

48 EuGH, Rs. C-69/89, Slg. 1991, I-2069, Rn. 30 f – Nakajima. Die Umsetzungszielsetzung ergab sich aus der 2. Begründungserwägung der damaligen Antidumpingverordnung 2423/88, ABl.EG 1988, Nr. L 209/1, die vor-sah, dass die Verordnung „in Übereinstimmung mit den bestehenden internationalen Verpflichtungen“, wozu auch GATT-Recht zählt, festgelegt wurde.

49 ABl.EG 1993, Nr. L 47, S. 1.50 Vgl. Prieß/Berrisch, WTO-Handbuch, 2003, S. 765, Rn. 33.51 A.A. G. A. Zonnekeyn, JIEL 2001, 597 (602); wie hier S. Griller, JIEL 2000, 441 (464).52 Im Urteil vom 1.3.2005, Rs. C-377/02, Tz. 52 fordert der EuGH eine ausdrückliche Verweisung „auf spezielle

Bestimmungen der WTO-Übereinkünfte“ und die Umsetzung bestimmter Verpflichtungen im Gegensatz zu solchen allgemeiner Art. Zu Letzterem explizit EuG, Rs. T-19/01, 3.2.2005, Tz. 159.

53 ABl.EG 2003, Nr. L 262, S. 17.54 In der 3. und 4. Begründungserwägung wird auf den Hormonstreit vor den WTO-Streitbeilegungsorganen und

deren Entscheidungen Bezug genommen. Es wird allerdings nicht deutlich, ob die Richtlinie zu deren Umset-zung dienen soll. Hoffnungen hinsichtlich einer Begründbarkeit von Schadensersatzklagen äußert G. A. Zonne-keyn, EC Liability for Non-Implementation of WTO Dispute Settlement Decisions – Are the Dice Cast?, JIEL 2004, 483 (490).

55 C. Pitschas, Anmerkung, EuZW 2003, 763.

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1637/9856 und 2362/9857, die frühere DSB-Entscheidungen, die die WTO-Rechts-widrigkeit des Bananenmarktregimes feststellten, umsetzen wollten,58 sind vom EuG und vom EuGH nicht als Maßnahmen aufgefasst worden, obgleich sie auf das WTO-Recht verweisen. Interessanterweise hat die EG in der letzten Bananenmarkt-ordnungsnovelle in Verordnung 896/200159 jede Bezugnahme auf WTO-Verpflich-tungen vermieden. Es bleibt indes unbefriedigend, weil sehr formal, wenn schon der bloße Verzicht auf eine explizite Bezugnahme auf das WTO-Recht dazu führen würde, dass WTO-Recht nicht Maßstab für Sekundärrecht ist.60 Da die EG sich dann der Haftung leicht entziehen könnte, muss man eher darauf abstellen, ob nach den Gesamtumständen, die zum Normerlass führten, eine Umsetzung von Vorga-ben der WTO erfolgen sollte.

dd) Ergebnis

Die Verletzung von WTO-Recht ist keine Rechtsverletzung, die die Amtshaftung der EG auslöst. Das gilt auch nach verbindlicher Feststellung der WTO-Rechtsver-letzung durch den DSB, selbst nach Ablauf einer dafür vorgesehenen Umsetzungs-frist. Eine Ausnahme davon ist dann zu machen, wenn die EG durch Sekundärrecht bestimmte WTO-Verpflichtungen umgesetzt oder auf sie verwiesen hat.61 Das ist unabhängig davon, ob eine DSB-Entscheidung vorliegt, bedarf aber einer Verwei-sung im Normtext oder einer Bezugnahme in den Begründungserwägungen auf das WTO-Recht bzw. eine DSB-Entscheidung. Hielte man hingegen das WTO-Recht und die DSB-Entscheidungen generell für unmittelbar anwendbar, würde der EuGH seine Letztentscheidungskompetenz für die Rechtmäßigkeit von EG- Sekundärrecht verlieren. Dass der EuGH hier sehr sensibel ist, zeigt das Gutachten EWR I, in dem er die Errichtung eines EWR-Gerichtshofes wegen der Rückwirkungen auf die au-tonome Entwicklung des Gemeinschaftsrechts und seine Auslegungshoheit als mit dem EGV unvereinbar erklärte, und zwar auch nach einer Änderung des EGV.62

56 ABl.EG 1998, Nr. L 210, S. 28. In der 2. Begründungserwägung wird festgehalten, dass die im Rahmen der WTO eingegangenen Verpflichtungen und die Verpflichtungen aus den AKP-Abkommen eingehalten werden. In Art. 18 IV wird auf eine noch herbeizuführende Einigung mit den WTO-Partnern bezüglich der Festlegung eines Zollkontingents verwiesen. Vergleicht man dies mit der Situation, die dem Nakajima-Urteil zugrunde lag, dürfte das aber eine Verweisung darstellen. Vgl. auch G. A. Zonnekeyn, EC Liability For Non-Implementation Of Adopted WTO Panel and Appellate Body Reports, in: Kronenberger (ed.), The EU and the International Legal Order, 2001, S. 251 (267), der die Nakajima Rechtsprechung für diese Verordnung als einschlägig an-sieht, ferner Hörmann/Götsche, RIW 2003, 689 (695 f).

57 ABl.EG 1998, Nr. L 293, S. 32. Hier wird die WTO nur in der 1. Begründungserwägung genannt.58 EuG, verb. Rs. T-64/01 und T-65/01, 10.2.2004, Rn. 140; so auch EuG, Rs. T-18/99, Slg. 2001, II-913, Rn. 59

– Cordis für VO 2362/98, obgleich das EuG in Rn. 8 selbst feststellt, dass die VO erlassen wurde, um den Ent-scheidungen des DSB nachzukommen. Für eine Anwendbarkeit der Nakajima Ausnahme G. A. Zonnekeyn, JIEL 2001, 597 (603), der auf entsprechende Einschätzungen auch der Panels verweist. Kritikwürdig an dem erstgenannten Urteil ist auch, dass die Darlegungs- und Beweislast hierfür dem Kläger auferlegt wird, obgleich es sich im Kern um Rechtsfragen, nicht um Tatsachenfragen handelt. Das EuG unterscheidet in Rs. T-19/01 vom 3.2.2005 in artifizieller Weise zwischen Befolgung und Umsetzung in Tz. 167. EuGH. Rs. C-377/02, 1.3.2005, Tz. 49 ff. Mit Recht ablehnend A. Steinbach, EuZW 2005, 331 (334).

59 ABl.EG 2001, Nr. L 126, S. 6.60 Daher will G.A. Zonnekeyn, JIEL 2001, 597 (604) zu Recht andere Nachweismöglichkeiten zulassen.61 So auch Prieß/Berrisch, WTO-Handbuch, 2003, S. 764, Rn. 28; A. von Bogdandy, JWT 2005, 45 (48 ff.).62 Gutachten 1/91, Slg. 1991, I-6079, Rn. 28 ff.

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In diesem Aspekt unterscheidet sich das WTO-Recht maßgeblich von anderen Übereinkommen, was seine Sonderbehandlung rechtfertigt und auch der eigentli-che, unausgesprochene Grund für die spezielle Rechtsprechung zum WTO-Recht sein mag, die strengen Wert auf die Beachtung der Kriterien einer unmittelbaren Anwendbarkeit legt: Das WTO-Recht verfügt über eine eigene Quasi-Gerichtsbar-keit, die in auch für die EG verbindlicher Weise entscheidet und dadurch weitrei-chende Rückwirkung auf das EG-Recht hat63. Die Zuerkennung unmittelbarer in-nergemeinschaftlicher Wirkungen würde die Autonomie des EuGH beschneiden.

b) Schutzwirkung der Norm

Für den Erfolg einer Amtshaftungsklage ist neben der Verletzung einer höherrangi-gen Norm die Feststellung erforderlich, dass die verletzte Norm dem Schutz des Einzelnen dient.64 In manchen Urteilen findet sich die Formulierung, dass die Norm dem Einzelnen Rechte gewähren muss.65 Letzteres ist enger, denn begriff-lich lässt sich beides auseinander halten. Eine Norm kann objektiv den Einzelnen und seine Interessen schützen, ohne sogleich dem Einzelnen diesbezügliche Rechte gewähren zu wollen. Im Rahmen der Schadenersatzklage dürfte die weniger weit-reichende Feststellung, dass eine als verletzt gerügte Norm Individualinteressen schützt, genügen. Der EuGH beurteilt in seiner Rechtsprechung zur Amtshaftung der EG die Frage der Schutzwirkung der verletzten Norm recht liberal und großzü-gig.66 Eine Schutznorm liegt demnach bereits dann vor, wenn sie in erster Linie Interessen allgemeiner Art und nur mittelbar auch die individuellen Interessen mit-schützt.67

Zwar hat der EuGH wiederholt festgestellt, dass die Normen des WTO-Rechts dem Einzelnen keine Rechte gewährten.68 Doch traf er diese Aussage im Kontext der Prüfung der Rechtmäßigkeit eines Sekundärrechtsaktes. In der Tat ist es eine zwin-gende Konsequenz aus der Ablehnung der unmittelbaren Anwendbarkeit des WTO-Rechts, dass dieses Recht dem Einzelnen keine Rechte verschafft, die er vor dem EuGH oder nationalen Gerichten geltend machen könnte. Damit ist aber nicht schon die Voraussetzung verneint, dass diese Normen Individualinteressen dienen wollten.

63 Zum Problem dadurch eventuell ausgelöster Diskriminierung zum Nachteil von EU-Bürgern im Vergleich zu Drittstaatsangehörigen s. W. Weiß, EuR 1999, 499.

64 So EuGH, Rs. 5/71, Slg. 1971, 975, Rn. 11 – Schöppenstedt; verb. Rs. C-104/89 und C-37/90, Slg. 1992, I-3061, Rn. 12 – Mulder u.a.

65 EuGH, Rs. C-352/98 P, Slg. 2000, I-5291, Rn. 42 – Bergaderm; EuG, Rs. T-18/99, Slg. 2001, II-, Rn. 45 – Cor-dis ; 10.2.2004, verb. T-64/01 und T-65/01, Rn. 71 – Afrikanische Frucht Compagnie u.a..

66 A. Arnull, Liability for Legislative Acts under Article 215 (2) EC, in: T. Heukels/A. McDonnell (Hrsg.), The Action for Damages in Community Law, 1997, 129 (136); M. Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2. Auflage, 2002, Art. 288, Rn. 13.

67 A. von Bogdandy, in: Grabitz/Hilf (Hrsg.), Kommentar zur EU, Art. 288, Rn. 69; M. Gellermann, in: Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, 2003, Art. 288, Rn. 20.

68 Vgl. EuGH, Rs. C-307/99, Slg. 2001, I-3159, Rn. 25 – OGT Fruchthandelsgesellschaft; EuG, Rs. T-18/99, Slg. 2001, II- Rn. 46 – Cordis.

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Außerdem ist zu beachten, dass nach der hier vertretenen Ansicht die Amtshaftung der EG ohnehin nur in den Fällen denkbar ist, in denen Sekundärrecht auf WTO-Verpflichtungen verweist oder sie umsetzen will (s. oben). Dann liegt aber eine unmittelbare Anwendbarkeit vor, so dass das Argument des EuGH für den Aus-schluss subjektiver Rechte nicht greift.Entscheidend ist damit, ob das WTO-Recht den Interessen Einzelner dient. Das ist zu bejahen. Zwar ist es vorrangig auf die objektive Regelung des grenzüberschrei-tenden Handelsverkehrs durch die Staaten ausgerichtet und will deren Regelungs-autonomie beschneiden und nicht den Einzelnen Rechte gewähren. Da die von fortschreitenden Liberalisierungen des grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehrs mittelbar Begünstigen aber die Wirtschaftssubjekte, also die Handeltreibenden sind, schützt das WTO-Recht im Reflex deren Interessen an offenen Märkten69. Ein Panel hat jüngst die indirekte Ausrichtung des WTO-Rechts auf den Schutz der In-teressen des Einzelnen betont.70

Somit ist die Schutzrichtung des WTO-Rechts kein Hindernis, an dem eine Scha-densersatzklage wegen der Verletzung von WTO-Recht scheitern könnte.

c) Hinreichend qualifizierte Rechtsverletzung

Schließlich fordert der EuGH noch eine qualifizierte Rechtsverletzung. Nicht jede Rechtsverletzung soll die Haftung auslösen, sondern nur ein gravierender Rechts-verstoß. Diese Einschränkung ist vor dem Hintergrund verständlich, dass es sich zumindest im vorliegenden Kontext um die Haftung für normatives Unrecht han-delt, weil es um die WTO-Widrigkeit sekundärrechtlicher Regelungen geht. Die Willensbildung der Rechtsetzungsorgane soll nicht behindert werden.71 Sie müssen unterschiedliche Interessen miteinander in Einklang bringen. Daher soll nicht jede Rechtswidrigkeit die Haftung auslösen.Für Sachverhalte, in denen den EG-Organen ein Ermessensspielraum zukommt, bedeutet das, dass das Organ die Grenzen seiner Befugnisse offenkundig und er-heblich überschritten haben muss. Dabei geht es um die Schwere der Verletzungs-handlung und des Schadens. Kriterien dafür sind die besondere Bedeutung der ver-letzten Schutznorm, die (Un)Entschuldbarkeit der Normverletzung, die Begrenzt-heit der betroffenen Gruppe von Geschädigten und der Eintritt eines Schadens, der über das wirtschaftliche Risiko einer geschäftlichen Betätigung hinausgeht. Ferner

69 S. auch B. Schoißwohl, ZeuS 2001, 689 (714).70 Panel, WT/DS152/R, Rn. 7.72, 7.76-7.78 – US Sections 301-310 of the Trade Act of 1974: “… The multilateral

trading system is, per force, composed not only of States but also, indeed mostly, of individual economic ope-rators. The lack of security and predictability affects mostly these individual operators. … Trade is conducted most often and increasingly by private operators. It is through improved conditions for these private operators that Members benefit from WTO disciplines. The denial of benefits to a Member … is often indirect and re-sults from the impact of the breach on the market place and the activities of individuals within it. It may, thus, be convenient in the GATT/WTO legal order to speak not of the principle of direct effect but of the principle of indirect effect.” Dazu näher W. Weiß/C. Herrmann, Welthandelsrecht, 2003, Rn. 248.

71 M. Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2. Auflage 2002, Art. 288, Rn. 11 mwN.

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gelten die weiteren Gesichtspunkte, die für eine Haftung der Mitgliedstaaten für die Verletzung von EG-Recht gelten72, also das Maß an Genauigkeit und Klarheit der verletzten Bestimmung, der Umfang des Ermessensspielraums und die Vorsätz-lichkeit.73 Ob diese nicht kumulativen, sondern im Rahmen einer Gesamtwürdi-gung zu prüfenden Kriterien vorliegen, ist Frage des Einzelfalls und kann nicht pauschal bejaht oder verneint werden. Eine grundsätzliche Differenzierung er-scheint aber möglich, nämlich die Differenzierung zwischen der bloß materiellen WTO-Rechtsverletzung und der Situation, in der bereits eine verbindliche Feststel-lung durch den DSB vorliegt, die eine WTO-Rechtsverletzung bejaht. Denn eine Verletzung des WTO-Rechts ist nicht immer leicht zu beurteilen. Erlässt die EG daher Sekundärrecht, um materielles WTO Recht umzusetzen oder darauf zu ver-weisen, dann ist die Annahme einer offenkundigen Verletzung des WTO-Rechts ohne vorherige verbindliche Feststellung des DSB eher die klare Ausnahme. Hier kehren die Aspekte der Flexibilität und Ungenauigkeit des WTO-Rechts wieder.Anders ist es, wenn eine DSB-Entscheidung vorliegt und die EG dann Sekundär-recht verabschiedet, um diese umzusetzen. In diesem Fall kann die Frage, ob eine offenkundige und erhebliche Verletzung vorliegt, wenn die Umsetzung der DSB-Entscheidung unzureichend blieb, unter Übertragung der Grundsätze beurteilt wer-den, wie sie für die Haftung der Mitgliedstaaten für fehlerhafte Umsetzung von Richtlinien in der Rechtsprechung des EuGH entwickelt worden sind.74 Da das DSU einen Umsetzungszeitraum vorsieht, greift die Haftung frühestens nach Ab-lauf der vom DSB gesetzten angemessenen Umsetzungsfrist ein. Bleibt das neuge-setzte Sekundärrecht dann hinter dem vom DSB Geforderten zurück, besteht grundsätzlich eine offenkundige und erhebliche Rechtsverletzung.Nicht übertragbar ist hier der Ansatz des EuGH, wonach eine völlig fehlende Um-setzung einer EG-Richtlinie durch einen Mitgliedstaat stets als offenkundiger und erheblicher Verstoß anzusehen ist. Denn die bloße Nichtumsetzung einer DSB-Ent-scheidung durch die EG stellt keine gemeinschaftsrechtliche Rechtsverletzung dar (s. oben a)); selbst wenn sie vorläge, wäre sie wohl keine offenkundige und schwe-re Ermessensüberschreitung, weil das DSU die Flexibilität in der Befolgung von DSB Entscheidungen gerade vorsieht75. Eine Haftung der EG kann somit nur dann entstehen, wenn die EG (während der Umsetzungsfrist für eine DSB-Entscheidung oder auch danach) Sekundärrecht erlässt, das explizit auf die WTO-Verpflichtun-

72 Zum grundsätzlichen Gleichlauf der Anspruchsvoraussetzungen s. EuGH, Rs. C-352/98 P, Slg. 2000, I-5291, Rn. 41 – Bergaderm und Goupil. S. auch W. Berg, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 288, Rn. 50.

73 Vgl. EuGH, verb. Rs. C-46/93 und 48/93, Slg. 1996, I-1029, Rn. 56 – Brasserie du Pecheur.74 Anders B. Schoißwohl, ZeuS 2001, 689 (717), die eine Übertragung der Kriterien ablehnt, weil die Fortsetzung

des rechtswidrigen Verhaltens nach dem DSU ein zulässiges Verhalten ist und daher keine offenkundige und erhebliche Befugnisüberschreitung. Diese Überlegung gilt für vorliegenden Ansatz nicht, weil die Rechtsverlet-zung ohnehin nach hier vertretener Meinung nur in den Fällen gegeben ist, in denen eine sekundärrechtliche spezielle Transformation der WTO-Verpflichtungen erfolgte. Bleibt die Umsetzung durch die EG hinter WTO-Recht zurück, kann die EG sich nicht mehr auf die Flexibilität nach dem DSU berufen, weil sie sich schon an-ders entschieden hat.

75 So auch B. Schoißwohl, ZeuS 2001, 689 (716).

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gen76 verweist oder diese umsetzt und hinter dem Geforderten zurückbleibt. Nur dann kann der Verstoß überhaupt offenkundig und erheblich sein.Daher stellt sich das Ergebnis ein, dass die EG für eine unzureichende Befolgung einer DSB-Entscheidung unter bestimmten Umständen haftet, während sie für die vollständige Nichtbefolgung überhaupt nicht haftet. Das mag widersprüchlich an-muten. Der Widerspruch ist aber nur scheinbar. Denn die EG haftet für eine teil-weise Umsetzung von WTO-Verpflichtungen wie etwa einer DSB-Entscheidung nur deshalb, weil ein konkreter Sekundärrechtsakt der EG hinter seinen (Umsetzungs)Zielen zurückblieb. Das WTO-Recht entfaltet auch dann weder un-mittelbar noch vermittelt durch eine DSB-Entscheidung unmittelbare Anwendbar-keit, sondern nur infolge seiner ausdrücklichen sekundärrechtlichen Transformati-on. Unterbleibt diese Bezugnahme, so liegt auch nach der Rechtsprechung des EuGH keine unmittelbare Anwendbarkeit und damit auch keine schadenersatz-pflichtige Rechtsverletzung vor. Das Untätigbleiben der EG trotz verbindlicher Feststellung der WTO-Verletzung durch eine DSB-Entscheidung ist zwar eine Ver-letzung des Völkerrechts, begründet aber keine gemeinschaftsrechtliche Rechtsver-letzung, die eine Haftungsfolge herbeiführt. Letztlich liegt der Unterschied darin, dass die bloße Nichtumsetzung völkerrechtlicher Vorgaben anders als eine explizi-te Verweisung oder Umsetzung im Sekundärrecht für die EG keinen Haftungstatbe-stand schafft.

d) Kausalität und Schaden

Auf Fragen der Kausalität und des Schadens kann hier nur knapp eingegangen wer-den, weil es hier wiederum auf die Umstände des Einzelfalls ankommt. Problema-tisch erscheint die Kausalität zwischen Rechtsverletzung und Schaden jedoch, wenn der Schaden nicht die direkte, unmittelbare Folge der WTO-Rechtsverletzung durch die EG selbst, sondern erst Konsequenz von Sanktionsmaßnahmen der Han-delspartner infolge der unterbliebenen Befolgung von DSB-Entscheidungen ist. Denn damit lassen sich verschiedene Betroffenenkreise unterscheiden. Von einer Verletzung des WTO-Rechts sind zunächst diejenigen betroffen, die in dem Markt tätig sind, der Gegenstand der WTO-Verletzung ist und deren Marktchancen durch die WTO-Verletzung eingeschränkt werden (sog. direkt Betroffene, etwa die in der EU ansässigen Importeure77 von Drittlandsbananen oder von US-Rindfleisch im

76 Sei es auf die materiellen WTO Verpflichtungen oder auf die konkretisierten Rechtspflichten aus der DSB-Ent-scheidung.

77 Daneben sind direkt betroffen auch die nicht in der EG ansässigen Wirtschaftspartner aus den von der WTO-Verletzung betroffenen WTO Mitgliedstaaten. Diese werden als Klagebefugte vom EuGH zugelassen., vgl. W. Berg, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, 2000, Art. 288, Rn. 13; Middeke, in: Rengeling/Middeke/Geller-mann, Handbuch des Rechtsschutzes in der EU, 2003, S. 184. Für einen Ausschluss wegen Zuweisung der Inte-ressenwahrung durch das WTO-Recht an den Heimatstaat aber B. Schoißwohl, ZeuS 2001, 689 (706). Gegen-wärtig ist eine Klage der US-Gesellschaft Chiquitas beim EuG anhängig als Rs. T-19/01, ABl.EG 2001, Nr. C 108 vom 7.4.2001, S. 23. Hier wird das Gegenseitigkeits-/Reziprozitätsargument des EuGH für die Ablehnung der unmittelbaren Wirkung bedeutsam. Das Urteil erging am 3.2.2005 und wies die Klage wegen fehlender un-mittelbarer Anwendbarkeit von DSB-Entscheiden selbst nach Ablauf der Umsetzungsfrist ab, ebda. Tz. 163 ff.

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Bananen- und im Hormonstreit). Für deren Schäden liegt eine Kausalität der EG grundsätzlich vor. Daneben stehen die Wirtschaftskreise, die erst infolge von Sank-tionen als Reaktion auf die WTO-Verletzung, also durch Kompensationen oder Strafzölle, in ihrer Wirtschaftstätigkeit berührt werden. Dabei handelt es sich in der Regel um Branchen, die mit dem ursprünglichen WTO-Rechtsverstoß der EG nichts zu tun hatten. Sie sind unbeteiligte Opfer der transatlantischen Handelskrie-ge und werden vom WTO-Rechtsverstoß nur mittelbar betroffen. Sie erleiden Ein-bußen erst indirekt über den Weg von Gegenmaßnahmen. Unmittelbar kausal für ihre Schäden sind die anderen Handelspartner. Deren Verhaltensweisen könnte man mit dem Argument, dass sie eine im DSU vorgesehene Folge für die Nichtbefol-gung von DSB-Entscheidungen sind, der EG zurechnen. Wollte man den unbetei-ligten Opfern indes einen Anspruch einräumen, entstünde das Problem, zu beurtei-len, ob die Sanktionsmaßnahmen ihrerseits rechtmäßig sind.78

Zentrales Gegenargument gegen eine Haftung der EG auch für die Opfer der Han-delskriege dürfte aber sein, dass die EG damit den Sanktionen des Handelspartners die Wirksamkeit nehmen würde. Kompensationen und Aussetzung von Zugeständ-nissen sollen die Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen der EG verschlech-tern. Durch ihre Schadensersatzzahlungen an die Drittbetroffenen würde die EG diese Verschlechterung unterlaufen, weil die betroffenen Unternehmen für ihre Einbußen entschädigt werden und dadurch zu Gegenmaßnahmen in die Lage ver-setzt werden, etwa in dem sie durch Preissenkung die Strafzölle zumindest teilwei-se ausgleichen. Daher erscheint die Zuerkennung eines Schadensersatzanspruchs eher geeignet zu sein, einen weiteren WTO-Verstoß zu begründen. Die WTO-kon-forme Auslegung79 des Amtshaftungsrechts der EG gebietet daher eine entspre-chende einschränkende Auslegung von Art. 288 II EGV.80 Außerdem dürften die Schadenersatzzahlungen der EG an die Opfer der Handelsdispute nicht mit dem WTO-Recht unvereinbare EG-Beihilfen darstellen. Denn es handelt sich gemäß Art. 1 und 2 ÜSCM81 um eine direkte Leistung, die einen Vorteil herbeiführt, indem sie eine Belastung ausgleicht, die die Unternehmen nach WTO-Recht zu

78 Demgegenüber will B. Schoißwohl, ZeuS 2001, 689 (719 f) selbst bei Rechtswidrigkeit der Gegenreaktionen eine Verantwortlichkeit der EG annehmen.

79 Diese ist unabhängig von der Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit und ist geboten aufgrund der vorrangigen Geltung des WTO-Rechts nach Art. 300 VII EGV.

80 Dagegen könnte man einwenden, dass die Bejahung einer Amtshaftung der EG für die Verletzung des WTO-Rechts dessen Beachtung erhöht, weil die Zahlungsverpflichtungen Druck direkt auf die EG ausüben, das WTO-Recht strikt zu beachten. Vgl. dazu A. Thies, Case Comment C-92/02, Biret, CMLRev. 2004, 1661. Ein solcher Mechanismus ist im WTO-Recht nicht vorgesehen. Druck auf die EG soll nur über völkerrechtliche Instrumente, nicht über interne Schadenersatzansprüche entstehen. Auch ändert dieser Einwand nichts daran, dass durch die Entschädigung die Besserstellung der Industrie des Handelspartners, die die Gegenmaßnahmen bewirken sollen, nicht erreicht werden könnte. Das Argument der Steigerung der Beachtung des WTO-Rechts durch Zuerkennung von Schadensersatzansprüchen ist ein EG-internes Argument und erweist sich daher als nicht WTO konform. Die Entschädigung der direkt Betroffenen entfaltet demgegenüber keine Rückwirkung auf Unternehmen der anderen Handelspartei, zumal gerade deren Unternehmen auch Haftungsansprüche geltend machen könnten (s. oben Fn. 76).

81 Übereinkommen über Subventionen und Ausgleichsmaßnahmen.

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gewärtigen haben, und sie gilt spezifisch für bestimmte Wirtschaftskreise. Teilwei-se dürften sie sogar unbedingt verbotene Exportsubventionen nach Art. 3 ÜSCM sein, weil sie an der Ausfuhrleistung anknüpfen und die Wirkung etwa von Straf-zöllen, also Einfuhrabgaben ausgleichen.82

e) Ergebnis

Eine Haftung der EG für die Verletzung von WTO-Verpflichtungen ist nur dann möglich, wenn Sekundärrechtsakte auf WTO-Verpflichtungen verweisen oder sie umsetzen sollen. Nur dann stellt die Abweichung vom WTO-Recht eine Verletzung einer anwendbaren höherrangigen Norm dar. Die erforderliche hinreichende Qua-lifiziertheit der Rechtsverletzung ist grundsätzlich nur dann gegeben, wenn eine DSB-Entscheidung die WTO-Verletzung festgestellt hat. Der Ablauf der Umset-zungsfrist spielt keine Rolle. Schadenersatz können aber nur die direkt Betroffenen fordern, nicht die Opfer von Sanktionen der Handelspartner.

2. Reduzierter Rechtswidrigkeitsstandard bei Amtshaftung?

Von den vorstehenden Ergebnissen könnte man versuchen, mit dem Argument ab-zuweichen, die unmittelbare Anwendbarkeit des WTO-Rechts wäre für die Beurtei-lung von Klagen gegen Sekundärrecht und gegen auf Sekundärrecht gestützte Maßnahmen angezeigt, also für den Primärrechtsschutz, nicht aber für die Amts-haftung der EG (Sekundärrechtsschutz). So könnte man überlegen aufgrund der unterschiedlichen Rechtsschutzziele und Funktionen von Nichtigkeitsklagen und Schadenersatzklagen, die den EuGH dazu veranlassten, die Schadenersatzklage als selbständigen Rechtsbehelf einzuordnen83, für die Amtshaftung einen anderen Rechtswidrigkeitsstandard gelten zu lassen, mit der Folge, dass dann zwar eine An-fechtung des Sekundärrechts nicht möglich ist, eine Haftung der EG sich aber ge-mäß dem Grundsatz dulde und liquidiere begründen ließe. Für die Amtshaftung könnte dann schon diejenige Rechtswidrigkeit genügen, die sich aus der gemein-schaftsrechtlichen Verpflichtung nach Art. 300 VII EGV ergibt, die Verpflichtun-gen aus dem WTO-Recht einzuhalten. Durch die Verletzung des WTO-Rechts, so könnte man argumentieren, würde die gemeinschaftsrechtliche Pflicht der Organe aus Art. 300 VII EGV verletzt, was die Verletzung einer höherrangigen Rechts-

82 Geht es um die Gewährung von Kompensationen, so liegen immer noch anfechtbare Subventionen nach Art. 3 ÜSCM vor, weil Vorteile aus dem DSU geschmälert werden (Art. 5 b) ÜSCM analog) und Interessen eines an-deren WTO Mitglieds, nämlich an der Wirkung der Maßnahmen, geschmälert werden (Art. 5 c) ÜSCM). Dazu näher W. Weiß/C. Herrmann, Welthandelsrecht, 2003, Rn. 694 f.

83 EuGH, Rs. 4/69, Slg. 1966, 257 – Lütticke II; Rs. 5/71, Slg. 1971, 975, Rn. 3 – Schöppenstedt; Rs. 238/78, Slg. 1979, 2955, Rn. 6 f – Quellmehl – Ireks Arkady. Dazu näher, insbesondere zu den Grenzen dieser Selbständig-keit der Schadenersatzklage wegen des Verbots der konkreten Umgehung, R. Streinz, Primär- und Sekundär-rechtsschutz im Öffentlichen Recht, VVDStRL 61(2002), S. 300 (332 f).

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norm darstellte, auch wenn das nicht die (interne) Rechtswidrigkeit der WTO Recht verletzenden Sekundärrechtsakte bedeutet.84

Gegen diese Überlegung spricht, dass unterschiedliche Standards für die Betrach-tung der Rechtmäßigkeit einer Handlung der EG der einheitlichen Anwendung und Auslegung des Gemeinschaftsrechts widersprechen und die Konsistenz und Kohä-renz des EG-Rechts zu Lasten der Rechtssicherheit unterlaufen. Es wäre nicht er-klärbar, warum eine Norm für die Nichtigkeitsklage oder andere Formen der An-fechtung als rechtmäßig zu behandeln wäre, im Rahmen der Schadenersatzklage aber eine Rechtsverletzung festgestellt werden könnte. Außerdem hat der EuGH die Selbständigkeit der Schadenersatzklage in Bezug auf prozessuale Fragen, nicht hinsichtlich materiell-rechtlicher Aspekte entwickelt. Schließlich besteht auch noch die Möglichkeit einer Haftung der EG aus rechtmäßigem Verhalten; diese Kon-struktion würde die Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts nicht gefährden.Stellt man für die Rechtsverletzung rein auf Art. 300 VII EGV und nicht auf WTO-Recht ab (wobei aber die Frage zu klären wäre, ob dadurch nicht die in Art. 300 VII gerade fehlende Anordnung unmittelbarer Anwendbarkeit des WTO-Rechts um-gangen würde), müsste sich in der weiteren Prüfung einer Amtshaftungsklage die Frage nach der Individualschutzwirkung und der hinreichenden Qualifiziertheit der Rechtsverletzung auf Art. 300 VII beziehen. Bereits die Individualschutzwirkung des Art. 300 VII EGV ist abzulehnen, da diese Norm nur Organe und Mitgliedstaa-ten adressiert und, wie erörtert, gerade keine unmittelbare Anwendbarkeit der Be-stimmungen völkerrechtlicher Verträge herbeiführt. Allerdings könnte man dage-gen einwenden, dass die gemeinschaftsrechtliche Verstärkung der völkerrechtlichen Umsetzungsverpflichtung völkerrechtlicher Verträge gerade auch den Einzelnen Begünstigungen verschafft, wenn sich aus dem Vertrag für sie Vorteile ergäben. Doch wäre der Individualschutz dann nur mittelbar. Zwar genügt grundsätzlich – wie oben unter 1. b) gezeigt wurde – im Gemeinschaftsrecht ein bloßer Begünsti-gungsreflex, um eine Norm als Schutznorm zugunsten des Einzelnen einzuordnen. Doch muss sich diese reflexhafte Begünstigung direkt aus der Norm ergeben, um deren Verletzung es geht. Das ist bei einer auf die Verletzung von Art. 300 VII EGV gestützten Amtshaftungsklage nicht gegeben.85

III. Haftung der EG für rechtsmäßiges Verhalten nach Art. 288 II EGV

Art. 288 II EGV fordert für die außervertragliche Haftung der EG nicht zwingend, dass die Amtshandlung, die die Haftung auslöst, rechtswidrig war. Daher ist prinzi-

84 Für eine diesbezügliche Trennung des Primär- vom Sekundärrechtsschutz etwa B. Schoißwohl, ZeuS 2001, 689 (704); A. Reinisch, EuZW 2000, 42 (47); A. Thies, Case Comment C-92/02, Biret, CMLRev. 2004, 1661; G. A. Zonnekeyn, EC Liability For Non-Implementation Of Adopted WTO Panel and Appellate Body Reports, in: V. Kronenberger (ed.), The EU and the International Legal Order, 2001, S. 251 (265 ff).

85 Auch für Art. 307 I EGV wurde ein Individualschutz abgelehnt (vgl. EuGH, Rs. 812/79, Slg. 1980, 2787, Rn. 11 – Burgoa, bestätigt in EuGH, Rs. C-307/99, Slg. 2001, I-3159, Rn. 30 – OGT Fruchthandelsgesellschaft), obgleich sich durchaus argumentieren ließe, dass dadurch die in Bezug genommenen älteren völkerrechtlichen Verträge der Mitgliedstaaten grundsätzlich weitergeführt werden dürfen.

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piell auch eine Haftung für rechtmäßiges Verhalten der EG denkbar. Das ist im vorliegenden Kontext von besonderer Bedeutung, wenn und weil eine Haftung der EG für die Verletzung des WTO-Rechts an der grundsätzlich fehlenden internen Rechtsverletzung scheitert. Diese Lücke könnte man durch Bejahung einer Haf-tung für rechtmäßiges Verhalten schließen.

1. Haftung für rechtmäßiges Verhalten als allgemeiner Rechtsgrundsatz

Gegen eine Haftung aus rechtmäßigem Verhalten wird eingewandt, dass kein allge-meiner dahingehender Grundsatz der Mitgliedstaaten bestünde. Ein rechtsverglei-chender Nachweis der Existenz eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes sei nicht ge-führt worden.86 In der Tat lässt sich schwerlich nachweisen, dass die Idee einer Haftung für rechtmäßiges Verhalten, das in besonders ungewöhnlichen Situationen Einzelne beeinträchtigt, sich allgemein bei den Mitgliedstaaten finden lässt. Das ist auch nicht nötig. Das Feststellen eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes setzt nicht voraus, dass eine Norm in allen mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen gefunden wird. Vielmehr genügt, dass in zumindest einem Mitgliedstaat ein Rechtsgedanke besteht, den der EuGH, dem insoweit weiter Spielraum zukommt, als Ausdruck einer Gerechtigkeitsidee versteht, die auch für das Gemeinschaftsrecht Anwendung finden soll. Dass eine bestimmte normative Aussage nur Ausnahmecharakter hat im Vergleich der Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten untereinander, war für den EuGH bei der Erkenntnis gemeinschaftsrechtlicher Rechtsgrundsätze nie erheb-lich, und musste dies auch nicht sein, da es bei der Erkenntnis gemeinschaftsrecht-licher Rechtsgrundsätze um die spezifischen Ziele und Strukturen des Gemein-schaftsrechts geht. In den letzten Jahren hat der EuGH auch immer wieder ange-deutet, wenn auch nicht entschieden, dass eine Haftung für rechtmäßiges Verhalten im EG-Recht vorstellbar ist. Dem ist grundsätzlich zuzustimmen, da sich eine sol-che Haftung in Struktur und Ziele der EG einfügt. Die EG ist in besonderer Weise damit betraut, für den grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehr Regelungen zu erlassen. Für den Außenwirtschaftsverkehr hat sie weitgehende Kompetenzen. Bei der Regelung wirtschaftspolitischer Sachverhalte bestehen oft erhebliche Entschei-dungs- und Einschätzungsspielräume in der gesetzgeberischen Ausgestaltung, die den Einbezug und Ausgleich verschiedenster Interessen erfordert. Solche komple-xen Regelungen können unter Umständen die besondere Situation einzelner Wirt-schaftsteilnehmer nicht berücksichtigen, ohne dass dies schon rechtswidrig sein muss.87

86 Vgl. M. Ruffert, in: Calliess/Ruffert (Hrsg.), EUV/EGV, 2. Auflage 2002, Art. 288, Rn. 18.87 S. auch A. Thies, Case Comment C-92/02, Biret, CMLRev. 2004, 1661; grundsätzlich für Rechtmäßigkeitshaf-

tung A. von Bogdandy, JWT 2005, 45 (64 f.).

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2. Voraussetzungen eines Haftungsanspruchs

Bei der Formulierung der einzelnen Voraussetzungen für einen Anspruch aus Haf-tung für rechtmäßiges Verhalten ist systematisch darauf zu achten, dass die Haf-tung für rechtmäßiges Verhalten nicht weiter geht als die für rechtswidriges Verhal-ten. Da Letztere zumindest bei der Haftung für legislatives Unrecht nur gegeben ist bei einem besonders gravierenden Rechtsverstoß, muss auch die Haftung für recht-mäßiges Verhalten auf ganz spezielle Sonderlagen beschränkt sein.Dem gemäß fordert die Rechtsprechung einen außergewöhnlichen und besonderen Schaden des Geschädigten.88 Es muss sich um eine anormale, besondere Belastung handeln, die ihn im Vergleich zu anderen ungleich trifft und ihm daher ein beson-deres, den übrigen nicht zugemutetes Opfer für die Allgemeinheit abverlangt.89

Ein besonderer Schaden liegt vor bei einer unverhältnismäßigen Belastung, die nur ein Unternehmen oder eine begrenzte Gruppe von Wirtschaftsteilnehmern trifft. Außergewöhnlich ist der Schaden, wenn er nicht vorsehsehbar war. Insbesondere Schäden infolge wirtschaftlicher Risiken, die der Betätigung innewohnen, sind nicht außergewöhnlich. Angesichts der Häufigkeit transatlantischer Handelsstrei-tigkeiten dürften die Kriterien der Außergewöhnlichkeit und Besonderheit bei der Verletzung von WTO-Recht kaum je vorliegen, denn die Verletzungen und Gegen-maßnahmen beziehen sich in der Regel auf ganze Branchen und sind immer zu gewärtigen.Allerdings sind bei den Überlegungen wiederum die unterschiedlichen Betroffe-nenkreise (s. oben II. 1. d.), nämlich die direkt Betroffenen und die erst infolge von Gegenmaßnahmen, also die durch die Handlung der EG nur mittelbar Betroffenen zu unterscheiden. Da es sich wie ausgeführt in der Regel um Branchen handelt, die mit der ursprünglichen WTO-Verletzung der EG nichts zu tun hatten, sind Letztere unbeteiligte Opfer der transatlantischen Handelskriege.Die reduzierten Marktchancen für die direkt Betroffenen, die aus einer unzurei-chenden Umsetzung und Befolgung des Welthandelsrechts resultieren, können eine Haftung nicht begründen. Anerkanntermaßen kann sich kein Unternehmen darauf verlassen, dass Marktchancen, die es infolge einer bestimmten Ausgestaltung des Außenwirtschaftsrechts hat, auch so bestehen bleiben. Änderungen der Rechtslage sind stets in Rechnung zu stellen. Diese Überlegung gilt analog, wenn es um die unzureichende Marktöffnung geht, wenn das volle Ausmaß der durch WTO Ver-pflichtungen erreichten Liberalisierung von der EG nicht gewährt wird. Der Scha-den der direkt Betroffenen besteht in der Regelung oder Handhabung des Außen-wirtschaftsrechts für ihre Wirtschaftstätigkeit. Diesbezüglich gibt es keinen Ver-trauensschutz für eine bestimmte Rechtslage oder Handhabung. Die Einbußen in

88 EuG, Rs. T-184/95, Slg. 1998, II-667, Rn. 59, 76 ff – Dorsch Consult; zustimmend der EuGH, Rs. C-237/98 P, 15.6.2000, Rn. 53.

89 W. Berg, in: Schwarze (Hrsg.), EU-Kommentar, Art. 288, Rn. 51.

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ihrer Geschäftstätigkeit erscheinen nicht als außergewöhnlich, sondern sind eine Folge des steten Wechsels der Marktbedingungen.Anders könnte es bei den Opfern aussehen, die Verschlechterungen ihrer Wettbe-werbslage erst dadurch erfahren, dass ein anderes WTO-Mitglied Maßnahmen er-greift. Ihre Schäden resultieren aus einer Zurücknahme an sich schon erfolgter Li-beralisierungsschritte im Welthandel. Zwar könnte man hier ein Sonderopfer der indirekt Betroffenen annehmen mit dem Argument, diese seien Betroffene eines Streits um Regelungen, die nicht ihre Wirtschaftstätigkeit betrafen. Mit solchen Fernwirkungen müssten sie nicht rechnen. Daher träfen sie insoweit Änderungen der Rechtslage außergewöhnlich. Doch ist angesichts der Häufigkeit transatlanti-scher Dispute auch hier die Außergewöhnlichkeit des Schadens fraglich. Ferner sind es nicht spezielle Unternehmen oder Gruppen von Wirtschaftsteilnehmern, sondern stets gesamte Branchen, die in gleicher Weise unter den Fernwirkungen von WTO-Verletzungen in anderen Bereichen leiden müssen, so dass es auch an der Besonderheit des Schadens bei eventuellen Klägern fehlen dürfte.Zentrales Gegenargument gegen eine Haftung der EG auch für die Opfer der Han-delskriege ist wiederum (s. bereits oben II.1. d)), dass die EG dadurch den Sankti-onen des Handelspartners die Wirksamkeit nehmen würde und sie WTO widrige Subventionen darstellen können.

IV. Staatshaftung der Bundesrepublik?

Da die Haftung der EG für die Verletzung der WTO-Verpflichtungen die Ausnah-me darstellt, wäre zu erwägen, ob die Mitgliedstaaten für die Nichtumsetzung von WTO-Verpflichtungen haften, da auch sie Vertragsstaaten der WTO sind. In der Bundesrepublik wäre eine Haftung aus enteignungsgleichem Eingriff denkbar, also für rechtswidriges Verhalten deutscher Amtsträger beim Vollzug oder der Umset-zung WTO-widrigen Sekundärrechts. Dazu müsste das zugrundeliegende Sekun-därrecht rechtswidrig sein; das kann man wie aufgezeigt nur dann annehmen, wenn das WTO-Recht unmittelbar anwendbar ist. Des Weiteren wäre eine Haftung aus enteignendem Eingriff denkbar, weil das Sekundärrecht auch dann rechtmäßig ist, wenn es hinter WTO-Recht zurückbleibt. Jedoch scheitert die Haftung der Bundes-republik in jedem Falle daran, dass die die WTO verletzenden Regeln solche des EG-Rechts sind. Die Bundesrepublik haftet nicht für Akte, die auf EG-Recht beru-hen (es sei denn für eigene Fehler beim Vollzug). Das Unrecht ist der EG zuzurech-nen. Die Bundesrepublik stellt nur die Vollzugsorgane. Amtshaftungsansprüche sind bei der EG geltend zu machen.90

90 BGH, DVBl. 1993, 717 für enteignungsgleichen Eingriff; BGHZ 125,27 für enteignenden Eingriff.

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V. Fazit

Eine Verletzung des WTO-Rechts führt grundsätzlich nicht zur Haftung der EG. Nur in wenigen, eng begrenzten Fällen ist eine Haftung der EG für die Verletzung von WTO-Recht überhaupt denkbar, nämlich nur nach einer expliziten sekundär-rechtlichen Transformation. Nur sie setzt einen gemeinschaftsrechtlichen Haf-tungstatbestand. Die verbindliche Feststellung einer Verletzung des WTO-Rechts durch eine DSB-Entscheidung begründet für sich keine Haftung, sondern ist ein wichtiger Umstand bei der Beurteilung eines hinreichend qualifizierten Verstoßes; auf den Ablauf der Umsetzungsfrist kommt es dabei nicht an, weil Grund der Haf-tung die gemeinschaftsrechtliche Setzung des Haftungstatbestands infolge sekun-därrechtlicher Transformation ist. Schadenersatz steht selbst dann zumindest regel-mäßig allenfalls den direkt Betroffenen zu. Eine Haftung der EG aus rechtmäßigem Verhalten greift im Ergebnis nicht ein.

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Internationalisierung des deutschen und Europäischen Verwaltungs-verfahrens- und Verwaltungsprozessrechts – am Beispiel

der Århus-Konvention

Von Christian Walter1, Jena

I. Einleitung

Modernes Umweltrecht ist Mehrebenenrecht. Seine Rechtsquellen, aber auch seine Rechtsanwendung verteilen sich zwischen Völkerrecht, Europarecht und dem nati-onalen Recht der Mitgliedstaaten2. Modernes Umweltrecht ist zugleich zunehmend prozedurales Recht, denn die Rechtsentwicklung in den letzten Jahren betont vor allem die verfahrensrechtlichen Aspekte. Zu nennen sind etwa das auf eine Richtli-nie der EG zurückgehende Umweltinformationsgesetz3, die ebenfalls auf eine Richtlinie der EG zurückgehende Umweltverträglichkeitsprüfung4 und der Ausbau von Beteiligungsrechten im Verwaltungsverfahren5.Die beiden sehr allgemeinen Aussagen (Umweltrecht ist Mehrebenenrecht und Umweltrecht ist prozedurales Recht) markieren ein weites Feld. Es gilt die Kompe-tenzen den einzelnen Ebenen angemessen zuzuordnen, unter Beachtung dieser Kompetenzverteilung müssen sodann materielle umweltrechtliche Standards ge-

1 Prof. Dr. iur.; Inhaber des Lehrstuhls für Öffentliches Recht, Europarecht, Völkerrecht und Internationales Wirt-schaftsrecht an der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Bei dem Beitrag handelt es sich um eine aktualisierte und erheblich ergänzte Fassung des Habilitationsvortrags, der am 11. Februar 2004 vor der Juristischen Fakultät der Universität Heidelberg gehalten wurde. Für wertvolle Diskussionen und Hinweise in der langen Phase der Aus- und Überarbeitung danke ich Anne van Aaken, Jürgen Bast, Jochen Braig, Marc Bungenberg, Wolfgang Durner, Jürgen Friedrich, Rainer Grote, Anja von Hahn, Karen Kaiser, Daniel Klein, Carsten Schmidt und Nicola Vennemann.

2 E. Schmidt-Aßmann, Rechtsdurchsetzung im internationalen und im nationalen Umweltrecht: Beobachtungen zur Annäherung ihrer Instrumente, in: V. Epping/H. Fischer/W. Heintschel von Heinegg (Hrsg.), Brücken bauen und begehen, Festschrift für Knut Ipsen zum 65. Geburtstag, München 2000, S. 305 ff. (305).

3 Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 90/313/EWG des Rates vom 7. Juni 1990, BGBl. I 1994 S. 1490; zur Ent-stehungsgeschichte siehe J. Fluck/A. Theuer, Informationsfreiheitsrecht mit Umweltinformations- und Verbrau-cherinformationsrecht (Loseblattkommentar; Stand: November 2003), Einleitung, Rn. 91 ff.; die Richtlinie 90/313/EWG (ABl. 1990 L 158/56 wurde aufgehoben und ersetzt durch die Richtlinie 2003/4/EG des Europä-ischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2003, über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinforma-tionen und zur Aufhebung der Richtlinie 90/313/EWG des Rates (ABl. 2003 L 41/36)). Der Bundestag hat in-zwischen ein Gesetz zur Neugestaltung des UIG und zur Änderung der Rechtsgrundlagen zum Immissionshan-del beschlossen (BGBl. 2004 I S. 3704); siehe auch den Entwurf in BT-Drs. 15/3405 vom 21. Juni 2004.

4 Richtlinie 85/337/EWG vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentli-chen und privaten Projekten (UVP-Richtlinie, ABl. 1985 L 175/40), geändert durch die Richtlinie 97/11/EG des Rates vom 3. März 1997 (ABl. 1997 L 73/5) und nun die Richtlinie 2003/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter um-weltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten (ABl. 2003 L 156/17); siehe zum Regelungsgegenstand und zur Entstehungsgeschichte W. Haneklaus, Vorbemerkungen, Rn. 1 ff., in: W. Hoppe (Hrsg.), Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung, Kommentar, 2. Aufl. Köln u.a. 2002, Rn. 43 ff.

5 Neben den mit der Umweltverträglichkeitsprüfung zu nennenden Beteiligungsrechten ist insbesondere noch die Richtlinie 96/61/EG des Rates über die integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (IVU-Richtlinie) zu erwähnen (ABl. 1996 L 257/26). Sowohl die UVP-Richtlinie als auch die IVU-Richtlinie wurden im Mai 2003 durch die Richtlinie 2003/35/EG mit Blick auf die Århus-Konvention geändert (siehe den Nachweis in Fn. 4).

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und durchgesetzt werden und es müssen schließlich die dem Regelungsgegenstand „Umwelt“ angemessenen Regelungen des Verwaltungsverfahrens entworfen oder ausgewählt werden. Im modernen Umweltrecht laufen also zwei große Diskussio-nen der letzten Jahre zusammen: zum einen die Debatte über die Kompetenzvertei-lung zwischen der EG und ihren Mitgliedstaaten (und über die EG hinaus auch diejenige über die Rolle des Nationalstaats in Zeiten der Globalisierung6) und zum anderen die verwaltungsrechtliche Diskussion über moderne Gestaltungen des Ver-waltungsverfahrens7.Wie im Brennglas eingefangen werden die beschriebenen Probleme durch die Rechtsfragen, welche sich bei der Umsetzung der sog. Århus-Konvention über In-formationszugangs- und Beteiligungsrechte in Umweltverfahren stellen8. Die År-hus-Konvention ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der sowohl im Bereich des Ge-meinschaftsrechts als auch im nationalen Recht der Mitgliedstaaten Individualrech-te begründet. Daraus entsteht ein komplexes Mehrebenengebilde, mit mindestens drei verschiedenen Bereichen: mitgliedstaatlichem Recht im Anwendungsbereich der Aarhus-Konvention, Gemeinschaftsrecht im Anwendungsbereich der Århus-Konvention und mitgliedstaatlichem Recht im Anwendungsbereich von Gemein-schaftsrecht und Århus-Konvention. Insbesondere im letzteren Bereich, in dem eu-ropäisches Richtlinienrecht die Vorgaben der Århus-Konvention in das nationale Recht der Mitgliedstaaten als verbindliches Gemeinschaftsrecht weiterreicht, ent-stehen „doppelte Umsetzungsprobleme“. Der folgende Beitrag nimmt die gegen-

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6 Dazu statt anderer die Beiträge von J. Kokott und Th. Vesting, Die Staatsrechtslehre und die Veränderung ihres Gegenstandes: Konsequenzen von Europäisierung und Internationalisierung, VVDStRL 63 (2004), S. 11 ff. und 41 ff.; M. Ruffert, Die Globalisierung als Herausforderung an das öffentliche Recht, Stuttgart 2004; C. Tietje, Die Staatsrechtslehre und die Veränderung ihres Gegenstandes: Konsequenzen von Europäisierung und Interna-tionalisierung, DVBl. 118 (2003), S. 1081 ff.; sowie gerade mit Blick auf ausgewählte Sachgebiete eines „inter-nationalisierten Verwaltungshandelns“, ders., Internationalisiertes Verwaltungshandeln, Berlin 2002, S. 288 ff.

7 Zur theoretischen Begründung siehe G.-P. Calliess, Prozedurales Recht, Baden-Baden 1999 (mit konkreten Anwendungsbezügen im Bereich des Gentechnikrechts, S. 224 ff.); J. Ziekow, Modernisierung des Verfahrens-rechts, in: K. König/D. Merten (Hrsg.), Verfahrensrecht in Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit: Sympo-sium zum Gedächtnis an Carl Hermann Ule, Berlin 2000, S. 69 ff.; ders. (Hrsg.), Beschleunigung von Pla-nungs- und Genehmigungsverfahren, Berlin 1998; R. Pitschas, Verwaltung und Verwaltungsgerichtsbarkeit im staatlichen Modernisierungsprozess, in: W. Blümel/R. Pitschas (Hrsg.), Verwaltungsverfahren und Verwaltungs-prozess im Wandel der Staatsfunktionen, Berlin 1997, S. 27 ff.; E. Schmidt-Aßmann, Das allgemeine Verwal-tungsrecht als Ordnungsidee, Grundlagen und Aufgaben der verwaltungsrechtlichen Systembildung, Berlin 1998, S. 288 ff. (gerade zum Einfluss des EG-Umweltrechts, S. 295 ff.); speziell im Umweltrecht E. Hagenah, Prozeduraler Umweltschutz, Baden-Baden 1996; speziell zur Einwirkung des Gemeinschaftsrechts auf das Ver-waltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrecht auch F. Schoch, Die europäische Perspektive des Verwal-tungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrechts, in: E. Schmidt-Aßmann/W. Hoffmann-Riem (Hrsg.), Struktu-ren des Europäischen Verwaltungsrechts, Baden-Baden 1999, S. 279 ff.

8 Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, Doc. ECE/CEP/43; im Internet verfügbar unter http://www.unece.org/env/pp/treatytext.htm (geprüft am 8. April 2005); zur Entstehungsgeschichte siehe M. Zschie-sche, Die Århus-Konvention – mehr Bürgerbeteiligung durch umweltrechtliche Standards?, ZUR 12 (2001), S. 177 ff. (1177 f.); P. Jeder, Neue Entwicklungen im Umweltrecht vor dem Hintergrund der Århus-Konvention, Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 2002, S. 145 ff. (147); eine ausführliche Darstellung der Geschichte des partizipatorischen Modells der Århus-Konvention gibt M. Prieur, La Convention d’Århus, instrument uni-versel de la démocratie environnementale, Revue juridique de l’environnement, Numéro spécial 1999, S. 9 ff. (11 ff.).

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wärtige Diskussion über die Umsetzung der Århus-Konvention deshalb zum An-lass, praktische Probleme der umweltrechtlichen Mehrebenenstruktur an einem konkreten Beispiel zu analysieren. Er ist so aufgebaut, dass er zunächst den we-sentlichen Inhalt der Århus-Konvention im Überblick vorstellt (II.), im Anschluss Fragen der Kompetenzverteilung zwischen der EG und ihren Mitgliedstaaten erör-tert, die sich aus dem Charakter der Konvention als „gemischtes Abkommen“ erge-ben (III.), sodann das Problem der Verbandsklage vor dem Europäischen Gerichts-hof behandelt (IV.), und danach für die von der Århus-Konvention geregelten drei Bereiche jeweils einen Einzelaspekt herausgreift, der den Gesamtkomplex der Ein-wirkung völkerrechtlicher Verträge und des europäischen Gemeinschaftsrechts auf das deutsche Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrecht veranschaulicht (V.). Die Analyse dieser Teilaspekte erlaubt abschließend einige allgemeine Über-legungen zur Internationalisierung des Verwaltungsrechts (VI.).

II. Der wesentliche Regelungsgehalt der Århus-Konvention im Kontext des gegenwärtigen Umweltvölkerrechts

Die Århus-Konvention wurde am 25. Juni 1998 als UN/ECE-Konvention von der Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten unterzeichnet. Sie trat am 30. Oktober 2001 in Kraft. Von den alten Mitgliedstaaten der EG haben inzwischen Österreich, Belgien, Dänemark, Italien, Finnland, Frankreich, die Niederlande, Spanien, Portu-gal und das Vereinigte Königreich die Konvention ratifiziert9 und die Europäische Gemeinschaft hat ihre Genehmigungsurkunde am 17. Februar 2005 hinterlegt10. Die Ratifikation durch die Bundesrepublik Deutschland wird dagegen zwar zurzeit vorbereitet, ist aber noch nicht erfolgt. Die Bundesregierung erklärte im Jahr 2000, sie wolle die Ratifikation in enger Abstimmung mit der Gemeinschaft vorneh-men11.Zur Umsetzung der Århus-Konvention hat die Gemeinschaft inzwischen zwei Richtlinien erlassen, mit denen die Umweltinformationsrichtlinie und die UVP- und IVU-Richtlinien an die Vorgaben der Konvention angepasst wurden12. Außer-dem hatte die Kommission in Vorbereitung der Genehmigung durch die Gemein-schaft am 23. Oktober 2003 Vorschläge für drei Rechtsakte unterbreitet. Neben ei-nem Beschluss des Rates, der die Ratifikation ermöglicht13, schlug die Kommissi-on eine Verordnung über die Anwendung der Bestimmungen der Århus-Konvention auf Organe und Einrichtungen der Europäischen Gemeinschaft14 und eine Richtli-

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9 Von den neuen Mitgliedstaaten haben Zypern, Estland, Ungarn, Lettland, Litauen, Malta, Polen, Slowenien und die Tschechische Republik die Konvention ratifiziert; siehe die Zusammenstellung unter http://www.unece.org/env/pp/ctreaty.htm (geprüft am 8. April 2005).

10 Siehe nochmals die Quellenangabe in Fn. 9.11 BT-Drs. 14/9493 vom 18. Juni 2002, S. 1 f.12 Richtlinie 2003/4/EG und Richtlinie 2003/35/EG; siehe die Nachweise in Fn. 3 und 413 KOM (2003) 625 endgültig vom 24. Oktober 2003.14 KOM (2003) 622 endgültig vom 24. Oktober 2003.

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nie über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten vor15. Der Beschluss des Rates zur Genehmigung des Abkommens wurde am 17. Februar 2005 gefasst16. Für die Verordnung gibt es einen gemeinsamen Standpunkt17. Dagegen scheint das Projekt der Richtlinie zurzeit nicht weiterverfolgt zu werden.

1. Der Inhalt der Århus-Konvention im Überblick

Die Århus-Konvention enthält 22 Artikel und 2 Anhänge. Ihr Ziel ist eine verstärk-te Beteiligung der Öffentlichkeit an umweltbezogenen Entscheidungsverfahren. Die dazu von ihr aufgestellten materiellen Regelungen ruhen auf drei Säulen18. Die erste betrifft den Zugang des Einzelnen zu Informationen über die Umwelt (Art. 4 und Art. 5 Århus-Konvention). Hier wird ein Umweltinformationsanspruch gere-gelt wie er bereits vor der Århus-Konvention in der Umweltinformationsrichtlinie vorhanden war19 und auch seit einiger Zeit schon im deutschen Recht – nicht ohne mühsame Diskussionen – anerkannt ist20. Neben dem Recht auf Informationszu-gang werden in diesem Abschnitt der Konvention auch Fragen aktiver Informati-onsverbreitung und der „Informationsinfrastruktur“, also das Problem geeigneter Formen der Zurverfügungstellung von Umweltdaten, geregelt21.Die zweite Säule der Århus-Konvention enthält Regelungen über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Entscheidung über bestimmte umweltrelevante Projekte (Art. 6 bis Art. 8 Århus-Konvention). Anhang I zur Konvention enthält eine Liste mit 22 Positionen, in denen Projekte beschrieben sind, auf welche die Regelungen über die Öffentlichkeitsbeteiligung Anwendung finden.Die dritte Säule der Konvention schließlich regelt Fragen des verwaltungsrechtli-chen Widerspruchsverfahrens und des Zugangs zu Gerichten in Umweltangelegen-heiten, mithin also Teile des Rechtsschutzes in Umweltangelegenheiten22. Die Re-gelungen zum Rechtsschutz beziehen sich sowohl auf die erste Säule, also die Durchsetzung des Informationsanspruchs, als auch auf die Durchsetzung der in der zweiten Säule vorgesehenen Beteiligungsrechte23. Für die deutsche und gemein-schaftsrechtliche Diskussion ist dabei die in der Konvention vorgesehene Möglich-

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15 KOM (2003) 624 endgültig vom 24. Oktober 2003.16 Nachweis unter http://register.consilium.eu.int/pdf/fr/05/st06/st06281.fr05.pdf (geprüft am 8. April 2005).17 Nachweis unter http://register.consilium.eu.int/pdf/fr/05/st05/st05172.fr05.pdf (geprüft am 8. April 2005).18 Zum folgenden Überblick über den Inhalt der Konvention siehe M. Scheyli, Århus-Konvention über Informati-

onszugang, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz in Umweltfragen, AVR 38 (2000), S. 217 ff. (227 ff.); A. Epiney/M. Scheyli, Die Århus-Konvention – Rechtliche Tragweite und Implikationen für das schweizerische Recht, Freiburg i.Ü. 2000, S. 25 ff.; Zschiesche (Fn. 8), S. 178 ff.

19 Art. 3 Abs. 1 Umweltinformationsrichtlinie (siehe die Nachweise in Fn. 3).20 Art. 4 Abs. 1 UIG.21 Dazu Scheyli (Fn. 18), S. 228 und 233 f.22 Dazu ausführlich und mit umfassenden rechtsvergleichenden Nachweisen A. Epiney/K. Sollberger, Zugang zu

Gerichten und gerichtliche Kontrolle im Umweltrecht – Rechtsvergleich, völker- und europarechtliche Vorga-ben und Perspektiven für das deutsche Recht, Berlin 2002; dies., Verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten, Rechtsvergleich, europa- und völkerrechtliche Vorgaben und Implikationen für die Schweiz, Bern 2003.

23 Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2 Århus-Konvention.

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keit von Verbandsklagen von besonderer Bedeutung24. Die Århus-Konvention ent-hält eine Vermutung für Umweltschutzverbände, dass sie Mitglieder der sog. „be-troffenen Öffentlichkeit“ sind, für die nach der Konvention Zugang zu einem gerichtlichen oder gerichtsähnlichen Überprüfungsverfahren in Umweltangelegen-heiten geschaffen werden muss25.

2. Der umweltvölkerrechtliche Kontext

Die Århus-Konvention betritt im Verhältnis zum bereits bestehenden vertraglichen und gewohnheitsrechtlichen Umweltvölkerrecht weitgehend Neuland26. Ihre Be-deutung liegt darin, dass sie Informationsrechte (und diesen korrespondierende Pflichten der Vertragsparteien) nicht nur im Verhältnis von Staaten untereinander schafft, sondern dass sie Individualrechte für die Bürger begründet27. Über deren unmittelbare Anwendbarkeit wird man sicherlich streiten können, zumal die in der Konvention begründeten Ansprüche vielfach eine verfahrensrechtliche Ausgestal-tung im nationalen Recht benötigen, um praktisch wirksam werden zu können. Trotzdem ist es sicherlich richtig, in der Zuerkennung materieller Rechtspositionen des Einzelnen einen Paradigmenwechsel im Umweltvölkerrecht zu sehen, der es erlaubt, die Konvention in die allgemeine Diskussion über die „Konstitutionalisie-rung des Völkerrechts“ einzuordnen28. Hinzu kommt, dass der Konvention eine besondere Form der Einbeziehung der Zivilgesellschaft in staatliche Entschei-dungsprozesse zugrunde liegt29. Dass dieses Verständnis von „partizipativer De-mokratie“30 seinen Ausgangspunkt in einem völkerrechtlichen Vertrag hat, wird man gleichfalls als einen Beitrag zur Konstitutionalisierung transnationaler Rechts-beziehungen verstehen dürfen. Abgesehen davon bewirkt die Zuerkennung von In-dividualrechten in einem völkerrechtlichen Vertrag zwangsläufig eine Verzahnung der verschiedenen Ebenen des Umweltrechts.

24 Ausführlich unten IV. und V.3.; für einen Überblick über die Diskussion siehe A. Epiney, Gemeinschaftsrecht und Verbandsklage, NVwZ 1999, S. 485 ff. (488 ff.); R. Seelig/B. Gündling, Die Verbandsklage im Umwelt-recht – Aktuelle Entwicklungen und Zukunftsperspektiven im Hinblick auf die Novelle des Bundesnaturschutz-gesetzes und supranationale und europarechtliche Vorgaben, NVwZ 2002, S. 1033 ff. (1038 ff.); C. Calliess, Die umweltrechtliche Verbandsklage nach der Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes – Tendenzen zu einer „Privatisierung des Gemeinwohls“ im Verwaltungsrecht?, NJW 2003, S. 97 ff. (98 ff.); derselbe, Europä-ische Vorgaben für die umweltrechtliche Verbandsklage, EurUP 1 (2003), S. 7 ff. (13 ff.); A. Schink, Die Århus-Konvention und das deutsche Umweltrecht, EurUP 1 (2003), S. 27 ff. (34 ff.).

25 Art. 9 Abs. 2 i.V.m. Art. 2 Nr. 5 Århus-Konvention.26 Zu den umweltvölkerrechtlichen Quellen statt anderer U. Beyerlin, Umweltvölkerrecht, München 2000,

Rn. 77 ff. und 105 ff.27 Epiney/Scheyli (Fn. 18), S. 23.28 Epiney/Scheyli (Fn. 18), S. 94.29 Dazu C. Calliess, Die umweltrechtliche Verbandsklage nach der Novellierung des Bundesnaturschutzgesetzes

– Tendenzen zu einer „Privatisierung des Gemeinwohls“ im Verwaltungsrecht?, NJW 2003, S. 97 ff. (100 ff.); Th. v. Danwitz, Århus-Konvention: Umweltinformation, Öffentlichkeitsbeteiligung, Zugang zu den Gerichten, NVwZ 2004, S. 272 ff. (274).

30 Zu dem der Konvention zugrunde liegenden Konzept der „partizipativen Demokratie“ B.W. Wegener, § 1 Rn. 14, in: Th. Schomerus/Ch. Schrader/B.W. Wegener (Hrsg.), Umweltinformationsgesetz – Handkommentar, 2. Aufl., Baden-Baden 2002.

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III. Die Århus-Konvention als “gemischtes Abkommen”

Die Århus-Konvention wurde sowohl von der Gemeinschaft als auch von ihren Mitgliedstaaten unterzeichnet. Es handelt sich um ein sog. „gemischtes Abkom-men“. Bei „gemischten Abkommen“ sind Rechtsfragen im Außenverhältnis gegen-über den anderen Vertragsparteien von solchen des Innenverhältnisses der Gemein-schaft zu ihren Mitgliedstaaten zu unterscheiden.

1. Außenverhältnis

Für das Außenverhältnis ist bei gemischten Abkommen umstritten, ob die Gemein-schaft und ihre Mitgliedstaaten den anderen Vertragsparteien nur jeweils den Teil der Verpflichtungen schulden, für den sie nach der Kompetenzverteilung im Innen-verhältnis zuständig sind oder ob sie – gewissermaßen als Gesamtschuldner – jeder für das Gesamtergebnis, also für alle Verpflichtungen aus dem Abkommen einste-hen müssen31. Nach ganz herrschender Ansicht ist diese Frage mit Rücksicht auf die Vertragspartner dahin zu beantworten, dass die im Innenverhältnis bestehende Kompetenzverteilung nur dann auch im Außenverhältnis Rechtswirkungen erzeugt, wenn sie den Vertragspartnern detailliert offen gelegt wird32. Ein solches Offenle-gen setzt freilich voraus, dass eine Aufspaltung des Inhalts eines Abkommens in einen gemeinschaftsrechtlichen und einen mitgliedstaatlichen Teil möglich ist. Dies wiederum setzt eine eindeutige Kompetenzverteilung im Innenverhältnis voraus. Eindeutig sind die Kompetenzen aber nur im Bereich der ausschließlichen Zustän-digkeiten (der Gemeinschaft ebenso wie der Mitgliedstaaten) verteilt. Nur wenn ein Abkommen sowohl Regelungen enthält, die in die ausschließliche Kompetenz der Mitgliedstaaten fallen, als auch solche, die in die ausschließliche Kompetenz der Gemeinschaft fallen (in der Literatur wird als Beispiel ein Vertrag mit einem Abschnitt über freien Warenverkehr und einem anderen über militärische Verteidi-gung genannt33), lässt sich die interne Kompetenzverteilung zwischen Gemein-schaft und Mitgliedstaaten eindeutig abgrenzen.Bei der Århus-Konvention liegt allerdings kein Fall einer solchen eindeutigen Kom-petenzverteilung vor, denn Art. 175 EGV i.V.m. Art. 174 EGV, aus denen sich die Rechtsgrundlage im Bereich der Umweltpolitik ergibt, begründen eine konkurrie-rende Zuständigkeit der Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten34. Die genaue Be-stimmung der Außenzuständigkeit der Gemeinschaft bei konkurrierender Kompe-tenzverteilung im Innenverhältnis ist schwierig. Ausgangspunkt sind zunächst die

31 Dazu R. Streinz, Europarecht, 6. Aufl., Heidelberg 2003, Rn. 429.32 Statt anderer K. Schmalenbach, Art. 300, Rn. 26, in: C. Calliess/M. Ruffert (Hrsg.), Kommentar des Vertrags

über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, 2. Aufl., Neuwied 2002; K. Kaiser, Geistiges Eigentum und Gemeinschaftsrecht – Die Verteilung der Kompetenzen und ihr Ein-fluss auf die Durchsetzbarkeit der völkerrechtlichen Verträge, Berlin 2004, S. 364 ff.

33 A. Rosas, The European Union and Mixed Agreements, in: A. Dashwood/C. Hillion (eds.), The General Law of E.C. External Relations, London 2000, S. 200 ff. (204).

34 Streinz (Fn. 31), Rn. 132; W. Kahl, Art. 175, Rn. 7, in: R. Streinz (Hrsg.), EUV/EGV, München 2003.

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allgemeinen Grundsätze zur Ermittlung der Zuständigkeit der Gemeinschaft zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge. Für die Frage, ob die Gemeinschaft im Ver-hältnis zu ihren Mitgliedstaaten eine Kompetenz zum Abschluss eines umweltrele-vanten völkerrechtlichen Vertrags in Anspruch nehmen kann, wird danach die AETR-Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs entscheidend. Aus ihr ergibt sich, dass der Gemeinschaft überall dort eine Kompetenz zum Abschluss völker-rechtlicher Verträge zusteht, wo sie im Innenverhältnis eine Zuständigkeit besitzt. Aus ihr ergibt sich aber weiter, dass der Gemeinschaft überall dort, wo sie im Innen-verhältnis von einer konkurrierenden Zuständigkeit Gebrauch gemacht hat, im Au-ßenverhältnis für diesen Bereich eine ausschließliche Zuständigkeit zuwächst, denn nur so kann verhindert werden, dass die Mitgliedstaaten durch den Abschluss völ-kerrechtlicher Abkommen die gemeinschaftlichen Regelungen unterlaufen35.Der Europäische Gerichtshof hat diese Grundsätze in seinem Gutachten 2/91 zur ILO-Konvention Nr. 170 präzisiert. Aus diesem Gutachten ergibt sich, dass keine ausschließliche Zuständigkeit zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge besteht, wenn die Gemeinschaft gegenüber den Mitgliedstaaten nur Mindestregelungen vorsieht, von denen diese nach oben abweichen können36. In diesem Fall sind die Mitgliedstaaten gemeinschaftsrechtlich nicht gehindert, solche Abweichungen auch in völkerrechtlichen Verträgen zu vereinbaren. Deshalb ist in solchen Fällen die Außenkompetenz der Gemeinschaft ausnahmsweise nicht ausschließlich, sondern gleichfalls konkurrierend.Eine ähnliche Einschränkung ergibt sich aus dem Gutachten 1/94 zu den WTO-Übereinkommen. Hier entschied der Gerichtshof, dass immer dann, wenn die be-stehenden gemeinschaftlichen Regelungen einen Bereich nicht vollständig regeln, sondern den Mitgliedstaaten Teilbereiche zur eigenen Regelung belassen, im Au-ßenverhältnis keine ausschließliche Kompetenz der Gemeinschaft besteht37. Dies bedeutet im Ergebnis, dass das Entstehen der ausschließlichen Außenzuständigkeit von der Dichte der internen Regelung durch Gemeinschaftsrecht abhängt. In sei-nem Gutachten 1/94 bezieht der EuGH diesen Gedanken auf den gesamten Politik-bereich Verkehr. Überträgt man die Überlegung in das Umweltrecht38, so wäre erst dann eine ausschließliche Außenkompetenz der Gemeinschaft in Umweltfragen vorhanden, wenn der gesamte Bereich der Umweltpolitik gemeinschaftsrechtlich geregelt wäre39. Dies ist offensichtlich nicht der Fall. Aber selbst bei einer engeren Betrachtung, welche die Regelungsdichte des Gemeinschaftsrechts im Bereich des

35 J. Heliskoski, Mixed Agreements as a Technique for Organizing the International Relations of the European Community and its Member States, The Hague-Boston-London 2001, S. 38 f.

36 EuGH, Gutachten 2/91, Slg. 1993, I-1061, Rn. 18 ff.37 EuGH, Gutachten 1/94, Slg. 1994, I-5267, Rn. 77 und 95 ff.38 Siehe auch zur früheren Diskussion über die Außenkompetenzen nach der Einheitlichen Europäischen Akte,

D.H. Scheuing, Umweltschutz auf der Grundlage der Einheitlichen Europäischen Akte, EuR 24 (1989), S. 152 ff. (173).

39 Zur Bestimmung des von der gemeinschaftsrechtlichen Regelung betroffenen Bereichs siehe auch die Überle-gungen bei D. O‘Keeffe, Exclusive, Concurrent and Shared Competence, in: Dashwood/Hillion (Fn. 33), S. 179 ff. (183).

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konkret in Rede stehenden völkerrechtlichen Vertrages für maßgeblich erachtet40, hier also den Bereich der Umweltinformations- und Umweltbeteiligungsrechte in den Blick nehmen müsste, lässt sich den einschlägigen Richtlinien keine abschlie-ßende Regelung entnehmen. Die Analyse führt damit zu dem Ergebnis, dass die Zuständigkeit der Gemeinschaft derzeit konkurrierend ist. Die Århus-Konvention wurde also zu Recht als gemischtes Abkommen geschlossen.Diese allgemeinen Grundsätze der Zuständigkeitsverteilung beim Abschluss völ-kerrechtlicher Verträge werden durch den Wortlaut von Art. 174 Abs. 4 UAbs. 2 EGV nur scheinbar modifiziert. Die Vorschrift korrigiert die allgemeine Aussage des UAbs. 1, nach der die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten „im Rahmen ihrer jeweiligen Befugnisse“ mit dritten Ländern und internationalen Organisationen zu-sammenarbeiten, und bestimmt, dass die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten, in in-ternationalen Gremien zu verhandeln und internationale Abkommen zu schließen, „unberührt bleibt“. Würde man diese Regelung als Ausnahme gegenüber der allge-meinen Zuständigkeitsverteilung deuten, so gäbe es im Bereich der Umweltaußen-beziehungen keine Gemeinschaftskompetenz. Die Vorschrift wird allerdings nach ganz herrschender Auffassung nicht als Kompetenzzuweisungsnorm, sondern nur als Kompetenzwahrnehmungsnorm verstanden. Sie setzt eine bestehende Zustän-digkeitsverteilung voraus und nimmt sie nicht selbst vor41. Der Vorschlag der Kom-mission für einen Beschluss des Rates reiht sich ein in die gängige bisherige Pra-xis, die die Rechtsgrundlage für den Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrags im Bereich des Umweltschutzes nicht in Art. 174 EGV, sondern in Art. 175 EGV sieht42.In der Rechtspraxis gibt es im Außenverhältnis kaum Schwierigkeiten bei der Kom-petenzverteilung, weil die Gemeinschaft und ihre Mitgliedstaaten gerade im Be-reich der Umweltpolitik zu einem pragmatischen Vorgehen neigen, das darin be-steht, die Abkommen im Zweifel als gemischte Abkommen zu schließen43. Da gleichzeitig die Kompetenzverteilung im Innenverhältnis den Vertragspartnern nicht offen gelegt wird, stehen nach den oben genannten Grundsätzen die Gemein-schaft und die Mitgliedstaaten im Außenverhältnis als „Gesamtschuldner“ für den gesamten Abkommensinhalt ein44.Für die Århus-Konvention lässt sich allerdings gut vertreten, dass die Vertragspar-teien die im Innenverhältnis bestehende Kompetenzverteilung zwischen der Ge-meinschaft und ihren Mitgliedstaaten auch im Außenverhältnis zugrunde legen

40 Namentlich Kaiser (Fn. 32), S. 151 ff. (153).41 E. Klein/F. Kimms, Die Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft zum Abschluss umweltschutzrelevanter

Verträge, in Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 1996, S. 53 ff. (62); zu Einzelheiten und der Anwendung der AETR-Doktrin in diesem Bereich siehe näher W. Kahl, Art. 174, Rn. 108 ff., in: Streinz, EUV/EGV (Fn. 34); C. Calliess, Art. 174, Rn. 48 ff., in: ders./Ruffert (Fn. 32); A. Epiney, Umweltrecht in der Europäischen Union, Köln u.a. 1997, 79 f.

42 Nachweise zur Praxis beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge im Umweltbereich bei Klein/Kimms (Fn. 41), S. 62 f.; für die Zustimmung zur Århus-Konvention siehe KOM (2003) 625 endgültig, 2 und 4; allgemein zu Art. 175 als Rechtsgrundlage, W. Frenz, Europäisches Umweltrecht, München 1997, Rn. 65.

43 Heliskoski (Fn. 35), S. 10 ff. (13); A. Epiney/D. Gross, Zur Abgrenzung der Außenkompetenzen von Gemein-schaft und Mitgliedstaaten im Umweltbereich, Jahrb. des Umwelt- und Technikrechts 78 (2004), 27 ff. (36 f.).

44 Kahl (Fn. 41), S. 113 m.w.N.

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wollen, denn Art. 19 Abs. 4 S. 1 Århus-Konvention bestimmt für den Fall, dass ei-ne internationale Organisation isoliert (d.h. ohne ihre Mitgliedstaaten) Vertragspar-tei der Århus-Konvention wird, deren Verpflichtung aus allen Bestimmungen der Århus-Konvention45. Für den Fall, dass neben der Organisation auch ihre Mitglied-staaten Vertragsparteien sind, heißt es in Art. 19 Abs. 4 S. 2 Århus-Konvention, dass „die Organisation und ihre Mitgliedstaaten über ihre jeweiligen Verantwort-lichkeiten hinsichtlich der Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus dem Übereinkom-men [entscheiden].“ Daraus muss man entnehmen, dass die EG und ihre Mitglied-staaten im Außenverhältnis gegenüber den anderen Vertragsparteien jeweils nur das schulden, wofür sie jeweils nach der Kompetenzverteilung im Innenverhältnis zu-ständig sind. Anders gewendet: Die anderen Vertragsparteien haben sich in Art. 19 Abs. 4 S. 2 Århus-Konvention auf eine „dynamische Verweisung“ auf die interne Kompetenzverteilung zwischen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten eingelassen.

2. Innenverhältnis

Damit rückt die Kompetenzverteilung im Innenverhältnis in das Zentrum der Auf-merksamkeit. Wie sieht diese mit Blick auf die Århus-Konvention konkret aus? Die Gemeinschaft ist im Bereich der Beteiligungs- und Informationsrechte in Umwelt-sachen bereits intensiv rechtsetzend tätig geworden. Das gilt namentlich für den Umweltinformationsanspruch, der bereits auf eine Richtlinie aus dem Jahr 1990 zurückgeht46. Zur Anpassung an die Vorgaben der Århus-Konvention hat die Ge-meinschaft inzwischen zwei Änderungsrichtlinien erlassen. Mit der Richtlinie 2003/4/EG vom 28. Januar 200347 wurde die Umweltinformationsrichtlinie geän-dert, an die Århus-Konvention angepasst und insgesamt neu verkündet. Diese Än-derungen sind bis zum 24. Februar 2005 von den Mitgliedstaaten umzusetzen. Au-ßerdem wurden mit der Richtlinie 2003/35/EG vom 26. Mai 200348 die UVP-Richtlinie und die IVU-Richtlinie geändert. Zugleich wurden Regelungen über die Öffentlichkeitsbeteiligung im Planungsrecht erlassen. Diese Änderungen sind bis zum 25. Juni 2005 umzusetzen.An der Kompetenz der Gemeinschaft zur Änderung des bereits vorhandenen Richt-linienrechts im Bereich des Umweltinformationsanspruchs und der Umweltver-träglichkeitsprüfung bestehen keine Zweifel. Aber: Wie weit reicht die Gemein-schaftszuständigkeit für die Regelung des Rechtsschutzes in Umweltangelegenhei-ten, also im Bereich des Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrechts?

45 Die Vorschrift lautet: „Jede in Artikel 17 genannte Organisation, die Vertragspartei dieses Übereinkommens wird, ohne dass einer ihrer Mitgliedstaaten Vertragspartei ist, ist durch alle Verpflichtungen aus dem Überein-kommen gebunden. Ist ein Mitgliedstaat oder sind mehrere Mitgliedstaaten einer solchen Organisation Ver-tragspartei des Übereinkommens, so entscheiden die Organisation und ihre Mitgliedstaaten über ihre jeweiligen Verantwortlichkeiten hinsichtlich der Erfüllung ihrer Verpflichtungen aus dem Übereinkommen. [...]“

46 Siehe nochmals die Nachweise oben Fn. 3.47 ABl. 2003 L 41/36.48 ABl. 2003 L 156/17.

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a) Auswirkungen der Außenbeziehungen auf die Zuständigkeitsverteilung im Innenverhältnis?

Es läge an sich in der Logik des gemischten Abkommens, dass sich die geteilte Zu-ständigkeit für den Abschluss in einer entsprechenden Umsetzungs- und Anwen-dungszuständigkeit fortsetzt. Danach wäre die Gemeinschaft für die Umsetzung derjenigen Teile des Übereinkommens zuständig, die in ihre Kompetenz fallen und die Mitgliedstaaten entsprechend für ihre Teile. Die Zweiteilung müsste sich schließlich auch in der Zuständigkeit des EuGH im Rahmen von Vorabentschei-dungsverfahren niederschlagen: Der EuGH wäre nur dort zuständig, wo der in die Zuständigkeit der Gemeinschaft fallende Teil eines Abkommens berührt ist, im Üb-rigen nicht49.Ob hinsichtlich der Auslegung eine solche klare Zweiteilung immer vollständig durchzuhalten ist, muss man aber bezweifeln. Generalanwalt Tesauro hat in dem Verfahren Hermès für die Zuständigkeit des EuGH im Vorabentscheidungsverfah-ren die Auffassung vertreten, der Grundsatz der Gemeinschaftstreue beim Ab-schluss eines gemischten Abkommens müsse in bestimmten Fällen zu einer zentra-lisierten Auslegungszuständigkeit des EuGH führen50. Der EuGH ist dieser Argu-mentation zunächst weder ausdrücklich gefolgt, noch hat er sie explizit verwor-fen51. Später hat er aber für „eine Verfahrensvorschrift, die für alle in ihren Geltungsbereich fallenden Sachverhalte in gleicher Weise gilt und sowohl auf dem innerstaatlichen Recht unterliegende als auch auf dem Gemeinschaftsrecht unter-liegende Sachverhalte anwendbar ist“ eine einheitliche Auslegung und Anwendung für erforderlich gehalten52. Die besondere Betonung des verfahrensrechtlichen Charakters der in dem konkreten Verfahren betroffenen Vorschrift (Art. 50 TRIPS) lässt darauf schließen, dass der EuGH damit nicht die Zuständigkeit beansprucht, alle Bestimmungen eines gemischten Abkommens zu interpretieren53. Für die År-hus-Konvention dürfte diese Rechtsprechung gleichwohl von erheblicher Bedeu-tung werden, weil diese in weitem Umfang Verfahrensrechte begründet, also gerade jenen Bereich betrifft, in dem der EuGH eine einheitliche Interpretation für erfor-derlich hält.Fraglich ist, ob die vom EuGH für eine (breite) Auslegungszuständigkeit im Rah-men des Vorabentscheidungsverfahrens herangezogenen Argumente auch Konse-quenzen für die Umsetzungszuständigkeit haben können. In ihrer Begründung für

49 A. Epiney, Zur Stellung des Völkerrechts in der EU, EuZW 1999, 5 ff. (8); dies./D. Gross, Zur Abgrenzung der Außenkompetenzen zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten bei der Durchführung völkerrechtli-cher Verträge, EurVP 2005, 2 ff (6 f.). In diese Richtung wird die Entscheidung Hermès (EuGH, Slg. 1998, I-3603, Rn. 28) in der Literatur gedeutet, näher R. Mögele, Art. 300, Rn. 90, in: Streinz, EUV/EGV (Fn. 34).

50 EuGH, Slg. 1998, I-3603 – Hermès, Rn. 21 der Schlussanträge.51 Dies war möglich, weil die im konkreten Fall eindeutig allein in den Bereich der mitgliedstaatlichen Zuständig-

keit fallende Regelung des Art. 50 TRIPS in anderen Fällen auch für dem Gemeinschaftsrecht unterliegende Sachverhalte Bedeutung erlangen konnte (vgl. nochmals den Nachweis in Fn. 49).

52 EuGH, Slg. 2000, I-11307, Rn. 37 – Dior.53 M. Bungenberg, Mixed Agreements im Gemeinschaftsrecht und nationalen Recht, in: FS für Hans-Ernst Folz,

Wien-Graz 2003, 13 ff. (18).

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den Richtlinienvorschlag zur Umsetzung der Århus-Konvention argumentiert die Kommission auf einer solchen Linie, wenn sie als Argument anführt, dass der Er-lass der Richtlinie durch die Gemeinschaft auch notwendig sei, um „ihren interna-tionalen Verpflichtungen nachzukommen“54. Diese Konsequenz ist abzulehnen. Schon die Ausdehnung der Auslegungszuständigkeit ist vor dem Hintergrund der gedanklichen Konzeption von „gemischten Abkommen“ nicht unproblematisch. Es liegt in ihrer Logik, dass eine vollständige Erfüllung der Verpflichtungen im Au-ßenverhältnis nur möglich ist, wenn beide, Gemeinschaft und Mitgliedstaaten, je-weils den in ihre Zuständigkeit fallenden Teil erfüllen. Wie bei anderen gesamt-schuldnerischen Verhältnissen, so hat auch hier die gemeinsame Verpflichtung im Außenverhältnis keinen Einfluss auf die Kompetenzverteilung im Innenverhält-nis55. Schon bei der Auslegung ließe sich argumentieren, dass bei völkerrechtli-chen Verträgen, die selbst keine einheitliche Auslegungsinstanz vorsehen, ohnehin nicht verhindert werden kann, dass sie von den jeweiligen Vertragsparteien unter-schiedlich angewendet werden. Warum hier aus Gründen der Gemeinschaftstreue innerhalb der Gemeinschaft eine vom Übereinkommen selbst nicht geforderte Uni-formität erreicht werden soll, erscheint nicht recht einsichtig56.Erst recht problematisch wird es aber, wenn aus einer möglichen gemeinsamen Verantwortung im Außenverhältnis eine Rechtssetzungskompetenz im Innenver-hältnis abgeleitet werden soll. Hierdurch entstünde ein nur schwer auflösbarer Zir-kel: Das gemischte Abkommen ist erforderlich, weil die Gemeinschaft nicht alleine für den gesamten Abkommensinhalt die interne Zuständigkeit beanspruchen kann. Aus der mit seinem Inkrafttreten eingetretenen Verbindlichkeit im Außenverhältnis würde dann eine erweiterte Zuständigkeit im Innenverhältnis folgen, die – wenn man den Gedanken zu Ende führt – aber letztlich das Erfordernis eines gemischten Abkommens ganz entfallen ließe. Eine solche Argumentationskette vermag nicht zu überzeugen. Im Ergebnis muss sich die Zuständigkeit zur Umsetzung der År-hus-Konvention auch im Bereich des Rechtsschutzes aus der „normalen“ Kompe-tenzverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten ergeben.

b) Zuständigkeit der Gemeinschaft für das “Umweltverfahrensrecht” aus der umweltpolitischen Kompetenz der Gemeinschaft

Damit stellt sich die Frage nach der Reichweite der umweltrechtlichen Zuständig-keit der Gemeinschaft, wenn es um das Verwaltungsverfahrens- und das Verwal-tungsprozessrecht geht. Anders als man auf den ersten Blick meinen könnte, be-trifft die Frage nicht nur die gemeinschaftliche Zuständigkeit für den Erlass der von der Kommission zunächst in Aussicht genommenen Richtlinie über den Zugang zu

54 KOM (2003) 624 endgültig, 4 und 6.55 C. Tomuschat, Art. 300, Rn. 88, in: H. von der Groeben/J. Schwarze (Hrsg.), Kommentar zum Vertrag über die

Europäische Union und zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, Bd. 4, 6. Aufl., Baden-Baden 2004.56 Siehe hierzu die überzeugenden Argumente von GA Cosmas im Verfahren Dior, EuGH, Slg. 2000, I-11307 –

Dior; Rn. 58 ff. (61) der Schlussanträge.

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Gerichten in Umweltangelegenheiten57, sondern sie stellt sich auch für Teile der bereits ergangenen Änderungsrichtlinien. Die Richtlinie 2003/35/EG enthält Vor-gaben für die Einführung einer Verbandsklage im Bereich der UVP- und der IVU-Richtlinie (Art. 10a der geänderten UVP-Richtlinie und Art. 15a der geänderten IVU-Richtlinie).Die Reichweite der umweltpolitischen Kompetenz der Gemeinschaft war wegen der entwicklungsoffenen Formulierungen in den vertraglichen Rechtsgrundlagen von Anfang an umstritten58. Während einige Autoren durch Anwendung eines rest-riktiven Umweltbegriffs die Zuständigkeit der Gemeinschaft im Umweltbereich be-grenzen wollen59, geht die herrschende Meinung in der Literatur von einem ent-wicklungsoffenen Begriff aus, der grundsätzlich eine breite Zuständigkeit der Ge-meinschaft ermöglicht60. Für diese Meinung spricht nicht zuletzt die deutliche Fortentwicklung der umweltpolitischen Zielsetzung der Europäischen Gemein-schaft, die in der Nennung des Umweltschutzes bei der Tätigkeit der Gemeinschaft in Art. 3 lit. l) EGV und der Einführung einer Querschnittsklausel in Art. 6 EGV durch den Vertrag von Amsterdam deutlich zum Ausdruck kommt.

aa) Keine „Schubladenlösung“ bei der Kompetenzverteilung

Wie lassen sich bei einer derart breiten Kompetenzzuschreibung sinnvolle Abgren-zungen treffen? Nach dem Gesagten ist es problematisch, die Abgrenzung über eine Definition des Begriffs der Umwelt zu versuchen. Die Literatur vertraut hier vor allem auf die Anwendung des Subsidiaritätsgedankens (Art. 5 Abs. 2 EGV), der sei-nen gemeinschaftsrechtlichen Ursprung im Bereich des Umweltrechts hatte. Unter der Einheitlichen Europäischen Akte sahen sich die Mitgliedstaaten bei der Begrün-dung einer eigenen Umweltzuständigkeit der Gemeinschaft veranlasst, eine Subsidi-aritätsklausel aufzunehmen, um potentielle Weiterungen einzuschränken61. Im Zuge des Vertrags von Maastricht wurde dieser umweltrechtliche Subsidiaritätsgedanke zu einem allgemeinen Grundsatz der Zuständigkeitsverteilung aufgewertet62.

57 Vgl. nochmals den Nachweis oben in Fn. 15.58 Allerdings kreist ein guter Teil der Diskussion weniger um die Frage einer Kompetenzabgrenzung zwischen der

Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten, sondern vielmehr um die der richtigen Rechtsgrundlage innerhalb des EG-Vertrags, wenn für einen Rechtsakt mehrere Rechtsgrundlagen in Frage kommen. Zu diesem Problemkreis und den vertretenen Positionen S. Breier, Kompetenzen, in H.-W. Rengeling, Handbuch zum europäischen und deutschen Umweltrecht, Bd. I, 2. Aufl., Köln u.a. 2003, S. 414 ff. (430 ff.); R. von Borries, Kompetenzvertei-lung und Kompetenzausübung, ebenda, S. 853 ff. (866 ff.); Calliess, Art. 175, Rn. 1 und 3, in: derselbe/Ruffert (Fn. 32).

59 H. Matuschak, Die Bedeutung des neuen Art. 130s Abs. 2 EGV im Rahmen des EG-vertraglichen Umwelt-rechts, DVBl. 1995, S. 81 ff. (84 ff.);

60 A. Epiney, Umweltrecht in der Europäischen Union, Köln u.a. 1997, 3 und 6 ff.; Calliess, Art. 175, Rn. 1 und 3, in: derselbe/Ruffert (Fn. 32); Kahl, Art. 175, Rn. 6, in: Streinz, EUV/EGV (Fn. 34).

61 Zu Art. 130r Abs. 4 a.F. EGV ausführlich die Überlegungen bei Scheuing (Fn. 38), 164 ff. und C. Calliess, Sub-sidiaritäts- und Solidaritätsprinzip in der Europäischen Union, 2. Aufl. Baden-Baden 1998, 42 ff.

62 Dazu und zur (fehlenden) praktischen Anwendung der umweltrechtlichen Subsidiaritätsklausel des Art. 130r Abs. 4 EGV a.F. in den Jahren zwischen 1987 und 1993, L. Krämer, Vorbem. Zu Art. 130r bis Art. 130t, Rn. 61, in: H. von der Gröben/J. Thiesing/C.-D. Ehlermann (Hrsg.), Kommentar zum EU-/EG-Vertrag, Bd. 3, 5. Aufl., Baden-Baden 1999.

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Unter Subsidiaritätsgesichtspunkten ist es sicherlich richtig, der Gemeinschaft ge-rade im Bereich von Verfahrensvorschriften nur eine Kompetenz zum Erlass von Mindestnormen zuzugestehen, die den Mitgliedstaaten Spielraum zur Ausfüllung lassen63. Zu weit geht es aber, wenn ein „Gemeinschaftsrechtsgrundsatz der mit-gliedstaatlichen Verfahrensautonomie bei der Durchführung des Gemeinschafts-rechts“ formuliert wird64, der das gesamte Verwaltungsverfahrens- und Verwal-tungsprozessrecht dem Einfluss des Gemeinschaftsrechts entziehen soll. Eine sol-che „Schubladenlösung“ bei der Kompetenzverteilung, die bestimmte Materien vollständig von der Gemeinschaftszuständigkeit ausnehmen will, wird der finalen Zielsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Kompetenzzuweisungen nicht gerecht. Das hat sich bereits in vielen anderen Bereichen gezeigt. So bleibt den Mitglied-staaten zwar grundsätzlich die Ausgestaltung ihrer Sozialversicherungssysteme überlassen. Dies schließt aber vereinzelte Einwirkungen der Grundfreiheiten nicht aus65. Das Gleiche zeigte sich bei der Organisation der Streitkräfte66 und ist inzwi-schen sogar im Staatskirchenrecht akzeptiert67. Gemeinschaftsrecht und nationales Recht der Mitgliedstaaten liegen eben nicht wie Schubladen streng nach Sachberei-chen getrennt nebeneinander, sondern sind auch dort punktuell miteinander ver-schränkt, wo grundsätzlich die Mitgliedstaaten allein regelungsbefugt sind. Das gilt auch beim Rechtsschutz in Umweltangelegenheiten: Schon die Umweltinfor-mationsrichtlinie aus dem Jahr 1990 enthielt in Art. 4 Regelungen über den Rechts-schutz bei einer Verweigerung des Zugangs zu Umweltinformationen68.

bb) Keine Pauschale Gemeinschaftszuständigkeit zur Regelung des Verfahrens-rechts als allgemeine „Annexkompetenz“

Aber auch die andere Extremposition ist abzulehnen. Zu weitgehend ist die Auffas-sung, nach der die Gemeinschaft zuständig sein soll, unabhängig von einem kon-kreten materiellen umweltrechtlichen Rechtsakt umweltbezogene verfahrens- und prozessrechtliche Regeln zu erlassen69. Würde man den Gedanken in dieser Allge-meinheit in andere Politikbereiche übertragen, so entstünde leicht eine allgemeine

63 Calliess (Fn. 60), Rn. 10 ff.64 V. Danwitz (Fn. 29), S. 277.65 EuGH, Slg. 1998, I-1931 – Kohll; Slg. 1998, I-1831 – Decker.66 EuGH, Slg. 2000, I-69 – Tanja Kreil.67 Etwa M. Heinig, Öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften, Berlin 2003, S. 390 ff.; St. Mückl, Religions-

und Weltanschauungsfreiheit im Europarecht, Heidelberg, 2002, S. 23; C. Link, Staat und Kirche im Rahmen des europäischen Einigungsprozesses, ZevKR 42 (1997), S. 130 ff. (134 f.); tendenziell anderer Ansicht C. Hill-gruber, Staat und Religion, DVBl. 1999, S. 1155 ff. (1178) mit der Formulierung, dass die Kirchen „dem ge-meinschaftsrechtlichen Regelungszugriff entzogen“ seien.

68 „Eine Person, die der Ansicht ist, dass ihr Informationsersuchen zu Unrecht abgelehnt oder nicht beachtet wor-den ist, oder die von einer Behörde eine unzulängliche Antwort erhalten hat, kann den Bescheid auf dem Ge-richts- oder Verwaltungsweg gemäß der einschlägigen einzelstaatlichen Rechtsordnung anfechten.“

69 Am ausführlichsten A. Epiney, Gemeinschaftsrecht und Verbandsklage, NVwZ 1999, S. 485 ff. (492); im Er-gebnis ebenso C. Calliess, Europarechtliche Vorgaben für die umweltrechtliche Verbandsklage, EurUP 1 (2003), S. 7 ff. (15 mit Fn. 83); ohne nähere Begründung wird die Zuständigkeit der Gemeinschaft verneint bei Jeder (Fn. 8), S. 147 mit Fn. 5.

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verfahrensrechtliche Kompetenz der Gemeinschaft. Dass „Aspekte der Rechts-durchsetzung – unter Einschluss von Fragen des gerichtlichen Verfahrens – für die effektive Wirkung eines Rechtsakts entscheidend sein können“70, gilt überall. Erst recht geht es zu weit, wenn aus der allgemeinen Umweltzuständigkeit der Gemein-schaft und einem tatsächlich vorhandenen oder nur behaupteten allgemeinen Voll-zugsdefizit im Bereich des Umweltrechts gefolgert wird, die Gemeinschaft habe eine allgemeine Zuständigkeit, Verfahrensvorschriften zur Einhaltung des materiel-len Umweltrechts gleich welcher Provenienz (also insbesondere auch des nationa-len Umweltrechts) zu erlassen71. Hierdurch würde eine völlig neue Fallgruppe des Vollzugs geschaffen. Der Gemeinschaftsgesetzgeber würde in Anspruch nehmen, über den Vollzug von nationalem Recht durch nationale Stellen zu wachen. Für ei-ne solche Fallgruppe ist eine Kompetenzgrundlage nicht zu erkennen und Paralle-len zur Durchsetzung des Umweltinformationsanspruchs tragen nicht, weil dort der durchzusetzende materielle Anspruch gerade im Gemeinschaftsrecht verankert ist72. Eine Zuständigkeit der Gemeinschaft zum Erlass von Verfahrensregeln be-steht nach allem nur dort, „wo sie der Durchsetzung konkreter, im Rahmen zuge-wiesener Regelungsbereiche wie etwa dem Umweltschutz gesetzter, materieller Rechtsvorschriften dient.“73

cc) Lösung über das Umweltverfahrensrecht als rechtspolitische Gesamt-konzeption

Es fragt sich aber, ob mit dieser Prämisse die Zuständigkeitsprobleme bei der Um-setzung der Århus-Konvention sachgerecht bewältigt werden können. Hintergrund der neuen umweltrechtlichen Konzeptionen ist, dass Verfahrensrechte als „umwelt-politisches Mittel zur Überwindung des gravierenden Vollzugsdefizits verstanden werden.“74 Es gilt also bei der Interpretation die Funktion der Verfahrensregeln im Umweltrecht zu berücksichtigen. Die Diskussion im Umweltrecht geht seit länge-rem dahin, die verfahrensrechtlichen Aspekte des Umweltschutzes stärker zu beto-nen als dies der deutschen verwaltungsrechtlichen Tradition entspricht75. Akzep-tiert man die Gedanken des „prozeduralen Umweltrechts“ und der „informierten Öffentlichkeit“ als umweltpolitische Regelungskonzepte, dann ergibt sich die Kom-

70 So das Argument bei Epiney (Fn. 69), S. 492.71 I. Pernice/V. Rodenhoff, Die Gemeinschaftskompetenz für eine Richtlinie über den Zugang zu Gerichten in Um-

weltangelegenheiten, ZUR 2004, S. 149 ff. (150).72 Pernice/Rodenhoff (Fn. 71), S. 150 f.73 B.W. Wegener, Rechte des Einzelnen, Die Interessenklage im Europäischen Umweltrecht, Baden-Baden 1998,

86; gegen eine Annexkompetenz argumentiert auch M. Ruffert, Subjektive Rechte im Umweltrecht der Europä-ischen Gemeinschaft, Heidelberg 1996, S. 322.

74 Ruffert (Fn. 73), S. 321.75 Dazu allgemein G.-P. Calliess, Prozedurales Recht, Baden-Baden 1999; E. Schmidt-Aßmann, Europäisches Ver-

waltungsverfahrensrecht, in: P.-C. Müller-Graff (Hrsg.), Perspektiven des Rechts in der Europäischen Union, Heidelberg 1998, S. 131 ff. (133 und 146 ff.); insbes. zum Umweltrecht E. Hagenah, Prozeduraler Umwelt-schutz, Baden-Baden 1996; E. Schmidt-Aßmann/C. Ladenburger, Umweltverfahrensrecht, in: Rengeling (Fn. 58), S. 551 ff. (552 ff.).

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petenz zum Erlass von Verfahrensregeln zwanglos aus der Kompetenz zum Erlass materieller Regeln, weil sich – zumindest mit Blick auf die Kompetenzgrundlage – materielles und Verfahrensrecht nicht mehr ohne weiteres trennen lassen76. Die verfahrensrechtliche Konzeption ist ihrer Ausrichtung nach materielles Umwelt-recht.Diese Art der gemeinschaftsrechtlichen Kompetenzbegründung über eine umwelt-politische Gesamtkonzeption, die das Verfahrens- und Prozessrecht einschließen muss, hat gegenüber den anderen Ansätzen den Vorteil, dass sie einerseits zwar dem breiten finalen Zuschnitt der Kompetenz in Art. 174 und Art. 175 EGV Rech-nung trägt, gleichzeitig aber eine besondere Verzahnung von materiellem und Ver-fahrensrecht in einer Gesamtkonzeption verlangt und so eine wichtige Einschrän-kung gegenüber der Argumentation mit einer allgemeinen Annexkompetenz ent-hält77. Dies schließt es nicht aus, das Konzept in andere Bereiche zu übertragen (der Verbraucherschutz wäre ein wichtiges weiteres Beispiel!), aber Voraussetzung bleibt, dass ein prozedurales Gesamtkonzept gewählt wird. Erst dieses begründet die Gemeinschaftskompetenz zur Verfahrensregelung.

c) Der Richtlinienvorschlag der Kommission vom 23. Oktober 2003 als Bestand-teil des umweltrechtlichen Konzepts einer “informierten Öffentlichkeit”

Nimmt man diese Überlegungen zum Ausgangspunkt, dann erlangt die von der Ge-meinschaft mit ihren Rechtsakten verfolgte umweltpolitische Gesamtkonzeption entscheidende Bedeutung für die Antwort auf die Frage nach der Zuständigkeit. Hier kann inzwischen kein ernsthafter Zweifel bestehen, dass die enge Verzahnung von materiellem und Verfahrensrecht gerade eine der Neuerungen und Fortent-wicklungen war, die das europäische Umweltrecht für das nationale Umweltrecht der Bundesrepublik Deutschland gebracht hat78. Die Regelungen der Århus-Kon-vention fügen sich nahtlos in dieses an Partizipation orientierte Modell. Als Belege für die gesamte Entwicklung des europäischen Umweltrechts in Richtung auf ein partizipatorisches Modell seien angeführt die Umweltinformationsrichtlinie aus dem Jahr 199079, die einen interessenunabhängigen Anspruch auf Zugang zu bei

76 F. Ekardt/K. Pöhlmann, Die Kompetenz der Europäischen Gemeinschaft für den Rechtsschutz – am Beispiel der Århus-Konvention, EurUP 2004, S. 128 ff. (131).

77 Hierin liegt eine wesentlicher Unterschied gegenüber der im Übrigen durchaus ähnlichen ähnlich verlaufenden Argumentation bei I. Pernice/V. Rodenhoff, Die Gemeinschaftskompetenz für eine Richtlinie über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten, ZUR 2004, S. 149 ff. (150), wo die Zuständigkeit im Wesentlichen mit dem rechtspolitischen Argument des Vollzugsdefizits im Bereich des Umweltrechts und dessen nachteiligen Auswirkungen auf die Umwelt begründet wird.

78 Vgl. neben den Nachweisen in Fn. 75 aus der älteren Literatur noch E. Schmidt-Aßmann, Der Verfahrensgedan-ke in der Dogmatik des öffentlichen Rechts, in: P. Lerche/W. Schmitt-Glaeser/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Ver-fahren als staats- und verwaltungsrechtliche Kategorie, Heidelberg 1984, S. 3 ff. (6 ff.)

79 Nachweise oben Fn. 3; siehe auch die sog. „Seveso-Richtlinie“ (Richtlinie 96/82; ABl. 1997 L 10/13; dazu die Änderung durch die Richtlinie 2003/105/EG; ABl. 2003 L 345/97), mit der ein spezielles Informationszugangs-recht und Beteiligungsrechte der Öffentlichkeit mit Blick auf gefährliche Stoffe normiert werden.

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Behörden vorhandenen Umweltinformationen gibt80, sowie die ausdrücklich auf Betroffenen- oder Interessenpartizipation abstellenden Regelungen in der UVP-Richtlinie81, der Richtlinie zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik82 oder der Richtlinie über die inte-grierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung (IVU oder IPPC-Richtlinie)83. Diese Entwicklung kulminiert in der bereits mit dem ausdrück-lichen Ziel der Umsetzung der Århus-Konvention im Mai 2003 erlassenen Richtli-nie über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter um-weltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten84. Daraus ergibt sich eine Kompetenz der Gemeinschaft zum Erlass derjenigen Vorschriften des Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungspro-zessrechts, die zur Realisierung der Konzeption eines „prozeduralen Umwelt-rechts“ unter Subsidiaritätsgesichtspunkten erforderlich sind.

IV. Probleme bei der Umsetzung der Århus-Konvention im Bereich des gemeinschaftlichen Verfahrens- und Prozessrechts

Verwaltungsverfahrens- und verwaltungsprozessrechtliche Umsetzungsprobleme betreffen in erster Linie das nationale Recht der Mitgliedstaaten85. Das liegt an der Verteilung der Vollzugszuständigkeiten zwischen der Gemeinschaft und ihren Mit-gliedstaaten. Danach erfolgt der Vollzug des Gemeinschaftsrechts ganz überwie-gend im sog. indirekten, d.h. mitgliedstaatlichen, Vollzug des Gemeinschafts-rechts86. Es gibt aber eine Umsetzungsschwierigkeit, die sich unmittelbar auf das Gemeinschaftsrecht, genauer gesagt auf das Prozessrecht des Gerichtshofs, bezieht. Neben dem indirekten Vollzug wird nämlich auch der gemeinschaftsunmittelbare Vollzug des Umweltrechts von der Århus-Konvention erfasst. Wie sieht es dort mit notwendigen Anpassungen aus?

80 Neben den einschlägigen Kommentierungen zu dem für Deutschland hinsichtlich der Umsetzung maßgeblichen UIG (R. Röger, Umweltinformationsgesetz, Kommentar, Köln 1995; Th. Schomerus/Ch. Schrader/B. Wegener (Hrsg.), Umweltinformationsgesetz – Handkommentar, 2. Aufl., Baden-Baden 2002; J. Fluck, Informationsfrei-heitsrecht mit Umweltinformations- und Verbraucherinformationsrecht, Loseblatt-Kommentar, Heidelberg) sei hingewiesen auf die Beiträge von A. Hatje, Verwaltungskontrolle durch die Öffentlichkeit – eine dogmatische Zwischenbilanz zum Umweltinformationsanspruch, EuR 33 (1998), S. 734 ff.; G. Nolte, Die Herausforderung für das deutsche Recht der Akteneinsicht durch europäisches Verwaltungsrecht, DÖV 52 (1999), S. 363 ff.; M. Kaufmann, Grundrechtlicher Anspruch auf Akteneinsicht als Voraussetzung der Demokratie?, in: M. Bert-schi u.a. (Hrsg.), Demokratie und Freiheit, 39. Tagung der Wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fachrichtung Öffentliches Recht, Stuttgart u.a. 1999, S. 41 ff.; D. König, Das Umweltinformationsgesetz – ein Modell für mehr Aktenöffentlichkeit?, DÖV 53 (2000), S. 45 ff.; M. Rossi, Das Umweltinformationsgesetz in der Rechtsprechung – ein Überblick, UPR 20 (2000), S. 175 ff.

81 Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 85/337/EWG (oben Fn. 4; näher zum rein verfahrensrechtlichen Charakter der Richtlinie Haneklaus (Fn. 4), Vorbemerkungen Rn. 8.

82 Art. 14 der Richtlinie 2000/60/EG (ABl. 2000 L 327/1).83 Art. 15 der Richtlinie 96/61 (ABl. 1996 L 257/26).84 ABl. 2003 L 156/17.85 Dazu sogleich V.86 Streinz (Fn. 31), Rn. 470 ff.

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1. Der Verordnungsvorschlag vom 24. Oktober 2003 im Allgemeinen

Die Kommission hat am 24. Oktober 2003 einen Vorschlag für eine Verordnung unterbreitet, in der die Anwendung der Vorgaben aus den drei Säulen der Århus-Konvention auf die Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft geregelt werden soll87. Den Umweltinformationsanspruch soll eine Übernahme der Regeln über das allgemeine Akteneinsichtsrecht88 befriedigen, das nach Art. 3 des Vorschlags für Umweltinformationen i.S. der Konvention gelten soll89.Da in der Gemeinschaft keine beteiligungspflichtigen Genehmigungsverfahren stattfinden, erübrigt sich eine Regelung dieses Bereiches. Stattdessen sieht der Ent-wurf eine Öffentlichkeitsbeteiligung bei umweltbezogenen Plänen und Program-men durch die Gemeinschaft vor90. Dies entspricht Art. 7 der Århus-Konvention und der Tätigkeit der Gemeinschaft in diesem Bereich91. Die Kommission stützt sich dabei auf allgemeine Grundsätze und Mindeststandards für die Konsultation betroffener Parteien, die sie bereits im Dezember 2002 verabschiedet hat92.

2. Das besondere Problem der Verbandsklage im Gemeinschaftsrecht

Interessant und rechtlich nicht unproblematisch sind demgegenüber die vorgeschla-genen Regelungen mit Blick auf die in der Århus-Konvention vorgesehene Ver-bandsklage93. Der Entwurf enthält zunächst einmal die notwendigen verfahrensmä-ßigen Voraussetzungen zur Anerkennung umweltrechtlicher Verbände als „qualifi-zierte Vereinigungen“, denen die Verbandsklage zugute kommen kann. Zu den Vo-raussetzungen gehören etwa gemeinschaftsweite Tätigkeit, Gemeinnützigkeit, eine gewisse Dauerhaftigkeit (nachgewiesen durch ein zweijähriges Bestehen im Zeit-punkt der Antragstellung) und ähnliche weitere Erfordernisse94, gegen die sich we-der aus Sicht der Århus-Konvention noch aus der Perspektive des Gemeinschafts-rechts etwas einwenden lässt.Die entscheidende Frage ist nun, wie der Zugang dieser Vereinigungen zum Euro-päischen Gerichtshof ermöglicht wird. Das Problem besteht darin, dass die Nich-tigkeitsklage nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Art. 230 EGV die „unmittel-bare und individuelle“ Betroffenheit des Klägers verlangt. Die relativ strenge Rechtsprechung des EuGH zu diesem Erfordernis ist seit langem Gegenstand der Diskussion in der Literatur. Generalanwalt Jacobs hat in einem spanischen Verfah-ren aus dem Jahr 2002 argumentiert, der Gerichtshof möge seine restriktive Hal-

87 Vgl. oben Fn. 14.88 Dazu wird die Verordnung Nr. 1049/2001 vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumen-

ten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (Abl. 2001 L 145/43) auf Umweltinformati-onsanträge anwendbar erklärt (Art. 3 des Verordnungsvorschlags).

89 Vgl. dazu die entsprechenden Erläuterungen der Kommission in ihrem Vorschlag, a.a.O. (Fn. 14), 11 ff.90 Art. 8 des Entwurfs.91 V. Danwitz (Fn. 29), S. 275 m.w.N.92 Mitteilung der Kommission über Folgenabschätzung, KOM (2002) 276 endg.93 Siehe nochmals den Nachweis oben Fn. 25; sowie die Darstellung bei nationalem Recht unten unter V. 3.94 Art. 12 des Vorschlags, a.a.O. (Fn. 14).

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tung gegenüber Individualklägern überdenken95. Die Rechtsprechung des EuGH, nach der sich der Kläger um „unmittelbar und individuell“ betroffen zu sein, aus dem Kreis der Betroffenen herausheben müsse „wie ein Adressat“, verkürze den Rechtsschutz. Als Alternative schlug er vor, danach zu differenzieren, ob die ange-griffene Handlung für den Kläger „aufgrund seiner persönlichen Umstände erheb-liche nachteilige Auswirkungen auf seine Interessen hat oder wahrscheinlich haben wird“96. Der EuGH ist diesem Vorschlag nicht gefolgt, sondern hält an seiner bis-herigen Rechtsprechung fest97.Unter den bislang in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs anerkann-ten Fallgruppen für eine „individuelle“ Betroffenheit des Klägers wird allgemein als die wichtigste die der Einräumung von Beteiligungsrechten im Verwaltungsver-fahren angesehen98. Hintergrund dieser Rechtsprechung, die vor allem im Bereich des Beihilfe-, Anti-Dumping-, Kartell- und Fusionskontrollrechts entwickelt wur-de, ist die Notwendigkeit des Schutzes von Drittbetroffenen. Deshalb räumt der EuGH ihnen grundsätzlich ein Klagerecht nach Art. 230 Abs. 4 EGV ein, wenn sie mit eigenen Verfahrensrechten ausgestattet sind, die sie auch tatsächlich wahrge-nommen haben99.Diese Rechtsprechung möchte sich der Kommissionsentwurf zunutze machen. Er sieht zunächst ein verwaltungsinternes Widerspruchsverfahren vor (Art. 9 Abs. 1) und schließt daran die Konsequenz an, dass ein Verein, der mit dem Ergebnis die-ses Widerspruchsverfahrens unzufrieden ist, nach 230 Abs. 4 EGV eine Nichtig-keitsklage (und im Falle der Untätigkeit eine Untätigkeitsklage) vor dem Gerichts-hof erheben könne100. Indem dieser Ansatz den Individualrechtsschutz an Beteili-gungsrechte im Verwaltungsverfahren knüpft, fügt er sich auf den ersten Blick in die beschriebene Rechtsprechung des Gerichtshofs ein.Gleichwohl bleiben Zweifel. Der Wichtigste ergibt sich aus dem Wortlaut der ge-wählten Konstruktion. Ihrem Wortlaut nach räumt die Regelung nämlich nicht pri-mär das Widerspruchsrecht ein, sondern ist vielmehr umgekehrt das Widerspruchs-recht akzessorisch zur Klagebefugnis101. Diese Umkehrung ist sicherlich nicht im

95 EuGH, Slg. 2002, I-6677 – Unión de Pequeños Agricultores.96 EuGH, Slg. 2002, I-6677 – Unión de Pequeños Agricultores, Rn. 59 f. der Schlussanträge des Generalanwalts.97 EuGH, Slg. 2002, I-6677, Rn. 44 f. – Unión de Pequeños Agricultores; zu dieser Entscheidung die Analyse bei

J.-D. Braun/M. Kettner, Die Absage des EuGH an eine richterliche Reform des EG-Rechtsschutzsystems – „Plaumann“ auf immer und ewig?, DÖV 2003, S. 58 ff.

98 Siehe statt anderer C. Gaitanides, Art. 230, Rn. 75, in: von der Groeben/Schwarze (Fn. 55); W. Cremer, Art. 230, Rn. 51, in: Calliess/Ruffert (Fn. 32).

99 Zu dieser Notwendigkeit EuGH, Slg. 1998, I-7183, Rn. 39 und 46 – Kruidvat.100 Art. 11 Abs. 1 des Entwurfs, a.a.O. (Fn. 14) lautet: „Betrachtet die qualifizierte Einrichtung, die einen Antrag

auf interne Überprüfung gemäß Artikel 9 gestellt hat, eine über den Antrag ergangene Entscheidung von Orga-nen oder Einrichtungen der Gemeinschaft als unzulänglich, um die Einhaltung des Umweltrechts zu gewähr-leisten, so kann die qualifizierte Einrichtung gemäß Artikel 230 Absatz 4 EG-Vertrag ein gesetzliches Verfahren vor dem Gerichtshof anstrengen, um die materiell-rechtliche und verfahrensrechtliche Rechtmäßigkeit der Ent-scheidung überprüfen zu lassen. „

101 Art. 9 Abs. 1 des Entwurfs lautet: „Jede qualifizierte Einrichtung mit Klagebefugnis gemäß Art. 10, die der An-sicht ist, dass ein Verwaltungsakt oder eine Unterlassung im Widerspruch zum gemeinschaftsrechtlichen Um-weltrecht steht, kann bei dem Organ bzw. der Einrichtung der Gemeinschaft, das/die gehandelt hat oder – im Falle einer behaupteten Unterlassung – hätte handeln sollen, eine interne Überprüfung beantragen.“ (Hervorhe-bung vom Verfasser).

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Sinne der bisherigen Rechtsprechung zu Art. 230 Abs. 4 EGV. Besonders eindrück-lich hat dies Generalanwalt Cosmas im Verfahren Greenpeace Council formuliert:„Aus diesen Gründen und trotz der jüngsten Entwicklungen im nationalen und in-ternationalen Recht habe ich weiterhin Vorbehalte gegenüber einer Abkehr von der bisherigen Rechtsprechung, wie sie die Umweltschutzvereinigungen wünschen. Darüber hinaus würde man – und das ist meines Erachtens entscheidend –, gäbe man den Umweltschutzvereinigungen die Möglichkeit, umweltbezogene Maßnah-men der Gemeinschaft mit einer Klage anzugreifen, trotz der durchaus möglichen positiven Folgen gegen den Buchstaben des Gesetzes, d.h. im vorliegenden Fall gegen Artikel 173 Absatz 4, verstoßen. Der Vertrag hat die Kläger in zwei Gruppen aufgeteilt, nämlich in die in Absatz 2 und die in Absatz 4 des Artikels 173 genann-ten. Folgte man dem Auslegungsvorschlag der Vereinigungen, würde dies auf die Schaffung einer dritten Kategorie extra legem hinauslaufen“.102

Der Generalanwalt argumentiert hier eindeutig mit den Vorgaben des Primärrechts. Legt man diese Überlegungen zugrunde, dann kann die von ihm abgelehnte dritte Klägergruppe auch nicht mit Mitteln des Sekundärrechts begründet werden.Hinzu kommt, dass die erwähnte Rechtsprechung zu Verfahrensrechten nicht un-mittelbar Betroffener schon bisher dann nicht zur Anwendung kam, wenn der Klä-ger auf eigene Initiative ohne ein entsprechendes eigenes Verfahrensrecht aktiv ge-worden ist103. Außerdem wurde sie in den letzten Jahren im Beihilferecht dann eingeschränkt, wenn der Kläger als unbeteiligter („echter“) Dritter nur über ein Be-teiligungsrecht verfügte. Hier entschied das Gericht erster Instanz, dass dem Drit-ten nur ein Rechtsschutz mit Blick auf das Beteiligungsrecht zustehe. Habe das entsprechende Verwaltungsverfahren (im konkreten Fall das Hauptprüfverfahren im Beihilferecht) tatsächlich stattgefunden, der Kläger also sein Interesse in das Verwaltungsverfahren einspeisen können, so gebe es keinen Grund, die individuel-le Betroffenheit zu bejahen104. Ob es angesichts dieser allgemein restriktiven Ten-denz der Rechtsprechung zur Zuerkennung von gerichtlich über Art. 230 Abs. 4 EGV durchsetzbaren Beteiligungsrechten möglich ist, über die Zuerkennung eines Rechts auf interne Überprüfung die Verbandsklage im Gemeinschaftsrecht einzu-führen, erscheint zumindest fraglich. Jedenfalls entsteht ein Wertungswiderspruch zur Auslegung der Vorschrift in den genannten Konstellationen der Drittbetroffen-heit105.Damit stellt sich die Frage nach alternativen Argumentationsmöglichkeiten. Eine allgemeine Kompetenz der Gemeinschaft zur Ausgestaltung des Rechtsschutzver-fahrens vor dem EuGH besteht unzweifelhaft nicht. Vielmehr ist sogar die Satzung

102 EuGH, Slg. 1998, I-1651 – Greenpeace Council; Rn. 118 der Schlussanträge des Generalanwalts.103 EuG, Slg. 1995, II-2205, Rn. 56 – Greenpeace u.a.; Slg. 1995, II-2941, Rn. 59 – Exporteurs in Levende Varkens

u.a.; 1996, II-477, Rn. 42 – Kahn Scheepvart.104 EuG, EuZW 1999, 346, Rn. 47 ff. – Arbeitsgemeinschaft Deutscher Luftfahrtunternehmen u.a.; mit kritischer

Anmerkung C. Nowak/H.P. Nehl, S. 350 ff.105 Vgl. dazu bereits die Argumente bei B.W. Wegener, Gemeinwohl und Gemeinschaftsgerichtsbarkeit – Überle-

gungen zur gerichtlichen Verteidigung von Gemeininteressen im ius commune, ZeuS 1998, S. 183 ff. (194 ff.).

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des Gerichtshofs nach Art. 245 Abs. 1 EGV Gegenstand eines Protokolls der Mit-gliedstaaten, das der Rat nur begrenzt ändern darf106. Der Gerichtshof hat vor die-sem Hintergrund unmissverständlich festgehalten: „Auch wenn ein anderes System der Rechtmäßigkeitskontrolle der Gemeinschaftshandlungen allgemeiner Geltung als das durch den ursprünglichen Vertrag geschaffene, das in seinen Grundzügen nie geändert wurde, sicherlich vorstellbar ist, so wäre es doch Sache der Mitglied-staaten, das derzeit geltende System gemäß Artikel 48 EU zu reformieren.“107

Kann man unter diesen Prämissen gestützt auf die Umweltkompetenz eine Verän-derung der Anforderungen an die Klagebefugnis – denn das ist materiell gesehen das Ziel der Århus-Konvention – bewirken? Die gerade zitierte Rechtsprechung des EuGH stimmt eher skeptisch. Für eine solche Lösung könnte immerhin folgen-de Überlegung sprechen: Das Primärrecht macht keine Aussage dazu, wodurch sich die Betroffenheit des Klägers „wie ein Adressat“ ergibt. Normalerweise sind dafür die im konkreten Fall erheblichen Tatsachen und die anwendbaren Normen maß-geblich. Warum aber sollte es ausgeschlossen sein, hier mit genau der gleichen Fiktion zu arbeiten, welche die Århus-Konvention vorsieht? Die Århus-Konvention fingiert eine entsprechende Betroffenheit von anerkannten Umweltverbänden108. Mit einer entsprechenden Fiktion im Gemeinschaftsrecht ließe sich wohl beides erreichen: man kann an den Vorgaben des Primärrechts wie der EuGH sie interpre-tiert festhalten, gleichzeitig aber die Verbandsklage von Umweltverbänden zulas-sen, weil für sie eine entsprechende Betroffenheit vermutet wird.Selbst wenn man dieser Argumentation folgen will, wird man freilich zugeben müssen, dass die darin liegende indirekte Erstreckung der Umweltkompetenz auf das gerichtliche Verfahren vor dem EuGH mit Blick auf die Systematik der Zustän-digkeiten nicht unproblematisch ist. Sie lässt sich nur mit den gleichen finalen Ar-gumenten aus dem Zweck des Umweltschutzes halten, die auch schon die Gemein-schaftskompetenz zum Erlass von Vorgaben für die Einführung von Verbandskla-gen im Recht der Mitgliedstaaten tragen109. Das Konzept eines „prozeduralen Um-weltrechts“ macht es schwer, eine strikte Unterscheidung zwischen materiellem und formellem Umweltrecht zu treffen, und an diese die Zuständigkeitsverteilung zwischen der Gemeinschaft und den Mitgliedstaaten zu knüpfen. Man würde die mit dem „prozeduralen Umweltrecht“ verfolgte Gesamtkonzeption zerschlagen, wollte man streng zwischen materiellem und Verfahrensrecht unterscheiden. Damit steht und fällt die Reichweite der gemeinschaftlichen Umweltkompetenz mit dem finalen Gedanken und der Verbindung zur Gesamtkonzeption des prozeduralen Umweltrechts. Diese Überlegung gilt gleichermaßen für die Kompetenzabgren-zung zwischen der Gemeinschaft und dem einzelnen Mitgliedstaat wie für die Zu-ständigkeit der Gemeinschaft zur Regelung des Verfahrensrechts vor dem EuGH.

106 Näher S. Hackspiel, Art. 245, Rn. 11 ff., in: von der Groeben/Schwarze (Fn. 55).107 EuGH, Slg. 2002, I-6677, Rn. 45. – Unión de Pequeños Agricultores.108 Art. 2 Nr. 5 und Art. 9 Abs. 2 UAbs. 3 Århus-Konvention.109 Oben III. 2 b) und c).

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Die Sache ist nicht ganz ohne Ironie: Es scheint, als werde ausgerechnet das Pro-zessrecht des EuGH nun von der finalen Methode des Gemeinschaftsrechts einge-holt, die man dem Gerichtshof seitens der Mitgliedstaaten immer wieder vorgewor-fen hat. Man wird sehen, ob der EuGH diese Windung des Gemeinschaftsrechts mitmacht. Sollte die Verordnung so erlassen werden wie sie nun vorgeschlagen ist, dann wird eine Entscheidung über diese Frage früher oder später unvermeidlich werden, denn sie bildet in Zukunft die Grundlage für die Zulässigkeit der Klagen.Sollte der EuGH dem nicht folgen, so würde es nicht nur an der praktischen Um-setzung der Århus-Konvention fehlen. Vielmehr fiele der Abschluss der Århus-Konvention in die einzige Lücke in der Verteilung der Außenkompetenzen zwi-schen Gemeinschaft und Mitgliedstaaten, die sich auch durch die bislang gerade in Umweltfragen gerne praktizierte Form des Abschlusses eines gemischten Abkom-mens nicht beheben lässt. Das Problem besteht darin, dass gemischte Abkommen nur dort Zuständigkeitsprobleme überdecken können, wo entweder die Gemein-schaft oder ein einzelner Mitgliedstaat zuständig ist. Betrifft ein Abkommen dage-gen einen Bereich, der notwendig auf der Ebene des Gemeinschaftsrechts angesie-delt ist (wie eben das Prozessrechts des Gerichtshofs), für den der Gemeinschaft aber die Regelungszuständigkeit fehlt, so können nur alle Mitgliedstaaten gemein-sam für eine Änderung des Primärrechts sorgen. Die dort bestehende Lücke in den Außenkompetenzen lässt sich auch durch den Abschluss eines „gemischten Ab-kommens“ nicht schließen. Auf den Punkt gebracht bedeutet dies, dass die Ge-meinschaft, wenn man die hier angedachten Wege für eine Modifikation des Pro-zessrechts für definitiv versperrt hält, im Moment gar keine Zuständigkeit für den Abschluss der Århus-Konvention besitzt.

V. Auswirkungen auf das nationale Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrecht – praktische Probleme bei der Umsetzung der Vorgaben der Århus-Konvention

Der folgende Abschnitt greift aus dem Bereich jeder der drei Säulen der Århus-Konvention ein Umsetzungsproblem heraus, welches Schwierigkeiten beim Zu-sammenwirken der verschiedenen Ebenen illustriert. Da zumindest für den Bereich der ersten und zweiten Säule der Århus-Konvention (Informationspflicht und Be-teiligungsrechte) bereits neues, an den Erfordernissen der Konvention orientiertes Richtlinienrecht vorhanden ist110, sind bei der nationalen Umsetzung neben der Konvention immer auch die in diesen Richtlinien enthaltenen Vorgaben zu beach-ten111.

110 Vgl. die Nachweise oben Fn. 3 und 5.111 Siehe im Übrigen allgemein zu prozessualen Auswirkungen des Gemeinschaftsrechts zuletzt D. Ehlers, Die

Europäisierung des Verwaltungsprozessrechts, DVBl. 2004, S. 1441 ff. (1443 ff.).

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Im Bereich der 1. Säule (Umweltinformation) gibt es Schwierigkeiten beim Rechts-schutz gegen die Informationsverweigerung privater Einrichtungen (1.), aus dem Bereich der zweiten Säule (Beteiligungsrechte) muss der Umfang der von der Kon-vention gewährleisteten Beteiligungsrechte geklärt werden (2.), und in der dritten Säule (Rechtsschutz) bedarf erneut die Verbandsklage, nun in ihren Wirkungen auf das deutsche Verwaltungsprozessrecht, näherer Analyse (3.).

1. Rechtsschutz gegen die Auskunftsverweigerung durch Private

a) Die Auskunftspflicht Privater

Schon nach bisherigem Recht waren neben Behörden im herkömmlichen Sinne des § 1 Abs. 4 VwVfG auch private Personen informationspflichtig, wenn sie „öffent-lich-rechtliche Aufgaben des Umweltschutzes wahrnehmen und dafür der Aufsicht einer Behörde unterstehen“ (§ 2 Nr. 2 UIG a.F.). Unter dieser Formulierung war in der deutschen Kommentarliteratur umstritten, ob die bloß gesellschaftsrechtliche Kontrolle mittels einer Anteilsmehrheit eine „Aufsicht“ im Sinne dieser Regelung begründete. Während teilweise dieser Wortlaut dahin verstanden wurde, es müsse ein Über-/Unterordnungsverhältnis bestehen, bei dem eine „Aufsicht“ im öffent-lich-rechtlichen Sinne ausgeübt werde112, wurde von anderen (zutreffend) unter Auslegung anhand der Umweltinformationsrichtlinie ein weiter Aufsichtsbegriff zugrunde gelegt113. Der Aufsichtsbegriff hat insbesondere Folgewirkungen hin-sichtlich der Informationspflicht von juristischen Personen des Privatrechts, mit denen Aufgaben der Daseinsvorsorge wahrgenommen werden. Ein zweites Ausle-gungsproblem betraf den Umfang der Befassung mit dem Vollzug von Umwelt-recht. Der Wortlaut von § 2 Nr. 2 UIG a.F. verlangte, dass „öffentlich-rechtliche Aufgaben im Bereich des Umweltschutzes“ wahrgenommen werden. Auch hierü-ber bestand Streit. Teilweise wurde darunter der „Vollzug“ umweltrechtlicher Be-stimmungen verstanden, mit der Konsequenz, dass bestimmte Unternehmen der Daseinsvorsorge mit deutlichem Umweltbezug (etwa Abfallentsorgungsbetriebe) nicht unter die Auskunftspflicht fallen sollten, weil ihre Aufgabe nicht der Vollzug des Umweltrechts sei114. Andere hingegen vertraten eine weite Auslegung, nach der es unerheblich sei, ob es sich um Haupt- oder Nebenaufgaben des Umwelt-schutzes handelte. Diese Autoren gelangten entsprechend zur Auskunftspflicht von Unternehmen der Daseinsvorsorge, soweit sie einen, wenn auch nur losen, Bezug zur Umwelt aufwiesen115.

112 So namentlich Fluck/Theuer (Fn. 3), § 2 Rn. 72 ff.113 Th. Schomerus, § 2 Rn. 20 und 22, in: Th. Schomerus/C. Schrader/B.W. Wegener, Umweltinformationsgesetz,

2. Aufl. Baden-Baden 2002; A. Turiaux, Umweltinformationsgesetz – Kommentar, München 1995, § 2 Rn. 104.

114 Fluck/Theuer (Fn. 3), § 2 Rn. 25 ff. und 41.115 Schomerus (Fn. 113), Rn. 18 und 29; Turiaux (Fn. 113), Rn. 103 und 109.

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Der Wortlaut der Konvention schafft hier teilweise Klärung. Nach Art. 2 Nr. 2 lit. c) Århus-Konvention sind natürliche und juristische Personen informationspflichtig, die unter der „Kontrolle“ einer Behörde stehen und „im Zusammenhang mit der Umwelt öffentliche Zuständigkeiten haben, öffentliche Aufgaben wahrnehmen oder öffentliche Dienstleistungen erbringen“. Diese Formulierung reicht weiter, als die bislang vom UIG erfassten Fälle der Auskunftspflicht von Privatpersonen116. Aus dem Zusammenhang der Regelungsabsicht wird klar, dass mit diesem Wort-laut der Versuch verbunden ist, negative Wirkungen von Privatisierungsvorgängen auf Umweltinformationsrechte zu reduzieren.Dies betrifft zunächst den Begriff der „Kontrolle“. Er wird zwar im UIG ebenso verwendet wie in der Århus-Konvention. Aus der Systematik der Århus-Konventi-on ergibt sich aber ein wichtiges zusätzliches Argument gegen eine Orientierung an einer öffentlich-rechtlichen Weisungsbefugnis. Art. 2 Nr. 2 lit. b) Århus-Konventi-on führt gesondert natürliche und juristische Personen auf, „die aufgrund inner-staatlichen Rechts Aufgaben der öffentlichen Verwaltung, einschließlich bestimm-ter Pflichten, Tätigkeiten oder Dienstleistungen im Zusammenhang mit der Um-welt, wahrnehmen“. Dieser Personenkreis kann nur dann sinnvoll als eine eigene, von den übrigen informationsverpflichteten juristischen und natürlichen Privatper-sonen abgrenzbare Gruppe verstanden werden, wenn man ihm die bislang von der engen Auslegung des § 2 Nr. 2 UIG a.F. erfassten Personen, also insbesondere die Beliehenen und Verwaltungshelfer zuordnet117. Im Ergebnis werden von der Infor-mationspflicht nach der Århus-Konvention also auch rein wirtschaftliche Kontroll-verhältnisse im Bereich des Verwaltungsprivatrechts erfasst. Diese Auslegung liegt nun dem geänderten Umweltinformationsgesetz zugrunde, das in § 2 Abs. 2 n.F. eine Definition von Kontrolle enthält, die es u.a. genügen lässt, wenn die staatliche Stelle des Mehrheit des gezeichneten Kapitals oder die Mehrheit der Stimmrechte hält, oder wenn sie die Mehrheit der Mitglieder des Verwaltungs-, Leitungs- oder Aufsichtsorgans bestellen kann.Die zweite Klarstellung ergibt sich aus der weiten Formulierung in Art. 2 Nr. 2 lit. c) Århus-Konvention: „im Zusammenhang mit der Umwelt öffentliche Zuständig-keiten haben, öffentliche Aufgaben wahrnehmen oder öffentliche Dienstleistungen erbringen.“ Bei dieser Formulierung kann kein Zweifel mehr bestehen, dass der Vollzug des Umweltrechts weder Haupt- noch Nebenaufgabe der betreffenden Per-sonen sein muss, sondern dass es ausreicht, wenn sie im Bereich der Daseinsvor-sorge tätig sind und eine Aufgabe im Zusammenhang mit der Umwelt erfüllen118. Darunter wird man sicherlich die nach bisherigem Recht umstrittenen Abfallent-sorgungs- und Energieversorgungsunternehmen verstehen müssen119.

116 M.E. Butt, Die Ausweitung des Rechts auf Umweltinformation durch die Århus-Konvention, Stuttgart 2001, S. 143 f.

117 Siehe nochmals Fluck/Theuer (Fn. 3), § 2 Rn. 29 ff.118 Vgl. zu dieser erweiternden Auslegung den entsprechenden Kommentar der Bundesregierung in ihrem Entwurf

eines Gesetzes zur Neugestaltung des UIG, a.a.O. (Fn. 3), Rn. 12.119 Zu letzteren Fluck/Theuer (Fn. 3), § 2 Rn. 53 f.; Schomerus (Fn. 113), Rn. 32; Turiaux (Fn. 113), Rn. 112.

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b) Konsequenzen für den Rechtsschutz

Geht man davon aus, dass eine entsprechende Erweiterung des Kreises der Infor-mationspflichtigen auf in privater Rechtsform organisierte, aber nicht hoheitlich tätige Stellen die richtige Auslegung der Konvention ist, dann hat dies Folgen im deutschen Recht, die sich beim Rechtsschutz zeigen. Das Problem besteht darin, dass Konvention und Richtlinie einen zweistufigen Rechtsschutz verlangen. Nach den Vorgaben soll es zunächst ein dem deutschen Widerspruchsverfahren entspre-chendes kostengünstiges nicht-gerichtliches Verfahren und im Anschluss eine ge-richtliche oder gerichtsähnliche Kontrolle geben120. Dies umzusetzen ist nicht ganz einfach, denn wenn der Informationspflichtige eine Privatperson ist, dann haben wir es – der Antragsteller ist ja auch eine Privatperson – mit einem Rechtsstreit zwischen zwei Privatpersonen zu tun, der auf irgendeine Weise in ein verwaltungs-rechtliches Schema überführt werden muss121. Die in der Literatur dafür angedach-te Lösung, den privaten Informationspflichtigen im Wege der Beleihung zum Er-lass eines Verwaltungsakts zu ermächtigen122, dürfte angesichts des unklaren Um-fangs der Informationspflichtigen ausscheiden. Es geht nicht an, hoheitliches Tä-tigwerden – und darum ginge es ja bei der Ermächtigung zur Entscheidung mit Verwaltungsakt – einem unklaren Personenkreis für eine nicht genau bestimmte Zahl von Fällen zu erlauben123.Will man den öffentlich-rechtlichen Rechtsweg eröffnen124, dann muss man in eine andere Richtung denken: Besser wäre es, die Zuständigkeit einer Behörde für den Vollzug des Umweltinformationsgesetzes zu begründen125. Streitigkeiten über Aus-kunftsansprüche gegen informationspflichtige Privatpersonen könnten dann durch eine (hier untechnisch so genannte) „Beschwerde“ gegen die ablehnende oder als unzureichend empfundene Entscheidung der Privatperson vor die Behörde gebracht werden. Diese würde zunächst dem Informationspflichtigen Gelegenheit zur Stel-lungnahme und gegebenenfalls zur Abhilfe geben. Hilft der private Informations-

120 Art. 9 Abs. 1 Århus-Konvention und Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 der Richtlinie 2003/4/EG, a.a.O. (Fn. 3).121 Dieses Problem wird übersehen bei H.W. Louis, Die Übergangsregelungen für das Verbandsklagerecht nach den

§§ 61, 69 Abs. 7 BNatSchG vor dem Hintergrund der europarechtlichen Klagerechte für Umweltverbände auf Grund der Änderungen der IVU- und der UVP-Richtlinie zur Umsetzung des Århus-Übereinkommens, NuR 2004, S. 287 ff. (289).

122 M. Butt, Erweiterter Zugang zu Umweltinformationen – Die neue EG-Umweltinformationsrichtlinie, NVwZ 2003, S. 1071 ff. (1073).

123 Außerdem würde es nur schwer mit der gängigen Konzeption der Beleihung zusammenpassen (zu dieser statt anderer H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 14. Aufl. 2002, § 56, Rn. 22 ff.), denn die hoheitliche Auf-gabe würde sich in der Entscheidung über den Auskunftsanspruch erschöpfen.

124 Das ist nicht zwingend. In der Tat gibt es zahlreiche Auskunftsansprüche, über die auf dem Privatrechtsweg entschieden wird. Allerdings betreffen diese dann in der Regel Auskünfte im Vorfeld eines zivilrechtlichen Haf-tungs- oder Herausgabeanspruchs. Geht es – wie hier – dagegen um einen Auskunftsanspruch im öffentlichen Interesse, dann spricht dies für den Verwaltungsrechtsweg. Hinzu kommt, dass Rechtsstreitigkeiten über Aus-kunftsansprüche gegen Behörden in jedem Fall auf dem Verwaltungsrechtsweg entschieden werden. Will man diese Ansprüche nicht je nach entscheidender Stelle vor den Gerichten verschiedener Gerichtszweige verhan-deln, sollten sie vor den Verwaltungsgerichten konzentriert werden.

125 In Frage käme die nach allgemeinen Regeln zuständige untere Verwaltungsbehörde (vgl. etwa § 3 LVG Baden-Württemberg).

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pflichtige nicht ab, so könnte ihn die Behörde durch Verwaltungsakt zur Auskunft verpflichten, wenn sie das Auskunftsbegehren für berechtigt hält. Anderenfalls würde sie die „Beschwerde“ per Verwaltungsakt zurückweisen. In beiden Varianten wäre danach der Verwaltungsrechtsweg eröffnet. Idealerweise müsste man dann noch für den einen Informationsanspruch verneinenden Bescheid das Wider-spruchsverfahren ausschließen, denn ansonsten wäre der Informationssuchende auf einen dreistufigen Rechtsweg verwiesen (zunächst die „Beschwerde“ zur Behörde, danach das „echte“ Widerspruchsverfahren und schließlich die verwaltungsgericht-liche Klage). Diese Dreistufigkeit würde nicht nur die Vorgaben der Konvention und der Richtlinie übererfüllen, sondern sie geriete mit dem gleichfalls verfolgten Ziel eines einfachen, kostengünstigen und schnellen Verfahrens (Art. 9 Abs. 1 UAbs. 2 Århus-Konvention) in Konflikt. Insgesamt könnte man aber mit dem hier vorgeschlagenen Weg sicherstellen, dass Rechtsstreitigkeiten über den Umfang der Informationspflicht von Privatpersonen auf jeden Fall im Verwaltungsrechtsweg entschieden werden. Zugleich würde das von der Konvention verlangte zweistufige Verfahren stattfinden.Allerdings stellt sich die Frage nach der bundesstaatlichen Kompetenz für eine ent-sprechende Regelung. Es gehört zu den großen Hürden des deutschen Rechts bei der Umsetzung europäischer umweltrechtlicher Vorgaben, dass die Umweltkompe-tenzen zwischen Bund und Ländern nur wenig durchsichtig verteilt sind126. Die Aufteilung in konkurrierende und Rahmenzuständigkeiten nach Umweltmedien bereitet gerade bei der Umsetzung europarechtlicher Vorgaben, die nicht selten der Idee eines integrierten Umweltschutzes verpflichtet sind, Schwierigkeiten127. Nach der bisherigen Auffassung der Bundesregierung ergab sich die Zuständigkeit des Bundes zur bundeseinheitlichen Regelung eines Umweltinformationsanspruchs für informationspflichtige Stellen in Bund, Ländern und Gemeinden aus einer Zusam-menschau verschiedener umweltrechtlicher Bundeskompetenzen (sog. „Mosaik-theorie“)128. Entsprechend weit gefasst ist in der gegenwärtigen Fassung der Kreis der Informationspflichtigen129.In einer auf den ersten Blick erstaunlichen Kehrtwende nimmt der Bund mit der Neugestaltung des UIG Abstand von seiner bisherigen Position und beschränkt sich nun auf die Regelung des Anspruchs gegen Dienststellen des Bundes130. Hinter-grund der geänderten Position des Bundes dürfte die neue Rechtsprechung des

126 Allgemein zur Verteilung der Gesetzgebungszuständigkeit im Bereich des Umweltrechts, M. Kloepfer, Umwelt-recht, 3. Aufl., München 2004, S. 152 ff.

127 Dazu statt anderer allgemein H.W. Rengeling, Gesetzgebungskompetenzen für den integrierten Umweltschutz, 1999, 43 ff. und 76 ff.; E. Rehbinder/R. Wahl, Kompetenzprobleme bei der Umsetzung von europäischen Richt-linien, NVwZ 2002, S. 21 ff.

128 Siehe dazu die Ausführungen im Entwurf der Bundesregierung BT-Drs. 12/7138, 9 f.; aus der Literatur Renge-ling (Fn. 126), 46 f. und 76 ff. (78); B. Burkholz, Zur Gesetzgebungskompetenz für ein Umweltinformationsge-setz, NVwZ 1994, 124 ff.; H.-U. Erichsen/A. Scherzberg, Zur Umsetzung der Richtlinie des Rates über den freien Zugang zu Informationen über die Umwelt, Berlin 1992, S. 38 ff. (43).

129 Vgl. § 2 Nr. 1 UIG bisherige Fassung.130 § 1 Abs. 2 UIG n.F. (BGBl. 2004 I S. 3704).

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Bundesverfassungsgerichts zu Art. 72 Abs. 2 GG sein131, die sich kürzlich auch in der Rechtsprechung zur Rahmenkompetenz des Bundes fortgesetzt hat132. Die frü-her vertretene Auffassung, das Kriterium der „Erforderlichkeit einer bundesgesetz-lichen Regelung“ in Art. 72 Abs. 2 GG habe kaum praktische Bedeutung133, ist durch diese neue Rechtsprechung überholt.Da im Umweltrecht im Kern konkurrierende und Rahmenkompetenzen betroffen sind134, musste sich diese restriktive Tendenz auch bei den Bundeskompetenzen im Bereich des Umweltrechts auswirken135. Maßgeblich sind nach der neuen Position des Bundes nicht mehr die bisher herangezogenen umweltrechtlichen Kompetenz-regeln, sondern die Zuständigkeit des Bundes zur Regelung des Verwaltungsver-fahrens für Behörden des Bundes (Art. 86 GG). Entsprechend beschränken sich nun die bundesrechtlichen Möglichkeiten für die Umsetzung der Richtlinie 2003/4/EG.Das automatische Außerkrafttreten des bisherigen UIG mit dem Inkrafttreten der Neuregelung am 14. Februar 2005136 hat notwendig zur Folge, dass es gesonderter landesrechtlicher Grundlagen für die bisher vom UIG geregelten Fälle von Aus-kunftsansprüchen gegen kommunale Dienststellen und Landesbehörden bedarf. Teilweise sind in den Landesverfassungen unmittelbar Umweltinformationsansprü-che garantiert137. Wo das nicht der Fall ist (etwa weil die vorhandenen Regeln iso-liert auf einzelne Bereiche des Umweltrechts bezogen sind138), bleibt der Rege-lungsumfang hinter dem von der Richtlinie 2003/4/EG und von der Århus-Konven-tion geforderten Anspruch zurück. Für die Bundesländer besteht demnach ein er-heblicher Handlungsbedarf, will die Bundesrepublik Deutschland sich nicht erneut wegen Nichtumsetzung umweltrechtlicher Vorschriften des Gemeinschaftsrechts gemeinschaftsrechtlichen Vertragsverletzungsverfahren aussetzen139.Eine zweite wichtige Konsequenz der neuen Zurückhaltung des Bundes betrifft die Auskunftsansprüche gegen auskunftspflichtige Private. Die neue Position des Bun-des hat zur Folge, dass die Regelung dieses gesamten Komplexes Aufgabe der Län-der wird, denn der Bund kann nach der neuen Argumentation im Bereich der Kom-

131 BVerfGE 106, 42 (145 f.).132 BVerfG, 2 BvF 2/02, Entscheidung vom 27. Juli 2004 (im Internet verfügbar unter www.bverfg.de); Rn. 87 ff.

der im Internet zur Verfügung stehenden Fassung.133 So namentlich Schomerus (Fn. 113), § 2 Rn. 55.134 Dazu nochmals Kloepfer (Fn. 126), S. 148.135 V. Danwitz (Fn. 29), S. 278.136 Art. 9 Gesetz zur Neugestaltung des UIG und zur Änderung der Rechtsgrundlagen zum Emissionshandel

(Fn. 130).137 Nachweise bei Butt (Fn. 116), S. 22138 Das gilt namentlich im Wasserrecht, siehe etwa das Einsichtsrecht in das Wasserbuch nach § 117 des Wasserge-

setzes Baden-Württemberg.139 Die Schwierigkeiten bei früheren Umsetzungsverpflichtungen im Bereich des Umweltrechts sind allgemein

dargestellt bei Rehbinder/Schoch (Fn. 127); speziell zu Verstößen im Bereich der Umweltinformation EuGH, Slg. 1998, I-3809 – Mecklenburg und EuGH, Slg. 1999, I-5087 – Kommission gegen Deutschland; dazu S. He-selhaus, Wie durchsichtig muss die „gläserne Umweltverwaltung“ sein? Mängel bei der Umsetzung der EG-Richtlinie über den freien Zugang zu Umweltinformationen in Deutschland, EuZW 2000, S. 298 ff.; B.W. Wege-ner, Umweltinformationsgesetz – Deutsche Geheimniskrämerei in europäischer Perspektive – Anmerkung zum Urteil des EuGH vom 9.9.1999, Kommission /Deutschland, Rs. C-217/97, EuR 35 (2000), S. 227 ff.

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petenzverteilung nur noch Ansprüche gegen seine Behörden regeln. Folgerichtig verweist der Entwurf sowohl die Begründung des Auskunftsanspruchs140 als auch die Regelung des Rechtsschutzverfahrens141 an die Länder. Der oben unterbreitete Vorschlag für ein verwaltungsrechtliches Verfahren zur Überprüfung von Aus-kunftsentscheidungen privater Informationspflichtiger müsste also von den Län-dern aufgenommen werden142.

2. Partizipationsrechte (Vorgaben aus dem Bereich der zweiten Säule)

Im Bereich der zweiten Säule stellt sich die Frage nach dem Umfang der Beteili-gungsrechte. Für die gesamte Århus-Konvention gilt eine Unterscheidung zwischen der Öffentlichkeit im Allgemeinen und der sog. betroffenen Öffentlichkeit, die de-finiert wird als „die von umweltbezogenen Entscheidungsverfahren betroffene oder wahrscheinlich betroffene Öffentlichkeit oder die Öffentlichkeit mit einem Interes-se daran.“ (Art. 2 Nr. 5 Århus-Konvention). Wichtig für das Konzept der Århus-Konvention ist, dass sie ausdrücklich für alle „nichtstaatlichen Organisationen, die sich für den Umweltschutz einsetzen und alle nach innerstaatlichem Recht gelten-den Voraussetzungen erfüllen“ ein entsprechendes Interesse unterstellt, im Ergeb-nis also den Mitgliedstaaten zwar die Möglichkeit eines Anerkennungsverfahrens überlässt, im Übrigen aber ausdrücklich besondere Beteiligungsrechte für aner-kannte Umweltverbände schafft.Da Umweltverbände also, soweit sie die betreffenden innerstaatlichen Vorausset-zungen erfüllen, der „betroffenen Öffentlichkeit“ zuzurechnen sind, gelten für sie die besonderen Beteiligungsregeln des Art. 6 Århus-Konvention. Dieser wählt im Vergleich mit dem deutschen Planfeststellungsverfahren einen etwas ungewöhnli-chen, im Ergebnis vielleicht nicht stärkeren, sondern eher andere Beteiligungsrech-te schaffenden Weg. Nach Art. 6 Abs. 2 Århus-Konvention ist die „betroffene Öf-fentlichkeit“ frühzeitig über Einzelheiten des Vorhabens zu informieren. Zu den bekanntzumachenden Informationen gehören u.a. Einzelheiten des Verfahrensab-laufs einschließlich der Zeit und des Orts öffentlicher Anhörungen, sowie eine Aus-kunft darüber, ob eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist (Art. 6 Abs. 2 lit. e) Århus-Konvention). Diese Informationspflichten sind detaillierter als diejenigen im deutschen Recht143. So findet nach § 3a UVPG nur in manchen Fäl-len – nämlich bei Durchführung einer Vorprüfung im Einzelfall – eine Information der Öffentlichkeit statt, und auch dies geschieht nur nach den Vorschriften des UIG, also auf Antrag und nicht von Amts wegen144. Andererseits bleibt die Århus-Kon-

140 So in der Tat die Bundesregierung in BT-Drs. 15/3406, 14: „Nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes obliegt es den Ländern, den Informationszugang gegenüber den privaten Stellen nach Art. 2 Abs. 2 Buchstabe c der Richtlinie 2003/4/EG zu eröffnen.“

141 Siehe noch einmal § 13 des neuen UIG-Entwurfs, a.a.O. (Fn. 3).142 Siehe oben den Text bei Fn. 125.143 Schink (Fn. 24), S. 32.144 Die Bundesregierung hielt diese Form der Information für ausreichend, vgl. BT-Drs. 14/4599, S. 94.

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vention insofern hinter dem deutschen Recht zurück, als die Informationspflicht nur hinsichtlich der „betroffenen Öffentlichkeit“ gilt, während das deutsche Plan-feststellungsrecht eine allgemeine Information vorsieht, die allen potentiell Betrof-fenen die Möglichkeit eröffnen soll, ihre Rechte geltend zu machen145.Neben solchen kleineren Unterschieden und Anpassungsnotwendigkeiten dürfte die wichtigste Veränderung durch die Århus-Konvention darin bestehen, dass sie ein allgemeines Beteiligungsrecht begründet. Nach Art. 6 Abs. 7 Århus-Konventi-on kann nicht nur die „betroffene Öffentlichkeit“, sondern die Öffentlichkeit im Allgemeinen „alle von ihr für die geplante Tätigkeit als relevant erachteten Stel-lungnahmen, Informationen, Analysen oder Meinungen in Schriftform vorlegen oder gegebenenfalls während einer öffentlichen Anhörung oder Untersuchung mit dem Antragsteller vortragen.“ Aus dieser Formulierung ergibt sich ein umfassendes Beteiligungsrecht ohne subjektives Beteiligungsinteresse146. Allerdings lässt die Konvention wichtige Einzelfragen offen. Das Wort „gegebenenfalls“ macht deut-lich, dass eine Beteiligung der gesamten Öffentlichkeit an einer Anhörung nicht zwingend vorgeschrieben ist. Die Konvention sagt auch nicht konkret, wie die Be-hörde mit Eingaben aus der nicht betroffenen Öffentlichkeit umzugehen hat. Art. 6 Abs. 8 Århus-Konvention verlangt in sehr allgemeiner Art, dass das Ergebnis der Öffentlichkeitsbeteiligung „bei der Entscheidung angemessen berücksichtigt wird.“ Man wird daraus zumindest schließen können, dass keine förmliche Bescheidung sämtlicher Eingaben erfolgen muss147. Insofern ist es etwas vorschnell, wenn in der Literatur aus der Konvention ein Anhörungsanspruch für jedermann abgeleitet und daraus geschlossen wird, das deutsche Planfeststellungsverfahren genüge den Anforderungen der Konvention nicht148.Man wird hier stärker differenzieren müssen: Richtig ist zunächst einmal, dass das am Rechtsbegriff des „berührten Belangs“ orientierte deutsche Planfeststellungs-recht die Rechte der „betroffenen Öffentlichkeit“, also die Rechte derjenigen Per-sonen, deren „Belange“ im Sinne des § 73 Abs. 4 VwVfG berührt sind, stärker aus-gestaltet als dies die Århus-Konvention tut, die eben nur Rechte der allgemeinen Öffentlichkeit formuliert. Nach dem deutschen Planfeststellungsrecht sind Einwen-dungen Betroffener149 zu erörtern150 und zu bescheiden151. Richtig ist aber auch, dass wegen des deutlichen Fokus des deutschen Planfeststellungsrechts auf dem

145 Näher E. Allesch/R. Häußler, § 73, Rn. 55 ff., in: K. Obermayer, Verwaltungsverfahrensgesetz, 3. Aufl. Neu-wied 1999; H.J. Bonk/W. Neumann, § 73, Rn. 38, in: P. Stelkens/H.J. Bonk/M. Sachs, Verwaltungsverfahrensge-setz, 6. Aufl. München 2001.

146 St. Stec/S. Casey-Lefkowitz/J. Jendroska, The Århus-Convention: An Implementation Guide, S. 108; im Internet verfügbar unter http://www.unece.org/env/pp/acig.pdf (geprüft am 18. August 2004).

147 A. Fisahn, Effektive Beteiligung solange noch alle Optionen offen sind – Öffentlichkeitsbeteiligung nach der Århus-Konvention, ZUR 2004, S. 136 ff. (139).

148 Schink (Fn. 24), S. 32.149 Zur Unterscheidung zwischen dem „Einwender“ und dem „Betroffenen“ näher Bonk/Neumann (Fn. 145), § 73,

Rn. 60 f. und 95.150 Bonk/Neumann (Fn. 145), § 73, Rn. 94 ff.151 Dies geschieht im Planfeststellungsbeschluss nach § 74 Abs. 2 S. 1 VwVfG; näher Bonk/Neumann (Fn. 145),

§ 74, Rn. 81.

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„berührten Belang“ keine Regeln dafür vorhanden sind, wie Eingaben nicht Betrof-fener behandelt werden müssen. Dies gilt zumindest für die allgemeinen Regeln des Planfeststellungsverfahrens. Ausnahmen finden sich zum Teil in einzelnen Sonderregeln. So lässt etwa § 10 BImSchG die sog. „Jedermann-Einwendung“ zu152. Man wird also das allgemeine deutsche Genehmigungsrecht um Vorschriften über die Öffentlichkeitsbeteiligung von nicht Betroffenen ergänzen müssen. Be-merkenswert und bedauerlich ist in diesem Zusammenhang, dass die Europäische Gemeinschaft für Verfahren im Anwendungsbereich der UVP- und der IVU-Richt-linie gerade diese Vorgaben der Århus-Konvention nur unvollständig umsetzt, denn die geänderten Vorschriften in den neuen Richtlinien enthalten nur einen Beteili-gungsanspruch der „betroffenen Öffentlichkeit“ und bleiben so hinter den Vorga-ben der Konvention zurück153. Auch in der Literatur wird nur selten näher themati-siert, dass Art. 6 Abs. 7 Århus-Konvention ein „Jedermann“-Beteiligungsrecht sta-tuiert154.

3. Verbandsklage

Für die meiste Aufregung in den vergangenen Jahren hat sicherlich die in der År-hus-Konvention enthaltene Regelung zur Einführung einer Verbandsklage in Um-weltangelegenheiten gesorgt155. Diese Diskussion schließt an ältere Überlegungen zur Einführung einer umweltrechtlichen Verbandsklage im deutschen156 und euro-päischen Recht157 an, die sich aber bislang nur vereinzelt durchsetzen konnten158. Das gilt namentlich für den Bereich des Naturschutzrechts159. Um die hier von der

152 Näher H.D. Jarass, § 10, Rn. 71, in: ders., Bundesimmissionsschutzgesetz, Kommentar, München 2002.153 Siehe den neuen Art. 6 Abs. 4 der UVP-Richtlinie und Art. 15 Abs. 1 der geänderten IVU-Richtlinie, beide in

der Richtlinie 2003/35/EG, a.a.O. (Fn. 3); näher dazu die – allerdings im entscheidenden Punkt keinen Auf-schluss gebenden – Ausführungen der Kommission in ihrem Vorschlag, KOM(2000) 839 endgültig, S. 9 und 14; im Internet verfügbar unter http://europa.eu.int/eur-lex/de/com/pdf/2000/com2000_0839de01.pdf (geprüft am 15. August 204).

154 Ungenau insoweit A. Epiney, Zu den Anforderungen der Århus-Konvention an das europäische Gemeinschafts-recht, in: J. Falke/S. Schlacke (Hrsg.), Information – Beteiligung – Rechtsschutz: Neue Entwicklungen im, Um-welt- und Verbraucherrecht, Berlin 2004, S. 9 ff. (13), wo nur der „betroffenen Öffentlichkeit“ ein Beteiligungs-recht zugestanden wird; ähnlich dies./M. Scheyli, Die Århus-Konvention – Rechtliche Tragweite und Implikati-onen für die Schweiz, Freiburg i.Ue., 2000, S. 39 ff. (42 f.); dies/K. Sollberger, Zugang zu Gerichten und ge-richtliche Kontrolle im Umweltrecht, Rechtsvergleich, völker- und europarechtliche Vorgaben und Perspektiven für das deutsche Recht, Berlin 2002, S. 318 ff.; v. Danwitz (Fn. 29), S. 275; richtig dagegen Stec/Casey-Lefko-witz/Jendroska (Fn. 146), S. 108.

155 Siehe dazu nochmals die Nachweise in Fn. 24.156 Dazu die umfangreichen Nachweise zur Diskussion in den 1970er Jahren bei C.H. Ule/H.-W. Laubinger, Emp-

fehlen sich unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung notwendigen Umweltschutzes ergänzende Regelungen im Verwaltungsverfahrens- und Verwaltungsprozessrecht?, Gutachten B für den 52. Deutschen Juristentag, in: Verhandlungen des 52. Deutschen Juristentags, Band I, München 1978, B 63, FN 101.

157 Dazu namentlich B.W. Wegener, Ein Silberstreif für die Verbandsklage am Horizont des europäischen Rechts, in: W. Cremer/A. Fisahn (Hrsg.), Jenseits der marktregulierten Steuerung – Perspektiven des Umweltrechts, Berlin 1997, S. 183 ff.

158 Für eine kritische Bewertung der Verbandsklage im Entwurf der Unabhängigen Sachverständigen-Kommission für ein Umweltgesetzbuch, siehe R. Breuer, Tendenzwende des Rechtsschutzes? Betrachtungen zu den §§ 43 ff. UGB-KomE, Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 45 (1998), S. 161 ff. (209 f.).

159 Siehe im Einzelnen die Nachweise bei J. Bizer/Th. Ormond/U. Riedel, Die Verbandsklage im Naturschutzrecht, Taunusstein 1990, S. 55 ff.

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Århus-Konvention aufgeworfenen Rechtsprobleme sachgerecht einordnen zu kön-nen, rechtfertigt sich ein kurzer Überblick über die bisherige deutsche Rechtslage, bevor die Wirkungen der Århus-Konvention näher analysiert werden können.

a) Die bisherige Rechtslage

Für die gegenwärtige deutsche Rechtslage im Bereich der umweltrechtlichen Ver-bandsklage sind zwei Rechtsgrundlagen von Bedeutung. Diese sind zum einen die landesrechtlichen Bestimmungen im Bereich des Naturschutzrechts, nach denen schon seit längerem anerkannten Naturschutzverbänden ein eigenes Klagerecht zu-gestanden wurde160. Diese landesrechtliche Entwicklung wurde zum anderen im Jahr 2002 für den Bereich des Naturschutzrechts auf Bundesebene übernommen161. Nach der nun in § 61 BNatSchG getroffenen Regelung sind anerkannte Natur-schutzverbände berechtigt, Rechtsbehelfe nach Maßgabe der Verwaltungsgerichts-ordnung einzulegen, ohne in eigenen Rechten verletzt zu sein162. Voraussetzung ist allerdings, dass die angegriffene Verwaltungsentscheidung entweder eine Befrei-ung von Verboten oder Geboten im Bereich des Naturschutzes enthält (§ 61 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BNatSchG) oder dass es sich um einen Planfeststellungsbeschluss han-delt, der mit Eingriffen in Natur und Landschaft verbunden ist (§ 61 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 BNatSchG). Außerdem muss der Verband die Verletzung landschaftsschüt-zender Vorschriften behaupten, in seinem satzungsmäßigen Aufgabenbereich be-rührt sein und sich am vorausgehenden Verwaltungsverfahren beteiligt haben (§ 61 Abs. 2 BNatSchG). Schließlich sind alle Einwendungen präkludiert, die der Verein während des laufenden Verwaltungsverfahrens nicht geltend gemacht hat, obwohl er dies auf der Basis der ihm vorliegenden Informationen hätte tun können (§ 61 Abs. 3 BNatSchG). Auch die landesrechtlichen Verbandsklagen beschränken sich auf den Bereich des Naturschutzes163. Außerdem können sie aus kompetenzrecht-lichen Gründen nur Klagen gegen Entscheidungen von Landesbehörden vorse-hen164.

b) Veränderungen durch die Århus-Konvention

Fragen des Rechtsschutzes werden in Art. 9 Århus-Konvention geregelt. Für die Verbandsklage sind dabei die Bestimmungen in Art. 9 Abs. 2 und Abs. 3 Århus-Konvention maßgeblich. Der Unterschied zwischen den beiden Absätzen besteht

160 Die Regelungen sind nachgewiesen bei Calliess, EurUP 2003 (Fn. 24), S. 8.161 Zu Auswirkungen des Vorschlags im Entwurf der Unabhängigen Sachverständigen-Kommission für ein Um-

weltgesetzbuch auf die Kompetenzausübung im diesem Bereich siehe J. Kokott/L.-F. Lee, Die Verbandsklage im deutschen und US-amerikanischen Umweltrecht, Jahrbuch des Umwelt- und Technikrechts 45 (1998), S. 215 ff. (220 f.).

162 U. Marzik/Th. Wilrich, Bundesnaturschutzgesetz – Kommentar, Baden-Baden 2004, § 61, Rn. 1 f.163 Grundlage dafür ist § 61 Abs. 5 BNatSchG; näher E. Gassner, in: ders./u.a. (Hrsg.), Bundesnaturschutzgesetz

– Kommentar, 2. Aufl., München 2003, § 61, Rn. 31.164 BVerwGE 92, 263 (265 f).

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darin, dass Art. 9 Abs. 2 Århus-Konvention auf diejenigen Verfahren beschränkt ist, die einer Öffentlichkeitsbeteiligung nach Art. 6 Århus-Konvention unterliegen, während Art. 9 Abs. 3 Århus-Konvention eine allgemeine Verbandsklage vorsieht. Berechtigt nach dieser Vorschrift sind „Mitglieder der Öffentlichkeit“, also nicht nur die betroffene Öffentlichkeit und mithin auch nicht nur Verbände, sondern je-dermann. Der Sache nach statuiert Art. 9 Abs. 3 mithin eine Jedermann-Rechts-schutzmöglichkeit, deren Ausgestaltung freilich weitgehend dem nationalen Ge-setzgeber überlassen wird. Lässt man im Rahmen der nationalen Ausgestaltungs-möglichkeiten das Erfordernis einer subjektiven Rechtsverletzung zu – was nach dem Wortlaut nicht ausgeschlossen scheint –, dann erzeugt die Regelung aber kei-nen zwingenden Änderungsbedarf im deutschen Recht165.Der Rechtsschutz im Rahmen von Art. 9 Abs. 2 Århus-Konvention ist dagegen „entscheidungsbezogen“, weil er an die Beteiligungsrechte aus Art. 6 der Konven-tion anknüpft166. Wichtig ist, dass es nur darauf ankommt, dass das Vorhaben den Regeln über die Öffentlichkeitsbeteiligung nach Art. 6 Århus-Konvention unter-liegt; nicht verlangt für die Klage wird, dass der Kläger eine Verletzung seines Be-teiligungsrechts geltend macht167. Ist so die Zulässigkeitshürde überwunden, er-folgt eine Überprüfung der „materiellen und verfahrensrechtlichen Rechtmäßig-keit“ der Entscheidung (Art. 9 Abs. 2 Århus-Konvention). Dafür spricht neben dem Wortlaut vor allem auch der Vergleich mit Art. 9 Abs. 1 Århus-Konvention, der ausdrücklich die Behauptung einer Verletzung des Beteiligungsrechts voraussetzt. Daraus, dass das bei Art. 9 Abs. 2 Århus-Konvention nicht der Fall ist, ergibt sich der Verbandsklagecharakter von Rechtsschutzbegehren nach dieser Vorschrift. Müsste die Verletzung eines Beteiligungsrechts behauptet werden, so wäre unprob-lematisch sogar die Verletzung eines subjektiven Rechts (eben des Beteiligungs-rechts) gegeben. Die Konstellation entspräche dann der auch in Deutschland inzwi-schen anerkannten sog. „Partizipationserzwingungsklage“168. Die feinsinnige Un-terscheidung nach unterschiedlichen Formen des Rechtsschutzes, die in Art. 9 Abs. 2 Århus-Konvention vorgesehen ist, wäre dann überflüssig.

165 Wenig überzeugend ist dagegen die Argumentation des Rats von Sachverständigen für Umweltfragen in seiner Stellungnahme „Rechtsschutz für die Umwelt – die altruistische Verbandsklage ist unverzichtbar, Februar 2005, S. 12, wo aus der Verbandsklage in Art. 9 Abs. 2 auf ihre Notwendigkeit in den Fällen des Art. 9 Abs. 3 ge-schlossen wird, was aber gerade wegen des dort zugunsten der innerstaatlichen Rechtsvorschriften gemachten Vorbehalts die Frage ist (http://www.umweltrat.de/03stellung/downlo03/stellung/Stellung_Verbandsklage_Feb-ruar2005.pdf, geprüft am 21. April 2004).

166 Schmidt-Aßmann (Fn. 2), S. 319.167 Ungenau insoweit Zschiesche (Fn. 8), S. 181: „Verletzungen gegen das Beteiligungsverfahren“; und v. Danwitz

(Fn. 29), S. 276 (Zugang zu Gericht diene der Durchsetzung des Beteiligungsrechts).168 Bei dieser Form der Verbandsklage handelt es sich um eine „unechte“ Verbandsklage, weil der Verband eigene

Rechte geltend machen kann. Er streitet um die ihm eingeräumten Beteiligungsrechte. Diese Form der Ver-bandsklage passt in die gängige verwaltungsprozessuale Systematik, weil das Beteiligungsrecht inzwischen ganz einhellig als subjektives Recht des betreffenden Verbands und nicht nur als objektive Pflicht der Behörden angesehen wird, siehe BVerwG NVwZ 1998, 395 (396); NVwZ 1997, 905 (906); weitere Nachweise bei Seelig/Gündling (Fn. 24), S. 1034.

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Art. 9 Abs. 2 Århus-Konvention überlässt es den Mitgliedstaaten, ob sie sich für Rechtsschutzfragen an einer „Rechtsverletzung“ orientieren (also dem deutschen Modell des subjektiven Rechtsschutzes folgen) oder ob sie schon bei einem „aus-reichenden Interesse“ Rechtsschutz ermöglichen wollen (und damit eher der fran-zösischen und englischen Tradition folgen). In beiden Varianten enthält die Rege-lung aber eine Vermutung, die im Ergebnis die Einführung einer Verbandsklage verlangt. Folgt ein Mitgliedstaat der Konzeption des ausreichenden Interesses, so wird nach Art. 9 Abs. 2 UAbs. 2 vermutet, dass Umweltverbände ein solches Inter-esse haben. Folgt ein Mitgliedstaat der Konzeption des subjektiven Rechtsschutzes, so gelten Umweltverbände als Träger von Rechten, die verletzt sein können. Im Ergebnis wird damit die Einführung einer Verbandsklage für alle Vorhaben ver-langt, die den Beteiligungsvorschriften des Art. 6 Århus-Konvention unterfallen169. Die Klagemöglichkeit erstreckt sich nach dem ausdrücklichen Wortlaut von Art. 9 Abs. 2 auf eine materielle und eine formelle Prüfung. Die bereits ergangene Richt-linie zur Änderung der UVP- und der IVU-Richtlinien170 übernimmt diese Vorga-ben der Århus-Konvention wörtlich in das Gemeinschaftsrecht, so dass die Bun-desrepublik Deutschland kraft Gemeinschaftsrechts verpflichtet ist, die Vorgaben bis zum 25. Juni 2005171 im nationalen Recht umzusetzen. Hierfür liegen inzwi-schen zwei Gesetzentwürfe der Bundesregierung vor, mit denen ein Umweltrechts-behelfsgesetz und ein Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetz erlassen werden sollen172.

4. Unmittelbare Anwendbarkeit

Als letzter Punkt möglicher Umsetzungsprobleme ist kurz die Frage nach der un-mittelbaren Anwendbarkeit der Rechtsschutzregelungen in den Richtlinien anzusprechen172a. Hinsichtlich der Rechtsschutzbestimmungen in der geänderten UVP-/IVU-Richtlinie wird die unmittelbare Anwendbarkeit in der Literatur teil-weise ohne nähere Problematisierung bejaht173. Das erscheint etwas vorschnell. Die unmittelbare Anwendbarkeit setzt die inhaltliche Unbedingtheit und hinrei-chende Genauigkeit der Richtlinienbestimmungen voraus174. Inhaltliche Unbe-dingtheit beinhaltet, dass die Richtlinienbestimmung vorbehaltlos und ohne Bedin-gung anwendbar ist und keiner weiteren Maßnahme der Organe der Mitgliedstaaten oder der Gemeinschaft bedarf175. Ausnahmevorschriften hindern zwar den inhalt-

169 Schmidt-Aßmann (Fn. 2), S. 319 f.170 Richtlinie 2003/35/EG (Fn. 5).171 Art. 6 Richtlinie 2003/35/EG.172 Siehe dazu die ausführlich die Beiträge von W. Durner und J. Ziekow, in: W. Durner/C. Walter (Hrsg.), Rechts-

politische Spielräume bei der Umsetzung der Århus-Konvention, Berlin 2005 (im Erscheinen); dort ist auch der Entwurf des UmweltrechtsbehelfG abgedruckt.

172a) Dazu gehört jetzt W. Durner, Direktwirkung europäischer Verbandsklagerechte?, ZVR 2005, 285 ff.173 H.W. Louis, Die Übergangsregelungen für das Verbandsklagerecht nach den §§ 61, 69 Abs. 7 BNatSchG vor

dem Hintergrund der europarechtlichen Klagerechte für Umweltverbände auf Grund der Änderungen der IVU- und der UVP-Richtlinie zur Umsetzung des Aarhus-Übereinkommens, NuR 2004, S. 287 ff. (291).

174 Das ist st.Rspr. des EuGH, siehe die Nachweise bei M. Ruffert, Art. 249 Rn. 75, in: Calliess/Ruffert (Fn. 58); zu den beiden Kriterien auch W. Schroeder, Art. 249 Rn. 108 und 109, in: Streinz (Fn. 34).

175 Ruffert (Fn. 174), Rn. 76 m.w.N.

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lich unbedingten Charakter einer Bestimmung nicht, weil sich die Regel als unbe-dingt verstehen lässt und die Mitgliedstaaten sich ausdrücklich auf die Ausnahme-möglichkeit berufen müssen176. Aber man kann bei der hier in Rede stehenden Regelung nicht von einem Regel-Ausnahme-Verhältnis ausgehen. Die Schwierig-keit liegt darin, dass die Richtlinie es den Mitgliedstaaten überlässt, festzulegen welchen Verbänden sie den Zugang zu Gericht eröffnen wollen. Maßgeblich sind insoweit Art. 1 Abs. 2 der geänderten UVP-Richtlinie und Art. 2 Nr. 14 der geän-derten IVU-Richtlinie, die von „Nichtregierungsorganisationen, die sich für den Umweltschutz einsetzen und alle nach innerstaatlichem Recht geltenden Vorausset-zungen erfüllen“ sprechen. Die Erfüllung dieser Bedingungen begründet keine Ausnahme von einer an sich geltenden Regel, sondern sie ist vielmehr selbst Be-standteil der Regel. Der ausdrückliche Zusatz, dass die nach innerstaatlichem Recht vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt sein müssen, lässt sich demnach als echte Bedingung verstehen.Zudem lässt sich fragen, ob nicht die den Mitgliedstaaten eingeräumte Wahlmög-lichkeit zwischen einem am Schutz von Interessen und einem an Rechtsverletzun-gen ausgerichteten Modell des Rechtsschutzes die unmittelbare Anwendbarkeit der Richtlinien hindert. Hinzu kommt, dass Art. 10a Abs. 1 der geänderten UVP-Richt-linie und Art. 15a Abs. 1 der geänderten IVU-Richtlinie nicht ohne weiteres ein gerichtliches Überprüfungsverfahren verlangen, sondern ausdrücklich auch eine „andere auf gesetzlicher Grundlage geschaffene unabhängige und unparteiische Stelle“ als gleichwertig anerkennen. Hier besteht eine echte Wahlmöglichkeit der Mitgliedstaaten, die dazu führt, dass man zumindest starke Zweifel an der These von der unmittelbaren Anwendbarkeit anmelden muss.

VI. Schlussüberlegung: Theoretische und praktische Konsequenzen eines „internationalisierten Verwaltungsverfahrensrechts“

Ohne den bislang beschriebenen Veränderungsbedarf und die aufgeworfenen rechtstechnischen Probleme klein reden zu wollen, lässt sich wohl sagen, dass die notwendigen Schritte durchaus machbar sind. Die literarische Diskussion um die mit der Umsetzung der Århus-Konvention verbundenen Änderungen im nationalen Recht offenbart aber einen grundsätzlichen Aspekt, den für die Zukunft im Auge zu behalten wichtig sein dürfte. Er ist eng verbunden mit Strukturveränderungen im modernen Völkerrecht, die zurzeit intensiv diskutiert werden.Das Völkerrecht entwickelt sich gegenwärtig von einer „akteurzentrierten“ Rechts-ordnung, in der die Rechtsbeziehungen zwischen Staaten oder Staaten und anderen Völkerrechtssubjekten im Vordergrund standen, zu einer nach Sektoren differen-zierenden Ordnung177. Im Zentrum stehen nun einzelne Sachgebiete, die insgesamt

176 C. Herrmann, Richtlinienumsetzung durch die Rechtsprechung, Berlin 2003, S. 49 f.177 F. Schorkopf/C. Walter, Elements of Constitutionalization: Multilevel Structures of Human Rights Protection in

General International and WTO-Law, Germanlawjournal 4 (2003), S. 1359 ff. (1361 ff.).

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einer Regelung zugeführt werden sollen, und die, wenn man eine Begrifflichkeit der Politikwissenschaft aufnehmen will, gesonderte Regime bilden. Diese Regime verfügen häufig auch über eigene Durchsetzungsmechanismen178. Das Problem dieser Sektoralisierung besteht darin, dass weder die Lebenssachverhalte noch eine Reihe von anwendbaren allgemeinen völkerrechtlichen Regeln an der jeweiligen Sektorengrenze Halt machen. So wird es theoretisch denkbar und ist auch praktisch schon relevant geworden, dass jedes Regime relativ blind für die Regeln außerhalb seiner selbst ist und deshalb die strikte Durchsetzung seiner eigenen Vorgaben ein-fordert179. Man kann leicht erkennen, dass dies schon auf der Ebene des Völker-rechts zu Schwierigkeiten führen kann, wenn die jeweils eingerichteten Streit-schlichtungsorgane zu sich widersprechenden Ergebnissen kommen. Für solche „Regime-Kollisionen“180 gibt es bislang keine Lösung181.Es ist nun geradezu aufregend, dass man anhand der innerdeutschen Diskussion um die Århus-Konvention beobachten kann, dass dieses Strukturproblem des moder-nen Völkerrechts bis in das nationale Verwaltungsverfahrensrecht durchzuschlagen droht, wenn man es mit einem völkerrechtlichen Vertrag zu tun hat, der Vorgaben für die Ausgestaltung des innerstaatlichen Rechts macht. Woran kann man die Par-allele zeigen?Die Århus-Konvention macht keine Vorgaben über Einzelheiten der Ausgestaltung des Verwaltungsverfahrens- und des Verwaltungsprozessrechts, statuiert also insbe-sondere keine Präklusionsregeln und auch keine allgemeinen Voraussetzungen für den Erfolg von Verbandsklagen. Damit stellt sich die Frage, was mit solchen allge-meinen Regeln des nationalen Rechts zu geschehen hat. Bei der naturschutzrecht-lichen Verbandsklage gibt es etwa die Vorgabe, dass der Naturschutzverband nur dann klagen kann, wenn er sich am vorausgehenden Verwaltungsverfahren beteiligt hat182. Außerdem können Verfahrensfehler unerheblich sein, wenn sie sich nicht auf das Ergebnis ausgewirkt haben können. Nach der Rechtsprechung des Bundes-verwaltungsgerichts kommt etwa nach der Einführung einer altruistischen Ver-bandsklage im Naturschutzrecht eine isolierte Durchsetzung des Partizipations-

178 Zur Anschlussfähigkeit des Regime-Begriffs für die völkerrechtliche Analyse siehe C. Walter, (Inter)national Governance in verfassungsrechtlicher Perspektive: Überlegungen zu Möglichkeiten und Grenzen der Entwick-lung eines „Internationalen Verfassungsrechts“, in: A. Héritier/M. Stolleis/F.W. Scharpf (eds.), European and International Regulation after the Nation State – Different Scopes and Multiple Levels, Baden-Baden 2004, S. 33 ff. (51); W. Graf Vitzthum, The Search for Sectoral World Orders, in: ders. (Hrsg.), Aspekte der Seerechtsent-wicklung, 1980, S. 273 ff.

179 J. Neumann, Die materielle und prozessuale Koordination völkerrechtlicher Ordnungen – Die Problematik par-alleler Streitbeilegungsverfahren am Beispiel des Schwertfisch-Falls, ZaöRV 61 (2001), S. 529 ff.; P.-T. Stoll/S. Vöneky, The Swordfish-Case: Law of the Sea v. Trade, ZaöRV 62 (2002), S. 21 ff.

180 Zum Begriff A. Fischer-Lescano/G. Teubner, Regime-Collisions: The Vain Search for Legal Unity in the Frag-mentation of Global Law, Michigan Journal of International Law 25 (2004), S. 999 ff.

181 Dazu statt anderer K. Oellers-Frahm, Multiplication of International Courts and Tribunals and Conflicting Ju-risdictions – Problems and Solutions, Max Planck UNYB. 5 (2001), S. 67 ff.; J.I. Charney, Is International Law Threatened by Multiple International Tribunals?, RdC, S. 271 (1998), S. 101 ff.; M. Koskenniemi/P. Leino, Fragmentation of International Law? Postmodern Anxieties, Leiden Journal of International Law 15 (2002), S. 553 ff.

182 § 61 Abs. 2 Nr. 3 und Abs. 3 BNatSchG.

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rechts nur noch dann in Frage, wenn sich der Verstoß auf das Ergebnis aus-wirkt183.In der deutschen Literatur wird nun die Auffassung vertreten, derartige Regelungen dürften in Verfahren unter der Århus-Konvention und den sie umsetzenden Richtli-nien keine Anwendung finden, weil sie in der Konvention und den Richtlinien nicht vorgesehen seien184. Für diese Sicht könnte sprechen, dass ein Teil der betreffen-den Regeln, wie etwa die geforderte Beteiligung im Verwaltungsverfahren, Aspek-te des subjektiven Rechtsschutzes aufweisen, die mit der Konzeption eines proze-duralen Umweltschutzes und der mit ihm einhergehenden objektiven Funktion der Verbandsklage auf den ersten Blick nur schwer zusammenzupassen scheinen. Inso-fern könnten sie tatsächlich konzeptionell überholt sein. Daneben wird der Wort-laut der Århus-Konvention herangezogen, die in Art. 9 Abs. 2 die prozessuale und materielle Prüfung gleichsetze. Daraus wird geschlossen, dass Deutschland sich kaum Veränderungen bei § 46 VwVfG werde entziehen können185. Der Gesetzent-wurf der Bundesregierung für ein Umwelt-Rechtsbehelfs-Gesetz verfolgt einen Mittelweg, der in § 3 eine eigene Fehlerlehre begründet, die sog. „wesentliche Ver-fahrensfehler“ definiert und in Abweichung von § 46 VwVfG für beachtlich er-klärt186.Zwingend sind solche besonderen Ausgestaltungen allerdings nicht. Sie sind natür-lich ohne weiteres rechtspolitisch möglich, aber ihre Gebotenheit kraft Gemein-schaftsrechts oder aufgrund der Århus-Konvention ist noch nicht wirklich darge-tan. Zum einen erschöpfen sich die als änderungsbedürftig ausgemachten Regeln nicht in ihrer Nähe zum subjektiven Rechtsschutz. Sie verfolgen vielmehr auch Aspekte eines modernen Verfahrensansatzes, nämlich den der Effizienz und Be-

183 Diese Rechtsprechung ist eine Abkehr von der früheren Position des Gerichts, die zu begrüßen ist, weil die frü-here Begründung nicht zu überzeugen vermochte. Vor Einführung der Verbandsklagemöglichkeit sah das Bun-desverwaltungsgericht in der unterbliebenen Beteiligung eines anerkannten Naturschutzverbandes einen abso-luten Verfahrensfehler, der zur Aufhebung des entsprechenden Planfeststellungsbeschlusses führen sollte (BVer-wGE 87, 62 (71); ebenso BVerwG NVwZ 1998, S. 279 (280 f.)). Nach der Einführung einer „echten“, d.h. auf die materiell-rechtliche Zulässigkeit eines Vorhabens bezogenen Verbandsklagemöglichkeit in § 61 BNatSchG soll sich hier die Fehlerfolge geändert haben. Das Bundesverwaltungsgericht sieht nun keinen Grund mehr, dem Verfahrensverstoß uneingeschränkt die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses folgen zu lassen. Der bei der Beteiligung unterlaufene Fehler nötige nicht dazu, den Planfeststellungsbeschluss aufzuheben oder für rechtswidrig zu erklären, denn der Rechtsverstoß sei unbeachtlich. Die frühere Rechtsprechung habe sich maß-geblich von dem Gedanken leiten lassen, dass eine Verletzung der Beteiligungsrechte nicht folgenlos bleiben dürfe. Stehe lediglich das Mittel der Partizipationserzwingungsklage zur Verfügung, um auf die Sachentschei-dung Einfluss zu nehmen, so könne es gerechtfertigt sein, für die Fehlerfolgen strenge Maßstäbe anzulegen. Eine solche Verstärkung des Verfahrensrechts erübrige sich aber in den Fällen, in denen die Naturschutzverbän-de nicht darauf beschränkt seien, ihre Verfahrensposition zu verteidigen, sondern es auf der Grundlage des Landes- oder Bundesrechts in der Hand hätten, einen Planfeststellungsbeschluss oder eine sonstige Behörden-entscheidung einer gerichtlichen Prüfung anhand der Kriterien des materiellen Rechts unterziehen zu lassen (BVerwG NVwZ 2002, S. 1103 (1105); ebenso BVerwG NVwZ 2003, S. 1120 (1120). Alle genannten Argu-mente hätten eigentlich auch schon gegenüber der Partizipationserzwingungsklage durchgreifen müssen.

184 Schink (Fn. 24), S. 35; F. Erhardt/K. Pöhlmann, Europäische Klagebefugnis: Öffenlichkeitsrichtlinie, Klage-richtlinie und ihre Folgen, NVwZ 2005, 532 ff. (534).

185 J. Ziekow, Von der Reanimation des Verfahrensrechts, NVwZ 2005, S. 263 ff. (266); S. Schlacke, Rechtsschutz durch Verbandsklage, NuR 2004, S. 629 ff. (632).

186 Http://www.bmu.de/files/buergerbeteiligungsrechte/downloads/application/pdf/umweltrechtsbehelfsgesetz.pdf (geprüft am 8. April 2005).

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schleunigung von Verwaltungsverfahren187. Die Erweiterung des § 46 VwVfG et-wa geht auf ein Gesetz zurück, das sog. „Genehmigungsbeschleunigungsgesetz“ aus dem Jahr 1996, das diesen Aspekt schon im Titel trägt188.Wollte man nun dem umweltrechtlichen Verfahrensgedanken der Århus-Konventi-on uneingeschränkt zur Geltung verhelfen – worauf die zitierte Position in der Li-teratur hinausläuft –, so setzte sich das beschriebene Strukturproblem des moder-nen Völkerrechts im nationalen Verwaltungsverfahren fort: Die relative Blindheit des völkerrechtlichen Umweltregimes für andere als Umweltbelange zöge eine ein-seitige Ausgestaltung des Verfahrens zugunsten der Umwelt nach sich. Man muss sich nur das Gegenstück eines auf Investitionsförderung ausgerichteten wirtschafts-völkerrechtlichen „Genehmigungsbeschleunigungsvertrags“ (mit relativer Umwelt-blindheit) vorstellen, um zu erkennen, dass bei einem solchen Ansatz die „Regime-Kollisionen“ aus dem Völkerrecht im nationalen Verwaltungsrecht fortgeschrieben würden.Der Ausgleich zwischen sich (auch objektiv!) widerstreitenden Interessen wie den-jenigen der Verfahrensbeschleunigung und des Umweltschutzes ist etwas, was typi-scherweise im parlamentarischen Gesetzgebungsverfahren erfolgt. Die Sektorali-sierung der Völkerrechtsordnung bringt als eines von mehreren Demokratieproble-men mit sich189, dass dieser Ausgleich nicht mehr ohne weiteres möglich ist. Im nationalen parlamentarischen Verfahren kann er nicht mehr stattfinden, weil zu die-sem Zeitpunkt die materiellen Entscheidungen bereits getroffen sind. Während der völkerrechtlichen Verhandlungen droht er ebenfalls auszufallen, weil dabei vor-nehmlich die jeweiligen Fachspezialisten zusammenkommen.Dieses völkerrechtliche Strukturproblem kann allein sicherlich nicht zu einem be-stimmten Auslegungsergebnis führen. Aber es kann Problembewusstsein wecken und dazu anhalten, vorhandene Auslegungsspielräume sinnvoll zu füllen. Die År-hus-Konvention enthält vielfach Verweise auf das nationale Recht der Mitgliedstaa-

187 Etwa die Beiträge in B. Stüer (Hrsg.), Verfahrensbeschleunigung: Wirtschaft, Verwaltung, Rechtsschutz, Osna-brück 1997; Schmidt-Aßmann (Fn. 7), S. 293 ff.; J. Ziekow, Zügige Verwaltungsverfahren, in: ders. (Fn. 7), S. 51 ff.; F.-L. Knemeyer, Deregulierung, Verfahrensvereinfachung und Verfahrensbeschleunigung – Bauverfah-rensrecht in einem schlanken Staat, in: K. Grupp/M. Ronellenfitsch (Hrsg.), Planung – Recht – Rechtsschutz, Festschrift für Willi Blümel zu 70 Geburtstag, Berlin 1999, S. 259 ff.; mit Bezug auf die Århus-Konvention ist aufschlussreich, dass die Bundesrepublik Deutschland schon während des Verhandlungsprozesses diesen Kon-flikt sah und deshalb anlässlich der Unterzeichnung folgende Erklärung abgab (Die Erklärung ist im Internet verfügbar unter http://www.unece.org/env/pp/ctreaty.htm):

„The text of the Convention raises a number of difficult questions regarding its practical implementation in the German legal system which it was not possible to finally resolve during the period provided for the signing of the Convention. These questions require careful consideration, including a consideration of the legislative con-sequences, before the Convention becomes binding under international law.

The Federal Republic of Germany assumes that implementing the Convention through German administrative enforcement will not lead to developments which counteract efforts towards deregulation and speeding up pro-cedures.“

188 Gesetz vom 12. September 1996 (BGBl. 1996 I S. 1354).189 Zu den Demokratieproblemen der Globalisierung siehe E.-W. Böckenförde, Die Zukunft politischer Autonomie.

Demokratie und Staatlichkeit im Zeichen von Globalisierung, Europäisierung und Individualisierung, in: ders., Staat – Nation – Europa, Studien zur Staatslehre, Verfassungstheorie und Rechtsphilosophie, Frankfurt 1999, S. 103 ff. (119 ff.); die theoretischen Lösungsangebote werden dargestellt bei A. von Bogdandy, Demokratie, Glo-balisierung, Zukunft des Völkerrechts – eine Bestandsaufnahme, ZaöRV 63 (2003), S. 853 ff.

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ten. Gerade die Vorschrift zum Rechtsschutz verweist an der entscheidenden Stelle auf den „Rahmen der innerstaatlichen Rechtsvorschriften“190. Diese Klausel wurde wörtlich in die entsprechenden Bestimmungen der UVP- und der IVU-Richtlinie übernommen191. Über die genaue Auslegung der Klausel wird damit für den Be-reich der Mitgliedstaaten der EG letztlich der EuGH entscheiden, worin ein weite-res Element der Ebenenverzahnung im transnationalen Umweltrecht sichtbar wird. Die Klausel darf selbstverständlich nicht dazu genutzt werden, das Regelungsziel der Århus-Konvention zu konterkarieren. Sie erfüllt aber eine sehr sinnvolle und wichtige Funktion, wenn man sie heranzieht, um auf der Ebene der Rechtsanwen-dung für einen sachgerechten Ausgleich zwischen sich widerstreitenden Interessen zu sorgen, die miteinander abzuwägen auf der Ebene des Völkerrechts versäumt wurde oder nicht möglich war192. Wer dagegen die Regeln der Århus-Konvention einseitig ohne Rücksicht auf allgemeine Verfahrensregeln durchsetzen will, ris-kiert, dass die Sektoralisierung des Völkerrechts eine Sektoralisierung des nationa-len Verwaltungsrechts nach sich zieht – und das wäre eine Entwicklung, an der niemand ein Interesse haben kann.

190 Art. 9 Abs. 2 Århus-Konvention; der Implementation Guide zur Konvention (Stec/Casey-Lefkowitz/Jendroska (Fn. 146)), S. 130 nennt ausdrücklich nationale Präklusionsvorschriften als zulässige Beschränkungen des Rechtsschutzes nach dieser Vorschrift; ähnlich jetzt auch M. Schmidt-Preß, Gegenwart und Zukunft des Verfah-renrechts, NVwZ 2005, 489 ff. (495).

191 Art. 10a Abs. 1 UVP-Richtlinie (neu) und Art. 15a Abs. 1 IVU-Richtlinie (neu); siehe die Änderungsrichtlinie 2003/35/EG (Fn. 5).

192 Für die Zulässigkeit von Präklusionsvorschriften im Anwendungsbereich der Århus-Konvention auch Th. Bun-ge, Rechtsschutz bei der UVP nach der Richtlinie 2003/35/EG, ZUR 2004, S. 141 ff. (146).

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RECHTSPRECHUNG

Gerichte der MitgliedstaatenGerichtshof der Europäischen Gemeinschaften/Gericht erster Instanz

Vereinbarkeit des Vertrags über eine Verfassung für Europa mit der spanischen Verfassung

Leitsätze (nicht amtlich)

1. Art. I-6 des Vertrags über eine Verfassung für Europa ist mit der spanischen Ver-fassung vereinbar.

2. Art. II-111 und II-112 des Vertrags über eine Verfassung für Europa sind mit der spanischen Verfassung vereinbar.

3. Art. 93 der spanischen Verfassung stellt eine ausreichende Grundlage für die Ertei-lung der Zustimmung Spaniens zum Vertrag über eine Verfassung für Europa dar.

Urteil des Verfassungsgerichtshofs (Spanien), Erklärung DTC 1/2004 vom 13. Dezember 2004*

PräambelDas Plenum des Verfassungsgerichtshofs, bestehend aus den Richtern Frau María Emilia Casas Baamonde (Präsidentin), Herrn Guillermo Jiménez Sánchez, Herrn Vicente Conde Martín de Hijas, Herrn Javier Delgado Barrio, Frau Elisa Pérez Vera, Herrn Roberto Gar-cía-Calvo y Montiel, Herrn Eugeni Gay Montalvo, Herrn Jorge Rodríguez-Zapata Pérez, Herrn Ramón Rodríguez Arribas, Herrn Pascual Sala Sánchez, Herrn Manuel Aragón Reyes und Herrn Pablo Pérez Tremps, hat

auf die vom Abogado del Estado (Staatsanwalt) im Namen und in Vertretung der Regierung der Nation formulierte Anfrage (Rs.-Nr. 6603-2004) über das Bestehen eines Widerspruchs zwischen der spanischen Verfassung und den Artikeln I-6, II-111 und II-112 des am 29. Ok-tober in Rom unterzeichneten Vertrags über eine Verfassung für Europa (VV)

IM NAMEN DES KÖNIGS die folgende ERKLÄRUNG abgegeben.

Berichterstatter war der Richter Herr Vicente Conde Martín de Hijas, der die Ansicht des Verfassungsgerichts darstellt.

* Übersetzung und Bearbeitung von Anne C. Becker, Berlin. Ich danke Heike Hüske (México, D.F.), Carlos An-dradas Heranz (Madrid) sowie Richard Völker, Edgar Lenski und Franz C. Mayer (Berlin) für Kritik und ergän-zende Hinweise zur Übersetzung. Überschriften der Entscheidungsgründe stammen von der Bearbeiterin.

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[I. Sachverhalt]

II. Entscheidungsgründe

1. Zur präventiven Kontrolle der Vereinbarkeit völkerrechtlicher Verträge mit der Verfassung

Es ist das zweite Mal, dass dieser Gerichtshof dazu aufgerufen ist, sich zur Übereinstim-mung eines völkerrechtlichen Vertrags, dessen Aufnahme in die spanische Rechtsordnung angestrebt wird, mit der Verfassung zu äußern; in diesem Fall geht es um den Vertrag über eine Verfassung für Europa. Dabei handelt es sich um ein Ersuchen, das über den spezifi-schen, in Art. 95 Abs. 2 der Verfassung vorgesehenen und in Art. 78 des Organgesetzes über dieses Gericht (LOTC) geregelten Verfahrensweg betrieben werden muss, über dessen Rechtsnatur und Sinn wir schon in der Erklärung 1/1992 vom 1. Juli (im Folgenden DTC 1/1992) einige Überlegungen angestellt haben, die an dieser Stelle in Erinnerung gebracht werden sollten.Tatsächlich wurde damals gesagt, dass diesem Gerichtshof mit dem in Art. 95 Abs. 2 der Verfassung festgelegten Verfahren eine doppelte Aufgabe anvertraut ist, zu der generellen oder gewöhnlichen Aufgabe, die im gerichtlichen Schutz der Verfassung besteht, kommt die Aufgabe hinzu, die Sicherheit und Stabilität der völkerrechtlichen Verpflichtungen zu ge-währleisten, die Spanien eingehen kann. Zu der Aufgabe dieses Gerichtshofs, Recht zu sprechen, kommt aufgrund der präventiven Ausübung eine vorbeugende Dimension hinzu, die dem Schutz vor der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit des Staates dient. Letzten En-des geht es darum, die Vorherrschaft (supremacía) der Verfassung unbeschadet dieser Ver-pflichtungen sicher zu stellen, indem versucht wird zu vermeiden, dass ein möglicher Wi-derspruch zwischen der Verfassung und der Vereinbarung erst dann beseitigt werden muss, wenn die Vertragsnormen bereits in die (spanische, Anm. d. Bearb.) Rechtsordnung inte-griert sind; das heißt, wenn sich aus dem Konzept der Vorherrschaft (supremacía) der Ver-fassung Konsequenzen ergeben können, die mit der Idee unvereinbar sind, völkerrechtliche Vereinbarungen zu einzuhalten.Art. 95 Abs. 2 CE1 ermöglicht es, die Zweifel der Verfassungsmäßigkeit, die ein Vertrag hervorrufen kann, im Vorfeld der Ratifikation zu klären, um bei Bestätigung der Zweifel die Ratifikation solange aufzuhalten, bis der Verfassungstext revidiert oder der Vertrag so neu verhandelt wird, dass er mit der Verfassung vereinbar ist. Kurz, es soll verhindert werden, dass der angenommene Widerspruch zwischen der Höchsten Norm und einer Norm, die noch nicht in das durch diese Höchste Norm geregelte System integriert ist, sich zu einem Widerspruch zwischen der Verfassung und einer in unsere Rechtsordnung inkorporierten völkerrechtlichen Norm verdichtet.Mit dieser gerichtlichen Vorabkontrolle stellt die Verfassung ihre Vorherrschaft (supre-macía) gegenüber den völkerrechtlichen Normen von dem Moment an sicher, zu dem diese in nationales Recht integriert werden, womit „die Störungen, die eine eventuelle Feststel-lung der Verfassungswidrigkeit einer Vertragsbestimmung für die Außenpolitik und die in-ternationalen Beziehungen des Staates mit sich bringen würde“ (DTC 1/1992 vom 1. Juli, 1. Entscheidungsgrund) aus dem Weg geräumt werden sollen, falls sich die Annahme eines Gegensatzes bestätigen sollte, nachdem die Vertragsnorm bereits in die innerstaatliche

1 Constitución Española (CE), die spanische Verfassung.

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Rechtsordnung eingebracht wäre. Der Widerspruch wird also aufgelöst, indem er von vorn-herein vermieden wird, und nicht erst, wenn er bereits entstanden ist und kein anderer Aus-weg mehr bleibt als die Aktivierung zweier Gewährleistungssysteme, des internationalen und des innerstaatlichen [über Art. 27.2 c LOTC], was gegenseitige Beeinträchtigungen zur Folge haben kann.Deshalb und aufgrund des strikt judikativen Charakters des präventiven, in Art. 95 Abs. 2 der Verfassung niedergelegten, Verfahrens, haben wir in der erwähnten Erklärung 1/1992 ausgeführt, dass „das, worum man uns ersuchen kann, eine Erklärung, kein Gutachten ist; eine Entscheidung und nicht bloß eine rechtlich begründete Stellungnahme, denn dieses Gericht hört nicht auf, ein solches zu sein, um sich gelegentlich, aufgrund eines derartigen Antrags, in ein beratendes Organ zu verwandeln. Wie bei den konkreten Normenkontrollen beinhaltet der Antrag die Darlegung eines begründeten Zweifels, aber von uns ist nicht eine Überlegung gefragt, mit der dieser geklärt werden, sondern eine bindende Entscheidung“ (DTC 1/1992, 1. Entscheidungsgrund). Gerade dieser Rechtsprechungscharakter gebietet es, dass sich unser Ausspruch nur auf verfassungsrechtliche Argumentationen stützen darf – ob diese nun von den Antragstellern oder denen, die sich am Verfahren beteiligen können, angeregt sind oder nicht – und „sich auf den Gegensatz zwischen der Verfassung mit all ih-ren Aussagen und der Bestimmung oder den Bestimmungen des Vertrags, die der Vorprü-fung unterworfen worden sind, zu beschränken hat, denn Art. 95 Abs. 2 der Verfassung hat die Befugnis, diese Zweifel der Verfassungsmäßigkeit vorzubringen, ausschließlich der Re-gierung und jeder der beiden Parlamentskammern vorbehalten, dessen Geltendmachung und Erläuterung ex officio demnach nicht dem Gerichtshof zusteht, der, wie in den übrigen Verfahren, über kein Initiativrecht verfügt und der an den Verfassungsgrundsatz der Kon-gruenz gebunden ist. Dies schließt nicht aus, dass der Gerichtshof gem. Art. 78 Abs. 3 LOTC (Organgesetz über den Verfassungsgerichthof, Anm. d. Bearb.) zusätzliche Informa-tionen, Klarstellungen und weitere Ausführungen anfordern kann.“ (DTC 1/1992, 1. Ent-scheidungsgrund)

2. Inhalt und Reichweite der verfassungsrechtlichen Integrationsklausel (Art. 93 CE)

Die von der Regierung der Nation geltend gemachten Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit beziehen sich auf drei Bestimmungen des am 29. Oktober 2004 unterzeichneten Vertrags über eine Verfassung für Europa, nämlich die Artikel I-6, II-111 und II-112. Ferner bean-tragt die Regierung bei diesem Gerichtshof, dass er zu der Frage Stellung nimmt, ob Art. 93 CE als Rechtsgrundlage für die Aufnahme des Vertrags in die innerstaatliche Rechtsord-nung hinreicht, oder sich gegebenenfalls zu dem Verfassungsänderungsverfahren äußert, das einschlägig wäre, um die Verfassung im Vorfeld der Integration des Vertrags an ihn an-zupassen.Vor einer detaillierten Antwort auf die unterbreiteten Fragen sind einige Vorüberlegungen über die Reichweite und den Inhalt von Art. 93 CE erforderlich, dessen Heranziehung für sich genommen bereits eine Anwendung eben der Verfassung darstellt, die ihrerseits un-zweifelhaft Ausdruck der Souveränitätsausübung Spaniens ist.So, wie es sich aus den Arbeiten der verfassungsgebenden Versammlungen entnehmen lässt, wurde Art. 93 CE als das Verfassungsinstrument für unsere Integration in die europäischen Gemeinschaften entworfen, als Phänomen der Integration, das über das bloße Verfahren der-selben hinausgeht, und das auch die Folgen der Einfügung in ein andersartiges, supranationa-

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les Gebilde mitträgt, das fähig ist, eine eigene Rechtsordnung zu erschaffen, die mit beson-deren Leitprinzipien über die Wirkung sowie über die Anforderungen und Grenzen der An-wendbarkeit ihrer Normen ausgestattet ist. Diese Integration war lange ersehnt, verfassungs-mäßig zweifellos gewollt und darum durch den genannten Art. 93 CE ermöglicht.Der Beitritt des Königreichs Spanien zu der heutigen Europäischen Union vollzog sich tat-sächlich über Art. 93 unserer Verfassung, der folglich in dieser Hinsicht die Schlüsselbe-stimmung darstellt, deren Charakterisierung dieser Gerichtshof in seiner Rechtsprechung und in der früheren Erklärung DTC 1/1992, schon vorgenommen hat und in deren Komple-xität, die „nicht gering“ ist, wie wir in der genannten Erklärung bereits deutlich machten, (4. Entscheidungsgrund), wir uns weiter vertiefen müssen, um das Ersuchen, das nun an uns gerichtet wird, zu beantworten.Über Art. 93 CE, „fundamento último“ unserer Eingliederung in den Prozess der europäi-schen Integration und unserer Bindung an das Gemeinschaftsrecht, haben wir gesagt, dass es sich um eine „Organisations- und Verfahrensvorschrift“ (STC 28/1991, vom 14. Februar, 4. Entscheidungsgrund, und DTC 1/1992, 4. Entscheidungsgrund) handelt, aufgrund derer es möglich ist, die Ausübung von aus der Verfassung abgeleiteten Kompetenzen internatio-nalen Organisationen oder Institutionen zuzuweisen. Angesichts des Widerspruchs zu einer materiell-rechtlichen Verfassungsnorm wurde in der erwähnten Erklärung ausschließlich dieser Aspekt betrachtet, lediglich, um als Antwort auf die damals aufgeworfenen Fragen zu bestimmen, ob Art. 93 CE der geeignete Mechanismus war, um eine Ausnahme von den Schranken zu machen, die Art. 13 Abs. 2 CE der vertraglichen oder gesetzlichen Ausdeh-nung des passiven Wahlrechts bei Kommunalwahlen auf Ausländer zog, mit dem Ergebnis, dass in ihm kein Mittel zur Revision steckt, das den in Titel X CE geregelten Verfassungs-änderungsverfahren entspricht. Immerhin stellt Art. 93 CE den von der Verfassung vorgese-henen Weg dar, um die Ausübung von Kompetenzen, die aus derselben hervorgehen, an in-ternationale Organisationen oder Institutionen abzugeben oder ihnen zuzuweisen, wodurch sich also, wie wir in jener Erklärung erkannten, der Anwendungs- und Geltungsbereich der abgegebenen Kompetenzen verändert (4. Entscheidungsgrund).Die Aussagen aus der Erklärung DTC 1/1992 gehören allerdings in einen ganz bestimmten Zusammenhang, der damals in der Existenz eines Widerspruchs zwischen Art. 8 b des EG-Vertrags und dem spanischen Verfassungstext, Art. 13 Abs. 2, bestand und in dessen Kon-text die Tragweite einiger Inhalte der genannten Erklärung zu verstehen sind, wenn es jetzt darum geht, die gegenwärtige Erklärung abzugeben, die sich in einem völlig anderem Rah-men bewegt, in dem, wie wir darlegen werden, kein solcher Widerspruch besteht.Art. 93 CE ist zweifellos der verfassungsrechtliche „Tragpfeiler“ der Integration anderer Rechtsordnungen in die Unsrige über die Übertragung der Ausübung von Kompetenzen, die aus der Verfassung herrühren; das betrifft sowohl Rechtsordnungen, die dazu vorgesehen sind, neben die innerstaatliche Rechtsordnung zu treten, wie auch in ihrer Entstehung auto-nome Rechtsordnungen. Metaphorisch ausgedrückt könnte man sagen, dass Art. 93 CE als Scharnier fungiert, mittels dessen die Verfassung selbst über die Übertragung der Kompe-tenzausübung anderen Rechtsordnungen Einlass in unser Verfassungssystem gewährt. So erhält Art. 93 CE eine unverkennbar materiell-rechtliche Dimension.Zu betonen ist, dass nach erfolgter Integration nicht mehr die Verfassung, sondern der Ver-trag selbst der Geltungsrahmen der Gemeinschaftsnormen ist, wenngleich die Verfassung verlangt, dass die als Folge der Zession akzeptierte Rechtsordnnung mit ihren Grundprinzi-pien und –werten vereinbar ist; mit Abschluss des Vertrags erfolgt der souveräne Vorgang einer Übertragung der Ausübung von Kompetenzen aus der Verfassung.

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Wie sich aus dem in eben dieser Bestimmung enthaltenen Mechanismus ergibt, darf auch nicht die Notwendigkeit übersehen werden, die internationalen Einrichtungen, zu deren Gunsten die Kompetenzausübung abgegeben wurde, mit den Instrumenten zu versorgen, die unentbehrlich sind, um den Vollzug des durch sie geschaffenen Rechts zu garantieren, eine Aufgabe, die durch ein unangemessenes Verständnis der erwähnten Verfassungsvorschrift und ihres materiellen Integrationsgehalts nur beeinträchtigt werden kann. Daher ist eine In-terpretation unerlässlich, welche die zwingende Dimension der europäischen Integration berücksichtigt, die die Verfassungsbestimmung beinhaltet.Eine solche Interpretation muss die Einsicht zum Ausgangspunkt nehmen, dass die Übertra-gung der Kompetenzausübung an die Europäische Union und die darauffolgende Integrati-on des Gemeinschaftsrechts in unser eigenes Recht den souveränen Befugnissen des Staates unausweichliche Grenzen auferlegt, die nur insoweit akzeptabel sind, wie das europäische Recht mit den Grundprinzipien des sozialen und demokratischen Rechtsstaats vereinbar ist, den die nationale Verfassung errichtet. Deshalb weist die verfassungsrechtliche Zession, die der Art. 93 CE ermöglicht, ihrerseits materielle Grenzen auf, denen eben diese Zession un-terliegt. Diese materiellen Grenzen, die nicht ausdrücklich in die Verfassungsbestimmung aufgenommen sind, sich aber konkludent aus der Verfassung und dem wesentlichen Sinn eben dieser Bestimmung ergeben, finden ihren Ausdruck in der Achtung der in unserer Ver-fassung verankerten Souveränität des Staates, unseren grundlegenden Verfassungsstruktu-ren sowie dem System der Grundwerte und -prinzipien, in welchem die Grundrechte eine entsprechend wesentliche Bedeutung erlangen (Art. 10.1 CE); in dem Vertrag, der Gegen-stand unserer Prüfung ist, werden diese Grenzen, wie wir später sehen werden, gewissenhaft eingehalten.Diese Erwägungen vorangestellt, kommen wir jetzt dazu, direkt auf die von der Regierung gestellten Fragen zu antworten.

3. Zum Vorrang gem. Art. I-6 VV

Die erste Frage bezieht sich auf Art. I-6 des Vertrags, im vollständigen Wortlaut:„Die Verfassung und das von den Organen der Union in Ausübung der der Union über-tragenen Zuständigkeiten gesetzte Recht haben Vorrang vor dem Recht der Mitglied-staaten.“

Diese Vertragsbestimmung bringt, wie die Konferenz der Vertreter der Mitgliedstaaten mit-tels dem Vertrag beigefügter Erklärung förmlich festgehalten hat (Erklärung zu Art. I-6 VV), „die geltende Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften und des Gerichts erster Instanz zum Ausdruck“ und begrenzt den Vorrang des Rechts der Union aus-drücklich auf den Bereich der den europäischen Institutionen zugewiesenen Kompetenzaus-übung. Dieser Vorrang (primacía) stellt sich nicht als hierarchische Überordnung, sondern als ein „existenzielles Erfordernis“ dieses Rechts dar, um in der Praxis die unmittelbare Gel-tung und die einheitliche Anwendung in allen Staaten zu erreichen. Die Eckpunkte, die so für die Abgrenzung des Geltungsbereich dieses Prinzips aufgestellt werden, sind, wie wir sehen werden, maßgeblich für sein Verständnis im Lichte der uns eigenen Verfassungskategorien.Um den beanspruchten Vorrang (primacía) und den Rahmen, in dem er sich entfaltet, rich-tig zu verstehen, ist als erstes hervorzuheben, dass der Vertrag über eine Verfassung für Eu-ropa von dem Respekt für die Identität der in ihr integrierten Staaten und ihrer grundlegen-den Verfassungsstrukturen ausgeht und dass er sich auf die Werte gründet, auf denen die Verfassungen der genannten Staaten beruhen.

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In dieser Hinsicht ist Art. I-5 Abs. 1 VV hinreichend deutlich, wenn es heißt:„Die Union achtet die Gleichheit der Mitgliedstaaten vor der Verfassung sowie die nati-onale Identität der Mitgliedstaaten, die in deren grundlegender politischer und verfas-sungsrechtlicher Struktur einschließlich der regionalen und kommunalen Selbstverwal-tung zum Ausdruck kommt. Sie achtet die grundlegenden Funktionen des Staates, ins-besondere die Wahrung der territorialen Unversehrtheit, die Aufrechterhaltung der öf-fentlichen Ordnung und den Schutz der nationalen Sicherheit.“

Zugleich ist, was die Werte anbelangt, auf die sich die Union stützt, Art. I-2 VV eindeutig, der in dieser Hinsicht bestimmt:

„Die Werte, auf die sich die Union stützt, sind die Achtung der Menschenwürde, Frei-heit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte der Personen, die Minderheiten angehören. Diese Werte sind allen Mitgliedstaaten in einer Gesellschaft gemeinsam, die sich durch Pluralismus, Nichtdiskriminierung, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und die Gleichheit von Män-nern und Frauen auszeichnet.“

Was seinerseits seine normative Fortsetzung in der im zweiten Teil des Vertrags enthaltenen Charta der Grundrechte der Union findet, deren Präambel versichert, dass sich die Union „auf die unteilbaren und universellen Werte der Würde des Menschen, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität [gründet]“ und dass keine ihrer Regelungen „als eine Ein-schränkung oder Verletzung der Menschenrechte und Grundfreiheiten auszulegen [ist], die ... durch die Verfassungen der Mitgliedstaaten anerkannt werden“ (Art. II-113 des Ver-trags).Diese Bestimmungen tragen, neben anderen, dazu bei, die Gewährleistung der Existenz und der grundlegenden Strukturen der Staaten wie ihrer Werte, Prinzipien und Grundrechte, die nach Übertragung der Kompetenzausübung an die überstaatliche Organisation keinesfalls unkenntlich werden dürfen, zu verankern; das Fehlen oder die fehlende Ausdrücklichkeit einer solchen Garantie rechtfertigte jene Vorbehalte gegenüber dem Vorrang des Gemein-schaftsrechts vor der Verfassung, die zuvor in den einschlägigen Entscheidungen der Verfas-sungsgerichtsbarkeiten einiger Staaten formuliert worden sind, was in der Lehre zutreffend als Dialog zwischen den Verfassungsgerichten und dem Gerichtshof der Europäischen Ge-meinschaften bezeichnet wird.Die Grenzen, auf die sich die Vorbehalte der besagten Verfassungsgerichtsbarkeiten bezo-gen, erscheinen nun mit anderen Worten, auf unmissverständliche Weise in dem Vertrag niedergelegt, der uns zur Überprüfung unterbreitet wurde, womit seine Vorschriften letzt-endlich den Anforderungen der Verfassungen der Mitgliedstaaten entsprechen.So gilt der Vorrang, den der Vertrag über eine Verfassung für Europa vorsieht, nämlich für eine Rechtsordnung, die auf die gemeinsamen Verfassungswerte der in die Union integrier-ten Mitgliedstaaten und deren Verfassungstraditionen aufbaut. Auf der Grundlage dieser Ga-rantien ist ferner zu betonen, dass sich der Vorrang, der in dem in Frage stehenden Art. I-6 VV für den Vertrag und das Sekundärrecht aufgestellt wird, ausdrücklich auf die Ausübung der der Europäischen Union zugewiesenen Kompetenzen beschränkt. Es ist also kein Vor-rang allgemeiner Reichweite, sondern ein ausschließlich auf die der Union eigenen Kompe-tenzen bezogener. Diese Kompetenzen sind gemäß dem Prinzip der begrenzten Einzeler-mächtigung (Art. I-11 Abs. 2 des Vertrags) abgegrenzt, demzufolge „die Union innerhalb der Grenzen der Zuständigkeit tätig [wird], die die Mitgliedstaaten ihr in der Verfassung zur Ver-wirklichung der darin niedergelegten Ziele übertragen haben“ (Art. I-11 Abs. 2 VV). Der Vorrang greift also in Bezug auf Kompetenzen, die an die Union durch den souveränen Wil-

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len des Staates abgegeben wurden und die auch über das in Art. I-60 des Vertrags vorgesehe-ne Verfahren des „freiwilligen Austritts“ souverän zurückgewonnen werden können.Zugleich muss hervorgehoben werden, dass die Union ihre nicht ausschließlichen Kompe-tenzen gemäß den Prinzipien der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit (Art. I-11 Abs. 3 und 4 VV) ausüben muss, so dass das Phänomen der Kompetenzausdehnung, das früher durch den funktionalen und dynamischen Charakter des Gemeinschaftsrechts begünstigt wurde, rationalisiert und begrenzt wird. Zudem kann die Union von nun an aufgrund der „Flexibilitätsklausel“, so wie sie heute in Art. I-18 des Vertrags erfasst ist, bei Fehlen spezi-fischer Befugnisse zur Vornahme von Handlungen, die zur Erreichung ihrer Ziele erforder-lich sind, nur durch Maßnahmen handeln, die vom Ministerrat auf Vorschlag der Kommissi-on und nach Zustimmung des Europäischen Parlaments einstimmig angenommen wurden, wobei die Beteiligung der nationalen Parlamente im Rahmen des in Art. I-11 Abs. 3 des Vertrags genannten Verfahrens zur Kontrolle des Subsidiaritätsprinzips vorgesehen ist.Was die Art der Kompetenzverteilung zwischen der Europäischen Union und den Mitglied-staaten angeht, so bestimmen die Artikel I-12 bis I-17 des Vertrags den der Union zugehöri-gen Kompetenzbereich mit größerer Präzision. Dementsprechend verändert der neue Ver-trag die Situation, die durch unseren Beitritt zu den Gemeinschaften geschaffen wurde, im Wesentlichen nicht; er vereinfacht und ordnet sie höchstens auf eine Art neu, die die Reich-weite der von Spanien durchgeführten Übertragung der Kompetenzausübung deutlicher macht. Aber vor allem wird deutlich, dass die Kompetenzen, deren Ausübung der Europäi-schen Union übertragen werden, nicht ohne Verstoß gegen den Vertrag selbst als Grundlage für das Zustandekommen gemeinschaftsrechtlicher Normen dienen könnten, deren Inhalt Werten, Prinzipien oder Grundrechten unserer Verfassung widerspräche.

4. Zur Vereinbarkeit von Vorrang des Gemeinschaftsrechts und Vorherrschaft der Verfassung

Nachdem wir somit die wesentlichen Elemente des normativen Rahmens geklärt haben, in dem die Bestimmung steht, auf die sich die Zweifel der Regierung beziehen, ist hervorzu-heben, dass die Regierung sich die vom Staatsrat in seinem Gutachten vom 21. Oktober 2004 ausgedrückten Zweifel betreffend die Vereinbarkeit dieses Artikels mit der Verfassung zu Eigen macht, wobei als die Bestimmung der Verfassung, zu der ein Widerspruch möglich erscheint, Art. 9 Abs. 1 ausgemacht wird, der ein Prinzip der Vorherrschaft (supremacía) der Verfassung ausdrücke, auf das sich Titel IX der Grundnorm („Über das Verfassungsge-richt“) gründet und für dessen Sicherstellung die Vorschriften des Titels X („Über die Ver-fassungsänderung“) sorgen. Stellt man den Zusammenhang, in dem die Frage gestellt wird, in Rechnung, dann müsste sich der angenommene Widerspruch eigentlich sogar auf Art. 1 Abs. 2 der Verfassung erstrecken, denn die angeblich durch den Vertrag gefährdete Vorherr-schaft (supremacía) wird von einer Norm behauptet, die das insoweit beansprucht, wie sie selbst Ausdruck der Ausübung des verfassungsgebenden Staatswillens durch das spanische Volk ist, in dem die nationale Souveränität gründet.Dessen ungeachtet werden wir umgehend sehen, dass ein solcher Widerspruch nicht exis-tiert.Dass die Verfassung die höchste Norm der spanischen Rechtsordnung darstellt, ist ein Um-stand, der zwar in keiner ihrer Bestimmungen ausdrücklich niedergelegt ist, der sich aber zweifellos aus zahlreichen Verfassungsvorschriften, unter anderem Artikel 1 Abs. 2, 9 Abs. 1, 95, 161, 163, 167, 168, und der Aufhebungsvorschrift CE, ergibt, und der Wesensinhalt

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ihrer Beschaffenheit als Grundnorm ist – eine Vorherrschaft (supremacía) oder ein höherer Rang der Verfassung gegenüber jeder anderen Norm, und konkret gegenüber völkerrechtli-chen Verträgen, wie wir in der Erklärung 1/1992 (1. Entscheidungsgrund) annahmen. Die Verkündung des Vorrangs (primacía) des Rechts der Union durch Art. I-6 des Vertrags wi-derspricht der Vorherrschaft (supremacía) der Verfassung gleichwohl nicht.Vorrang (primacía) und Vorherrschaft (supremacía) sind Kategorien, die sich in verschiede-nen Ordnungen entfalten. Der Vorrang (primacía) kommt bei der Anwendung gültiger Nor-men zum Tragen, die Vorherrschaft (supremacía) in den Rechtsetzungsverfahren.Hinter der Vorherrschaft (supremacía) steht der hierarchisch höherrangige Charakter einer Norm, weswegen sie Geltungsgrund der ihr nachgeordneten Normen ist, mit der Folge der Ungültigkeit der niedrigeren Normen, wenn sie gegen das in der höherrangigen Norm zwin-gend Angeordnete verstoßen. Der Vorrang (primacía) dagegen behauptet sich nicht notwen-digerweise über Hierarchie, sondern besteht in der Unterscheidung der Anwendungsberei-che verschiedener, grundsätzlich gültiger, Normen, von denen trotzdem die eine oder einige die Fähigkeit besitzen, andere aus verschiedenen Gründen aufgrund ihrer vorzugsweisen oder vorgehenden Anwendung zu verdrängen. Prinzipiell impliziert jede Vorherrschaft (su-premacía) auch den Vorrang (primacía) (daher sein Gebrauch bei vergleichbaren Gelegen-heiten, wie in unserer Erklärung 1/1992, 1. Entscheidungsgrund), es sei denn, dass dieselbe höchste Norm in irgendeinem Bereich ihre eigene Verdrängung oder Nicht-Anwendung vor-gesehen hat. Die Vorherrschaft (supremacía) der Verfassung ist also mit Anwendungsregi-men vereinbar, die den Normen einer anderen als der nationalen Rechtsordnung Anwen-dungspräferenz verleihen, vorausgesetzt, dass die Verfassung selbst es so bestimmt hat. Ge-nau das ist es, was bei der in Art. 93 enthaltenen Regelung geschieht, mittels derer die Übertragung von aus der Verfassung abgeleiteten Kompetenzen zugunsten einer internatio-nalen Institution ermöglicht wird. Dadurch wird diese Institution von Verfassungs wegen ermächtigt, in Sachgebieten, die bis dahin der innerstaatlichen verfassungsmäßigen Gewalt vorbehalten waren, Normen zu setzen und auf dieselben anzuwenden. Zusammenfassend: es war die Verfassung selbst, die, kraft ihres Art. 93 CE, den Vorrang (primacía) des Uni-onsrecht in dem ihm zustehenden Bereich, akzeptiert hat, so, wie man ihn jetzt ausdrücklich in Art. I-6 des Vertrags anerkennt.Und so ist es zwischen uns seit der Eingliederung Spaniens in die Europäischen Gemein-schaften 1986 gewesen. Damals hat sich ein autonomes Rechtssystem in die spanische Rechtsordnung eingefügt, ausgestattet mit einem spezifischen Regime der Anwendbarkeit, das sich auf das Prinzip gründete, dass sich seine eigenen Bestimmungen gegenüber jeder aus der innerstaatlichen Ordnung, mit der sie in Widerspruch geraten könnten, durchsetzen. Dieses Vorrangprinzip (primacía), eine Rechtsprechungskonstruktion, war bereits Bestand-teil des kraft des Zustimmungs-Organgesetzes 10/1985 vom 2. August über den Beitritt Spaniens zu den Europäischen Gemeinschaften aufgenommenen gemeinschaftlichen Be-sitzstands, denn es geht auf die mit der Entscheidung vom 15. Juli 1964 (Costa/ENEL) vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften begonnene Doktrin zurück.Im Übrigen hat unsere Rechtsprechung seit längerem den Vorrang des europäischen Ge-meinschaftsrechts vor dem innerstaatlichen Recht im Bereich der „aus der Verfassung abge-leiteten Kompetenzen“, deren Ausübung Spanien den Gemeinschaftsinstitutionen, wie ge-sagt, auf der Grundlage des Art. 93 CE zugewiesen hat, friedlich anerkannt.Konkret haben wir uns in unserer Entscheidung 28/1991 vom 14. Februar, 6. Entschei-dungsgrund, unter teilweiser Wiedergabe der Entscheidung Simmenthal des Europäischen Gerichtshofs vom 9. März 1978, und in der späteren Entscheidung 64/1991 vom 22. März,

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Entscheidungsgrund 4a, ausdrücklich auf den Vorrang des Gemeinschaftsrechts (primacía) als maßgebende, zur Sicherung der Effektivität des Gemeinschaftsrechts bestimmte Technik oder Prinzip bezogen. In unseren nachfolgenden Entscheidungen 130/1995 vom 11. Sep-tember, 4. Entscheidungsgrund, 120/1998 vom 15. Juni, 4. Entscheidungsgrund und 58/2004 vom 19. April, 10. Entscheidungsgrund, wiederholen wir die Anerkennung dieses Vorrangs der – originären und abgeleiteten – Normen der Gemeinschaftsrechtsordnung vor dem in-nerstaatlichen Recht sowie ihre unmittelbare Wirkung für die Bürger und übernehmen die Charakterisierung, welche der Europäische Gerichtshof für diesen Vorrang und diese Gel-tung unter anderem in seinen bekannten und bereits lange zurückliegenden Entscheidungen Van Gend en Loos, vom 5. Februar 1963, und, bereits erwähnt, Costa/Enel vom 15. Juli 1964, vorgenommen hatte.In Anbetracht des Gesagten ist also zu schlussfolgern, dass dieser Gerichtshof auf der Basis dessen, was Art. 93 CE, richtig verstanden, anordnet und angesichts der konkreten, im vor-hergehenden Entscheidungsgrund bereits näher beschriebenen Vorschriften des Vertrags, keinen Widerspruch zwischen Art. I-6 des Vertrags und Art. 9 Abs. 1 CE feststellen kann, so dass die (Tatbestands-) Voraussetzung des Art. 95 Abs. 1 CE im Ergebnis nicht gegeben ist.Für den kaum denkbaren Fall, dass das Recht der Europäischen Union in seiner weiteren Entwicklung nicht mehr mit der spanischen Verfassung in Einklang zu bringen wäre, ohne dass die hypothetischen Überschreitungen des europäischen Rechts hinsichtlich der eigenen europäischen Verfassung über die dort vorgesehenen herkömmlichen Rechtsbehelfe beho-ben würden, könnten die Wahrung der Souveränität des spanischen Volkes und der Vorherr-schaft (supremacía), mit der sich die Verfassung versehen hat, in letzter Instanz von diesem Gerichtshof verlangen, die Probleme, die einem solchen Fall aufgeworfen würden und die aus der aktuellen Perspektive als inexistent angesehen werden, über die einschlägigen ver-fassungsrechtlichen Verfahren anzugehen. Abgesehen davon wäre der Schutz der erwähnten Souveränität letzten Endes jedenfalls durch Art. I-60 des Vertrags abgesichert, der einen echten Kontrapunkt zu Art. I-6 darstellt und der es ermöglicht, den in Art. I-6 VV bean-spruchten Vorrang (primacía) in seiner wirklichen Dimension zu bestimmen, d.h. außer-stande ist, sich über die Ausübung des Austrittsrechts hinwegzusetzen, die dem höchsten, souveränen, Willen der Mitgliedstaaten vorbehalten bleibt.

5. Zur Bedeutung der Art. II-111 und II-112 VV

Die Regierung begehrt auch eine Erklärung über den möglichen Widerspruch zweier Ver-tragsbestimmungen mit der Verfassung, die in Titel VII des Teils II enthalten sind und die den Anwendungsbereich sowie die Reichweite und Auslegung der Rechte und Prinzipien der Charta der Grundrechte der Union betreffen, die in Nizza am 7. Dezember 2000 verkün-det und jetzt in den Vertrag eingefügt wurde. Die erste der Bestimmungen, nach der die Regierung fragt, ist der Artikel II-111. Dort heißt es:„1. Diese Charta gilt für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter

Wahrung des Subsidiaritätsprinzips und für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union.

Dementsprechend achten sie die Rechte, halten sie sich an die Grundsätze und fördern sie deren Anwendung entsprechend ihren jeweiligen Zuständigkeiten und unter Achtung der Grenzen der Zuständigkeiten, die der Union in anderen Teilen der Verfassung über-tragen werden.

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2. Diese Charta dehnt den Geltungsbereich des Unionsrechts nicht über die Zuständigkei-ten der Union hinaus aus und begründet weder neue Zuständigkeiten noch neue Aufga-ben für die Union, noch ändert sie die in den anderen Teilen der Verfassung festgelegten Zuständigkeiten und Aufgaben.“

Die zweite der Vertragsbestimmungen, auf die die Regierung hinweist, der Artikel II-112, sieht folgendes vor:„1. Jede Einschränkung der Ausübung der in dieser Charta anerkannten Rechte und Freihei-

ten muss gesetzlich vorgesehen sein und den Wesensgehalt dieser Rechte und Freiheiten achten. Unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit dürfen Einschränkun-gen nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union aner-kannten, dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schut-zes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.

2. Die Ausübung der durch diese Charta anerkannten Rechte, die in anderen Teilen der Verfassung geregelt sind, erfolgt im Rahmen der dort festgelegten Bedingungen und Grenzen.

3. Soweit diese Charta Rechte enthält, die den durch die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten garantierten Rechten entsprechen, ha-ben sie die gleiche Bedeutung und Tragweite, wie sie ihnen in der genannten Konventi-on verliehen wird. Diese Bestimmung steht dem nicht entgegen, dass die Union einen weiter gehenden Schutz gewährt.

4. Soweit in dieser Charta Grundrechte anerkannt werden, wie sie sich aus den gemeinsa-men Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten ergeben, werden sie im Einklang mit diesen Überlieferungen ausgelegt.

5. Die Bestimmungen dieser Charta, in denen Grundsätze festgelegt sind, können durch Akte der Gesetzgebung und der Ausführung der Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union sowie durch Akte der Mitgliedstaaten zur Durchführung des Rechts der Union in Ausübung ihrer jeweiligen Zuständigkeiten umgesetzt werden. Sie können vor Gericht nur bei der Auslegung dieser Akte und bei Entscheidungen über deren Rechtmäßigkeit herangezogen werden.

6. Den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten ist, wie es in dieser Char-ta bestimmt ist, in vollem Umfang Rechnung zu tragen.

7. Die Erläuterungen, die als Anleitung für die Auslegung der Charta der Grundrechte ver-fasst wurden, sind von den Gerichten der Union und der Mitgliedstaaten gebührend zu berücksichtigen.“

Nach Auffassung der Regierung, die sich auch hier die Ansicht des Staatsrats zu Eigen macht, kollidieren die Bestimmungen der Charta nicht mit der verfassungsrechtlichen Aus-gestaltung der Rechte und Freiheiten, vor allem, wenn man die Berufung auf die Europäi-sche Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundrechte in Artikel II-112 Abs. 3 des Vertrags in Betracht zieht, denn die gemeinsame Verweisung des Vertrags und des Art. 10 Abs. 2 der Verfassung auf diese Konvention bedeutet die substantielle Übereinstimmung des Teils II des Vertrags mit der Werteordnung, den Rechten und Prinzipien, die durch die Spanische Verfassung garantiert werden. Die Regierung nimmt allerdings an, dass sich aus der Koexistenz dreier Grundrechtregime (Verfassung, Europäische Konvention und Charta), die notwendigerweise einen nicht ganz unproblematischen Prozess gegenseitiger Einflüsse herbeiführen wird, Schwierigkeiten ergeben könnten. Der Staatsrat bemerkt in seinem Gut-achten insbesondere, dass es diesem Gerichtshof zukommen wird, „die Bindung der spani-schen öffentlichen Gewalt durch die Charta sowie das Verhältnis dieser zu unserem Verfas-

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sungssystem der Rechte und Freiheiten und die Art und Weise der Bereinigung ihr wider-sprechender Normen klarzustellen“.In dem Kabinettsbeschluss über die vorliegende Anfrage wird die genannte Überlegung des Staatsrats offenbar so interpretiert, dass die Probleme, die sich aus der Koexistenz dreier, die Grundrechte und – freiheiten garantierenden Regime ergeben, gerade im Rahmen des vorliegenden Verfahrens nach Art. 95 Abs. 2 CE durch diesen Gerichtshof beantwortet wer-den würden. Dennoch beschränkt sich die konkrete von der Regierung gestellte Frage auf die Vereinbarkeit der Artikel II-111 und II-112 des Vertrags mit der Verfassung „angesichts dessen, was in Artikel 10 Abs. 2 der Spanischen Verfassung niedergelegt ist“. In Anbetracht all dessen erstreckt sich die Regierungsfrage, auf die hier eine Antwort gegeben werden kann, lediglich auf die Vereinbarkeit eines Rechtssystems mit der Verfassung, das sich, dank der in Art. 10 Abs. 2 der Verfassung enthaltenen Verweisung, nach seiner Integration zu ei-nem maßgebenden Parameter der Ausgestaltung der Rechte und Freiheiten erheben würde, und zwar nicht nur im ureigenen Bereich des europäischen Rechts, sondern, wegen des da-mit einhergehenden expansiven Zuschnitts, auch im rein innerstaatlichen Bereich.

6. Zur Vereinbarkeit der Grundrechtecharta mit den Grundrechten der spanischen Verfassung

Die Fragen der Zusammenfügung von Gewährleistungsregimen sind für unser Grundrechts-system kennzeichnend, in dem, ausgehend von der Konkurrenz völkerrechtlicher und rein innerstaatlicher Normen, diesem Verfassungsgericht die Aufgabe zukommt, den konkreten Inhalt der von der spanischen öffentlichen Gewalt gesicherten Rechte und Freiheiten zu prä-zisieren, wobei die internationalen Normen mit eigenen Instanzen zu ihrem Schutz und da-mit auch zur qualifizierten Bestimmung ihres Inhaltes und Reichweite versehen sind. Die konkreten Einordnungsfragen, die sich (im Hinblick auf die Grundrechte der Charta und die der spanischen Verfassung, Anm. d. Bearb.) mit der Integration des Vertrags stellen könn-ten, können nicht Gegenstand einer abstrakten Vorabstellungnahme sein. Wie im Hinblick auf die Fragen, die die Integration der Konvention von Rom2 von Anfang an aufwirft, kann hier nur im Rahmen der verfassungsprozessualen Verfahren, die diesem Gerichtshof zur Entscheidung zugewiesen sind, eine Lösung erzielt werden, das heißt, indem für jedes kon-krete Recht die in seinen spezifischen Umständen passendste Formel aus Verknüpfung und Abgrenzung erwogen wird – in ständigem Dialog mit den Rechtsprechungsinstanzen, die jeweils zur authentischen Auslegung der internationalen Abkommen berechtigt sind, die Be-stimmungen enthalten, welche mit den in der spanischen Verfassung niedergelegten Rechten übereinstimmen.Die Frage, die hier also einer Prüfung unterzogen werden kann, bezieht sich auf den eventu-ellen Widerspruch einer Grundrechtecharta mit der Verfassung, die kraft der Anordnung aus Art. 10 Abs. 2 CE nach ihrer Integration in die spanische Rechtsordnung zum Vorbild für die Auslegung der „von der Verfassung anerkannten Grundrechts- und Freiheitsnormen“ erklärt würde; selbstverständlich gilt dies unbeschadet ihres Gehalts als Recht der Union, das in das unsere über Art. 93 CE integriert wurde. Einen anderen Sinn kann die Bezugnah-me auf die Artikel II-111 und II-112 des Vertrags, die den Anwendungsbereich der Rechte der Charta beziehungsweise die entscheidenden Kriterien ihrer Auslegung und Reichweite

2 Gemeint ist die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK).

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abstecken, nicht haben. Im Hinblick auf ersteres sieht der Vertrag die „Organe, Einrichtun-gen und sonstigen Stellen“ der Union sowie die Mitgliedstaaten „bei der Durchführung des Rechts“ der Union als Adressaten der Charta an, dies unter dem ausdrücklichen Vorbehalt, dass die Charta den Kompetenzbereich der Europäischen Union nicht erweitert. Diese Be-grenzung des Anwendungsbereichs der Charta – und damit der in Art. II-112 VV genannten Auslegungskriterien – würde nicht zu verhindern vermögen, dass sich die Charta bei Ertei-lung der Zustimmung, sich durch den Vertrag zu binden, als ein von Spanien ratifiziertes Grundrechts-Abkommen in dem allgemeinen, in Art. 10 Abs. 2 CE vorgesehenen, Umfang auf die Auslegung der in der Verfassung niedergelegten Rechte und Freiheiten auswirken würde.Die Frage ist also, ob die unvermeidliche Ausweitung der Auslegungskriterien der Charta über den durch Artikel II-111 VV festgelegten Umfang hinaus mit dem Regime der durch die Verfassung garantierten Grundrechte und –freiheiten vereinbar ist oder nicht. Mit ande-ren Worten, es geht darum, ob die im Vertrag für die Organe der Union und die Mitglied-staaten bei der Durchführung des Europarechts aufgestellten Kriterien mit den Grundrech-ten der Verfassung in Einklang zu bringen sind oder nicht und ob die spanische öffentliche Gewalt ihnen insoweit auch dann unterliegt, wenn diese außerhalb des Rechts der Union tätig wird, das heißt, auch unter Umständen, die keinerlei Beziehung zu der genannten Rechtsordnung aufweisen. Schließlich ist nicht zu vergessen, dass aus all diesem klar her-vorgeht, dass die Anwendung der Grundrechte der Charta durch den nationalen Richter als europäischem Richter fast ohne Ausnahme im Sinne einer gleichförmigen Anwendung des entsprechenden nationalen Grundrechts angenommen werden kann; eine Hypothese, ange-sichts der es sinnvoll ist, die Frage zu stellen, ob sich die Interpretation der Verfassungs-rechte im Lichte der Charta (Art. 10 Abs. 2 CE) ihrerseits mit der Beschreibung verträgt, die sich unserer Rechtsprechung über dieselben entnehmen lässt, die, wie gesagt, immer die Verträge und Abkommen in der Materie berücksichtigt.Es ist ständige Rechtsprechung dieses Gerichtshofs, dass die völkerrechtlichen Verträge und Abkommen, auf die Art. 10 Abs. 2 der Verfassung verweist, derart „wertvolle hermeneuti-sche Kriterien für den Sinn und die Reichweite der Rechte und Freiheiten, die die Verfas-sung anerkennt, darstellen“, dass sie zu berücksichtigen sind, „um den Sinn und die Reich-weite des spezifischen Grundrechts, das unserer Verfassung anerkennt, zu bekräftigen“ [STC 292/2000 vom 30. November, 8. Entscheidungsgrund, mit Hinweis gerade auf die Charta von Nizza; auch STC 53/2002 vom 27. Februar, Entscheidungsgrund 3b)]. Der Ein-fluss, den die Charta auf die Auslegung in Grundrechtsangelegenheiten hätte, würde in die-sem Umfang in unserer Rechtsordnung keine größeren Schwierigkeiten verursachen als je-ne, welche die die Konvention von Rom von 1950 schon heutzutage hervorruft, einfach weil sowohl unsere eigene Verfassungsrechtsdoktrin (auf der Grundlage des Art. 10 Abs. 2 CE) als auch der Artikel II-112 VV selbst (wie die „Erklärungen“ zeigen, die sich über Artikel II-112 Absatz 7 VV als Auslegungsmittel in den Vertrag einfügen) mit einem Bündel von Verweisungen auf die europäische Konvention3 operieren, die im Ergebnis die Recht-sprechung des Straßburger Gerichtshofs zum kleinsten gemeinsamen Nenner für die Auf-stellung gemeinsamer Auslegungselemente erklären. Dies gilt umso mehr, wenn Art. I-9 Abs. 2 VV zwingend bestimmt: „Die Union tritt der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten bei“.

3 Gemeint ist die EMRK.

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Diese Reduktion der mit der Konkurrenz von Auslegungskriterien verknüpften Komplexität besagt nichts Neues über die Bedeutung, welche die Rechtsprechung der Gerichte der Euro-päischen Union für die Definition jedes einzelnen Rechts hat. Mit anderen Worten bedeutet es keinen qualitativen Wechsel für die Relevanz dieser Rechtsprechung bei der letztendli-chen Ausgestaltung der Grundrechte durch diesen Verfassungsgerichtshof. Es bedeutet ein-fach, dasss der Vertrag sich die Rechtsprechung eines Gerichtshofs zu Eigen macht, dessen Doktrin schon über den Weg des Art. 10 Abs. 2 CE in unsere Rechtsordnung integriert ist, so dass keine neuartigen oder größeren Schwierigkeiten für die geordnete Zusammenfü-gung unseres Grundrechtssystems festzustellen sind. Soweit Probleme entstehen, werden sie sich, wie schon gesagt wurde, nur anlässlich der einzelnen Verfassungsprozesse, über die wir entscheiden können, begreifen und lösen lassen können.Im Übrigen ist weiterhin zu betonen, dass Artikel II-113 des Vertrags bestimmt, dass keine der Vorschriften der Charta „als eine Einschränkung oder Verletzung der Menschenrechte und Grundfreiheiten auszulegen [ist], die in dem jeweiligen Anwendungsbereich durch das Recht der Europäischen Union und das Völkerrecht sowie durch die internationalen Über-einkünfte, bei denen die Union und die Mitgliedstaaten Vertragspartei sind, darunter insbe-sondere die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, sowie durch die Verfassungen der Mitgliedstaaten anerkannt werden“, womit, abgesehen von der Gründung der Grundrechtecharta auf eine Wertegemeinschaft mit den Verfassungen der Mitgliedstaaten, eindeutig darauf hingewiesen wird, dass die Charta sich in jedem Fall als eine Minimalgarantie versteht, auf deren Basis der Inhalt jeden Rechts und jeder Freiheit bis zu der Dichte, die im jeweiligen Fall durch das innerstaatliche Recht gewährleistet ist, entwickelt werden kann.Als Antwort auf die zweite Frage der Regierung ist somit festzuhalten, dass kein Wider-spruch zwischen der Spanischen Verfassung und den Art. II-111 und II-112 des Vertrags über eine Verfassung für Europa besteht.

7. Zur dritten Frage der Regierung hinsichtlich Art. 93 CE

Im Hinblick auf den dritten Punkt, hinsichtlich dessen die Regierung an einer Stellungnah-me dieses Gerichtshofs interessiert ist, also der Frage nach der hinreichenden Eignung des Art. 93 der Verfassung für die Integration des Vertrags in spanisches Recht, ist dies in den vorhergehenden Entscheidungsgründen praktisch bestätigt geworden ist, weshalb es nicht sinnvoll ist, das zuvor Gesagte hier zu wiederholen, sondern ein bloßer Verweis auf das Dar-gestellte genügt.Andere Erwägungen, die die Regierung, den vom Staatsrat (Consejo del Estado) vorge-brachten Hinweisen folgend, hinsichtlich der etwaigen Zweckmäßigkeit einer Änderung der gegenwärtigen Fassung des Art. 93 CE vorbringt, um sich in dem Artikel selbst ausdrück-lich auf den europäischen Integrationsprozess zu beziehen und um sogar Weiterentwicklun-gen dieses Prozesses leicht aufzufangen, bewegen sich auf der Ebene von Opportunitätser-wägungen, worüber wir uns offenkundig nicht zu äußern haben, denn unsere Kompetenz zur Rechtsprechung – und darum handelt es sich auch in diesem Verfahren, wie eingangs ausgeführt – befähigt uns nur, über das verfassungsrechtlich Gebotene zu entscheiden. Un-ter diesem zuletzt genannten Aspekt ist Art. 93 CE in seinem aktuellen Wortlaut ausreichend für die Integration eines Vertrags wie dem, der Gegenstand unserer Untersuchung ist.

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8. Zur Frage einer Verfassungsänderung

Schließlich, und im Hinblick auf die vierte der von der Regierung vorgelegten Fragen, ist zu sagen, dass deren Prämisse, nämlich die Erforderlichkeit einer Verfassungsänderung, im vorliegenden Fall gerade nicht gegeben ist, weil kein Widerspruch zwischen den Bestim-mungen des Vertrags, der Gegenstand des Ersuchens der Regierung war, und der Spani-schen Verfassung festgestellt wurde, weswegen es keinen Sinn macht, sich über die genann-te Frage zu äußern.

Unter Berücksichtigung all des Dargelegten ERKLÄRT der Verfassungsgerichtshof MIT DER IHM VON DER VERFASSUNG DER SPANISCHEN NATION VERLIEHENEN AUTORITÄT,

1. dass kein Widerspruch zwischen der spanischen Verfassung und Artikel I-6 des am 29. Oktober 2004 in Rom unterzeichneten Vertrags über eine Verfassung für Europa be-steht,

2. dass kein Widerspruch zwischen der spanischen Verfassung und den Art. II-111 und II-112 des genannten Vertrags besteht,

3. dass Art. 93 der spanischen Verfassung eine hinreichende Grundlage für die Erteilung der Zustimmung des Staates zu dem erwähnten Vertrag darstellt,

4. dass es sich erübrigt, zur vierten Frage der Regierung Stellung zu nehmen.

Diese Erklärung ist im „Amtsblatt des Staates“ (Boletín Oficial del Estado) zu veröffentli-chen.

Madrid, den 13. Dezember 2004.

[Es folgen abweichende Voten der Richter Delgado Barrio, García-Calvo y Montiel und Rodríguez Arribas. ]

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Vorrang versus Vorherrschaft –Anmerkung zum Urteil des spanischen Tribunal Constitucional DTC 1/2004

Von Anne C. Becker, Berlin*

Spanien hat am 20. Februar 2005 als erster europäischer Staat ein (konsultatives) Referen-dum über den Vertrag über eine Verfassung für Europa abgehalten. Angesichts der Zustim-mung von 78, 5 % hat dies den Weg für eine Ratifikation des am 29. Oktober 2004 von den Staats- und Regierungschefs der EU-Mitgliedstaaten in Rom unterzeichneten Verfassungs-vertrags (VVE) durch den spanischen Staat geebnet. Nachdem auch die beiden Parlaments-kammern, der Abgeordnetenkongress (28. April) und der Senat (18. Mai), ihre Zustimmung erteil haben, hat Spanien den Verfassungsvertrag inzwischen, als siebter EU-Mitgliedstaat, ratifiziert.Zuvor galt es jedoch, Gewissheit über die Widerspruchsfreiheit zwischen dem VVE und der spanischen Verfassung (Constitución Española, CE) zu schaffen. Art. 95 Abs. 1 CE be-stimmt nämlich, dass die Ratifikation eines internationalen Vertrags, der im Widerspruch zur Verfassung steht, der vorherigen Verfassungsänderung bedarf. Für die verbindliche Fest-stellung der Vereinbarkeit von Vertrag und Verfassung ist gem. Art. 95 Abs. 2 CE das spani-sche Verfassungsgericht, das Tribunal Constitucional (TC), zuständig. Dieses Verfahren wurde bereits ein Mal, anlässlich der Ratifikation des Vertrags von Maastricht, angewandt. Die damalige Feststellung des TC, dass der Vertrag von Maastricht nicht mit dem Text der spanischen Verfassung zu vereinbaren sei, führte zur ersten und bislang einzigen Änderung der Verfassung von 1978.In Bezug auf den VVE nun hat die spanische Regierung dem TC folgende Fragen zur Prü-fung vorgelegt: erstens, ob Art. I-6 VVE der spanischen Verfassung widerspricht; zweitens, ob die Art. II-111 und II-112 VVE mit der spanischen Verfassung vereinbar sind; drittens, ob Art. 931 CE eine ausreichende Grundlage für die Zustimmung zu diesem Vertrag bildet, und viertens, sollte ein Widerspruch zwischen dem Vertrag und der Verfassung festgestellt werden, über das einschlägige Verfahren zur Verfassungsänderung.Das TC stellt in seiner Entscheidung vom 13. Dezember 2004 fest, dass keiner der vermute-ten Widersprüche besteht und erklärt den Verfassungsvertrag folglich für mit der spanischen Verfassung vereinbar (I.). Teilweise stellt dies eine konsequente Fortsetzung der bisherigen Rechtsprechung des TC zur europäischen Integration dar. Darüber hinaus trifft das TC auch neue Aussagen zur materiellen Dimension des Art. 93 CE sowie zu den verfassungsrechtli-chen Grenzen der Integration (II. und III.). Damit bestärkt es Bestrebungen zu einer Reform des Art. 93 CE, mit der die Integrationsklausel der spanischen Verfassung trotz fehlender Notwendigkeit einer Verfassungsänderung an die Fortentwicklung der europäischen Union angepasst werden soll (IV.).

* Die Autorin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Walter Hallstein-Institut für Europäisches Verfassungsrecht, Humboldt-Universität zu Berlin. Ich danke Edgar Lenski, Jan Witzmann und Franz Mayer (HU Berlin) für ihre kritischen Anmerkungen.

1 Art. 93 CE lautet: Durch ein Organgesetz kann der Abschluss von Verträgen autorisiert werden, durch die einer internationalen Organisation oder Institution die Ausübung von aus der Verfassung abgeleiteten Kompetenzen übertragen wird. Die Gewährleistung für die Erfüllung dieser Verträge und der Beschlüsse, die die internationa-len oder supranationalen Organisationen, denen die Kompetenzen übertragen wurden, obliegt je nach Fall den Cortes Generales oder der Regierung. (Alle im Wortlaut wiedergegebenen Bestimmungen der spanischen Ver-fassung nach A. Kimmel, Verfassungen der EU-Mitgliedstaaten, 5. Auflage, München 2000).

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I. Die Erklärung des Tribunal Constitucional, Mehrheitsmeinung und Sondervoten

1. Mehrheitsmeinung

Die drei Hauptaussagen des TC betreffen die Auslegung des Art. 93 CE, die Vereinbarkeit des Vorrangprinzips sowie der Grundrechtecharta mit der Verfassung.Zunächst erläutert es jedoch das Verfahren gem. Art. 95 Abs. 2 CE, das zugleich dem Schutz der Verfassung als höchster Norm der spanischen Rechtsordnung sowie der Sicherheit und Stabilität der internationalen Verpflichtungen des spanischen Staates dient, und betont den bindenden Charakter dieser Verfassungswidrigkeiten vorbeugenden Erklärung (1. Entschei-dungsgrund).

a) Auslegung der „Integrationsklausel“ des Art. 93 CE

Anschließend stellt es einige Erwägungen hinsichtlich der Reichweite und des Inhalts von Art. 93 CE an (2. Entscheidungsgrund), dessen Auslegung die Grundlage zur Beantwortung der weiteren Fragen bildet. Zugleich wird damit die Frage nach der hinreichenden Eignung des Art. 93 CE für die Ratifikation des VVE vorweggenommen.Zur Charakterisierung der Integrationsklausel der spanischen Verfassung bezieht es sich auf Aussagen früherer Urteile, insbesondere die Erklärung über den Vertrag von Maastricht (DTC 1/1992)2, wonach es sich in erster Linie um eine „Organisations- und Verfahrensvor-schrift“ handelt, die es ermöglicht, die Ausübung von Kompetenzen auf internationale Or-ganisationen zu übertragen. Mit der Übertragung verändere sich zwar der Anwendungs- und Geltungsbereich der abgegebenen Kompetenzen. Jedoch ermächtigt Art. 93 CE nicht zu einer impliziten Verfassungsänderung und kann auch keine inhaltlichen Widersprüche zur Verfassung rechtfertigen3.Diese auf formelle Gesichtspunkte reduzierte Auslegung4 ergänzt das TC nun um eine ma-terielle Dimension des Art. 93 CE, der als „Scharnier“ (bisagra) zwischen den Rechtsord-nungen fungiere und die Verfassung für andere Rechtsordnungen öffne. Auch, dass der Gel-tungsgrund der gemeinschaftsrechtlichen Normen in Folge der Integration nicht mehr in der Verfassung, sondern in dem von den Mitgliedstaaten abgeschlossenen Vertrag zu sehen ist, verortet das TC direkt in diesem Artikel der spanischen Verfassung. Die Notwendigkeit ei-ner auch materiellen Betrachtungsweise des Art. 93 CE folgt für das TC insbesondere aus der Erkenntnis, dass die EU als Empfängerin der übertragenen Kompetenzen mit den not-wendigen Wirkmechanismen ausgestattet werden muss, um dem von ihr gesetzten Recht effektiv Geltung zu verschaffen. Schließlich äußert sich das TC, wenngleich vage und rela-tiv unbestimmt, erstmals zu möglichen Grenzen der Integration, die sich (nur) implizit aus der Verfassung insgesamt sowie aus Sinn und Zweck des Art. 93 CE ergeben: es sind die Souveränität des spanischen Staates sowie seine grundlegenden Verfassungsstrukturen, Grundwerte und -prinzipien wie insbesondere die Grundrechte.

2 TC Erklärung 1/1991 vom 1. Juli 1992, BOE 24. Juli 1992 – Maastricht; eine deutsche Übersetzung der Erklä-rung ist in der EuGRZ 1993, S. 285 abgedruckt.

3 TC Erklärung 1/1992 vom 1. Juli 1992 – Maastricht (Fn. 2), Vierter Entscheidungsgrund.4 Vgl. zur weit verbreiteten Kritik an dieser Auslegung P. Pérez Tremps, Constitución Española y Unión Europea,

REDC 2004, S. 103 (105), der, inzwischen zum Verfassungsrichter berufen, an der Erklärung 1/2004 mitge-wirkt hat; R. Alonso García, Spanish Constitution and the European Constitution, German Law Journal 2005, 1001 (1007); A. López Castillo, Constitución e integración, Madrid 1996, S. 103 ff., 115 ff. mwN.

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b) Die Vereinbarkeit des Vorrangprinzips gem. Art. I-6 VVE mit der spanischen Verfassung

Die Ausführungen zur Vereinbarkeit des in Art. I-6 VVE statuierten Vorrangs (3. und 4. Ent-scheidungsgrund) stützen sich ganz wesentlich auf diese Lesart des Art. 93 CE, wenn das TC erklärt, die Verfassung selbst habe in dieser Bestimmung den Vorrang einer Rechtsord-nung wie der des Gemeinschaftsrechts anerkannt. Für die Vereinbarkeit des Vorrangprinzips mit der spanischen Verfassung führt es in erster Linie zwei eher faktische Argumente an: Zum einen gelte der Vorrang ohnehin nur im Rahmen der über Art. 93 CE in Ausübung der staatlichen Souveränität Spaniens übertragenen – und gem. Art. I-60 VVE rückholbaren – Kompetenzen. Zum anderen sei es angesichts der in Art. I-2 VVE beschriebenen Wertege-meinschaft der Union mit den mitgliedstaatlichen Verfassungen und der in Art. I-5 VVE statuierten Achtung der Union für die nationale Verfassungsidentität5 praktisch ausgeschlos-sen, dass Recht der Union gegen die spanische Verfassung verstoße, ohne dass dieser „Ex-zess“ zugleich eine Verletzung der europäischen Verfassung bedeute, die mit den Rechtsmit-teln auf europäischer Ebene beseitigt werde. Zudem bleibe die Souveränität Spaniens jeden-falls über die Möglichkeit eines Austritts aus der Union gem. Art. I-60 VVE gewahrt. Der Vertrag entspreche also bereits allen Anforderungen, die den mitgliedstaatlichen Verfassun-gen bisher als materielle Integrationsgrenzen entnommen wurden.Daneben ist von besonderem Interesse, wie das TC theoretisch begründet, dass der Vorrang (primacía) des Rechts der Union mit der Vorherrschaft (supremacía) der Verfassung als der ranghöchsten Norm vereinbar ist. Die Argumentation des TC baut auf einer Differenzierung zwischen diesen Konzepten auf, die sich im Deutschen nur begrenzt nachzeichnen lässt, weil beide Begriffe, primacía wie supremacía, „Vorrang“ bedeuten können6. Ihr wesentli-cher Unterschied ist darin zu sehen, dass nur der Vorherrschaft (supremacía) ein hierarchi-sches Verständnis zugrunde liegt. Die Vorherrschaft (supremacía) der höchsten Norm drückt sich in ihrer Funktion als Geltungsgrund der untergeordneten Normen aus, die im Falle ei-ner Kollision ungültig sind. Demgegenüber betrifft der Vorrang (primacía) lediglich die Abgrenzung der Anwendungsbereiche verschiedener Normen, die – jeweils in ihrem Be-reich – unabhängig voneinander Geltung beanspruchen können. Diese Differenzierung ist also vergleichbar mit der in der deutschen Terminologie gebräuchlichen Unterscheidung von Anwendungs- und Geltungsvorrang7, führt aber weiter. Dem TC gelingt es nämlich, den Vorrang des Gemeinschaftsrechts als Anwendungsregel zwischen zwei Rechtsordnungen darzustellen, die in keinem hierarchischen Verhältnis zueinander, sondern vielmehr neben-einander stehen8. Daraus zieht es die Schlussfolgerung, dass ein Vorrangprinzip die Vor-

5 Gem. Art. I-5 VVE achtet die Union „die nationale Identität der Mitgliedstaaten, die in deren grundlegender ... verfassungsrechtlicher Struktur ... zum Ausdruck kommt“. Auch der französische Verfassungsrat stellt in seiner Entscheidung vom 19. November 2004 zur Vereinbarkeit des Verfassungsvertrags mit der französischen Verfas-sung (EuR 2004, 911) auf diese, Art. 6 EU entsprechende, Vorschrift ab, in der demnach die europaverfassungs-rechtliche Rechtfertigung für nationale Verfassungsvorbehalte gesehen werden kann (F. C. Mayer, Europarecht als französisches Verfassungsrecht, EuR 2004, S. 925 (935)).

6 Nachweise zur Verwendung von „supremacy“ und „primacy“ durch den EuGH bei F. C. Mayer, The European Constitution and the Courts. Adjudicating constitutional law in a multilevel system in: A. von Bogdandy/J. Bast (Hrsg.): European Constitutional Law, iE. 2005 (in Fußnote 76 des Ms.).

7 Vgl. schon H. P. Ipsen, Europäisches Verfassungsrecht, Tübingen 1972, S. 288; siehe auch B. Wegener, in: Cal-liess/Ruffert (Hrsg.), Kommentar zum EU- und EG-Vertrag, 2. Auflage, Neuwied 2002, Art. 220 Rn. 22 f.

8 So auch I. Pernice, Europäisches und nationales Verfassungsrecht, VVDStRL 60 (2000), 148 ff.; F. C. Mayer, Europäische Verfassungsgerichtsbarkeit, in: A. von Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, Heidel-berg 2003, S. 229 (262 ff.).

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herrschaft der höchsten Norm nicht beeinträchtigen kann, solange diese ihre eigene Unan-wendbarkeit zugunsten anderer (vorrangiger) Normen, die dadurch nicht höherrangig sind, selbst vorsieht. Diese Aussage könne auch Art. 93 CE entnommen werden9.

c) Die Vereinbarkeit der Art. II-111 und II-112 VVE mit der spanischen Verfassung

Die Frage der Regierung nach der möglichen Verfassungswidrigkeit dieser beiden Vorschrif-ten, die den Anwendungsbereich der Grundrechtecharta bzw. von Teil II VVE und die Aus-legung der darin enthaltenen Rechte und Grundsätze regeln, bezieht sich auf die zukünftige Koexistenz dreier Grundrechtsregime im spanischen Recht (Verfassung, Grundrechtecharta und Europäische Menschenrechtskonvention). Diesbezüglich kann das TC relativ unproble-matisch die (abstrakte) Vereinbarkeit mit der Verfassung feststellen (5. und 6. Entschei-dungsgrund). Zwar könnte sich die Grundrechtecharta mit Ratifikation des Verfassungs-vertrags über ihren eigentlichen Anwendungsbereich hinaus auf die Auslegung der Grund-rechte in Spanien auswirken. Diese Möglichkeit besteht allerdings nicht erst aufgrund des Verfassungsvertrags, sondern ergibt sich aus der spanischen Verfassung selbst (Art. 10 Abs. 2 CE)10.Die hier geforderte Auslegung der Grundrechte und –freiheiten der spanischen Verfassung im Einklang mit internationalen Menschenrechtsabkommen wird im Hinblick auf die Euro-päische Menschenrechtskonvention (EMRK) längst praktiziert11, weshalb für das TC nicht ersichtlich ist, inwiefern die Einbeziehung der Grundrechtecharta der Union besondere Schwierigkeiten bereiten sollte, zumal die Grundrechtecharta genauso wie die spanische Verfassung letztlich auf die EMRK und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (als ihren gemeinsamen Nenner) rekurriere.

2. Sondervoten

Bei der vorliegenden Erklärung handelt es sich um eine Plenumsentscheidung aller zwölf Richter des TC, die gem. Art. 90 S. 1 des Organgesetzes über das Verfassungsgericht mit einfacher Mehrheit beschlossen wird. Ihr sind drei abweichende Meinungen beigefügt. Alle drei betreffen die Frage der Vereinbarkeit des Vorrangprinzips mit der Verfassung, die sie genauso verneinen wie die Eignung des Art. 93 CE für die Ratifikation des Verfassungsver-trags. Hier wird, deutlicher noch als in der Mehrheitsentscheidung, klar, wie sich beide Fra-gen gegenseitig bedingen: nur über eine um materielle Aspekte ergänzte Auslegung des Art. 93 CE konnte die Mehrheit annehmen, dass die Verfassung selbst den Vorrang des Gemein-schaftsrechts anerkennt. Betrachtet man Art. 93 CE dagegen als rein formale Vorschrift, die lediglich Zuständigkeit und Verfahren der Kompetenzübertragung regelt, fehlt es der spani-schen Verfassung an einer entsprechenden Öffnungsklausel für die europäische Integration. Damit gelangt man zur Unvereinbarkeit des Vorrangprinzips mit der in Art. 9 Abs. 1 CE

9 Genauso J. Martín y Pérez de Nanclares/A. López Castillo, L’Espagne – nationaler Bericht beim XX FIDE Kon-gress in London 2002 (http://www.fide2002.org/reportseulaw.htm), S. 25; A. Mangas Martín, Le droit constitu-tionnel espagnol et l’intégration européenne, in: FIDE (Hrsg.), 17. Kongress in Berlin 1996, S. 206 (209).

10 Art. 10 Abs. CE lautet: Die Normen, die sich auf die in der Verfassung anerkannten Grundrechte und Grund-freiheiten beziehen, sind in Übereinstimmung mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und den von Spanien ratifizierten internationalen Verträgen und Abkommen über diese Materien auszulegen.

11 M. Pulido Quecedo (Hrsg.), La Constitución Española. Con la Jurisprudencia del TC, Pamplona 1993, S. 255 ff.

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statuierten Vorherrschaft der Verfassung und in der Folge dazu, dass die geltende Fassung des Art. 93 CE für die Ratifikation des Verfassungsvertrags nicht ausreicht.Die Kernfrage, auf die der Dissens zwischen Mehrheitsmeinung und Sondervoten gründet, ist also die Reichweite des Art. 93 CE. Dagegen bestehen im Hinblick auf die Handhabung des Vorrangprinzips und die Bewertung der Rechtslage nach dem Verfassungsvertrag im Übrigen keine wesentlichen Unterschiede. Obwohl diese drei Richter die von ihnen vertre-tene Unvereinbarkeit des Verfassungsvertrags also am Widerspruch zwischen Art. I-6 VVE und Art. 9 Abs. 1 CE festmachen, soll zur Beseitigung dieses Gegensatzes schon eine Re-form der Integrationsklausel der spanischen Verfassung ausreichen. Dementsprechend wird in den Sondervoten gefordert, Art. 93 CE zu reformieren, um die weitere Integration der Union auf einer gesicherten verfassungsrechtlichen Grundlage vornehmen zu können, die zudem die Grenzen dieses Prozesses aus Sicht der Verfassung klar aufzeigt. García-Calvo y Montiel weist allerdings darauf hin, dass im Hinblick auf Art. 9 Abs. 1 CE das erschwerte Verfahren zur Verfassungsänderung einschlägig wäre12.Zur Begründung ihrer Gegenansicht führen alle drei Richter an erster Stelle den Wortlaut des Art. 93 CE an; Delgado Barrio nennt daneben noch die Intention der Verfassunggeber. Allerdings ist in der Entstehungsgeschichte des Art. 93 CE nach einhelliger Ansicht belegt, dass Art. 93 CE gerade mit dem Ziel der Integration in die europäischen Gemeinschaften konzipiert wurde13. Insbesondere berufen sich die drei Richter für ihr Verständnis der Inte-grationsklausel aber auf die bisherige Rechtsprechung des TC zum Gemeinschaftsrecht – genauso und mit denselben Zitaten, welche die Plenumsmehrheit für ihre Lesart des Art. 93 CE heranzieht. So bezeichnet Delgado Barrio seine abweichende Meinung als nichts weiter als die Konsequenz der zitierten Rechtsprechung und Rodríguez Arribas kritisiert, man hät-te das „radikale Abrücken“ von der Erklärung zum Vertrag von Maastricht im Votum des Plenums wenigstens ausdrücklich darstellen sollen.

Damit stellt sich die Frage, ob in der Auslegung des Art. 93 CE durch die Mehrheit (mit der Konsequenz der Vereinbarkeit des Vorrangprinzips mit der spanischen Verfassung) tatsäch-lich ein grundlegender Wandel zu sehen ist oder ob die materielle Dimension des Art. 93 CE bereits in der Rechtsprechung des TC angelegt war. Es gilt also, die (Dis-)Kontinuität der Erklärung zum Verfassungsvertrag im Hinblick auf die bisherige Rechtsprechung des TC zum europäischen Integration zu hinterfragen (dazu III.) Dazu werden zunächst die Hauptaussagen des TC zu Art. 93 CE dargestellt (dazu II.1), um anschließend auf die bis-herige Rechtsprechung des TC zum Gemeinschaftsrecht im Allgemeinen einzugehen (dazu II. 2).

12 Die spanische Verfassung kennt zwei Wege der Verfassungsänderung: Bei Änderungen am Titulo Preliminar (Grundlagen der staatlichen Ordnung), Teilen des Titels I (Grundrechte) oder des Titels II (Monarchie) greift nicht das normale Verfahren der Verfassungsreform gem. Art. 167 CE, sondern des Art. 168 CE ein, wonach beide Parlamentskammern die Revision mit 2/3-Mehrheit annehmen müssen, woraufhin sie aufgelöst werden und das neu gewählte Parlament der Änderung zustimmen sowie ein Referendum abgehalten werden muss.

13 A. Remiro Brotons, in: Alzaga (Hrsg.), Comentarios a la Constitución Española de 1978, Madrid 1998, Articu-los 93 y 94 – Tratados Internacionales, S. 534; J. Martín y Pérez de Nanclares/A. López Castillo, L’Espagne – nationaler Bericht beim XX FIDE Kongress in London 2002 (http://www.fide2002.org/reportseulaw.htm), S. 7 f.

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II. Die Rechtsprechung des Tribunal Constitucional zur europäischen Integration

1. Art. 93 CE in der Rechtsprechung des TC

Das TC hat in seiner ersten gemeinschaftsrechtsrelevanten Entscheidung von 1991 sowie in der Erklärung zum Vertrag von Maastricht einige Feststellungen über den Charakter des Art. 93 CE getroffen, die es seitdem in ständiger Rechtsprechung wiederholt. Diese beiden Ur-teile bedürfen daher besonderer Aufmerksamkeit.

a) Entscheidung des TC 28/1991 – EP-Wahlen

In seinem Urteil vom 14. Februar 1991 hatte das TC im Verfahren der abstrakten Normen-kontrolle darüber zu entscheiden, ob ein spanisches Gesetz, dessen Verstoß gegen Gemein-schaftsrecht geltend gemacht wurde, verfassungswidrig sei. Das antragstellende baskische Parlament vertrat die Auffassung, die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit begründe zugleich ei-ne Verletzung des Art. 93 CE. Das TC wies den Antrag zurück. Zum einen äußerte es sich zur Geltung des Gemeinschaftsrechts in Spanien im Sinne der Rechtsprechung des EuGH. Art. 93 CE selbst begründe eine unmittelbar verfassungsrechtliche Bindung an das Gemein-schaftsrecht (Art. 93 CE als “fundamento último“ der Integration Spaniens in die Europäi-schen Gemeinschaften). Zum anderen lehnte es die Auffassung ab, dass das Gemeinschafts-recht dadurch zu dem verfassungsspezifischen Maßstab gehöre, anhand dessen das TC über die Gültigkeit des einfachen spanischen Rechts entscheiden kann. Art. 93 CE verwandele das Gemeinschaftsrecht nicht in spanisches Verfassungsrecht, sondern regele Zuständigkeit und Verfahren bei der Übertragung der Kompetenzausübung („Organisations- und Verfah-rensvorschrift“)14.

b) Erklärung des TC 1/1991 – Maastricht

In diesem Verfahren ging es – ähnlich wie jetzt hinsichtlich des Verfassungsvertrags – um die Vereinbarkeit des Vertrags von Maastricht mit der spanischen Verfassung sowie die Fra-ge, ob vor dessen Ratifikation gem. Art. 95 Abs. 1 CE15 eine Verfassungsänderung erforder-lich wäre. Die Regierung machte sich in dem damaligen Verfahren die auch in der Literatur anzutreffende Ansicht zu Eigen, dass sogar ein offensichtlicher Widerspruch mit dem Ver-fassungstext wegen Art. 93 CE keine formelle Verfassungsänderung erfordert16. Demgegen-über stellte das TC klar, dass Art. 93 CE kein Mittel zur „stillschweigenden“ Verfassungsän-derung darstellt. Als Organisations- und Verfahrensvorschrift (siehe oben) könne er keine Ausnahmen von der Verfassung oder gar Widersprüche zum Verfassungstext rechtfertigen. Vielmehr dürfe die Verfassung ausschließlich über die Verfahren des Titels X CE geändert

14 TC Entscheidung 28/1991 vom 14. Februar 1991, BOE 15. März 1991 – EP-Wahlen.15 Art. 95 Abs. 1 CE lautet: Der Abschluss eines Vertrags, der verfassungswidrige Bestimmungen enthält, bedarf

der vorherigen Änderung der Verfassung.16 A. López Castillo/J. Polakiewicz, Verfassung und Gemeinschaftsrecht in Spanien, EuGRZ 1993, S. 277; weitere

Nachweise zum damaligen Meinungsstand bei A. Jiménez-Blanco Carrillo de Albornoz, Die verfassungsrecht-lichen Auswirkungen des Vertrags über die Europäische Union in Spanien und Frankreich, Die Verwaltung 1995, S. 225 (234) und H. Kieserling, Das Europäische Gemeinschaftsrecht und die spanische Verfassung, Hamburg 2003, S. 127 f.

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werden. Art. 93 CE erlaube es dem Parlament, die Ausübung von Kompetenzen auf interna-tionale Organisationen zu übertragen, wodurch sich der Anwendungsbereich dieser Kompe-tenzen verändere. Hingegen reiche er nicht so weit, inhaltliche Änderungen der Verfassung zu gestatten, worin eine unzulässige „Verfügung“ über die Verfassung gesehen wurde17.

2. Verfassungsrechtliche Irrelevanz des Gemeinschaftsrechts

a) Gemeinschaftsrecht als integrierter Bestandteil der spanischen Rechtsordnung

Gegenüber einfachem spanischem Recht konnte der Vorrang des Gemeinschaftsrecht un-problematisch anerkannt werden18. Das TC macht insofern keinen wesentlichen Unterschied zur Behandlung des Völkerrechts, das aufgrund der monistischen Konzeption des Art. 96 CE ohne Transformationserfordernis einen integrierten Bestandteil der spanischen Rechts-ordnung darstellt und einen Rang über den Gesetzen innehat19. Dementsprechend wieder-holt das TC seit seiner ersten Entscheidung mit gemeinschaftsrechtlichem Bezug die Bin-dung an das originäre und abgeleitete Gemeinschaftsrecht als einer eigenen, autonomen Rechtsordnung und bezieht sich dabei ausdrücklich auf die Rechtsprechung des EuGH20. Anders als das BVerfG, demzufolge das Gemeinschaftsrecht nur über den gleichsam als „Brücke“ fungierenden Rechtsanwendungsbefehl des Zustimmungsgesetzes Geltung in der innerstaatlichen Rechtsordnung erlangt21, erkennt das TC die autonome Geltung des Ge-meinschaftsrechts an und verortet diese Anerkennung aus innerstaatlicher Sicht in Art. 93 CE als der verfassungsrechtlichen Grundlage für die Integration22.

b) Gemeinschaftsrecht und spanisches Verfassungsrecht

Im Hinblick auf das Verhältnis von Gemeinschaftsrecht und nationalem Verfassungsrecht dagegen äußert sich das TC hingegen weniger eindeutig. Es ordnet das Gemeinschaftsrecht weder über noch unter der spanischen Verfassung ein, sondern betont dessen Eigenständig-keit und vermeidet eventuelle Konflikte, indem er ihm jede verfassungsrechtliche Relevanz abspricht23.

aa) Die Rangfrage: unter, über oder neben der Verfassung ?

In diesem Sinne stellte es schon 1991 fest, dass das Gemeinschaftsrecht jedenfalls kein Ver-fassungsrecht darstelle, weshalb allein die Gemeinschaftsrechtswidrigkeit einer nationalen Rechtsvorschrift noch keine Verletzung der Verfassung bedeute24. Die im Anschluss beiläu-

17 TC Erklärung 1/1991 vom 1. Juli 1992, BOE 24. Juli 1992 – Maastricht, Vierter Entscheidungsgrund; bei A. Jiménez-Blanco Carrillo de Albornoz (Fn. 16), wird die Argumentation des TC umfassend erläutert.

18 A. Mangas Martín, Instituciones y Derecho de la Unión Europea, Madrid 1996, S. 507 ff.; F. C. Mayer, Kompe-tenzüberschreitung und Letztentscheidung, München 2000, S. 226.

19 A. Estella de Noriega, A Dissident Voice: the Spanish Constitutional Court Case Law on European Integration, 5 EPL 1999, 269 (278).

20 TC Entscheidung 28/1991 vom 14. Februar 1991, BOE 15. März 1991 – EP-Wahlen, 4. Entscheidungsgrund.21 BVerfGE 89, 155 (190), Maastricht; P. Kirchhof, Die rechtliche Struktur der Europäischen Union als Staaten-

verbund, in: v. Bogdandy (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, S. 893 (908).22 Ähnlich jetzt auch der französische Verfassungsrat, Entscheidung zur Umsetzung der E-commerce-Richtlinie

(EuR 2004, 921) und zur Vereinbarkeit des Verfassungsvertrags mit der französischen Verfassung (Fn. 5).23 P. J. Martínez Rodríguez, La Cuestión Prejudicial Como Garantía Constitucional, REDC 2004, S. 315 (319).24 TC Entscheidung 28/1991 vom 14. Februar 1991, BOE 15. März 1991 – EP-Wahlen, 4. Entscheidungsgrund.

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fig vorgenommene Behauptung, es handele sich um einen Konflikt „infrakonstitutioneller“ Normen, korrigierte es schon in der nächsten Entscheidung mit gemeinschaftsrechtlichem Bezug, in deren Folge es den Konflikt zwischen europäischen und nationalen Normen bis heute als „nicht-konstitutionell“ bezeichnet. Es reduziert die Vorrangfrage so auf das aus-schließlich von der ordentlichen Gerichtsbarkeit und dem EuGH zu lösende Problem, in einem konkreten Fall die anzuwendende Norm zu bestimmen25. Als nicht-verfassungsrecht-liche Angelegenheit falle die Kontrolle der ordnungsgemäßen Anwendung des Gemein-schaftsrechts durch die spanische Hoheitsgewalt jedenfalls nicht in seine, auf spezifische Verfassungsverstöße beschränkte, Zuständigkeit26.

bb) Unzuständigkeit des TC für „nicht-konstitutionelles“ Recht

Das TC kann, wie das BVerfG, nur über spezifisch verfassungsrechtliche Fragen judizieren, zu denen die Anwendung des Gemeinschaftsrechts – mangels Verfassungsrechtsqualität – nicht gehört. Dementsprechend konnte bisher weder die Nicht-Anwendung von Gemein-schaftsrechtsakten27 noch ein Verstoß gegen die Vorlagepflicht gem. Art. 234 EG28 vor dem Verfassungsgericht geltend gemacht werden. Eine unterlassene Vorlage an den EuGH, in der dem BVerfG zufolge eine Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter gem. Art. 101 I 2 GG liegen kann29, begründet noch keine Verletzung des vergleichbaren Art. 24 CE. Zwar hat das TC in seiner Entscheidung vom 19. April 2004 erstmalig eine Verletzung die-ses Rechts auf effektiven Rechtsschutz und einen fairen Prozess wegen Nichtvorlage an den EuGH anerkannt30. Jedoch ging es hier um die Nichtanwendung eines spanischen Gesetzes wegen angeblicher Unvereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht. Damit ändert auch diese Entscheidung nichts daran, dass die Befolgung des Gemeinschaftsrechts in Spanien über keinen verfassungsrechtlichen Schutz verfügt, weil Art. 234 EG nicht zum spezifisch ver-fassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab gehört, den das TC anwendet.Eine verfassungsrechtliche Dimension weist das Gemeinschaftsrecht auch weiterhin nur in dem Maße auf, wie es sich über Art. 10 Abs. 2 CE auf die Auslegung der in der spanischen Verfassung enthaltenen Grundrechte auswirkt31. Dies erklärt, warum das TC in einer einma-lig gebliebenen Entscheidung aus dem Jahre 1995 einer Verfassungsbeschwerde wegen Ver-stoßes gegen Gemeinschaftsrecht stattgegeben hat: Die spanischen Behörden hatten gegen den in einer Verordnung der EG statuierten Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen, worin

25 TC Entscheidung 180/1993 vom 31. Mai 1993, BOE 5. Juli 1993 – FOGASA, Dritter Entscheidungsgrund; A. Estella de Noriega (Fn. 19), S. 282.

26 Dementsprechend sieht es sich zwar als unzuständig an, das Gemeinschaftsrecht zu überprüfen. Andererseits erklärt es sich in der Entscheidung 64/1991 vom 22. März für zuständig, spanische Hoheitsakte auch dann zu überprüfen, wenn es sich um den Vollzug von Gemeinschaftsrecht handelt (Sechster Entscheidungsgrund). Da-bei wird offen gelassen, ob sich diese Kontrollkompetenz auch auf solche Maßnahmen erstreckt, bei denen das Gemeinschaftsrecht dem spanischen Staat keinen Spielraum einräumt, so dass das TC indirekt doch das Ge-meinschaftsrecht überprüfen würde (vgl. F. C. Mayer (Fn. 18), S. 230 f.; A. López Castillo (Fn. 4), S. 512).

27 Vgl. TC Entscheidung 64/1991 vom 22. März 1991, BOE 24. April 1991 – APESCO; TC 45/1996 vom 25. März 1996, BOE 27. April 1996 – Martínez.

28 TC Entscheidung 180/1993 vom 31. Mai 1993, BOE 5. Juli 1993 – FOGASA; P. J. Martín Rodríguez (Fn. 23), S. 320 f. mwN.

29 BVerfG, 1 BvR 1036/99 vom 9.1. 2001, Rn. 19 (www.bverfg.de); zur Nichtvorlageproblematik allgemein E. Lenski/F. C. Mayer, Vertragsverletzung wegen Nichtvorlage durch oderste Gerichte, EuZW 2005, S. 225.

30 TC Entscheidung 58/2004 vom 19. April 2004 – Tasa Fiscal sobre el Juego; dazu R. Alonso García, 42CMLRev. 2005, 535.

31 L. Burgorgue Larsen, Espagne, in: Rideau (Hrsg.), Les États Membres de l’Union Européene, Paris 1997, S. 135 (182); derWortlaut des Art. 10 Abs. 2 CE findet sich in Fn. 8.

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das TC eine Verletzung des Gleichheitssatzes aus Art. 14 CE sah, der im Lichte der gemein-schaftsrechtlichen Vorschrift ausgelegt wurde32. Im Übrigen fasst das TC die Effektivierung des Gemeinschaftsrechts inklusive der Gemeinschaftsgrundrechte ausschließlich als Aufga-be der ordentlichen Gerichte und des EuGH auf. Vor diesem Hintergrund überrascht es auch nicht, dass das TC selbst noch nie an den EuGH vorgelegt hat.Im Ergebnis lässt sich der Rechtsprechung des TC also keine eindeutige Aussage über das Rangverhältnis von Gemeinschaftsrecht und spanischem Verfassungsrecht entnehmen. Fest-gehalten werden kann aber jedenfalls, dass das „nicht-konstitutionelle“33 Gemeinschafts-recht außerhalb der spanischen Verfassung steht, womit es zugleich – zumindest de facto – jeglicher Unterwerfung unter die Verfassung entzogen ist34.

III. Die Erklärung DTC 1/2004 zum Verfassungsvertrag vom 13. Dezember 2004: Kontinuität oder Korrektur ?

Gerade das in der Rechtsprechung des TC wiederholt zum Ausdruck gebrachte Verständnis des Gemeinschaftsrechts als weder supra- noch infrakonstitutionell, sondern schlicht als „nicht-konstitutionell“ hat es dem TC jetzt ermöglicht, den Vorrang gegenüber dem Verfas-sungsrecht im Sinne eines Nebeneinander verschiedener Rechtsordnungen zu lösen. Mit der Anerkennung des Vorrangprinzips, in dem eine bloße Anwendungsregel gesehen wird, geht es auf den ersten Blick auch nicht über die bisherige Auslegung des Art. 93 CE als einer „Organisations- und Verfahrensvorschrift“ hinaus. Soweit sich die Wirkung des Vorrangs auf die Verschiebung der Anwendungsbereiche für die Kompetenzzuweisungen der spani-schen Verfassung beschränkt, liegt die vorliegende Erklärung mit der bisherigen Rechtspre-chung also auf einer Linie. Denn diese Konsequenz hat das TC schon in der Erklärung zum Vertrag von Maastricht als eine durch Art. 93 CE bedingte und erlaubte Verfassungsmodifi-kation anerkannt.Diese Argumentation greift aber nur ein, solange das Gemeinschaftsrecht mit der Verfas-sung übereinstimmt, nicht dagegen für den – gravierenderen – Fall, dass sich das Recht der Union als mit der spanischen Verfassung unvereinbar herausstellen sollte. Dann nämlich wirkt sich der Vorrang dieses Rechts in stärkerem Maße auf die Verfassung aus als nur für die Bestimmung ihres Anwendungsbereichs. Damit wird erst auf den zweiten Blick deut-lich, worin das Novum und die Bedeutung dieser Erklärung zum Verfassungsvertrag be-steht. Sie liegt in der für den Fall der hypothetischen Unvereinbarkeit vorgenommenen, erstmaligen ausdrücklichen Feststellung, dass der über Art. 93 CE ermöglichten Übertra-gung der Kompetenzausübung verfassungsimmanente Grenzen gegenüberstehen, die über das Erfordernis einer ausdrücklichen Verfassungsreform bei textlichen Widersprüchen zur Verfassung hinausgehen (2. Entscheidungsgrund, Absatz 12 ff.). Mit der auf formale Ge-sichtspunkte beschränkten Auslegung des Art. 93 CE hatte sich das TC bisher jeder Gele-genheit beraubt, sich zu derartigen verfassungsrechtlichen Grenzen oder Bedingungen der Integration zu äußern35, die es jetzt dieser Vorschrift bzw. ihrem neu entdeckten materiellen Gehalt entnimmt. Es entspricht damit der allgemein verbreiteten Kritik an seiner Rechtspre-

32 TC Entscheidung 130/1995 vom 11. September 1995, BOE 14. Oktober 1995 – Ahmed; A. Estella de Noriega (Fn. 19), S. 282 f., weist auf weitere Besonderheiten dieses Falls hin.

33 H. Kieserling (Fn.16), S. 274, nennt auch noch die Bezeichnungen „extra – bzw. metakonstitutionell“.34 P. J. Martínez Rodríguez (Fn. 23), S. 321.35 L. Burgorgue Larsen (Fn. 31), S. 140; A. López Castillo (Fn. 4), S. 490.

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chung, dass es – infolge der Doktrin von der „verfassungsrechtlichen Irrelevanz des Ge-meinschaftsrechts“ – bisher versäumt habe, unveräußerliche Kerngehalte der Verfassung ähnlich der Rechtsprechung des BVerfG auszumachen, die vom Integrationsprozess nicht berührt werden dürften36. Diese Aufgabe hat indessen die Lehre übernommen und zahlrei-che Ansätze zur Konkretisierung dieser Grenzen entwickelt37. Dennoch fällt auf, dass das TC diese Grenzen auch jetzt kaum konkretisiert: es nennt, ohne weitere Begründung, die Souveränität des spanischen Staates, die grundlegenden Verfassungsstrukturen und die Grundwerte und –prinzipien der spanischen Verfassung, die unter anderem die Grundrechte umfassen. Damit spielt es den Ball an die politischen Akteure zurück, denen es mangels zwingender rechtlicher Notwendigkeit für eine Verfassungsänderung allein zukomme, über deren Opportunität oder ihre konkrete Ausgestaltung zu entscheiden38. Womöglich erklärt sich seine Zurückhaltung also als Fall eines „judicial restraint“. Vielleicht geht es auch dar-um, weiterhin einen offenen Konflikt mit dem EuGH39 zu vermeiden. Und vielleicht er-scheint es den Richtern bloß müßig, noch ausdrückliche Grenzen des Integrationsprozesses aufzuzeichnen, jetzt, wo – angesichts des Respekts für nationale Verfassungsstrukturen, der Begründung der Union auf eine Wertegemeinschaft mit den nationalen Verfassung sowie des umfassenden Rechtsschutzsystems auf europäischer Ebene und der ultima ratio-Lösung eines Austritts aus der Union – eine Verletzung der Grundstrukturen der spanischen Verfas-sung durch das Recht der Union „kaum denkbar“ (vgl. 4. Entscheidungsgrund der Erklä-rung DTC 1/2004, letzter Absatz) erscheint.

IV. Ausblick

Die Schwierigkeiten, Art. 93 CE in einer der europäischen Integration adäquaten Weise aus-zulegen, haben zur weit verbreiteten Kritik an dieser Norm geführt. Die geltende Integrati-onsklausel sei angesichts des Integrationsstands der Europäischen Union überholt, schließ-lich entbehrt die spanische Verfassung nicht nur einer spezifisch für den europäischen Inte-grationsprozess abgestimmten Bestimmung, die insbesondere Bedingungen und Grenzen der Integration aufzeigt, sondern ihr fehlt sogar jede ausdrückliche Bezugnahme auf die Europäische Union40.Daher verwundert es nicht, dass die spanische Regierung nun – trotz der vom TC erklärten Vereinbarkeit der Verfassung mit dem Verfassungsvertrag – zu einer Verfassungsänderung ansetzt, die insbesondere den Art. 93 CE reformieren soll41. Am 4. März diesen Jahres er-suchte sie den Staatsrat (Consejo de Estado) um eine bis 2006 abzugebende Stellungnahme zu diversen Verfassungsänderungen. Neben der Ausarbeitung einer „echten“ Integrations-klausel werden Änderungen im Hinblick auf die territoriale Struktur Spaniens, aber auch hinsichtlich einer Thronfolge, die Männer und Frauen gleichstellt, in Betracht gezogen – al-les Änderungen, die das erschwerte Verfahren der Verfassungsrevision gem. Art. 168 CE erfordern42. Bezüglich der möglichen Neufassung des Art. 93 CE greift die Regierung ins-

36 Siehe stellvertretend P. Pérez Tremps (Fn. 4), S. 106 ff.; A. Estella de Noriega (Fn. 19), S. 296 ff, mwN.37 Überblicksweise H. Kieserling (Fn. 16), S.182 ff. und R. Fischer, Die Offenheit des deutschen Grundgesetzes

und der spanischen Verfassung für den Fortgang der europäischen Integration, Konstanz 1999, S. 243 ff.38 Vgl. dazu den Siebten Entscheidungsgrund der TC Erklärung 1/2004 – Verfassungsvertrag.39 Man denke nur an EuGH Rs. 11/70 (Internationale Handelsgesellschaft), Slg. 1970, 1125.40 J. Martín y Pérez de Nanclares/A. López Castillo (Fn. 13), S. 13; A. López Castillo (Fn. 4), S. 83 ff. mwN.41 El Mundo vom 4. März 2005, http://www.elmundo.es/2005/03/04/espana/1109913283.html.42 Siehe oben, Fn. 12.

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besondere Anregungen zu dessen „Europäisierung“ auf, die der Staatsrat (Consejo de Esta-do) in seinem Gutachten zur Vereinbarkeit des Verfassungsvertrags mit der spanischen Ver-fassung erwähnt hat43, inklusive einer „Integrationsklausel, die der Gemeinschaftsrechts-ordnung – innerhalb bestimmter Grenzen unantastbarer Verfassungsstrukturen – die aus-drückliche Anerkennung ausspricht“44.Es bleibt abzuwarten, wie diese große Herausforderung für die spanische Verfassung bewäl-tigt wird. Bis dahin hat das TC eine Auslegung des Art. 93 CE aufgezeigt, mit der die Inte-grationsklausel der Verfassung von 1978 eine ausreichende, tragfähige Grundlage für den europäischen Integrationsprozess in seinem aktuellen Stadium und bei seiner Fortentwick-lung bildet. Und es hat, über den Rahmen des spanischen Verfassungsrechts hinaus, gezeigt, dass Vorrang des Gemeinschaftsrechts und Vorherrschaft der Verfassung zwar zwei unter-schiedliche theoretische Konzepte sind, die aber gerade deswegen kompatibel nebeneinan-der stehen können. Damit gibt die Entscheidung des spanischen Verfassungsgerichts wich-tige Hinweise für die europaverfassungsrechtlich Debatte in anderen Mitgliedstaaten45, die unabhängig von der Ratifikation des Verfassungsvertrags Bedeutung besitzen.

43 Consejo del Estado, Dictámen vom 21. Oktober 2004, referencia 2544/2004, zu finden unter www.boe.es.44 Das 39-seitige Dokument mit den Anfragen der Regierung findet sich ebenfalls unter http://www.elmundo.

es/2005/03/04/espana/1109913283.html, dort siehe S. 19; Rodríguez Arribas weist in seinem Sondervotum zur vorliegenden Erklärung vergleichsweise auf die Verfassungsänderung in Portugal hin, mit der in einem neuen Absatz Vier des Art. 8 der portugiesischen Verfassung die Anerkennung des Vorrangs gem. Art. I-6 VVE auf Verfassungsebene, „aber mit Rücksicht auf die grundlegenden Prinzipien des demokratischen Rechtsstaats“, anerkannt werde (siehe www.parlamento.pt/const_leg/revisao_const/index.html).

45 Siehe dazu, neben der Entscheidung des französischen Verfassungsrats (Conseil Constitutionnel), EuR 2004, 911, für Deutschland die Verfassungsbeschwerde des Abgeordneten Gauweiler gegen den Verfassungsvertrag (Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22. April 2005, S. 4) und das beim BVerfG anhängige Verfahren zum Europäischen Haftbefehl (Aktenzeichen 2 BvR 2236/04).

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EuR – Heft 3 – 2005364 Rechtsprechung

Duldungspflicht der Behörde bis zu einer Vorabentscheidung des EuGH

I. Unter Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses vom 2. Juli 2004 wird dem Antragsgegner gemäß §§ 123 Abs. 1 Satz 1, 2, Abs. 3 VwGO aufgegeben, bis zur Verkündung einer Entscheidung des EuGH in einem dort anhängigen Vorabentscheidungsverfahren (RS C-453/03, ABI. C-7/22 vom 10.1.2004 und RS C-194/04, ABI. C-179/4 vom 10.7.2004) über die Gültigkeit der Bestimmungen des Art. 5 c Abs. 2 a) und Art. 5 Abs. 1 I) der Mischfuttermittelrichtlinie 79/373/EWG i.d.F. der Änderungsrichtlinie 2002/2/EG zu dulden, dass die Antragstellerin die in der Anlage zu diesem Beschluss aufgeführten Mischfuttermittel ihres Werkes in R im Geltungsbereich des Futtermittelgesetzes in den Verkehr bringt, wenn– in deren Etikettierung nicht die Gewichtsanteile der enthaltenen Einzelfutter-

mittel gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 FMV i.d.F. der 24. ÄndVO zur FMV vom 9.12.2003 „in vom Hundert“ angegeben sind,

– in deren Etikettierung nicht gemäß § 13 Abs. 2 b) Satz 1 FMV i.d.F. der 24. Änd-VO zur FMV auf einen Anspruch des Verwenders auf Übermittlung der Ge-wichtshundertteile der enthaltenen Einzelfuttermittel hingewiesen wird,

– die Antragstellerin nicht gemäß § 13 Abs. 2 b) Satz 2 FMV i.d.F. der 24. ÄndVO zur FMV die Angabe der Gewichtshundertteile der enthaltenen Einzelfuttermit-tel dem Verwender auf dessen Verlangen übermittelt.

II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.III. Der Streitwert wird auf 142.000,00 € festgesetzt.

Beschluss des VGH München vom 03.09.04, Az. 19 CE 04.1973

Gründe:I.1. Die Antragstellerin (Ast.) ist Hersteller verschiedener Mischfuttermittel u.a. für Nutztie-

re. Nach bisheriger Rechtslage reichte es bei deren Etikettierung aus, die enthaltenen Einzelfuttermittel in absteigender Reihenfolge ohne konkrete Angabe ihres Gewichtsan-teils aufzuführen (sog. halboffene Deklaration).

Mit Richtlinie 2002/2/EG vom 28. Januar 2002 (ABI. v. 6.3.2002-L63 S. 23 ff.) wurde die bisherige Richtlinie über den Verkehr von Mischfuttermittein hinsichtlich Nutztieren dahingehend abgeändert, dass in der Etikettierung die enthaltenen Einzelfuttermittel in absteigender Reihenfolge nunmehr mit ihrem Gewichtshundertanteil angegeben werden müssen (sog. offene Deklaration). Diese Änderungsrichtlinie setzte die Bundesrepublik mit der 24. Verordnung zur Änderung der Futtermittelverordnung (FMV) vom 9. De-zember 2003 (BGBII 2003 S. 2499 ff.) mit Wirksamkeit ab 1. Juli 2004 ins deutsche Recht um.

Dagegen hat sich die Ast. bereits im Mai 2004 schriftlich an die Regierung von Ober-bayern als für ihren Betrieb in R zuständige Futtermittelüberwachungsstelle gewandt und darauf hingewiesen, dass die Verpflichtung zur offenen Deklaration sie in einer Rei-he von Rechten verletze. Bis zu einer Entscheidung des EuGH in einem bereits eingelei-teten Vorabentscheidungsver-fahren über die Vereinbarkeit der Richtlinie mit höherran-gigem Gemeinschaftsrecht solle von einer Anwendung des § 13 Abs. 2 FMV abgesehen werden.

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2. Nachdem die Behörde dies nicht zusicherte, sondern mitteilte, dass die Etikettierung entsprechend der Rechtslage überprüft werde, hat die Ast. mit Schriftsatz ihres Bevoll-mächtigten vom 24. Juni 2004 beim Verwaltungsgericht sinngemäß beantragen lassen, dem Antragsgegner (Agg.) im Wege einer einstweiligen Anordnung aufzugeben, bis zur Verkündung eines Urteils des EuGH in der anhängigen Rechtssache eine von § 13 Abs. 2, 2 b FMV abweichende Etikettierung (halboffene Deklaration) für die einzeln aufge-führten Mischfuttermittel zu dulden.

Mit Beschluss vom 2. Juli 2004 hat das Verwaltungsgericht den Antrag mangels Anord-nungsgrund als unzulässig abgewiesen, da zwischen der Ast. und dem Agg. noch kein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis bestehe, da bisher weder eine konkrete verwal-tungsrechtliche Beanstandung erfolgt noch die Einleitung eines Bußgeldverfahrens an-gedroht worden seien; ein Anordnungsanspruch wurde nicht geprüft. Dieser Beschluss ist den Bevollmächtigten am 12. Juli 2004 zugegangen.

3. Dagegen hat die Ast. mit Schriftsatz vom 15. Juli 2004 Beschwerde einlegen und Abän-derung des Beschlusses vom 2. Juli 2004 entsprechend ihrem ursprünglichen Antrags-begehren beantragen lassen. Zur Begründung wurden umfangreiche Ausführungen u.a. zu einem feststellungsfähigen Rechtsverhältnis, einem berechtigten Interesse an baldi-ger Feststellung, einer Aussetzungsverpflichtung sowie zu einem Anordnungsanspruch gemacht. Mit weiteren Schriftsätzen vom 21. Juli 2004, 6. August 2004 und 19. August 2004 wurde die Beschwerdebegründung ergänzt; hierzu wurden verschiedene einschlä-gige Urteile des EuGH, des BVerfG, verschiedener Verwaltungsgerichte bzw. eines Oberverwaltungsgerichts sowie obergerichtliche Entscheidungen anderer europäischer Länder zitiert bzw. vorgelegt.

Die Landesanwaltschaft Bayern ist der Beschwerde mit Schriftsatz vom 12. August 2004 entgegen getreten und hat insbesondere Ausführungen zum Fehlen eines Anordnungs-grundes gemacht.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze und die Akten der Behörde bzw. des Verwaltungsgerichts Bezug genommen.

II. Die statthafte, fristgerecht eingelegte und begründete Beschwerde (§§146, 147 VwGO) hat Erfolg, weil das Verwaltungsgericht die begehrte einstweilige Anordnung zu Unrecht abge-lehnt hat.1. Der Antrag nach § 123 Abs. 1 Satz 1, 2 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO zur Re-

gelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis ist zuläs-sig, insbesondere ist – im Lichte der Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 GG – ein Anordnungsgrund gegeben; er erweist sich auch als begründet, da der Ast. zur Abwen-dung wesentlicher Nachteile ein Anordnungsanspruch zusteht.

1.1 Die Ast. begehrt vorläufigen Rechtsschutz im Hinblick auf eine – zwischenzeitlich an-hängige (Az. M 4 K 04.3892) – Feststellungsklage. Dabei ist bereits fraglich, ob im ge-gebenen Fall (noch) von einem vorbeugenden Rechtsschutzbegehren auszugehen ist. Zwar ist ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis nicht schon durch das Inkrafttreten der zugrunde liegenden 24. Änderungsverordnung der FMV eingetreten, deren Einhal-tung die zuständige Behörde grundsätzlich zu überwachen und ggf. durch entsprechen-de Maßnahmen ihren Vollzug sicherzustellen hat. Die Ast. ist jedoch aufgrund des an-hängig gewordenen Vorabentscheidungsbegehrens beim EuGH zur streitbefangenen

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EuR – Heft 3 – 2005366

Frage in einen Schriftwechsel mit der Vollzugsbehörde betreffend eine vorläufige Aus-setzung getreten. Bereits im Schreiben vom 3. Juni 2004 hat die Behörde mitgeteilt, dass sie die Kennzeichnung nach der zwischenzeitlich geltenden Rechtslage „überprü-fen“ werde. Spätestens seit der vorgelegten, an alle Mischfuttermittelhersteller gerichte-te Aufforderung vom 4. August 2004, ihre Kennzeichnung der Rechtslage anzupassen, ist jedoch von einer konkreten Rechtsbeziehung zwischen den Verfahrensbeteiligten auszugehen. Dabei ist zu bedenken, dass die allgemein geforderte gewerberechtliche Zuverlässigkeit grundsätzlich ein gesetzeskonformes Verhalten der Ast. voraussetzt. Ihr wäre deshalb nicht zuzumuten, ohne entsprechende Erklärung der Behörde über eine vorläufige Vollzugsaussetzung oder ohne Anrufung vorläufigen Rechtsschutzes sich der Gefahr auszusetzen, der gewerberechtlichen Unzuverlässigkeit bezichtigt zu werden und entsprechende Beanstandungsverfügungen abzuwarten. Der Ast. ist es nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auch nicht zuzumuten, sich zunächst auf ein Bußgeldverfahren verweisen zu lassen und die Klärung der verwaltungsrechtli-chen Zweifelsfrage „auf der Anklagebank“ durchsetzen zu müssen. In einem derartigen Fall hat der Betreffende vielmehr ein schutzwürdiges Interesse an einer Klärung im Ver-waltungsrechtsweg als fachspezifischer Rechtsschutzform (vgl. BVerfG, B.v. 7.4.2003 – 1 BvR 2129/02 m.w.N., u.a. weitere Rechtsprechung des BVerwG hierzu). Andernfalls wäre das Recht des Betroffenen auf effektiven Rechtsschutz im Sinne Art. 19 Abs. 4 GG unzulässig eingeschränkt. Einstweiliger Rechtsschutz ist nämlich stets dann zu gewäh-ren, wenn anders dem Betreffenden eine erhebliche, über Randbereiche hinausgehende Verletzung in seinen Grundrechten – bzw. hier auch in im Gemeinschaftsrecht aner-kannten vergleichbaren Rechten – droht, die durch die Hauptsacheentscheidung nicht mehr beseitigt werden kann, es sei denn es stünden ausnahmsweise besonders gewichti-ge Gründe entgegen (BVerfGE 79/69, 74 ff.). Im gegebenen Fall hat die Ast. derartige nicht wieder gut zu machende Rechtsverletzungen überzeugend dargelegt. Insbesondere der von der Ast. primär angeführte Schutz des sog. Know-how als geistigen Eigentums bzw. Teil der Berufsfreiheit ist auch Teil des gemeinschaftsrechtlichen Besitzstandes. Ginge dieser Schutz durch die streitbefangene offene Deklaration verloren, könnte nicht nur erheblicher materieller Schaden aufgrund von Umsatzverlusten durch Auslieferung von Plagiaten seitens anderer Hersteller entstehen, vielmehr könnte eine Rechtsverlet-zung auch nicht bei eventuell späterem Obsiegen im Hauptsacheverfahren wieder beho-ben werden. Die Voraussetzungen, unter denen Rechtssuchende während eines vor dem EuGH laufenden Vorabentscheidungsverfahrens – in Erwartung einer Entscheidung über die Auslegung oder die Gültigkeit des streitbefangenen abgeleiteten Gemeinschafts-rechts – Anspruch auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch das zuständige na-tionale Gericht haben, sind in der Rechtsprechung des EuGH geklärt (vgl. U.v. 9.11.1995 Az. C-465/93). Danach sind erforderlich:

1) Erhebliche Zweifel an der Gültigkeit der streitbefangenen Handlung der Gemein-schaft (und entsprechende Vorlage, soweit der EuGH mit ihr noch nicht befasst ist),

2) Dringlichkeit in dem Sinne, dass die einstweilige Anordnung erforderlich ist, um zu vermeiden, dass der Betroffene einen schweren und nicht wieder gut zu ma-chenden Schaden erleidet,

3) sowie angemessene Berücksichtigung der Interessen der Gemeinschaft. Diese sowohl einen Anordnungsgrund (Ziff. 2)) als auch einen Anordnungsanspruch

(Ziff. 1) und 3)) betreffenden Voraussetzungen liegen nach Überzeugung des Senats vor:

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Die Ast. hat glaubhaft erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer sog. offenen De-klaration für Nutztier-Mischfutter dargelegt. Mit der Offenlegung der Zusammenset-zung der von der Ast. produzierten Futtermittel in Hundertteilen wird ein Produktions-geheimnis allgemein offenbart, wodurch auch im Gemeinschaftsrecht geltende Rechts-grundsätze, insbesondere das Eigentumsrecht, die Berufsfreiheit sowie das Übermaß-verbot als Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verletzt werden können. Durch diese Art der Deklaration ginge der Schutz des sog. Know-how der Herstellerfirma ver-loren, ohne dass dafür überwiegende Interessen des Gemeinschaftsrechts erkennbar wä-ren. Bereits die Geeignetheit der Maßnahme erscheint zweifelhaft, da nicht erkennbar ist, inwieweit eine quantitative Angabe zur Rückverfolgung von möglicherweise konta-miniertem Material zu bestimmten Partien beitragen könnte, wie in Ziff. (5) der Erwä-gungen zum Erlass der Richtlinie 2002/2/EG vom 28. Januar 2002 zugrunde gelegt. Aber auch die Erforderlichkeit wird zu Recht in Frage gestellt. So ist der in Ziff. (4) der Erlasserwägungen dieser Änderungsrichtlinie enthaltene Hinweis auf die BSE-Krise wenig nachvollziehbar, da die Verwendung von tierischen Ausgangserzeugnissen, die BSE-Risiken enthalten, bereits seit dem 1.1.2001 in der Mischfuttermittelproduktion gänzlich verboten ist (vgl. Entscheidung des Rates 2000/766/EG vom 4.12.2002, ABI. L 306/32 vom 7.12.2000 sowie ab 1.9.2003 VO (EG) Nr. 99/2001 i.d.F. der ÄndVO (EG) Nr. 1234/2003 vom 10.7.2003, ABI. L 173/6 vom 11.7.2003), so dass eine Dekla-rationsvorschrift in Bezug hierauf gegenstandslos ist. Gleiches gilt für den dort des Wei-teren enthaltenen Hinweis auf die Dioxin-Krise, da die Höchstgehalte für Dioxin in Mischfuttermittel und in den einzelnen Futtermittel-Ausgangserzeugnissen in verschie-denen EG-Richtlinien bereits geregelt sind (vgl. Richtlinie 2001/102/EG vom 27.11.2001, ABI. L 6/45 vom 10.1.2002 sowie Richtlinie 1999/29/EG, neu gefasst als Richtlinie 2002/32/EG) und solche mit überhöhten Werten nicht mehr verwendet wer-den dürfen. Auch ansonsten hängt eine Gesundheitsgefährdung von der Qualität der Ausgangserzeugnisse bzw. ihrer hygienischen Beschaffenheit und Verarbeitung ab, über die eine Hundertteilsangabe in der Etikettierung nichts besagt. Die angeführte Zweckbe-stimmung einer offenen Deklaration zum Gesundheitsschutz erweist sich somit als zweifelhaft, während eine – dann verbleibende – Handelsregelung nicht durch das Vor-sorgeprinzip gerechtfertigt wäre. Insoweit bestehen auch begründete Zweifel, ob die zugrunde liegende Änderungsrichtlinie 2002/2/EG vom 28. Januar 2002 überhaupt auf einer zureichenden Rechtsgrundlage (Art. 152 Abs. 4 b) des EG-Vertrags) beruht. Schließlich ist auch eine Verletzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes durch die of-fene Deklaration nicht abwegig. Auch bei sog. halboffener Deklaration bliebe die Ver-pflichtung der Mischfuttermittelhersteller unberührt, den Kontrollbehörden alle Doku-mente, die die Zusammensetzung der Futtermittel betreffen, auf Anforderung zur Verfü-gung zu stellen (vgl. Ergänzung des Art. 12 der Mischfuttermittelrichtlinie i.d.F. der Änderungsrichtlinie 2002/2/EG). Darüber hinausgehende andere Interessen der Ge-meinschaft, die der beantragten einstweiligen Anordnung entgegenstünden, sind nicht ersichtlich. Auch das Vorbringen des Agg. in der Beschwerdeerwiderung vom 12. Au-gust 2004 ist nicht überzeugend. Dass von der offenen Deklaration alle Mischfuttermit-telhersteller gleichermaßen betroffen sind, ist rechtlich unerheblich, denn damit wird eine mögliche Rechtsverletzung keineswegs ausgeschlossen. Eine Feststellung der exak-ten Zusammensetzung eines Mischfuttermittels ist Konkurrenzunternehmen auch weder durch chemische noch durch mikroskopische Analyse möglich. Die in dem durch Ände-rungsverordnung vom 9. Dezember 2003 eingefügten § 13 Abs. 2 b Satz 1 FMV vorge-

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sehene Toleranzspanne von +/- 15 % des angegebenen Wertes schützt nicht vor einer Preisgabe des Produkt-Know-hows, da der Hersteller zum einen trotzdem verpflichtet ist, dem Verwender auf Verlangen die genaue Zusammensetzung mit zuteilen; zum an-deren bezieht sich diese Toleranzspanne nicht auf die gesamte Mischfuttermenge, son-dern auf das jeweilige Ausgangserzeugnis und verringert sich damit entsprechend des-sen vom Hundertanteil. Auch der Umstand, dass sich die Produktzusammensetzung im Laufe der Zeit bzw. anlassbedingt ändern kann, ändert nichts am Schutzbedürfnis für das Know-how am jeweiligen Mischfutterprodukt.

Die einstweilige Anordnung ist auch dringlich. Die Ast. hat überzeugend dargelegt, dass das Know-how über die jeweilig effektivste Zusammensetzung der einzelnen Mischfut-termittel in eigenen Labors arbeitsaufwändig und damit kostenintensiv erarbeitet wird. Die zur Bekanntgabe der Gewichtshundertanteile der Ausgangserzeugnisse verpflich-tende Rechtsnorm ist bereits seit 1. Juli 2004 in Kraft. Bei Bekanntgabe der genauen Zusammensetzung der Mischfuttermittel gingen diese Betriebsgeheimnisse unwieder-bringlich verloren, was auch bei einem Obsiegen in der Hauptsache nicht mehr ausge-glichen werden könnte. Die geheimen Rezepturen könnten dann von jedem Konkur-renzunternehmen nachgemacht werden, was auch zu wirtschaftlichen Konsequenzen führt.

Nach der Rechtsprechung des EuGH muss vorläufiger Rechtsschutz vor den nationalen Gerichten schließlich auch unabhängig davon derselbe sein, ob sie nun Vereinbarkeit nationalen Rechts mit dem Gemeinschaftsrecht oder die Ungültigkeit abgeleiteten Ge-meinschaftsrechts zu überprüfen haben, da die Rüge in beiden Fällen auf Gemein-schaftsrecht selbst beruht (vgl. U.v. 21.2.1991 Az. C-143/88 und C-92/89 sowie U.v. 9.11.1995 Az. C-465/93 und U.v. 26.11.1996 Az. C-68/95). Dort ist auch entschieden, dass die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch die nationalen Gerichte nicht davon abhängen darf, ob der Betroffene die Aussetzung der Vollziehung eines auf einem Gemeinschaftsrechtsakt beruhenden nationalen Verwaltungsaktes oder den Erlass einst-weiliger Anordnung zur vorläufigen Gestaltung oder Regelung der streitigen Rechtspo-sition beantragt.

Schließlich erfolgt mit der einstweiligen Anordnung auch keine unzulässige Vorwegnah-me der Hauptsache, da bei entsprechendem Ausgang des Hauptsacheverfahrens die Voll-zugsaussetzung ohne Weiteres beendet werden kann. Dass eine vorübergehende Nicht-anwendung als solche in ihren Folgen nicht wieder rückgängig gemacht werden kann, bildet gerade den vom Gesetzgeber vorgesehenen Regelungsgehalt eines vorläufigen Rechtsschutzes gegen belastende Maßnahmen.

1.2 Die Rechtsauffassung des Senats wird in einer Reihe anderer Gerichtsentscheidungen geteilt. So haben das Verwaltungsgericht Schleswig-Holstein im Beschluss vom 13. Au-gust 2004 – 1 B 60/04, das Verwaltungsgericht Dresden im Beschluss vom 12. Juli 2004 – 1 K 1552/04, das Verwaltungsgericht Hamburg im Beschluss vom 25. Juni 2004 – 21 E 2990/04 und das Verwaltungsgericht Düsseldorf im Beschluss vom 3. Mai 2004 – 15 L 843/04 in vergleichbaren Fällen von Mischfuttermittelherstellern ebenfalls vorläufi-gen Rechtsschutz in Bezug auf den Vollzug der offenen Deklaration gewährt. Dass letz-terer Beschluss durch die Beschwerdeentscheidung des OVG NRW vom 29. Juni 2004 – 20 B 1057/04 zunächst aufgehoben wurde, ist durch die zwischenzeitliche Entschei-dung des Bundesverfassungsgerichts vom 27. Juli 2004 – 1 BvR 1542/04 überholt, mit dem dieser Beschluss wegen Verletzung des Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG wieder aufgehoben wurde. Die Argumentation des Agg., dies betreffe nicht die Frage

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der Zulässigkeit des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, sondern deren Begründetheit, da das Oberverwaltungsgericht bereits in eine Art materielle Prüfung eingetreten sei, verkennt die Entscheidungsgründe des Bundesverfassungsgerichts und ist nicht plausibel, da Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gerade eine Zugangsregelung zum ge-richtlichen Rechtsschutz darstellt und eine Begründetheitsprüfung grundsätzlich erst nach Bejahung der Zulässigkeit erfolgt.

Zu einer Vollzugsaussetzung bis zu einer Vorabentscheidung des EuGH sind auch der britische High Court of Justice in der Entscheidung vom 6. Oktober 2003 – CO/4474/2003, der französische Conseil d‘Etat in der Entscheidung vom 29. Oktober 2003 – Nr. 260768, der italienische Consiglio di Stato in der Entscheidung vom 11. No-vember 2003 – N.R.G. 9908/2003 und die niederländische Rechtsbank’s Gravenhage in der Entscheidung vom 22. April 2004 – 2004/KG 04/317 gelangt, die jeweils von der Zulässigkeit des zugrunde liegenden Rechtsmittels ausgingen und erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit einer offenen Deklaration sahen. Das Bundesverfassungsgericht hat im Beschluss vom 27. Juli 2004 (a.a.O.) ausdrücklich darauf hingewiesen, dass derarti-ge Entscheidungen von Gerichten anderer Mitgliedsstaaten der Gemeinschaft für das Oberverwaltungsgericht zwar nicht bindend sind, jedoch – wenn es sich um die Gültig-keit von Gemeinschaftsrecht handelt – die dazu vertretene Auffassung dieser Gerichte auch für die deutsche Gerichtsbarkeit bedeutsam ist. Darauf, dass nach Angaben der Ast. auch das slowenische Verfassungsgericht ‚ sowie Gerichte in Nord-Irland, Wa-les und Schottland bzw. die Behörden in Tschechien jeweils den Vollzug der offenen Deklaration ausgesetzt haben, kommt es nicht mehr entscheidungserheblich an.

1.3 Die Erweiterung des Antrags hinsichtlich der Anzahl der betroffenen Mischfuttermittel stellt keine Antragsänderung dar (§ 173 VwGO i.V.m. § 264 Nr. 2 ZPO); im Übrigen wäre eine entsprechende Änderung sachdienlich, um weitere Verfahren zur gleichen Rechtsfrage zu vermeiden (§§122 Abs. 1, 91 Abs. 1 VwGO entspr.). Die Abweichungen des Beschlusstenors von der Formulierung im Antrag sind redaktioneller Art (§ 88 Vw-GO). Soweit die aufgeführten Mischfuttermittel keine Nutztiere i.S. § 13 Abs. 2 Nr. 1 FMV beträfen (Nrn. 46, 49 und 203 der Anlage), ginge die Duldungsverpflichtung al-lenfalls ins Leere.

Schließlich bedarf es auch keiner Vorlage des erkennenden Senats zur Vorabentschei-dung über die streitgegenständliche Frage an den EuGH mehr, da sie bereits Gegenstand zweier entsprechender Ersuchen ist (vgl. EuGH, RS C-453/03, ABI. C 7/23 vom 10.1.2004 und EuGH, RS C-194/04, ABI. C-179/4 vom 10.7.2004).

2. Die Kostenentscheidung entspricht §§ 154 Abs. 1,161 VwGO. Bei der Festsetzung des Streitwerts im Beschwerdeverfahren schließt sich der Senat der

– nicht angefochtenen – Festsetzung im verwaltungsgerichtlichen Beschluss vom 2. Juli 2004 zu §§20 Abs. 3, 13 Abs. 1 GKG a.F. (nunmehr §§ 40, 47, 52 Abs. 1, 72 Nr. 1 GKG i.d.F.d. KostRMoG vom 5.5.2004 – BGBII S. 718 ff.) an.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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KLEINERE BEITRÄGE, BERICHTE UND DOKUMENTE

Ökonomische und politische Integrationskonzeptionen im Wettstreit – Zum Scheitern der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft

vor fünfzig Jahren

Von Hannes Rösler, Hamburg*

Die Anfänge des Gemeinschaftsrechts sind bisher unzureichend rechtshistorisch beachtet. Aus Anlass des rund vor einem halben Jahrhundert fehlgeschlagenen Versuchs, eine gemein-same europäische Streitmacht zu schaffen, werden vorliegend die Entwicklungsbezüge zu den anderen Integrationspolitiken, zum derzeit erreichten Rechtsstand und zur geplanten EU-Verfassung aufgezeigt.

I. Einleitung

Vor mehr als fünfzig Jahren, am 30. 8. 1954, scheiterten sowohl die Europäische Verteidi-gungsgemeinschaft (EVG) als auch die damit verknüpfte Europäische Politische Gemein-schaft (EPG)1. Beide Projekte gingen auf französische Initiativen zurück und die sechs Mit-gliedstaaten der Montanunion hatten bereits am 27. 5. 1952 in Paris den Vertrag zur Grün-dung der EVG unterzeichnet2. Am 10. 9. 1952 hat der Rat der Montanunion zudem die Schaffung der EPG beschlossen3 und parallel zum Ratifizierungsprozess des EVG-Vertra-ges einen Verfassungsentwurf ausarbeiten lassen, der die politischen Lücken in der geplan-ten militärischen Integration füllen sollte. Gleichwohl wurde das Vorhaben einer EVG auf Grund des Widerstands von Gaullisten und Kommunisten in der Assemblée nationale mit 319 zu 264 Stimmen von der Tagesordnung abgesetzt. Da die parlamentarische Beratung des Projekts damit verweigert war, scheiterte dieser Integrationszweig – indes ohne formel-le Abstimmung. Zu einer Entscheidung der Außenminister über die EPG kam es dement-sprechend nicht mehr.Der Jahrestag ist insofern von Bedeutung, als er zum einen letztlich die Zuwendung zum wirtschaftlichen Integrationsstrang und somit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) mit sich brachte. Institutionell kam es dabei zur Loskoppelung von sicherheits- und wirtschaftspolitischer Zusammenarbeit in Europa, die in den ersten Jahren nach Kriegsende überwiegend noch als Einheit betrachtet wurde4. Zum anderen gibt die in Rom am 29.10. 2004 von den Staats- und Regierungschefs unterzeichnete, aber noch dem Ratifizierungs-prozess in den Mitgliedstaaten unterliegende EU-Verfassung gleichfalls äußerst umstrittene

* Der Verf. ist Wiss. Referent am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht, Ham-burg.

1 Die Entwürfe, Protokollnotizen und Diskussionspapiere finden sich in R. Schulze/T. Hoeren (Hrsg.), Dokumen-te zum Europäischen Recht, Bd. I: Gründungsverträge, 1999.

2 Eine Reaktion auf die anstehende Unterzeichnung des EVG-Vertrages war die umstrittene Note Josef Stalins (1879-1953) vom 10.3.1952 mit dem „Angebot“ einer Wiedervereinigung bei Neutralität Deutschlands.

3 U.a. auf Grundlage von Art. 38 EVGV; s. mit Abdruck der Norm K. H. Fischer, Die Entwicklung des europäi-schen Vertragsrechts, 2004, S. 33 (er meint das Primärrecht, also nicht das Schuldvertragsrecht).

4 S. D. Krüger, Sicherheit durch Integration? Die wirtschaftliche und politische Zusammenarbeit Westeuropas 1947 bis 1957/58, 2003, der vertritt, die NATO unter amerikanischer Führung bot militärische Sicherheit ohne Abgabe von Souveränitätsrechten, die aber für eine effektive europäische Verteidigungsgemeinschaft notwendig gewesen wäre.

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außen- und verteidigungspolitische Integrationsziele vor. Nachfolgend werden die Umstän-de des Projektvorschlages (unten II.), die Gründe und Wirkungen des Missglückens kurz in Erinnerung gerufen (III.), mit dem handelsgeistigen Integrationsstrang verglichen (IV.) und abschließend die Aktualität des EVG-Ansatzes aufgezeigt (V.).

II. Anfänge der europäischen Integration

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurden mehrere Vorstöße zur dauerhaften Befrie-dung durch supranationales Recht unternommen5. Die Schuman-Deklaration vom 9.5.1950 ist bekanntlich eine der ideellen Gründungsurkunden der Integration in Europa – neben Winston Churchills (1874-1965) Züricher Rede vom 19.9.1946 über die Errichtung einer Art Vereinigter Staaten von Europa6. Der vom französischen Außenminister Robert Schu-man (1886-1963)7 unterbreitete Vorschlag8 führte zur Gründung der Europäischen Gemein-schaft für Kohle und Stahl (EGKS): Am 18.4.1951 wurde der Vertrag von Belgien, der Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und den Niederlanden unter-zeichnet. Die Montanunion war gemäß Art. 97 EGKS-Vertrag auf fünfzig Jahre angelegt und lief dementsprechend am 23.7.2002 ersatzlos aus9. Unter seinem Präsidenten Jean Monnet (1888-1979), der bereits maßgeblichen Einfluss auf den Schuman-Plan hatte10, nahm die hohe Behörde11 am 10.8.1952 als Exekutivorgan der EGKS in Luxemburg ihre Arbeit auf12. Von 1952-1957 verfügte die EGKS zudem über einen eigenen Gerichtshof,

5 Neben den Vereinten Nationen, s. unten Fn. 52. Zu weiteren Entgrenzungsbemühungen, insbesondere zum am 5. 5. 1949 gegründeten Straßburger Europarat (Deutschland ist seit 1950 Mitglied) mit seinen Konventionen (u.a. der EMRK v. 4. 11. 1950) und dem 1959 eingerichteten Europäischen Gerichtshof (EGMR) sowie zur OEEC (1948), OSZE, EFTA, EWR, die GATT bzw. ihr Nachfolger WTO s. im Kontext H. Rösler, Die Entgren-zung des Nationalprivatrechts – Potenzialanalyse von Unionsprivatrecht, CISG und Prinzipien, EuLF 2003, S. 207 (208) (D) = EuLF 2003, S. 205 (206 f.) (E).

6 Wie bei den sonstigen Integrationsvorhaben unterstützte Churchills Regierung auch die Idee der EVG, doch ohne eine aktive Teilhabe zu planen; nur sein Nachfolger Anthony Eden (1897-1977) hätte Truppen gestellt, was er später im Rahmen der NATO erfüllte. S. K. Ruane, The Rise and Fall of the European Defence Community: Anglo-American Relations and the Crisis of European Defence, 1950-55, 2000. Zur Rolle Großbritanniens in der europäischen Integration H. Rösler, Großbritannien im Spannungsfeld europäischer Rechtskulturen, ZVgl-RWiss 100 (2001), S. 448 (461 ff.); ders., Europäisches Konsumentenvertragsrecht – Grundkonzeption, Prinzi-pien und Fortentwicklung, 2004, S. 243 f., 275.

7 Im März 1958 wurde Schuman zum Präsidenten des ersten Europaparlamentes in Straßburg gewählt. Erwäh-nenswert ist die Biografie Schumans, die seinen Aussöhnungsdanken geprägt hat und der seinen Plan als ersten Schritt zur Schaffung einer „europäischen Föderation“ verstand: Schuman wurde in Luxemburg geboren, sein Vater war aber Lothringer mit stark französischer Gesinnung. Schuman studierte in Deutschland Rechtswissen-schaften und wurde 1912 am damals deutschen OLG in Metz Rechtsanwalt. Im Ersten Weltkrieg diente er im deutschen Heer. Nach Abtretung von Elsass-Lothringen wurde Schuman Franzose und kämpfte im Zweiten Weltkrieg auf französischer Seite. Viele der Gründungväter der EG stammten aus Grenzregionen, so etwa Kon-rad Adenauer (1876-1967) und Alcide De Gasperi (1881-1954).

8 „[D]ie französische Regierung schlägt vor, die gesamte französisch-deutsche Kohle- und Stahlproduktion einer gemeinsamen Hohen Behörde zu unterstellen im Rahmen einer Organisation, die der Teilnahme der anderen Länder Europas offensteht.“ Abgedr. in: Beck-Texte im dtv, EuR (Europarecht), 14. Aufl. (1997), unter 4. (in späteren Ausgaben gestrichen); bei T. Oppermann, Europarecht, 2. Aufl. (1999), Rn. 19; auch G. Trausch, Die Europäische Integration vom Schuman-Plan bis zu den Verträgen von Rom, Bd. IV, 1993; R. Poidevin (Hrsg.), Histoire des Débuts de la Construction Européenne, 1986; P. Fontaine, A new idea for Europe – The Schuman declaration – 1950-2000, 2. Aufl. (2000).

9 Näher W. Obwexer, Das Ende der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, EuZW 2002, S. 517 ff.10 Jean Monnet (1888-1979), der geistige Vater des Schuman-Plans, wurde Präsident der Hohen Behörde der

EGKS. Die konstituierende Sitzung fand am 10.8.1952 statt.11 Wörtlich: „Haute Autorité commune“. Am 1.7.1967 werden die Exekutivorgane von EGKS, EWG und EAG

durch Fusionsvertrag zur EG-Kommission zusammengelegt.12 Hierzu die Hintergründe in spannender Darstellung bei D. Spierenburg/R. Poidevin, The History of the High

Authority of the European Coal and Steel Community, 1994, S. 57 ff.

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welcher den Vorläufer des heutigen EuGH bildete. Trotz ihrer wirtschaftlichen Ausrichtung hatte die Montanunion einen politischen Zweck, denn sie sollte durch die Vergemeinschaf-tung der kriegswichtigen Schwerindustrie insbesondere jeden „Krieg zwischen Frankreich und Deutschland nicht nur undenkbar, sondern materiell unmöglich“13 machen.Die EVG sollte den nächsten Schritt bilden, indem nun direkt eine militärische Integration angestrebt wurde. Grundlage bildete ein Vorschlag des französischen Ministerpräsidenten René Pleven (1901-1993), eine integrierte europäische Armee zu schaffen. Der am 24. 10. 1950 in der Nationalversammlung unterbreitete Pleven-Plan schlug eine 100.000-köpfige Armee vor, die zur Hälfte aus französischen Streitkräften bestehen sollte. Während die west-deutschen Truppen unter die Führung Frankreichs gestellt worden wären, hätten die anderen Staaten die Kontrolle über ihre Einheiten behalten. Konrad Adenauer (1875-1967) war indes zu einer Europaarmee nur unter der Bedingung einer vollen Gleichberechtigung der BRD bereit, so wie sie bereits in der Montanunion realisiert war. Im Laufe der Diskussion kam es demgemäß zu Planungen, die eine ebensolche Rolle Westdeutschlands vorsahen14.

III. Ursachen- und Wirkungsanalyse der EVG

1. Gründe für das Scheitern der EVG

Nach dem Ausbruch des Koreakrieges (1950-1953), als letzte Ausprägung stalinistischer Machtpolitik, drängten die USA und das Vereinigte Königreich auf einen Verteidigungsbei-trag Westdeutschlands15 – schließlich ein Grenzstaat des großen Konflikts der Machtböcke –, so dass Frankreich mit dem Pleven-Plan, wie erwähnt, in die Offensive ging. In Frank-reich, das wegen seines Militäreinsatzes in Indochina stark ausgelastet und von U.S.-ameri-kanischer Unterstützung16 (die Krise der alten Kolonialimperien andeutend) abhängig war, wagte es allerdings keine Regierung, die EVG parlamentarisch zu behandeln. Zudem hatte sich das Projekt bis zur Unterzeichnung der EVG doch recht weit vom französischen Aus-gangsvorschlag entfernt17. Aus diesen beiden Gründen wurde das Projekt nur noch halbher-zig von Frankreich unterstützt.Erst mehr als zwei Jahre nach der Unterzeichnung des EVG-Vertrags kam es auf Drängen insbesondere der anderen Staaten, die allesamt (bis auf Italien) bereits ratifiziert hatten18,

13 Zitat aus dem Schuman-Plan; oben Fn. 8.14 So sollte der Vertrag über die Beziehungen zwischen der BRD und den Drei Mächten v. 26. 5. 1952, der darauf

gerichtet war, das Besatzungsregime zu beenden, zusammen mit dem Vertrag über die Gründung der EVG in Kraft treten. Vgl. BVerfGE 90, 286 (293) und unten Fn. 15.

15 Zur Wiederbewaffnung Westdeutschlands sollte es innerhalb der 1949 (wenige Monate vor dem ersten sowjeti-schen Atombombenversuch) gegründeten Nordatlantischen Verteidigungsorganisation (NATO) kommen: Die Pariser Verträge von 1955 führten zum Ende des Besatzungsregimes in Westdeutschland, dem Rückerhalt der Souveränität und dem Saarstatut. Zugleich wurde die BRD unter Verzicht auf die Herstellung atomarer, biolo-gischer und chemischer Waffen in die NATO aufgenommen und der Brüsseler Pakt bzw. die Westeuropäische Union (WEU) gegründet. S. ausf. Militärgeschichtliches Forschungsamt (Hrsg.), Anfänge westdeutscher Si-cherheitspolitik: 1945 – 1956, Bd. I: Von der Kapitulation bis zum Pleven-Plan, 1982, Bd. II: Die EVG-Phase, 1990, Bd. III: Die NATO-Option, 1993, Bd. IV: Wirtschaft und Rüstung, Souveränität und Sicherheit, 1997. Im Gegenzug kommt es ebenfalls 1955 zur Gründung des Warschauer Paktes, welcher der Sowjetunion das Recht zur Truppenstationierung in den teilhabenden Staaten erlaubte. In Wahrheit handelte es sich um eine Legalisie-rung des bereits bestehenden Machtblockes; K. Bracher, Die Krise Europas: 1917-1975, Propyläen-Geschichte Europas, Bd. VI, 1982, S. 341.

16 Später Vietnam-Krieg (1964-1973).17 Sodann wurde die Westeuropäische Union als eine Untergruppe der NATO gegründet.18 S. für die Bundesrepublik Deutschland BGBl. 1954, II, S. 342.

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ohne pro- oder kontra-Stellungnahme zur Abstimmungseinbringung19. Nach besagtem Hö-hepunkt im Kalten Krieg20 lehnte es Frankreich – das dabei war, eine eigene Atomstreit-macht aufzubauen und sich Sorge um die unabhängige Kontrolle seiner Überseegebiete machte – knapp, aber eindeutig ab, sein Militär einem europäischen Oberkommando zu un-terstellen. Die mit EVP verknüpfte Wiederbewaffnung Deutschlands berührte unmittelbar sowohl sicherheitspolitische als auch gesellschaftspolitische und verfassungsrechtliche Fra-gen. Daher hatte sich ebenfalls das BVerfG mehrmals mit der geplanten EVP zu beschäftig-ten, nämlich zur (offen gelassenen) Problematik, ob das Grundgesetz ohne Ergänzung die Aufstellung von Streitkräften und die Beteiligung an der Europäischen Verteidigungsge-meinschaft erlaubt21.

2. Historische Gesamtlage

Die Herausbildung gemeinsamer europäischer Wirtschafts- und Rechtsstrukturen, be-schränkt auf den kleinen Rahmen Westeuropas, war nicht nur als Fremd- bzw. Selbstzäh-mung erwünscht. Der Wandel im Nationenverständnis war angesichts der Polarisierung in zwei Machtblöcke bzw. des Machtverlusts einzelner Staaten in dieser bipolaren Konstellati-on letztlich unausweichlich. Die geschichtsmächtige ideologische und ökonomische Kon-kurrenz mit dem Osten spielte gleichfalls eine Rolle, schließlich fördert gemeinsame Geg-nerschaft bekanntlich die Gruppenbildung22: Die kommunistischen Staaten hatten sich be-reits 1949 unter sowjetischer Führung im Rat für gegenseitige Wirtschaftshilfe, dem Come-con, zusammengefunden, der zu einem festen Wirtschaftsblock führen sollte. Sechs der westeuropäischen Staaten reagierten 1951 mit der Montanunion und dann am 25. 3. 1957 in Rom mit der Gründung der EWG und der Europäischen Atomgemeinschaft (EAG). Die weiteren freien, aber (damals) noch integrationskritischen Staaten wurden ebenfalls aktiv: Dänemark, Großbritannien, Österreich, Norwegen, Portugal, Schweden und die Schweiz

19 K. Bracher (o. Fn. 15), S. 340; darin wird auch ein Beweis gesehen, dass es sich ohnehin nur um ein Verzöge-rungsmanöver der traumatisierten Franzosen hinsichtlich der Wiederbewaffnung Westdeutschlands handelte; vgl. J. J. Aimaq, Rethinking the EDC: integration or strategic leverage?, in: M. Dumoulin (Hrsg.), La commu-nauté européenne de défense, leçons pour demain? / The European defence community, lessons for the future?, 2000, S. 91 (92).

20 Koreakrieg und niedergeschlagener Aufstand in der DDR (17. 6. 1953).21 BVerfGE 1, 281 ff.; 1, 396 ff.; 2, 79 ff.; 2, 143 ff. Im Jahr 1954 kam es dann zur verteidigungskompetenzrecht-

lichen Ergänzung des Art. 73 Nr. 1 GG (einschließlich der Möglichkeit der allgemeinen Wehrpflicht), zur Ein-fügung des Art. 79 Abs. 1 S. 2 GG sowie des (wieder gestrichenen) Art. 142a GG. Zudem analysiert BVerfGE 90, 286 (293 f.) die Entwicklung der EVG zum AWACS/Adria/Somalia-Einsatz ausführlich. Die heutige Verfas-sungsgemäßheit des seit 1956 bestehenden „allgemeinen“ Wehrdienstes ablehnend H. Rösler, Entscheidet Karlsruhe in der Wehrpflichtfrage?, F.A.Z. v. 13. 2. 2001, S. 15; einen entsprechenden Vorlagebeschluss des LG Potsdam, NJ 1999, S. 660 (LS) hat das BVerfG, DVBl. 2002, S. 769 f. allerdings für unzulässig erklärt. Obwohl noch ungeklärt ist, ob die derzeitige Einberufungspraxis, bei welcher nur ein geringer Teil der wehrpflichtigen Männer (als zwecklose Art von Naturalsteuer) zur Bundeswehr einberufen wird, willkürlich ist und gegen Art. 3 GG verstößt, müssen die Wehrpflichtigen unter Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde nach BVerfG, NJW 2004, S. 2297 bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache dem Einberufungsbescheid folgen, um – so die Begründung – die Verteidigungs- und Bündnisfähigkeit der BRD nicht zu gefährden. Zudem hat das BVerwG, NJW 2005, S. 1525 ff. die Entscheidung des VG Köln, NJW 2004, S. 2609 ff., das die Rechtswidrig-keit der Wehrpflichtpraxis bejahte, aufgehoben und festgestellt, dass die Einberufungspraxis nicht gegen das GG verstoße. Zutreffend demgegenüber T. Voland, Wehrpflicht nur für Auserwählte?, DÖV 2004, S. 453 ff. und die Richtervorlage des VG Köln v. 15. 4. 2005 (8 K 15/05 u.a.) an das BVerfG.

22 So wie gemeinsame Not, gemeinsamer Vorteil und gemeinsame Freude; zu solchen Gruppenbildungsfaktoren allg. P. Hofstätter, Gruppendynamik – Kritik der Massenpsychologie, 1968, S. 97.

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stellten der EWG mit Gründung der Europäischen Freihandelszone (EFTA) 195923 einen lockeren Konkurrenzverband gegenüber, der vorrangig Zölle und Vergleichbares beseitigen sollte.

3. Effekte: Ausrichtung auf das Wirtschaftsrecht

Das partielle Versagen der europäischen Integration hat letztlich die Zuwendung zu einer (Neu-)Europäisierung des Privatrechts bewirkt. Bereits während der EVG-Verhandlungen wurden Stimmen laut, die eine Zollunion befürworteten24. Nach einem entsprechenden Me-morandum der Beneluxstaaten25 wurden diese Ansätze auf der Regierungskonferenz der sechs Montanunionstaaten in Messina Anfang Juni 1955 zur Behebung der Krise aufge-nommen. Die unter maßgeblichem Einfluss des damaligen belgischen Außenministers Paul-Henri Spaak (1899-1972) geführten Verhandlungen glückten knapp zwei Jahre später mit der Unterzeichnung der besagten ökonomie- und atombezogenen Gründungsverträge von Rom durch die Sechs. Das Vereinigte Königreich hatte sich bereits im November 1955 zu-rückgezogen. (Anfang 1957 dachte Großbritannien über eine europäische Militärgemein-schaft unter britischer Führung nach. Zur Verhinderung der weiteren Verbreitung von Atom-waffen boten die USA aber den Briten die Rolle eines Juniorpartners an.)26

Nach dem Rückschlag bei der Vergemeinschaftung von Hoheitsrechten ging man mithin nach dem erfolgreicheren Beispiel der EGKS vor. Mit ihr hatten sich segmentspezifische polit-ökonomische und damit pragmatisch-funktionale Ansätze (im Gegensatz zu eher „ide-ologischen“ oder explizit föderalen) als für das europäische Einigungswerk förderlich er-wiesen27. Die EWG nahm zugleich einen institutionellen Rückgriff auf das Gericht der Montanunion vor28. Da mit der wirtschaftlichen Entwicklung ferner das Anliegen einer brei-teren Einbindung der deutschen Wirtschaftskraft29 größer wurde30, wandte sich die Grün-dung der EWG an die außerhalb der Administration befindliche private Ökonomie und setz-te damit auf die bis in das römische Recht zurückreichende Ordnungskraft und rechtliche Sachlogik von Wirtschaftsbeziehungen31. Dass zunehmend auch Kernbereiche des nationa-

23 Der von Großbritannien initiierte Versuch, die gerade gegründete EWG im Rahmen der OEEC in einer großen Freihandelszone aufgehen zu lassen, scheiterte im November 1958 am französischen Veto; zur Europapolitik Frankreichs unter Charles de Gaulle (1890-1970), der im Januar 1946 zurücktrat und 1958 wiederkehrte, s. E. Jouve, Die Europa-Politik Frankreichs unter de Gaulle, Europa-Archiv 1965, Folge 5, S. 261 (266); vgl. weiter H. Rösler, ZVglRWiss 100 (2001), S. 448 (462).

24 Insbesondere die exportabhängigen Niederländer forderten dies; J. van der Harst, The Atlantic Priority: Dutch Defence Policy at the Time of the European Defence Community, 2003.

25 Vorgeschlagen wurde gar „die Schaffung eines umfassenden Gemeinsamen Marktes und [nota bene] die schritt-weise Harmonisierung der Sozialpolitik“; näher K. H. Fischer (o. Fn. 3), S. 34 f.

26 W. Abelshauser, “Integration a la Carte” – The Primacy of Politics and the Economic Integration of Western Europe in the 1950s, in: S. Martin (Hrsg.), The Construction of Europe – Essays in Honour of Emile Noël, 1994, S. 1 (16). Zur NATO oben Fn. 4, 6, 15 und 17.

27 Vgl. T. Oppermann (Fn. 8), Rn. 22; H. von der Groeben, Wie es begann: Von der Montanunion zum europäi-schen Binnenmarkt, ZEuP 2003, S. 1 ff. Auch der Marshall-Plan zeigte, dass Erfolge am ehesten im wirtschaft-lichen Bereich zu erreichen waren; hierauf weist K. Bracher (o. Fn. 15), S. 263 hin.

28 Zur Funktion des EuGH vgl. H. Rösler, Zur Zukunft des Gerichtssystems der EU – Entwicklungstendenzen des EuGH zum Supreme Court Europas, ZRP 2000, S. 52 ff.

29 Das deutsche „Wirtschaftswunder“ beginnt mit der Währungsreform 1948. Einige datieren sein Ende auf 1957/58, andere auf die Wirtschaftskrise von 1966/67.

30 W. Loth, Der Weg nach Europa, 2. Aufl. (1991), S. 113.31 P.-C. Müller-Graff, Europäisches Gemeinschaftsrecht und Privatrecht – Das Privatrecht in der europäischen

Integration, NJW 1993, S. 13; s. zu den Konzepten der frühen fünfziger Jahre R. Schulze, Anfänge und Ausbau der europäischen Integration – zu den Konzepten der frühen fünfziger Jahre, in: R. Hrbek/V. Schwarz (Hrsg.), 40 Jahre Römische Verträge: Der deutsche Beitrag, 1998, S. 91 ff.

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len Privatrechts vergemeinschaftet werden32, war sicher nicht allgemein beabsichtigt33, ist aber spätestens seit der Schaffung des Binnenmarktes unvermeidbar34.

IV. Handels- und Verfassungsgeist

Die Zuwendung zur Ökonomie hat damit tiefere Ursachen als die Suche nach einer Alterna-tive zur missglückten EVG35 und ihres politischen Überbaus in Form der EPG. Immanuel Kant (1724-1804) führte in seiner in kriegsturbulenten Zeiten, nämlich 1795, erschienenen Schrift „Zum ewigen Frieden“ aus: „Es ist der Handelsgeist, der mit dem Kriege nicht zu-sammen bestehen kann, und der früher oder später sich jedes Volks bemächtigt. [...] Auf die Art garantiert die Natur durch den Mechanismus der menschlichen Neigungen selbst den ewigen Frieden“36. Auch in Deutschland haben sich 1834, als Vorläufer der nationalen Ein-heit, 18 Staaten und 23 Millionen Menschen im Zollverein zur Verkehrsfreiheit und zu ei-nem einheitlichen Tarif für den Außenhandel zusammengefunden. Nicht von ungefähr ist der Zollverein häufiger mit der EWG verglichen worden37. Fraglos ist die nationenübergrei-fende europäische Einigung von anderer Qualität. Sie hat ihre Vorläufer eher im Internatio-nalismus des 19. Jahrhunderts, welcher sich in den entsprechenden Konventionen etwa im Verkehrs-38, Telegrafen- und Immaterialgüterrecht widerspiegelt39.Dennoch beruhen diese internationalen Strömungen, die mit den dampfbetriebenen Schif-fen und Eisenbahnen in neuer Qualität einsetzen,40 als auch ihre Jahrhunderte zurückgrei-fenden handelspolitischen Vorläufer bereits auf einem ähnlichen Anreizmechanismus wie die heutigen staatlichen Öffnungen oder Entgrenzungen41: Der Wunsch nach schnellerem Waren- und Informationsfluss entspricht dem Diktat der Wirtschaftsprozesse, bei denen „neues Wissen“, „Beschleunigung“ und technische Innovation sowie der daraus entstehende

32 S. J. Basedow (Hrsg.), Europäische Vertragsrechtsvereinheitlichung und deutsches Recht, 2000; ders., Das künftige europäische Privatrecht: Der hybride Kodex, AcP 200 (2000), S. 445.

33 Vgl. W. Hallstein, Angleichung des Privat- und Prozessrechts in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, RabelsZ 28 (1964), S. 211 ff.

34 H. Rösler (o. Fn. 6), S. 205 ff.; J. Basedow, A Common Law of Contract for the Common Market, 33 CML Rev. 1169 (1996).

35 S. schließlich o. Fn. 15 und 6.36 I. Kant, Zum ewigen Frieden – ein philosophischer Entwurf, Zweiter Abschnitt, Definitivartikel, Zweiter Zu-

satz, 1995 (Reclam-Ausgabe), S. 33.37 Vgl. zum deutschen Zollverein als Präzedenzfall für die Bildung eines freien europäischen Marktes A. Weber,

Der deutsche Zollverein als Präzedenzfall für die Bildung eines freien europäischen Marktes, Schmollers Jahr-buch für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft 78 (1958), S. 685 ff.; W. Fischer, Der Deutsche Zoll-verein, die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft und die Freihandelszone – Ein Vergleich ihrer Motive, Institu-tionen und Bedeutung, Europa-Archiv 1961, Folge 5, S. 105 ff.

38 Etwa im Verkehrsbereich, s. J. Basedow, Verkehrsrecht und Verkehrspolitik als europäische Aufgabe, in: ders. (Hrsg.), Europäische Verkehrspolitik, 1987, S. 1 f.

39 Vgl. H. Rösler, EuLF 2003, S. 207 (209) (D) = EuLF 2003, S. 205 (207) (E); M. Herren-Oesch, Hintertüren zur Macht – Internationalismus und modernisierungsorientierte Außenpolitik in Belgien, der Schweiz und den USA 1865-1914, 2000.

40 In Marburg baut 1690 Denis Papin (1647-1712) die erste Kolbendampfmaschine. 1765 verbessert James Watt (1736-1819) die Newcomen-Maschine entscheidend und erhält für die erste direktwirkende Niederdruckdampf-maschine mit vom Zylinder getrenntem Kondensator 1769 ein Patent. 1782 wird die nochmals verbesserte Maschine in der Eisenindustrie eingeführt. 1814 fährt die erste Lokomotive, bekanntlich gebaut von George Stephenson (1781-1848). Das erste Dampfschiff fuhr 1807. Zur Internationalisierung durch die Industrialisie-rung und die Wirtschaft jüngst das Kopenhagener Werk E. Hansen, European Economic History: From Mercan-tilism to Maastricht and Beyond, 2002.

41 Näher zu diesem Konzept H. Rösler, EuLF 2003, S. 207 ff. (D) = EuLF 2003, S. 205 ff. (E).

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Zeitvorsprung Profit für das hierüber verfügende Unternehmen bedeutet. Dies führt zum irreversiblen Aufheben von Marktfragmentierungen, indem die wettbewerbsbasierte Suche nach technologischem Fortschritt, nach verstärkter Effektivität, nach Ausschöpfung des Wohlstandspotenzials der internationalen Arbeitsteilung mit größerem Zeit- und Raumab-stand der Akteure stets weitere Kreise zieht. Diese Entwicklung setzt die klassischen Auf-fassungen vom Nationalstaat und die entsprechenden Staatstheorien sichtbar unter Druck.Die genannten Bereiche sind auch heute noch intensiv international geregelt. Dies gilt na-mentlich für das Transportrecht42 mit den von der Pariser Internationalen Handelskammer (ICC) 1936 erstmals herausgegebenen, zuletzt in der Neufassung Incoterms 2000 veröffent-lichten „International Commercial Terms“. Sie behandeln internationale Regeln über Ausle-gung handelsüblicher Vertragsformeln. Noch heute geht das deutsche Scheck- und Wechsel-recht auf das im Rahmen des Völkerbundes Anfang der 1930er Jahre geschlossene Genfer Abkommen über ein Einheitliches Wechselgesetz43 und ein Einheitliches Scheckgesetz44 zu-rück. Damit hat das wirtschaftsgeprägte Recht – wie in Deutschland mit der Allgemeinen Deutschen Wechselordnung (1848) und dem Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuch (1861) – erste Schritte zu der zivilrechtlichen Vereinheitlichung eingeleitet. Zum sog. Kon-ventionsprivatrecht zählte des Weiteren das Haager Kauf- und Kaufabschlussabkommen (genau: Übereinkommen zur Einführung eines Einheitlichen Gesetzes über den internatio-nalen Kauf beweglicher Sachen und über den Abschluss von internationalen Kaufverträgen über bewegliche Sachen) vom 1.7.196445. Dem Abkommen waren jedoch nur wenige Rati-fizierungserfolge und eine eingeschränkte Akzeptanz der Praxis beschieden. An seine Stelle trat das CISG: Entwickelt wurde die Konvention von der auf Beschluss der UNO-General-versammlung 1966 ins Leben gerufenen Wiener United Nations Commission on Internatio-nal Trade Law (UNCITRAL)46.Zum Teil waren die Bemühungen, mit dem wirtschaftlichen Impuls im Hintergrund, geeig-net, unterschiedliche Rechtskreise47 zu überbrücken oder in den Hintergrund zu stellen48. In der EU wirkt nun auch teils das vergleichsweise „soziale“ Anliegen des Verbraucherschut-zes rechtskonvergierend49. Nach einigen Anfangsschwierigkeiten sind endlich breitere Schichten der Rechtswissenschaft auf das wachsende Gebiet des Unionsprivatrechts auf-merksam geworden50. Die EU-Verfassung trägt eine weitere, bisher exklusiv nationalstaat-

42 Ausf. J. Basedow, Der Transportvertrag – Studien zur Privatrechtsangleichung auf regulierten Märkten, 1987; ders., Hundert Jahre Transportrecht: Vom Scheitern der Kodifika tionsidee und ihrer Renaissance, ZHR 161 (1997), S. 186 ff.

43 V. 7. 6. 1930; RGBl 1933 II, S. 377 ff.44 V. 19. 3. 1931; RGBl 1933 II, S. 537 ff.45 V. 17. 7. 1973, BGBl II, S. 885.46 V. 5. 7. 1989, BGBl. II, S. 586. Für einen Potenzialvergleich mit dem Unionsprivatrecht und den Lando- sowie

UNIDROIT-Prinzipien H. Rösler, EuLF 2003, S. 207 (210 f., 212 f.) (D) = EuLF 2003, S. 205 (208 f., 210 f.) (E); s. auch J. Basedow, Grundlagen des europäischen Privatrechts, JuS 2004, S. 89 (91 f.).

47 Näher H. Rösler, Rechtsvergleichung als Erkenntnisinstrument in Wissenschaft, Praxis und Ausbildung (Folge 2), JuS 1999, S. 1186 (1187 f.).

48 Allerdings scheiterten hieran die Bemühungen der Haager Konferenz für Internationales Privatrecht ein welt-weites Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen (hierzu A. v. Mehren/R. Michaels, Pragmatismus und Realismus für die Haager Verhandlungen zu einem weltweiten Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkom-men, DAJV-Newsletter 2000, S. 124 ff.) zu schaffen.

49 Zu diesem Paradigmenwandel H. Rösler (o. Fn. 6), S. 91 ff., 255; näher zu den Aufstiegsursachen des EU-Ver-braucherschutzes ders., Europäische Integration durch Verbraucherschutz: Entwicklungsursachen und Be-schränkungen, VuR 2003, S. 12 ff.

50 H. Rösler, Der Griff nach dem Ungreifbaren – Zum Entstehen einer Europäischen Zivilrechtswissenschaft, KritV 2002, S. 392 (404 ff.).

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liche Komponente hinzu. Zu bedenken ist allerdings, dass der Verfassungsgeist, insbesonde-re mangels eines demos, einer europäischen Identität und Öffentlichkeit51, geringer ausge-prägt ist als der Handelsgeist. Inwieweit sich dieser Umstand bei den anstehenden Ratifizie-rungen und z.T. Volksabstimmungen zur geplant bis 2007 in Kraft tretenden Verfassung niederschlägt, bleibt abzuwarten.Vieles hängt davon ab, ob in den Mitgliedstaaten die EU-Verfassung qualitativ als völlig neuartiger Schritt zur Entmachtung der Nationalstaatlichkeit, dieser verhältnismäßig jungen Form des politischen Lebens, oder als konsequente Fortentwicklung des Gemeinbestandes und als allgemeiner Ausdruck des Befriedungsmechanismus durch Recht52 bewertet wird53. Für Letzteres spricht, dass beispielsweise die teilweise in den 1990er Jahren entstandenen zahlreichen Republiken zwischen dem Baltikum und der Adria größtenteils in die EU stre-ben oder bereits am 1.5.2004 Aufnahme gefunden haben. Sie beteiligen sich auch darüber hinaus an dem durch Institutionalisierung54 abgestützten Bestreben nach einer neuen Ba-lance der Mächte55. Vor allem ergibt sich bei genauer Betrachtung: Die benannten Neu- bzw. Wiedergründungen sind Folge des Zusammenbruchs der Sowjetunion und damit gera-de ein Zeichen der allgemein zu beobachtenden Relativierung von staatlicher Autorität.Um den Kreis kurz über Europa hinauszuziehen: Auf dem amerikanischen Kontinent wird mit der „Free Trade Area of the Americans“ (FTAA) eine (in der inhaltlichen Ausgestaltung noch recht offene) größere Freihandelszone von Alaska bis Feuerland geplant56, die dann Nafta (Vereinigte Staaten, Kanada und Mexiko) ebenso wie Mercosor, mit dessen Grün-dung sich im Jahre 1991 Argentinien, Brasilien, Uruguay und Paraguay mit 215 Millionen Menschen zur viertgrößten Wirtschaftszone der Welt zusammenschlossen57, umfassen wür-de. Am 9.7.2002 wurde im südafrikanischen Durban des Weiteren die Afrikanische Union (AU) gegründet. Während die nach knapp vier Jahrzehnten aufgelöste Organisation der Afrikanischen Einheit (OAU) sich vor allem der Beseitigung der Kolonialstrukturen widme-

51 Vgl. kurz H. Rösler, Integrations- und Legitimationsfaktoren der Europäischen Union, ZEuP 2000, S. 168 (171 f.).

52 So sind Präventivkriege nach Art. 2 Abs. 4 und Art. 51 UN-Charta v. 26. 6. 1945 unzulässig. Ausnahmen des Gewaltverbots sind das naturgegebene Selbstverteidigungsrecht eines angegriffenen Staates sowie die vom Si-cherheitsrat als Exekutivorgan des kollektiven Sicherheitssystems der UN zu beschließenden Maßnahmen ge-gen Staaten, die den Weltfrieden und die internationale Sicherheit gefährden. Der Irak-Krieg im Frühjahr 2003 steht dem entgegen. Der Versuch einer Vormacht, die (anderen) genannten Ziele unter der sog. Bush-Doktrin mit einem Präemptivschlag militärisch durchzusetzen, ist völkerrechtlich unhaltbar und mittlerweile global ebenso so anachronistisch wie die Normgeltung erodierend. Hinsichtlich der Gefangenen auf dem U.S.-Stütz-punkt Guantánamo Bay hat immerhin der Supreme Court in Rumsfeld v. Padilla et al., 124 S. Ct. 2711 (2004) am 28. 6. 2004 ein außermilitärgerichtliches Klagerecht (auch von Nichtamerikanern) in einer überraschend breiten Mehrheit von sechs zu drei Stimmen bejaht und damit die „Tür des Rechtsstaates“ geöffnet.

53 So positiv H. Rösler, VuR 2003, S. 12 (19 f.).54 Hierzu B. Stahl, Warum gibt es die EU und die ASEAN? – Faktoren weltpolitischer Institutionalisierung in

vergleichender Analyse, 1998.55 Vgl. H.-J. Seeler, Die Europäische Einigung und das Gleichgewicht der Mächte – Der historische Weg der Eu-

ropäischen Staaten zur Einheit, 2. Aufl. (1995).56 Die Projektplanung des größten Binnenmarktes der Welt, der mit 34 recht unterschiedlichen amerikanischen

Staaten 800 Millionen Menschen betreffen würde, soll bis 2005 abgeschlossen sein.57 J. Basedow/J. Samtleben (Hrsg.), Wirtschaftsrecht des MERCOSUR – Horizont 2000, 2001; Max-Planck-Insti-

tut für ausländisches und internationales Privatrecht, Rechtsquellen des MERCOSUR, Teilbd. I: Wirtschafts-verfassung und Rechtssystem, 2000; Teilbd. II: Handel und Verkehr, 2000; insbesondere zur Integrationsmetho-de (sog. top-down-integration) und zum Abschluss eines interregionalen Kooperationsabkommens zwischen MERCOSUR und der EU im Jahre 1995 U. Wehner, Der Mercosur, 1999; J. v. Bernuth, Lauterkeitsrecht, Kar-tellrecht und Verbraucherschutz in den Ländern des Mercosul, 2001; jüngst J. P. Schmidt, Neue Impulse durch institutionelle Reformen – der Mercosur ist wieder auf Kurs, EuZW 2005, S. 139 ff.

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te, zielt die AU auf die Armutsbekämpfung und die Wahrung der Menschenrechte. Insoweit hat sich die Methode der schrittweisen wirtschaftlichen und wirtschaftsrechtlichen Integra-tion als überaus erfolgreich erwiesen und ist vorbildgebend für die Harmonisierungsbestre-bungen in anderen Weltregionen.

V. Ausblick, insbesondere auf die Außen- und Verteidigungspolitik der EU

Es mag atypisch, zumindest angesichts der mitgliedstaatlichen Ratifizierungen der EU-Ver-fassung unbeliebt erscheinen, an ein Scheitern in der europäischen Integrationsgeschichte zu erinnern58. Doch erstens bildet regelmäßig ein Versagen in der machtstrategischen Ba-lance der europäischen Nationalstaaten den Ausgangspunkt für komplementäre europapoli-tische Initiativen; schließlich nahmen sämtliche Integrationsbemühungen das Missglücken der Versailler Friedensrekonstruktion und die folgende Katastrophe als negative Referenz für eine neue europäische Ordnung59. Zweitens zeigt die – vorerst „nur“ von den Staats- und Regierungschefs vereinbarte – Europäische Verfassung ein halbes Jahrhundert nach Scheitern der EVP und EPG (welche in ihrem Vertrags- und Verfassungsentwurf Bestim-mungen zur gemeinsamen Außenpolitik enthielt60), wie überraschend aktuell beide Kon-zepte sind.Der vom Europäischen Rat am 18.6.2004 vereinbarte Verfassungsvertrag61, der nach Schei-tern am 13.12.2003 im zweiten Anlauf angenommen wurde, sieht zur Vorantreibung der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Union in Teil III, Titel V (Art. III-292 bis III-329 VVE) mit der Bezeichnung „Auswärtiges Handeln der Union“62 nicht nur einen Europäischen Auswärtigen Dienst63 (Art. III-296 Abs. 3 VVE), sondern auch einen europä-ischen Außenminister (Art. I-28, III-292 ff. VVE) vor. Der EU-Außenminister, der dem Präsidenten des Europäischen Rats zur Seite stehen soll, würde nach Art. I-28 VVE vom Rat mit qualifizierter Mehrheit und in Übereinstimmung mit dem Präsidenten der Kommis-sion ernannt. Er soll sowohl die Aufgaben des außenpolitischen Beauftragten des EU-Rats als auch jene des EU-Kommissars für Außenbeziehungen übernehmen (sog. „Doppelhut“) und seine Befugnisse gingen über das bisherige Amt des Hohen Vertreters der Gemeinsa-

58 Allein in der außerjuristischen Wissenschaft wurde die EVG und ihr Scheitern, was zu allerlei Frustrationen und Vermutungen Anlass gab, sowie die Fortentwicklung intensiv behandelt, etwa E. Fursdon, The European De-fence Community – A History, 1980; M. Kreft, Die Europäische Union als Sicherheitsinstitution, 2002; S. Duke, The Elusive Quest for European Security, 2000; W. Lipgens, Die Bedeutung des EVG-Projekts für die politische europäische Einigungsbewegung, in: H.-E. Volkmann/W. Schwengler (Hrsg.), Die Europäische Verteidigungsge-meinschaft: Stand und Probleme der Forschung, 1985, S. 9 ff.; insbesondere zu psychologischen Aspekten D. Lerner/R. Aron (Hrsg.), France Defeats EDC, 1957; auch J. Howorth/A. Menon (Hrsg.), The European Union and National Defence Policy, 1997; G. Nolte (Hrsg.), European military law systems, 2003.

59 Vgl. dazu und inwieweit dies heute noch der Fall ist H. Rösler, EuLF 2003, S. 207 (213) (D) = EuLF 2003, S. 205 (211) (E).

60 Dazu M. Bernath, Die Europäische Politische Gemeinschaft – ein erster Versuch für eine gemeinsame europäi-sche Aussenpolitik, 2001, S. 19 ff., 45 ff.; W. Loth, Entwürfe einer europäischen Verfassung: eine historische Bilanz, 2002; weiter R. T. Griffiths, Europe’s First Constitution: The European Political Community, 1952-1954, 2001; S.-R. Kim, Der Fehlschlag des ersten Versuchs zu einer politischen Integration Westeuropas von 1951 bis 1954, 2000.

61 ABl.EG 2004 Nr. C 310, S. 1 ff.62 Für eine Synopse eines Teils der relevanten Vorschriften s. K. H. Fischer (o. Fn. 3), S. 138 ff.; s. dazu weiter M.

Jopp/E. Regelsberger, GASP und ESVP im Verfassungsvertrag – eine neue Angebotsvielfalt mit Chancen und Mängeln, integration 2003, S. 550 ff.

63 Zum Reformbedarf der nationalen Diplomatien in der EU vgl. H. Rösler, Die Botschaftsdiplomatie: Ein Ein-blick, Jura 1998, S. 220.

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men Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) beachtlich hinaus (Art. 26 EU)64. Er würde nach Art. III-296 VVE dem Rat der Außenminister vorsitzen und zugleich als einer der Vi-zepräsidenten der Kommission fungieren. Indes wären die Ausweitungen der Mehrheitsent-scheidungen im Ministerrat nicht auf die Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Union bezogen. Es bleibt also – auf britisches Drängen hin – bei der Beibehaltung des Vetos in der Außenpolitik. Eine qualifizierte Mehrheitsentscheidung gemäß Art. I-25 VVE soll allerdings nach Art. III-300 Abs. 2 lit. b) VVE ausreichend sein, wenn der EU-Außenminis-ter auf Bitte des Rates einen konkreten Vorschlag einbringt.Im gewissen Sinne würden die Bestimmungen zur Gemeinsamen Außen- und Sicherheits-politik sowie der Strukturierten Zusammenarbeit in Verteidigungsfragen (Art. III-312) die Lücke in der Integrationsordnung füllen, die seit der Ablehnung der EVG und EPG klafft und zunächst durch die Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ)65 und später durch die GASP66 und die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) zum zivilen und militärischen Krisenmanagement67 (Art. 17 EU) nur unzureichend gekittet wurde68. Zudem ist die europäische Integration damit bei der Befriedungsaufgabe angekommen, die sie davor zumeist nur indirekt durch wirtschafts- und später verbrauchernahe Regelungen verwirklichte. Das vorbildgebende Modell der EGKS bedeutete den entscheidenden Über-gang von misstrauischer Überwachung zur positiv-kontrollierenden und konstruktiven Ko-operation mit Westdeutschland69.Die weitere Kalkulation, auch im Rahmen der EWG und Jahrzehnte später bei der Schaf-fung des Euro, dass ein wirtschaftlicher Unterbau die Einigung in anderen Bereichen för-dern würde, ist bis dato aufgegangen. Dass dies nach fünfzig Jahren auch auf den EVG-In-tegrationsstrang zutrifft, ist zu hoffen. Einen beachtlichen Schritt stellte der Maastrichtver-trag dar, welcher eher dem EPG-Einigungsstrom entspricht, und der demgemäß eine verfas-sungsrechtliche Diskussion um Art und Ausmaß der Einigungspolitik entfachte70. Zugleich bedeutete der am 7.2.1992 unterzeichnete Maastrichtvertrag die Schaffung einer über bloße wirtschaftliche Bereiche hinausgehenden politischen Union und einen weiteren Schritt zur Konstitutionalisierung der Integrationsordnung. Die erweiterten Befugnisse schlugen sich bekanntlich nicht nur in der Etablierung der EU, sondern auch in der Umbenennung der EWG in EG nieder.

64 Zur neuen „Architektur“ D. Thym, Die neue institutionelle Architektur europäischer Außen- und Sicherheitspo-litik, AVR 42 (2004), S. 44 ff.; auch A. Deighton, The European Security and Defence Policy, JCMS 40 (2002), S. 719 ff.; E. Regelsberger, Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU (GASP) – Konstitutionelle Angebote im Praxistest 1993-2003, 2004; H.-J. Cremer, Anmerkungen zur GASP – Eine rechtspolitische Pers-pektive, EuGRZ 2004, 587; D. Vernet, Die Union als außenpolitischer Akteur – Skizze einer Standortbestim-mung, EuGRZ 2004, 584; M. E. Smith, Europe’s Foreign and Security Policy: The Institutionalization of Coo-peration, 2003.

65 Die EPZ erhielt erst durch die Einheitliche Europäische Akte (EEA) von 1986 eine vertragsrechtliche Grundlage. S. K. H. Fischer (o. Fn. 3), S. 151. H. J. Glaesner, Die Einheitliche Europäische Akte, EuR 1986, S. 119 ff.

66 Die GASP, als eine Weiterentwicklung der EPZ aus den 70er Jahren, wurde 1992 mit dem Vertrag von Maastricht gegründet. Sie bildet die zweite Säule der EU.

67 Kern der erst 2003 operativ gewordenen ESVP ist die Schnelle Eingreiftruppe. A. J. K. Bailes, Die Europäische Sicherheitsstrategie: programmatische und praktische Perspektiven für GASP und ESVP, integration 2005, S. 107.

68 Inwieweit die EVG auch das Vorbild für eine zukünftige Europaarmee bildet, wird diskutiert; s. E. Röper/C. Issel, Das Wiedererstehen der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft, ZRP 2003, S. 397 ff.; D. Krüger, Die EVG – Ein Vorbild für eine zukünftige Europaarmee?, in: W. Hoyer/E. Brok (Hrsg.) Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, 2002, S. 43 ff.

69 K. Bracher (o. Fn. 15), S. 264.70 Insbesondere BVerfGE 89, 155 – Maastricht; H. Rösler (o. Fn. 6), S. 78, 81, 87; M. Kumm, Who is the Final

Arbiter of Constitutionality in Europe?, 36 CML Rev. 351 (1999).

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Nach der weltpolitischen Wende von 1989/90, dem völkerrechtsproblematischen71 Irakkrieg 2003 (der Friktionen innerhalb der eher intergouvernementalen NATO und der integrativ angelegten EU aufzeigte, aber auch einem eigenständigen EU-Sicherheitssystem neuen Auftrieb gab) und der Osterweiterung zum 1.5.2004 hat sich die Situation gegenüber 1953 grundlegend gewandelt. Die unterschiedlichen Verteidigungskulturen, die Zusammenarbeit mit ehemaligen „Feinden“ sowie die notwendige Standardisierung des militärischen Mate-rials72, die damals die großen Probleme darstellten, sind heute stark vermindert. Doch wenn Genscher ausführte: „Unsere Außenpolitik ist um so nationaler, je europäischer sie ist“, so reflektiert dieses scheinbare Paradoxon, dass die Rehabilitation Deutschlands und Lösung der Deutschen Frage nur innerhalb der aussöhnungsorientierten (freien) Völkergemeinschaft zu erreichen war73. Obschon der Satz in viel geringerem Maße auch auf die ost- und mittel-europäischen Staaten mit Blick auf ihr Beitrittsansinnen zutraf, stellt sich die Frage wieweit die echte Europabegeisterung in Gesamt-Europa geht. Bei einer stärker polyzentrischen, also divergierenden Entwicklung werden als mögliche Staaten eines konzentrischen Kern-europas – als ultima ratio – zutreffend Deutschland, Frankreich, Italien und die Beneluxlän-der genannt – just die Gründungstaaten der EGKS, der geplanten EVG und EPG sowie der Ur-Verträge von Rom.Hinsichtlich der gemeinsamen Außenpolitik bleibt zu fragen: Was ist mit dem europäischen Versagen im ehemaligen Jugoslawien? Wo ist eine (ernst zu nehmende) gemeinsame Positi-on zu Tschetschenien oder Zentral-Lateinamerika? Wie steht es um die unterschiedlichen Verpflichtungen europäischer Staaten zu ihren ehemaligen Kolonien? Was ist mit dem Spalt durch „Alt- und Neueuropa“, Letzteres einschließlich Spanien sowie Polen und sieben wei-terer Staaten in Osteuropa, beim Irakkrieg? Wie schaut es mit den ehemals block-„neutra-len“ Staaten Österreich, Irland, Schweden und Finnland aus? Ist die feste Integration der Türkei74 in die EU – wie sie von den USA wegen strategischer Interessen als Brückenkopf in die muslimische Welt befürwortetet wird – wirklich erweiterungs-, nachbarschafts- und sicherheitspolitisch sinnvoll?Dem Versuch aus der zurzeit vorrangig eine Regionalmacht darstellenden „Europa“ durch gemeinsame Außen-, Militär- und Sicherheitspolitik eine – von der NATO losgelöste – Kraft in der Weltpolitik zu formen, ist mit skeptischer, aber letztlich einiger Sympathie zu begeg-nen75. Schon mehr als einmal hat die Integrationsgeschichte in ihrer Dynamik trotz anfäng-licher Enttäuschung überrascht und anders als 1954 könnte in einer geopolitisch gänzlich gewandelten Lage und bei beträchtlich angewachsener Größe und Wirtschaftskraft der Ge-meinschaft die Zeit tatsächlich reif sein für eine ernsthaftere gemeinsame Außen-, Sicher-heits- und Verteidigungspolitik, die kantsche Lehren aus der Geschichte eines Kontinents realisiert, der in der Welt durch Kriege am leidvollsten gelitten hat.

71 S.o. Fn. 52.72 P. M. Pitman, Interested Circles: French Industry and the Rise and Fall of the European Defense Community

(1950-1954), in: M. Dumoulin (o. Fn. 19), S. 51 (61) erläutert, dass die Sorge der französischen Rüstungsindus-trie vor Wettbewerb in der letzten Phase ein wichtiger Grund für das Scheitern der EVG gewesen sei.

73 Nicht unähnlich wie es Gustav Stresemann (1878-1929) zuvor in der Weimarer Republik versucht hatte; T. Gar-ton Ash, Im Namen Europas – Deutschland und der geteilte Kontinent, 1996, S. 523 f., dem auch das Genscher-Zitat entnommen ist.

74 S. H. Kramer, Die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union und die Türkei, integra-tion 2004, S. 44 ff.; B. Lippert, Die Türkei als Sonderfall und Wendepunkt der klassischen EU-Erweiterungspo-litik, integration 2005, S. 119

75 Vgl. etwas überschwänglich T. R. Reid, The United States of Europe: The New Superpower and the End of American Supremacy, 2004; s. für eine Gegenüberstellung von Stategie und Philosophie im außenpolitischen Vorgehen R. Kagan, Of Paradise and Power: America and Europe in the New World Order, 2003. J. Habermas, Der gespaltene Westen, Kleine politische Schriften X, 2004.

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Zur „offenen Methode der Koordinierung“als Mittel der Politikgestaltung in der Europäischen Union

Von Joachim Lang und Katarina Bergfeld, Berlin*

I. Einführung

Der Europäische Rat hat bei seiner Sondertagung am 23./24. März 2000 in Lissabon das Ziel formuliert, „die Union bis 2010 zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wis-sensbasierten Wirtschaftsraum in der Welt zu machen“. Zur Verwirklichung wurde die An-wendung eines neuen Instruments der Politikgestaltung, das als „offene Methode der Koor-dinierung“ (OMK) bezeichnet wird, beschlossen1.Unter dem Begriff der politischen Koordinierung versteht man ein Verfahren des Regierens, bei dem sich die Teilnehmer auf gemeinsame Ziele und Leitlinien verständigen, aber die Kompetenzen für alle Mittel, die zur Erreichung dieser Vorgaben notwendig sind, vollstän-dig kontrollieren2. Es werden keine rechtlich verbindlichen Entscheidungen getroffen und es wird keine „Vergemeinschaftung“ von bestimmten Politikbereichen vorgenommen. Den Betroffenen verbleiben damit im Gegensatz zur klassischen, supranationalen Gesetzgebung größere Handlungsspielräume.3 Das Verfahren ist dadurch gekennzeichnet, dass auf Ebene des Europäischen Rates Ziele formuliert werden, deren nationalstaatliche Erreichung und Umsetzung in einem bestimmten Zeitraum durch einen besonderen Implementierungsme-chanismus auf EU-Ebene bewirkt werden soll.4

Die Bezeichnung „offen“ beschreibt in diesem Kontext verschiedene Besonderheiten ge-genüber anderen Formen politischer Koordinierung. Zum einen gibt es unterschiedliche Verfahren und Formen der Politikgestaltung durch Koordinierung. Zum anderen bezieht sich der Begriff „offen“ auf die fallweise Anwendbarkeit der Verfahren auf verschiedene Politikbereiche, insbesondere auf solche, für die keine primärrechtlichen Kompetenzgrund-lagen bestehen5. Die Erreichung und Umsetzung der Vorgaben geschieht durch die Verein-barung gemeinsamer Ziele und Leitlinien für die jeweiligen Politikbereiche auf Grundlage eines systematischen Austauschs bewährter Praktiken und eines Vergleichs von Problemla-gen und Lösungsstrategien. Durch die Vereinbarung gemeinsamer Ziel findet eine so ge-nannte „prozessgesteuerte Konvergenz“ statt6. Gewährleistet wird die Umsetzung durch ein

* Der Autor ist Referent des Ersten Parlamentarischen Geschäftsführers der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und Lehrbeauftragter an der Universität Potsdam; die Autorin ist Doktorandin am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht (Prof. Dr. Armin Hatje) der Universität Bielefeld.

1 Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates in Lissabon, 23./24. März 2000, Nr. 7, http://europa.eu.int/european_council/conclusions/index_de.htm. Der Begriff „offene Methode der Koordinierung“ findet sich in der deutschen Literatur gelegentlich auch als „Methode der offenen Koordinierung“ wieder; es soll hier dem im EU-Sprachgebrauch üblichen Begriff gefolgt werden.

2 Linsenmann, Ingo/Meyer, Christoph, „Dritter Weg, Übergang oder Teststrecke? Theoretische Konzeption und Praxis der offenen Politikkoordinierung“, in: Integration 2002, S. 285, 286.

3 Giering, Claus, „Offene Koordinierung - Sachstand, Vorzüge und Probleme, C.A.P. Mai 2001; S. 2. http://cap.uni-muenchen.de/download/2001/2001_CG-Offene-Koordinierung.pdf.

4 Bauer, Michael W./Knöll, Ralf, „Die Methode der offenen Koordinierung. Zukunft europäischer Politikgestal-tung oder schleichende Zentralisierung?“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zu: Das Parlament 2003, Beilage 1-2, S. 33.

5 Linsenmann/Meyer, (Fn. 2), S. 286, 287.6 Schulte, Bernd, „Die „Methode der offenen Koordinierung“– Eine neue politische Strategie in der europäischen

Sozialpolitik auch für den Bereich des sozialen Schutzes“, in: ZfS 2002 S. 1, 26; Hauser, Richard, „Soziale Indikatoren als Element der offenen Methode der Koordinierung zur Bekämpfung von Armut und sozialer Aus-grenzung in der Europäischen Union“, in: ZfS 2002, S. 251, 252, 253.

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vergleichendes Verfahren und eine gegenseitige Überwachung, Bewertung und Prüfung der einzelnen Mitgliedstaaten. Sie müssen hierfür nationale Aktionspläne vorlegen, die die An-strengungen und Erfolge dokumentieren, um so die Möglichkeit zu schaffen, die erreichten Fortschritte europaweit zu vergleichen („benchmarking“). Die OMK soll als Alternative zur Rechtsangleichung mittels EU-rechtlicher Instrumentarien wie Verordnung und Richtlinie neue Möglichkeiten der Politikgestaltung eröffnen7. Sie erscheint als ein Prozess mittelbarer Politikgestaltung mit dem Ziel, durch einen Erfahrungsaustausch von anderen Mitgliedstaa-ten zu lernen und bestimmte Ideen im eigenen Land umzusetzen8.

II. Die Entwicklung

Das Mittel der Koordinierung zur Abstimmung politischer Strategien ist seit längerem be-kannte Praxis auf europäischer Ebene. Ihre Wurzeln hat die Politikkoordinierung in der Wirtschafts- und Währungspolitik der Gemeinschaft. Bereits seit Ende der 1950er Jahre besteht eine Übereinkunft der Mitgliedstaaten, eine Koordination ihrer Wirtschaftspolitiken durchzuführen9. Mit dem Vertrag von Maastricht ist erstmals ein entsprechendes Koordinie-rungsverfahren in den Vertrag aufgenommen worden10. Auch im Bereich der Regierungszu-sammenarbeit in der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, im Haushaltswesen sowie in der Justiz- und Innenpolitik sehen die europäischen Verträge unterschiedliche Formen der Koordinierung vor. Nach diesen Vorbildern wurde eine weitere Form der Koordinierung im Kontext der Initiativen zur Europäischen Beschäftigungsstrategie in den neunziger Jahren entwickelt. Grundlegend hierfür war das Weißbuch „Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung“ aus dem Jahre 199311. Mit dem weiteren Ansteigen der Arbeitslosigkeit in den Mitgliedstaaten wuchs der Handlungsdruck auf die Regierungen. Aufgrund der positi-ven Erfahrungen in der Wirtschaftspolitik konnte das in Art. 99 EG normierte Verfahren mit der Einführung einer Gemeinsamen Beschäftigungsstrategie auf dem Gipfel in Luxemburg im Jahre 1997 verabschiedet werden12. Durch den Vertrag von Amsterdam ist sie in Art. 128 EG festgeschrieben worden13. Nach dieser Vorschrift legt der Rat jährlich beschäftigungs-politische Leitlinien fest, welche die Mitgliedstaaten in ihrer Beschäftigungspolitik auf der Grundlage nationaler Aktionspläne berücksichtigen. Die Mitgliedstaaten erstellen anschlie-ßend Berichte über die wichtigsten Maßnahmen, die sie zur Durchführung ihrer Beschäfti-

7 Eichenhofer, Eberhard, „Offene Koordinierung der Alterssicherung in der Europäischen Union“, in: DRV 2002, S. 75, 76.

8 Heidel, Susanne, „Die Offene Methode der Koordinierung – Strategien der Altersicherung im europäischen Vergleich“, in: Die Angestelltenversicherung S. 370.

9 Hodson, Dermot/Mahler, Imelda, “The Open Method as a New Model of Governance”, in: The Case of Soft Economic Policy Co-ordination, Journal of Common Market Studies 2001 Vol. 39, No. 4, S. 719, 720.

10 Devetzi, Stamatia/Schmitt, Volker, „Die offene Methode der Koordinierung im Bereich Alterssicherung in der EU – eine kritische Bestandsaufnahme“, in: DRV 2002, S. 234, 236.

11 Weißbuch der Kommission „Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung“ aus dem Jahre 1993. Zu diesem Zeitpunkt bestand auf Ebene der Union keine Möglichkeit, koordinierend auf Arbeitsmarkt und Be-schäftigungspolitiken einzuwirken, so dass sich das Weißbuch auf eine Analyse der Stärken und Schwächen der europäischen Ökonomien beschränken musste und nur Grundlage für eine Anleitung der Mitgliedstaaten bilden konnte, gestützt auf den Appell an deren moralische Verpflichtung zur Bekämpfung von Armut und Arbeitslo-sigkeit.

12 Vgl. Schlussfolgerungen des Vorsitzes zur Sondertagung des Europäischen Rates über Beschäftigungsfragen am 20./21. November 1997 in Luxemburg, Nr. 12–24, http://europa.eu.int/european_council/conclusions/ in-dex_de.htm.

13 Devetzi/Schmitt, (Fn. 10), S. 236.

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gungspolitik ergriffen haben. Auf dieser Grundlage kann der Rat auf Empfehlung der Kom-mission mit qualifizierter Mehrheit seinerseits Empfehlungen an die Mitgliedstaaten rich-ten.Dieses Verfahren bildet auch die Grundlage für das Vorgehen im Rahmen der offenen Koor-dinierung, wie sie auf dem Gipfel in Lissabon vorgestellt worden ist. Man wollte eine um-fassendere Bearbeitung der sich der Union stellenden sozioökonomischen Zielsetzungen ermöglichen. Die OMK wurde deswegen als Methode einer Politikkoordinierung einge-führt, ohne an bestimmte Politikbereiche oder vertragliche Vorgaben gebunden zu sein14. Die Anwendung der offenen Koordinierung ist auch auf den weiteren Treffen der Ratsmit-glieder bekräftigt worden. Auf seinem Gipfel in Nizza hat der Europäische Rat am 17. De-zember 2000 die OMK im Rahmen einer europäischen Sozialagenda eingeführt15. In Stock-holm beschloss der Rat am 23./24. März 2001, auf seiner nächsten Frühjahrstagung im Jahr 2002 einen Bericht mit einem detaillierten Arbeitsprogramm zur Verwirklichung der Ziele im Bereich der Bildungs- und Ausbildungssysteme vorzulegen, einschließlich einer Beurtei-lung der Umsetzung im Rahmen der offenen Koordinierungsmethode16. Hier zeigen sich bereits erste Ansätze einer Ausweitung der offenen Koordinierung auf Politikbereiche, die nicht in direktem Zusammenhang mit den auf dem Lissabonner Gipfel vereinbarten Zielen stehen. Der Europäische Rat vom 15./16. Juni 2001 in Göteborg legte fest, dass die Kom-mission für die Frühjahrstagung des Rates 2002 im Rahmen der OMK einen Bericht über mögliche Leitlinien im Gesundheitswesen und der Altenpflege erarbeiten sollte17. Die Er-klärung des Europäischen Gipfels von Laeken am 14./15. Dezember 2001 spricht bei dieser Entwicklung bereits von einer Unterscheidung in direkte Normen, Rahmengesetzgebung und nicht bindende Instrumente, worunter im letzten Fall auch die offene Koordinierung zu fassen ist18. Auf dem Gipfel in Barcelona vom 15./16. März 2002 wurde die OMK abermals thematisiert. Im Mittelpunkt stand hier, wie bereits auf dem Europäischen Rat in Göteborg angekündigt, die Festlegung der grundlegenden Ziele der zukünftigen Gesundheits- und Rentenpolitik19. Auf der Frühjahrstagung am 25./26. März 2004 wurden noch einmal die von dem Europäischen Rat von Lissabon im Jahr 2000 aufgestellten Forderungen bekräf-tigt. Gleichzeitig wurde im Hinblick auf das Jahr 2005 beschlossen, eine Überprüfung der Mechanismen zur Durchführung der Ziele der Lissabonstrategie vorzunehmen, um das wei-tere Vorgehen zu optimieren20.

14 Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates von Lissabon, (Fn. 1), Nr. 7.15 Vgl. Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates von Nizza vom 7./9. Dezember 2000, Nr. 13ff,

http://europa.eu.int/european_council/conclusions/index_de.htm; die durch Art. 137 EG in der Fassung des Ver-trags von Nizza vereinbarte Ausweitung der OMK auf den gesamten Bereich des Sozialschutzes ist jedoch nicht in Kraft getreten.

16 Vgl. Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates von Stockholm vom 23./24. März 2001, Nr. III. 11) http://ue.eu.int/de/Info/eurocouncil/index.htm.

17 Vgl. Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates von Göteborg vom 15./16. Juni 2001 Nr. 43, http://europa.eu.int/european_council/conclusions/index_de.htm.

18 Riedel, Norbert K., „Der Konvent zur Zukunft Europas – die Erklärung von Laeken zur Zukunft der Europäi-schen Union“, in: ZRP 2002, S. 241, 245.

19 Vgl. Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates von Barcelona vom 15./16. März. 2002, Nr. 22, http://europa.eu.int/european_council/conclusions/index_de.htm; Schulze-Weidener, Wolfgang, „Offene Koordi-nierung der sozialen Sicherungssysteme in der Europäischen Union“, Pressekontaktseminar des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger vom 25./26. April 2002 in Bayreuth, S. 10, www.vdr.de/internet/vdr/ho-me/nsf.

20 Vgl. Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates von Brüssel vom 25./26. März. 2004, Nr. 47; http://ue.eu.int/ueDocs/cms_Data/docs/pressData/de/ec/79702.pdf.

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III. Die Instrumente der offenen Koordinierung

Auf der Ebene der Union finden sich Koordinierungsmöglichkeiten, die sich auf einem Spektrum zwischen härteren und weicheren Verfahren einordnen lassen21. Im Bereich der Fiskalpolitik unterwerfen sich die Mitgliedstaaten einer Koordinierung in Form einer Kon-trolle ihrer Haushaltsdefizite. Der Union steht bei einer Verfehlung der festgelegten Defizit-grenze sogar die Möglichkeit der Sanktion durch die Verhängung von Geldstrafen nach Art. 104 Abs. 11 EG zur Verfügung. Betrachtet man hingegen die Koordinierung in den Berei-chen der Wirtschafts- oder Beschäftigungspolitik, fehlen entsprechende, vorgesehene Sank-tionen. In der Wirtschaftspolitik besteht allerdings die Möglichkeit, eine öffentliche Emp-fehlung durch den Rat an das jeweilige Land zu richten, welches den Vereinbarungen nicht Folge leistet. Die Beschäftigungspolitik verfügt hingegen allein über die Möglichkeit, poli-tischen Druck auszuüben. Im Vergleich zur Fiskal- oder Wirtschaftspolitik erscheint sie als schwächste Ausprägung der Koordinierung. Die offene Methode der Koordinierung stellt sich als Systematisierung und Fortentwicklung der bereits auf der Ebene der Union beste-henden und oben geschilderten Formen der politischen Koordination dar22. Vergleichen lässt sie sich am ehesten mit der Koordinierung im Bereich der Beschäftigungsstrategie, da auch hier weder Sanktionsmöglichkeiten noch individuelle Empfehlungen vorgesehen sind. Gemeinsam ist allen Formen der Koordinierung der Instrumentenmix23. Im Rahmen der OMK geschieht die Anwendung auf die unterschiedlichen Politikbereiche bis heute ohne einen einheitlichen Maßnahmenkatalog und ohne Rahmenbestimmungen24. Welche konkre-ten Maßnahmen angewandt werden, variiert nach dem jeweils betroffenen Politikbereich.

1. Offene Koordinierung mit Leitlinienprozess

Eine Variante der offenen Koordinierung besteht darin, Leitlinien für die nationalen Politi-ken mit einem genauen Zeitplan für die Verwirklichung der hierin gesetzten Ziele festzule-gen. Der Begriff der Leitlinie ist vertraglich im Bereich der transnationalen Netze, Art. 155 EG, erwähnt. Danach sind Leitlinien Orientierungen, die aus der übergeordneten Sicht der Gemeinschaft Eckpunkte für eine Infrastrukturpolitik festlegen, deren Ausfüllung in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fällt25. Entsprechend lässt sich der Begriff im Rahmen der Beschäftigungsstrategie auffassen. Auch hier kann der Rat nach Art. 128, Abs. 4, S. 2 EG Empfehlungen mit qualifizierter Mehrheit festlegen, die aber nur als politische Ver-pflichtung an die Mitgliedstaaten ergehen. Nach diesem Vorbild wird die offene Koordinie-rung mit Leitlinienprozess auch auf Politikbereiche übertragen, in denen keine eigenen vertraglichen Koordinierungsbefugnisse vorgesehen sind. Auf Grundlage der Leitlinien kann auf Ebene der Mitgliedstaaten ein nationaler Aktionsplan aufgestellt werden, der die

21 Linsenmann/Meyer, (Fn. 2), S. 288.22 Linsenmann/Meyer, (Fn. 2), S. 287.23 Die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates in Lissabon, (Fn. 1), Nr. 7.24 Bodewig, Thomas/Voß, Thomas, „Die „offene Methode der Koordinierung“ in der Europäischen Union –

„schleichende Harmonisierung“ oder notwendige „Konsentierung“ zur Erreichung der Ziele der EU“, in: EuR 2003, S. 310, 320.

25 Von Burchard, Friedrich, in: Schwarze, Jürgen, EU-Kommentar, 1. Auflage, Baden-Baden 2000, Art. 155 EG, Rn. 2.

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Umsetzung gewährleisten soll26. Betroffen von der OMK mit einem entsprechenden Leitli-nienprozess sind die Bereiche der Bekämpfung der Armut und der sozialen Ausgrenzung27 sowie die Neuorientierung der Rentenpolitik28. Auf dem Europäischen Rat in Barcelona am 15./16. März 2002 wurden zudem politische Leitlinien im Bereich der Umweltpolitik festgelegt, nachdem bereits auf dem Europäischen Rat von Göteborg im Juni 2001 eine Strategie für nachhaltige Entwicklung aufgestellt worden war29. Die gestaltenden Akteure bei der Festlegung der Leitlinien sind die Kommission und der Europäische Rat. Die Kom-mission unterbreitet Vorschläge für bestimmte Leitlinien und erstellt die erforderlichen Syntheseberichte über die Zielerreichung. Die Beschlussfassung über Leitlinien findet dann auf der Ebene der EU-Ministerräte statt. Die entscheidende Rolle und letzte Len-kungsebene ist dem Europäischen Rat vorbehalten. Dieser überwacht die Umsetzung auf nationaler Ebene und greift gegebenenfalls korrigierend ein. Er kann mit qualifizierter Mehrheit Empfehlungen an die Mitgliedstaaten richten, ihre Politik zu ändern. Das Europä-ische Parlament, der Wirtschafts- und Sozialausschuss sowie der Rat der Regionen spielen eine nachgeordnete Rolle. Sie werden lediglich angehört, haben aber keine Mitentschei-dungsrechte.

2. Offene Koordinierung ohne Leitlinienprozess

Daneben wird die OMK auch ohne den in Art. 128 EG skizzierten Leitlinienprozess geplant oder durchgeführt. Zu nennen sind etwa die Bereiche des Arbeitsschutzes, der Gesundheit und Altenpflege30, der Jugendpolitik31 und der eEurope32. Hier geschieht die Vorgabe allein aufgrund mehr oder weniger weit gefasster gemeinsamer Ziele auf Ratsebene. In diesen Politikbereichen ist zum Teil ein Benchmarking vorgesehen33, zum Teil verbleibt es bei ei-nem Austausch bewährter Praktiken. Auch wenn bislang noch keine Leitlinien verabschie-det worden sind, bedeutet dies nicht, dass die Situation dauerhaft so bleiben wird. Der Über-

26 Brocke, Hartmut, „Was ist eigentlich „die offene Methode der Koordinierung?“, Sozialpädagogisches Institut Walter May, Journal der Regiestelle, E&CAusgabe Nr. 11, S. 1 - 4, 1, http://www.stiftung-spi.de/download/stif-tung/zivilgesellschaft/offene_methode.pdf; Devetzi/Schmitt, (Fn. 10), S. 235.

27 Bauer/Knöll, (Fn. 4) „Die Methode der offenen Koordinierung. Zukunft europäischer Politikgestaltung oder schleichende Zentralisierung?“, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, Beilage zu Das Parlament, 2003 Beilage 1-2, S. 33, 36.; bereits auf dem Gipfel von Lissabon wurde festgelegt, dass vom Rat bis Ende des Jahres zu ver-einbarende geeignete Ziele gesetzt werden, um die Beseitigung der Armut entscheidend voranzubringen, vgl. Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates in Lissabon, S. 13. Der Europäische Rat in Barcelona hat die Mitgliedstaaten darüber hinaus aufgefordert, in ihren nationalen Aktionsplänen festzulegen, die Zahl der von Armut und sozialer Ausgrenzung bedrohten Menschen erheblich zu senken, vgl. Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates in Barcelona, S. 10.

28 Vgl. Bauer/Knöll, (Fn. 4), S. 38.29 Vgl. die Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates in Barcelona, (Fn. 19), Teil III Nr. 31 ff.30 Vgl. die Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates in Göteborg, (Fn. 17), Nr. 43 ff.31 Im Weißbuch „Jugend“ von November 2001 schlägt die Kommission die OMK als passendes Instrument in

diesem Bereich vor, http://www.europa.eu.int/comm/dgs/education_culture.32 Mitteilung der Kommission, eEurope 2005: „Eine Informationsgesellschaft für alle“ KOM 9508/02; Schlussfol-

gerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates von Lissabon, (Fn. 1), Nr. 8 ff.33 So etwa im Bereich der eEurope. Hier wird das übergeordnete Ziel verfolgt, jeden Bürger, jede Schule und je-

des Unternehmen so rasch wie möglich ans Netz zu bringen. Dabei soll ein Benchmarking durchgeführt wer-den, das von der Kommission auf der Basis der Daten der Mitgliedstaaten bzw. kommissionseigener Daten ausgewertet wird, vgl. Hill, Hermann, „Zur „Methode der offenen Koordinierung“ in der Europäischen Union“ in: Sommermann, Karl-Peter/Ziekow, Jan, Perspektiven der Verwaltungsforschung, Berlin 2002, S. 139, 150 f.

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gang zu einer stärkeren Form der Koordinierung durch Leitlinien ist auch in diesen Politik-bereichen denkbar34.

3. Festlegung von Indikatoren und Benchmarks

Neben der Bestimmung von Leitlinien kann eine Festlegung von quantitativen und qualita-tiven Indikatoren stattfinden, die Grundlage eines gemeinschaftsweiten Vergleiches (dem so genannten „Benchmarking“) von bewährten Praktiken („best practices“) sein soll. Für den Begriff des Benchmarking gibt es keine einheitlich anerkannte Definition35. Er ent-stammt ursprünglich der Betriebswirtschaftslehre und bezeichnet dort einen kontinuierli-chen Vergleich von Leistungen und Prozessen zwischen Unternehmen mit dem Ziel einer Wettbewerbsanalyse. Zu Beginn der 1980er Jahre wurde das Verfahren als „politisches Benchmarking“ auf nationalstaatlicher Ebene eingeführt und ist Grundlage des Benchmar-king-Verfahrens im Bereich der OMK. In einer Planungsphase werden Eckdaten vorgege-ben, die den Leistungsvergleich bestimmen. Der Erfolg lässt sich als Erreichen der gesetz-ten Zielvorstellung darstellen36. Um die Durchsetzung der aufgestellten Ziele und Leitlini-en aufzeigen zu können, müssen für die quantitative und qualitative Erfolgsmessung geeig-nete Indikatoren entwickelt werden, die die Verfolgung der Ergebnisse von Reformschritten ermöglichen37. Über die Auswertung der Indikatoren wird die Politik ermittelt, die zum besten Ergebnis führt, dem „best practice“38. Durch eine regelmäßige Ergebniskontrolle auf Grundlage nationaler Berichterstattung und einer zusätzlichen Überprüfung durch die Kommission kann anschließend ein Ranking der einzelnen Politiken der Mitgliedstaaten erstellt werden39.

4. Erfahrungs- und Informationsaustausch

Die schwächste Koordinierungsvariante im Rahmen der OMK ist der bloße Erfahrungs- und Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten zur Identifizierung einer best-möglichen Vorgehensweise. Auch ohne das formalisierte Vorgehen der Festlegung von Benchmarks nach dem oben dargestellten Muster ist der bloße Austausch von Erfahrungen geeignet, ein „best practice“ zu erkennen. Zwar fehlt es an dem Mittel des Rankings und der Möglichkeit, die Umsetzung durch die Mitgliedstaaten oder die Kommission überprüfen zu lassen. Dieses Vorgehen hat aber den Vorteil, dass es sich nicht dem Vorwurf der Kompe-tenzausweitung zu Lasten der Mitgliedstaaten und der Verletzung des Subsidiaritätsprinzips aussetzen muss40.

34 Der Europäische Rat hat beispielsweise im Rahmen der Bewertung der Zukunft des Gesundheitswesens und der Altenpflege von der Formulierung von Leitlinien Abstand genommen, behält sich dieses Instrument aber für die Zukunft ausdrücklich vor, vgl. hierzu Ratsdokument 6361/02.

35 Hodson/Mahler, (Fn. 9), 725.36 Schulze-Weidener, (Fn. 19), S. 4.37 Schulze-Weidener, (Fn. 19), S. 4; Hauser, Fn. 6, S. 252.38 Devetzi/Schmitt, (Fn. 10), S. 242.39 Der Leistungsvergleich ist keine notwendige Maßnahme im Rahmen der OMK und wird nur selten explizit in

die einzelnen Planungen aufgenommen. Ein ausdrücklicher Verweis auf eine Anwendung des Benchmarking-Verfahrens findet sich im Bereich von eEurope, vgl. Mitteilung der Kommission, eEurope 2005, „Eine Infor-mationsgesellschaft für alle“ KOM 9508/02; Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates von Lissabon, (Fn. 1), Nr. 8 ff.

40 Bodewig/Voß, (Fn. 24), S. 325.

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5. Umsetzung, Überwachung, Bewertung und Überprüfung der unterschiedlichen Maßnahmen

Die Umsetzung der Leitlinien und Zielvorgaben erfolgt ausschließlich im Rahmen der auf-gestellten Aktionspläne durch die einzelnen Staaten. Als Instrumente der rechtlich unver-bindlichen OMK ist auch ihre Verwirklichung unverbindlich und hängt allein von dem Wil-len der Mitgliedstaaten ab41. Die OMK muss sich dabei allein auf das psychologische Ele-ment der gegenseitigen Zielerreichungsüberprüfung durch die Ratsmitglieder verlassen. Den Abschluss der Koordinierung bildet deswegen die regelmäßige Überwachung, Bewer-tung und Überprüfung der getroffenen Maßnahmen in den Mitgliedstaaten42. Dieses Vorge-hen wird als „peer review“ bezeichnet43. Durch diese Darstellung kann der Erfolg oder Misserfolg der einzelnen Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Ziele sichtbar gemacht werden. Aufgrund der Transparenz der Überprüfung lässt sich auf nationaler Ebene zugleich ein erheblicher politischer Handlungsdruck erzeugen44.

IV. Die Berechtigung der OMK auf Ebene der Europäischen Union

Die Einführung und Anwendung von unterschiedlichen Instrumenten im Rahmen der OMK ist Ausdruck eines steigenden Bedarfs an flexiblen Gestaltungskonzepten auf gemeinschaft-licher Ebene. Die Union verfügt in vielen Politikbereichen über keine oder begrenzte Ge-setzgebungsbefugnisse. Gleichzeitig verstärkt sich der Handlungsbedarf, insbesondere an-gesichts des im Mai 2004 stattgefundenen Beitritts der zehn neuen Mitgliedstaaten. Die Gemeinschaft muss in dieser Situation und angesichts der steigenden Heterogenität und na-tionalen Einspruchsmöglichkeit im Politikprozess die Möglichkeit haben, wirtschafts- und sozialpolitische Synergien zu erzeugen, ohne die Rechtstraditionen in den Mitgliedstaaten anzugleichen45.Mittels der OMK können auf Ebene der Union erstmals in Form einer dezentralen Steue-rung Programmziele festgelegt werden. Die Ausgestaltung der nationalen Politik verbleibt bei den Mitgliedstaaten; gleichwohl kann ein politischer Druck zur Umsetzung der verein-barten Ziele führen. Als Gesamtstrategie könnte die OMK zu einer globalen und damit ef-fektiven Lösung von sozioökonomischen Problemlagen beitragen und die nationalen Volks-wirtschaften und Gesellschaftsmodelle modernisieren46. Der Einsatz der OMK kann dane-ben in Bereichen, in welchen die Gemeinschaft bereits über Rechtsetzungskompetenzen verfügt, sinnvoll sein. Sofern hier ein Regelungsbedarf bestehen sollte, die betreffende Ma-terie aber nicht zwingend durch Rechtsakte geregelt werden muss, kann die OMK – im Sinne des Subsidiaritätsgrundsatzes – als milderes und flexibleres Mittel zur Anwendung

41 Bodewig/Voß, (Fn. 24), S. 322.42 Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates von Lissabon, (Fn. 1), Nr. 37; Kommission KOM

2003/261;http://europa.eu.int/smartapi/cgi/sga_doc?smartapi!celexapi!prod!CELEXnumdoc&lg=DE&numdoc=52003DC0261&model=guichett; Heidel, (Fn. 8), S. 370.

43 Schulte, (Fn. 6), S. 11.44 Hauser, (Fn. 6), S. 252; Schulze-Weidener, (Fn. 19), S. 1.45 Shaw, Jo, “Relating Constitutionalism and Flexibility in the European Union”, in: de Burca, Gráinne/Scott,

Joanne, “Constitutional Change in the EU: from Uniformity to Flexibility”, Oxford 2000, S. 337-358; Bauer/Knöll, (Fn. 4), S. 38.

46 Linsenmann/Meyer, (Fn. 2), S. 285.

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kommen47. Gleichzeitig wird durch dieses Vorgehen eine schnellere Handlungsfähigkeit der Union garantiert, da sich das gemeinschaftliche Rechtsetzungsverfahren in der Regel als sehr schwerfällig erweist48. Durch die Anwendung der OMK kann schließlich eine höhere Transparenz der politischen Entscheidungsfindung bewirkt werden. Für die Bevölkerung werden die gemachten Anstrengungen durch den Vergleich der Mitgliedstaaten nachvoll-ziehbar.

V. Zur Kritik der OMK

1. Beeinträchtigung der Kompetenzordnung und bestehendes Demokratiedefizit

Der OMK wird insbesondere aufgrund der ihr nachgesagten kompetenzausweitenden Wir-kung zu Gunsten der Europäischen Union und zu Lasten der nationalstaatlichen Gesetzge-bung Kritik entgegengebracht. So befürchten die deutschen Länder, dass durch die Festle-gung von Zielvorgaben durch den Europäischen Rat ihre eigenen Kompetenzen beeinträch-tigt werden. Bereits vor dem Beschluss der Anwendung der OMK auf dem Gipfel in Lissa-bon forderte der Bundesrat eine klarere Kompetenzabgrenzung zwischen der Union und den Nationalstaaten49. Die OMK nehme auf die Ausrichtung und Gestaltung vieler Politik-bereiche Einfluss, wobei die Kommission Ziele und Verfahren vorgebe, die nicht in ihren Kompetenzbereich fielen50. Durch die zunehmend detaillierter werdenden Zielvorgaben be-stehe die Gefahr einer schleichenden Harmonisierung, für die keine Gemeinschaftskompe-tenz gegeben sei51. Die uneingeschränkte Anwendung könne damit zu einer Ausuferung der Zuständigkeiten der Union und einem Vordringen in Bereiche der ausschließlichen Zustän-digkeiten der Mitgliedstaaten und der Regionen führen52. Konkret in Bezug auf die OMK betonte der damalige Bayerische Staatsminister Bocklet, dass diese Form der Koordinierung alle Bemühungen um eine klare Abgrenzung der EU-Kompetenzen konterkariere53. Auch in Nordrhein-Westfalen steht man der Anwendung der OMK kritisch gegenüber. Der damalige nordrhein-westfälische Ministerpräsident Wolfgang Clement bezeichnete die OMK als eine Form des „soft law“ und forderte für ihre Anwendung die Schaffung einer Kategorie der „Koordinierungskompetenzen der Europäischen Union“. Die Union solle in Zukunft nur dort Ziele setzen, Berichtspflichten auferlegen oder mit anderen Instrumenten koordinie-rend tätig werden, wo sie eine Gesetzgebungskompetenz oder eine ausdrückliche Koordi-nierungskompetenz innehabe54. Bestätigt wird diese Sichtweise durch die derzeitige Praxis der Ausdehnung der OMK auf die unterschiedlichsten Politikbereiche55. So wehrt sich der Bundesrat gegen die von der Kommission vorgeschlagenen Maßnahmen in der Jugendpoli-

47 Krebber, Sebastian, „Die Koordinierung als Kompetenzkategorie im EU-Verfassungsentwurf aus dogmatischer Sicht“ in: EuGRZ 2004, S. 592, 594.

48 Bauer/Knöll, (Fn. 4), S. 35.49 BR-Drucksache 169/95; Diese Forderung wurde im Hinblick auf die Regierungskonferenzen 1996 und 2000

wiederholt, vgl. BR-Drucksache 667/95 und BR-Drucksache 680/00.50 BR-Drucksache 95/00; BR-Drucksache 274/00; BR-Drucksache 86/01; BR-Drucksache 57/02.51 BR-Drucksache 600/01, Nr. 2 ff.52 Insbesondere die Position Bayerns, vgl. Bocklet, Reinhold, „Positionspapier zur „offenen Koordinierung“, S. 2,

www.bayern.de/Europa/OffeneKoordinierung.html?pr-y.53 Bocklet, (Fn. 52), S. 1.54 Clement, Wolfgang, „Europa gestalten – nicht verwalten. Die Kompetenzordnung der Europäischen Union nach

Nizza“, Rede vom 12. Februar 2001, www.rewi.hu-berlin.de/WHI/deutsch/fce/fce301/clement.htm, hier Ziffer 13 und 22.

55 Giering, (Fn. 3), S. 2.

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tik, die seiner Meinung nach einer unzulässigen Harmonisierung gleichkämen56. Auch die Anwendung der OMK im Bereich der Bildungspolitik57, verbunden mit der Vorgabe kon-kreter Leitlinien, wird kritisiert58.Gleichzeitig wird der OMK vorgeworfen, sie sei im Hinblick auf die Einhaltung des Demo-kratieprinzips bedenklich. Soweit umzusetzende europäische Vorgaben bestünden, fände keine Auseinandersetzung über die Politikziele auf nationaler oder regionaler Ebene statt59. Selbst das Europäische Parlament habe an der Ausgestaltung der Koordinierungsvorhaben kein Mitwirkungsrecht60. Auch aus dem Europäischen Parlament und dem Schrifttum lässt sich vernehmen, durch die OMK komme es zu einer Gewichtsverschiebung in der horizon-talen Gewaltenteilung zugunsten des Rates61. Da an der OMK allein der Rat und die Kom-mission beteiligt seien, führe dies zu einer Verlagerung der Politikgestaltungskompetenz auf die Ebene der Exekutive62. Mit dem Europäischen Rat handle zudem ein Gremium, das sich außerhalb des ordentlichen Gesetzgebungsverfahrens und der Kontrolle durch Gerichtshof und Parlament befinde.

2. Umsetzungsdefizite

Die OMK soll auch ordnungspolitisch bedenklich sein, da durch die Leitlinien zu enge, ein-heitliche Vorgaben gesetzt würden, die keine Rücksicht auf die jeweiligen wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in den einzelnen Mitgliedstaaten nähmen. Die Vielzahl von Leit-linien, nationalen Aktionsplänen, Berichtspflichten und Evaluierungsmechanismen verursa-che einen hohen Verwaltungsaufwand63. Gleichzeitig können europäische mit bereits ausge-arbeiteten, nationalen Reformvorhaben in Konflikt geraten64. Zweifelhaft sei, ob die OMK die in sie gesetzten Erwartungen überhaupt erfüllen werde. Die Erfahrungen im Bereich der weicheren Koordinierungsformen zeigten, dass der Anspruch der Steuerung der betroffenen Politikbereiche schwierig zu verwirklichen sei. Auf Grundlage von Analysen aus dem Be-reich der wirtschafts- und beschäftigungspolitischen Koordinierung scheinen die Lerneffek-te eher begrenzt. Kurzfristige Anpassungen nationaler Politiken an europäische Leitlinien oder Zielvorgaben seien die Ausnahme, da Sanktionsmöglichkeiten bei einer Nichtbeach-tung nicht bestehen65.

56 BR-Drucksache 1066/01 Nr. 2.57 Der Europäische Rat in Lissabon hat beispielsweise als Ziel vorgegeben, bis 2010 die Zahl der 18 – 24jährigen,

die lediglich über einen Abschluss der Sekundarstufe I verfügen und keine weiterführenden Schul- oder Berufs-ausbildung durchlaufen, zu halbieren, vgl. Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates von Lissa-bon, Fn. 1, Nr. 26; der Europäische Rat von Barcelona formuliert als Ziel für die Mitgliedstaaten die Einrich-tung von Betreuungsplätzen für mindestens 90% der Kinder zwischen drei Jahren und Schulpflichtalter und mindestens 33% der Kinder unter drei Jahren bis zum Jahr 2010, vgl. Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates von Barcelona, (Fn. 19), Nr. 32.

58 BR-Drucksache 274/00, Nr. 14; hier heißt es, dass Bildung kein Anhängsel der Wirtschafts-, Sozial-, oder Ar-beitsmarktpolitik ist und nicht mit den dort vorhandenen Instrumenten gesteuert werden könne. Die Festlegung von Leitlinien stehe im Widerspruch zu der im Bildungsbereich vorhandenen Vielfalt in Europa“.

59 Bocklet, (Fn. 52), S. 2.60 KOM 2003/261 endgültig/2, S. 11.61 Vgl. die Unterrichtung des Bundesrates durch das Europäische Parlament, BR-Drucksache 519/03 und BR-

Drucksache 520/03; Giering, (Fn. 3), S. 2.62 Bauer/Knöll, (Fn. 4), S. 38; Linsenmann/Meyer, (Fn. 2), S. 292.63 Diese Kritik wurde im Zusammenhang mit der Anwendung der OMK im Bereich des Sozialschutzes erhoben,

da dort eine verstärkte Zusammenarbeit mit den nationalen Ämtern für Statistik vorgesehen ist, vgl. BR-Druck-sache 423/00, Nr. 1.

64 So für die Rentenpolitik in der Bundesrepublik, BR-Drucksache 600/01, Nr. 9.65 Linsenmann/Meyer, (Fn. 2), S. 290.

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Problematisch erscheint auch das politische Benchmarking als Form der Entscheidungsfin-dung. In eine solche Bewertung kann nur einfließen, was zuvor mittels Indikatoren gemes-sen worden ist. Andere Faktoren spielen, mögen sie ebenfalls für die Ermittlung des best practice geeignet sein, keine Rolle66. Die Bildung eines Indikators aus einer Vielzahl von Einzelergebnissen erweist sich naturgemäß als äußerst schwierig. Das besondere Problem der EU besteht dabei darin, dass die Indikatoren in vergleichbarer Weise für alle Mitglied-staaten nachgewiesen werden müssen und den internationalen Standards, die durch die Ver-einten Nationen und die OECD verwendet werden, entsprechen sollen67. Finanzielle Inter-essen können das Ergebnis des Benchmarkings ebenfalls negativ beeinflussen, sofern diese die Indikatorenauswahl bestimmen. Es besteht die Gefahr, dass diejenigen Interessengrup-pen Einfluss auf die konkrete Gestaltung der Leitlinien und Zielbestimmungen nehmen, die sich auf europäischer Ebene am besten organisiert haben. Anstelle eines objektiven Diskus-sionsprozesses könnte damit ein intransparentes Verfahren treten68. Hinzu kommt, dass po-litisches Benchmarking sich nicht an ein wissenschaftliches Publikum richtet, vor dem es sein Ergebnis in einem Diskussionsprozess rechtfertigen müsste. Politisches Benchmarking wird a priori als quasi-objektiv angesehen. Damit verfügen dessen Ergebnisse im Rahmen des politischen Diskurses bereits über eine Legitimität, die in anderen Fällen erst erworben werden muss69.

3. Rechtsschutzmöglichkeiten

Auch die Situation des Rechtsschutzes gegen die einzelnen Koordinierungsmaßnahmen ist bedenklich. Trotz des hohen faktischen Handlungsdrucks, der durch die Instrumente der offenen Koordinierung auf die Mitgliedstaaten ausgeübt wird70, verleiht die Koordinie-rungsmethode der Union keine Rechtsetzungsbefugnisse. Auch wenn die Vorgaben der OMK als konkrete Handlungsaufträge empfunden werden, bietet sich für die Betroffenen grundsätzlich keine Möglichkeit, Rechtsschutz vor dem EuGH zu erlangen. Eine mögliche Ausnahme könnte sich jedoch aus der jüngsten Rechtsprechung zum Stabilitätspakt erge-ben. Dort ging es unter anderem um die Frage des rechtlichen Vorgehens gegen so genannte Schlussfolgerungen des Rates. Hierzu führte der Gerichtshof aus, dass ein Rechtsschutz durch den EuGH gegenüber Bestimmungen möglich sei, wenn sie - unabhängig von ihrer Rechtsnatur oder Form – eine Art von Rechtswirkungen entfalten71. Das zwingende Erfor-dernis eines Gesetzgebungsaktes ist insoweit relativiert worden. Sofern einzelne Maßnah-men im Rahmen der offenen Koordinierung ebenfalls einen derartigen Charakter entfalten, müsste wohl auch der Weg zu einer Nichtigkeitsklage vor dem EuGH offen stehen72. Insge-samt sollten jedoch die Erwartungen an einen Schutz durch Gerichte nicht allzu hoch ge-schraubt werden, da hier ein entsprechendes Vorgehen des Rates wie im Fall des Stabilitäts-paktes nicht zu erwarten ist.

66 Devetzi/Schmitt, (Fn. 10), S. 243.67 Hauser, (Fn. 6), S. 253; Brocke, (Fn. 26), S. 4.68 Schmucker, Rolf, „Die offene Koordinierung als Instrument europäischer Gesundheitspolitik“ in: Die Kranken-

versicherung, Zeitschrift des Bundesverbandes der Innungskrankenkassen, 2003, S. 207, 209.69 Devetzi/Schmitt, (Fn. 10), S. 243.70 Vgl. hierzu Nettesheim, Martin, „Die Kompetenzordnung im Vertrag über eine Verfassung für Europa“ in: EuR

2004, S. 511, 531.71 Ständige Rechtsprechung des EuGH, vgl. EuGH Rs. C-316/91, Parlament/Rat, Slg. 1994, I-625 Rn. 8.72 Vgl. EuGH Rs. C-27/04, Kommission/Rat, Urteil vom 13.07.2004.

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4. Bewertung

Den Kritikern wird entgegengehalten, dass die OMK aufgrund ihrer rechtlichen Unverbind-lichkeit bereits naturgemäß nicht in die Kompetenzen der Mitgliedstaaten eingreifen könne, da diese in ihrer Entscheidungsfindung souverän blieben73. Bei der Festlegung konkreter Zielvorgaben handele es sich allein um politische Absichtserklärungen74. Die parlamentari-sche Kontrolle der OMK werde durch die nationalen Gesetzgebungsverfahren garantiert75. Soweit die OMK allein politische Bindungswirkung entfalte, weil ihre Umsetzung auch bei einem möglichen Handlungsdruck auf freiwilliger Basis der Mitgliedstaaten geschehe, sei die Gefahr einer Kompetenzausweitung oder die Verletzung des Subsidiaritätsprinzips nicht ersichtlich76. Für die Anwendbarkeit der OMK wird außerdem ins Feld geführt, dass das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung der Gemeinschaft bereits durch Art. 211 EG eine Ausnahme erfahre. Hiernach kann die Kommission auf Empfehlungen und Stellung-nahmen auch dann zurückgreifen, wenn sie es für notwendig erachtet. Zwar wird diese Vor-schrift auf die anderen Organe nach herrschender Meinung analog angewandt77. Daraus aber zu folgern, dass es auch für die Anwendung der rechtlich nicht verbindlichen OMK keiner expliziten Ermächtigung bedürfe78, erscheint bedenklich. Zum einen handelt es sich bei dem Europäischen Rat, der Leitlinien und Zielvorgaben festlegen kann, gerade nicht um ein Gemeinschaftsorgan nach Art. 7 EG. Zum anderen findet hier eine Koordinierung statt, die sich unterschiedlicher Instrumentarien bedient und nicht mit einer Empfehlung oder Stellungnahme zu vergleichen ist.Die Feststellungen werden aber auch dem eigentlichen Kerngedanken der Kritik nicht ge-recht. Der Umstand, dass es sich bei der OMK um ein politisches Instrument handelt, wel-ches keine rechtliche Verbindlichkeit für sich in Anspruch nimmt, dürfte unstreitig sein. Den Kritikern geht es jedoch um einen anderen Aspekt. Die OMK ist in ihrer Ausgestaltung und Reichweite bewusst „offen“ formuliert. Die Entwicklung zeigt, dass die Wahl der ein-zelnen Instrumente jederzeit verändert werden kann. Bedenklich erscheinen insbesondere die Vorgaben von Leitlinien durch den Europäischen Rat in Politikbereichen, die nicht der Kompetenz der Gemeinschaft unterliegen. Die Leitlinien können eine konkrete Ausgestal-tung erfahren, so dass sie auf Ebene der Nationalstaaten als detaillierte Vorgabe aufgegrif-fen und umgesetzt werden. Der Rat wird dabei tätig, ohne dazu ermächtigt worden zu sein. Die OMK könnte als weiterer Zwischenschritt beim Übergang von einer intergouvernemen-talen Zusammenarbeit hin zu einer vollständigen Übertragung von Rechtsetzungskompeten-zen auf supranationale Institutionen verstanden werden. Diese Vermutung beruht auf der Annahme von Spillover-Prozessen, die durch die Koordinierung neuer Politikfelder auf eu-ropäischer Ebene ausgelöst werden79. Unter einem Spillover-Prozess versteht man in die-

73 Steinberg, Philippe, „Governance und Parteien – Politisierung als Möglichkeit größerer bürgerschaftlicher Iden-tifikation“, ein Kommentar zum Weißbuch „Europäisches Regieren“, in: Jean Monnet Working Paper No.6/01 Teil IV. Nr. 2, http://jeanmonnetprogram.org/papers/01/012001.html; Bodewig/Voß, (Fn. 24), S. 325.

74 Diller, Karl, Stenographischer Bericht der 764. Sitzung des Bundesrates am 1. Juni 2001, S. 256, 257.75 Schulte, (Fn. 6), S. 25.76 Steinberg, (Fn. 73), Teil IV. Nr. 2.77 Ruffert, Matthias, in: Callies, Christian/Ruffert, Matthias, Kommentar zum EU/EG-Vertrag, 2. Auflage, Neu-

wied/Kriftel 2002, Art. 249 Rn. 119.78 Bodewig/Voß, (Fn. 24), S. 322.79 Giering, (Fn. 3), S. 2; Linsenmann/Meyer, (Fn. 2), S. 294.

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sem Zusammenhang einen Lernprozess außerhalb der Verträge80. In einigen Politikberei-chen wird die OMK bereits von der Kommission als ein solcher Zwischenschritt verstan-den81. Auch in der Literatur wird die Frage aufgeworfen, ob es sich bei der OMK nur um Politikabsprache und –koordination in Form der Selbstkoordination der Mitgliedstaaten handelt, oder ob bereits eine neue Art der Rechtsentstehung durch weiche Verfahren auf Unionsebene vorliegt82. Als nachteilig für die Länder erweist sich die fehlende Mitwir-kungsmöglichkeit bei der Festlegung der Leitlinien. Ihnen stehen zwar gem. Art. 23 Abs. 2, 4 - 6 GG Mitwirkungsrechte in EU-Angelegenheiten zu. Dieses Verfahren findet aber zu-mindest nach Auffassung der Bundesregierung keine Anwendung auf die im Europäischen Rat durch die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten im Zusammenhang mit der OMK getroffenen Absprachen83.In der jüngsten Zeit lässt sich aber im Hinblick auf die Anwendung der OMK auch bei den beteiligten Akteuren eine neue Entwicklung beobachten, die zu einer Entspannung der Dis-kussion beitragen könnte. Obgleich die Methode nach wie vor einen festen Bestandteil der Politik bildet, ist innerhalb der Kommission die Rede von einer Straffung und Vereinfa-chung des Verfahrens sowie einer klaren Abgrenzung des Anwendungsbereichs84. Auch der Rat hat diesen Aspekt aufgegriffen und weist explizit darauf hin, dass bei der Anwendung der OMK auf das Subsidiaritätsprinzip und die Vielfalt der nationalen Systeme Rücksicht zu nehmen sei85.Abschließend lässt sich feststellen, dass die OMK zum heutigen Zeitpunkt in ihrer Anwen-dung reformbedürftig ist. Zum einen konnten die geplanten oder durchgeführten Änderun-gen nicht umgesetzt, zum anderen müssen die bereits durchgeführten Verbesserungen als nicht ausreichend bezeichnet werden, um die unterschiedlichen Interessen zu vereinbaren und dabei trotzdem eine möglichst effektive Koordinierung zu garantieren. Es muss ver-stärkt darüber nachgedacht werden, wie die Anwendung der OMK unter Berücksichtigung der gegen sie vorgetragenen Kritik optimiert werden kann.

80 Giering, (Fn. 3), S. 2.81 Vgl. Europäische Kommission: Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament, „Offe-

ner Koordinierungsmechanismus für die Migrationspolitik der Gemeinschaft“, KOM 2001/387 endgültig, S. 5-6.

82 Zum einen ist die Rede von „a new form of regulation, that is softer than the classical legalistic approach, but it is more than a simple non-binding recommandation or a political declaration”, vgl. de la Porte, Carolin/Pochet, Philippe, Introduction, in: de la Porte/Pochet (ed.) “Building Social Europe through the Open Method of Co-ordination”, S. 11, 12; zum anderen wird die Methode der offenen Koordinierung auch als neue Form von “Go-vernance” bezeichnet, vgl. Vignon, Jerome, „Governance and collecive advernture”, in: de Schutter, Olivier/Le-bessis, Notis/Paterson, John, “Governance in the Euroepan Union, Cahiers of the Forward Studies Unit”, Euro-pean Commission 2001, S. 3.

83 Bauer/Knöll, (Fn. 4), S. 38.84 Mitteilung der Kommission, KOM 2003/261 endgültig/2, S. 4.85 Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates von Brüssel am 16./17. Oktober 2003, S. 9, http://eu-

ropa.eu.int/european_council/conclusions/index_de.htm; entsprechend der Mitteilung der Kommission müssen die laufenden Prozesse zur Koordinierung der Politik der Mitgliedstaaten im Bereich des Sozialschutzes inten-siviert werden, um zu einer erforderlichen Modernisierung der Sozialschutzsysteme beizutragen. In diesem Zusammenhang sollte der Rat die Mitteilung der Kommission über die offene Koordinierung im Bereich Sozi-alschutz prüfen und rechtzeitig vor der Tagung des Europäischen Rates im Frühjahr 2004 operative Schlussfol-gerungen ausarbeiten, die dem Subsidiaritätsprinzip Rechnung tragen und die Vielfalt der nationalen Systeme anerkennen.

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VI. Auswirkungen durch die Aufnahme von Koordinierungskompetenzen in den Verfassungsentwurf

Möglicherweise könnte sich die Problematik mit der Implementierung der Methode in einer Europäischen Verfassung erledigen. So weist der Verfassungsentwurf86 der Europäischen Union in Art. I-12 Abs. 5 nach Maßgabe der in der Verfassung normierten Bereiche die all-gemeine Kompetenz zur Koordinierung der Maßnahmen in den Mitgliedstaaten zu. Betrof-fen hiervon sind die in Art. I-17 VE genannten Politiken. Hierbei handelt es sich um die Bereiche Gesundheit, Industrie, Kultur, Tourismus, Bildung Katastrophenschutz und Ver-waltungszusammenarbeit. In den Art. I-12 Abs. 3 und I-15 Abs. 1 und 2 VE werden die Koordinierungen der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitiken normiert, wie sie bereits im geltenden EG-Vertrag enthalten sind87. In Art. I-15 Abs. 3 VE erwähnt der Entwurf schließ-lich die Koordinierung im Bereich der Sozialpolitik der Mitgliedstaaten. Es wird daher ver-treten, dass die OMK durch die Verfassung vertraglich fixiert sei88.Zu berücksichtigen ist aber, dass nicht alle Bereiche, die von der Methode der offenen Ko-ordinierung betroffen sind, im Verfassungsentwurf normiert werden. Dies gilt etwa für die Planung der Koordinierung im Rahmen der Migration oder Jugendpolitik. Zwar findet sich in Art. I-11 Abs. 5 VE die politische Programmidee zur Koordination von Politiken der Mit-gliedstaaten durch die Union; hierbei handelt es sich jedoch nicht um eine Generalkompe-tenz, sondern um eine allgemeine Zielbestimmung, wie Art. I-15 und 17 VE deutlich ma-chen89. Damit dürfte die Anwendung der Methode in Form einer offenen Koordinierung weiter relevant bleiben. Durch die Aufnahme der Koordinierung als eigenständige Kompe-tenzkategorie konnte auch die Frage der Zuständigkeitsverteilung zwischen der Union und den Mitgliedstaaten nicht ausreichend beantwortet werden. Da Art. I-12 VE in seiner Über-schrift die Arten von Zuständigkeiten der Union anspricht, aber gleichzeitig in Abs. 5 an-führt, dass durch die Koordinierungskompetenzen keine Überführung der Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten an die Union geschehen soll, ist nicht deutlich, ob die Koordinierung nun eine neue Form der Zuständigkeit darstellt, oder ob sie gerade das Gegenteil beschreibt. Die Trennung von Zuständigkeiten zwischen der Union und den Mitgliedstaaten wird so weiter aufgeweicht. Es gibt faktisch keine Kategorie der ausschließlichen Zuständigkeit der Mitgliedstaaten mehr90. Befürchtet wird, dass durch dieses Vorgehen eine vorprägende Qua-si-Gesetzgebungsmacht entsteht91. Auch die geforderte Beteiligung des Parlaments bei der Festlegung der Leitlinien ist im Verfassungsentwurf nicht vorgesehen. Im Hinblick auf die Rechtsschutzmöglichkeiten sieht der Verfassungsentwurf in Zusammenhang mit dem Sub-sidiaritätsprotokoll zwar in Gestalt der nachlaufenden richterlichen Kontrolle des Subsidia-ritätsprinzips nach Maßgabe des Art. III-270 VE ein eigenständiges Klagerecht vor. Damit können erstmals mitgliedstaatliche Verfassungsorgane, wie der Bundesrat, Rechtsschutz ge-

86 Vgl. hierzu den Entwurf eines Vertrages über eine Verfassung für Europa, CONV 850/03 vom 18.07.2003.87 So auch Schwarze, Jürgen, „Das wirtschaftsverfassungsrechtliche Konzept des Verfassungsentwurfs“, in:

EuZW 2004, S. 135 - 140, 138.88 Thiel, Elke, „Die Wirtschaftsordnungspolitik im Europäischen Verfassungsentwurf“, in: Integration 2003,

S. 527, 531; Hrbek, Rudolf, „Die deutschen Länder und der Verfassungsentwurf des Konvents“, in: Integration 2003, S. 357, 364.

89 Bodewig, Thomas, „Die offene Methode der Koordinierung in der EU, der Lissabon-Prozess und der Verfas-sungskonvent“, in: EuZW 2003, S. 513.

90 Krebber, (Fn. 47), S. 592 und 596.91 Schwarze, (Fn. 87), S. 138.

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gen einen unionalen Über- oder Eingriff in eigene Kompetenzen geltend machen92. Voraus-setzung ist allerdings auch hier, dass ein Gesetzgebungsakt vorliegt. Damit scheidet die Möglichkeit in Hinblick auf die rechtlich unverbindliche OMK aus. Die Problematik der Anwendung der OMK dürfte sich damit auch durch die Einführung von weiteren Koordi-nierungskompetenzen im Rahmen der Europäischen Verfassung nicht erledigt haben.

VII. Lösungsvorschlag

Die Verdienste der OMK sind unbestritten. Soweit eine Vergemeinschaftung der Politiken nicht realisiert worden ist, eröffnet sie eine zumindest weiche Form der Steuerung, die er-forderliche Anstoßwirkung auslösen kann. Ohne wachsende politische Verbindlichkeiten des europäischen Konvergenzprozesses kann die Entwicklung der europäischen Einigung nicht vorangetrieben werden93. Auch wenn der weichsten Form der Koordinierung Wir-kungsdefizite nachgesagt werden, finden sich keine echten Alternativen. Ob allein die An-wendung von härteren Sanktionen und Indikatoren die Umsetzung garantieren kann94, er-scheint fraglich und kann in Anbetracht der dargestellten Kompetenzproblematik jedenfalls ohne vertragliche Grundlage nicht empfohlen werden. Das Vorhandensein harter Koordina-tionsinstrumente gewährleistet schließlich nicht zwangsläufig die Befolgung der aufgestell-ten Ziele durch die Mitgliedstaaten. Als jüngstes Beispiel lässt sich die wiederholte Verlet-zung des Stabilitätspaktes durch Deutschland und Frankreich anführen, die, obgleich im Bereich der Haushaltskoordinierung möglich, nicht mit einer finanziellen Strafe geahndet worden ist95.Um einen Ausgangspunkt für die Optimierung der offenen Koordinierungsform zu finden, muss zunächst zwischen den Bereichen, in denen die Gemeinschaft über eigene Rechtset-zungskompetenzen verfügt und den Politiken ohne eigene Rechtsetzungsmöglichkeit unter-schieden werden. Im ersten Fall steht der Anwendung einer offenen Koordinierung als mil-derem Mittel nichts entgegen. Die Anwendung dürfte auch ohne eine explizite Koordinie-rungsbefugnis im Sinne des Subsidiaritätsgrundsatzes zulässig sein, da es der Union frei steht, die ihr zustehenden Kompetenzen auch in abgeschwächter Form anzuwenden96. In den Bereichen, in denen keine eigenen Rechtsetzungskompetenzen bestehen, muss dagegen weiter differenziert werden. Im Hinblick auf die Einschränkung durch enge Vorgaben in den Leitlinien müssen Möglichkeiten gefunden werden, die Durchführung einer OMK mit Leit-linienprozess auf die Politikbereiche zu beschränken, die ein solches Vorgehen tatsächlich erfordern. Bereits heute wird vorgeschlagen, die OMK nur dort zuzulassen, wo die Verab-schiedung von Leitlinien im EG-Vertrag ausdrücklich vorgesehen ist. Zwar könnte es der Einführung der OMK als einer offenen Methode der Koordinierung zur Verwirklichung der auf dem Lissabonner Gipfel aufgestellten Ziele widersprechen. Es ist aber zu berücksichti-gen, dass die OMK nach Aussage von Kommission und Rat im Hinblick auf das ihr zugrun-de liegende Verfahren gestrafft werden soll97. Diese Forderung dürfte insbesondere mit

92 Nettesheim, (Fn. 70), S. 592.93 Schulze-Weidener, (Fn. 19), S. 13.94 Linsenmann/Meyer, (Fn. 2), S. 294.95 Vgl. hierzu EuGH C-27/04, Kommission/Rat, Urteil vom 13.07.2004.96 Krebber, (Fn. 47), S. 594.97 KOM 2001/387 endgültig, S. 5-6; Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Brüssel, (Fn. 20), Nr. 21.

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Blick auf die Ausweitung der offenen Koordinierung auf verschiedene Politikbereiche durch die neue EU-Verfassung berechtigt sein. Vom Zeitpunkt der Ratifikation an wird sich die Koordinierung in vielen Bereichen auf ein vertraglich fixiertes Fundament stützen, so dass es der Anwendung einer „offenen“ Koordinierung nicht mehr bedarf. Wenn sich in anderen Politikbereichen ein Koordinierungsbedarf zeigen sollte, kann diesem, ohne die Zuständig-keitsabgrenzung zu umgehen, mittels eines Informations- und Erfahrungsaustausches zwi-schen den Mitgliedstaaten Rechnung getragen werden. Auch die Länderinteressen müssen bei der Bestimmung der Leitlinien stärker berücksichtigt werden. Durch die Anwendung des Verfahrens der Art. 23 Abs. 2, 4 - 6 GG könnten sie in den Prozess der Entscheidungs-findung über die Leitlinien eingebunden werden.Um den der OMK vorgeworfenen hohen Verwaltungsaufwand gering zu halten, müssen die Bemühungen, die Arbeit der Mitgliedstaaten auf freiwilliger Basis fortzusetzen, verstärkt werden. Auch über die Möglichkeit, nicht-staatliche Akteure in die Arbeit einzubinden, soll-te nachgedacht werden, sofern nicht die Gefahr besteht, dass dadurch allein die Vorstellun-gen bestimmter Interessenverbände in den Vordergrund gedrängt werden. Durch die Redu-zierung des Benchmarking und eines verstärkten Einsatzes des formlosen Informations- und Erfahrungsaustausches kann der bürokratische Aufwand ebenfalls minimiert werden. Ein Benchmarking sollte im Rahmen der OMK grundsätzlich erst dann zur Anwendung kom-men, wenn ein berechtigtes Interesse hieran begründet werden kann. Die institutionelle Aus-gestaltung des Benchmarking birgt die Gefahr einer Vereinheitlichung der Problemlösungen unabhängig von der Ausgestaltung der einzelnen nationalen Systeme98. Damit die Anwen-dung erfolgreich verlaufen kann, bedarf es eines Prozesses der ständigen Hinterfragung der Ergebnisse. Es muss auf mögliche Nebenfolgen geachtet und der Kontext der beobachteten Ergebnisse analysiert werden99.Aus diesen Überlegungen lässt sich ein neues Schema für die Anwendung der offenen Ko-ordinierung erstellen: Ein Leitlinienprozess soll nur dort initiiert werden, wo die Möglich-keit in Zukunft vertraglich vorgesehen ist. In diesen Fällen kann die Union auch ein indika-torgestütztes Benchmarking durchführen, sofern die ständige Kontrolle dieses Verfahrens gewährleistet ist. Ist der Leitlinienprozess nicht explizit vorgesehen, der Gemeinschaft aber über eine Zielbestimmung in den Verträgen eine Koordinierungsbefugnis eingeräumt wor-den, besteht die Möglichkeit, eine Koordinierung dieser Politikbereiche durch ein Bench-marking-Verfahren einzuleiten. Aufgrund der Notwendigkeit, den Verwaltungsaufwand zu minimieren, sollten an die Möglichkeit der Durchführung allerdings besondere Anforderun-gen gestellt werden. So muss sich ein besonderes Interesse an einem solchen „best practice“ Vergleich begründen lassen. Dies ist dann der Fall, wenn der konkrete Politikbereich eine hohe Praxisorientierung aufweist, die die Bestimmung von Indikatoren zur Beurteilung er-leichtert.Sofern in einem Politikbereich keine Koordinierungsbefugnis besteht, allerdings ein Koor-dinationsbedarf festgestellt wird, sollte die Gemeinschaft von einem formalisierten Bench-marking-Verfahren absehen. Dem Koordinierungsbedarf könnte in diesen Fällen aber durch eine Vorgabemöglichkeit von allgemeinen, politischen Zielen entsprochen werden. In den

98 Devetzi/Schmitt, (Fn. 10), S. 248.99 Strassheim, Holger, „Der Ruf der Sirenen – Zur Dynamik politischen Benchmarkings“. Eine Analyse anhand

der US-Sozialreformen“, Berlin WZB Discussion Papers FS II 01-201 (2001), S. 20, http://skylla.wz-berlin.de/pdf/2001/ii01-201.pdf.

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übrigen Fällen muss es allein bei der Möglichkeit bleiben, durch einen Erfahrungs- und In-formationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten eine Optimierung bestimmter Politiken auf nationaler Ebene voranzutreiben. Denn in diesen Fällen besteht kein Bedarf, den Be-reich auf Ebene der Gemeinschaft zu diskutieren, so dass die Entscheidung über das Aus-maß der Orientierung an anderen Ländern allein durch den einzelnen Mitgliedstaat getrof-fen werden kann.

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REZENSIONEN

Annette Guckelberger, Der Europäische Bürgerbeauftragte und die Petitionen zum Eu-ropäischen Parlament, Bd. 162 der Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Duncker und Humblot, Berlin, 2004.

Das hier zu besprechende Werk entstand aus einer Antrittsvorlesung der Verfasserin als Pri-vatdozentin an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften Speyer. Die Schrift beschäftigt sich mit dem informellen Rechts- und Interessensschutz der EU-Bürger in seiner alten Form des Petitionsrechts und seiner administrativen Form des Bürgerbeauf-tragten. Beide Institute werden etwa gleichgewichtig dargestellt und nach juristischen Kate-gorien (Antragsberechtigung/ Rechtsstellung/ Befugnisse etc.) untersucht. Es wird die Ent-stehungsgeschichte dieser Kommunikationseinrichtungen zwischen EU und EU-Bürger dargestellt, die Verankerung auf der Primärebene und die Zweigleisigkeit von Petitionsrecht und Ombudsmann verteidigt, die praktischen Erfolge des europäischen Bürgerbeauftragten vor allem auf dem Gebiet des Dokumentenzugangs und der Normierung von Kodices für gute Verwaltungspraxis hervorgehoben, eine weitere normative Präzisierung der Art. 194 f. EGV befürwortet und eine Aufgabe dieser beiden Institute auch für die Zukunft betont (bei möglichen Verschiebungen von der normprägenden Funktion stärker hin zur Überwa-chungsfunktion). Beide Institute seien als Elemente zur Förderung der übernationalen Dis-kursfähigkeit zu verstehen, die in unmittelbarer Beziehung zur Offenheit und Bürgernähe der EG (Art. 1 Abs. 2 EU) und in mittelbarer Beziehung zu Art. 6 Abs. 1 EUV (Demokratie und Rechtsstaat) stünden. Eine noch stärkere Einbindung der besprochenen Institute in die Grundsätze und Prinzipien der EU wäre aus der Sicht des Rezensenten allerdings möglich gewesen.Wie der kurze Überblick zeigt, handelt es sich um ein sehr erfreuliches Werk, das fundiert argumentierend und viele juristische Probleme aufzeigend, Einfluss auf die zukünftige Dis-kussion in dem betroffenen Feld nehmen wird.

Heinrich Amadeus Wolff, München

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Christiane A. Flemisch, Umfang der Berechtigung und Verpflichtungen aus völkerrecht-lichen Verträgen. Die Frage der unmittelbaren Anwendbarkeit, dargestellt am Beispiel des WTO-Übereinkommens, Frankfurt am Main; Berlin; Bern; Bruxelles; New York; Ox-ford; Wien, Peter Lang, 2002, 327 S.

Das gut strukturierte und sehr übersichtlich verfasste Buch behandelt aktuelle Probleme des Welthandelsrechts im Verhältnis zu Gemeinschaftsrecht bzw. nationalem Recht. Es beruht im Wesentlichen auf einer Dissertation, die im Sommersemester 2001 der Fakultät der Uni-versität Bayreuth vorlag.Das Werk zeigt, unter Zugrundelegung von Begriffsdefinitionen, aufgrund der Auseinan-dersetzung mit Rechtsprechung und Literatur und mittels ausführlicher Argumentation, ei-nen neuen Weg für das Verständnis des Verhältnisses zwischen Welthandelsrecht und ge-meinschaftsrechtlicher bzw. nationaler Rechtsordnung.Zu Beginn steht eine allgemeine Einweisung in den Hintergrund der Thematik. Es folgen einleitende Bemerkungen zur Entstehung des Welthandelsrechts. So wird in gebotener Kür-ze auf die Rechtsnatur des Welthandelsrechts bzw. des europäischen Gemeinschaftsrechts eingegangen.Sodann setzt sich die Autorin mit der Frage der Bindung von Gemeinschaft und Mitglied-staaten an welthandelsrechtliche Abkommen auseinander. Daran anschließend finden sich Ausführungen zur Verantwortlichkeit und Haftung bei welthandelsrechtlichen Abkommen, zum Welthandelsrecht als Bestandteil des Gemeinschaftsrechts und zur Frage des Ranges des Welthandelsrechts. Die Autorin gibt sich dabei nicht mit den bisher vertretenen Ansich-ten zufrieden, sondern arbeitet eigene Lösungsansätze und Lösungen heraus.Unter dem Punkt „Verhältnis zwischen Welthandelsrecht und europäischem Gemeinschafts-recht aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht“ kommt die Autorin zu dem zutreffenden Ergeb-nis: Welthandelsrecht ist in allen seinen Erscheinungsformen gegenüber Gemeinschaftsrecht in jeder Gestalt vorrangig, wobei es sich um einen Anwendungsvorrang handelt.Bei der Frage nach dem Rang von Welthandelsrecht in den nationalen Rechtsordnungen ist nach Auffassung der Autorin zu differenzieren:Die Bestimmungen des Welthandelsrechts, die der Kompetenz der Gemeinschaften zuzu-ordnen sind, genießen wie das Gemeinschaftsrecht den Anwendungsvorrang vor jeglichem nationalen Recht, auch gegenüber dem Grundgesetz.Bestimmungen des Welthandelsrechts hingegen, die dem nationalen Zuständigkeitsbereich angehören, haben in der Bundesrepublik Deutschland den Rang von einfachem Bundes-recht, sind also dem Grundgesetz rangmäßig untergeordnet. Sie unterliegen dem Prinzip „lex pasterior derogat legi priori“, so dass spätere deutsche Bundesgesetze dem Welthan-delsrecht, soweit es in den nationalen Kompetenzbereich fällt, vorgehen1.Einen weiteren Schwerpunkt des Buches bilden die Ausführungen zur unmittelbaren An-wendbarkeit der unter dem Dach der WTO geschlossenen Abkommen. Die Autorin unter-scheidet zu Recht zwischen Geltung und unmittelbarer Anwendbarkeit. Daran anschließend folgt eine Darstellung der vertretenen Auffassungen zum Begriff der unmittelbaren An-wendbarkeit, wobei die Verfasserin aufzeigt, dass die Begrifflichkeiten, die den bisher be-kannten Ansichten zugrundeliegen, im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu Unzulänglich-

1 S. 75 ff.

Rezensionen

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keiten führen. Vielmehr ist eine genaue Differenzierung vorzunehmen. Als Oberbegriff stellt die Autorin dabei auf die „Wirkungsformen des Welthandelsrechts im Gemeinschaftsrecht bzw. im nationalen Recht ab. Hierbei sind die Geltung einerseits, sowie Berechtigung und Verpflichtung andererseits, das heißt die unmittelbare Anwendbarkeit und subjektiven Rech-te bzw. Pflichten zu unterscheiden.Sodann geht die Autorin noch auf die Rechtsprechung des EuGH zur unmittelbaren An-wendbarkeit völkerrechtlicher Abkommen ein. In seiner Ausführlichkeit behandelt das Buch zudem die Wirkung von Streitbeilegungsentscheidungen sowie die welthandelsrechtskon-forme Interpretation des Gemeinschaftsrechts bzw. nationalen Rechts.Insgesamt stellt das Buch eine wertvolle Ergänzung der bereits vorhanden Literatur zu die-ser Thematik dar. Der besondere Wert dieses Buches liegt v.a. darin, dass die Verfasserin zum einen die umfangreiche deutsche und internationale Literatur und Rechtsprechung gründlich aufarbeitet zum anderen aber eigene Lösungen entwickelt. Die Tatsache, dass in einem letzten Teil ausgewählte Bestimmungen des Welthandelsrechts auf ihre unmittelbare Anwendbarkeit geprüft werden, ist ein weiterer Grund, warum das Buch in keiner völker-rechtlichen bzw. europarechtlichen sowie wirtschaftsrechtlichen Bibliothek fehlen darf.

Benedikt Bertenbreiter, München*

* Der Autor ist Rechtsreferendar in der Kanzlei Muschallik und Kollegen in München.

Rezensionen

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BIBLIOGRAPHIE

Zusammengestellt von der Schriftleitung der Zeitschrift Europarechtunter Mitarbeit von Florian Gröblinghoff

Bücher und Zeitschriften

Abkürzungsverzeichnis

AG ........................................... Die Aktiengesellschaft

AgrarR .................................... Agrarrecht

AJDA ...................................... L’Actualité Juridique Droit Administratif

ALJ .......................................... Antitrust Law Journal

AÖR ........................................ Archiv des Öffentlichen Rechts

ArbRB ..................................... Arbeitsrechts-Berater

AuA ......................................... Arbeit und Arbeitsrecht

AuR ......................................... Arbeit und Recht

AVR ......................................... Archiv des Völkerrechts

BayVBl .................................... Bayerische Verwaltungsblätter

BB ........................................... Betriebsberater

Blätter ...................................... Blätter für deutsche und internationale Politik

CDE ......................................... Cahiers de Droit Européen

CMLR ..................................... Common Market Law Review

CRI .......................................... Computer und Recht International

Verw ........................................ Die Verwaltung

DB ........................................... Der Betrieb

DS ........................................... DER STAAT

DÖD ........................................ Der Öffentliche Dienst

DÖV ........................................ Die Öffentliche Verwaltung

DVBl ....................................... Deutsches Verwaltungsblatt

DVP ......................................... Deutsche Verwaltungspraxis

ECFR ...................................... European Company and Financial Law Review

EIPR ........................................ European Intellectual Property Review

EJIL ......................................... European Journal of International Law

ELF ......................................... The European Legal Forum

ELRev ..................................... European Law Review

EuGRZ .................................... Europäische Grundrechtszeitung

EurUP ...................................... Zeitschrift für Europäisches Umwelt- und Planungsrecht

EuZ .......................................... Zeitschrift für Europarecht

EuZW ...................................... Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

EWS ........................................ Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht

GewArch ................................. Gewerbearchiv

GPR ......................................... Zeitschrift für Gemeinschaftsprivatrecht

GRUR ...................................... Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht

GRUR int ................................ Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht international

IHR .......................................... Internationales Handelsrecht

IIC ........................................... International Review of Industrial Property and Copyright Law

IPG .......................................... Internationale Politik und Gesellschaft

IPrax ........................................ Praxis des internationalen Privat- und Verfahrensrechts

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401EuR – Heft 3 – 2005

JA ............................................ Juristische Arbeitsblätter

JB ............................................ Juristische Blätter

JCMS ...................................... Journal of Common Market Studies

JuS ........................................... Juristische Schulung

JR ............................................ Juristische Rundschau

JRP .......................................... Journal für Rechtspolitik

JZ ............................................. Juristenzeitung

Kreditwesen ............................ Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen

K&R ........................................ Kommunikation und Recht

KritJ ......................................... Kritische Justiz

KritV ....................................... Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft

LIEI ......................................... Legal Issues of Economic Integration

MedizinR ................................. Medizinrecht

MDR ....................................... Monatsschrift für Deutsches Recht

MJECL .................................... Maastricht Journal of European and Comparative Law

MJIL ........................................ Maastricht Journal of International Law

MRM ....................................... MenschenRechtsMagazin

NdsVBl ................................... Niedersächsische Verwaltungsblätter

NILR ....................................... Netherlands International Law Review

NJ ............................................ Neue Justiz

NJB ......................................... Nederlands Juristenblad

NJIL ........................................ Nordic Journal of International Law

NJW ........................................ Neue Juristische Wochenschrift

NUR ........................................ Natur und Recht

NVwZ ..................................... Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

NWVBl ................................... Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter

NZA ........................................ Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht

ÖJ ............................................ Österreichische Juristenzeitung

OR ........................................... Osteuropa Recht

OstEur ..................................... Osteuropa

OstEurW ................................. Osteuropa-Wirtschaft

ÖZÖR ...................................... Österreichische Zeitschrift für Öffentliches Recht

RabelsZ ................................... Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht

RdA ......................................... Recht der Arbeit

RdE……………… ................. Recht der Energiewirtschaft

RDIDC .................................... Revue de Droit international et de droit comparé

RdW ........................................ Recht der Wirtschaft

RIW ......................................... Recht der Internationalen Wirtschaft

RL ........................................... Recht der Landwirtschaft

RMCUE .................................. Revue du marché commun et de l’Union Européenne

RTDE ...................................... Revue Trimestrielle Droit Européen

RuP .......................................... Recht und Politik

SächsVBl ................................. Sächsische Verwaltungsblätter

SEER ....................................... South East European Review for Labour and Social Affairs

SEW ........................................ Tijdschrift voor Europees en economisch recht

S+F .......................................... Vierteljahresschrift für Sicherheit und Frieden

SZIER ..................................... Schweizer Zeitschrift für Internationales und Europäisches Recht

ThürVBl .................................. Thüringer Verwaltungsblätter

UPR ......................................... Umwelt und Planungsrecht

Bibliographie

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EuR – Heft 3 – 2005402

VBlBW ................................... Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg

VerwArch ................................ Verwaltungsarchiv

VergabeR ................................. Zeitschrift für Vergaberecht

VN ........................................... Vereinte Nationen

VR ........................................... Verwaltungsrundschau

Wbl .......................................... Wirtschaftsrechtliche Blätter

WiRO ...................................... Wirtschaft und Recht in Osteuropa

WiVerw ................................... Wirtschaftsverwaltung

WRP ........................................ Wettbewerb in Recht und Praxis

WuW ....................................... Wirtschaft und Wettbewerb

ZaöRV ..................................... Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht

ZAR ......................................... Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik

ZEUP ....................................... Zeitschrift für Europäisches Privatrecht

ZEUPR .................................... Zeitschrift für Europäisches Umwelt und Planungsrecht

ZEUS ....................................... Zeitschrift für Europarechtliche Studien

ZfU .......................................... Zeitschrift für Umweltpolitik und Umweltrecht

ZfRV ........................................ Zeitschrift für Rechtsvergleichung, Internationales Privatrecht

................................................. und Europarecht

ZFW ........................................ Zeitschrift für Wasserrecht

ZLW ........................................ Zeitschrift für Luft- und Weltraumrecht

ZNER ...................................... Zeitschrift für neues Energierecht

ZRP ......................................... Zeitschrift für Rechtspolitik

ZUM ........................................ Zeitschrift für Urheber und Medienrecht

ZUR ......................................... Zeitschrift für Umweltrecht

ZvglRWis ................................ Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft

ZWR ........................................ Zeitschrift für Wasserrecht

Bibliographie

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403EuR – Heft 3 – 2005Bibliographie

I. Zeitschriften

Allgemeines zur Integration – Vertrag von Nizza – Richtlinien

Arnim, Hans Herbert von, The new EU party financing regulation, ELRev 2005, S.273-284

Dahrendorf, Ralf, Europa und die Zukunft des Westens, (Interview), Blätter 2005, S.288-300

Daun, Anna, Intelligence – Strukturen für die multila-terale Kooperation europäischer Staaten, integration 2005, S.136-149

Feld, Lars P., Viel Lärm um nichts? Die Agenda 2007 der EU aus ökonomischer Sicht, integration 2005, S.55-67

Frischhut, Markus/Ranacher, Christian, Die Unter-scheidung zwischen legislativem und administrativem Unrecht in Staatshaftungssachen. Eine Untersuchung der Rechtsprechung des EuGH und der österreichi-schen Gerichte, ÖJZ 2005, S.241-256

Garaboil-Furet, Marie-Dominique, La directive Bolke-stein, bouc émissaire d’une Europe incertaine, RM-CUE 2005, S.295-303

Giesberts, Ludger/Eickelberg, Jan, Rechtliche Grund-lage einer Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte beim EG-Staatshaftungsanspruch im Bereich des har-monisierten Sekundärrechts, EuZW 2005, S.231-235

Haack, Stefan, Europas Verfaßtheit als politische Ein-heit, KritV 2005, S.3-12

Häberle, Peter, Die europäische Stadt – das Beispiel Bayreuth, BayVBl 2005, S. 161-164

Kaiser, Robert/Prange, Heiko, Die offene Methode der Koordinierung in der europäischen Innovationspolitik: Grenzen und Perspektiven, integration 2005, S.162-172

Koenig, Christian, Haftung der Europäischen Gemein-schaft gem. Art. 288 Abs. 2 EG wegen rechtswidriger Kommissionsentscheidungen in Beihilfensachen, EuZW 2005, S.202-206

Koskeniemi, Martti, International Law in Europe: Bet-ween Tradition and Renewal, EJIL 2005, S. 113-125

Kotzur, Markus, Die Ziele der Union: Verfassungsiden-tität und Gemeinschaftsidee, DÖV 2005, S.313-322

Lang, Michael, Ist die Schumacker-Rechtsprechung am Ende? Die Verpflichtung zur Berücksichtigung der per-sönlichen Verhältnisse und des Familienstandes in ei-nem der Mitgliedstaaten, RIW 2005, S.336-344

Langenfeld, Christine, Erweiterung ad infinitum? – Zur Finalität der Europäischen Union, ZRP 2005, S.73-76

Maublanc, Jean-Pierre, Le contribuable n’a pas droit au procès équitable, RMCUE 2005, S.334-338

Menéndez, Augustín José, A pious Europe? Why Euro-pe should not define itself as Christian, ELRev 2005, S. 133-148

Muckel, Stefan, Die Rechtsstellung der Kirchen und Religionsgemeinschaften nach dem Vertrag über eine Verfassung für Europa, DÖV 2005, S.191-200

Passerieux, Régis/Thouvenin, Jean-Marc, Le partenari-at public-privé à la croisée des chemins, entre marché et concession Synthèse du débat engagé par le Livre vert sur les partenariats public/privé, RMCUE 2005, S.232-242

Picker, Ruth/Zeglovits, Eva, Wahlbeteiligung bei EU-Wahlen: In schlechter Verfassung?, Forum Parlament 2005, S. 24-28

Rödl, Florian, Europäisches Verfassungsziel „soziale Marktwirtschaft“ – kritische Anmerkungen zu einem populären Modell, integration 2005, S.150-161

Sack, Jörn, Die Staatswerdung Europas – kaum eine Spur von Stern und Stunde. Der Entwurf einer Verfas-sung für Europa in seinen tragenden Teilen kritisch ab-geklopft und bewertet, Staat 2005, S.67-98

Scherer, Joachim, Vom nationalen zum einheitlichen europäischen Luftraum, EuZW 2005, S.268-271

Schlichting, Jan Muck/Spelten, Wolfram, Die Dienst-leistungsrichtlinie, EuZW 2005, S.238-240

Urlesberger, Franz, Europarecht: Das Neueste auf ei-nen Blick, Wbl 2005, S.164-167

Urlesberger, Franz, Europarecht: Das Neueste auf ei-nen Blick, Wbl 2005, S. 114-118

Vignes, Daniel, La « rumeur » était fausse!, RMCUE 2005, S.277-280

Zimmermann, Reinhard, Die Principles of European Contract Law als Ausdruck und Gegenstand europäi-scher Rechtswissenschaft, (I), Jura 2005, S.289-297

Organe – Kompetenzen – EPZ

Bachmann, Susanne, Europa-Themen im Parlament – Neuerungen im Gefolge der EU-Verfassung, Forum Parlament 2005, S. 29-31

Bauer, Michael W., Orientierungsnot im Machtdreieck: Die Europäische Kommission auf der Suche nach ei-nem neuen Leitbild, integration 2005, S.47-54

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EuR – Heft 3 – 2005404

Dero-Bugny, Delphine, Le livre vert de la Commission européenne, RTDE 2005, S.81-104

Grabner, Petra, Das Europäische Parlament und seine Rolle im neuen europäischen Gefüge, Forum Parlament 2005, S. 15-19

Knook, Allard, The Court, The charter, and the vertical division of powers in the European Unioin, CMLR 2005, S.367-398

Leidenmühler, Franz/Dirisamer, Katharina/Obermayr, Florian, Law of the European Organisations: „Einhei-mischentarife“ im Visier des Gemeinschaftsrechts, ELF 2005, S.9-13

Ludlow, Peter, Die Führung der Europäischen Union durch den Europäischen Rat: Übergang oder Krise?, integration 2005, S.1-15

Maurer, Andreas/Kietz, Daniela, Die nationalen Parla-mente im Rahmen des EU-Verfassungsvertrages – Möglichkeiten und Grenzen im neuen Europa, Forum Parlament 2005, S. 19-24

O’Brien, Martha, Company taxation, State aid and fun-damental freedoms: is the next step enhanced co-ope-ration?, ELRev 2005, S.209-233

Schild, Joachim, Barrosis „blind date“ in Brüssel – Auf dem Weg zu einer Parlamentarisierung der Kommissi-onsinventur? integration 2005, S.33-46

Verfassungs- und Verwaltungsrecht – Grundrechte – Konvent – Unionsbürgerschaft

Bergmann, Jan, Staatswerdung durch Konstitutionali-sierung? Zur neuen EU-Verfassung, VBlBW 2005, S.121-128

Dyèvre, Arthur, The constitutionalisation of the Euro-pean Union: discourse, present, future and facts, EL-Rev 2005, S. 165-189

Gaisbauer, Helmut P., Der EU-Konvent aus der Pers-pektive beitrittswilliger Staaten – Schlüsselinstitution einer „Westerweiterung“?, Forum Parlament 2005, S. 10-14

Monar, Jörg, Optionen für den Ernstfall: Auswege aus einer möglichen Ratifizierungskrise des Verfassungs-vertrags, integration 2005, S.16-32

Pollak, Johannes/Slominski, Peter, Wie repräsentativ war der Konvent zur Zukunft Europas?, Forum Parla-ment 2005, S. 6-10

Sauer, Heiko, Die neue Schlagkraft der gemeineuropä-ischen Grundrechtsjudikatur. Zur Bindung deutscher

Gerichte an die Entscheidungen des Europäischen Ge-richtshofs für Menschenrechte. Zugleich Anmerkung zu BVerfG, ZaöRV 2005, S.35-69

Schneider, Heinrich, Eine Verfassung für Europa – wa-rum und wozu?, Forum Parlament 2005, S. 1-6

Schwartmann, Rolf, Europäischer Grundrechtsschutz nach dem Verfassungsvertrag, AVR 2005, S.129-152

Toulemon, Robert, La Constitution européenne – Son origine, ses vertus, ses faiblesses, RMCUE 2005, S.213-220

Trimbach, Herbert/Beilke, Steffen, Die Ratifizierung der Europäischen Verfassung, NJ 2005, S.206-207

Uerpmann-Wittzack, Robert, Doppelter Grundrechts-schutz für die zukünftige Europäische Union, DÖV 2550, S. 152-157

Wilkinson, Michael A., Review Article: Who’s afraid of a European Constitution?, ELRev 2005, S.297-313

Rechtsverhältnisse zwischen EG und Mitglied-staaten – Kompetenzen

Adinolfi, Adelina, Free movement and access to work of citizens of the new Member states: The transitional measures, CMLR 2005, S.469-498

Albi, Anneli, “Europe” articles in the constitutions of Central and Eastern European countries, CMLR 2005, S.399-423

Beck, Gunnar, The Problem of Kompetenz-Kompetenz: a conflict between right and right in which there is no praetor, ELRev 2005, S. 42-67

Boesche, Vera, Beweislast im Regierungsentwurf eines Antidiskriminierungsgesetzes, EuZW 2005, S.264-267

Brevern, Daniel v., Die Umsetzung von Beihilfe-Rück-forderungsentscheidungen der Kommission, EWS 2005, S.154-162

Carluer, Frédéric, Quelles convergences régionales au sein des Peco avant l’adhésion ? – Mise en évidence des déterminants macro-économiques et géographi-ques, RMCUE 2005, S.305-317

Chaltiel, Florence, Constitution française, Constitution européenne, vers l’osmose des ordres juridiques ? – À propos de la révision constitutionnelle du 28 février 2005, RMCUE 2005, S.280-288

Hellwig, Hans-Jürgen, Perspektiven der deutschen An-waltschaft ex Europa, NJW 2005, S.1217-1226

Bibliographie

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405EuR – Heft 3 – 2005

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Junker, Abbo, Unternehmensmitbestimmung in Deutschland. Anpassungsbedarf durch internationale und europäische Entwicklungen, ZfA 2005, S.1-44

Kling, Michael, Die Haftung der Mitgliedstaaten der EG bei Verstößen gegen das Gemeinschaftsrecht, Jura 2005, S.298-305

Rehrl, Jochen, Beistandsgarantie und Solidaritätsklau-sel. Völker- und verfassungsrechtliche Herausforderun-gen für Österreich durch den neuen EU-Verfassungs-vertrag, ÖZöR 2005, S.31-53

Stüer, Bernhard/Spreen, Holger, Defizite in der Umset-zung des Europarechts. Gewinnt der Bund Gesetzge-bungskompetenzen von den Ländern? VerwArch 2005, S.174-190

Weatherill, Stephen, Better competence monitoring, ELRev 2005, S. 23 – 41

Beziehungen zu Drittländern – Beitritt/Osterweiterung – Zollunion

Aktar, Cengiz, Et si l’Europe puissance passait par la Turquie…, RMCUE 2005, S.303-305

Cremona, Marise, EU enlargement: solidarity and con-ditionality, ELRev 2005, S. 3 – 22

Denysyuk, Vitaliy, Un partenariat entre l’Union et les NEIO : transition en vue de l’intégration ou intégration pour la transition ? Quelques données à l’Ukraine, RM-CUE 2005, S.220-232

Grabenwarter, Christoph, Nationalrat und Beitrittsver-handlungen EU-Türkei. Zu den Rechtswirkungen einer Stellungnahme des Nationalrates zur Entscheidung der europäischen Union über die Aufnahme von Beitritts-verhandlungen der Türkei, JRP 2005, S.1-11

Kempf, Andreas, Auswirkungen europäischer Regelun-gen auf außereuropäische Investoren?, DB 2005, S.744-747

Lippert, Barbara, Die Türkei als Sonderfall und Wen-depunkt der klassischen EU-Erweiterungspolitik, inte-gration 2005, S.119-135

Schübel-Pfister, Isabel, Enjeux et perspectives du mul-tilinguisme dans l’Union européenne : après l’élargissement, la « babélisation » ?, RMCUE 2005, S.325-334

Thürer, Daniel, Verfassungsfragen rund um einen mög-lichen Beitritt der Schweiz zur Europäischen Union, SZIER 2005, S.21-51

Verschraegen, Bea, Nationalrat und Beitrittsverhand-lungen EU-Türkei. Zur Frage, ob und ab welchem Zeit-punkt der Nationalrat ein Recht auf Stellungnahme zu den Verhandlungen über einen Beitritt der Türkei hat, und zu den Rechtswirkungen einer solchen Stellung-nahme, JRP 2005, S.12-25

Yakemtchouk, Romain, La Croatie : deviendra-t-elle État membre de l’Union européenne ?, RMCUE 2005, S.317-325

Wettbewerbspolitik – Staatliche Beihilfen – Öffentliche Unternehmen – Freier Warenverkehr – Wirtschaftsrecht

Apostolopoulos, Haris, Das europäische Irreführungs-verbot: Liberalisierung des Marktgeschehens oder Ein-schränkung für die Anbieterseite?, GRURint 2005, S. 292-299

Bartosch, Andreas, Der Zugang zu einer wesentlichen Einrichtung: eine Zwischenbilanz nach dem Beschluss des EuG-Präsidenten in der Rechtssache Microsoft, RIW 2005, S.241-247

Bitterich, Klaus, Kein „Bestandsschutz“ für vergabe-rechtswidrige Verträge gegenüber Aufsichtsmaßnah-men nach Art. 226 EG. Zugleich Anmerkung zu EuGH Rs. C-125/03 (Kommission/Bundesrepublik Deutsch-land), EWS 2005, S.162-168

Burnside, Alec/Crossley, Helen, Co-operation in com-petition: a new era?, ELRev 2005, S.234-260

Frenz, Walter, Pfandpflicht zwischen Rechtsharmoni-sierung und Warenverkehrsfreiheit. Grundsätzliche Aussagen des EuGH und Konsequenzen, (Zugleich Anmerkung zu EuGH Rs. C-309/02, C-463/01), Ge-wArch 2005, S.184-187

Haanappel, P. P. C., The New EU Denied Boarding Compensation Regulation 2004, ZLW 2005, S.22-31

Joslove, Bradley L./Krylov, Andréi V., Dangerous Liai-sons. Liability in the European Union for hypertext lin-king and search engine services, CRI 2005, S.33-39

Kern, Katharina, Chemikalienrecht im Aufbruch. Zum REACH-Verordnungsentwurf der EG-Kommission vom 29.10.2003, ZUR 2005, S.68-75

Kersting, Andreas/Siems, Thomas, Ausschreibungs-pflicht für staatliche Kooperationen? (Zugleich Anmer-kung zu EuGH Rs. C-84/03, OLG Düsseldorf und OLG Frankfurt), DVBl 2005, S.477-481

Bibliographie

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EuR – Heft 3 – 2005406

Koenig, Christian/Haratsch, Andreas, Ring frei im DVB-Beihilfenstreit vor der Europäischen Kommission – Terrestrischer digitaler Rundfunk vor dem Aus?, ZUM 2005, S. 275-283

Leupold, Henning/Pautke, Stephanie, IMS Health vs. Microsoft: Befindet sich die Kommission bei kartell-rechtlichen Zwangslizenzen (erneut) auf Konfrontati-onskurs mit dem EuGH? (Zugleich Anmerkung zu EuGH, Rs. C-418/01), EWS 2005, S. 108-116

Freizügigkeit – Arbeits- und Sozialrecht

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Euzéby, Alain, Modèle social européen : des défis à re-lever !, RMCUE 2005, S.288-295

Golynker, Oxana, Jobseekers’ rights in the European Union: challenges of changing the paradigm of social solidarity, ELRev 2005, S. 111-122

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Riesenhuber, Karl/Domröse, Ronny, Die „Entlassung“ nach der Massenentlassungsrichtlinie. Bedeutung und Folgen des EuGH-Urteils Rs. C-188/03 (Junk), (An-merkung), EWS 2005, S. 97-103

Sprenger, Markus, Kündigung wegen Betriebsüber-gangs: Ist § 13 Abs. 3 KSchG n.F. europarechtskon-form?, AuR 2005, S.175-177

Wolter, Henner, Wende im Recht der Massenentlas-sung. Zugleich Anmerkung zu EuGH Rs. C-188/03 (Jung ./. Insolvenzverwalter Kühnel), AuR 2005, S.135-141

Steuern – Währungs- und Finanzpolitik

Dannecker, Achim/Steger, Christian Ph., Vorsteuerab-zug bei Holdinggesellschaften im Lichte der neuesten Rechtsprechung. Unter Berücksichtigung des Cibo-Ur-teils des Europäischen Gerichtshofs Rs. C-16/00 – und des BFH-Urteils V R 32/00, BB 2005, S.1028-1032

Kalss, Susanne, Aktienrecht im Licht der Kapitalver-kehrsfreiheit. Die Rechtsprechung des EuGH zu den Goldenen Aktien und die Auswirkungen auf das natio-nale Recht, JRP 2005, S.26-42

Kraft, Gerhard/Robra, Karoline, Das völkerrechtliche Meistbegünstigungsprinzip und seine Bedeutung im Europäischen Steuerrecht, RIW 2005, S.247-252

Nihoul, Paul, L’avènement des OGM dans la société de l’alimentation : vers une nouvelle forme d’interaction entre la science et le droit, RTDE 2005, S.1-36

Podlesak, Thomas/Paunovic, Biljana, Europäisches und nationales Bankrecht in den neuen EU-Mitgliedstaaten, WiRO 2005, S. 65-68

Schießl, Harald, Europäisierung der deutschen Unter-nehmensbesteuerung durch den EuGH, NJW 2005, S. 849-855

Schön, Wolfgang, Playing different games? Regulatory competition in tax and company law compared, CMLR 2005, S.331-365

Smits, René, The European constitution and EMU: An appraisal, CMLR 2005, S.425-468

Umwelt-, Agrar- und Energiepolitik, Gesundheits- und Verbraucherschutz – Emmissionshandel

Becker, Bernd, Einführung in die Richtlinie über Um-welthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Um-weltschäden, NVwZ 2005, S.371-376

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Drauz, Götz/Schnichels, Dominik, Die Reform des eu-ropäischen Kartellrechts – Auswirkungen auf die Ener-gieindustrie, ZNER 2005, S.2-9

Erbguth, Wilfried, Schiffsabfallentsorgung. Europa-rechtliches Sekundärrecht, völkerrechtlicher Hinter-grund, nationale Umsetzung, DVBl 2005, S. 333-340

Frenz, Walter, Abfallerzeuger und -besitzer nach deut-schem und europäischen Recht, ZUR 2005, S.57-63

Georgopoulos, Theodore, Le rôle créatif du juge com-munautaire en matière de fiscalité directe, RTDE 2005, S.61-80

Hey, Christian/Volkery, Axel/Zerle, Peter, Neue umwelt-politische Steuerungskonzepte in der Europäischen Union, ZfU 2005, S. 1-38

Khakzadeh, Lamiss Magdalena, Grundverkehrsbehörd-liche Genehmigung von Rechtserwerben an landwirt-schaftlichen Grundstücken. Anmerkung zu EuGH Rs. C-452/01 (Ospelt), ÖJZ 2005, S.281-286

Kilbey, Ian, Consumer protection evaded via the inter-net, ELRev 2005, S. 123-132

Bibliographie

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407EuR – Heft 3 – 2005

Kock, Michael A./Porzig, Susann/Willnegger, Eva, Der Schutz von pflanzenbiotechnologischen Erfindungen und von Pflanzensorten unter Berücksichtigung der Umsetzung der Biopatentrichtlinie, GRURint 2005, S.183-192

Lecheler, Helmut/Herrmann, Joachim, Energierechtli-ches Unbundling und EG-Wettbewerbsrecht, WuW 2005, S.482-493

Müller, Markus H., Das System des deutschen Arten-schutzrechts und die Auswirkungen der Caretta-Ent-scheidung des EuGH auf den Absichtsbegriff des § 43 Abs. 4 BNatSchG, NUR 2005, S.157-163

Rengeling, Hans-Werner, Europäisches Chemikalien- und Stoffrecht. Entwicklungen zur Umgestaltung des deutschen Rechts, DVBl 2005, S.393-403

Riese, Christoph/Karsten, Nora, Ist unausgekofferter kontaminierter Boden Abfall? (Zugleich Anmerkung zu EuGH Rs. C-1/03), ZUR 2005, S.75-79

Rochdi, Gabrielle, La politique agricole commune dans le commerce mondial des produits agro-alimentaires, RTDE 2005, S.37-60

Runge, Tobias, Zehn Jahre Umweltinformationsma-nagement für Europa – die Tätigkeit der Europäischen Umweltagentur, DVBl 2005, S.542-551

Schmalz, Reinhard, Die europäische Umweltrechtsset-zung als Arbeitsfeld der Bundesländer?, NdsVBl 2005, S. 89-93

Schütz, Peter, Die Umsetzung der FFH-Richtlinie – Neues aus Europa, UPR 2005, S.137-141

Stiller, Dirk, Erneuerbare Energien drängen an den Ka-pitalmarkt – Projektfinanzierungsanleihen und Asset-Backed Securities Transaktionen mit erneuerbaren En-ergien, ZNER 2005, S.35-41

Urheberrecht – Markenrecht – Patentrecht

Empel, M. van, Intellectuele eigendom en EG-kartel-recht. 2004: ein bewogen jaar, NJB 2005, S.730-738

Sosnitza, Olaf, Die Entwicklung des gewerblichen Rechtsschutzes und des Urheberrechts in der Europäi-schen Union in den Jahren 2003/2004, GPR 2005, S.77-87

Europäisches Zivilrecht und Strafrecht

Cachard, O./Klötgen P. , Allgemeines Gemeinschafts- und Gemeinschaftsprivatrecht. Französische Recht-sprechung zum Gemeinschaftsprivatrecht, GPR 2005, S.65-67

Heiderhoff, Bettina, Eine europäische Kollisionsnorm für die Produkthaftung: Gedanken zur Rom II-Verord-nung, GPR 2005, S.92-97

Huber, Peter/Bach, Ivo, Die Rom II-VO. Kommissions-entwurf und aktuelle Entwicklungen, IPrax 2005, S.73-84

Meidanis, Haris P., Public policy and ordre public in private international law of the EC/EU: Traditional po-sitions of the Member States and modern trends, EL-Rev 2005, S. 95-110

Najork, Eike N., Grundfragen: Auf dem Weg zu allge-meinen Geschäftsbedingungen für den europäischen Markt: Anmerkungen zur Mitteilung der Kommission vom 11.10.2004, GPR 2005, S.54-56

Rott, Peter , Bedrohung des Verbraucherschutzes im Internationalen Verfahrens- und Privatrecht durch den Binnenmarkt, EuZW 2005, S. 167-170

Rühl, Giesela, Die Kosten der Rücksendung bei Fern-absatzverträgen: Verbraucherschutz versus Vertrags-freiheit?, EuZW 2005, S.199-202

Schaub, Renate, Grundlagen und Entwicklungstenden-zen des europäischen Kollisionsrechts, JZ 2005, S.328-337

Schulze, Reiner, Grundsätze des Vertragsschlusses im Acquis communautaire, GPR 2005, S.56-64

Taupitz, Jochen/Wille Sophia, Die Entwicklung des BGB unter europäischem Einfluss, JA 2005, S.385-390

Wangemann, Andreas/Schubert, Björn G., Die Verant-wortlichkeit internationaler Fluggesellschaften bei misslungener Einreise von Tieren in die Europäische Union, VR 2005, S.124-127

Wiesner, Peter M., Ist das Europäische Zivilgesetzbuch noch zu stoppen?, DB 2005, S.871-875

Zimmer, Daniel/Leopold, Anders, Private Durchsetzung des Kartellrechts und der Vorschlag zur „Rom II-VO“, EWS 2005, S.149-154

Völkerrecht – Internationales Privatrecht

Hölscheidt, Sven/Ridinger, Meike/Zitterbart, Annette, Grundzüge des Völkerrechts und seine Bezüge zum Europa- und Verfassungsrecht, (II), Jura 2005, S.224-230

Bibliographie

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EuR – Heft 3 – 2005408

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Bailes, Alyson J. K., Die Europäische Sicherheitsstrate-gie: programmatische und praktische Perspektiven für GASP und ESVP, integration 2005, S.107-118

Georgopoulos, Theodore, What kind of treaty-making power for the EU?, ELRev 2005, S.190-208

Lindner, Josef Franz, Die gemeinschaftsrechtliche Di-mension des Polizeirechts – Eine dogmatische Analyse, JuS 2005, S.302-308

Peers, Steve, Transforming decision-making on EC im-migration and asylum law, ELRev 2005, S.285-296

Sautner, Lyane, Die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls nach dem EU-JZG, ÖJZ 2005, S.328-343

Menschenrechte

Eisele, Jörg, Die Bedeutung der Europäischen Men-schenrechtskonvention für das deutsche Strafverfahren, JA 2005, S.390-395

Siskova, Nadezda, Law of the European Organisations: The Human Rights Protection in the European Union Context and its Current Dilemma, ELF 2005, S.2-8

Telekommunikationsrecht – Transport

Geradin, Damien, Access to vontent by new media platforms: a review of the competition law problems, ELRev 2005, S. 68-94

Ladeur, Karl-Heinz, Das Europäische Telekommunika-tionsrecht im Jahre 2004. Zur Umsetzung des Richtli-nienpakets, insbesondere des Art. 7-Verfahrens, in die Praxis der Mitgliedstaaten und der EG, zu den ersten Stellungnahmen der Kommission und dem Problem des Drittschutzes im Telekommunikationsrecht vor dem EuGH, K&R 2005, S.198-207

Ladeur, Karl-Heinz/Möllers, Christoph, Der europäi-sche Regulierungsverbund der Telekommunikation im deutschen Verwaltungsrecht, DVBl 2005, S.525-535

Rechtsprechung – EuGH, EuG – Vollstreckung – Rechtsschutz – Urteilsanmerkungen

Bode, Stephanie, Anmerkung zu EuGH Rs. C-209/03 (Unterhaltsbeihilfen für ausländische Studenten ohne Daueraufenthaltsstatus), EuZW 2005, S.279-282

Callies, Christian, Grundlagen, Grenzen und Perspek-tiven europäischen Richterrechts, NJW 2005, S.929-933

Eichele, Wolfgang, Anmerkung zu EuGH Rs. C-250/03 (Zugang zum Beruf des Rechtsanwalts in Italien; Zu-sammensetzung des Prüfungsausschusses), EuZW 2005, S.274-276

Ekardt, Felix/Pöhlmann, Katharina, Europäische Kla-gebefugnis: Öffentlichkeitsrichtlinie, Klagerechtsricht-linie und ihre Folgen, NVwZ 2005, S.532-534

El-Bitar, Julia, Das Verhältnis zwischen „Freiem Ge-leit“ und gemeinschaftsrechtlicher Rückgabeklage, EuZW 2005, S. 173-176

Frenz, Walter, Verpflichtungen Privater durch Richtlini-en und Grundfreiheiten, (Zugleich Anmerkung zu EuGH, Rs. C-397/01 bis C-403/01 (DRK-Urteil)), EWS 2005, S. 104-108

Furet, Marie-Dominique, Les conséquences en termes de santé publique des arrêts Kohll et Decker sur las construction de l’Europe de la santé, RMCUE 2005, S.253-263

Gómez Jene, Miguel, Internationale Schiedsgerichts-barkeit und Binnenmarkt, IPrax 2005, S.84-93

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Hausmann, Friedrich Ludwig/Bultmann, Peter Fried-rich, Die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache „Stadt Halle“. Ein neues Paradigma für vergaberechts-freie In-house-Geschäfte. Zugleich Anmerkung zu EuGH Rs. C-26/03, NVwZ 2005, S.377-381

Jacobj, Holger, Anmerkung zu EuGH Rs. C-309/02 (Vereinbarkeit des Pflichtpfands auf Einweggetränke-verpackungen mit dem Gemeinschaftsrecht), ZUR 2005, S.147-150

Kalbe, Peter, Der Europäische Gerichtshof zieht die Grenzen einer freihändigen Vergabe von Dienstleis-tungsverträgen enger. Im Blickpunkt/Anmerkung zu EuGH, Rs. C-26/03 (Stadt Halle und RPL Recycling-park Lochau GmbH/Arbeitsgemeinschaft Thermische Restabfall- und Energieverwertungsanlage TREA Leuna), EWS 2005, S. 116-11

Kenntner, Markus, Ein Dreizack für die offene Flanke: Die neue EuGH-Rechtsprechung zur judikativen Ge-meinschaftsrechtsverletzung, EuZW 2005, S.235-238

Bibliographie

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Lavranos, Nikolaos, The new specialised courts within the European judicial system. ELRev 2005, S.261-272

Leible, Stefan, Luxemburg locuta, Gewinnmitteilung finita? Anmerkung zu EuGH, Rs. C-27/02, NJW 2005, S. 796-798

Leistner, Matthias, Anmerkung zu EuGH Rs. C-203/02 (Zum rechtlichen Schutz von Datenbanken), JZ 2005, S.408-411

Lindner, Josef Franz, Anmerkung zu EuGH, Rs. C-36/02 (Laserdrome; Dienstleistungsfreiheit; freier Wa-renverkehr; Beschränkungen; öffentliche Ordnung; Menschenwürde; Schutz der in der nationalen Verfas-sung verankerten Grundwerte; gespieltes Töten), BayVBl 2005, S.206-208

Mäsch, Gerald/Fountoulakis, Christiana, Die Geltend-machung öffentlich-rechtlicher Forderungen durch den privaten Bürger im System des Europäischen Zivilpro-zessrechts: zugleich Anmerkung zu EuGH Rs. C-265/02, GPR 2005, S. 98-101

Michaels, Sascha, Anmerkung zu EuGH Rs. C-26/03 (Vergaberecht: Keine Inhouse-Vergabe an gemischt-wirtschaftliche Gesellschaft (Halle)), ZNER 2005, S.60-62

Molsberger, Philipp, Die Bedeutung der Subsidiaritäts-klage des Europäischen Verfassungsvertrags für die Länder, VBlBW 2005, S.169-173

Müller, Bernhard, Beschränkung von Public Private Partnerships: Generelle Abschaffung des In-House-Pri-vilegs bei gemischtwirtschaftlichen Gesellschaften? Anmerkung zu EuGH Rs. C-26/03 (Stadt Halle), Wbl 2005, S.149-155

Müller-Wrede, Malte/Greb, Klaus, Anmerkung zu EuGH Rs. C-84/03 (Vertragsverletzungsverfahren; Einrichtung des öffentlichen Rechts; öffentlicher Auf-trag; In-House-Geschäft; Verhandlungsverfahren), Ver-gabeR 2005, S.184-185

Murswiek, Dietrich, Anmerkung zu EuGH, Rs. C-1/03 (Kontaminiertes Erdreich als Abfall; Abfallbegriff; Entsorgungsverantwortung), JuS 2005, S.361-363

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Rosenfeld, Andreas, Anmerkung zu EuGH Rs. C-237/02 (Freiburger Kommunalbauten GmbH Bauge-sellschaft & Co. KG ./. Hofstetter), GPR 2005, S.71-73

Ruffert, Matthias, Anmerkung zu EuGH, Rs. C-322/01 (Internet-Apotheke und Dogmatik der Grundfreiheiten: Die Entscheidung DocMorris des EuGH), Jura 2005, S.258-263

Schlachter, Monika, Anmerkung zu EuGH Rs. C-397/01 bis C-403/01 (Richtlinienkonforme Rechtsfin-dung, ein neues Stadium im Kooperationsverhältnis zwischen EuGH und den nationalen Gerichten), RdA 2005, S.116-120

Seyr, Sibylle, Der verfahrensrechtliche Ablauf vor dem EuGH am Beispiel der Rechtssache „Prosciutto di Par-ma“, JuS 2005, S.315-320

Staffhorst, Andreas, Anmerkung zu EuGH Rs. C-397/01, C-398/01, C-399/01, C-400/01, C-401/01, C-402/01, C-403/01, GPR 2005, S.89-91

Streinz, Rudolf, Anmerkung zu EuGH, Rs. C-397/01 bis C-403/01 (Auslegung der EG-Arbeitszeitrichtlinie; unmittelbare Wirkung von EG-Richtlinien; Berück-sichtigung durch nationale Gerichte bei einem Rechts-streit zwischen Privaten), JuS 2005, S.358-361

Thym, Daniel/Heckeler, Udo, Anmerkung zu EuGH Rs. C-453/02, Rs. C-462/02 (Mehrwertsteuerpflicht für Glücksspielbetrieb außerhalb von Spielbanken europa-rechtswidrig; Finanzamt Gladbeck ./. Edith Linneweber u.a.), EuZW 2005, S.212-214

Tilmann, Irene, Anmerkung zu EuGH Rs. C-70/03 (Kommission/Spanien), GPR 2005, S.74-77

Versmann, Andreas, Anmerkung zu EuGH Rs. C-277/02 (Einwandsbefugnis der Behörden am Versand-ort bei grenzüberschreitender Abfallverbringung), ZUR 2005, S.137-139

Wagner, Rolf, Der Europäische Vollstreckungstitel, NJW 2005, S.1157-1160

Wirtz, Markus M./Möller, Silke, Fusionskontrolle: Das Tetra Laval-Urteil des EuGH, (Zugleich Anmerkung zu EuGH Rs. C-12/03), EWS 2005, S.145-149

Bibliographie

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EuR – Heft 3 – 2005410

II. Monographien

Allgemeines zur Integration – Vertrag von Nizza – Richtlinien

Aston, Jurij Daniel, Sekundärgesetzgebung internatio-naler Organisationen zwischen mitgliedstaatlicher Sou-veränität und Gemeinschaftsdisziplin, Duncker & Humblot, Berlin 2005, 252 S.

Preedy, Kara, Die Bindung Privater an die europäi-schen Grundfreiheiten – Zur so genannten Drittwir-kung im Europarecht, Duncker & Humblot, Berlin 2005, 252 S.

Organe – Kompetenzen – EPZ

Reußow, Ute, Die Kompetenzen nationaler Gerichte im Anwendungsbereich des EG-Beihilfenrechts, Duncker & Humblot, Berlin 2005, 239 S.

Verfassungs- und Verwaltungsrecht – Grundrechte – Konvent – Unionsbürgerschaft

Bühler, Margit, Einschränkung von Grundrechten nach der europäischen Grundrechtecharta, Duncker & Hum-blot, Berlin 2005, 515 S.

Rechtsverhältnisse zwischen EG und Mitglied-staaten – Kompetenzen

Oen, Raphael, Internationale Streitbeilegung im Kon-text gemischter Verträge der Europäischen Gemein-

schaft und ihrer Mitgliedstaaten, Duncker & Humblot, Berlin 2005, 202 S.

Sander, Florian, Repräsentation und Kompetenzvertei-lung – Das Handlungsformensystem des Mehrebenen-verbundes als Ausdruck einer legitimitätsorientierten Kompetenzbalance zwischen Europäischer Union und ihren Mitgliedstaaten, Duncker & Humblot, Berlin 2005, 693 S.

Umwelt-, Agrar- und Energiepolitik, Gesundheits- und Verbraucherschutz – Emmissionshandel

Bohne, Eberhard (Hrsg.), Ansätze zur Kodifikation des Umweltrechts in der Europäischen Union: die Wasser-rahmenrichtlinie und ihre Umsetzung in nationales Recht, Duncker & Humblot, Berlin 2005, 275 S.

Kreuter-Kirchhof, Charlotte, Neue Kooperationsfor-men im Umweltvölkerrecht, Duncker & Humblot, Ber-lin 2005, 623 S.

Völkerrecht – Internationales Privatrecht

Erben, Cosima, Das Vorsorgegebot im Völkerrecht, Duncker & Humblot, Berlin 2005, 312 S.

GASP/ESPV/Justiz und Inneres

Storost, Christian, Diplomatischer Schutz durch EG und EU? Die Berücksichtigung von Individualinteres-sen in der europäischen Außenpolitik, Duncker & Humblot, Berlin 2005, 300 S.,

Bibliographie

Die Zeitschrift EUROPARECHT erscheint sechsmal im Jahr. Schriftleitung: Armin Hatje und Ingo Brinker. Redaktionsanschrift: Prof. Dr. Armin Hatje, Universität Bielefeld, Fakultät für Rechtswissenschaft, Postfach 10 01 31, 33501 Bielefeld, Telefon: (0521) 106 44 12, Telefax: (0521) 106 60 37; RA Dr. Ingo Brinker LL.M., c/o Gleiss Lutz Hootz Hirsch, Prinzregentenstraße 50, 80538 München.

© Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden. Printed in Germany.

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ISSN 0531-2485

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